Titel:
Anforderungen an Abberufung (mit sofortiger Wirkung) eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft aus wichtigem Grund
Normenketten:
AktG § 84 Abs. 4, § 87 Abs. 1 S. 1
BGB § 389, § 626
Leitsätze:
1. Der Widerruf der Organstellung als Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft setzt das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Versuch eines Vorstandsmitglieds, vor der Freigabe einer Zahlung in Erfahrung zu bringen, ob den geänderten Zahlungen an andere Vorstandsmitglieder eine Veranlassung durch den Aufsichtsrat zugrunde liegt, ist nicht kompetenzwidrig und stellt deshalb nicht bereits als solcher eine Pflichtverletzung dar. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
3. Liegen Umstände vor, die den Pflichtverstoß eines Vorstandsmitglieds in einem milderen, nicht mehr groben Licht erscheinen lassen, kann bei Wägung aller Umstände eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Zusammenarbeit unbegründet sein. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Bemühen um Aufklärung und um Rechtsrat spricht gegen ein subjektiv nicht am Gesellschaftsinteresse ausgerichtetes, eigen- oder fremdnütziges Handeln des Vorstandsmitglieds und lässt dessen Pflichtverletzung nicht grob erscheinen, da hieraus ersichtlich wird, dass das Vorstandsmitglied nicht verantwortungslos handeln wollte, sondern sich um Absicherung seines Vorgehens bemüht hat. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aktiengesellschaft, Vorstandsmitglied, Organstellung, Vorstandsdienstvertrag, Kündigung, wichtiger Grund, Pflichtverletzung, Einbehalt von Gehaltszahlungen, Fortdauer der Organstellung, Beitragsfreistellung, Aufrechnung
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 30.06.2022 – 5 HK O 5649/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 25184
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 30.06.2022, Az. 5 HK O 5649/21, teilweise abgeändert und gemäß den nachfolgenden Ziffern 2 bis 5 neu gefasst.
2. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Aufsichtsrates der Beklagten vom 01.04.2021 auf Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied der Beklagten unwirksam ist.
3. Es wird festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und der Beklagten vormals bestehende Vorstandsanstellungsverhältnis durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 01.04.2021 nicht aufgelöst worden ist.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 128.682,50 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
- aus € 10.742,50 brutto seit dem 03.05.2021, – aus € 14.742,50 brutto seit dem 01.06.2021, – aus € 14.742,50 brutto seit dem 01.07.2021, – aus € 14.742,50 brutto seit dem 02.08.2021, – aus € 14.742,50 brutto seit dem 01.09.2021, – aus € 14.742,50 brutto seit dem 01.10.2021, – aus € 14.742,50 brutto seit dem 02.11.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 01.12.2021 und
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 03.01.2022 zu bezahlen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die darüber hinausgehende Berufung wird zurückgewiesen.
7. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
8. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann eine Vollstreckung des Klägers durch Leistung von Sicherheit in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
9. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
10. Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf € 295.004,00 festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Feststellung der Unwirksamkeit eines Beschlusses zur Abberufung des Klägers als Vorstandsmitglied der Beklagten, um Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung des Vorstandsdienstvertrages des Klägers und um Zahlung von Annahmeverzugslohn.
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Der Kläger war zunächst seit dem 01.07.2001 bei der damals noch in der Rechtsform der Aktiengesellschaft geführten Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Arbeitnehmer beschäftigt, bevor er mit Wirkung zum 01.01.2003 zum Vorstand bestellt wurde.
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Mit Beschluss des Aufsichtsrats vom 26.06.2017 kam es zu einer erneuten Bestellung des Klägers zum Vorstand für den Zeitraum vom 27.06.2017 bis zum 26.06.2022. Am 26.06.2017 schlossen die Parteien einen Vorstandsdienstvertrag (Anlage K 1, nachfolgend DV), der unter anderem folgende Bestimmungen enthielt:
Aufgaben und Pflichten des Vorstandsmitgliedes
(1) Herr R. M. hat die Geschäfte der Gesellschaft gemeinsam mit den an_deren Vorstandsmitgliedern nach Maßgabe der Gesetze, der Satzung der Gesellschaft, einer Geschäftsordnung für den Vorstand, des Geschäftsverteilungsplans, dieses Vorstandsvertrages und der Beschlüsse des Aufsichtsrates zu führen.
(2) Herr R. M. vertritt als Vorstand die Gesellschaft satzungsgemäß. Er ist berechtigt, stets die Gesellschaft bei Rechtsgeschäften mit sich selbst als Vertreter eines Dritten zu vertreten.
(3) Der Vorstand wird die Aufgaben als Vorstand gewissenhaft und mit bestmöglichem Einsatz im Rahmen der gesetzliche Rechte und Pflichten erfüllen.
(1) Der Vorstand erhält für die Laufzeit dieses Vertrages ein jährliches Festgehalt von EUR 158.910,00 (in Worten: Euro Einhundertachtundfünfzigtausendneunhundertzehn) das – vermindert um Bezüge aus anderen Beteiligungsgesellschaften der S. T. S.A.
Luxembourg – in 12 gleichen Monatsraten jeweils zum Monatsende ausgezahlt wird. Besteht das Dienstverhältnis nicht während des gesamten Kalenderjahres, gilt dies zeitanteilig.
Reisekosten, sonst. dienstliche Aufwendungen und Relocation Cost Reisekosten und sonstige dienstliche Aufwendungen werden entsprechend der jeweils gültigen Travel Cost Policy (Anlage 2) erstattet. Jedoch werden ergänzend für D. M. bis zu 4 Flüge nach M. mi einem Budget von € 1200 pro Hin- und Rückflug erstattet.
Ab 1.1.2018 ist es geplant, dass der Lebensmittelpunkt von Herrn M. …, USA sein wird, um das USA Geschäft von S. weiter auszubauen. Herr M. kann daher nachfolgende Kosten (Relocation Cost) entweder bei der S. Inc. oder bei der S.SES AG einreichen:
- 75.000 € Relocation Cost 2018 – 90.000 € Relocation Cost 2019-2021 – 45.000 € Relocation Cost 2022 Exemplarische aber nicht vollständige Beispiele für Relocation Cost: Office …incl. Housing R. M., F. H. Insurance Cost, Caretaker Cost M., …
(1) Dem Vorstand wird für die Dauer seiner Tätigkeit als Vorstand ein Budget von EUR 18.000,00 pro Kalenderjahr zur Verfügung gestellt, von dem er auf Wunsch nach Maßgaben der form car policy (Anlage 3) ein Kraftfahrzeug leasen kann. Wird keine Leasingoption gewählt, wird der Betrag von EUR 18.000,00 proportional als monatliches, zusätzliches Bruttogehalt ausbezahlt (= EUR 1.500,00 pro Monat).
(1) Der Vorstandsvertrag tritt am 27.06.2017 in Kraft und ist auf die Dauer bis zum Ablauf des 26.06.2022 befristet. Er endet damit am 26.06.2022, ohne dass es einer Kündigung bedarf.
(3) Das Recht zur fristlosen Kündigung dieses Vertrages aus wichtigem Grund bleibt für beide Parteien unberührt.
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Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des Vertrages wird in vollem Umfang auf Anlage K 1 Bezug genommen.
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Der Kläger übte seit dem Jahr 2018 seine Tätigkeit für die Beklagte von den Vereinigten Staaten von Amerika aus. Von der Leasingoption nach § 6 Abs. 1 DV machte er keinen Gebrauch. Er erhielt eine jährliche Tantieme in Höhe von zuletzt USD 177.821,07. Für den Kläger bestand eine Versorgungsanwartschaft bei der allgemeinen Unterstützungskasse im B.-V.-Werk der Wirtschaft und der Selbständigen e.V. Der Beitrag betrug zuletzt monatlich 4.000 €, die Mitgliedsgebühren 2 € pro Monat (Anlage B 14).
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Bei der Beklagten waren im März 2021 einschließlich der Vorstandsmitglieder ca. 43 Personen tätig. Die Beklagte hatte für die Abrechnung der Lohnansprüche und die Vorbereitung der Auszahlung der Löhne und Gehälter ihrer Mitarbeiter – einschließlich der damals aktuellen Vorstandsmitglieder und des damals bereits ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds Dr. A. – die Lohnabrechnungsfirma L. beauftragt. Für die Steuerung der Gehaltszahlungen erstellte L. jeden Monat im Auftrag der Beklagten nach erfolgter Abrechnung eine Zahlungsverkehrsdatei, die sämtliche Lohn- und Gehaltszahlungen für den jeweiligen Monat enthielt. L. lud diese Datei sodann in das C.bankportal hoch. Anschließend wurde die Datei und damit die Zahlungen in dem C.bankportal nach dem Vier-Augen-Prinzip durch die Beklagte freigegeben. Da die Auszahlung nur über eine einzige Datei erfolgte, konnten die Zahlungen nur im Ganzen für alle Mitarbeiter einschließlich der Vorstandsmitglieder freigegeben werden. Bei den Zahlungen im März 2021 waren für das bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglied Dr. E. A. sowie das Vorstandsmitglied A. Sch. und den Vertriebsmitarbeiter C. N. gegenüber dem Vormonat verringerte Zahlungsbeträge vorgesehen, da bei diesen drei Personen Bonuszahlungen angepasst und reduziert werden sollten. Die Gehälter der weiteren rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten waren von diesen Maßnahmen nicht betroffen.
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Am 30.03.2021 um 11:31 Uhr teilte Frau T. Sch., eine Mitarbeiterin der L., Frau O. L.(eine Mitarbeiterin im Konzern der Beklagten, die ihre E-Mails mit „CFO S.“ zeichnete) und Frau T. H. (eine Mitarbeiterin der Beklagten) durch eine E-Mail in englischer Sprache mit, dass die Gehaltsdaten (“p. data“) nun verfügbar seien (Anlage B3). Mit E-Mail vom 30.03.2021, 17:02 Uhr bat Frau O. L. den Kläger sinngemäß, die Zahlungsdatei freizugeben (“@ R., … support.“, Anlage B3). Der Kläger versandte daraufhin am 30.03.2021 um 17:27 Uhr eine E-Mail (Anlage B 3) unter anderem an den seinerzeitigen Mitvorstand, Herrn J.-P. M. in englischer Sprache, in der er [in deutscher Übersetzung] unter anderem Folgendes mitteilte:
„Liebe Alle, ich fragte L. nach Einzelheiten der Gehälter. Bevor dies nicht im Detail geprüft worden ist, werde ich die Gehälter nicht freigeben – ich möchte für mich und die Gesellschaft vermeiden, etwas Illegales zu tun.
Wenn einer von Euch A. und mich mit den Details versorgen könnte, wird dies den Prozess beschleunigen.
8
Herr M. antwortete darauf in englischer Sprache unter anderem [in deutscher Übersetzung] wie folgt:
„[…] in Übereinstimmung mit dem Gesellschafter und unter Beachtung der mir vom Aufsichtsrat gegebenen Vollmacht ist es eine rechtlich abgesicherte und faire Entscheidung des Managements, die Bonuszahlungen an A. Sch. (5.000,00 €), E. A. (25.000,00 €) und C. N. (464,00 €) anzupassen, wobei den erbetenen Anpassungsberechnungen der Abschlussprüfer der Gesellschaft gefolgt wird. […]“.
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Der Kläger erwiderte hierauf in einer E-Mail vom 30.03.2021 um 22:42 Uhr (Anlage B3) folgendermaßen:
„Ich handele, um das Unternehmen und den Vorstand zu schützen, damit in Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen des deutschen Rechts gehandelt wird. Dies ist mein Ziel, nichts anderes…“.
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Zudem wies der Kläger darauf hin, dass das Audit nicht final abgestimmt sei und weder Andreas [scil.: das Vorstandsmitglied A. Sch.] noch er selbst einen Entwurf gesehen hätten; das Audit sei erst beschlossen, wenn der gesamte aus drei Mitgliedern bestehende Vorstand die endgültige Fassung unterzeichnet hätte. Dann erst sei die Zeit zur Anpassung von Boni oder Gehälter.
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Ebenfalls am 30.03.2021 um 22:42 Uhr bat der Kläger sodann Herrn J. L. – damals Justiziar bei der E., der Muttergesellschaft der Beklagten – um rechtliche Überprüfung, erhielt darauf aber keine Antwort. Die Auszahlung der Gehälter in Höhe von insgesamt € 193.610,81 erfolgte nicht durch die Beklagte; vielmehr veranlasste am 31.03.2021 S. T. F. SAS, eine Schwestergesellschaft der Beklagten, die Bezahlung aus eigenen Mitteln. Die Beklagte erstattete diesen Betrag dann an ihre französische Schwestergesellschaft zurück.
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Hinsichtlich der näheren Einzelheiten dieses E-Mail-Verkehrs wird im vollen Umfang auf das Anlagenkonvolut B 3 Bezug genommen.
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In seiner Sitzung vom 01.04.2021, an der alle drei Mitglieder teilnahmen, fasste der Aufsichtsrat der Beklagten den einstimmigen Beschluss, den Kläger als Vorstand der Beklagten aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung abzuberufen. Zudem wurde der Aufsichtsratsvorsitzende in einem weiteren, einstimmig gefassten Beschluss ermächtigt, eine außerordentliche Kündigungserklärung zur Beendigung des Vorstandsdienstvertrages des Klägers mit der Beklagten vom 26.06.2017 im Namen des Aufsichtsrates für die Beklagte zu unterzeichnen. Dem Kläger, der von diesen Beschlüssen bereits vorab telefonisch unterrichtet worden war, wurde der Beschluss des Aufsichtsrates über die Abberufung und Kündigung sowie die Erklärungen über die Abberufung als Vorstand und die Kündigung des Vorstandsdienstvertrages elektronisch an dessen geschäftliche E-Mail-Adresse übermittelt; der beigefügte Beschluss enthielt nicht die Unterschriften aller Aufsichtsratsmitglieder. Die entsprechenden Dokumente wurden dem Kläger im Nachgang nochmals postalisch am 05.04.2021 zugestellt. Mit E-Mail vom 22.10.2021 bot der Kläger zum wiederholten Male seine Arbeitsleistung an.
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Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, sowohl für den Widerruf der Organstellung als auch für die außerordentliche Kündigung fehle es an den formellen und materiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen. Die Kündigung erweise sich bereits mangels wirksamer Beschlussfassung und Ermächtigung als unwirksam. Bei der Kürzung der Bezüge der Herren Dr. A., Sch. und N. habe die Beklagte jedenfalls einzelne Vorstandsmitglieder übergangen, was der Bedeutung und den Aufgaben eines Vorstandsmitgliedes widerspreche. Das unterlassene Hinzuziehen des Vorstands zur Beratung im Zusammenhang mit der Anpassung der Gehälter verletze das Recht des Vorstands zur geschäftlichen Leitung des Unternehmens. Durch die Verweigerung der Auszahlung habe der Kläger eine legale Gehaltspolitik im Unternehmen zugunsten aller Angestellten gewährleistet und die Position des Vorstandes im Betrieb abgesichert. Dabei sei er nur von einer vorübergehenden Blockade ohne tiefgreifende Auswirkungen auf die Belegschaft ausgegangen. Für eine einseitige Durchsetzung der Interessen seiner Vorstandskollegen zu Lasten der übrigen Angestellten fehle substantiierter Nachweis der Beklagten; der Kläger hätte genauso Partei für andere Arbeitnehmer außerhalb des Vorstands ergriffen, was schon der Einsatz für Herrn N. zeige. Die Unmöglichkeit der Blockade der Auszahlung an einzelne Mitarbeiter stelle sich als ein von der Beklagten verschuldeter Umstand dar, der dem Kläger nicht zur Last fallen dürfe. Wiederholungsgefahr lasse sich angesichts der Mitteilung in der E-Mail vom 30.03.2021, in der sich der Kläger offen für Einsicht zeige, nicht bejahen. Durch eine ordnungsgemäße Beteiligung des Vorstands hätte die Beklagte die Freigabeverweigerung von vornherein verhindern können.
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Aus denselben Gründen liege auch kein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung des Vorstandsdienstvertrages vor; der Kläger habe bei seiner Entscheidung ausschließlich das Unternehmenswohl im Blick gehabt. Angesichts dessen stehe ihm auch ein Anspruch auf Zahlung der geschuldeten Vergütung in Höhe von € 14.752,40 brutto aus Annahmeverzug zu. Aufgrund der Abberufung als Vorstand müsse der Kläger die Kündigungserklärung so verstehen, dass ihn die Beklagte unter keinen Umständen weiter beschäftigen wolle, weshalb ein Angebot der Dienste durch den Kläger ohnehin entbehrlich sei.
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Der Kläger hat daher in erster Instanz beantragt,
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Der Beschluss des Aufsichtsrates der Beklagten vom 11.04.2021 auf Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied der Beklagten wird für unwirksam erklärt.
18
Es wird festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehende Vorstandsanstellungsverhältnis durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 01.04.2021 nicht aufgelöst worden ist.
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 132.682,50 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 01.05.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 01.06.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 01.07.2021, – aus € 14.742,50 brutto seit dem 01.08.2021, – aus € 14.742,50 brutto seit dem 01.09.2021, – aus € 14.742,50 brutto seit dem 01.10.2021, – aus € 14.742,50 brutto seit dem 01.11.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 01.12.2021 und – aus € 14.742,50 brutto seit dem 01.01.2022 zu bezahlen.
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Soweit im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (LGU S. 9) der Beginn des Zinslaufs nach dem Klageantrag teilweise abweichend mit 3.5., 2.8., 2.11. und 3.1., und damit deckungsgleich zu dem Urteilstenor angegeben ist, handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen. Der Kläger begehrt Zinsen jeweils ab dem Monatsersten, s. Schriftsatz vom 10.01.2022, Bl. 46 d.A. Auf der teilweisen Abweichung von beantragtem und zugesprochenem Beginn des Zinslaufs gründet die Abweisung der Klage im Übrigen durch Ziffer IV. des Tenors des landgerichtlichen Urteils. Ersichtlich auf einem Schreibversehen beruht auch die letzte Datumsangabe der Zinsstaffel im Schriftsatz des Klägers vom 10.1.2022 mit „1. Januar 2021“. Dass der 1. Januar 2022 gemeint ist, ergibt sich aus der dem Lauf des Kalenders entsprechenden Staffelung des Zahlungsverlangens vom 1. Mai 2021 über 01. Juni 2021 bis 1. Dezember 2021, welchem richtig der 1. Januar 2022 und nicht, wie im Schriftsatz angegeben, der 1. Januar 2021 nachfolgt, s. Bl. 46 d.A.
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Die Beklagte hat demgegenüber beantragt,
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Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, der Aufsichtsrat habe wirksam die Organstellung widerrufen und den Vorstandsdienstvertrag ebenso wirksam außerordentlich gekündigt, weil für beide Maßnahmen jeweils ein wichtiger Grund vorgelegen habe und die Erklärungen auch wirksam umgesetzt worden seien. Die bewusste Verweigerung der Freigabe von Gehältern auch an Arbeitnehmer, deren Gehaltshöhe – anders als in Bezug auf die Auszahlungshöhe gegenüber den Herren Dr. A., Sch. und N. – nicht als unrichtig erachtet worden sei, bedeute eine Verletzung der Pflichten des Klägers als Vorstandsmitglied mit einer Beeinträchtigung des Tagesgeschäfts der Beklagten wie auch dem Eintritt rechtlicher, finanzieller sowie immaterieller Risiken für die Beklagte im Hinblick auf ihre Rechtsbeziehungen zu ihren Arbeitnehmern sowie zu Behörden. Ein anzuerkennendes, sachliches Interesse des Klägers lasse sich nicht erkennen. Die fehlende Bereitschaft zur Auszahlung der unstreitigen Gehälter belege vielmehr, dass der Kläger Arbeitnehmer für persönliche Interessen instrumentalisiere, um eigene Differenzen mit dem damals neu ernannten Vorstandskollegen, Herrn M., auszutragen und eine vorteilhafte Abrechnung von Bonuszahlungen für die langjährigen Vorstandskollegen Dr. A. und Sch. zu erreichen. Dies mache eine Zusammenarbeit der Beklagten mit dem Kläger bis zum Ende der Amtszeit unzumutbar. Aus demselben Grund stelle dieses Verhalten auch einen die außerordentliche Kündigung rechtfertigenden wichtigen Grund dar. Angesichts der Schwere der Dienstpflichtverletzung und der fehlenden Bereitschaft, einzulenken, sei der Beklagten eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses für mehr als ein weiteres Jahr bis zum Vertragsende am 26.06.2022 nicht zumutbar. Herr M. sei als Vorstandsvorsitzender aufgrund eines Beschlusses des Aufsichtsrats vom 01.06.2016 für sämtliche Personalangelegenheiten bis zu € 100.000,- und für sämtliche Banktransaktionen bis zu € 200.000,- ohne vorherige Zustimmung des Aufsichtsrates zuständig gewesen. Angesichts der Wirksamkeit der Kündigung könne der Kläger auch keine Gehaltsansprüche geltend machen.
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Das Landgericht hat mit Endurteil vom 30.06.2022, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 ZPO), der Klage mit Ausnahme eines Teils der Zinsen stattgegeben. Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Landgericht aus, zwar habe der Kläger gegen die Kompetenzordnung der (damals) Aktiengesellschaft verstoßen, weil er Gehaltszahlungen für (ehemalige) Vorstandsmitglieder geprüft habe. Für die Vorstandsmitglieder betreffende Änderung sei aber nicht der Vorstand, sondern der Aufsichtsrat zuständig. Es lägen jedoch mehrere Besonderheiten vor. So sei die Kürzung der Boni der Vorstände jedenfalls nach den dem Kläger damals vorliegenden Informationen mangels Beschlusses des Aufsichtsrats pflichtwidrig gewesen. Ein Zurückhalten lediglich einzelner Gehaltszahlungen sei technisch nicht möglich gewesen. Auch habe der Kläger versucht, sich bei dem Justiziar der Muttergesellschaft der Beklagten abzusichern, habe also verantwortungsvoll handeln wollen. Eine Reaktion habe er nicht erhalten. Vor diesem Hintergrund sei auch unter Berücksichtigung des Ansehensverlusts bei den Mitarbeitern bei einer nicht pünktlich erfolgten Auszahlung und der inmitten stehenden Kürzungsbeträge die Pflichtverletzung nicht als grob einzustufen. Die Abberufung sei daher unberechtigt gewesen, die Anträge auf Feststellung der Nichtbeendigung des Anstellungsverhältnisses und Zahlung des Gehalts aus Ausnahmeverzug begründet.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die am 29.07.2022 beim Oberlandesgericht eingelegte und mit Schriftsatz vom 30.09.2022 innerhalb gerichtlich verlängerter Frist begründete Berufung der Beklagten, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrages ihr erstinstanzlichen Ziel einer Klageabweisung weiterverfolgt.
25
Die Frage der Kürzung der Bonuszahlungen hätte zwischen der Beklagten und den betroffenen Personen geklärt werden müssen; eine Zuständigkeit des Klägers sei nicht zu erkennen, erst recht soweit eine Vergütung von (aktiven oder ehemaligen) Vorstandsmitgliedern im Raum stehe. Auch sei der Kläger in die Erörterung der Kürzungen eingebunden gewesen; Herr S. habe diese – jedenfalls vorläufig – akzeptiert. Erst recht sei eine Blockade aller Gehaltszahlungen nicht gerechtfertigt. Die nicht sachgerechte Lohnabrechnung entlaste den Vorstand nicht, andernfalls käme dieser quasi in den Genuss der Folgen eigenen Fehlverhaltens. Es sei nicht sachgerecht, sich an einen französischen Juristen zu wenden; auch sei zu bezweifeln, dass sich der Kläger dessen Rat gefügt hätte.
26
Fehlerhaft sei die Gesamtabwägung, insbesondere vor dem Hintergrund der Auswirkungen auf die gesamte Belegschaft und des Missverhältnisses zwischen den Kürzungsbeträgen und den blockierten Gehaltszahlungen. Die Befugnis des Vorstandsvorsitzenden zur Regelung von Personalangelegenheiten und Banktransaktionen habe nur das Innenverhältnis betroffen (vgl. Anlage B8), nicht die – erst später – eingeräumte Alleinvertretungsbefugnis.
27
Mit Schriftsatz vom 05.01.2023, dort S. 9f., (Bl. 140 f. d.A.) erklärt die Beklagte die Hilfsaufrechnung über 4.002 €. Die Beklagte habe mit dem Kläger vor dem Hintergrund der Kündigung des Dienstvertrags einvernehmlich am 12.04.2021 gegenüber der Unterstützungskasse eine Betragsfreistellung hinsichtlich der betrieblichen Altersversorgung des Klägers ab 01.04.2021 vereinbart. Die Unterstützungskasse habe die Beitragsfreistellung aber erst zum 01.05.2021 akzeptiert und für April 2021 4.002 € bei der Beklagten eingezogen. Der Beitrag habe aufgrund der Kündigung nicht mehr wie vereinbart vom Gehalt des Klägers einbehalten werden können.
28
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 30. Juni 2022, Az.: 5 HKO 5649/21 die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass unter Ziffer I der ursprünglichen Klageanträge beantragt wird: Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Aufsichtsrats der Beklagten vom 01.04.2021 auf Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied der Beklagten unwirksam ist.
30
Die Beklagte beantragt auch hinsichtlich des geänderten Klageantrags Klageabweisung.
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Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er weist darauf hin, dass sich der Kläger – der 2016 wegen Unterschreitung des Mindestlohns strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden sei – um Aufklärung der Problematik bemüht habe. Der Vorstandsvorsitzende habe die Gehaltszahlung allein anweisen können. Den Kläger treffe auch kein Mitverschulden; für Finanzen seien bis 2020 Herr A., danach der Vorstandsvorsitzende Herr M. zuständig gewesen. Der angeschriebene Justiziar der französischen Muttergesellschaft sei deutsch-französischer Wirtschaftsjurist, der ausweislich seines Linkedin Profils die „Satelliten-Unternehmen“ der Mutter in operativen, gesellschaftsrechtlichen und rechtlichen Fragen berate und unterstütze. Der angeschriebene Justiziar habe darüber hinaus drei Jahre im Aufsichtsrat der deutschen Beklagten gesessen und auch den Vorstandsvertrag mit dem Kläger 2017 verhandelt. Die Einschaltung eines externen Anwalts sei in der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen. Der Kläger sei fast 20 Jahre beanstandungsfrei bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Durch die Nichtfreigabe der Gehaltszahlung sei kein Schaden entstanden. Auch fehle eine Wiederholungsgefahr, zu der nicht substantiiert vorgetragen sei.
32
Zur Hilfsaufrechnung ist der Kläger der Auffassung, dass der Beklagten die Forderung nicht zustehe. Die Einzahlung des Betrages finde über den Arbeitgeber statt, so dass der Kläger nach der Kündigung nicht selbst weiter einzahlen könne, weshalb er bei der Altersversorgung Verluste habe. Der Kläger habe Anspruch auf Zahlung des Gehalts seit der Kündigung, welches auch den geltend gemachten Betrag umfasse. Zudem rechnet der Kläger seinerseits (Schriftsatz vom 21.02.2023, S. 8, Bl. 152 d.A.) mit Spesen in Höhe von 2.035,73 €, Kosten für Relocation USA-Europa von 18.404,06 € und Steuerberatungskosten von 7.541,77 € auf.
33
Der Senat hat über die Berufung am 31.07.2024 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift und die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
34
Die Berufung der Beklagten hat nur in Höhe von 4.000 € mit dem erstmals in der Berufung erhobenen Einwand Erfolg, sie habe 4.002 € im April 2021 an die Versorgungskasse abgeführt. Zu berücksichtigen war darüber hinaus der durch den Kläger auf Feststellung der Unwirksamkeit des Widerrufs der Organstellung angepasste Klageantrag. Im Einzelnen:
35
Die Berufung ist form- und fristgerecht erhoben und auch im Übrigen zulässig. Zur Entscheidung des Rechtsstreits sind die deutschen Gerichte international zuständig. Die in jeder Instanz zu prüfende internationale Zuständigkeit richtet sich für die vor deutschen Gerichten erhobene Klage nach der Verordnung 1215/2012/VO (EuGVVO). Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger in dem Zeitpunkt, zu dem der mit der Klage angegriffene Abberufungsbeschluss und die mit der Klage angegriffene Kündigung ergangen sind, seinen Wohnsitz in den USA und damit in einem Drittstaat hatte und seine Dienste von dort aus erbracht hat. Der Anwendungsbereich der EuGVVO ist bereits dann eröffnet, wenn die Gerichte eines Mitgliedsstaates angerufen werden (Nordmeier in Thomas/Putzo, vor Art. 1 EuGVVO Rn. 21; zur Anwendbarkeit der Verordnung bei Sitz des Beklagten in einem Mitgliedstaat und Sitz des Klägers in einem Drittstaat EUGH, Urteil v. 16.06.2016, Rs. C-511/14, juris Rn. 20).
36
Die deutschen Gerichte sind daher für die auf Feststellung der Unwirksamkeit des Abberufungsbeschlusses gerichtete Klage nach Art. 24 Nr. 2 EuGVVO und für die weiteren Klageanträge nach Art. 4, 63 EuGVVO international zuständig. Die Beklagte ist eine nach deutschem Recht gegründete Kapitalgesellschaft mit Satzungs- und Verwaltungssitz in Deutschland. Die Art. 20 bis 23 der EuGVVO sind nicht anwendbar, da es sich bei Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft wegen der ihnen zustehenden Leitungsautonomie auch unter Berücksichtigung der vom EuGH zur Abgrenzung herangezogenen Kriterien (EuGH, Urteil vom 10.09.2015, Rs. C-47/14, juris Rn. 49) nicht um Arbeitnehmer handelt (BeckOGKAktG/Fleischer, § 84 Rn. 27; Thole in Stein/Jonas, 23. Aufl. 2022, EuGVVO Art. 20 Rn. 15. In der Sache ebenso, aber ohne Bezug zur EuGVVO, BGH, Urt. 11.07.1953 – II ZR 126/52, NJW 1953, 1465).
37
Die Berufung der Beklagten ist jedoch nur hinsichtlich eines Teilbetrags des erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Einwands, für April 2021 4.002 € an die Versorgungskasse abgeführt zu haben, begründet.
38
1. Das Landgericht hat den Beschluss des Aufsichtsrates der Beklagten vom 01.04.2021 auf Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied der Beklagten im Ergebnis zu Recht für unwirksam erklärt.
39
a. Der Widerruf der Organstellung als Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft setzt das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus, s. § 84 Abs. 3 Satz 1 und 2 AktG in der am 01.04.2021 geltenden Fassung (jetzt gleichlautend § 84 Abs. 4 AktG). Das zwingende Erfordernis des wichtigen Grundes unterstützt die in § 76 Abs. 1 AktG festgelegte Stellung des Vorstands als Organ zur eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft (s. Seibt in K.Schmidt/Lutter, AKtG, 5. Aufl., § 84 Rn. 74; Koch, AktG, 18. Aufl. § 84 Rn. 53).
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Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn die Fortsetzung der Organstellung bis zum Ende der Amtszeit (hier bis zum Ablauf des 26.06.2022) unzumutbar ist. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH, Beschluss vom 23.10.2006 – II ZR 298/05, juris Rn. 2). Ein solcher Grund ist namentlich – so das Regelbeispiel des Gesetzes – eine grobe Pflichtverletzung (§ 84 Abs. 3 Satz 2 AktG a.F., jetzt gleichlautend § 84 Abs. 4 S. 2 AktG).
41
b. Dem Kläger fällt vorliegend auch eine Pflichtverletzung zur Last.
42
(1) Anders als von dem Landgericht auf Seite 12. f. seiner Urteilsgründe angenommen, besteht aus Sicht des Senats eine Pflichtverletzung des Klägers aber nicht bereits deshalb, weil dessen auch mit Blick auf die Herabsetzung der Vergütung (teils: ehemaliger) Vorstandsmitglieder getroffene Weigerung, die Zahlungsverkehrsdatei freizugeben, gegen die Kompetenzordnung innerhalb der Aktiengesellschaft verstieß. Zwar ist insoweit im Ausgangspunkt nicht zu verkennen, dass – worauf das Landgericht zutreffend hinweist – für eine Änderung der Vergütung von Mitgliedern des Vorstands ausschließlich der Aufsichtsrat zuständig ist, § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG. Dem Kläger fehlt als Mitglied des Vorstands der Aktiengesellschaft daher die Organkompetenz, die inhaltliche Richtigkeit oder die Angemessenheit von Entscheidungen des Aufsichtsrats zur Vergütung von Vorstandsmitgliedern zu prüfen.
43
Anlass für den Widerruf war vorliegend die Verweigerung der Freigabe einer Zahlungsverkehrsdatei, die sowohl geänderte Vorstandsvergütungen, als auch im Falle des Mitarbeiters Neitzel eine geänderte Bonuszahlung enthielt. Die Überwachung des Zahlungsverkehrs wie auch die Überwachung der Finanzlage der Gesellschaft gehören zu dem Verantwortungsbereich des Vorstands (s. zur Finanzverantwortung als Leitungspflicht des Vorstands Hoffmannn-Becking in MünchHdBGesR, Bd. 4, 5. Aufl., § 25 Rn. 12). Damit geht aus Sicht des Senats hinsichtlich der Zahlungen an Mitglieder des Vorstands einher, dass vor der Freigabe einer Zahlung an ein Vorstandsmitglied durch ein anderes Vorstandsmitglied zwar nicht die inhaltliche Richtigkeit, sehr wohl aber die Existenz einer Veranlassung der Zahlung durch den Aufsichtsrat geprüft werden kann. Andernfalls müssten Vorstandsmitglieder Zahlungen zu Lasten der Gesellschaftskonten an andere Vorstandsmitglieder stets zulassen. Der Versuch des Klägers, vor der Freigabe der Zahlungsverkehrsdatei in Erfahrung zu bringen, ob den geänderten Zahlungen an andere Vorstandsmitglieder eine Veranlassung durch den Aufsichtsrat zugrunde lag, war daher aus Sicht des Senats nicht kompetenzwidrig und stellt deshalb nicht bereits als solcher eine Pflichtverletzung dar.
44
(2) Als pflichtwidrig erweist sich jedoch das Vorgehen des Klägers, die Auszahlung der gesamten Gehälter zu blockieren, weil er der Meinung war, bei drei Personen – darunter einem aktiven und einem ehemaligen Vorstandsmitglied – seien zu Unrecht Kürzungen erfolgt. Insoweit ist es zwar legitim, auf eine korrekte Auszahlung zum Monatsende hinzuwirken – was sich im Falle der Zahlungen an Vorstandsmitglieder wegen der oben dargelegten Kompetenzordnung aber ohnehin nur auf die Existenz einer Veranlassung der Zahlung durch den Aufsichtsrat, nicht aber auf die Richtigkeit einer Kürzung beziehen kann. Gelingt dies nicht, muss jedoch die Auszahlung mit Kürzung erfolgen, selbst wenn Kürzungen zu Unrecht oder – im Falle der Vorstandsmitglieder – ohne Veranlassung durch den Aufsichtsrat erfolgt sein sollten. Dies ergibt sich schon aus der Überlegung, dass die vollständige Blockade sämtlicher Gehälter zum einen auch die hier weit überwiegende Mehrzahl der Mitarbeiter betraf, deren Gehälter in korrekter Weise zur Auszahlung gebracht werden sollen, nun aber ohne jede Rechtfertigung gestoppt werden. Zum anderen ist beachtlich, dass selbst bei den Personen, die von einer unterstellt unberechtigten Kürzung betroffen waren, die völlige Auszahlungssperre den bei diesen Personen eintretenden Schaden (zumindest zunächst) vertieft. Auch bei unterstellt unberechtigter Kürzung gebot das Gesellschaftsinteresse daher eine Freigabe der Datei und das damit objektiv nicht am Gesellschaftsinteresse ausgerichtete Handeln des Klägers war pflichtwidrig.
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c. Die Pflichtverletzung des Klägers stellt unter Abwägung aller Umstände jedoch keinen wichtigen Grund zum Widerruf der Organstellung des Klägers dar und kann diesen Widerruf daher nicht rechtfertigen. Ein wichtiger Grund liegt dann vor, wenn die Fortsetzung der Organstellung bis zum Ende der Amtszeit (hier bis zum 26.06.2022) unzumutbar ist. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH, Beschluss vom 23.10.2006 – II ZR 298/05, juris-Rn. 2). Ein solcher Grund ist namentlich – so das Regelbeispiel des Gesetzes – eine grobe Pflichtverletzung (§ 84 Abs. 3 Satz 2 AktG a.F.). Vorliegend sind, wie das Landgericht zutreffend annimmt und von der Beklagten zu Unrecht in Zweifel gezogen wird, mehrere Umstände dargetan, die den Pflichtverstoß in einem milderen, nicht mehr groben Licht erscheinen lassen (zur Berücksichtigung des Einzelfalls auch insoweit: Kort in Hopt/Wiedemann, Aktiengesetz Großkommentar, 4. Aufl., § 84 Rn. 154;) und daher bei Wägung aller Umstände keine Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Zusammenarbeit begründen.
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(1) Der Kläger hat zur Überzeugung des Senats nicht in erpresserischer Absicht gehandelt, um einen (ehemaligen) Vorstandskollegen und dem betroffenen Mitarbeiter einen Vorteil zuzuwenden. Aus den vorgelegten Unterlagen ist für den Senat ersichtlich, dass sich der Kläger unmittelbar nach der Aufforderung, die Zahlung freizugeben, bemüht hat, den Sachverhalt zu klären. Der Kläger hat hierzu das mit der Lohnabrechnung beauftragte Unternehmen, seinen Mitvorstand M. und auch den Justiziar der Muttergesellschaft eingeschaltet. Diese Anfragen blieben ohne zufriedenstellende Antwort. Aus der E-Mail des Mitvorstands M. von 30.03.2021, 12:15 Uhr (Anlage B3) ergibt sich nur, dass die Kürzung aufgrund von Kontenanpassungen im Zuge eines Audits und in Übereinstimmung mit dem Aktionär erfolgte. Eine Beteiligung des Aufsichtsrats lässt sich dieser E-Mail gerade nicht entnehmen. Die Hintergründe der Anpassung des Jahresabschlusses / Audits werden in der E-Mail nicht nachvollziehbar dargelegt und die Beklagte ist dem Vortrag des Klägers, das Audit sei nicht – wie erforderlich – durch den Gesamtvorstand besprochen gewesen, nicht substantiiert entgegen getreten.
47
(2) Des Weiteren hat der Kläger versucht, beim Justiziar der Muttergesellschaft und Aufsichtsrat der Beklagte J. L. Rechtsrat einzuholen. Dort Rechtsrat einzuholen, ist sicherlich nicht verfehlt. Der Justiziar ist ausweislich seines Linkedin Profil für die Betreuung der Tochtergesellschaften zuständig und hat überdies – wie die Beklagte selbst einräumt – (auch) in Deutschland studiert, mag er auch nicht über einen deutschen Abschluss verfügen. Es liegt daher – zumindest aus Sicht des Klägers – die Annahme nahe, dass dieser adäquat Rechtsrat erteilen kann. Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass die Einschaltung eines externen Rechtsanwalts angesichts des bestehenden Zeitdrucks schwierig erscheint, erst recht wäre eine Einschaltung eines externen Rechtsanwalts nicht eindeutig vorzugswürdig gegenüber dem gewählten Vorgehen.
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Die Beklagte bezweifelt, der Kläger hätte sich von irgendeiner Antwort beeindrucken lassen. Dem folgt der Senat nicht. Zwar ist richtig, dass der Kläger in seiner Mail ausgeführt hat, er halte das Vorgehen der Beklagten für ungesetzlich. In derselben Mail schreibt er aber ausdrücklich, dass für bessere Rechtserkenntnis offen sei. Es erschließt sich nicht, warum sich der Kläger dessen Rechtsrat, um den er ausdrücklich ersucht, hätte verschließen sollen. Dass der Vorstandsvorsitzende – mit dem offenkundig erhebliche Spannungen über das Vorgehen und die Kompetenzen im Vorstand bestanden – zuvor eindringlich gemahnt hat, der Kläger nehme die Mitarbeiter in Geiselhaft, steht dem nicht entgegen.
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(3) Gerade dieses Bemühen um Aufklärung und um Rechtsrat spricht gegen ein subjektiv nicht am Gesellschaftsinteresse ausgerichtetes, eigen- oder fremdnütziges Handeln des Klägers und lässt – wie das Landgericht zutreffend ausführt – die Pflichtverletzung nicht grob erscheinen. Der Senat schließt sich der Bewertung des Landgerichts an, dass das Bemühen des Klägers um Rechtsrat zeigt, dass er nicht verantwortungslos handeln wollte, sondern sich um Absicherung seines Vorgehens bemüht hat.
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(4) Zu berücksichtigen ist sodann die Besonderheit, dass es dem Kläger technisch nicht möglich war, die Auszahlungen partiell freizugeben. Wäre dies möglich gewesen, wäre schlechterdings unverständlich, warum er die Zahlungen auch an andere Mitarbeiter blockierte. Der Kläger stand jedoch aufgrund der Ausgestaltung des Auszahlungsprozesses unter Einschaltung des Dienstleisters, der nur eine einzige, alle Zahlungen beinhaltende Zahlungsverkehrsdatei erstellt, vor einer Alles-oder-nichts-Alternative, um eine ordnungsgemäße Auszahlung noch für den Monat April 2021 zu erreichen. Dies lässt das Verhalten des Klägers – auch wenn es pflichtwidrig war – in milderem Licht erscheinen.
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Fehl geht die Argumentation, dass dieser Umstand nicht berücksichtigt werden dürfe, weil die Organisation der Lohnabrechnung nicht sachgerecht sei und der Kläger als (Mit-)Vorstand dies zu mitverantworten habe. Zu bewerten ist das konkrete Verhalten des Klägers in der konkreten Situation. Hier bestand die geschilderte Alles-oder-nichts-Situation und ist geeignet, die Verfehlung des Klägers in milderem Licht erscheinen zu lassen. Im Übrigen war der Kläger nicht für den Bereich Finanzen verantwortlich, sondern für den Geschäftsbereich Vertrieb. Wenn er vor dem Hintergrund dieser Aufgabenteilung – auch unter Berücksichtigung der verbleibenden Gesamtverantwortung des Vorstands – das Procedere der Lohnabrechnung, die offenbar in der Vergangenheit über viele Jahre beanstandungsfrei praktiziert wurde, nicht hinterfragt, ändert dies nichts daran, dass das hier maßgebliche Handeln des Klägers im März 2021 von einer Alles-oder-Nichts-Alternative geprägt war, die die Fehlentscheidung des Klägers in einem milderen Licht erscheinen lässt. Jedenfalls ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte eine Wiederholungsgefahr durch eine technische Anpassung des Freigabeprozesses der Zahlungsverkehrsdatei dahingehend, dass Teilfreigaben möglich sind, beseitigen konnte.
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(5) Der Senat hat in seine Abwägung eingestellt, dass dem Unternehmen durch das Verhalten des Klägers ein erheblicher – vor allem – immaterieller Schaden bei den Mitarbeitern drohte, wenn diese ihr Gehalt nicht pünktlich bekommen würden. Er hat das Verhältnis der Kürzungsbeträge zur auszuzahlenden Summe, die Begrenzung der Organkompetenz zur Prüfung von Zahlungen an Vorstandsmitglieder auf die Veranlassung durch den Aufsichtsrat und die mit 464 € geringe Höhe der Kürzung, die den Mitarbeiter Neitzel betrifft, berücksichtigt. Schließlich hat er gesehen, dass es möglich gewesen wäre, spätestens im Folgemonat eine Nachzahlung zu bewirken, selbst wenn die Kürzung im Ergebnis unberechtigt war.
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Jedenfalls angesichts des Umstandes, dass ein Schaden nicht eingetreten ist, da die Schwestergesellschaft die Auszahlung übernahm, treten diese Aspekte bei einer Gesamtabwägung jedoch hinter die vorgenannten Besonderheiten – insbesondere auch das Bemühen um Klärung – zurück.
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Der Senat muss dabei nicht abschließend klären, ob der Vorstandsvorsitzende M. zu einer alleinigen Freigabe befugt gewesen wäre, wie der Kläger vorträgt. Der Senat merkt jedoch an – ohne dass dies für den Senat entscheidend wäre –, dass der Vorstandsvorsitzende jedenfalls zusammen mit dem anderweitigen Vorstand Sch. die Auszahlung unmittelbar durch die Beklagte hätte veranlassen können. Der Kläger befand sich somit gerade nicht in einer echten, jedenfalls in keiner alleinigen Vetoposition, die die Gesellschaft nicht hätte umgehen können. Auch dies lässt das Verhalten des Klägers in einem milderen Lichte erscheinen.
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(6) Erst recht – ohne dass es für den Senat hierauf entscheidend ankäme – fällt die umfassende Abwägung zugunsten des Klägers aus, wenn man in die Abwägung die persönlichen Belange des Klägers einstellt. Ob die persönlichen Belange auch im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes für die organschaftliche Abberufung nach § 84 Abs. 3 AktG a..F. einzustellen ist oder nur im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes bei der außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrages nach § 626 BGB bedarf daher keiner abschließenden Entscheidung des Senats.
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Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Kläger im Kündigungszeitpunkt ca. 18 Jahre als Vorstand tätig war, ohne dass es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung gekommen wäre.
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c. Allerdings war die Organstellung des Klägers im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat spätestens aufgrund Zeitablaufs beendet. Der Kläger wurde zuletzt durch Beschluss des Aufsichtsrates der Beklagten vom 26.06.2017 für den Zeitraum vom 27.06.2017 bis 26.06.2022 zum Mitglied des Vorstands der Beklagten bestellt, sodass die Organstellung jedenfalls mit Ablauf des 26.06.2022 endete und möglicherweise bereits zuvor durch den am 21.04.2022 eingetragenen Formwechsel der Beklagten in eine GmbH entfallen ist (Anlage B7; Einzelheiten des Umwandlungsbeschlusses haben die Parteien nicht mitgeteilt, doch ist auch bei einem Formwechsel einer AG in eine GmbH in der Regel von einem Ende der Organstellung der vormaligen Vorstandsmitglieder auszugehen, s. Buchner/Schlobach GmbHR 2004, 1, 3; Vossius in Widmann/Mayer § 202 UmwG Rn. 110; aA Lutter/Hoger, § 202 UmwG Rn. 40).
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Eine Fortdauer der Organstellung und damit ein auf Gestaltung gerichteter Klageantrag war daher im Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Senat nicht mehr möglich. Der Kläger hat dies durch die auf Feststellung angepasste Antragstellung berücksichtigt. Insoweit besteht auch ein Feststellungsinteresse, denn auch bei nunmehr beendeter Organstellung begründet die Unwirksamkeit des Widerrufes für die Zeit bis zur Beendigung der Organstellung ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis.
59
2. Aus den gleichen Gründen erweist sich die Berufung auch hinsichtlich der Feststellung, dass das zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehende Vorstandsanstellungsverhältnis durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 1.4.2021 nicht aufgelöst worden ist, als unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht festgestellt, dass ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für die fristlose Kündigung des Vorstandsdienstvertrages nicht besteht. Da, wie oben dargelegt, bereits ein wichtiger Grund für den Widerruf der Organstellung nicht gegeben ist, muss auch für die Beendigung des Vorstandsdienstvertrages vom Fehlen eines wichtigen Grundes ausgegangen werden.
60
3. Da die Beklagte den Vorstandsdienstvertrag nicht durch die Kündigung vom 01.04.2021 wirksam beenden konnte und andere Beendigungstatbestände für den maßgeblichen Zeitraum nicht ersichtlich sind, bestand das Anstellungsverhältnis in dem mit der Zahlungsklage geltend gemachten Zeitraum von April 2021 bis Dezember 2021 fort. Die Beklagte schuldet daher dem Grunde nach das eingeklagte Gehalt in Höhe von 14.742,50 € brutto pro Monat für die Monate April bis Dezember 2021 als Annahmeverzugslohn, § 615 BGB. Auf die diesbezüglichen landgerichtlichen Ausführungen – auch zur Höhe der Bezüge – wird Bezug genommen (LGU S. 18). Hiergegen richtet sich auch kein Angriff der Berufung. Das Gehalt ist zum jeweiligen Monatsende fällig, so dass – wie vom Landgericht ausgeurteilt – Verzugszinsen aus § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB zuzuerkennen sind.
61
4. Etwas anderes gilt lediglich für den April 2021 in Höhe von 4.000 €, nachdem die Beklagte erstmals in der Berufungsinstanz im Wege der Hilfsaufrechnung einwendet, sie habe in Höhe von 4.002 € Zahlungen auf die Altersvorsorge des Klägers geleistet.
62
a. Dem liegt – unstreitig – zugrunde, dass der Kläger eine Altersvorsorge bei der Allgemeinen Unterstützungskasse im B.-Versorgungswerk der Wirtschaft und der Selbständigen e.V. aufgebaut hat, die dadurch bewirkt wurde, dass die Beklagte an die Unterstützungskasse monatlich 4.002 € gezahlt hat. Hierzu hatten die Parteien ausweislich der Anlage B14, dort letzte Seite, am 10.12.2012 eine Entgeltumwandlung in Höhe von zuletzt 4.000 € vereinbart. Zusätzlich fielen für die Beklagte monatliche Mitgliedsgebühren in Höhe von 2 € pro Arbeitnehmer an. Die Parteien haben sich am 12.04.2021 auf eine Beitragsfreistellung geeinigt (Anlage B12); das Versorgungswerk hat jedoch erst eine Freistellung ab dem 01.05.2021 akzeptiert, da Rückerstattungen nicht erfolgen dürften, so dass der nächstmögliche Termin einer Freistellung der 01.05.2021 sei (Anlage B13). Die Beklagte rechnet insoweit auf.
63
b. Der unstreitige Sachverhalt ist in der Berufung zu berücksichtigen und führt dazu, dass der zuerkannte Zahlbetrag in Ziff. III. des Urteils um 4.000 € zu reduzieren ist, wie mit den Parteien in der Verhandlung erörtert (obgleich Hinweispflichten wegen Geringfügigkeit analog § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht bestanden, vgl. Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl., § 139 Rn. 24). Dies ergibt sich für den Senat schon aus folgender Überlegung, ohne dass es eines Rückgriffs auf das Institut der Aufrechnung bedürfte: Wirtschaftlich getragen hat die Altersvorsorge-Leistung der Kläger; die Beklagte hat den Betrag mit Ermächtigung des Klägers statt an diesen an einen Dritten geleistet. Ob die Parteien mit der Vereinbarung vom 10.12.2012 (Anlage B14, dort letzte Seite) eine echte Entgeltumwandlung oder eine Lohnverwendungsabrede getroffen haben, kann dahinstehen, da jedenfalls während der Dauer der Vereinbarung die Zahlung von 4.000 € monatlich an das Versorgungswerk den Gehaltsanspruch des Klägers gemäß § 362 Abs. 2, 185 Abs. 1 BGB (teilweise) erfüllt.
64
Dies gilt auch für die für April 2021 geleistete Zahlung. Der Kläger hat den Vortrag der Beklagten, wonach das Versorgungswerk die Freistellung erst zum 01.05.2021 akzeptierte und die Beklagte für April 4.002 € bezahlt hat, nicht substantiiert bestritten. Eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung der zur Beendigung der Zahlungen an die Versorgungskasse zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung vom 12.04.2021 (B12) ergibt, dass in dem – jetzt eingetretenen – Fall, in dem Gehaltsansprüche fortbestehen und gleichzeitig eine Beitragsfreistellung erst zu einem späteren Zeitpunkt wirksam wird, bis zum Zeitpunkt der Wirksamkeit der Beitragsfreistellung weitere Zahlungen der Beklagten ebenfalls hinsichtlich des Gehaltsanspruchs schuldbefreiend wirken.
65
c. Aus Vorstehendem folgt zugleich, dass der Ausspruch zur Verzinsung des Aprilgehalts hinsichtlich des Betrages um 4.000 € (von 14.742,50 € auf 10.740,50 €, vgl. Ziff. III., 1. Spiegelstrich des LGU) zu reduzieren ist.
66
d. In Höhe der darüber hinaus beklagtenseits zur Aufrechnung gestellten 2 € ist weder eine schuldbefreiende Erfüllung eingetreten, noch eine Aufrechnung möglich. Ausweislich der Anlage B14 handelt es sich insoweit um Aufwendungen, die die Beklagte als Arbeitgeberin treffen. Eine Weiterbelastung an den Kläger haben die Parteien nicht vereinbart, sodass hinsichtlich der 2 € weder eine schuldbefreiende Erfüllung eintritt, noch eine Forderung der Beklagten gegen den Kläger besteht, die diese zur Aufrechnung stellen könnte.
67
e. Die Aufrechnung der Klägerseite mit Spesen, Kosten der Relocation und Steuerberaterkosten geht demgegenüber ins Leere, ohne dass es darauf ankäme, ob dem Kläger die geltend gemachten Forderungen zustehen. Die Aufrechnung der Klageseite richtet sich nur – und kann sich nur richten – gegen den in der Berufung beklagtenseits zur Aufrechnung gestellten Betrag von 4.002 €. Insoweit handelt es sich aber schon nicht, wie ausgeführt, um eine Aufrechnung, sondern um einen Erfüllungseinwand, der die eingeklagte Forderung in Höhe von 4.000 € zum Erlöschen gebracht hat. Selbst bei Annahme einer echten Aufrechnung ergäbe sich nichts anderes. Mit der wirksamen Aufrechnung erlischt die Forderung über 4.000 € (§ 389 BGB) und steht damit für eine später erklärte (Gegen-)Aufrechnung nicht mehr zur Verfügung und in Höhe von 2 € bestand ohnehin keine Gegenforderung der Beklagten.
68
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht ersichtlich sind.
69
Der Streitwert für das Berufungsverfahren war um den Betrag der beklagtenseits geltend gemachten Hilfsaufrechnung, über den entschieden wurde, zu erhöhen.