Inhalt

OLG München, Beschluss v. 09.02.2024 – 23 U 6280/21
Titel:

Kein Feststellungsinteresse in Diesel-Fall (hier: Wohnmobil)

Normenkette:
ZPO § 139 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, § 256, § 522 Abs. 2, § 524 Abs. 4
Leitsätze:
1. Zum Feststellungsinteresse des Käufers bezüglich der Schadensersatzpflicht des Verkäufers eines angeblich mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehenen Wohnmobils. (Rn. 8 – 25)
2. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach ein Kläger sein Feststellungsinteresse wegen einer möglicherweise noch nicht abgeschlossenen Schadensentwicklung nicht auf Aspekte stützen kann, die nur bei der Wahl einer Berechnungsart zum Schadensersatz (großer/kleiner Schadensersatz) relevant werden, wenn er bewusst von einer Entscheidung für diese Berechnungsart abgesehen hat (BGH Urt. vom 22. Februar 2022 – VI ZR 415/20, BeckRS 2022, 4976 Rn. 10; NJW-RR 2022, 23 Rn. 16-19, 33), findet auch beim Kauf von Wohnmobilen Anwendung. Die Entscheidung für eine Berechnungsart des Schadensersatzes ist dem Käufer eines Wohnmobils nicht ohne Weiteres aufgrund der Marktentwicklung, von behaupteten Lieferengpässen oder wegen einer behaupteten fehlenden Möglichkeit zur Nachbesserung unmöglich oder unzumutbar. (Rn. 9 und 11)
3. Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur rechtlich unsicheren Bewertung von Thermofenstern (BGH Urt. v. 01.12.2022 – VII ZR 359/21, BeckRS 2022, 37681 Rn. 23; NJW-RR 2023, 802 Rn. 18) kann der Kläger in Fällen, in denen das Angebot eines bislang nicht existenten Software-Updates durch den Fahrzeughersteller noch völlig ungewiss ist, kein prozessuales Feststellungsinteresse ableiten. (Rn. 13)
4. Das Feststellungsinteresse muss als Sachentscheidungsvoraussetzung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegen. Die bloße Vertretbarkeit der klägerischen Auffassung reicht nicht aus. (Rn. 20)
1. Vgl. auch zu "Diesel-Wohnmobilen" mit unterschiedlichen Ergebnissen: OLG Brandenburg BeckRS 2024, 9875; OLG Celle BeckRS 2022, 43622; BeckRS 2022, 14792; BeckRS 2022, 30920; BeckRS 2023, 30810; OLG Dresden BeckRS 2023, 26614; BeckRS 2023, 33285; BeckRS 2022, 26251; LG Hildesheim BeckRS 2022, 14793; LG Meiningen BeckRS 2022, 7390; LG Köln BeckRS 2022, 22798; LG Passau BeckRS 2022, 27776; LG Ravensburg BeckRS 2022, 4599; LG Saarbrücken BeckRS 2022, 7472. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Klageerweiterung in der Berufungsinstanz hindert die Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen Beschluss (§ 522 Abs. 2 ZPO) nicht. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Wohnmobil, unzulässige Abschalteinrichtung, Feststellungsinteresse, Schadensersatz, Klageerweiterung, Software-Update, Nutzungsentschädigung, Rechtsschutzbedürfnis, Prozesswirtschaftlichkeit
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 30.07.2021 – 18 O 835/21
Weiterführende Hinweise:
Ein Rechtsmittel ist bislang nicht bekannt geworden
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24728

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 30.07.2021, Aktenzeichen 18 O 835/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 67.979,00 € festgesetzt.

Gründe

Sachverhalt:
1
Der Kläger macht gegen die Beklagte, die niederländische Muttergesellschaft eines Automobil- und Motorherstellers in der Rechtsform einer B.V., einen Schadensersatzanspruch aufgrund einer behaupteten Abgasmanipulation bei einem von ihm erworbenen Wohnmobil geltend. Der Kläger behauptet, das Fahrzeug weise eine Vielzahl von unzulässigen Abschalteinrichtungen auf. Außerdem sei minderwertige Hardware verbaut worden, die nicht die vorgeschriebene Dauerhaltbarkeit aufweise. Die Beklagte habe den im Fahrzeug verbauten Motor entwickelt und eingesetzt und hafte unter anderem unter dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt festzustellen, dass die Beklagtenpartei zur Leistung von Schadensersatz „für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs […] durch die Beklagtenpartei resultieren“, verpflichtet ist. An der Antragstellung hat der Kläger auch nach Hinweis des Landgerichts, dass die erhobene Feststellungsklage für unzulässig erachtet wird, festgehalten. Daraufhin hat das Landgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Der Klageantrag sei zu unbestimmt. Ferner habe der Kläger den Vorrang der Leistungsklage nicht beachtet. Der Kläger verfolgt sein ursprüngliches Klageziel mit der Berufung weiter. Hilfsweise hat er erstmals in der Berufungsinstanz weitere Leistungs- und Feststellungsanträge gestellt.
I.
2
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 30.07.2021 Bezug genommen.
3
Im Berufungsverfahren beantragt die Klagepartei:
1. Das Urteil des Landgerichts München I – 18 O 835/21 vom 30.07.2021 wird aufgehoben und abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs des Modells M. des Herstellers […] mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) […] durch die Beklagtenpartei resultieren.
Hilfsweise, für den Fall, dass das Berufungsgericht den Hauptantrag für unbestimmt bzw. unzulässig hält, wird folgender Antrag gestellt:
3. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, der Klägerpartei einen Betrag bezüglich des Fahrzeugs des Modells M. des Herstellers […] mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) […], dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens 16.994,75 € betragen muss, zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerpartei weiteren Schadensersatz, der über den Minderungsbetrag hinausgeht, zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagte in dem Fahrzeug des Modells M. des Herstellers mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) […]
a) unzulässige Abschalteinrichtungen z.B.
- in Gestalt einer Funktion, welche durch Bestimmung der Außentemperatur die Parameter der Abgasrückführung so verändert, dass die Abgasrückführung nur innerhalb eines Temperaturrahmens zwischen 20°C und 30°C und nur auf dem Prüfstand optimal funktioniert, während unterhalb 20°C bis 5°C sowie außerhalb der NEFZ-Prüfsituation eine stufenweise Abrampung der Abgasrückführungsrate bis hin zur kompletten Reduktion auf Null erfolgt (sog. Thermofenster),
- in Gestalt einer Abschaltlogik, welche die Abgasrückführungsrate nach 22 Minuten nach dem Motorstart und dem Beginn des NEFZ-Modus auf Null reduziert,
- in Gestalt einer Hysterese, welche alle 10 Sekunden nach dem Auftreten einer oder mehrerer der nachfolgenden Störgrößen sucht, sodass gegebenenfalls nach 15 Sekunden oder nach einer Häufigkeit von 5 Mal oder mehr die Abgasreinigung eingestellt wird, wobei es sich bei diesen Störgrößen um
- einen Lenkwinkel größer als 30°,
- eine Geschwindigkeit an der Hinterachse größer als 3,9 km/h,
- eine Gaspedal-Stellung größer als 80,00049% handelt
oder
- in Gestalt eines weiteren Timers, welcher nach 4 Minuten nach Auftreten einer oder mehrerer der nachfolgenden Störgrößen die Abgasreinigung einstellt, wobei es sich bei diesen Störgrößen um
- ein Drehmoment über 34 kW (höher als 300/340 Nm),
- eine Geschwindigkeit, welche die für den NEFZ-Zyklus typische Geschwindigkeit überschreitet und auf ein Verlassen der Prüfsituation hindeutet,
- einen Bremsvorgang, welcher öfter als 20 Mal erfolgt, handelt,
- in Gestalt noch zusätzlicher Timer-Strategien, welche durch das Einbringen von Zeitpuffer sicherstellen sollen, dass die Abgasreinigung nicht vorschnell trotz andauernder Prüfsituation abgeschaltet wird,
- in Gestalt eines AGR-Kennfeldes, welches sicherstellen soll, dass die Abgasreinigung im Straßenverkehr auch innerhalb des o.g. Thermofensters ausgeschaltet wird,
verbaut hat, mit ihrer Billigung oder auf ihre Anweisung hin verbaut wurden und hierdurch die Emissionen bei der Typenprüfung Typ 1 besonders effektiv reduziert wurden, aber außerhalb der Bedingungen, wie sie bei der Typenprüfung Typ 1 herrschen, nicht in derselben Art und Weise eingesetzt werden.
b) ein On-Board-Diagnosesystem einsetzt, welches dahingehend programmiert war, die Erhöhung der Emissionswerte infolge der Abschaltung der Abgasrückführungsrate entgegen der bestehenden gesetzlichen Überwachungspflicht in Bezug auf die abgasbeeinflussenden Systeme nicht anzuzeigen.
5. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von jeweils € 3.515,26 freizustellen.
Hilfsweise wird beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht München I zurückzuverweisen.
4
Der Senat hat mit Beschluss vom 18.09.2023 (Bl. 313/318 d. A.) darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Hierauf hat die Klagepartei mit Schriftsatz vom 14.11.2023 (Bl. 319/333 d. A.) eine Gegenerklärung abgegeben.
II.
5
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 30.07.2021, Aktenzeichen 18 O 835/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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1. Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache offensichtlich keinen Erfolg. Das Landgericht hat den erstinstanzlich allein zur Entscheidung gestellten Feststellungsantrag zutreffend als unzulässig abgewiesen. Es kann dahinstehen, ob die Klage, wie das Erstgericht meint, wegen fehlender Bestimmtheit abzuweisen ist. Jedenfalls fehlt das gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.
7
Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis alsbald festgestellt werde. Ein solches Interesse ist gegeben, wenn dem konkreten vom Feststellungsantrag betroffenen Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und der erstrebte Feststellungsausspruch geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen. Allerdings fehlt grundsätzlich das Feststellungsinteresse, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann. Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm das Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem einzigen Prozess klären kann. Es besteht jedoch keine allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage. Vielmehr ist eine Feststellungsklage trotz der Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben, zulässig, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt (BGH WM 2021, 2208; Urteil vom 02.06.2022 – VII ZR 340/20, BeckRS 2022, 16872 Rn. 11). Wenn eine Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen, ein Teil des Schadens bei Klageerhebung also schon entstanden, die Entstehung weiterer Schäden aber noch zu erwarten ist, kann der Kläger in vollem Umfange Feststellung der Ersatzpflicht begehren. Der Kläger kann in einem solchen Falle nicht hinsichtlich des bereits entstandenen Schadens auf eine Leistungsklage verwiesen werden. Auf die Wahrscheinlichkeit der Schadensentwicklung kommt es insofern nicht an. Der Kläger ist also nicht gehalten, sein Klagebegehren in einen Leistungs- und einen Feststellungsantrag aufzuspalten. Der Kläger muss dann auch nicht nachträglich seinen Feststellungsantrag in einen Leistungsantrag abändern, wenn dies aufgrund der Schadensentwicklung im Laufe des Rechtsstreits möglich würde, weil sich der Anspruch beziffern ließe (BGH, NJW-RR 2022, 23 Rn. 25 m. w. N.; Urteil vom 02.06.2022 – VII ZR 340/20, BeckRS 2022, 16872 Rn. 11).
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Vor diesem Maßstab fehlt der von der Klagepartei erhobenen Feststellungsklage das Feststellungsinteresse.
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1.1. Die Klagepartei kann das Feststellungsinteresse nicht damit begründen, dass sie sich offenhalten will, ob sie den sogenannten großen oder kleinen Schadensersatz verlangt (BGH Urteil vom 22. Februar 2022 – VI ZR 415/20, BeckRS 2022, 4976 Rn. 10; NJW-RR 2022, 23 Rn. 16-19). Diese Entscheidung war ihr bei Klageerhebung und spätestens in der mündlichen Verhandlung in erster Instanz zumutbar. Auf Aspekte, die nur bei der Wahl einer Berechnungsart zum Schadensersatz (großer/kleiner Schadensersatz) relevant werden, kann sich die Klagepartei bei bewusstem Absehen von einer Entscheidung für diese Berechnungsart nicht berufen, um ein Feststellungsinteresse aus der möglicherweise noch nicht abgeschlossenen Schadensentwicklung herzuleiten. Eine solche Unsicherheit vermag das Feststellungsinteresse nicht zu begründen (BGH NJW-RR 2022, 23 Rn. 33). Das betrifft insbesondere den klägerischen Vortrag zu etwaigen Stilllegungskosten und Rechtsverteidigungskosten gegen eine Stilllegungsanordnung und Steuernachforderungen, die bei Wahl des kleinen Schadensersatzes nicht relevant werden.
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Gegen diese im Hinweisbeschluss dargelegte Rechtsauffassung des Senats hat sich die Gegenerklärung nicht gewandt.
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1.2. Die Klagepartei meint in der Berufungsbegründung und im ergänzenden Schriftsatz vom 03.12.2021 (Bl. 279b/279e d. A.), die Besonderheiten der Sachverhaltskonstellation bei einem […] Wohnmobil machten die Wahl einer Berechnungsart und den Vortrag der Tatsachenbasis zur Berechnung des gewählten Schadensersatzes unzumutbar. Dazu weist die Klagepartei insbesondere auf die Marktentwicklung und Lieferengpässe im Wohnmobilmarkt hin, weshalb bei extrem hoher Nachfrage mehrjährige Wartezeiten für neue Wohnmobile aufträten. Diese Behauptung ist bereits nicht hinreichend substantiiert – es ist nicht nachvollziehbar, dass ein bestimmtes Wohnmobil tatsächlich nicht innerhalb einer angemessenen Frist verfügbar wäre. Des Weiteren hält der Senat eine gewisse Wartezeit auch nicht für eine unzumutbare Belastung […], zumal die Klagepartei derzeit ein Wohnmobil im Gebrauch hat. Wieso es der Klagepartei aufgrund „der bestehenden Reisebeschränkungen … nicht mehr möglich“ sein soll, „in den Urlaub zu fahren“, kann nicht nachvollzogen werden. Im Übrigen legt die Klagepartei mit Marktentwicklung und Wartezeiten sowie den – vollkommen in der Luft schwebenden – Mutmaßungen, ob eine Nachbesserung bei einem Wohnmobil auf […]-Basis überhaupt sinnvoll möglich ist, Aspekte dar, die bei der Entscheidung für eine der beiden Berechnungsarten (kleiner/großer Schadensersatz) relevant sind, die aber nicht die Notwendigkeit zur Wahl unzumutbar machen.
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Auch gegen diese im Hinweisbeschluss dargelegte Rechtsauffassung des Senats hat sich die Gegenerklärung nicht gewandt.
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1.3. Weiterhin kann ein Feststellungsinteresse nicht mit der Unsicherheit begründet werden, die durch ein noch nicht existentes, aber – wie die Klagepartei meint – drohendes Software-Update begründet wird. In diesem Zusammenhang kann sich die Klagepartei nicht auf die Rechtsprechung des BGH zur Möglichkeit weiterer Schadensfolgen stützen, die bei Implementierung eines Thermofensters in ein Software-Update entstehen. In den entschiedenen Fällen stand fest, dass das Software-Update ein Thermofenster beinhaltet. Der BGH schloss aus der rechtlich unsicheren Bewertung von Thermofenstern nach der jüngeren EuGH-Rechtsprechung auf die – ausreichende – Möglichkeit für den Eintritt weiterer Schäden (BGH Urt. v. 01.12.2022 – VII ZR 359/21, BeckRS 2022, 37681 Rn. 23; NJW-RR 2023, 802 Rn. 18).
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1.3.1. Der Auffassung der Klagepartei, dass die vorstehende Rechtsprechung im Streitfall aufgrund des (noch) nicht existenten Software-Updates erst recht ein Feststellungsinteresse begründe, trägt nicht. Vorliegend ist ein Software-Update bereits fraglich und angesichts des bisherigen Verhaltens der Aufsichtsbehörden eher zweifelhaft; jedenfalls ist es reine Spekulation und eher nicht realistisch, dass nunmehr, da die rechtlichen Vorgaben durch den EuGH geklärt sind, im Falle eines späteren Rückrufs ein dann von den Aufsichtsbehörden freigegebenes Update ein unzulässiges Thermofenster beinhalten könnte. Dieser Vortrag ist ersichtlich willkürlich und vermag ein Feststellungsinteresse nicht zu begründen. Dass das Fahrzeug heute ein Thermofenster beinhaltet, verursacht hingegen keine relevante Unsicherheit im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung.
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1.3.2. Hinzu kommt, dass sich die Klagepartei auch auf diesen Aspekt nicht berufen kann, weil sie bewusst von einer Entscheidung für die Berechnung des Schadensersatzes als großen Schadensersatz abgesehen hat (oben Nr. 1.1; BGH NJW-RR 2022, 23 Rn. 31).
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1.4. Nicht begründet werden kann eine Schadensentwicklung unabhängig von der Berechnungsart mit einer vermeintlichen Europarechtswidrigkeit der Vorteilsanrechnung von Nutzungsentschädigungen. Insoweit verkennt die Klagepartei das Wesen einer nachträglichen Rechtserkenntnis, die nicht eine – tatsächliche – nachträgliche Schadensentwicklung begründet.
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Auch wenn die Klagepartei offenbar auf eine Korrektur der aus ihrer Sicht falschen nationalen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Anrechnung des Nutzungsersatzes gehofft hat, entband sie das nicht von der Einhaltung des Prozessrechts. Eine Feststellungsklage dient nicht dazu, sich unter Ausklammerung streitiger oder „lästiger“ Teilrechtsfragen eines Rechtsstreits die Rechtslage weiter „offen zu halten“. Soweit die Klagepartei die gefestigte nationale Auffassung zur Anrechnung von Nutzungsvorteilen für europarechtswidrig hält, ist sie auf die ordnungsgemäßen prozessualen Mittel (insbesondere Herbeiführen einer Vorlage im Vorabentscheidungsverfahren oder einer Verfahrensaussetzung) zu verweisen.
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1.5. Schließlich kann sich die Klagepartei nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Rechtslage zum Feststellungsinteresse bei Klageerhebung nicht geklärt gewesen sei. Offenbar will die Klagepartei ein Feststellungsinteresse dann bejahen, wenn ein solches zwar objektiv nicht vorliegt, aber dies im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht höchstrichterlich geklärt und deshalb die Anerkennung des Feststellungsinteresses zumindest vertretbar war.
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Diesem Ansinnen ist unabhängig davon, ob man die klägerische Rechtsauffassung zum Feststellungsinteresse als vertretbar anerkennt oder nicht, nicht zu folgen.
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Dass eine bloße Vertretbarkeit der klägerischen Rechtsauffassung im Zeitpunkt der Klageerhebung ausreichen sollte, findet keinen Anhaltspunkt im Wortlaut des § 256 ZPO, der klarstellt, dass ein Interesse an alsbaldiger Feststellung tatsächlich vorhanden sein muss. Wie grundsätzlich bei Sachurteilsvoraussetzungen muss auch das Feststellungsinteresse bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegen (MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, ZPO § 256 Rn. 37; Musielak/Voit/Foerste, 20. Aufl. 2023, ZPO § 256 Rn. 7). Aus der vorzitierten BGH-Rechtsprechung, wonach ein bei Klageerhebung bestehendes Feststellungsinteresse nicht dadurch entfällt, weil bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung der Schaden abschließend beziffert werden kann (BGH NJW 1999, 3774 Rn. 19; GRUR 2018, 832 Rn. 54; NJW-RR 2022, 23 Rn. 25), folgt nichts anderes. In jenem Fall geht es um geänderte sachliche bzw. rechtliche Umstände. Vorliegend steht eine Erkenntnis über die Rechtslage inmitten, die – auch wenn es hierzu anfangs abweichende Stimmen gab – bereits bei Klageerhebung Gültigkeit hatte und die lediglich erst im Nachhinein höchstrichterlich bestätigt wurde; nach dieser Rechtserkenntnis fehlte – schon bei Klageerhebung und noch bei Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz – das Feststellungsinteresse.
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Würde man trotz objektiv fehlenden Feststellungsinteresses die bloße Vertretbarkeit der klägerischen Annahmen ausreichen lassen, würde das der Filterfunktion der Sachurteilsvoraussetzung als qualifizierte Form des Rechtsschutzbedürfnisses zuwiderlaufen.
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Der BGH hat die von der Klagepartei postulierte Erweiterung des Feststellungsinteresses in keiner der bekannt gewordenen Entscheidungen zur Frage des Feststellungsinteresses bei Diesel-Klagen (vgl. etwa BGH NJOZ 2023, 815; Urt. v. 1.12.2022 – VII ZR 359/21, BeckRS 2022, 37681) thematisiert, obwohl das bei der in jeder Verfahrenslage und damit auch im Revisionsverfahren jederzeit amtswegig zu prüfenden Sachurteilsvoraussetzung geboten gewesen wäre, wenn die klägerische Ansicht Berechtigung hätte.
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1.6. Schließlich ist die von der Klagepartei geforderte Ausweitung des Feststellungsinteresses nicht zum Schutz der Klagepartei geboten. Geschützt ist die Klagepartei, indem aus Gründen des Vertrauensschutzes und wegen des Anspruchs der Parteien auf ein faires Gerichtsverfahren vor der endgültigen Abweisung der Klage als unzulässig ein richterlicher Hinweis auf das Fehlen des Feststellungsinteresses gem. § 139 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 ZPO geboten ist (BGH NJW 2016, 2508; NJW 2017, 2623; Hinweisbeschl. v. 01.08.2022 – VIa ZR 110/21, BeckRS 2022, 24276 Rn. 22 m. w. N.).
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Ein solcher Hinweis ist bereits in erster Instanz erfolgt und musste daher nicht erneut in der Berufungsinstanz erteilt werden: Das Landgericht hat mit Verfügungen vom 01.03.2021 (Bl. 105 d. A.) und vom 25.03.2021 (Bl. 127 d. A.) darauf hingewiesen, dass die erhobene Feststellungsklage unzulässig ist und hierbei insbesondere durch Hinweis auf den Vorrang der Leistungsklage zu verstehen gegeben, dass das Feststellungsinteresse fehlt. Der Hinweis auf den Vorrang der Leistungsklage zeigte zugleich eine mögliche Abhilfe auf, nämlich die (zumindest hilfsweise) Erhebung einer auf einen großen/kleinen Schadensersatz gerichteten Leistungsklage. Auf den Hinweis hat die Klagepartei mit Schriftsatz vom 06.04.2021 (S. 6/11, Bl. 135/140 d. A.) umfangreich Stellung genommen, aber in erster Instanz nicht die Klageanträge und sei es auch nur hilfsweise angepasst. Es hätte der Klagepartei jederzeit freigestanden, zur Abmilderung der rechtlichen Risiken der von ihr entgegen richterlichem Hinweis in erster Instanz eingenommenen Rechtshaltung eine entsprechende Klageänderung vorzunehmen. Dass dies möglich gewesen wäre, zeigen die (Hilfs-) Berufungsanträge. Dies hat die Klagepartei aber erstinstanzlich unterlassen.
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Insofern wird die Klagepartei durch die Zurückweisung der Berufung nicht, wie die Gegenerklärung meint, dafür „bestraft“, dass sie nunmehr die BGH-Rechtsprechung einhält. Vielmehr ist die Zurückweisung die Konsequenz daraus, dass die Klagepartei den richterlichen Hinweis in erster Instanz nicht beachtet und eine unzulässige Klage zur Entscheidung gestellt hat.
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2. Die übrigen Voraussetzungen für eine Beschlusszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu; weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts, und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten. Insbesondere zeigt die Gegenerklärung keine in der höchstrichterlichen Rechtsprechung ungeklärten Rechtsfragen auf. Dies gilt namentlich für die von der Klagepartei postulierte, aber nicht anzuerkennende Aufweitung des Feststellungsinteresses (vgl. oben Nr. 1.5).
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3. Soweit die Klagepartei erstmals in der Berufungsinstanz weitere Anträge hilfsweise zur Entscheidung gestellt hat (Berufungsbegründung vom 05.10.2021, Bl. 245/246 d. A.), war hierüber entgegen dem Vorbringen in der Gegenerklärung nicht mehr zu entscheiden.
28
Es handelt sich um eine Klageerweiterung. Diese Klageerweiterung hindert die Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen Beschluss nicht (BGH NJW 2015, 251; NJW-RR 2017, 56 Rn. 14).
29
Wird die den erstinstanzlichen Streitgegenstand betreffende Berufung durch einen einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, verliert die Klageerweiterung entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung (BGH NJW 2016, 2508 Rn. 11; NJW-RR 2017, 56 Rn. 14 je m. w. N.; ausführlich und explizit zu § 264 Nr. 2 ZPO OLG Nürnberg NJOZ 2006, 4222 [4227 ff.]). Ansonsten stünde nicht zuletzt die Durchführung des Zurückweisungsverfahrens nach § 522 Abs. 2 ZPO faktisch zur Disposition der in erster Instanz unterlegenen Partei, die es in der Hand hätte, durch eine auch nur geringfügige Erweiterung des auf den unveränderten Lebenssachverhalt gestützten Klageantrags eine mündliche Verhandlung zu erzwingen, selbst wenn die Berufung gegen den unveränderten Antrag keine Aussicht auf Erfolg hat (OLG Nürnberg NJOZ 2006, 4222 [4228 f.]).
30
Vorliegend greift auch kein Ausnahmefall zum Schutz des Anspruchs der Klagepartei auf Durchführung eines fairen Verfahrens ein (BGH NJW 2016, 2508; NJW 2017, 2623). Insbesondere war der Klagepartei nicht aufgrund eines erstmals in der Berufungsinstanz erfolgten Hinweises auf die Unzulässigkeit des von ihr erstinstanzlich gestellten Klageantrags die Möglichkeit zur Modifikation ihrer Klageanträge einzuräumen. Vielmehr hatte das Erstgericht hierauf bereits in ausreichendem Maße hingewiesen (vgl. BGH Hinweisbeschl. v. 01.08.2022 – VIa ZR 110/21, BeckRS 2022, 24276 Rn. 22 m. w. N.; siehe oben 1.6).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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5. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
33
6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt. Dabei folgt der Senat wie schon das Erstgericht der klägerischen Schätzung für den Hauptantrag. Die Hilfsanträge wirkten nicht streitwerterhöhend, weil über sie nicht entschieden wurde (§ 45 Abs. 1 Satz 2 GKG).