Inhalt

OLG München, Beschluss v. 22.08.2024 – 12 UF 268/23 e
Titel:

Versagung nachehelichen Unterhalts 

Normenkette:
BGB § 1569, § 1572, § 1573 Abs. 1, Abs. 2, § 1578 Abs. 1 S. 2, S. 3, § 1578b Abs. 2, § 1579 Nr. 4
Leitsätze:
1. Voraussetzung für einen nachehelichen Unterhaltsanspruch wegen Krankheit ist, dass der krankheitsbedingt Erwerbsunfähige alle zumutbaren Mitwirkungshandlungen unternimmt, um die Krankheit behandeln zu lassen und aktiv an seiner Genesung mitarbeitet. Unterlässt der Unterhaltsgläubiger die notwendigen und zumutbaren therapeutischen Maßnahmen zur Herstellung seiner Erwerbsfähigkeit, so kann darin ein Verhalten liegen, dass die Härteregelung des § 1579 Nr. 4 BGB erfüllt (OLG Brandenburg BeckRS 2020, 41247). (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soweit das Familieneinkommen über das Doppelte des höchsten Einkommensbetrages der Düsseldorfer Tabelle hinausgeht, hat der Unterhaltsberechtigte, wenn er dennoch Unterhalt nach der Quotenmethode begehrt, die vollständige Verwendung des Einkommens für den Lebensbedarf darzulegen und im Bestreitensfall in vollem Umfang zu beweisen (BGH BeckRS 2017, 137770). (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nacheheliche Solidarität muss nicht üben, wer von Seiten des Unterhaltsgläubigers über mehrere Jahre Angriffe, Beleidigungen und Nachstellungen erdulden muss. (Rn. 58) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Scheidung, Unterhalt wegen Krankheit, Erwerbsunfähigkeit, zumutbare Mitwirkung, Aufstockungsunterhalt, eheangemessener Unterhaltsbedarf, Grundsatz der Eigenverantwortung, Erwerbsobliegenheit, Quotenunterhalt, Billigkeitsabwägung, Befristung des Unterhalts, Ehebedingte Nachteile, Ehedauer, nacheheliche Solidarität, Verwirkung des Unterhaltsanspruchs
Vorinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 07.02.2024 – 12 UF 268/23 e
AG München, Endbeschluss vom 02.02.2023 – 545 F 1890/17
Fundstellen:
BeckRS 2024, 25153
LSK 2024, 25153
NJW 2024, 3599

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 02.02.2023 wird der Endbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – München vom 02.02.2023 in Ziffer 3 aufgehoben.
2. Der Antrag der Antragsgegnerin auf nachehelichen Unterhalt wird abgewiesen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 116.363,76 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten haben am …1998 geheiratet. Sie hatten sich bereits im Jahr 1988 kennen gelernt und sind kurze Zeit später zusammengezogen. Die Antragsgegnerin beendete im Jahre 1992, nachdem der Antragssteller sein Studium beendet hatte und eine Tätigkeit bei der A. Versicherung in K. aufgenommen hatte, ihre Tätigkeit als Sekretärin und war seitdem nicht mehr berufstätig. Die Ehe blieb kinderlos. Im Jahr 2006 und Mitte September 2014 gab es bereits Trennungen zwischen den Beteiligten, nach denen sich diese wieder versöhnt hatten. Im April 2016 erfolgte die endgültige Trennung der Beteiligten. Zu diesem Zeitpunkt war der Antragssteller Sprecher des Vorstands einer großen Versicherungsgesellschaft in M., seit dem Jahr 2018 ist er deren Vorstandsvorsitzender.
2
Die Trennung im April 2016 erfolgte, nachdem die Antragsgegnerin den Antragsteller im Anschluss an eine verbale Auseinandersetzung mit einer Schere im Halsbereich verletzte. Nach diesem Angriff begab sich der Antragssteller in ärztliche Behandlung. Die Antragsgegnerin entwickelte im Jahr 2015 ein sogenanntes Mammakarzinom, das operativ entfernt wurde. In der Folge erlitt sie eine depressive Erkrankung.
3
Im Trennungsjahr 2016 erzielte der Antragssteller als Mitglied des Vorstandes der L. von …a. G. M. ein Jahresbruttoeinkommen von 526.180,43 €, woraus sich ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 26.089,06 € (zuzüglich Arbeitgeberzuschüssen/Leistungen zur PV in Höhe von 49,79 €, zur KV in Höhe von 309,34 € und Abzügen für die freiwillige KV in Höhe von 682,24 € sowie PV in Höhe von 110,18 €) ergibt.
4
Im Jahr 2019 erzielte der Antragsteller nach seiner Beförderung zum Vorstandsvorsitzenden der Lebensversicherung von … a. G. M. ein bereinigtes Einkommen von monatlich netto 28.739,00 €.
5
Der Antragsgegnerin wurden im Verfahren 12 UF 265/23 e mit Beschluss vom 21.08.2024 für die Trennungszeit folgende Unterhaltsbeträge zugesprochen:

Zeitraum

Monate

Monatlich geschuldet

01.05.2016 – 31.12.2016

[8]

4.394,00 €

01.01.2017 – 28.02.2017

[2]

4.394,00 €

01.03.2017 – 31.07.2017

[10]

5.150,00 €

2018

[12]

5.150,00 €

2019

[12]

5.150,00 €

1.01.2020- 31.03.2020

[3]

5.150,00 €

01.04.2020 – 31.12.2020

[9]

3.862,00 €

2021

[12]

3.862,00 €

01.01.2022 – 30.09.2022

[9]

3.760,00 €

01.10.2022 – 31.12.2022

[3]

3.741,00 €

01.01.2023 – 31.08.2023

[8]

3.741,00 €

6
Mit Antrag vom 23.02.2017 beantragte der Antragsteller, die Ehe der Beteiligten zu scheiden.
7
Der Antrag wurde der Antragsgegnerin am 10.03.2017 zugestellt.
8
Mit Endbeschluss vom 02.02.2023 wurde die am 26.11.1998 geschlossene Ehe der beteiligten Ehegatten geschieden (Ziffer 1 des Tenors), der Versorgungsausgleich geregelt (Ziffer 2 des Tenors) und in Ziffer 3 eine Regelung zum nachehelichen Ehegattenunterhalt getroffen. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 (Scheidungsausspruch und Versorgungsausgleich) seit 07.08.2023 rechtskräftig. Ziffer 3 lautet wie folgt:
„Der Antragsteller wird verpflichtet, an die Antragsgegnerin ab Rechtskraft der Scheidung einen monatlichen, jeweils monatlich im Voraus fälligen nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe 5.150 €, davon 1.387 € Altersvorsorgeunterhalt, bis zum 31.12.2030 und ab dem 01.01.2031 bis zum 30.09.2035 in Höhe von 2.575 €, davon 694 € Altersvorsorgeunterhalt, zu bezahlen.“
9
Das Amtsgericht führt zur Begründung seiner Entscheidung aus, der Antragsteller sei wirtschaftlich leistungsfähig. Die Antragsgegnerin dagegen sei außer Stande, ihren Bedarf durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit selbst zu decken und könne sich auch nicht mit sonstigen Einkünften und aus ihrem Vermögen selbst zu unterhalten. Sie sei aufgrund objektiver Umstände auch nicht in der Lage, eine auch nur geringfügige Arbeitsstelle finden. Ausgehend von den Sachverständigengutachten Dr. F. vom 28.05.2020 sei die Antragsgegnerin aufgrund ihrer Erkrankungen allenfalls in der Lage 3 Stunden täglich zu arbeiten. Auch könne sie allenfalls eine Tätigkeit auf 450,00 € Basis erlangen, nachdem sie seit dem Jahr 1992 keiner Tätigkeit mehr nachgegangen sei. Sie sei auf dem Arbeitsmarkt schlicht nicht mehr vermittelbar. Das Amtsgericht hat im Ergebnis offen gelassen, ob die Antragsgegnerin einen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt wegen Krankheit nach § 1572 BGB oder wegen Erwerbslosigkeit nach § 1573 BGB habe. Das Amtsgericht errechnet ein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen des Antragstellers von 21.935,68 €. Soweit der Antragsteller ab dem Jahr 2019 als Vorstandsvorsitzender ein höheres Einkommen bezogen habe, sei dies auf einen Karrieresprung zurückzuführen, die neuen Einkommensverhältnisse seien nicht mehr prägend. Es führt sodann aus, dass weiter davon auszugehen sei, dass dieses gesamte Einkommen für den Lebensbedarf verbraucht worden sei und somit eine Berechnung des Unterhalts nach Quote zu erfolgen habe. Bei der Antragsgegnerin seien weder eigenes Einkommen noch fiktive Einkünfte zuzurechnen, so dass sich nach dem Halbteilungsgrundsatz ein Unterhaltsanspruch von 10.967,50 € ergebe. Unter Berücksichtigung eines geltend gemachten Altersvorsorgeunterhalts errechne sich ein voller Unterhaltsanspruch in Höhe von 12.875,00 €, wovon 3.468,00 € auf einen Altersvorsorgeunterhalt entfielen.
10
Das Amtsgericht kommt allerdings dazu, dass die Ansprüche der Antragsgegnerin gemäß § 1579 Nr. 3 und Nr. 7 BGB in Höhe von 60% verwirkt seien. Dabei geht es davon aus,
- dass es in der Nacht vom 22.11.2015 auf den 23.11.2015 zu einem Angriff der Antragsgegnerin auf den Antragsteller in der vormaligen gemeinsamen Ehewohnung mit Verletzungsfolgen kam.
- in der Nacht vom 13.04.2016 auf den 14.04.2016 die Antragsgegnerin auf den Antragsteller in der vormaligen gemeinsamen Ehewohnung losgegangen sei mit Faustschlägen ins Gesicht und Einstechen einer Schere, in deren Folge es zu erheblichen Schnittverletzungen kam.
- sich diverse „Szenen“ der Antragsgegnerin gegenüber ihrem Ehemann in Anwesenheit Dritter (zum Beispiel am 17.09.2014 in Anwesenheit der Sekretärin des Antragstellers und in Hörweite anderer Mitarbeiter, am 22.10.2015 auf dem Tennisplatz bei einem Tennisspiel des Antragstellers mit einem Mitglied des Aufsichtsrats zugetragen haben, hier auch Schlag durch die Antragsgegnerin mit den Händen ins Gesicht des Antragstellers),
- zahlreiche Telefonate der Antragsgegnerin mit der Sekretärin des Antragstellers, in denen sie diesen in „Fäkalsprache“ beschimpfte,
- zahlreiche E-Mails mit drohenden und beleidigenden Charakter an den Antragsteller, wobei der Antragsgegnerin bewusst gewesen sei, dass die Sekretärin des Antragstellers diese Nachrichten lesen könne,
- verbaler und körperlicher (Schlag ins Gesicht) Angriff der Antragsgegnerin auf den Antragsteller am 15.04.2016 in der Eingangshalle von dessen Arbeitgeber in Anwesenheit der Sekretärin des Antragstellers und weiterer Mitarbeiter,
- eine Herabwürdigung des Antragstellers durch die Antragsgegnerin gegenüber dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats des Arbeitgebers des Antragstellers, auch mit möglichen Konsequenzen für die berufliche Tätigkeit des Antragstellers,
- das Verschicken einer verleumderischen SMS durch die Antragsgegnerin an das Mitglied des Aufsichtsrats Dr. H. am 28.11.2015 auch mit strafrechtlich und damit für das Arbeitsverhältnis des Antragsgegners relevanten Vorwürfen,
- die Beleidigung des Antragstellers durch die Antragsgegnerin gegenüber dem weiteren Vorstandsmitglied Sch. am Telefon,
- die Beleidigung des Antragstellers durch die Antragsgegnerin telefonisch gegenüber der Vorstandssekretärin G.,
- beleidigende Aussagen der Antragsgegnerin über den Antragsteller am 23.10.2015 gegenüber Arbeitskollegen/Mitarbeitern des Antragstellers,
- das Auslegen von vertraulichen Unterlagen mit persönlichen Angaben des Antragstellers in einem Bistro nahe der Arbeitsstelle des Antragstellers am 24. Mai 2017 in der Absicht, dass diese aufgefunden und die enthaltenen sensiblen Daten Dritten bekannt würden,
- das Senden weiterer zahlreicher E-Mails durch die Antragsgegnerin an den Antragsteller gegen dessen erklärten Willen mit herabsetzendem Inhalt, Beschimpfungen und Bedrohungen in der Zeit von Juni 2018 bis 17.07.2018 und Verstoß gegen die hierauf erlassene Anordnung des Gerichts nach den Vorschriften des Gewaltschutzgesetzes vom 20.07.2018 am 30.07.2018.
11
Ausgehend von diesen festgestellten Tatsachen kam das Amtsgericht dazu, dass der Antragsgegnerin ein offensichtlich schwerwiegendes, eindeutig bei ihr liegendes Fehlverhalten gegen den Antragsteller im Sinne des § 1579 Nr. 7 BGB zur Last liege sowie, dass sie sich eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Verpflichteten schuldig gemacht habe, indem sie ihm am 14.04.2016 mit einer Schere zwei Stichverletzungen beibrachte. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Antragsgegnerin schwer erkrankt war, die erste Krebsdiagnose zwar erfolgreich behandelt war, sie sich allerdings in einer massiven Verzweiflungssituation befunden habe, kam das Amtsgericht insgesamt dazu, dass eine Verwirkung in Höhe von 60% angemessen sei. Eine Verzeihung hat das Amtsgericht nur angenommen hinsichtlich Vorfällen, die vor dem 19.09.2015 lagen. Zu diesem Zeitpunkt zogen die Beteiligten wieder zusammen, der Antragsteller schrieb ihr am 19.09.2015 einen Brief, der als Verzeihung ausgelegt wurde. Soweit sich die Beteiligten nach dem Angriff mit der Schere am 14.04.2016 wenige Tage danach noch zu einem Saunabesuch trafen, nahm das Amtsgericht keine Verzeihung diesbezüglich an.
12
Das Amtsgericht kommt weiter zum Schluss, dass der Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin zeitlich und der Höhe nach gemäß § 1578 b BGB ab dem 01.01.2031 bis zum 30.09.2035 um 50% zu verringern sei und ab Erreichen der Regelaltersgrenze bzw. des Ablaufs des auf dieses Ereignis folgenden Monats kein Unterhalt mehr zu bezahlen sei. Der Antragsgegnerin sei ein Nachteil dahingehend entstanden, dass sie in Ermangelung beruflicher Erfahrung, insbesondere im Hinblick auf die erfolgten technischen Errungenschaften der letzten zwei Jahrzehnte, in Berufen, wie sie sie vor der Ehe ausübte, praktisch keine Chancen auf eine Anstellung mehr besitze. Mitberücksichtigt hat das Amtsgericht hierbei, dass sie zum Zeitpunkt der Eheschließung über keine abgeschlossene Ausbildung verfügte und daher ihre geringen Erwerbsaussichten nicht allein auf der Gestaltung der Ehe beruhen würden. Weiter hat das Amtsgericht berücksichtigt, dass die Antragsgegnerin krankheitsbedingt allenfalls sehr eingeschränkt arbeitsfähig sei, was ebenfalls keinen ehebedingten Nachteil darstelle. Angesichts der günstigen Vermögensverhältnisse des Antragstellers und der damit im Vergleich sehr geringen finanziellen Belastung für diesen ist das Amtsgericht der Auffassung, dass es dem Antragsteller gegenüber nicht unbillig sei, wenn dieser bis einschließlich Dezember 2030 den vollen Unterhalt bezahle und in der Folge bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze durch die Antragsgegnerin eine Verringerung des Anspruchs um 50% erfolge. Damit habe der Antragsteller an die Antragsgegnerin in letzterem Zeitraum einen Unterhalt zu bezahlen, der lediglich ca. 9% seines derzeitigen Nettoeinkommens ausmache. Ab dem Renteneintritt partizipiere die Antragsgegnerin durch den Versorgungsausgleich an den Rentenansprüchen des Antragstellers, weshalb mit Ablauf des Monats, in dem das Regelalter erreicht werde, ein Unterhaltsanspruch gänzlich zu entfallen habe.
13
Soweit die Antragsgegnerin darüber hinaus beantragte, den Antragsteller zu verpflichten, ab Rechtskraft der Ehescheidung monatlich im Voraus nachehelichen Unterhalt in Höhe von 14.448,00 € einschließlich Altersvorsorgeunterhalt in Höhe von 3.931,00 € zu bezahlen, wies das Amtsgericht den Antrag ab.
14
Mit Schreiben vom 28.02.2023, eingegangen am selben Tag, legte der Antragsteller gegen den, ihm am 07.02.2023 zugestellten, Endbeschluss des Amtsgerichts hinsichtlich Ziffer 3 (nachehelicher Unterhalt) Beschwerde ein.
15
Der Antragssteller begründet seine Beschwerde innerhalb verlängerter Frist mit Schriftsatz vom 19.05.2023, wie folgt:
„Die Antragsgegnerin sei weder erwerbsunfähig, noch könne sie für sich in Anspruch nehmen, dass für sie keine Arbeitsplatzchance bestehe. Eine vollständige Erwerbsunfähigkeit bleibe bestritten. Sie könne, entsprechende Erwerbsbemühungen vorausgesetzt, eine Arbeitstätigkeit finden. Ihr seien daher zumindest fiktive Einkünfte in Höhe von 14,00 € pro Stunde zuzurechnen. Daraus ergebe sich ein Einkommen von 3.130,00 € brutto, welches bedarfsmindernd zu berücksichtigen sei. Das Amtsgericht habe richtigerweise das zum Zeitpunkt der Trennung im April 2016 erzielte Einkommen zugrunde gelegt. Es werde in Höhe von 21.935,68 € unstreitig gestellt. Allerdings sei nicht nachgewiesen, dass dieses Einkommen vollständig verbraucht worden sei, so dass als Bedarf die Quote aus einem Einkommen von 11.000,00 €, mithin höchstens 4.950,00 € anzusetzen sei. Der Unterhaltsanspruch sei allerdings zur Gänze verwirkt. Das Amtsgericht habe die Verwirkungstatbestände nicht hinreichend gewürdigt. Es sei nicht ersichtlich, dass das Fehlverhalten der Antragsgegnerin über einen ungewöhnlich langen Zeitraum angedauert habe und eine Einsicht oder gar Reue nicht zu erkennen sei. Eine Verzeihung habe nicht vorgelegen.“
16
Weiter wendet der Antragsteller ein, nach § 1578 b BGB sei der Unterhalt sowohl zu begrenzen als auch zu befristen. Er habe nach der Trennung und dem Angriff der Antragsgegnerin mit einer Schere für die Dauer von über 7 Jahren Trennungsunterhalt bezahlt. Der persönliche angemessene Bedarf der Antragsgegnerin liege bei maximal 3.130,00 € brutto, was sie auch im Übrigen selbst verdienen könne. Ehebedingte Nachteile würden bei der Antragsgegnerin nicht vorliegen. Sie sei bereits vor der Ehe für die Dauer von vier Jahren und während der gesamten Ehezeit keinerlei Erwerbstätigkeit nachgegangen. Weder habe sie Kinder zu betreuen gehabt, noch hätte sie repräsentative Aufgaben im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit des Antragstellers wahrgenommen. Bei einer Ehedauer von 18 Jahren und 4 Monaten sei es nicht angemessen den Antragsteller zur Zahlung von weiteren Unterhalt zu verpflichten. Er habe mittlerweile seit 7 Jahren Trennungsunterhalt bezahlt, eine Lebensstandardgarantie durch die ehemals bestandene Ehe existiere nicht. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin nach der Trennung jede eheliche Solidarität mit Füßen getreten habe. Der Antragsteller habe die Antragsgegnerin während ihrer Krebserkrankung begleitet, Therapien bezahlt und später fortwährend Trennungsunterhalt. Die Antragsgegnerin hingegen habe ihn mit strafwürdigen Verhalten traktiert und sich unsolidarisch verhalten. Die Krankheit der Antragsgegnerin, die zwischenzeitlich geheilt sei, könne nicht berücksichtigt werden, da sie nicht ehebedingt sei.
17
Der Antragsteller beantragt den Endbeschluss des Amtsgerichts München vom 02.02.2023 in Ziffer 3 (nachehelicher Unterhalt) aufzuheben und den Antrag der Antragsgegnerin auf Zahlung von nachehelichen Unterhalt nebst Altersvorsorgeunterhalt ab Rechtskraft der Scheidung kostenpflichtig abzuweisen.
18
Der Antragsteller beantragt ferner die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Frage, inwieweit der Anspruch auf Unterhalt gemäß § 1578 b BGB aufgrund der verweigerten Aufnahme einer gelernten, zumutbaren Erwerbstätigkeit in bzw. nach einer kinderlosen Ehe zu begrenzen und zu befristen sei. Des weiteren im Hinblick auf die Frage, inwieweit der Unterhalt nach begangener gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 StGB und einer Vielzahl von während der Ehezeit begangener Beleidigungen, Mobbing, Stalking und Sachbeschädigung sowie der Einleitung von Gewaltsschutzverfahren trotz langer Ehe gemäß § 1579 BGB zu versagen sei (BGH 12.11.2003 XII ZR 109/01).
19
Im Wege der Anschlussbeschwerde begehrte die Antragsgegnerin zunächst nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe eines Elementarunterhaltes von 6.748,37 €, einen Krankenvorsorgeunterhalt von 793,01 €, einen Pflegevorsorgeunterhalt von 152,12 € und einen Altersvorsorgeunterhalt in Höhe von 2.003,48 € zu bezahlen. Im Termin vom 06.03.2024 wurde die Anschlussbeschwerde zurückgenommen.
20
Zuletzt beantragte die Antragsgegnerin, die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen, mit der Maßgabe, dass aus dem Endbeschluss des Amtsgerichts München für den Monat 12/2023 EUR 1.457,00, für Januar und Februar 2024 EUR 1.753,00 und ab März 2024 EUR 1.781,65 an das Landratsamt M. unter dem AZ: 2.2-4073/Pralow 039402 zu leisten sind und beantragt im Übrigen die Zulassung der Rechtsbeschwerde.
21
Auch die Antragsgegnerin stellt ein durchschnittliches monatliches, bedarfsprägendes Nettoeinkommen des Antragstellers, wie vom Amtsgericht angenommen, in Höhe von 21.935,00 € unstreitig. Dieses Einkommen sei vollständig zur Lebensführung verbraucht worden. Die Unterhaltsbemessung habe daher nach Quote zu erfolgen. Ihr stünde ein Unterhaltsanspruch nach § 1573 Abs. 1 BGB zu, da sie keine reale Beschäftigungschance habe. Im Übrigen sei sie auch nach wie vor aufgrund ihrer depressiven Erkrankung nicht in der Lage einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Es liege auch ein ehebedingter Nachteil vor, da durch die Rollenverteilung in der Ehe und der Gestaltung der Haushaltsführung durch sie ein Nachteil im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sei, für den eigenen Unterhalt zu sorgen.
22
Bei der Frage einer eventuellen Begrenzung/Befristung des Unterhaltsanspruchs der Antragsgegnerin gemäß § 1578 b BGB sei nicht nur auf die ehebedingten Nachteile, sondern in hohem Maße auf die fortwirkende eheliche Solidarität abzustellen. Dabei sei mit zu berücksichtigen,
- die Ehedauer von achtzehneinhalb Jahren,
- das gemeinsame Zusammenleben über 27 Jahre,
- das Alter der Antragsgegnerin von 54 Jahren,
- die Ausbildungsfähigkeit der Antragsgegnerin,
- die außergewöhnlich belastenden ehelichen Lebensumstände, so insbesondere die aggressive Krebserkrankung der Antragsgegnerin seit 2015 und damit einhergehende massive Zukunfts – und Existenzängste und einer depressiven Erkrankung,
- die wirtschaftliche Abhängigkeit der Antragsgegnerin vom Antragsteller,
- die hohen Einkommensverhältnisse auf Seiten des Antragstellers.
23
Im Übrigen macht sie noch umfangreiche Ausführungen zur einvernehmlichen Ausgestaltung der Ehe dahingehend, dass es der gemeinsame Entschluss der Ehegatten gewesen sei, dass die Antragsgegnerin nach dem Umzug der Beteiligten nach Köln keiner Erwerbstätigkeit nachgehe, vielmehr dem Antragsgegner den Haushalt führe und diesem in allen privaten Dingen den Rücken frei halte, damit der Antragsteller sich vollständig auf sein berufliches Fortkommen und das Knüpfen von Kontakten und den Aufbau eines Netzwerkes konzentrieren könne.
24
Auch sei sie gesundheitlich nicht in der Lage einer Erwerbstätigkeit mehr als drei Stunden werktäglich nachzukommen. Sie verweist diesbezüglich auf die bereits vor dem Amtsgericht erholten Sachverständigengutachten und trägt weiter vor, dass sie sich seit April 2020 in regelmäßiger, wöchentlicher psychotherapeutischer Behandlung befinde. Sie müsse sich zudem regelmäßig Nachsorgeuntersuchungen unterziehen und es bestehe nach wie vor die latente Gefahr, dass sich neue Tumorzellen bilden und die Krebserkrankung wieder ausbreche. Es bestünde keine reelle Chance, dass sie eine Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt finde. Dies begründet sie zum einen mit Verweisen auf die gesundheitliche Situation und zum anderen auf die Tatsache, dass sie über mehrere Jahrzehnte nicht am Erwerbsleben teilgenommen habe.
25
Seit Dezember 2023 beziehe die Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II des Landratsamts M. – Jobcenter – in Höhe von zunächst 1.457,00 €, für Januar und Februar 2024 jeweils 1.753,00 € und ab März 2024 jeweils 1.781,65 € monatlich.
26
Die einzelnen festgestellten Sachverhalte, die vom Amtsgericht zur teilweisen Verwirkung des Anspruchs auf nachehelichen Unterhalt herangezogen wurden, werden von der Antragsgegnerin nicht bestritten. Sie vertritt jedoch die Meinung, dass bei der Prüfung des § 1579 BGB eine Gesamtwürdigung durchzuführen sei. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Antragsgegnerin am 15.04.2015 eröffnet worden sei, dass sie unter einer aggressiven Brustkrebserkrankung mit einer schlechten Zukunftsprognose leide und am Vortag des Angriffs mit der Schere ihr eröffnet worden sei, dass sich bei einer Mammografie am 11.04.2016 ein Verdachtsbefund auf einen Tumor ergeben habe und sich der Antragsteller am 16.04.2016 nach 27 Jahren Zusammenlebens endgültig getrennt habe. Auch sei das Verhalten des Antragstellers zu berücksichtigen, der noch Ende des Jahres 2015/Anfang des Jahres 2016 Liebesbekundungen der Antragsgegnerin hat zukommen lassen. Im Übrigen sei durch die Unterhaltszahlungen beim Antragsteller keine relevante Auswirkung auf seine Lebensverhältnisse zu befürchten, anders als bei der Antragsgegnerin.
27
Der Senat hat am 13.11.2023 und an 07.02.2024 Hinweise erteilt. Mit Beschluss vom 07.02.2024 wies der Senat den Antrag der Antragsgegnerin vom 16.01.2024 auf Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Endentscheidung des Amtsgerichts München vom 02.02.2023 zu Ziffer 3 bezüglich der Zahlung von nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe von 5.150,00 € bis zum 31.12.2030 anzuordnen, ab.
28
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, Hinweise sowie die Vermerke über die jeweiligen Verhandlungen Bezug genommen.
II.
29
Die zulässige Beschwerde (§§ 58 ff FamFG) des Antragstellers ist in vollem Umfang begründet.
30
Sie führt zur Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung in Ziffer 3 (nachehelicher Unterhalt) und Abweisung der Anträge der Antragsgegnerin auf Bezahlung von nachehelichen Unterhalt zur Gänze.
31
1. Ein Unterhaltsanspruch wegen Krankheit, § 1572 BGB, steht der Antragsgegnerin nicht zu.
32
Nach dem vom Amtsgericht erholten Sachverständigengutachten des Dr. med. S. F. vom 28.05.2020 (Bl. 523/561 TU) sowie 24.08.2020 (Bl. 623/639 TU) steht fest, dass bei der Antragsgegnerin infolge ihrer depressiven Erkrankung unter Mitberücksichtigung der Krebserkrankung ab Beginn der Erkrankung im Jahr 2017 eine Erwerbsunfähigkeit vorlag, da die Antragsgegnerin nicht in der Lage war, krankheitsbedingt mehr als drei Stunden täglich zu arbeiten. Eine unter dreistündige Erwerbsfähigkeit ist einer Erwerbsunfähigkeit gleichzusetzen. Weiter führt der Sachverständige, insbesondere im Zusatzgutachten aus, dass eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben war, da bei einer stationären Behandlung der depressiven Erkrankung prognostisch bis zum Ablauf von 6 Monaten ab stationärem Behandlungsbeginn eine Besserung mit Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit möglich ist. Zur psychiatrischen stationären und ambulanten Behandlung riet der Sachverständige dringend.
33
In der Folge hat die Antragsgegnerin keine stationäre Therapie entsprechend der Empfehlung des Sachverständigen angetreten. Sie befindet sich ausweislich der Stellungnahme vom 21.08.2023 seit April 2022 in regelmäßiger wöchentlicher psychotherapeutischer Behandlung, gegenwärtig bei Frau Dr. Z. P.
34
Voraussetzung für einen Unterhaltsanspruch nach § 1572 BGB ist jedoch, dass alle zumutbaren Mitwirkungshandlungen unternommen werden, um die Krankheit behandeln zu lassen. Der krankheitsbedingt Erwerbsunfähige ist gehalten, selbst das in seiner Person erforderliche für seine Genesung zu unternehmen, d. h. aktiv an seiner Genesung mitzuarbeiten. Maßstab für die Obliegenheit sind die im Schadensersatzrecht entwickelten Grundsätze über die Zumutbarkeit einer Behandlung. Unterlässt der Unterhaltsgläubiger die notwendigen und zumutbaren therapeutischen Maßnahmen zur Herstellung seiner Erwerbsfähigkeit, so kann darin ein Verhalten liegen, dass die Härteregelung des § 1579 Nr. 4 BGB erfüllt (Wendl/Dose/Bömelburg, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl. 2019, § 4 Rn. 243; OLG Brandenburg, FamRZ 2021, 1024).
35
Unter Anwendung dieser Grundsätze, kann nicht festgestellt werden, dass der Unterhaltsanspruch hinsichtlich des nachehelichen Unterhalts auf § 1572 BGB (Unterhalt wegen Krankheit) gestützt werden kann. Die Antragsgegnerin hat weder dargelegt, noch nachgewiesen, dass sie alles zumutbare zur Herstellung ihrer Erwerbsfähigkeit unternommen hat. Insbesondere eine vom Sachverständigen als notwendig angesehene stationäre Behandlung ihrer Depression wurde bisher nicht unternommen.
36
2. Ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB ist dem Grunde nach gegeben.
37
Nachdem die Antragsgegnerin nicht nachgewiesen hat, dass sie krankheitsbedingt erwerbsunfähig ist, ist zunächst zu prüfen, ob es ihr zuzumuten ist, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und ihr daraus eventuell fiktive Einkünfte zuzurechnen sind.
38
a. Sie kann Aufstockungsunterhalt beanspruchen, weil sie auch bei Ausübung einer vollschichtigen Tätigkeit kein Einkommen erzielen könnte, um den eheangemessenen Unterhaltsbedarf zu decken.
39
Für die Beurteilung der Frage, was für die Antragsgegnerin eine angemessene Tätigkeit im Sinne der Legaldefinition des § 1574 Abs. 2 BGB darstellt, ist auf die ehelichen Lebensverhältnisse unter Einbeziehung der gesamten Entwicklung bis zur Rechtskraft der Scheidung abzustellen (Wendl/Dose/Bömelburg, a.a.O., § 4 Rn. 141 ff.). Auszugehen ist dabei davon, dass die Antragsgegnerin bereits vor Eheschließung über keine Berufsausbildung verfügte und eine zuletzt ausgeübte Tätigkeit im Sekretariatsbereich bereits 1995, mithin über 2 Jahre vor Eheschließung aufgegeben hat und zum Zeitpunkt der Eheschließung im Jahr 1998 seit längerem nicht erwerbstätig war. Auch während der Ehe hat die Antragsgegnerin keinerlei Erwerbstätigkeit ausgeübt und verfügt damit über keinerlei beruflich verwertbares Können. Zwar mag die Antragsgegnerin über Fremdsprachenkenntnisse verfügen, feststeht, dass die Antragsgegnerin im Zeitraum von nunmehr 30 Jahren weder eine reguläre Arbeit noch eine caritative oder sonstige Tätigkeit ausgeübt hat und somit über keinerlei Erfahrung verfügt.
40
Ausgehend davon, ist festzustellen, dass für die Antragsgegnerin jede Aushilfstätigkeit im Büro oder beispielsweise als Empfangsmitarbeiterin in einem Unternehmen oder im Hotelbereich eine angemessene Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung des in § 1569 BGB festgeschriebenen Grundsatz der Eigenverantwortung und der Erwerbsobliegenheit nach § 1574 Abs. 1 BGB darstellen würde. Angesichts ihrer Tätigkeit vor der Ehe und ihres, nach wie vor, überzeugenden Auftretens mit entsprechenden Umgangsformen wäre eine solche Tätigkeit zumutbar.
41
Ernsthafte Bemühungen um entsprechende Arbeitsstellen hat die Antragsgegnerin nicht unternommen. Ihr ist daher ein fiktives Einkommen aus einer Aushilfstätigkeit im Umfang einer Vollzeitttätigkeit von 40 Stunden wöchentlich mit einem Lohn von 12 € pro Stunde zuzurechnen. Dies ergibt bei monatlich durchschnittlich 174 Stunden einen Bruttoarbeitslohn von 2.088,00 €. Daraus errechnet sich unter Anwendung der Lohnsteuerklasse 1 und gesetzlichen Abgaben für Arbeitslosen-/Kranken- und Pflegeversicherung ein Nettolohn in Höhe von 1.508,32 €.
42
b. Die Antragsgegnerin ist bedürftig, da sie auch unter Zurechnung eines fiktiven Einkommens von 1.508,32 € nicht in der Lage ist ihren Bedarf selbst zu erwirtschaften.
43
c. Der Antragsgegner steht rechnerisch ein monatlicher Unterhalt in Höhe von 10.207,67 €, davon Altersvorsorgeunterhalt 2.681,00 Euro, zu.
44
Das jeweilige Nettoeinkommen beträgt beim Antragsteller 21.935,68 € und bei der Antragsgegnerin 1.508,32 €.
45
Auch bei einem Unterhaltsbedarf von über 4.950,00 Euro (Hälfte des Doppelten des höchsten Einkommensbetrags der Düsseldorfer Tabelle abzüglich 10% Erwerbsanreiz bis einschließlich 2023; seit 2024: 5.040,00 Euro) kann Quotenunterhalt geltend gemacht werden (BGH FamRZ 2018, 260 Rn. 18 ff.; BGH FamRZ 2020, 21 Rn. 28).
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Ausgangspunkt dabei ist, dass es nicht zu beanstanden ist, wenn die Tatsachengerichte von einer tatsächlichen Vermutung für den vollständigen Verbrauch des Familieneinkommens ausgehen, wenn dieses das Doppelte des höchsten Einkommensbetrages der Düsseldorfer Tabelle nicht übersteigt (BGH FamRZ 2018, 260 Rn. 21).
47
Soweit das Familieneinkommen über das Doppelte des höchsten Einkommensbetrages der Düsseldorfer Tabelle (bis 2023: 11.000,00 € – seit 2024: 11.200,00 €) hinausgeht, hat der Unterhaltsberechtigte mithin, wenn er dennoch Unterhalt nach der Quotenmethode begehrt, die vollständige Verwendung des Einkommens für den Lebensbedarf darzulegen und im Bestreitensfall in vollem Umfang zu beweisen (BGH FamRZ 2018, 260 Rn. 21).
48
Dass das Familieneinkommen insgesamt über der Grenze liegt, lässt nämlich nicht die tatsächliche Vermutung für den vollständigen Verbrauch des bis zur Grenze reichenden Familieneinkommens entfallen (BGH FamRZ 2020, 21 Rn. 29). Der Berechtigte kann aber durch den Nachweis, dass auch das darüber hinausgehende Einkommen mindestens teilweise verbraucht wurde, Quotenunterhalt aus einem höheren Einkommen fordern. Will umgekehrt der Pflichtige geltend machen, es sei weniger als die doppelte Obergrenze verbraucht worden, muss er insoweit substantiiert Bestreiten (BGH FamRZ 2020, 21 Rn. 30).
49
Die Antragstellerin hat, gestützt auf die Behauptungen des Antragsgegners im Scheidungsverfahren in der Folgesache Güterrecht, behauptet, dass das gesamte Einkommen zur Lebensführung verbraucht wurde. Dieser hatte dort vorgetragen, dass keine weitere Vermögensbildung erfolgte und dass das Einkommen immer vollständig ausgegeben worden sei. Eine Vermögensvorsorge sei nicht betrieben worden. Er habe ohne Berücksichtigung der schenkweise erhaltenen Immobilien keinen Zugewinn erwirtschaftet. Im Rahmen der Beschwerde trägt der Antragsgegner nunmehr vor, dass nicht das gesamte Einkommen für den Lebensunterhalt ausgegeben worden sei. Zum Nachweis dafür nimmt er Bezug auf die vorgelegte Anlage P63 (Anlage zu Bl. 694 TU). Diesbezüglich bleibt sein Vortrag jedoch unsubstantiiert. Die bloße Bezugnahme auf die Anlage reicht nicht aus. Insbesondere die Positionen Urlaub, Geschenke, etc. dürften entgegen der Ansicht des Antragsgegners der allgemeinen Lebensführung zuzuordnen sein. Allenfalls hinsichtlich der Positionen Operation, Gesundheitsausgaben der Antragstellerin, ist es möglich, diese als Sonderausgaben, die nicht dem allgemeinen Lebensunterhalt zuzuordnen sind, zu sehen. Diese sind jedoch entsprechend der vorgelegten Anlage von nur untergeordneter Bedeutung mit einer Summe von 29.832,00 €. Im Übrigen sind auch Ausgaben für die Behandlung der Antragstellerin nicht dem Bereich der Vermögensbildung zuzurechnen und des Weiteren verringerte sich im maßgeblichen Zeitraum ein Bankguthaben des Antragsgegners von über 73.000,00 € auf einen weitaus geringeren Betrag. Dies stellte bereits das Amtsgericht fest, im Rahmen der Beschwerde hat der Antragsgegner diese Feststellungen nicht angegriffen, bzw. widerlegt. Somit ist der Unterhaltsbedarf der Antragstellerin entsprechend des sogenannten Quotenunterhalts, der sich aus der Halbteilung des Familieneinkommens ergibt, zu bemessen.
50
Es ergibt sich somit nach der Additionsmethode folgende Berechnung:
Nettoeinkommen Antragsteller 1.508,32 Euro abzüglich pauschaler berufsbedingter Aufwendungen 5% -75,42 Euro unterhaltsrechtliches Einkommen . . . . . 1.432,90 Euro Nettoeinkommen Antragteller . . . . . . . . 21.935,68 Euro abzüglich pauschaler berufsbedingter Aufwendungen 5% -1.096,78 Euro unterhaltsrechtliches Einkommen . . . . . 20.838,90 Euro Voller Unterhalt der Antragsgegnerin: (20.838,90 x 0,9 + 1.432,90 x 0,9)/2 – 1289,61 =
8.732,70 € Altersvorsorgeunterhalt
Bremer Tabelle 1.1.2024, fiktives Brutto: 8.732,70 + 65% =
4.408,96
Altersvorsorgeunterhalt: 14408,96 * 18,6% = 2.680,07 Euro Nettoeinkommen . . . . . . . . . . 20.838,90 Euro Altersvorsorgeunterhalt . . . . . . . . -2.680,07 Euro
Erwerbstätigenbonus: (20838,9 – 2680,07)*10% -1.815,88 Euro Bonusbereinigtes Einkommen des Antragstellers zweite Stufe: 16.342,95 Euro
Voller Unterhalt der Antragsteller (16342,95 + 1289,61)/2 – 1289,61 = 7.526,67 Euro
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Es ergibt sich damit rechnerisch ein monatlicher Unterhalt in Höhe von 10.207,67 €, davon Altersvorsorgeunterhalt 2.681,00 Euro.
52
3. Der rechnerische Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin ist nach § 1578 b Abs. 2 BGB zeitlich dahingehend zu begrenzen, dass mit Rechtskraft der Scheidung der Anspruch zur Gänze in Wegfall kommt.
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Dabei ist eine Billigkeitsabwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Die Kriterien für die Billigkeitsabwägung ergeben sich sowohl für die Herabsetzung als auch für die Befristung des Unterhalts aus § 1578 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB.
54
Als für die Billigkeitsabwägung maßgebliche Kriterien sind neben dem – hier nicht einschlägigen – Kinderschutz, die Frage nach ehebedingten Nachteilen, sowie die Ehedauer und die Gestaltung die in § 1578 b Abs. 1 Satz 3 BGB genannten Aspekte (hier: einschlägige Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe und die wirtschaftlichen Verhältnisse von Bedeutung (BeckOGK/Schlecht, Stand: 01.08.2024, § 1578 b BGB Rn. 33/34). Ehebedingte Nachteile sind nicht vorhanden. Die Hauptursache für die Entstehung ehebedingter Nachteile ist in der Beeinträchtigung der beruflichen Entwicklung des Unterhaltsbedürftigen zu sehen, die aufgrund der Gestaltung der Haushaltsführung, Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit während der Ehe eintritt und verringerte Erwerbseinkünfte zur Folge hat (MüKoBGB/Maurer, 9. Aufl. 2022, § 1578 b Rn. 62). Ob die Aufgabe des Arbeitsplatzes gegen den Willen des Unterhaltspflichtigen erfolgte, ist grundsätzlich nicht von Bedeutung. Wie sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt, ist auf die tatsächliche Gestaltung von Kinderbetreuung und Haushaltsführung abzustellen. Bei den in § 1578 b BGB aufgeführten Kriterien handelt es sich zudem um objektive Umstände, denen kein Unwerturteil und keine subjektive Vorwerfbarkeit anhaften, weshalb im Rahmen der Abwägung nach § 1578 b BGB nicht etwa eine Aufarbeitung ehelichen Fehlverhaltens stattfindet. Daher kann der unterhaltspflichtige Ehegatte nicht einwenden, dass er den Unterhaltsberechtigten während der Ehe zur Berufstätigkeit angehalten habe (BGH, NJW 2020, 238 Rn. 50).
55
Die Antragsgegnerin war bereits bei Eingehung der Ehe seit mehreren Jahren nicht berufstätig und hat zuvor als ungelernte Bürokraft gearbeitet und keine Berufsausbildung abgeschlossen. Durch die Ehe hat sich dies nicht verändert, ehebedingte Nachteile liegen bei der Antragsgegnerin nicht vor, zumal diese auch infolge der kinderlos gebliebenen Ehe nicht wegen Kindererziehungszeiten auf eigene Erwerbs- und Karrierechancen verzichten musste.
56
In die Abwägung ist jedoch des Weiteren noch die Ehedauer, die nacheheliche Solidarität, insbesondere die erfolgte wirtschaftlichen Verflechtung, im konkreten Fall wirtschaftliche Abhängigkeit der Antragsgegnerin miteinzubeziehen. Sowohl die Erkrankung der Antragsgegnerin an Brustkrebs als auch die depressive Erkrankung sind nicht ehebedingt, sondern Ausfluss des allgemeinen Lebensrisikos (BGH NJW 2013, 2434 Rn. 20; 2012, 1807 Rn. 24, 32; 2011, 1807 Rn. 13; 2010, 1598 Rn. 24 f.; 2009, 989 Rn. 36 f.). Gleichwohl sind beide Erkrankungen unter dem Gesichtspunkt der nachehelichen Solidarität in die Billigkeitsabwägung mit einzubeziehen (BeckOGK/Schlecht BGB § 1578b Rn. 74 m.w.N.). Vorliegend war die Antragsgegnerin bereits vor der Ehe wirtschaftlich vollkommen vom Antragsteller abhängig. Die ehelichen Lebensverhältnisse waren geprägt von dem zuletzt überaus großzügigen Einkommen des Antragstellers in Höhe von über 500.000,- € brutto und Nettoeinkünften von über 20.000,- € monatlich.
57
Weiter ist zu berücksichtigen, dass grundsätzlich von einer Erwerbsfähigkeit der Antragsgegnerin auszugehen ist und es seit der Unterhaltsrechtsreform durch das zum 1.1.2008 in Kraft getretene UÄndG v. 21.12.2007 keine Lebensstandardgarantie mehr gibt. Erhebliche Bedeutung hat vorliegend, dass über einen Zeitraum von über sieben Jahren Trennungsunterhalt bezahlt wurde. Bei einer Ehedauer von etwas über 18 Jahren bis zur Zustellung des Scheidungsantrags ist dies ausreichend (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.11.2022, 3 UF 53/22, BeckRS 2022, 42861).
58
Bei der zu treffenden Gesamtabwägung ist auch der Grundsatz der nachehelichen Solidarität zu berücksichtigen. Die Hauptbedeutung kommt der nachehelichen Solidarität in Fallkonstellationen zu, in denen sich keine ehebedingten Nachteile feststellen lassen. In solchen Fällen kann aus Gründen der nachehelichen Solidarität eine Befristung dennoch ausscheiden. Denn das Fehlen ehebedingter Nachteile führt nicht ohne Weiteres dazu, dass der Unterhalt zwangsläufig zu befristen wäre. Vielmehr ist die Befristung – ebenso wie die Herabsetzung – auch dann als gesetzliche Ausnahme nur im Falle der Unbilligkeit eines weitergehenden Unterhaltsanspruchs (nach den ehelichen Lebensverhältnissen) gerechtfertigt (BeckOGK/Schlecht, BGB § 1578b Rn. 115-119). Die Tatsache, dass die Antragsgegnerin eine Vielzahl von gegen den Antragsteller gerichteten Angriffe, sowohl persönlicher als auch wirtschaftlicher Art, bereits unmittelbar im Zusammenhang mit der Trennung und auch nach der Trennung verübte, bis zur Strafanzeige durch die Kanzlei R. am 20.04.2020, zeigt, dass diese die eheliche Solidarität nicht mehr gelebt hat. Nachdem sie zunächst unmittelbar der Trennung vorausgehend am 13.04.2016 den Antragsteller mit einer Schere verletzt hat, hat sie in der Folge nicht nur den Antragsteller direkt angegangen und beleidigt, sondern über seine Sekretärin, in Gegenwart von Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern diskreditiert und auch körperlich angegriffen. Sie übersandte Hunderte von teils beleidigenden E-Mails an die dienstliche Mailadresse des Antragstellers. Dies mündete zuletzt in der unberechtigten Strafanzeige durch die Kanzlei R. (Schriftsätze des Antragstellers vom 07.12.2021). Diese Strafanzeige ist nicht von einem berechtigten Interesse der Antragsgegnerin gedeckt. Durch diese Strafanzeige geriet der Antragsteller, so er denn wegen Betrug verurteilt worden wäre, in die unmittelbare Gefahr seinen Arbeitsplatz und damit das überaus gute Einkommen, von dem die Antragsgegnerin die Hälfte beanspruchte und von dem sie zum damaligen Zeitpunkt noch profitierte, zu verlieren.
59
Die Tatsache, dass die nacheheliche Solidarität von der Antragsgegnerin dadurch geradezu mit Füßen getreten wurde, lässt eine nach Rechtskraft der Ehescheidung fortdauernde Unterhaltszahlung als unbillig erscheinen. Es ist dem Antragsteller nach den während mehrerer Jahre hindurch erfolgten Angriffe, Beleidigungen und Nachstellungen nicht mehr zumutbar noch weiter Unterhalt für die Antragsgegnerin zu leisten.
60
4. Rein vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass angesichts der Tatsache, dass keine ehebedingten Nachteile vorliegen, ein möglicher Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen wäre. Nachdem die Antragsgegnerin bereits vor der Eheschließung keine eigene Lebensstellung erreicht und keine Tätigkeit ausgeübt hatte, würde sich Ihr angemessener Lebensbedarf im Bereich des notwendigen Selbstbehalts eines nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen bewegen (BeckOGK/Schlecht, BGB § 1578b Rn. 207-210). Dieser lag im Jahr 2023 bei 1.200,00 €. Diesen Betrag könnte sie durch die ihr zumutbare eigene Erwerbstätigkeit selbst erzielen. Wie oben dargestellt, könnte sie über einen Nettolohn von 1.508,32 € verfügen. Damit wäre sie in der Lage ihren angemessenen Lebensbedarf selbst zu decken.
61
Auf zusätzlich vorliegende Gründe für die Verwirkung eines Unterhaltsanspruchs der Antragsgegnerin nach § 1579 BGB kommt es ebenfalls nicht mehr an.
62
Auf die Beschwerde des Antragstellers hin war der Endbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – München vom 02.02.2023 in Ziffer 3 aufzuheben und der Antrag der Antragsgegnerin auf Bezahlung von nachehelichen Unterhalt abzuweisen.
III.
63
1. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin, § 84 FamFG.
64
2. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren beträgt, §§ 40, 51 FamGKG. Dabei war von dem mit der Anschlussbeschwerde insgesamt geltend gemachten Unterhalt in Höhe von 9.696,98 € auszugehen (12 x 9.696,98 € = 116.363,76 €).
65
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, § 70 FamFG.
66
Der vorliegende Fall hat keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung, § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 FamFG. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 FamFG erforderlich.
67
Eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder zu anderen Oberlandesgerichten ist nicht gegeben. Die Entscheidung des Senats weicht nicht von der Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 11.11.2022 – 3 UF 53/22, BeckRS 2022, 42861) ab.