Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 23.09.2024 – 101 AR 92/24 e
Titel:

Kommanditgesellschaft, Gerichtsstandsbestimmung, Antragsgegner, Streitgenossenschaft, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Gesellschafterversammlung, Gesellschafterbeschluss, Treuepflichten, Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, Gesellschafterstrukturen, Rechtsstellung der Gesellschafter, Treuwidrigkeit, Komplementärgesellschaft, Beschlüsse, Allgemeiner Gerichtsstand, Gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung, Besonderer Gerichtsstand, Gemeinsamer besonderer Gerichtsstand, Subjektive Klagehäufung, Kartellschadensersatz

Schlagworte:
Gerichtsstandsbestimmung, Treuwidriges Abstimmungsverhalten, Schadensersatzansprüche, Streitgenossenschaft, Innere sachliche Zusammenhang, Gemeinsame Verhandlung, Zweckmäßigkeitserwägungen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24847

Tenor

Der Antrag auf Bestimmung des (örtlich) zuständigen Gerichts wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die 18 Antragstellerinnen begehren die Bestimmung des gemeinsam zuständigen Gerichts für eine gegen die acht Antragsgegner beabsichtigte Klage, mit der – auf treuwidriges Abstimmungsverhalten bei der gemeinsamen Gesellschafterversammlung vom 23. Mai 2023 gestützte – Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden sollen. Sie regen die Bestimmung des Landgerichts Nürnberg-Fürth an.
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Die Antragstellerinnen zu 1), 3), 5), 7), 9), 11), 13), 15) und 17) sind Kommanditgesellschaften, die Antragstellerinnen zu 2), 4), 6), 8), 10), 12), 14), 16) und 18) sind deren Komplementärgesellschaften mit beschränkter Haftung. Sie sind in den Bezirken der Landgerichte Nürnberg-Fürth (Antragstellerinnen zu 1]) und 2]), Frankenthal (Pfalz) (Antragstellerinnen zu 3]) und 4]), Frankfurt am Main (Antragstellerinnen zu 5]) und 6]), Essen (Antragstellerinnen zu 7]) und 8]), Köln (Antragstellerinnen zu 9]) und 10]), Hannover (Antragstellerinnen zu 11]) und 12]), Coburg (Antragstellerinnen zu 13]) und ]), Würzburg (Antragstellerinnen zu 15]) und 16]) und Hamburg (Antragstellerinnen zu ]) und 18]) ansässig. Die Antragsgegner sind Gesellschafter aller antragstellenden Gesellschaften. Der Antragsgegner zu 1), die Antragsgegnerin zu 3), die Antragsgegnerin zu 4) sowie die Antragsgegnerin zu 5) sind im Bezirk des Landgerichts Nürnberg-Fürth wohnhaft, der Antragsgegner zu 2) im Bezirk des Landgerichts Frankfurt am Main, die Antragsgegnerin zu 6) im Bezirk des Landgerichts Freiburg und die Antragsgegner zu 7) und 8) im Bezirk des Landgerichts Berlin II.
3
Zur Begründung ihres Antrags führen die Antragstellerinnen insbesondere aus, sie seien Gesellschaften der Unternehmensgruppe X, die sich mit … beschäftige. Neben ihnen, den Antragstellerinnen, gehöre zu dieser Unternehmensgruppe auch die X GmbH & Co. KG mit Sitz in Nürnberg (…), die inländische Produktionsgesellschaft der Gruppe. Bei den antragstellenden Kommanditgesellschaften (…) handele es sich um operativ tätige Vertriebsgesellschaften. Am 23. Mai 2023 habe auf entsprechende Einladung durch die jeweilige Geschäftsführung mit Schreiben vom 12. April 2023 eine gemeinsame außerordentliche Gesellschafterversammlung der inländischen Gesellschaften der Unternehmensgruppe X stattgefunden, darunter auch aller Antragstellerinnen. Unter TOP 4-6 und 4-7 seien bei sämtlichen antragstellenden Komplementärgesellschaften mit den Stimmen der Antragsgegner (75%) gegen die Stimmen der Gesellschafter des Stammes Y (25%) die Geschäftsführung anweisende Gesellschafterbeschlüsse gefasst worden, die in der Folge weisungsgemäß umgesetzt worden seien. Durch diese Beschlüsse seien in Abkehr von der bis dato praktizierten Handhabung innerhalb der Unternehmensgruppe X das operative Ergebnis der Kommanditgesellschaften in erheblichem Umfang schmälernde zusätzliche Zahlungspflichten jeweils an die X GmbH & Co. KG begründet worden. Die Antragstellerinnen beabsichtigten, mit einer gemeinsam zu erhebenden Klage die Antragsgegner auf Ersatz des bei der jeweiligen Kommanditgesellschaft entstandenen Schadens gerichtlich in Anspruch zu nehmen. Zwischen den Beteiligten bestehe folgende „Anspruchskonstellation“: Zum einen habe die jeweilige Komplementärin jeder betroffenen Kommanditgesellschaft einen „gleich gerichteten“ Schadensersatzanspruch gegen die Antragsgegner auf Leistung an diese Kommanditgesellschaft. Denn die Beschlussfassungen vom 23. Mai 2023 seien auf Ebene der antragstellenden Komplementär-Gesellschaften mbH erfolgt, die sich so ihrerseits gegenüber der jeweiligen Kommanditgesellschaft, deren Geschäfte sie führten, schadensersatzpflichtig gemacht hätten. Zum anderen hätten die Antragsgegner ihre Treuepflicht als Kommanditisten gegenüber den betroffenen Kommanditgesellschaften verletzt, indem sie auf Ebene der Komplementärgesellschaft die Geschäftsführer mehrheitlich zum Schaden der jeweiligen Kommanditgesellschaft zur Umsetzung der Beschlüsse vom 23. Mai 2024 verpflichtet hätten. Hieraus stünden mithin auch den jeweiligen Kommanditgesellschaften direkt Schadensersatzansprüche gegen die Antragsgegner als Kommanditisten zu (BGH, Urt. v. 5. Juni 1975, II ZR 23/74, BGHZ 65, 15).
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Die Voraussetzungen der Streitgenossenschaft seien erfüllt. Hinsichtlich des Schadens, der jeder einzelnen Kommanditgesellschaft entstanden sei, bestehe zwischen den Antragsgegnern die Rechtsgemeinschaft der Gesamtschuld, § 59 ZPO. Im Verhältnis der mehreren Schadensersatzansprüche zueinander bestehe Gleichartigkeit im Sinne von § 60 ZPO. Diese Vorschrift beruhe weitgehend auf Zweckmäßigkeitserwägungen und sei deshalb grundsätzlich weit auszulegen. Dies gestatte es, auch ohne Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend zu machenden Ansprüche Streitgenossenschaft anzunehmen, wenn diese Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stünden, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lasse. Im Interesse der Prozesswirtschaftlichkeit seien die Voraussetzungen des § 60 ZPO dann als erfüllt anzusehen, wenn eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zweckmäßig sei. Den Antragsgegnern sei vorliegend ein einheitliches und gleichartiges Fehlverhalten vorzuwerfen, weil sie im Rahmen einer gemeinsamen außerordentlichen Gesellschafterversammlung aller betroffenen Gesellschaften (die alle zur Unternehmensgruppe X gehörten) parallele und inhaltsgleiche Gesellschafterbeschlüsse gefasst hätten, die sich gleichgelagert und lediglich der Höhe nach teils unterschiedlich entsprechend den tatsächlichen Bemessungsgrundlagen bei der jeweiligen Kommanditgesellschaft auf eine Veränderung der finanziellen Konditionen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Kommanditgesellschaften auf Antragstellerseite und der X GmbH & Co. KG untereinander auswirkten. Die betroffenen Konzerngesellschaften hätten dabei eine beteiligungsidentische Gesellschafterstruktur und parallele, regelungsgleiche Gesellschaftsverträge bzw. Satzungen. Zwar könnte jede der klagenden Gesellschaften isoliert ihre Gesellschafter und Geschäftsführer einheitlich am Gerichtsstand der Mitgliedschaft (§ 22 ZPO) verklagen. Bei einer hier auf Aktivseite angedachten subjektiven Klagehäufung bestehe dagegen kein einheitlicher besonderer Gerichtsstand. Eine subjektive Klagehäufung auf Aktivseite sei sachgerecht, da sie im Vergleich zu einer Vielzahl von Einzelprozessen prozessökonomischer sowie kostengünstiger erfolgen könne und zudem divergierende Entscheidungen unterschiedlicher Gerichte zu einem gleichgelagerten Sachverhalt vermeide. Die höchstrichterliche Rechtsprechung wende auf diese Fälle § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO analog an, wenn die Voraussetzungen der §§ 60, 260 ZPO erfüllt seien.
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Auf den richterlichen Hinweis, es erscheine fraglich, ob die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung vorlägen, haben die Antragstellerinnen ihre Argumentation vertieft. Die von sämtlichen Antragsgegnern unterzeichnete Einladung vom 12. April 2023 zur Gesellschafterversammlung vom 23. Mai 2023 offenbare ein einheitliches und konzernübergreifendes Maßnahmenpaket, das die Antragsgegner mit ihrer 75-%Mehrheit bei allen betroffenen Gesellschaften gemeinsam geplant und durchgesetzt hätten. Dass der Beschlussantrag parallel und zeitgleich bei allen betroffenen Gesellschaften gemeinsam zur Abstimmung gebracht und einer „globalen Abstimmung“ unterworfen worden sei, sei ein deutliches Indiz für den inneren sachlichen Zusammenhang der Beschlussgegenstände. Im Verhalten der Antragsgegner bei Durchsetzung der Beschlussanträge zu TOP 4-6 und 4-7 vom 23. Mai 2023 liege eine Preisabsprache in der Unternehmensgruppe X für die verschiedenen betroffenen Konzerngesellschaften. Sämtliche Antragstellerinnen würden von den – personen- und beteiligungsidentischen – Gesellschaftern der Komplementärgesellschaften dominiert. Die Antragsgegner und Mehrheitsgesellschafter stimmten in sämtlichen Gesellschafterversammlungen der Unternehmensgruppe einheitlich ab und übten dadurch konzernweit ihre Leitungsmacht aus. Dass der Inhalt der Treuepflicht grundsätzlich für das individuelle Gesellschaftsverhältnis und die Rechte, Pflichten und Interessen innerhalb dieser Gesellschaft zu bestimmen sei, stehe somit vorliegend einer gerichtlichen Zuständigkeitsbestimmung analog § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht entgegen. Der für die Zuständigkeitsbestimmung notwendige innere sachliche Zusammenhang ergebe sich aus der parallelen, konzernweiten und inhaltsgleichen Durchsetzung eines Maßnahmenpakets – in Verfolgung des konzernübergreifenden Ziels der Begünstigung einer Konzerngesellschaft – durch die Antragsgegner als Mehrheitsgesellschafter.
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Die Antragsgegner sind dem Antrag entgegengetreten. Sie sind der Ansicht, die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO lägen nicht vor. Die beabsichtigte Klage führe zu keiner einheitlichen Erledigung oder gar Bindung in der Unternehmensgruppe und provoziere daher umfängliche Folgeprozesse. Dies sei auch Folge der Entscheidung der Gesellschafter der Familie Y, nicht die Beschlüsse vom 23. Mai 2023 anzufechten, sondern diese widerspruchslos zu vollziehen und dann selektiv gegen die Folgen des Vollzugs vorzugehen. Die hier im Streit stehenden Beschlüsse vom 23. Mai 2023 hätten für die jeweiligen Gesellschaften, in denen und für die sie gefasst worden sind, ebenso für die jeweiligen Gesellschafter, unterschiedliche Bedeutung. Vorsorglich beantragen die Antragsgegner, den Antragstellerinnen die Kosten des Bestimmungsverfahrens aufzuerlegen. Sie regen ferner vorsorglich an, das Landgericht Hannover oder das Landgericht Frankfurt am Main für zuständig zu erklären.
II.
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1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist für die Entscheidung über den Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung zuständig (§ 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO), weil die Antragsgegner ihren jeweiligen allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 13 ZPO) in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken haben, weshalb das für sie gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle befindet gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht über den Bestimmungsantrag, weil es bei noch nicht anhängigem Rechtsstreit zuerst um die Bestimmung des zuständigen Gerichts ersucht worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2008, X ARZ 105/08, NJW 2008, 3789 Rn. 10; BayObLG, Beschluss vom 13. Juni 2023, 102 AR 13/23, juris Rn. 10).
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2. Die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen nicht vor.
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a) Seinem Wortlaut nach erfasst § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nur Sachverhalte, in denen mehrere Beklagte im allgemeinen Gerichtsstand von einem der Beklagten verklagt werden sollen und ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand nicht besteht.
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Das Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO dient nicht dazu, für mehrere gegen einen der Streitgenossen erhobene Ansprüche einen einheitlichen Gerichtsstand zu schaffen, wenn ein solcher nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht vorgesehen ist (BayObLG, Beschluss vom 30. April 2019, 1 AR 30/19, juris Rn. 24; Beschluss vom 8. Oktober 1998, 1Z AR 59/98, juris Rn. 13). Die Möglichkeit einer Gerichtsstandsbestimmung ist nicht eröffnet für einen Rechtsstreit, in dem mehrere Streitgenossen als Kläger ihre behaupteten Ansprüche gegen einen Beklagten verfolgen und ein gemeinsam zuständiges Gericht hierfür nicht besteht; denn auf mögliche Fälle der aktiven Streitgenossenschaft kann § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht analog angewendet werden (BayObLG, Beschluss vom 30. April 2019, 1 AR 30/19, juris Rn. 25; OLG München, Beschluss vom 25. April 2018, 34 AR 62/18, NJW-RR 2018, 699 [juris Rn. 4]; OLG Hamm, Beschluss vom 21. März 2016, I-32 SA 9/16, juris Rn. 12; Toussaint in Beck OK ZPO, 53. Ed. Stand 1. Juli 2024, § 36 Rn. 12.1; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 36 Rn. 17; Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 36 Rn. 23).
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b) Im Streitfall beabsichtigen die Antragstellerinnen, mehrere Gesellschafter in Anspruch zu nehmen, sodass eine Gerichtsstandsbestimmung in Betracht kommt.
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Für eine Klage einer Kommanditgesellschaft gegen ihre Gesellschafter besteht der besondere Gerichtsstand nach § 22 ZPO am Sitz der Gesellschaft. Auch für eine Klage dieser Kommanditgesellschaft und ihrer Komplementärin, die ihren Sitz jeweils im Bezirk desselben Landgerichts haben, käme eine Gerichtsstandstandbestimmung wegen des besonderen Gerichtsstands nach § 22 ZPO selbst dann nicht in Betracht, wenn die beklagten Gesellschafter ihre allgemeinen Gerichtsstände in unterschiedlichen Landgerichtsbezirken haben.
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Die vorliegend beabsichtigte Prozessführung, nämlich die Verbindung von Klagen mehrerer Kommanditgesellschaften, die ihren Sitz in unterschiedlichen Landgerichtsbezirken haben, und ihrer jeweiligen Komplementärinnen, führt zum Verlust eines gemeinsamen besonderen Gerichtsstands. Dass das Fehlen eines gemeinschaftlichen besonderen Gerichtsstands der Beklagten erst durch die gemeinsame Klageerhebung bewirkt wird, steht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Ansprüchen auf Kartellschadensersatz (vgl. Beschluss vom 23. Oktober 2018, X ARZ 252/18 – Zuckerkartell, WuW 2019, 477), einer Gerichtsstandsbestimmung zwar nicht ohne weiteres entgegen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 30. April 2019, 1 AR 30/19, juris Rn. 23). Voraussetzung ist aber, dass nicht nur hinsichtlich jedes Klageanspruchs die Voraussetzungen einer Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite schlüssig vorgetragen sind, sondern dass auch zwischen den einzelnen Klageansprüchen ein Zusammenhang im Sinne der §§ 60, 260 ZPO besteht (BGH, WuW 2019, 477 Rn. 19 – Zuckerkartell). Davon gehen – zutreffend – auch die Antragstellerinnen aus.
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Diesen notwendigen Zusammenhang hat der Senat im Fall einer kollektiven Anspruchsverfolgung gegen die Kartellanten bejaht (vgl. Beschluss vom 30. April 2019, 1 AR 30/19, juris Rn. 30). Nur dieser Zusammenhang zwischen den einzelnen Klageansprüchen rechtfertigt eine Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zur Bestimmung des gesetzlichen Richters (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 12. November 2008, 1 BvR 2788/08, juris Rn. 9 ff.) in Fällen aktiver und passiver Streitgenossenschaft. Allein aus Gründen der Zweckmäßigkeit ist – unabhängig davon, ob eine gemeinsame Verhandlung vorliegend als zweckmäßig anzusehen wäre – eine Zuständigkeitsbestimmung nach dem klaren Gesetzeswortlaut nicht zulässig (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 2020, 1 AR 79/20, juris Rn. 17 und 27; vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 30. August 2024, 102 AR 99/24 e, juris Rn. 36; Beschluss vom 24. April 2024, 101 AR 15/24 e, juris Rn. 32; OLG Frankfurt, Beschluss vom 10. November 2022, 11 SV 32/22, juris Rn. 27; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 36 Rn. 37). Soweit eine ältere Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (Beschluss vom 22. Februar 1990, AR 1Z 12/90, NJW-RR 1990, 742), auf die sich die Antragstellerinnen beziehen (Bl. 48 d. A.), dahin zu verstehen sein könnte, es sei nur darauf abzustellen, ob eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zweckmäßig sei, hat das Gericht daran in seiner neueren Rechtsprechung nicht festgehalten.
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c) § 60 ZPO ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weit auszulegen. Für das Vorliegen einer Streitgenossenschaft nach § 60 ZPO genügt es, wenn die geltend gemachten Ansprüche in einem inneren Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2020, X ARZ 156/20. NJW-RR 2020, 1070 Rn. 12; Beschluss vom 6. Juni 2018, X ARZ 303/18, NJW 2018, 2200 Rn. 12 jeweils m. w. N.). Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof – in einem obiter dictum – beispielsweise das Vorliegen einer einfachen aktiven Streitgenossenschaft bei (ehemaligen) Mietern einer Wohnanlage angenommen, die gemeinsam gegen ihre Vermieterin auf Feststellung geklagt hatten, dass die Kosten für die Abfallentsorgung nicht aufgrund der inhaltsgleichen Regelungen in den Mietverträgen als Betriebskosten auf sie umgelegt werden können. Unerheblich sei insofern, dass es sich nicht um ein einheitliches Mietverhältnis handele; denn die Kläger machten im Wesentlichen gleichartige Ansprüche und Sachverhalte geltend (BGH, Urt. v. 25. Januar 2023, VIII ZR 230/21, juris Rn. 22).
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Die bloße sachliche Ähnlichkeit des Geschehensablaufs und des wirtschaftlichen Hintergrunds genügt dagegen nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 1991, X ARZ 10/91, MDR 1991, 709 [juris Rn. 2]; BayObLG, Beschluss vom 30. August 2024, 102 AR 99/24 e, juris Rn. 30; Beschluss vom 28. Oktober 2020, 1 AR 79/20, juris Rn. 25; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Februar 2023, 11 UH 3/23, juris Rn. 13; OLG Braunschweig, Beschluss vom 11. März 2020, 9 W 5/20, juris Rn. 2; Weth in Musielak/Voit, ZPO, § 60 Rn. 7; Jacoby in Stein, ZPO, 24. Aufl. 2024, § 60 Rn. 2; Bünnigmann in Anders/Gehle, ZPO, 82. Aufl. 2024, § 60 Rn. 3).
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d) Im Streitfall fehlt es an dem inneren Zusammenhang zwischen den Ansprüchen der neun Kommanditgesellschaften und ihren jeweiligen Komplementärinnen, die mit der Verletzung der – sich aus dem jeweiligen Gesellschaftsvertrag ergebenden – Treuepflicht begründet werden.
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Die Schadensersatzansprüche werden auf das treuwidrige Abstimmungsverhalten der Antragsgegner in neun verschiedenen Gesellschafterversammlungen der antragstellenden Komplementärgesellschaften mbH gestützt. Dass in einer gemeinsamen Gesellschafterversammlung inhaltsgleiche Beschlüsse gefasst wurden, genügt nicht, um den für § 60 ZPO erforderlichen inneren Zusammenhang zu begründen. Entscheidend ist vielmehr, ob zwischen den den jeweiligen Gesellschafter treffenden Treuepflichten, auf deren Verletzung der Anspruch gestützt wird, ein innerer Zusammenhang besteht.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht in einer GmbH sowohl zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern als auch unter den Mitgesellschaftern eine wechselseitige Treuepflicht. Diese verpflichtet im Verhältnis zur Gesellschaft zur Förderung und Verwirklichung des gemeinsamen Zwecks und zum Unterlassen schädlicher Eingriffe. Der Kern des Treuepflichtgedankens, soweit er im Kapitalgesellschaftsrecht allgemein Geltung beanspruchen kann, besteht darin, dass die Möglichkeit, durch Einflussnahme die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter zu beeinträchtigen, als Gegengewicht die gesellschafterliche Pflicht verlangt, auf diese Interessen Rücksicht zu nehmen (BGH, Urt. v. 8. November 2022, II ZR 91/21, BGHZ 235, 57 Rn. 27 m. w. N.).
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Zwischen den Klageansprüchen, die die Antragstellerinnen zu 2), 4), 6), 8), 10), 12) 14), 16) und 18) in einer gemeinsamen Klage geltend machen möchten, fehlt es am inneren Zusammenhang, da die gesellschafterliche Treupflicht Inhalt eines bestimmten einzelnen Gesellschaftsverhältnisses ist (BGHZ 65, 15 [juris Rn. 13]). Der Inhalt der Treuepflicht ist jeweils nach den Verhältnissen im konkreten Anwendungsfall zu bestimmen, wobei der satzungsgemäße Zweck der Gesellschaft, ihre Struktur, die Rechtsstellung der Gesellschafter und die Funktion des auszuübenden Rechts von Bedeutung sind (BGHZ 235, 57 Rn. 28).
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Nach dem im Bestimmungsverfahren der Entscheidung zugrunde zu legenden Vorbringen der Antragstellerinnen sind die Satzungen der oben genannten Antragstellerinnen zwar parallel ausgestaltet und die Beteiligungsquoten der Antragsgegner identisch, die konkrete Situation der einzelnen Gesellschaften kann sich gleichwohl unterschiedlich darstellen. Hinsichtlich jeder Beschlussfassung muss eine gesonderte Beurteilung erfolgen, ob das Abstimmungsverhalten der Antragsgegner in der konkreten Gesellschafterversammlung der Antragstellerinnen zu 2), 4), 6), 8), 10), 12) 14), 16) und 18) als treuwidrig anzusehen ist.
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Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5. Juni 1975 (BGHZ 65, 15) ergibt sich nichts anderes. Dort ging es um die Frage, ob die beklagte Mehrheitsgesellschafterin einer GmbH, die als Komplementärin an zwei Kommanditgesellschaften zu jeweils 60% beteiligt war, mit der Durchsetzung einer Geschäftsführungsmaßnahme (von den Kommanditgesellschaften an eine 100%ige Tochtergesellschaft der Beklagten zu zahlende Konzernumlage) eine gegenüber dem Minderheitsgesellschafter in der GmbH bestehende Rechtspflicht zur Rücksichtnahme verletzt hat. Die beklagte Mehrheitsgesellschafterin der GmbH war nicht an den Kommanditgesellschaften beteiligt, während der klagende Minderheitsgesellschafter sowohl an der GmbH als auch an den Kommanditgesellschaften beteiligt war. Der Bundesgerichtshof hat die Frage bejaht. Ohne Bedeutung sei insbesondere, dass der Beklagten als Folge ihrer Einflussnahme auf die GmbH-Geschäftsführung der angestrebte Sondervorteil nicht aus dem GmbH-Vermögen, sondern aus dem Vermögen der Kommanditgesellschaften zugeflossen sei. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht sei zwar stets Inhalt eines bestimmten einzelnen Gesellschaftsverhältnisses und deshalb grundsätzlich auch nur auf Rechte, Pflichten und Interessen innerhalb dieser Gesellschaft bezogen. Bei einem Fall der vorliegenden Art müsse aber von einer Treuepflicht ausgegangen werden, die über die Gesellschaft hinausweise, deren gemeinsame Mitglieder die Beteiligten sind. Denn die GmbH sei gerade zur Leitung des Verbundes von (rechtlich selbständigen) Unternehmen eingesetzt, an denen die Parteien vermögensmäßig unmittelbar oder mittelbar beteiligt seien, sodass sich der wesentliche Teil ihrer Geschäftstätigkeit in den angeschlossenen Gesellschaften verwirkliche. Die beiden Kommanditgesellschaften seien organisatorisch von der GmbH abhängig und unter deren einheitlicher Leitung in der Weise zusammengefasst, dass die GmbH in ihnen die ausschließliche Geschäftsführungsbefugnis innehabe (BGHZ 65, 15 [juris Rn. 13]). Die Entscheidung enthält jedoch keine Aussage darüber, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Ansprüche mehrerer Gesellschaften, an denen dieselben Gesellschafter beteiligt sind, gemeinsam geltend gemacht werden können.
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Nicht gefolgt werden kann der Ansicht der Antragstellerinnen, der innere Zusammenhang ergebe sich daraus, dass die Antragsgegner ihre Leitungsmacht durch inhaltsgleiche Weisungsbeschlüsse gegenüber den Komplementärinnen umgesetzt hätten, und die Konstellation sei somit mit den in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entschiedenen Fällen zum Kartellschadensersatz vergleichbar.
24
Innerhalb der insbesondere durch die Treuepflicht gezogenen Grenzen kann jeder Gesellschafter nach eigenem Ermessen abstimmen. Ein Gesellschafterbeschluss kommt mit der Mehrheit der Stimmen zustande. Dass Gesellschafter gleich abstimmen, ist somit nicht Ausdruck einer „Absprache“. Im Streitfall hat keiner der Gesellschafter alleine die Mehrheit in der Gesellschaft; die Beteiligungsquoten der Antragsgegner liegen zwischen 4% und 25%.
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3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (BayObLG, Beschluss vom 12. Juni 2019, 1 AR 12/18, NJW-RR 2019, 957 Rn. 5).