Titel:
Bemessung des Ausgleichswerts im Abänderungsverfahren
Normenketten:
SGB VI § 307d
VersAusglG § 51 Abs. 1
Leitsatz:
Im Abänderungsverfahren ist für die Ermittlung des sich nach neuem Recht ergebenden Ehezeitanteils bzw. Ausgleichswerts eine tatsächlich weggefallene Erwerbsminderungsrente maßgeblich, nicht eine fiktive Vollrente. (Rn. 35) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Versorgungsausgleich, Abänderung des Versorgungsausgleichs, Erwerbsminderungsrente, Mütterrente
Vorinstanz:
AG Rosenheim, Beschluss vom 19.11.2021 – 5 F 1052/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24996
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 19.11.2021 im Tenor unter Ziffer 1 wie folgt abgeändert:
Die Entscheidung des Amtsgerichts Rosenheim vom 20.12.1991 über den Versorgungsausgleich (2 F 0774/90) zwischen den Ehegatten wird mit Wirkung ab dem 01.08.2021 wie folgt abgeändert:
Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der D. Rentenversicherung B. S. Vers.Nr. …8 M 515 zugunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 1,7824 Entgeltpunkten auf das vorhandene Konto des Antragstellers bei der D. Rentenversicherung N. Vers.Nr. …8 T 003, bezogen auf den 31.10.1990, übertragen
2. Von einer Auferlegung der Gerichtskosten für dass Beschwerdeverfahren wird abgesehen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.500 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller hat am 19.11.2021 Beschwerde eingelegt gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Rosenheim vom 19.11.2021 zur Abänderung eines Versorgungsausgleichs vom 20.12.1991.
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Die Beteiligten haben am ... 02.1983 geheiratet. Die Ehe wurde mit Scheidungsurteil vom 11.12.1990 geschieden. Hierbei wurde auch der Versorgungsausgleich durchgeführt. Die Ehezeit dauerte vom 01.02.1983 bis 31.10.1990. Die Ehefrau ist am ... 2019 verstorben. Sie war zu diesem Zeitpunkt 61 Jahre und 1 Monat alt. Die Verstorbene hatte seit dem 01.05.2003 eine volle Erwerbsminderungsrente auf Dauer bezogen. Der Antragsteller beantragte am 08.07.2021 die Abänderung des Versorgungsausgleichs und richtete seinen Antrag gegen die Erben, die noch nicht feststanden. Als Erbin wurde T. J., geb. …1981 mitgeteilt und am Verfahren beteiligt. Der Antragsteller bezieht seit dem 01.01.2022 eine Altersrente für Schwerbehinderte. Er begründete seinen Abänderungsantrag damit, dass sich die Anwartschaften der verstorbenen geschiedenen Ehefrau nachträglich durch Gesetzesänderungen zur Anrechnung von Kindererziehungszeiten erhöht hätten. Aus der Ehe sind vier Kinder hervorgegangen:
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Die Kindererziehungszeiten hätten sich durch die Gesetzesänderungen um 89 Monate erhöht. Er habe damit zumindest die Möglichkeit der Abänderung dahingehend, dass kein Versorgungsausgleich mehr stattfinde. Sein Abänderungsanspruch gehe aber darüber hinaus, da die in der Ehezeit erworbenen Anrechte der verstorbenen Ehefrau nunmehr die des Antragstellers übersteigen würden.
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Das Amtsgericht Rosenheim hat die Voraussetzungen für eine Abänderung bejaht.
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Die Anrechte der Beteiligten stellten sich wie folgt dar:
1. Zum Zeitpunkt der Scheidung:
Anrechte bei LVA O.b. 44,53 DM
Anrechte bei LVA O.f. … 122,45 DM
2. Zeitpunkt Abänderungsantrag
Bei Eingang Abänderungsantrag 59,63 DM
Bei Eingang Abänderungsantrag 58,40 DM.
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Das Amtsgericht errechnet daher für das Anrecht des jetzigen Antragstellers eine Änderung um 52% (58,4 – 122, 4) / 122,45 = 52%, so dass die Voraussetzungen des § 225 Abs. 1 FamFG erfüllt waren. Es wurden daher Auskünfte zu den Anrechten der Beteiligten nach neuem Recht erholt. Es ergab sich wie folgt:
Auskunft der DRV N.b. vom 09.11.2021 zum Antragsteller
Ehezeitanteil 2,9507 Entgeltpunkte
Ausgleichswert 1.4754 Entgeltpunkte
Auskunft der DRV B. S. vom 15.11.2021 zur verstorbenen Ehefrau
Ehezeitanteil 2,9988 Entgeltpunkte
Ausgleichswert 1,4994 Entgeltpunkte
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Auf Grundlage dieser Auskünfte erfolgte die erstinstanzliche Entscheidung zur Abänderung. Dem Antragsteller wurde keine Gelegenheit zur Stellungnahme auf diese Auskünfte gewährt.
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Das Amtsgericht Rosenheim hat mit Beschluss vom 19.11.2021 entschieden:
Die Entscheidung des Amtsgerichts Rosenheim vom 20.12.1991 über den Versorgungsausgleich (2 F 0774/90) zwischen den Ehegatten wird mit Wirkung ab dem 01.08.2021 wie folgt abgeändert:
Ein Versorgungsausgleich findet nicht statt.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass über den Einstieg in das Abänderungsverfahren § 31 VersAusglG zur Anwendung komme.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.
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Die Beschwerde des Antragstellers wird damit begründet, dass das Amtsgericht völlig überraschend entschieden habe einen Tag nachdem dem Antragsteller die Auskünfte der Versorgungsträger zu den derzeitigen Anrechten der Beteiligten zugeleitet worden seien. Er habe nicht Stellung nehmen können zur Richtigkeit und Nachvollziehbarkeit dieser Auskünfte zu den Versorgungsanrechten. Es gebe Zweifel an der Richtigkeit der erteilten Auskünfte. Bei den vorgelegten Auskünften fehle die Darstellung wie viele Entgeltpunkte jeder der Ehegatten in den einzelnen Zeitabschnitten erworben habe. Die bekannt gegebenen Entgeltpunkte seien damit nicht nachvollziehbar.
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In der Beschwerdeinstanz wurden aufgrund der Einwände gegen die erteilten Auskünfte die jeweiligen Versicherungsverläufe nebst Darstellung der Beitrags- und Zurechnungszeiten von den Versorgungsträgern nachgereicht. Der Antragsteller beantragte zudem bei der DRV B.N. die Zurechnung von Kindererziehungszeiten für den Zeitraum 01.05.1990 bis 08.09.1997, da er in dieser Zeit alle vier Kinder alleine betreut habe. Um die beiden Vorgänge Abänderung Versorgungsausgleich und Antrag auf Zuerkennung von Erziehungszeiten zu entflechten, wurde der Antrag des Antragstellers mit Schriftsatz vom 30.05.2022 dahingehend abgeändert, dass der Antrag auf Anerkennung von Erziehungszeiten erst für den Zeitraum ab Monatsende des auf die Ehezeit folgenden Monats (= 01.11.1990) gestellt wurde. Für den Zeitraum 01.05.1990 bis 31.10.1990 sollten die Kindererziehungszeiten der verstorbenen Ehefrau zugerechnet werden.
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Am 08.09.2023 erteilte die D. Rentenversicherung B. S. zuletzt für die verstorbene Ehefrau folgende neue Auskunft:
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Am 12.12.2023 wurde die Auskunft für den Antragsteller aktualisiert wie folgt:
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Gegen die Auskunft zu den Anrechten des Antragstellers werden keine Einwände erhoben.
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Gegen die Auskunft zu den Anrechten der verstorbenen geschiedenen Ehefrau werden vom Antragsteller im Schriftsatz vom 20.12.2023 Einwände erhoben.
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Alle 4 Kinder seien vor dem Stichtag 01.01.1992 geboren, so dass sich die Zuerkennung von Kindererziehungszeiten nicht nach § 56, sondern nach §§ 249 bzw. 307 d SGB VI richte. Die Auskunft vom 08.09.2023 behandle die Kindererziehungszeiten im Versicherungsverlauf der verstorbenen geschiedenen Ehefrau des Antragstellers ausschließlich nach § 249 SGB VI. Dies treffe jedoch nur für die ersten zwölf Monate der Kindererziehungszeiten aller 4 Kinder zu. Tatsächlich müssten die weiteren Entgeltpunkte für die weiter zu berücksichtigenden Kindererziehungszeiten (Mütterrente I und Mütterrente II) nach § 307 d Abs. 1 S. 2 SGB VI bestimmt werden. Die Verstorbene habe seit dem 01.05.2023 eine volle Erwerbsminderungsrente auf Dauer bezogen, also vor dem Inkrafttreten der gesetzlichen Regelungen zur Mütterrente I (30.062014) und zur Mütterrente II (01.01.2019). Die Bewertung der Kindeserziehungszeiten gem. § 249 SGB VI gewähre pro Erziehungsmonat 0,0833 Entgeltpunkte, für zwölf Monate somit nicht einen vollen Entgeltpunkt (1,0000) in, sondern nur 0,9996 Entgeltpunkte. Weiterhin gelten beim Zusammentreffen mehrerer Beitragszeiten, z.B. wegen Erwerbstätigkeit, Höchstbetragsgrenzen. § 307 d Abs. 1 S. 1 SGB VI gewähre einen vollen Entgeltpunkt, wenn das Kind für den 12. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt eine Kindeserziehungszeit gem. § 249 SGB VI angerechnet bekommen habe und § 307 d Abs. 1 S. 2 SGB VI weitere 0,5 Entgeltpunkte, wenn für das betreffende Kind für den 24. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt eine Kindeserziehungszeit berücksichtigt werde. Für den Versorgungsausgleich seien diese Hinzurechnungen von Entgeltpunkten zu berücksichtigen, wenn der jeweilige Stichtag in die Ehezeit falle (vgl. OLG Brandenburg, FamRZ 2016, 635 f Rz. 11; Bachmann/Borth, FamRZ 2019, 1329, 1331; Bachmann/Borth, FamRZ 2019, 157). Dabei werde der Zuschlag nicht zeitratierlich verteilt, sondern als Ganzer zum Zeitpunkt des Eintritts der Voraussetzung gewährt, so dass in diesem Fall auch die Entgeltpunkte volle 1,0000 bzw. 0,5000 betragen.
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Die D. Rentenversicherung B. S. ist der Auffassung, dass der Ehezeitanteil aus der Berechnung einer fiktiven Vollrente wegen Erreichens der Regelaltersgrenze zu ermitteln sei, da die Antragsgegnerin seit 01.05.2023 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen habe und am 07.08.2019 verstorben sei. Da die Erwerbsminderungsrente mit den § 307d SGB VI-Zuschlägen durch den Tod der Versicherten weggefallen sei, sei der Ehezeitanteil richtig mit der maschinellen Berechnung (= fiktive Altersvollrente) ermittelt. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 23.8.2023, XII ZB 202/22, NJW 2024, 436 Rn. 20), wonach bei Tod einer versicherten Person, die vor ihrem Tod bereits eine Altersrente bezogen habe, für die Ermittlung des Ehezeitanteils die tatsächlich weggefallene Rente maßgeblich bleibe, sei nach derzeitiger Rechtsauslegung bei Erwerbsminderungsrenten nicht anzuwenden. Bei der maschinellen Berechnung seien demnach keine § 307d-Zuschläge anzusetzen, sondern es seien Kindererziehungszeiten gemäß § 56 SGB VI berücksichtigt. Die Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten für die Kinder J., A., S. und A. wurden in der Ehezeit vom 01.02.1983 bis 31.10.1990 vollumfänglich gespeichert.
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Dem hält der Antragsteller entgegen, dass § 307d Abs. 1 SGB VI nur von „Rente“ spreche und nicht unterscheide zwischen Erwerbsminderungsrente und Altersrente. Auch die Begründung im Gesetzesentwurf der Bundesregierung (Teil B Abschnitt „zu Nr. 15“ Seite 25 f.) stelle ausschließlich auf die Tatsache des Rentenbezugs unabhängig von der Rentenart ab. Im Übrigen würde wohl die Nichtberücksichtigung der zusätzlichen Entgeltpunkte aufgrund der Mütterrente I bzw. II für Folgerenten im Ergebnis dem in § 88 Abs. 1 SGB VI normierten Bestandsschutz zuwiderlaufen. Die verstorbene geschiedene Ehefrau des Antragstellers sei zum Zeitpunkt ihres Ablebens am 15.08.2019 61 Jahre und 1 Monat alt gewesen. Damit hätten die zeitlichen Voraussetzungen für den Bezug einer vorgezogenen Altersrente wegen Schwerbehinderung noch nicht vorgelegen. Aufgrund der langjährig bestehenden Erkrankung/Schwerbehinderung sei allerdings damit zu rechnen gewesen, dass die Erwerbsminderungsrente nicht mehr entfallen, sondern zeitlich ununterbrochen in eine Altersrente übergehen würde. Es sei deswegen davon auszugehen, dass in diesem Falle der Bestandsschutz des § 88 Abs. 1 SGB VI eingreifen würde. Es wird insoweit Bezug auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 26.01.2022, XII ZB 175/21, FamRZ 2022, 686 f.) genommen.
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Die D. Rentenversicherung B. S. wurde aufgefordert, eine neue Auskunft unter Berücksichtigung der Zuschläge nach § 307 d Abs. 1 S. 2 SGB VI zu erteilen. Die D. Rentenversicherung B.S. teilte mit Auskunft vom 09.08.2024 mit, dass der Ehezeitanteil des Anrechts der Antragsgegnerin für die Ehezeit vom 01.02.1983 bis 31.10.1990 8,5987 Entgeltpunkte betrage und teilte einen Ausgleichswert von 4,2994 Entgeltpunkte mit einem korrespondierenden Kapitalwert von 17.242,84 €. Die zugrunde liegende Berechnung enthält auch Entgeltpunkte in der allgemeinen Rentenversicherung aus einem Rentenzuschlag nach § 307 j SGB VI (Verbesserung von Leistungen für den Erwerbsminderungsrentenbestand.
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Eine Entscheidung im Beschwerdeverfahren erfolgt ohne weitere mündliche Verhandlung nach § 68 Abs. 3 FamFG, da von ihr keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten sind.
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Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig gem. §§ 58 ff. FamFG und ist in der Sache begründet
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1. Der Antragsteller ist beschwerdebefugt gemäß § 59 FamFG. Ihm wurde erstinstanzlich keine Gelegenheit eingeräumt, die erstinstanzlich aufgrund aktueller Gesetzeslage erholten Auskünfte auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Tatsächlich haben sich Fehler in der Berechnung des Ehezeitanteils ergeben, die sich nachteilig auf das Abänderungsverlangen des Antragstellers ausgewirkt haben.
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2. Der Antragsteller begehrt die Abänderung einer Entscheidung zum Versorgungsausgleich nach § 51 Abs. 1 VersAusglG mit der Begründung, dass durch den Bezug von Mütterrente durch die verstorbene frühere Ehefrau des Antragstellers dem Rentenkonto der früheren Antragsgegnerin höhere Entgeltpunkte zugeschrieben werden, die nunmehr beim Versorgungsausgleich nachträglich zu berücksichtigen seien. Dem ist zuzustimmen.
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2.1 Die rentenrechtliche Besserbewertung von Kindererziehungszeiten durch die sogenannte Mütterrente stellt grundsätzlich eine auf den Ehezeitanteil rückwirkende rechtliche Veränderung im Sinne von § 5 Abs. 2 S. 2 VersAusglG dar, die bei der Ermittlung des Ausgleichswerts zu berücksichtigen ist (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2022, XII ZB 175/21, FamRZ 2022, 586).
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Eine Entscheidung über den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich nach dem bis zum 31. August 2009 geltenden Recht kann gemäß § 51 Abs. 1 VersAusglG beim Vorliegen einer wesentlichen Wertänderung abgeändert werden. Wegen der besonderen Voraussetzungen für die Abänderung verweist § 51 Abs. 2 VersAusglG auf die Bestimmungen in § 225 Abs. 2 und 3 FamFG. Danach ist die Ausgangsentscheidung abzuändern, wenn rechtliche oder tatsächliche Veränderungen nach dem Ende der Ehezeit auf den Ausgleichswert zurückwirken (§ 225 Abs. 2 FamFG) und zu einer wesentlichen Wertänderung führen, die mindestens 5% des bisherigen Ausgleichswerts beträgt (relative Wesentlichkeitsgrenze: § 225 Abs. 3 Alt. 1 FamFG) und bei einem Rentenbetrag als maßgeblicher Bezugsgröße 1%, in allen anderen Fällen als Kapitalwert 120% der am Ende der Ehezeit maßgeblichen monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV übersteigt (absolute Wesentlichkeitsgrenze: § 225 Abs. 3 Alt. 2 FamFG). Dabei genügt die Wertänderung nur eines Anrechts.
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Die Wesentlichkeitsgrenze nach § 225 Abs. 1 FamFG von 5% ist vorliegend erreicht. Insofern kann auf den erstinstanzlichen Beschluss verwiesen werden. Das Erreichen der Wesentlichkeitsgrenze führt dazu, dass die nach neuem Recht zu ermittelnden Anrechte auszugleichen sind.
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2.2 Einigkeit besteht darüber, dass das Anrecht des Antragstellers Vers.Nr. …8 T 003 nunmehr nach der Auskunft vom 12.12.2023 der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern einen Ehezeitanteil von 5,0340 Entgeltpunkten hat mit einem Ausgleichswert von 2,5170 Entgeltpunkten.
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Der Senat geht davon aus, dass für die Ermittlung des Ehezeitanteils und des Ausgleichswertes des Anrechts der verstorbenen früheren Ehefrau des Antragstellers nicht von einer fiktiven Vollrente für die Berechnung auszugehen ist, sondern von der Erwerbsminderungsrente, die die verstorbene frühere Ehefrau tatsächlich bezogen hat unter Berücksichtigung der Zuschläge nach § 307 d SGB VI.
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Die Deutsche Rentenversicherung B. S. vertritt die Auffassung, dass die Erwerbsminderungsrente der Verstorbenen mit dem Tod weggefallen sei, so dass die Berechnung des Ehezeitanteils aus einer fiktiven Vollrente zu erfolgen habe und errechnet auf dieser Grundlage einen Ehezeitanteil von 7,4137 Entgeltpunkten und einen Ausgleichswert von 3,7069 Entgeltpunkten.
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Nach Auffassung des Senats ist jedoch für die Ermittlung des Ehezeitanteils der verstorbenen früheren Ehefrau die bis zum Tod tatsächlich bezogene Erwerbsminderungsrente maßgeblich, so dass die der Verstorbenen zuzurechnenden Zuschläge nach § 307 d Abs. 1 SGB VI in voller Höhe zu berücksichtigen sind. Damit ergibt sich nach Auskunft der D. Rentenversicherung B. S. vom 09.08.2024 ein Ehezeitanteil von 8,5987 Entgeltpunkten und ein Ausgleichswert von 4,2994 Entgeltpunkten für das Anrecht der Verstorbenen.
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Der Bezug einer Erwerbsminderungsrente steht der Anerkennung von Kindererziehungszeiten nicht entgegen. Auf die Höhe der Erwerbsminderungsrente haben die Kindererziehungszeiten keinen Einfluss. Sie werden aber bei der Berechnung der späteren Altersrente berücksichtigt. Da die Verstorbene bereits seit 2003 eine Erwerbsminderungsrente erhalten hat, kann davon ausgegangen werden, dass ihre Erwerbsminderungsrente nahtlos in eine Altersrente übergegangen wäre. Liegen zwischen dem Ende der Erwerbsminderungsrente und dem Beginn der Altersrente maximal 24 Monate, genießt diese Bestandsschutz, d.h. die Altersrente kann dann nicht niedriger sein als die zuvor bezogene Rente. Insofern erscheint es vorliegend nicht sachgerecht mit einer fiktiven Vollrente zu rechnen.
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Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 23.08.2023 (BGH, NJW 2024, 436 f. Rn. 20) entschieden, dass die tatsächlich bezogene Rente auch insoweit für die Ermittlung von Ehezeitanteil und Ausgleichswert maßgeblich ist, wenn sie bei einem bereits im Rentenbezug stehenden Ehegatten unter Zurechnung der gemäß § 307d Abs. 1 SGB VI gewährten pauschalen Zuschläge von 1,0 persönlichen Entgeltpunkten bzw. 0,5 persönlichen Entgeltpunkten pro Kind gebildet worden ist. Dies gilt in einem Abänderungsverfahren nicht nur dann, wenn dieses unter Lebenden geführt wird, sondern auch dann, wenn der zu Lebzeiten durch den pauschalen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten nach § 307d Abs. 1 SGB VI begünstigt gewesene Ehegatte verstorben ist.
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Ausgangspunkt der Auffassung des Bundesgerichtshofs ist, dass die Anerkennung von Kindererziehungszeiten durch den Gesetzgeber mit unterschiedlichen Regelungstechniken im Gesetz umgesetzt wurde, die davon abhängig waren, ob sich das Rentenanrecht des Berechtigten am 30. Juni 2014 (Mütterrente I) oder am 31. Dezember 2018 (Mütterrente II) im Anwartschafts- oder im Leistungsstadium befand. Bestand an den jeweiligen Stichtagen noch kein Rentenanspruch des Berechtigten, wird die mit der „Mütterrente“ verbundene Aufwertung von Kindererziehungszeiten in das Berechnungsgefüge der gesetzlichen Rentenversicherung (§§ 56, 249 Abs. 1 SGB VI) eingegliedert. Hatte der Berechtigte demgegenüber am 30. Juni 2014 bzw. am 31. Dezember 2018 bereits einen Anspruch auf Rente, erfolgt die verbesserte Anerkennung von Kindererziehungszeiten gemäß § 307 d Abs. 1 SGB VI durch einen pauschalen Zuschlag von 1,0 persönlichen Entgeltpunkten bzw. von 0,5 persönlichen Entgeltpunkten für jedes Kind Der Bundesgerichtshof argumentiert, dass er bereits im Jahr 2016 in Bezug auf die Gesamtleistungsbewertung (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2016, XII ZB 313/15, FamRZ 2016, 791 Rn. 23 ff.) und auf die nachträgliche Mindestbewertung von Pflichtbeiträgen nach § 262 Abs. 1 SGB VI (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016, XII ZB 350/15, FamRZ 2016, 1649 Rn. 19 ff.) entschieden hat, dass nach dem Beginn des Bezugs einer Vollrente wegen Alters der Ausgleichswert in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht anhand einer fiktiven Rente, sondern allein aus den auf die Ehezeit entfallenden Entgeltpunkten der tatsächlich bezogenen Rente mit ihren Wertverhältnissen zu ermitteln ist. Daran anschließend hat der Senat in jüngerer Zeit auch für den Fall der besitzgeschützten Folgerente nach § 88 Abs. 1 S. 2 SGB VI ausgesprochen, dass Ehezeitanteil und Ausgleichswert nicht anhand einer fiktiven Altersrentenberechnung, sondern aus den besitzgeschützten persönlichen Entgeltpunkten zu ermitteln sind, die der (höheren) tatsächlich gezahlten Rente zugrunde liegen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2022, XII ZB 175/21, FamRZ 2022, 686 Rn. 13 ff.).
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Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist es für den BGH evident, dass die tatsächlich bezogene Rente auch insoweit für die Ermittlung von Ehezeitanteil und Ausgleichswert maßgeblich sein muss, wenn sie bei einem bereits im Rentenbezug stehenden Ehegatten unter Zurechnung der gemäß § 307 d Abs. 1 SGB VI gewährten pauschalen Zuschläge von 1,0 persönlichen Entgeltpunkten bzw. 0,5 persönlichen Entgeltpunkten pro Kind gebildet worden ist (vgl. bereits BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016, XII ZB 350/15, FamRZ 2016, 1649 Rn. 10, 19).
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Es ist nach Auffassung des Senats vorliegend kein Grund ersichtlich, warum ausgehend von diesen rechtlichen Überlegungen beim Bezug einer Erwerbsminderungsrente in Abweichung zu diesen herausgearbeiteten Grundsätzen bei der Ermittlung des sich nach neuem Recht ergebenden Ehezeitanteils bzw. Ausgleichswerts der verstorbenen früheren Ehefrau von einer fiktiven Vollrente ausgegangen werden sollte. Maßgeblich ist vielmehr die tatsächlich weggefallene Erwerbsminderungsrente. Das Versterben der früheren Ehefrau führt nicht zum Erlöschen ihres Anrechts, sondern dieses wird für das Abänderungsverfahren als fortbestehend fingiert. Da die am 07.08.2019 Verstorbene die maßgeblichen Stichtage 30. Juni 2014 bzw. 31. Dezember 2018 noch erlebt hätte, hätte ihre zu diesem Zeitpunkt bezogene Erwerbsminderungsrente noch eine Aufbesserung durch die pauschalen Zuschläge nach § 307 d Abs. 1 SGB VI erfahren.
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§ 307 d SGB VI bestimmt:
Bestand am 30. Juni 2014 Anspruch auf eine Rente, wird ab dem 1. Juli 2014 ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind berücksichtigt, wenn
1. in der Rente eine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet wurde und
2. kein Anspruch nach den §§ 294 und 294a besteht.
Der Zuschlag beträgt für jedes Kind einen persönlichen Entgeltpunkt. Bestand am 30. Juni 2014 Anspruch auf eine Rente, wird ab dem 1. Januar 2019 ein Zuschlag von 0,5 persönlichen Entgeltpunkten für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind berücksichtigt, wenn
1. in der Rente eine Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung für den 24. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet oder wegen § 57 Satz 2 nicht angerechnet wurde und
2. kein Anspruch nach den §§ 294 und 294a besteht.
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§ 307 d SGB VI unterscheidet hier für die Gewährung von Zuschlägen nicht nach der Art der bezogenen Rente. Die tatsächliche Aufbesserung durch die pauschalen Zuschläge von 1,0 persönlichen Entgeltpunkten bzw. 0,5 persönlichen Entgeltpunkten ist daher vorliegend auch im Abänderungsverfahren zu berücksichtigen.
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Maßgebend für den aktuellen Ausgleich der neuen Anrechte sind daher die Ausgleichswerte des Antragstellers von 5,0340 Entgeltpunkten bei der D. Rentenversicherung N. und der Verstorbenen von 8,5987 Entgeltpunkten bei der D. Rentenversicherung B. S. Da die neuen Auskünfte ergeben haben, dass die Verstorbene nun ein höheres Anrecht hat als der Antragsteller kommt § 31 VersAusglG nicht zur Anwendung. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass eine Übertragung von Entgeltpunkten des Antragstellers auf die verstorbene frühere Ehefrau nicht mehr möglich ist. Der Antragsteller darf im Abänderungsverfahren nicht besser gestellt werden, als wenn der verstorbene Ehegatte noch leben würde. Die neuen Ausgleichswerte des Antragstellers und der verstorbenen Ehefrau sind daher zu saldieren. Damit ergibt sich (8,5987 Entgeltpunkte abzüglich 5,0340 Entgeltpunkten) eine auszugleichende Differenz von 3,5647 Entgeltpunkten. Die Hälfte hiervon ist intern auszugleichen. 1,7824 Entgeltpunkte sind damit vom Konto der Verstorbenen im Abänderungsverfahren auf das Konto des Antragstellers bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern zu übertragen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 FamGKG, § 81 Abs. 1 FamFG. Das Beschwerdeverfahren war unerlässlich, da der Antragsteller sich zu den erstinstanzlich erholten Auskünften nicht äußern konnte. Es ist daher sachgerecht von einer Auferlegung von Gerichtskosten abzusehen.
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Die Festsetzung des Verfahrenswertes folgt aus §§ 40, 50 FamGKG.
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Die Rechtsbeschwerde nach § 74 FamFG wird zugelassen, da bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist, ob im Abänderungsverfahren für die Ermittlung des Ehezeitanteils und Ausgleichswerts von einer fiktiven Vollrente des Verstorbenen auszugehen ist oder ob auch eine bis zum Zeitpunkt des Versterbens tatsächlich bezogene Erwerbsminderungsrente mit den entsprechenden Zuschlägen maßgeblich ist für die Ermittlung des Ehezeitanteils und Ausgleichswerts.