Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 11.09.2024 – Ws 648/24
Titel:

Erforderlichkeit einer Vorstellungs- und Therapieweisung

Normenkette:
StGB § 68b, § 68c
Leitsätze:
1. Bei der Frage, ob eine Vorstellungs- und Therapieweisung zu erteilen ist, ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob im konkreten Fall die Behandlung des Verurteilten erforderlich ist, um die Prognose für die Begehung weiterer Straftaten zu verbessern und ob ohne diese die Gefahr weiterer schwerer Straftaten besteht. Im zweiten Schritt ist zu erörtern, ob eine Akzeptanz des Verurteilten für eine Vorstellungs- und Therapieweisung besteht. (Rn. 13 – 15)
2. Die strafbewehrte Vorstellungsweisung hat gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 11 StGB auch den Zweck, durch den persönlichen Kontakt mit dem Arzt die Motivation des Verurteilten, sich einer Therapie zu unterziehen, zu fördern und zu wecken. (Rn. 16)
3. Auch bei absehbar fehlender Therapiebereitschaft kann die Erteilung einer Therapieweisung geboten sein, wenn ohne die Therapie eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten zu befürchten ist und die spätere Anordnung der unbefristeten Führungsaufsicht gemäß § 68c Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht kommt. (Rn. 17)
Schlagworte:
Führungsaufsicht, Vorstellungsweisung, Suchtambulanz, Gewaltstraftäter, Therapieweisung, Erforderlichkeit, Therapiemotivation
Vorinstanz:
LG Amberg, Beschluss vom 28.06.2024 – 2 StVK 633/23
Fundstellen:
StV 2025, 36
LSK 2024, 25222
BeckRS 2024, 25222

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss der Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg vom 28.06.2024 aufgehoben, soweit die strafbewehrte Weisung, sich bei einer Suchtambulanz oder der Fachambulanz für Gewaltstraftäter zu festgelegten Zeiten vorzustellen und die nicht strafbewehrte Weisung, sich dort psychotherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen, nicht erteilt wurden.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an die Kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Mit Beschluss vom 28.06.2024 hat die Kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg nach vollständiger Vollstreckung der durch Urteil des Amtsgerichts Amberg vom 02.03.2021 (20 Ls 142 Js 90667/20) wegen gefährlicher Körperverletzung verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren zum 28.09.2024 festgestellt, dass die Führungsaufsicht nicht entfällt, die Höchstdauer der Führungsaufsicht von fünf Jahren nicht abgekürzt wird und strafbewehrte und nicht strafbewehrte Weisungen erteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Verurteilte dem Geschädigten während einer Auseinandersetzung zwei wuchtige Stiche von vier bis fünf Zentimetern Tiefe mit einem Messer oder einem scharfen und spitzen Gegenstand in die Brust zufügte, wodurch der Geschädigte eine arterielle Blutung mit dislozierter Rippenfraktur und Lungenkontusion erlitt. Die Erteilung einer Vorstellungs- und Therapieweisung hat die Strafvollstreckungskammer abgelehnt und ausgeführt, dass eine Vorstellungs- und Behandlungsweisung wegen fehlender Kooperationsbereitschaft des Verurteilten nicht möglich sei. Er habe strikt und abschließend seine Verweigerungshaltung erklärt. Es sei nicht ersichtlich, wie eine solche Motivation geweckt werden könne.
2
Die Justizvollzugsanstalt A. hatte mit Stellungnahme vom 23.05.2024 aufgrund der mehrfachen Vorverurteilungen wegen Körperverletzungs- und Betäubungsmitteldelikten bei hoher Rückfallgeschwindigkeit angeregt, eine Vorstellungsweisung bei einer Suchtambulanz sowie einer Fachambulanz für Gewaltstraftäter zu erteilen.
3
Die Staatsanwaltschaft hat mit Schreiben vom 29.05.2024 beantragt, neben der strafbewehrten Vorstellungsweisung bei Suchtambulanz und Fachambulanz für Gewaltstraftäter eine nicht strafbewehrte Therapieweisung hinsichtlich der Betreuung und Behandlung durch die Fachambulanz für Gewaltstraftäter zu erteilen.
4
Bei seiner Anhörung am 20.06.2024 hat der Verurteilte erklärt, die Therapie und Vorstellung bei der Fachambulanz für Gewaltstraftäter führe bei ihm zu Angstzuständen. Zur Suchtberatung wolle er nicht, das bedeute für ihn Stress.
5
Gegen den am 03.07.2024 zugestellten Beschluss hat die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 04.07.2024 Beschwerde eingelegt und ausgeführt, dass angesichts der ungelösten Sucht- und Gewaltproblematik die beantragte Vorstellungs- und Therapieweisung geeignet und erforderlich zur Eindämmung der Rückfallgefahr und auch zumutbar sei. Bei dem Verurteilten bestehe ausweislich der Anlassverurteilung, zahlreicher einschlägiger Vorverurteilungen sowie der Erkenntnisse aus dem Strafvollzug eine ungelöste Suchtproblematik. Es sei ihm selbst im geschützten Rahmen des Strafvollzugs nicht gelungen, suchtmittelfrei zu bleiben. Zugleich bestehe eine erhebliche und nachhaltige, in der Persönlichkeit des Verurteilten verfestigte Veranlagung, immer wieder Gewaltdelikte zu begehen. Bei den Taten zeige sich eine Wechselwirkung mit Suchtmitteln. Die Anlasstat zeige, dass der Verurteilte nicht über hinreichende sozialadäquate Verhaltensweisen und Copingstrategien verfüge, für ihn unangenehme Situationen gewaltfrei zu lösen. Dies spiegele sich in einer Vielzahl von hochfrequent verwirklichten einschlägigen Vorahndungen wider, wobei eine Progredienz der Tatschwere zu verzeichnen sei. Selbst langjährige Haftstrafen hätten nicht zu einer Einstellungs- und Verhaltensänderung geführt. Hieraus ergebe sich weiterhin die außerordentlich hohe Gefahr für erneute gravierende Gewaltdelikte durch den unbehandelten Gewaltstraftäter. Deshalb dürfe bei der klaren Therapieindikation zur Verminderung der Gefährlichkeit die Erteilung der beantragten zumutbaren Weisungen nicht unterbleiben.
6
Mit Vermerk vom 16.07.2024 hat die Strafvollstreckungskammer unter Verweisung auf die Gründe des Ausgangsbeschlusses der Beschwerde nicht abgeholfen.
7
Die Generalstaatsanwaltschaft N. beantragt, die beantragten Weisungen zu erteilen.
8
Der Verurteilte hatte Gelegenheit zur Stellungnahme und hat sich mit Schreiben vom 06.08.2024 und Schreiben seines Verteidigers vom 06.09.2024 zum Antrag der Generalstaatsanwaltschaft geäußert.
II.
9
Die zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache Erfolg. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, von den beantragten Vorstellungsweisungen und der Therapieweisung abzusehen, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, da sie auf nicht auf einer nicht vollständigen Tatsachengrundlage beruht.
10
1. Das Beschwerdegericht kann nach §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO die nach § 68b StGB im Rahmen der Führungsaufsicht erteilten Weisungen oder deren Ablehnung nur auf Gesetzmäßigkeit überprüfen. Dazu gehören neben der Prüfung einer ausreichenden Rechtsgrundlage die Prüfung, ob ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt und ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Bestimmtheitsgebot eingehalten wurden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, § 453 Rn. 12 m.w.N.). Die Beschlussgründe müssen es dem Beschwerdegericht im Rahmen der nach §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 S. 2 StPO vorzunehmenden Würdigung ermöglichen, die Ausübung und Einhaltung des Ermessens unter Würdigung der wesentlichen Gesichtspunkte zu prüfen.
11
2. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, von der Erteilung einer Vorstellungs- und Therapieweisung abzusehen, beruht auf einer nicht vollständigen Tatsachengrundlage und hält einer rechtlichen Überprüfung daher nicht stand. Die Überlegung, die Weisungen könnten aufgrund der strikten Verweigerungshaltung des Verurteilten nicht erteilt werden, greift zu kurz.
12
a. Aufgabe der Führungsaufsicht ist es, den Versuch zu machen, auch Tätern mit vielfach schlechter Sozialprognose nach Strafverbüßung eine Lebenshilfe vor allem für den Übergang von der Freiheitsentziehung in die Freiheit zu geben und dabei zu führen und zu überwachen (Fischer, StGB, 71. Auflage, vor § 68 Rn 2). Zweck der Erteilung von Führungsaufsichtsweisungen ist es, die Gefahr weiterer Straftaten zu beseitigen oder zu verringern (vgl. Fischer, StGB, 71. Auflage, § 68b Rn 2), im Wesentlichen auch, um die Gesellschaft damit zu schützen. Dieser Zweck der Führungsaufsicht ist bei der Prüfung mitzuberücksichtigen, ob und wenn ja welche Weisungen zu erteilen sind. Einer Einwilligung des Verurteilten in die Therapie bedarf es dabei nur, wenn die Heilbehandlung mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist (§§ 68b Abs. 3 S. 4, 56c Abs. 3 Nr. 1 StGB).
13
b. Danach ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob im konkreten Fall die Behandlung des Verurteilten erforderlich ist, um die Prognose für die Begehung weiterer Straftaten zu verbessern und ob ohne diese die Gefahr weiterer schwerer Straftaten besteht.
14
Zur Therapiebedürftigkeit des Verurteilten enthält der angefochtene Beschluss keine Ausführungen.
15
c. Im zweiten Schritt ist zu erörtern, ob eine Akzeptanz des Verurteilten für eine Vorstellungs- und Therapieweisung besteht.
16
Dabei ist zu sehen, dass die strafbewehrte Vorstellungsweisung gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 11 StGB auch den Zweck hat, durch den persönlichen Kontakt mit dem Arzt die Motivation des Verurteilten, sich einer Therapie zu unterziehen, zu fördern und zu wecken (MüKoStGB/Groß/Ruderich, 4. Auflage, StGB § 68b Rn. 23, beck-online).
17
Bei der nicht strafbewehrten Therapieweisung nach § 68b Abs. 2 S. 2 StGB ist es zwar sinnvoll, bei der Auswahl des Therapeuten oder der forensischen Ambulanz Einvernehmen mit dem Verurteilten zu erzielen (MüKoStGB/Groß/Ruderich, a.a.O Rn. 27). Auch wenn dieses nicht zu erreichen ist oder der Verurteilte eine Therapie ablehnt, kann von einer erforderlichen Therapieweisung aber nicht generell abgesehen werden. Vielmehr ist die Regelung des § 68c Abs. 2 Nr. 2 StGB in den Blick zu nehmen, nach der eine die fünfjährige Höchstdauer überschreitende unbefristete Führungsaufsicht angeordnet werden kann, wenn die verurteilte Person einer Weisung, sich einer Heilbehandlung oder einer Entziehungskur zu unterziehen, oder einer Therapieweisung nicht nachkommt und eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten zu befürchten ist. Auch bei absehbar fehlender Therapiebereitschaft kann also die Erteilung einer Therapieweisung geboten sein, wenn ohne die Therapie eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten zu befürchten ist und die spätere Anordnung der unbefristeten Führungsaufsicht gemäß § 68c Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht kommt.
18
Auch hierzu enthält der angefochtene Beschluss keine Ausführungen. Eine spätere Anordnung der unbefristeten Führungsaufsicht scheidet vorliegend auch nicht offensichtlich aus, so dass solche Ausführungen ausnahmsweise entbehrlich wären. Der Anlassverurteilung liegt zu Grunde, dass der Verurteilte seinem Gegner im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung zunächst zwei wuchtige Schläge gegen die Brust und diesem anschließend mit einem Messer oder einem anderen spitzen Gegenstand zwei vier bis fünf Zentimeter tiefe Stiche in die Brust versetzte. Die Strafvollstreckungskammer führt in dem angefochtenen Beschluss aus, dass angesichts der ungelösten Drogenproblematik des Verurteilten erneute Straftaten zu befürchten seien und eine positive Sozialprognose nicht gestellt werden könne. Zugrundegelegt, dass vom Verurteilten zukünftig weitere solche Straftaten drohen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass bei einer Therapieweigerung zur Überwachung des Verurteilten zum Schutz der Gesellschaft eine die fünfjährige Höchstdauer überschreitende unbefristete Führungsaufsicht angeordnet wird.
19
3. Der angefochtene Beschluss ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Landgericht Amberg zurückzuverweisen. Eine eigene Sachentscheidung ist aufgrund des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs des Beschwerdegerichts nicht möglich. Der Senat kann das Ermessen der Strafvollstreckungskammer nicht ersetzen.