Titel:
Unbegründete Aufstockerklage (Syrien)
Normenkette:
AsylG § 3, § 3a, § 3b Abs. 1 Nr. 4 Hs. 2
Leitsätze:
1. Die Feststellung einer überproportionalen Betroffenheit von Frauen und Mädchen von geschlechtsspezifischer Gewalt in Syrien reicht für die Annahme einer allein an das Geschlecht anknüpfenden Verfolgung nicht aus. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass jedweder syrischer Staatsangehöriger allein wegen einer (illegalen) Ausreise, eines Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositioneller betrachtet wird und deshalb eine Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG zu befürchten hat. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
„Aufstockerklage“ Syrien, unverheiratete Frau, keine allein an das Geschlecht anknüpfende Verfolgung, keine (unterstellte) Oppositionelle allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und, Aufenthalts in Deutschland, Asyl, Syrien, Aufstockerklage, geschlechtsspezifische Verfolgung, Subsidiärer Schutzstatus, unglaubhafter Vortrag
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24678
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin ist syrische Staatsangehörige mit arabischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit. Sie reiste nach eigenen Angaben am 17.10.2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 10.02.2023 einen Asylantrag.
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Im Rahmen der Anhörungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 07.03.2023 und 17.10.2023 trug die Klägerin im Wesentlichen vor, sie stamme aus der Provinz … und habe dort zuletzt mit ihren Eltern, einem Bruder und zwei Schwestern zusammen im Haus der Familie gelebt. Ein weiterer Bruder halte sich schon seit acht Jahren in Deutschland auf. Zusammen mit einer ihrer Schwestern und ihrem taubstummen Bruder habe sie am 04.09.2022 Syrien verlassen. Sie seien vom Flughafen D. aus legal mit ihren Reisepässen nach Libyen geflogen und anschließend über das Meer weiter nach Italien gereist, wo sie am 17.09.2022 angekommen seien. In Italien seien sie von den italienischen Behörden verpflegt worden. Ihr Bruder sei zu 100% taub und hätte in Italien nicht genügend Unterstützung bekommen. Am 16.10.2022 hätten sie Italien verlassen, da ihr Reiseziel von vornherein Deutschland gewesen sei. In Deutschland herrsche Sicherheit und Freiheit. Zudem lebten viele Verwandte hier. Sie sei auch gesundheitlich nicht in Ordnung und sei nach Deutschland gekommen, um sich behandeln zu lassen.
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In Syrien habe sie zusammen mit ihrer Schwester an einer staatlichen Schule als Lehrerin gearbeitet. Die letzten zwei Jahre in Syrien habe sie jedoch Urlaub genommen, da die Sicherheitslage in … sehr schlecht gewesen sei. Es habe Bombardierungen, Beschüsse, Entführungen und Ermordungen gegeben.
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Als sie und ihre Schwester noch zur Arbeit gegangen seien, seien sie von den Soldaten an den Checkpoints sexuell belästigt und schikaniert worden. Es habe auch Vergewaltigungsversuche gegeben. Da sie das nicht akzeptiert hätten, hätten die Soldaten sie gehasst. Angesprochen auf die versuchte Vergewaltigung erklärt die Klägerin, man habe versucht, sie an den Checkpoints festzunehmen und in einen Raum zu bringen. Dies hätten sie abgelehnt. Da sie geschrien und geweint hätten, sei zum Glück nichts passiert. Aufgrund dieser Schikanen habe sie die Entscheidung getroffen, nicht mehr zur Arbeit zu gehen. Im Umfeld ihres Hauses seien mehrere Checkpoints des syrischen Regimes gewesen, von dem sie Drohungen erhalten hätten. Man habe gedroht, sie zu vergewaltigen oder zu töten.
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Ihr taubstummer Bruder, der einen Friseursalon besessen habe, sei von Soldaten der syrischen Armee schikaniert worden. Für Haarschnitte hätten sie ihm kein Geld gezahlt. Er sei gemobbt worden, woraufhin er psychische Probleme bekommen habe. Er sei auch mit Waffen geschlagen worden. Man habe seinen Friseursalon zerstört. Als sie, ihre Eltern und ihre Schwester dem Bruder zur Hilfe kommen wollten, seien sie von den Soldaten beleidigt, geschlagen und bedroht worden. Sie hätten gedroht, sie festzunehmen, zu vergewaltigen und zu entführen. Der Vorfall im Friseursalon sei mehr als ein Jahr vor der Ausreise aus Syrien gewesen. Da ihr Bruder die Soldaten nicht habe verstehen können, hätten diese sein Verhalten als Ignorierung verstanden und ihn immer wieder geschlagen und beleidigt. Sie hätten sich jedoch nicht getraut, die Vorfälle zur Anzeige zu bringen, da sie zu schwach gewesen seien.
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Als die Soldaten gesehen hätten, dass sie nicht mehr aus dem Haus gegangen seien, seien diese mehrfach zu ihnen nach Hause gekommen und hätten sie vergewaltigen und verhaften wollen. Bei einem ihrer Besuche sei die Klägerin geschlagen und ein Finger an der linken Hand gebrochen worden. Bei den Hausdurchsuchungen seien zudem alle Familienangehörige von der syrischen Armee geschlagen worden. Die Soldaten hätten versucht, ihnen etwas zu unterstellen, damit man sie verhaften könne. Dies alles sei wegen des Streits mit ihrem Bruder geschehen. Man habe sie terrorisiert. Es sei daher nicht möglich gewesen, dort weiterzuleben. Da diese Situation unerträglich gewesen sei, hätten sie sich entschlossen, Syrien zu verlassen und nach Deutschland zu reisen. Da die Geldsumme aus dem Verkauf eines Grundstücks für eine gemeinsame Ausreise nicht ausreichend gewesen sei, seien sie zunächst nur zu dritt ausgereist.
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Ansonsten habe sie in Syrien keine Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Behörden gehabt. Sie und ihre Familienmitglieder seien auch nicht politisch, insbesondere oppositionell, aktiv gewesen und hätten sich auch nicht politisch geäußert.
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Bei einer Rückkehr müsse sie nach Hause zu ihren Eltern. Sie habe Angst vor den selben Erlebnissen, da die Checkpoints weiterhin existent seien. Außerdem gebe es in Syrien weiter Entführungen und Tötungen. Es fänden immer noch Kämpfe statt. Sie habe Angst entführt, vergewaltigt und geschlagen zu werden.
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Mit Bescheid vom 23.02.2024 wurde der Klägerin der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt (Ziff. 1) und im Übrigen der Asylantrag abgelehnt (Ziff. 2).
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Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, aufgrund des ermittelten Sachverhalts sei davon auszugehen, dass der Klägerin in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG drohe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte seien hingegen nicht gegeben. Die Klägerin sei kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG. Sie vereine keinen Verfolgungsgrund in ihrer Person. Sie habe nicht vorgetragen, sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb ihres Herkunftslandes zu befinden. Insbesondere sei auch der Verfolgungsgrund, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nicht einschlägig, da ledige und alleinstehende Frauen in Syrien generell keine solche Gruppe bilden könnten, da sie nach außen hin nicht andersartig wahrgenommen würden. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes sei dies lediglich dann der Fall, wenn sich ledige Frauen einer Zwangsheirat wiedersetzten oder als Opfer sexueller Gewalt von der Familie verstoßen worden seien und sie dadurch stigmatisiert würden. Dies sei aber vorliegend ersichtlich nicht der Fall.
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Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gem. Art. 16a Abs. 1 GG seien nicht gegeben, da nicht einmal der weitergefasste Schutzbereich des § 3 AsylG einschlägig sei.
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Mit Schriftsatz vom 05.03.2024 erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Klage und beantragt,
- 1.
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Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.
- 2.
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Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23.02.2024, eingegangen am 04.03.2024, wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
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Zur Klagebegründung trug der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 27.03.2024 im Wesentlichen vor, der streitgegenständliche Bescheid sei rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten. Diese habe einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Klägerin sei vorverfolgt ausgereist. Sie sei in ihrem Herkunftsland aus geschlechtsspezifischen Gründen von Angehörigen der syrischen Armee bzw. des Staates als Frau verfolgt worden. In ihrer Heimat habe sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Zur Berufsausübung habe sie aus dem Haus gehen müssen. Dabei sei sie an Wachposten des Regimes zwangsläufig vorbeigekommen. Beim Passieren der Kontrollpunkte sei sie regelmäßig nicht in Begleitung eines Mannes gewesen, weil sie nicht verheiratet sei. Die Klägerin sei dabei erheblich sexuell belästigt worden und habe sich dagegen nicht ausreichend wehren können. Sie sei von Soldaten auch zuhause aufgesucht worden, um sich Rechte herauszunehmen, die diesen nicht zustünden. Dies greife in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Klägerin als Frau gravierend ein. Die ganze Familie sei gefährdet gewesen und drangsaliert worden. Es habe keine Möglichkeit bestanden, dass die Übergriffe zur Bestrafung der Soldaten geführt hätten. Es sei auch nicht ansatzweise zu erwarten, dass der syrische Staat etwas gegen seine Wachleute und Soldaten unternehme. Die Lage zugunsten der Frauen habe sich seit der Ausreise der Klägerin nicht gebessert. Es finde geschlechtsspezifische Verfolgung statt, die asylrelevant sei und die vom syrischen Staat nicht verfolgt bzw. zumindest geduldet werde. Für die Klägerin bestehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative. Sie habe deshalb einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
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Mit Schriftsatz vom 07.03.2024 beantragt das Bundesamt für die Beklagte,
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Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.
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Mit Beschluss der Kammer vom 13.03.2024 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung am 08.05.2024 wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der begehrten Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Zwecks Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht zunächst Bezug auf die Ausführungen im Bescheid vom 23.02.2024 (§ 77 Abs. 3 AsylG). Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
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Auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung steht der Klägerin kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG zu. Sie hat keine konkret-individuelle Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG, die an einen Verfolgungsgrund des § 3b AsylG anknüpft, glaubhaft machen können.
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1. Zur Überzeugung des hiesigen Einzelrichters hat die Klägerin ihr Herkunftsland schon nicht vorverfolgt im Sinne des Flüchtlingsrechts verlassen.
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a) Die Ausführungen zum Vorfluchtgeschehen sind in weiten Teilen vage und teils sogar widersprüchlich. Selbst in der mündlichen Verhandlung erfolgten – insbesondere im Hinblick auf die vorgetragenen Schikanen und Belästigungen – keine nennenswerten Konkretisierungen bzw. Präzisierungen gegenüber dem Vortrag im Verwaltungsverfahren, sodass die geschilderten „Verfolgungshandlungen“ im Ergebnis schon nicht glaubhaft gemacht sind. Gegen eine Vorverfolgung spricht insbesondere, dass die Klägerin legal und mit echtem Pass ohne Probleme ihr Herkunftsland verlassen konnte. Auch während ihrer Tätigkeit an einer staatlichen Schule hatte sie keinerlei Probleme mit ihren Vorgesetzten oder staatlichen Behörden. Soweit die Klägerin sich gegenüber dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung auf Schikanen, Gewalt und sexuellen Belästigungen an den Kontrollposten bzw. später auch im Elternhaus durch Soldaten des syrischen Regimes beruft, blieben diese Einlassungen in den entscheidenden Punkten – trotz wiederholter Nachfragen des Gerichts – viel zu vage und oberflächlich, sodass diese im Ergebnis so nicht geglaubt werden können. Die Klägerin trug insoweit mehr oder weniger nur vor, es seien sexuelle Belästigungen in verbaler Form erfolgt. Man habe aber auch ihre Schwester und sie geschubst. Als sie nicht bereit gewesen seien, dies zu akzeptieren, seien sie auch bedroht worden. Man habe gedroht, sie zu entführen bzw. zu inhaftieren. Auf Frage des Gerichts zu etwaigen Vergewaltigungsversuchen, antwortete die Klägerin lediglich mit „ja“. Auf Nachfrage des Gerichts führte die Klägerin aus, Vergewaltigungsversuche hätten mehrmals stattgefunden, jedoch auch ohne insoweit den Sachvortrag zu präzisieren bzw. zu vertiefen. Letztlich brachte das Gericht in Erfahrung, dass die Soldaten von der Klägerin abgelassen haben sollen, nachdem sie bzw. ihre Schwester geschrien und geweint hätten. Es erscheint es dem Gericht nicht glaubhaft, dass die Soldaten ohne Weiteres von der Klägerin bzw. ihrer Schwester abgelassen haben, falls diese ernsthaft zur Vergewaltigung schreiten wollten. Die Klägerin berichtet nämlich von kleinen Räumen in den Kontrollposten, in die man die Klägerin bzw. ihre Schwester zwecks sexueller Handlungen habe drängen wollen. Dass die Soldaten, die in größerer Anzahl im Kontrollposten vorhanden gewesen sind, von ihrem Vorhaben alleine deswegen abgelassen haben, weil die Klägerin weint und geschrien hat, erscheint lebensfremd. Letztlich erscheint es auch nicht sonderlich glaubwürdig, dass aufgrund der Schreie Bewohner aus der Nachbarschaft zu den Kontrollposten gekommen sind, um die Klägerin zu befreien. Bei einer derartigen Aktion müssten die Bewohner – in Anbetracht der Gräueltaten der syrischen Armee – vielmehr selbst damit rechnen, erheblichen Schaden an Leib oder Leben zu nehmen. Vielmehr spricht nach Auffassung des Gerichts vieles dafür, dass die Soldaten – hätten sie die Klägerin bzw. ihre Schwester tatsächlich vergewaltigen wollen – dies auch jederzeit trotz der Schreie der Klägerin und der herbeieilenden Nachbarn gemacht hätten.
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Widersprüchlich sind zudem die klägerischen Ausführungen zu den Ereignissen im Elternhaus. Während die Klägerin gegenüber dem Bundesamt noch ausführte, die Soldaten seien zu ihnen nach Hause gekommen und hätten sie geschlagen. Man habe mehrfach versucht sie zu vergewaltigen und sie direkt zuhause festzunehmen und ins Gefängnis zu werfen, erklärte sie in der mündlichen Verhandlung, zuhause habe man nicht versucht, sie zu verhaften, man habe lediglich mit Verhaftung gedroht. Ferner ist in diesem Zusammenhang schon unglaubwürdig, dass die Soldaten, die immer etwa zu zehnt zu ihnen nach Hause gekommen seien sollen, von einer Inhaftierung bzw. von Inhaftierungen abgesehen hätten, weil sie im Haus geweint, geschrien und Widerstand geleistet hätten. Gerade hier im geschützten Raum außerhalb der Öffentlichkeit hätten die Soldaten sich sicherlich nicht durch Schreie der Klägerin bzw. deren Familie von ihrem Vorhaben abbringen lassen.
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Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Bestandteile der „Vorfluchtgeschichte“ der Klägerin, die zumindest ansatzweise Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG darstellen könnten, schon nicht hinreichend glaubhaft gemacht wurden.
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b) Selbst bei Wahrunterstellung des klägerischen Vortrags und der Annahme, dass die Klägerin Verfolgungshandlungen von flüchtlingsrechtlicher Relevanz ausgesetzt gewesen ist, knüpfen die geschilderten Verfolgungshandlungen jedenfalls nicht an einem Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 Abs. 1, 3b AsylG an.
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Die Klägerin hat zur Überzeugung des Gerichts insbesondere keine an das Geschlecht (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 AsylG) anknüpfende Verfolgung erlitten. Zwar sind nach den Erkenntnismitteln Frauen und Mädchen im Vergleich zu Männern und Jungen deutlich häufiger von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen. Allerdings reicht diese Feststellung einer überproportionalen Betroffenheit von Frauen und Mädchen von geschlechtsspezifischer Gewalt in Syrien für die Annahme einer allein an das Geschlecht anknüpfenden Verfolgung nicht aus (vgl. BayVGH, U.v. 3.1.2022 – 21 B 19.32835 – juris Rn. 33 m.w.N.). Nichts anderes gilt, soweit die Klägerin geschildert hat, von Vergewaltigungsversuchen und (sexueller) Gewalt bei den „Hausbesuchen“ und an den Kontrollposten betroffen gewesen zu sein. Insoweit hat die Klägerin nämlich gerade nicht überzeugend darlegen können, dass die geschilderte Gewalt alleine wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit erfolgt ist. Nach den Erkenntnismitteln handeln syrische Behörden und Soldaten oft willkürlich und unberechenbar. Daher werden Frauen auch aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung von oder Verbindung zu einer Kriegspartei, ihrer eigenen politischen Meinungen oder Aktivitäten, familiären Verbindungen, religiösen oder ethnischen Identität oder ihres Wohn- oder Heimatortes gezielt Opfer von Übergriffen in Form von willkürlichen Festnahmen, Isolationshaft, Entführungen, Folter und sexueller Gewalt (BayVGH, U.v. 3.1.2022 – 21 B 19.32835 – juris Rn. 33; vgl. auch VG Bremen, Gb.v. 20.6.2023 – 5 K 2677/19 – juris Rn. 43 ff.). Dass die hiesige Klägerin nicht alleine aufgrund ihres Geschlechtes den (vermeintlichen) Verfolgungen ausgesetzt gewesen ist, hat sich auch aufgrund der weiteren Einlassungen der Klägerin bestätigt. Bereits gegenüber dem Bundesamt gab die Klägerin selbst an, dass sie und ihre Schwester vor allem wegen ihres Bruders von den Soldaten verfolgt worden seien, da die Soldaten diesen wegen seiner Behinderung als „Ignoranten“ aufgefasst hätten. Ferner ist die von der Klägerin geschilderte Gewalt nicht nur gegen sie und ihre Schwester ausgeübt worden. Insbesondere bei den späteren „Hausbesuchen“ hat man grundlos auch den betagten Vater und den Bruder misshandelt. In Bezug auf die geschilderten Schikanen an den Kontrollposten erklärte die Klägerin zudem, dass auch andere Personen festgehalten und schikaniert worden seien. Nur Schüler hätten ohne Weiteres „durchgehen“ dürfen. Gestützt wird die Sichtweise des Gerichts, dass die Handlungen gegenüber der Klägerin gerade nicht – wie von § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 AsylG gefordert – alleine an das Geschlecht anknüpften dadurch, dass auch der in der mündlichen Verhandlung anwesende Bruder der Klägerin erklärte, dass das klägerische Heimatgebiet von sehr vielen verschiedenen Milizen und militärischen Gruppen unterwandert sei und dort allgemein ein sehr großes Konfliktpotenzial vorherrsche. Gegen eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsrechts spricht auch, dass die Schikanen und Belästigungen gegenüber der Klägerin bereits in Jahr 2017 begonnen haben, diese aber erst im Nachgang zum Vorfall im Friseursalon des Bruders, also einige Jahre später, die Ausreise angetreten hat. Insoweit erklärte die überdurchschnittlich gebildete Klägerin beim Bundesamt nämlich u.a., der Hass der Soldaten sei aufgrund des Streites der Soldaten mit ihrem Bruder größer geworden. Im Jahr 2021 und 2022 habe sie nicht mehr gearbeitet. Hintergrund des zweijährigen Urlaubs vor der Ausreise sei die schlechte Sicherheitslage in Syrien gewesen. Es hätten Entführungen und Tötungen stattgefunden. Zweiter Grund sei ihr tauber Bruder, der an einem Checkpoint Probleme gehabt habe.
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2. Nachfluchtgründe sind ebenfalls nicht ersichtlich.
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Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle mit äußerster Härte vorgehen, ist es letztlich – nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung – nicht beachtlich wahrscheinlich, dass jedweder Betroffene allein wegen einer (illegalen) Ausreise, eines Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositioneller betrachtet wird und deshalb eine Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (vgl. beispielsweise BayVGH, U.v. 11.1.2024 – 21 B 19.33072 – juris m.w.N.; BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 21 B 19.30657 – juris m.w.N.; BayVGH, U.v. 2.5.2022 – 21 B 19.34314 – juris m.w.N.; OVG Münster, B.v. 13.6.2023 – 14 A 156/19.A – juris m.w.N.; OVG Münster, B.v. 9.11.2023 – 14 A 1853/21.A – juris; OVG Lüneburg, B.v. 11.5.2022 – 2 LB 52/22 – juris). Besondere gefahrerhöhende Umstände in der Person der hiesigen Klägerin sind nicht ersichtlich, insbesondere war/ist sie nicht politisch bzw. oppositionell aktiv.
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3. Zusammenfassend ist das Gericht daher überzeugt, dass die Klägerin Syrien weder vorverfolgt im Sinne des Flüchtlingsrechts verlassen hat, noch dass ihr bei einer Rückkehr eine Verfolgungshandlung in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund des § 3 AsylG droht. Das Bundesamt hat der Klägerin daher mit Bescheid vom 23.02.2024 zu Recht (nur) den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zuerkannt. Ein weitergehender Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG besteht ersichtlich nicht.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.