Inhalt

OLG München, Endurteil v. 19.03.2024 – 5 U 1661/21
Titel:

Abschalteinrichtung, Vorteilsausgleichung, Nutzungsentschädigung, Sittenwidrigkeit, Differenzschaden, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Arglistige Täuschung, Feststellungsinteresse, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Unzulässigkeit, Kosten des Berufungsverfahrens, Restwert, Haupt- und Hilfsanträge, Hilfsantrag, Sittenwidrige Schädigung, Besondere Verwerflichkeit, Schadensersatzpflicht, Gewährleistungsansprüche, Kostenentscheidung, Erfüllungsinteresse

Schlagworte:
Schadensersatzanspruch, unzulässige Abschalteinrichtungen, Thermofenster, Differenzschaden, Feststellungsinteresse, Beseitigungsanspruch
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 25.02.2021 – 10 O 10613/20
Fundstelle:
BeckRS 2024, 25488

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 25.02.2021, Az. 10 O 10613/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf … € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf eines Diesel-Pkws geltend.
2
Er erwarb am … einen gebrauchten Pkw der Marke BMW X3, Erstzulassung …, zu einem Kaufpreis von … von einem Dritten. Zum Zeitpunkt des Kaufs betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs 48.300 km, am 18.02.2024 wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 149.896 km auf. Die Beklagte ist die Herstellerin des Pkw, im Fahrzeug ist ein Dieselmotor mit der Typbezeichnung N 47 verbaut. Das Fahrzeug verfügt über eine EG-Typgenehmigung für die Emissionsklasse EU5. Ein Rückruf hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs seitens des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) erfolgte nicht.
3
Erstinstanzlich behauptete der Kläger den Einbau mehrerer unzulässiger Abschalteinrichtungen, so ein unzulässiges Thermofenster und eine Erkennung des NEFZ - Zyklus, die zu einer höchstmöglichen Abgasrückführung und maximaler Reduktion des NOx - Ausstoßes führe.
4
Der Kläger begehrte in der Hauptsache Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen PKW.
5
Hinsichtlich aller weiterer Einzelheiten zum Verfahren erster Instanz wird auf das Endurteil des Landgerichts München I vom 25.02.2021 Bezug genommen.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Ein Schadensersatzanspruch gem. § 826 BGB wegen des in der Motorsteuerungssoftware enthaltenen Thermofensters stehe dem Kläger mangels sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten und Schädigungsvorsatzes ihrer Verantwortlichen nicht zu. Des Weiteren bestünde kein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
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Gegen dieses am 26.02.2021 zugestellte Endurteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, die am 26.03.2021 eingegangen ist und die er mit am 23.04.2021 eingegangenem Schriftsatz begründet hat. Er verfolgt sein erstinstanzliches Klageziel weiter, das er um einen Hilfsantrag im Hinblick auf die Geltendmachung des sog. Differenzschadens und weiteren Hilfsanträgen auf Feststellung einer künftigen Schadensersatzpflicht und auf Verurteilung zur Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtungen erweitert.
8
Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Die Frage, ob eine Abschalteinrichtung vorhanden sei, bestimme sich insbesondere aufgrund erhöhter Messwerte des getesteten Fahrzeugs außerhalb des NEFZ. Die vorliegend erhöhten Werte im realen Fahrbetrieb lieferten ausreichende Anhaltspunkte für die Implementierung unzulässiger Abschalteinrichtungen; die beantragte Beweisaufnahme sei veranlasst gewesen. Seit der Presseerklärung der Deutschen Umwelthilfe vom 17.11.2022 sei zudem bekannt, dass die Beklagte die Firma B. mit der Entwicklung von mindestens 14 verschiedenen unzulässigen Abschalteinrichtungen (vgl. Schriftsatz vom 20.12.2022, S. 6, Bl. 471 d.A.) beauftragt habe, die im streitgegenständlichen PKW verbaut seien, u.a. „SCR online dosing“ und „SCR Füllstandsregister“. Diese Funktionen führten unter Prüfstandsbedingungen zu einer Veränderung der Abgasnachbehandlung und dazu, dass das Fahrzeug (nur) unter den Bedingungen der NEFZ-Prüfung und bei Erkennung der jeweiligen konkreten Bedingungen die Schadstoffwerte der Euro-Normen einhalte. Zusätzlich sei das On-Board-Diagnosesystem manipuliert. Die Hersteller seien bereits im Jahr 2006 auf die drohende Unzulässigkeit der Abschalteinrichtungen hingewiesen worden.
9
Der aktuelle Restwert des Fahrzeugs betrage 9.500,00 € (vgl. Anlage K R 1). Der Restwert sei jedoch nur relevant, wenn dieser etwa durch Verkauf realisiert worden sei. Vorliegend sei das Fahrzeug weiterhin im Eigentum des Klägers.
10
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren unter Abänderung des am 25.02.2021 verkündeten Urteils zuletzt:
I. …
II. …
III. …
Hilfsweise, …
… wird beantragt:
I. …
Weiter hilfsweise, … wird beantragt:
II. …
Weiter hilfs-hilfsweise, … wird beantragt:
III. …
11
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
12
Die Beklagte trägt insbesondere vor, unzulässige Abschalteinrichtungen seien in dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht verbaut. Das verbaute Thermofenster sei regulatorisch notwendig. Die Beklagte ist der Auffassung, die konkrete Bedatung müsse nicht offengelegt werden und stelle ein Betriebsgeheimnis dar. Nach wie vor liege kein amtlich angeordneter Rückruf vor, ein Entzug der Typengenehmigung drohe nicht. Zudem scheitere ein Schadensersatzanspruch des Klägers bereits am fehlenden Schaden, da der Differenzschaden jedenfalls wegen der erlangten Vorteile selbst aufgrund der vom Kläger mitgeteilten Daten aufgezehrt sei.
13
Der Senat hat in der Ladungsverfügung vom 13.12.2023 (Bl. 584 f d.A.) Hinweise erteilt.
14
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Ersturteil, die genannte Verfügung, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.02.2024 Bezug genommen.
II.
15
Die zulässige Berufung bleibt in der Sache in den Haupt- und Hilfsanträgen ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz zu.
16
1. Der Kläger hat das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht nachgewiesen.
17
Im vorliegenden Fall kann letztlich dahinstehen, ob es sich bei einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems („Thermofenster“) in ihrer konkreten Ausgestaltung objektiv um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung 715/2007/EG handelt. Denn der Kläger hat keine Umstände vorgetragen, die im Falle eines Verstoßes gegen die vorgenannte Vorschrift das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dasselbe gilt auch für die vom Kläger weiter vorgetragenen Abschalteinrichtungen in Gestalt des sog. Hard cycle beating sowie der erstmals mit Schriftsatz vom 20.12.2022 (Bl. 466 ff d.A.) im Anschluss an die Pressekonferenz der Deutschen Umwelthilfe vom 17.11.2022 genannten weiteren, von der Fa. B. entwickelten Funktionen zur Abgasmanipulation, die angeblich unter Prüfstandsbedingungen zu einer Veränderung der Abgasnachbehandlung und einer unzulässigen Manipulation des On-Board-Diagnosegerätes führten (keine Fehleranzeige).
18
aa) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.05.20202 - VI ZR 252/19 -, Rn. 15 m.w.N., juris). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, welche die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH a.a.O.).
19
In dem genannten grundlegenden Urteil zum Diesel-Abgasskandal vom 25.05.2020 (Az. VI ZR 252/19) hat der Bundesgerichtshof die Sittenwidrigkeit des Verhaltens der dortigen Beklagten damit begründet, dass diese bei der Motorenentwicklung die strategische Entscheidung getroffen hatte, die erforderliche Typgenehmigung durch arglistige Täuschung des Kraftfahrbundesamtes zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge sodann in den Verkehr zu bringen und dabei die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt auszunutzen. Ein solches Verhalten stehe einer bewussten arglistigen Täuschung derjenigen, die ein solches Fahrzeug erwerben, gleich (BGH a.a.O., Rn. 25).
20
Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems („Thermofenster“) ist nach der Wertung des Bundesgerichtshofs dagegen für sich genommen nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die der Entscheidung zum VW-Motor EA 189 zugrunde lag (Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19 - Rn. 17, juris). Die bei diesem Motor verwendete Software war bewusst und gewollt so programmiert, dass die gesetzlichen Abgaswerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb aber überschritten wurden (Umschaltlogik); sie zielte deshalb unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Genehmigungsbehörde ab (BGH a.a.O.). Bei dem Einsatz eines Thermofensters fehlt es an einem derartigen arglistigen Verhalten des Automobilherstellers, solange die eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, also keine Funktion aufweist, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert (vgl. BGH a.a.R., Rn. 18).
21
Dies trifft auch auf den klägerischen Vorwurf der Manipulationen über das sog. Hard cycle beating zu. Der Kläger begründet die Prüfstandsbezogenheit der unter diesem Begriff zusammengefassten Funktionen in erster Linie mit Messungen m Zuge einer Studie der DUH, die zu dem Ergebnis geführt habe, dass der NOx-Grenzwert nur im NEFZ eingehalten und außerhalb der NEFZ-Bedingungen überschritten werde. Dem ist die Beklagte bereits erstinstanzlich substantiiert entgegengetreten mit der unwiderlegten Behauptung, wonach die Motorsoftware des streitgegenständlichen PKW durch das KBA verschiedentlich als beanstandungsfrei überprüft worden sei. Die abweichenden Messergebnisse der DUH seien auf abweichende Fahrprofile und eine völlig ungewöhnliche Fahrweise (übertourig mit Beschleunigungsvorgängen unter Randbedingungen) zurückzuführen. Dass die Messergebnisse der DUH unter Randbedingungen generiert wurden, konnte der Kläger nicht entkräften. Die klägerischen Ausführungen mit behaupteten weiteren unzulässigen Abschalteinrichtungen aus dem Schriftsatz vom 20.12.2022 vermögen schon deshalb nicht zu überzeugen, da sich den allgemeinen Ausführungen über von der Fa. B. entwickelten Funktionen zur Emissionsmanipulation kein Zusammenhang zu der Motorkonfiguration des streitgegenständlichen PKW entnehmen lässt.
22
Fehlt es an einer prüfstandsbezogenen „Umschaltlogik“, wie dargestellt, wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu dem - unterstellten - Verstoß gegen die Verordnung 715/2207/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems sowie den weiteren behaupteten manipulierten Funktionen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller (vgl. BGH a.a.O. Rn. 19). Der Kläger hat darüber hinaus den Vortrag der Beklagten, dem KBA sei die temperaturabhängige Steuerung seit langem, auch unabhängig von den Angaben im Typengenehmigungsverfahren, positiv bekannt gewesen, nicht bestritten.
23
bb) Das Vorliegen solcher weiteren Umstände, welche geeignet wären, gegenüber der Beklagten den Vorwurf der Sittenwidrigkeit zu begründen, hat der Kläger nicht nachvollziehbar dargelegt.
24
Im Gegenteil war zum Zeitpunkt des Typgehmigungsverfahrens bzw. der Inverkehrbringung des streitgegenständlichen Fahrzeugs die Rechtslage in Bezug auf die temperaturabhängigen Abschalteinrichtungen zweifelhaft.
25
Die behaupteten Abschalteinrichtungen des sog. Thermofensters wie auch der weiteren behaupteten Funktionen unter dem Stichwort „Hard cycle beating“ bzw. der von der Fa. B. entwickelten Strategien sind, wie dargelegt, nicht offensichtlich ausschließlich für den Prüfstand konzipiert, es werden keine grundsätzlich unterschiedlichen Abgasrückführungsmodi aktiviert. Die Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a) VO (EG) 2007/15 wurde kontrovers geführt. Die vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) eingesetzte Untersuchungskommission Volkswagen gelangt senatsbekannt im Bericht zur Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a) VO (EG) 715/2007 zu dem Ergebnis, dass unter Berufung auf den Motorschutz die Verwendung von Abschalteinrichtungen letztlich stets dann gerechtfertigt werden könne, wenn von Seiten des Fahrzeugherstellers nachvollziehbar dargestellt werde, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden drohe, sei dieser auch noch so klein. Zu berücksichtigen ist auch, dass das KBA bis in die jüngste Zeit die Auffassung vertreten hat, dass das Thermofenster grundsätzlich zulässig sei. Selbst die Bundesrepublik Deutschland hat noch im Jahr 2022, und damit lange nach dem Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs, vor dem Europäischen Gerichtshof die Auffassung vertreten, Thermofenster seien zulässig (vgl. EuGH, Urteil vom 08.11.2022 - C-873/19 -, Rn. 32, juris). Insofern ist festzuhalten, dass eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht genügt (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2021 - VII ZR 126/21 -, Rn. 23, juris). Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang jedoch nicht, dass alleine durch den Umstand, dass das Thermofenster „Industriestandard“ war, der Fahrlässigkeitsvorwurf nicht entfällt (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 - VIa ZR 335/21 -, Rn. 70, juris).
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Bezüglich der übrigen Abschalteinrichtungen wird auf die fehlende bzw. nicht belegte Prüfstandsbezogenheit Bezug genommen. Weitere Umstände, die gegenüber der Beklagten den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründen könnten, hat der Kläger hier nicht vorgetragen.
27
cc) Zudem liegt der erforderliche Schädigungsvorsatz nicht vor.
28
Die objektive Unzulässigkeit der behaupteten Abschalteinrichtungen unterstellt, folgt hieraus nicht der Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Klägerseite. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage musste sich den für die Beklagtenseite tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klägerseite nicht aufdrängen (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2021 - VII ZR 126/21 -, Rn. 24, juris).
29
Die Beklagte hat im übrigen unangegriffen vorgetragen, nie behauptet zu haben, dass das klägerische Fahrzeug in einem wie auch immer gearteten „Realbetrieb“ in sämtlichen möglichen Betriebszuständen bestimmte Emissionswerte nicht überschreite. Täuschendes, vorsätzliches Verhalten ist daher nicht erkennbar.
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dd) Auch in der behaupteten zusätzlichen Manipulation des sog. On Board Diagnosesystems (OBD-Systems) kann keine sittenwidrige Schädigung gesehen werden. Bei diesem System handelt es sich nicht um eine (unzulässige) Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG, weil es die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems selbst weder aktiviert, verändert, verzögert noch deaktiviert (vgl. Art. 3 Nr. 10 VO (EG)715/2007).
31
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte ferner keinen Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
32
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte in dem streitgegenständlichen PKW des Klägers schuldhaft eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verbaut hat, denn dem Kläger ist unter Anwendung der Grundsätze der Vorteilsausgleichung kein Differenzschaden entstanden.
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Unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist der Eintritt des Differenzschadens zu prüfen, der sich gem. § 287 ZPO auf 5 % bis zu 15 % des gezahlten Kaufpreises bemisst (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 - VIa ZR 335/21 -, Rn. 49 ff, juris). Der Kläger muss sich Vorteile nach Maßgabe der Grundsätze anrechnen lassen, die der BGH für die Vorteilsausgleichung auf der Grundlage der Gewähr des kleinen Schadensersatzes nach §§ 826, 31 BGB entwickelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, a.a.O., Rn. 80). Soweit der Wert der gezogenen Nutzungen und der Restwert des Autos den tatsächlichen Wert des Autos (nach Abzug des Differenzschadens) bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigt, ist er von dem Differenzschadensersatzanspruch abzuziehen. Der Anspruch ist dann in dieser Höhe aufgezehrt (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, a.a.O., Rn. 80).
34
Vorliegend geht der Senat gemäß § 287 ZPO unter Anwendung der vom BGH aufgestellten Grundsätze zur Bemessung des Differenzschadens innerhalb der Bandbreite zwischen 5 % und 15 % (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, a.a.O., Rn. 71 ff, 76, juris) davon aus, dass der Differenzschaden auf 5 % des Kaufpreises (mithin … €) zu schätzen ist. Der Senat berücksichtigt in diesem Zusammenhang insbesondere den Umfang der in Betracht kommenden Betriebsbeschränkungen und die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Beschränkungen im Hinblick auf die vorliegenden Einzelfallumstände; hier bedeutet dies, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit von Betriebsbeschränkungen aufgrund des verbauten Thermofensters nicht ersichtlich ist.
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Im Rahmen der hier zu prüfenden Vorteilsausgleichung können die aus dem erworbenen Fahrzeug tatsächlich gezogenen Vorteile grundsätzlich in der Weise erfolgen, dass die während der Besitzzeit des Klägers zurückgelegte Fahrstrecke mit dem Kaufpreis multipliziert und das Ergebnis durch die geschätzte Restlaufleistungserwartung im Kaufzeitpunkt dividiert wird. Diese Methode stellt sich als zulässige Ausübung des dem Tatrichter im Rahmen des § 287 ZPO zustehenden Ermessens dar (vgl. BGH, Urteil vom 20.7.2021 - VI ZR 575/20 -, Rn. 32 f).
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Entgegen der Ansicht des Klägers ist der tatsächlich gezahlte Bruttokaufpreis und nicht der geminderte Kaufpreis in die Berechnung der Nutzungsentschädigung einzubeziehen. Bei der Bemessung des objektiven Werts des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist insbesondere das Risiko der Betriebsuntersagung oder -beschränkung einzubeziehen. Hat sich dieses wertbestimmende Risiko bis zum Ende der Gesamtlaufzeit des Fahrzeugs jedoch - wie vorliegend - nicht verwirklicht, muss dieser Umstand im Wege der Vorteilsausgleichung Berücksichtigung finden (vgl. BGH, Urteil vom 24.01.2022 - VIa ZR 100/21 -, Rn. 20, juris). Der Senat schätzt gemäß § 287 BGB vorliegend angesichts der bisherigen Laufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs und des Fahrzeugtyps die Gesamtlaufleistung auf 250.000 km.
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Unter Zugrundelegung dieser Gesamtlaufleistung muss sich der Kläger nach der oben aufgeführten Formel eine Nutzungsentschädigung für die von ihm während seiner Besitzzeit insgesamt 101.596 zurückgelegten Kilometern von … € im Rahmen der Vorteilsausgleichung anrechnen lassen.
38
Aus dieser Nutzungsentschädigung und dem selbst von dem Kläger vorgetragenen Restwert von … € (vgl. Anlage K R 1) errechnet sich ein Betrag von insgesamt … €. Entgegen der Ansicht des Klägers ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Restwert des Fahrzeugs im Wege der Vorteilsausgleichung ohne Rücksicht darauf anzurechnen, ob er durch eine Weiterveräußerung realisiert worden ist (vgl. BGH, Urteile vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, Rn. 80 und vom 27.11.2023, VIa ZR 159/22, Rn. 13, juris).
39
Der Betrag der Vorteilsausgleichung übersteigt selbst den ungeminderten Kaufpreis in Höhe von … €. Damit ist auch ein etwaiger Differenzschaden von 5 % in einer Gesamtschau der einzustellenden Parameter von Gesamtlaufleistung, Nutzungsentschädigung und ungefährem Restwert vollständig aufgezehrt, ein erstattungsfähiger Schaden verbleibt nicht.
40
3. Die hilfsweise bzw. hilfs-hilfsweise geltend gemachten Berufungsanträge, die auf Feststellung zukünftiger Schäden bzw. Beseitigung der behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen gerichtet sind, sind unzulässig bzw. unbegründet.
41
a) Der Hilfsantrag auf Feststellung der Ersatzpflicht zukünftiger Schäden ist mangels Feststellungsinteresses nach § 256 Abs. 1 ZPO unzulässig.
42
§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gewähren dem Käufer eines vom sog. Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller neben dem der Höhe nach auf 15 % des gezahlten Kaufpreises begrenzten Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens keinen Anspruch auf Ersatz weiterer möglicher Vermögensnachteile. Für einen auf die Pflicht zum Ersatz solcher Vermögensnachteile gerichtete Feststellungsantrag besteht kein Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO (BGH, Urteil vom 16.10.2023 - VIa ZR 37/21 - amtlicher Leitsatz, juris). Insbesondere sind mögliche künftige Vermögensnachteile infolge der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung bereits bei der Bemessung des Differenzschadens zu berücksichtigen und hier zu verneinen, da der Differenzschaden, wie ausgeführt, im Rahmen der Vorteilsausgleichung aufgezehrt ist.
43
b) Der hilfs-hilfsweise geltend gemachte Antrag auf Beseitigung der behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen ist unbegründet.
44
Der Kläger ist insoweit der Ansicht (Schriftsatz vom 19.10.2023, S. 26, Bl. 543 d.A.), die Beklagte sei Handlungsstörerin im Sinne des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB, da ihr Handeln die unzulässigen Abschalteinrichtungen bedingt hätte. Ferner sei sie Zustandsstörerin und halte den beeinträchtigenden Zustand aktiv aufrecht. Die Beklagte sei verpflichtet, das streitgegenständliche Fahrzeug in Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften zu bringen und die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen. Dieser Auffassung folgt der Senat nicht, da eine Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich ist.
45
Gewährleistungsansprüche kommen vorliegend nicht in Betracht.
46
Ein Anspruch aus § 1004 BGB besteht nicht, da es vorliegend bereits an einer Eigentumsverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB fehlt, da die von dem Kläger behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen nach seinem Vortrag bereits bei Erwerb des Eigentums in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eingebaut waren.
47
Ein Anspruch aus § 1004 BGB analog kommt ebenfalls nicht in Betracht. Um nicht die Wertungen des verschuldensabhängigen Deliktsrechts zu unterlaufen, muss die verschuldensunabhängig zu beseitigende Störung von einem Schaden, der regelmäßig nur bei Vorliegen eines Verschuldens zu ersetzen ist, abgegrenzt werden (vgl. BeckOGK/Spohnheimer, 01.02.2024, BGB § 1004 Rn. 1). Hinzu kommt, dass ein derartiger Beseitigungsanspruch vorliegend nicht Inhalt eines Schadensersatzanspruchs sein kann. Im Rahmen der deliktischen Haftung ist nämlich zu beachten, dass diese nicht das Erfüllungsinteresse oder positive Interesse erfasst. Will der Käufer in der vorliegenden Konstellation die Kaufsache behalten, kann er im Rahmen des Schadensersatzes nicht Ersatz der Kosten verlangen, die zur Mängelbeseitigung erforderlich sind. Denn damit beansprucht er das Erfüllungsinteresse, weil er im Ergebnis so gestellt werden möchte, als hätte der Verkäufer den Kaufvertrag ordnungsgemäß erfüllt (BGH, Urteil vom 18.01.2011 - VI ZR 325/09, BGHZ 188, 78 Rn. 11). Er kann allerdings, wenn er die Kaufsache behalten möchte, als Schaden den Betrag ersetzt verlangen, um den er den Kaufgegenstand - gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung - zu teuer erworben hat. Denn dabei handelt es sich nicht um das Erfüllungs-, sondern um das Erhaltungsinteresse (BGH, Urteil vom 06.07.2021 - VI ZR 40/20 -, BGHZ 230, 224-240, Rn. 14 f).
48
Der Kläger ist somit vorliegend hinsichtlich der von ihm behaupteten unzulässige Abschalteinrichtungen auf die Geltendmachung des Vermögensschadens in Form des Differenzschadens beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 - VIa ZR 335/21 - Rn. 18 ff, juris).
49
4. Die Berufung ist auch im Hinblick auf die Abweisung der weiteren Hauptanträge Ziff. II und III unbegründet, da mangels Anspruchs gemäß § 826 BGB auf Rückabwicklung des Kaufvertrages kein Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs besteht.
50
Ebenso wenig besitzt der Kläger einen Anspruch auf Freistellung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, da er zum einen keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB besitzt. Allein auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kann neben dem Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens eine Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht verlangt werden (vgl. BGH, Urteil vom 16.10.2023 - VIa ZR 14/22 -, Rn. 13, juris). Ein grundsätzlich möglicher Anspruch des Klägers aus § 280 Abs. 1 und 2, § 286 BGB wegen des Verzugs der Beklagten mit dem Ersatz des Differenzschadens (vgl. BGH, Urteil vom 16.10.2023 - VIa ZR 14/22 -, Rn. 13, juris) besteht vorliegend nicht. Es ist bereits nicht vorgetragen, dass der Kläger die Beklagte schon vor der Erteilung des Auftrags an seine Rechtsanwälte bezüglich des Ersatzes des Differenzschadens angemahnt hätte.
III.
51
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
52
2. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
53
3. Die Revision war nicht zuzulassen. Der Senat hat den vorliegenden Einzelfall auf der Grundlage der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden.
54
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.