Titel:
Streitwert in Datenschutzfällen (Scraping)
Normenketten:
GKG § 48
ZPO § 3
Leitsätze:
1. Für den Antrag auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerseite sämtliche materiellen künftigen Schäden zu ersetzen, die ihr durch den unbefugten Zugriff Dritter auf das Datenarchiv der Beklagten künftig entstehen werden, ist ein Streitwert von 800 EUR angemessen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Wert des Antrags, es zu unterlassen, personenbezogene Daten der Klägerseite, insbes. die Telefonnummer, unbefugten Dritten über eine Software zum Importieren von Kontakten zugänglich zu machen, ist mit 1.000 EUR ermessensfehlerfrei festgesetzt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwert, Datenschutz, Datenleck, künftige Schäden, Feststellungsklage
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 12.02.2024 – 35 O 297/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 25340
Tenor
Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 12.02.2024, Az.35 O 297/23, wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Die Beschwerdeführer wenden sich aus eigenem Recht gegen die Streitwertfestsetzung für das Verfahren erster Instanz durch das Landgericht.
2
In der Sache nahm der Kläger die Beklagte als Betreiberin eines sozialen Netzwerks wegen eines Datenschutzvorfalls im Jahr 2019 in Anspruch. Er stellte folgende Anträge:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite als Ausgleich für Datenschutzverstöße und die Ermöglichung der unbefugten Ermittlung der Telefonnummer […] sowie weiterer personenbezogener Daten der Klägerseite wie Vorname, Nachname, E-Mail-Adresse, Geschlecht, Geburtsdatum einen immateriellen Schadensersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, den Betrag von 2.000,00 EUR aber nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerseite sämtliche materiellen künftigen Schäden zu ersetzen, die der Klägerseite durch den unbefugten Zugriff Dritter auf das Datenarchiv der Beklagten („F…-D…“), der nach Aussage der Beklagten im Jahr 2019 erfolgte, künftig entstehen werden.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei für die Nichterteilung einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden außergerichtlichen Datenauskunft i.S.d. Art. 15 DSGVO einen weiteren immateriellen Schadensersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, den Betrag von 1.000,00 EUR aber nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerseite Auskunft über die die Klägerseite betreffenden weiteren personenbezogenen Daten zu erteilen, die durch Unbefugte erlangt werden konnten, namentlich welche Daten außer der Telefonnummer der Klägerseite durch welche Empfänger zu welchem Zeitpunkt bei der Beklagten durch „Web Scraping“, die Anwendung des Kontaktimporttools oder auf andere Weise unbefugt erlangt werden konnten.
5. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 EUR, ersatzweise an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft, oder einer an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen, personenbezogene Daten der Klägerseite, insbesondere die Telefonnummer, unbefugten Dritten über eine Software zum Importieren von Kontakten zugänglich zu machen, wie geschehen anlässlich des sogenannten F…-D…, das nach Aussage der Beklagten im Jahr 2019 stattfand.
6. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 EUR, ersatzweise an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft, oder einer an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen, personenbezogene Daten der Klägerseite, insbesondere die Telefonnummer, ohne Einholung einer Einwilligung oder Erfüllung sonstiger gesetzlicher Erlaubnistatbestände zu verarbeiten.
7. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 973,66 EUR zuzüglich Zinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
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Das Landgericht wies die Klage ab und setzte den Streitwert auf insgesamt 6.300,00 € fest. Dabei bewertete es die einzelnen Anträge wie folgt:
„Antrag 1: 200,00 € Antrag 2: 800,00 € (1.000,00 € abzgl. eines Abschlags von 20%)
Antrag 3: 1.000,00 € Antrag 4: 500,00 € Anträge 5 und 6: jeweils 1.000,00 €.“
4
Dagegen wenden sich aus eigenem Recht die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit ihrer Streitwertbeschwerde vom 17.07.2024. Sie beantragen, den Streitwert auf 10.500,00 € heraufzusetzen.
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Antrag 2 sei mit 1.000,00 € statt mit 800,00 € zu bewerten (1.250,00 € abzgl. 20% wegen der fehlenden Vollstreckbarkeit). Maßgeblich für die Bewertung sei nicht nur die Höhe eines etwaigen Schadens, sondern auch das Risiko des Schadenseintritts. Hier sei aufgrund vielfältiger Betrugsarten wie Phishing und Identitätsdiebstahl weiterhin mit einem Eintritt auch erheblicher Schäden zu rechnen.
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Antrag 5 sei nach § 48 Abs. 2 GKG mit 5.000,00 € anzusetzen. Das Landgericht habe bei der Ausübung seines Ermessens die in Betracht zu ziehenden Umstände nicht umfassend berücksichtigt. Der Antrag sei auf die dauerhafte Abwehr einer unbestimmten Vielzahl künftiger Wiederholungen des klägerseits beanstandeten Verhaltens gerichtet und erschöpfe sich nicht in den unmittelbaren Folgen eines einzigen Falles in der Vergangenheit.
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Antrag 6 sei aus den gleichen Gründen mit 1.000,00 € zu bewerten.
8
Das Landgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 05.08.2024 nicht ab und legte die Akten mit Verfügung vom selben Tag dem Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Beschwerde vor. Der Beschwerdeführer nahm mit Schriftsatz vom 05.09.2024 Stellung zum Nichtabhilfebeschluss und wiederholte seine Argumentation.
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1. Es ist gem. §§ 66 Abs. 6 S.1, 2.Hs., 68 Abs. 1 S.5 GKG der Einzelrichter zur Entscheidung berufen und nicht der Senat, da die erstinstanzliche Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen wurde.
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2. Die aus eigenem Recht der Prozessbevollmächtigten der Beklagten eingelegte Streitwertbeschwerde ist gemäß §§ 68 Abs. 1 S.1, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. § 32 Abs. 2 S.1 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
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3. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Streitwert zutreffend festgesetzt.
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a) Soweit der Beschwerdeführer hinsichtlich Antrag 2 einen um 200,00 € höheren Wert begehrt, ist nicht ersichtlich, dass das Landgericht bei seiner Entscheidung maßgebliche Umstände unberücksichtigt gelassen und den Wert ermessensfehlerhaft festgesetzt hat. Eine Bewertung mit 800,00 € (1.000,00 € abzgl. 20% im Hinblick auf die Feststellungsklage, vgl. Zöller-Herget, 35. Aufl., § 3 Rn. 16.76) berücksichtigt gem. § 3 GKG sowohl das wirtschaftliche Interesse des Klägers (vgl. z.B. BGH, Beschl. V. 08.11.2022, BeckRS 2022, 32659) an der beantragten Festsetzung als auch das Risiko eines Schadenseintritts und einer tatsächlichen Inanspruchnahme des Beklagten durch den Feststellungskläger (vg. BGH NJW-RR 1991, 509, beck-online). Im vorliegenden Fall sind keine hinreichenden Umstände vorgetragen, die dazu führen würden, dieses Risiko nicht nur als abstrakt und theoretisch zu bewerten. Danach hat das OLG Dresden in einem Parallelverfahren den Antrag sogar nur mit 500,00 € bewertet (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 31.07.2023, Az. 4 W 396/23, BeckRS 2023, 21123), was ebenso gut vertretbar ist wie die hiesige durch das Landgericht München I vorgenommenen Bewertung.
13
b) Auch hinsichtlich Antrag 5 hat das Landgericht den Streitwert nicht ermessensfehlerhaft festgesetzt.
14
Bei einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit ist gem. § 48 Abs. 2 GKG der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach Ermessen zu bestimmen. Maßgeblich sind dabei insbesondere der Umfang und die Bedeutung der Sache sowie – je nach Einzelfall – die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Parteien. Fehlen ausreichende tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung ist bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten von einem Wert i.H.v. 5.000,00 € auszugehen (vgl. 52 Abs. 2 GKG, § 23 Abs. 3 S.2 RVG), was im vorliegenden Fall ein (grober) Anhaltspunkt ist. Im konkreten Fall ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Anträge 5 und 6 insoweit überschneiden, als sie beide auf den zukünftigen Schutz abzielen und Antrag 6 ebenfalls mit 1.000,00 € bewertet wurde. Das Interesse des Klägers daran, dass die Beklagte Vorsorge dafür trifft, dass nicht erneut Daten abgeschöpft bzw. unbefugt verarbeitet werden, wurde demnach insgesamt mit 2.000,00 € bewertet, (für einen einheitlichen Ansatz OLG Dresden, Beschluss v. 31.7.2023 – 4 W 396/23, BeckRS 2023, 21123 Rn. 9, beck-online; OLG Stuttgart, Beschluss v. 03.01.2023 – 4 AR 4/22 – juris), was unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nicht ermessensfehlerhaft ist. Es wäre auch vertretbar gewesen, die Anträge 5 und 6 insgesamt mit 1.000,00 € zu bewerten. Die Bewertung trägt der Bedeutung der persönlichen Daten des Klägers Rechnung, aber auch dem Umstand, dass Nutzer sozialer Medien bestimmte Daten in Kenntnis der öffentlichen Zugänglichkeit freiwillig preisgeben, weil sie andernfalls soziale Netzwerke bzw. bestimmte Anwendungen nicht nutzen können. Hinzu kommt, dass Kläger im Rahmen derartiger „Massenverfahren“, zu dem auch das vorliegende Verfahren gehört, zwar ein grundsätzlich nachvollziehbares Interesse daran haben, dass sie nicht ein weiteres Mal von einem Datenleck betroffen sind, dass aber einzelfallbezogen regelmäßig (so wie hier) das Unterlassungsinteresse kaum substantiiert und individualisiert vorgetragen wird, sondern es sich um ein pauschales, allgemeines Interesse handelt. Die (obergerichtliche) Rechtsprechung bewertet deshalb in den Verfahren, in denen wegen des F…-D… auf Grundlage der DSGVO Ansprüche auf Schadensersatz, Unterlassung, Auskunft und Schadensersatzfeststellung geltend gemacht werden, den Streitwert zwar nicht exakt einheitlich, allerdings wird – soweit ersichtlich – der Streitwert für den Unterlassungsantrag nicht über 5.000,00 € bewertet (vgl. OLG Celle Beschluss vom 10.6.2024 – 5 W 46/24, GRUR-RS 2024, 13038: 500,00 €; OLG Frankfurt a.M., Beschluss v. 11.07.2024 – 6 W 36/24 – GRUR-RS 2024, 19253: 1.000,00 €; OLG Hamm, Urteil v. 15.8.2023 – 7 U 19/23 – GRUR 2023, 1791 Rn. 264: 1.000,00 €; OLG Dresden, Beschluss v. 31.7.2023 – 4 W 396/23, BeckRS 2023, 21123: 3.500,00 €; OLG Stuttgart, Beschluss v. 3.1.2023 – 4 AR 4/22 – ZD 2024, 107: Bei mangelnden genügenden Anhaltspunkten für ein höheres oder geringeres Interesse 5.000,00 €; zitiert jeweils nach beck-online).
15
c) Soweit sich die Beschwerde auch auf Antrag 6 beziehen sollte (so ist einerseits die Beschwerdebegründung wohl zu verstehen, andererseits gehen die Beschwerdeführer in der Stellungnahme zum Nichtabhilfebeschluss nicht mehr darauf ein), geht sie ins Leere, da das Landgericht den Streitwert so festgesetzt hat, wie auch die Beschwerdeführer es für zutreffend halten, nämlich auf 1.000,00 €.
16
Eine Kostenentscheidung und eine Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren sind nicht veranlasst, da gemäß § 68 Abs. 3 GKG das Verfahren der Streitwertbeschwerde gebührenfrei ist und (außergerichtliche) Kosten nicht erstattet werden.