Titel:
Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Vorbescheids, Festsetzung von Dachformen im Bebauungsplan, Begriff des „Flachdachs“ in Abgrenzung zum „geneigten Dach“, Verfassungsmäßigkeit des Art. 107 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1969/1974, Auslegung des Begriffs der „städtebaulichen Absichten“ i.S.d. Art. 107 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1969/1974, Befreiung, Grundzüge der Planung
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 5
BauGB § 30
BauGB § 31 Abs. 2
BayBO Art. 71
Halbsatz 1 BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1
BayBO 1969/1974 Art. 107 Abs. 1 Nr. 1
BayBO Art. 81 Abs. 2
Schlagworte:
Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Vorbescheids, Festsetzung von Dachformen im Bebauungsplan, Begriff des „Flachdachs“ in Abgrenzung zum „geneigten Dach“, Verfassungsmäßigkeit des Art. 107 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1969/1974, Auslegung des Begriffs der „städtebaulichen Absichten“ i.S.d. Art. 107 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1969/1974, Befreiung, Grundzüge der Planung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24643
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die positive Beantwortung verschiedener Vorbescheidsfragen.
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Sie ist Eigentümerin des Grundstücks … Straße 11, FlNr. …0, Gem. … (im Folgenden: Vorhabengrundstück), welches innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans Nr. … a der Beklagten „… Eck 8 – 16, E. …straße, N. … Straße 5 – 13“, bekannt gemacht am 10. Juni 1975, liegt. Dieser enthält für das Vorhabengrundstück u.a. folgende Festsetzungen: Grundfläche der baulichen Anlagen: 190 qm (Vordergebäude), 150 qm (Mittelgebäude), 110 qm (Rückgebäude); Zahl der Vollgeschosse: zwingend VI (Vordergebäude), höchstens I (Mittelgebäude), höchstens V (Rückgebäude); Satteldach (Vordergebäude), Flachdach (Mittel- und Rückgebäude).
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Gegenwärtig ist das Vorhabengrundstück mit einem zweigeschossigen Vordergebäude, einem eingeschossigen Mittelgebäude und einem zweigeschossigen Rückgebäude bebaut. Die Räumlichkeiten werden durch eine Apotheke genutzt. Auf dem begehbaren Flachdach des eingeschossigen Mittelgebäudes führt ein im Freien gelegener Verbindungsweg vom Vorderzum Rückgebäude.
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Am 24. Juni 2021 (Eingang bei der Beklagten) beantragte die Klägerin die Erteilung eines Vorbescheids für die Errichtung einer baulichen Verbindung zwischen Vorder- und Rückgebäude im ersten Obergeschoss des Mittelgebäudes in zwei Varianten (Plan-Nr. …). Alternative 1, im Fragenkatalog als „Verbindungsbau zwischen Vordergebäude und Rückgebäude“ bezeichnet, sieht das Aufbringen eines Dachs in einer Glas-Metallkonstruktion mit geneigten Dachflächen (45 Grad Neigungswinkel) auf das eingeschossige Mittelgebäude vor. Die Dachaußenkanten laufen dabei nicht zu einem First zusammen, sondern werden auf einer Höhe von etwa 2,25 m (abgriffen aus dem Querschnitt 2-2) über der Traufe abgeschnitten und durch eine gerade verlaufende Dachfläche verbunden, die begrünt werden soll. Im Grundriss ist als Nutzung für die unter diesem Dach liegende Fläche „Büro 122,17 m²“ angegeben. Bei Alternative 2 ist die Errichtung eines 1,56 m breiten (vermaßt), eingeschossigen Verbindungsgangs zwischen Vorder- und Rückgebäude geplant, der in etwa mittig auf dem eingeschossigen Mittelgebäude verlaufen und ein Flachdach aufweisen soll. Als Nutzung ist „Durchgang“ angegeben. Zu den seitlichen Grundstücksgrenzen, d.h. zu den Nachbargrundstücken FlNrn. … und …, sind östlich und westlich des Verbindungsgangs Dachterrassenflächen vorgesehen.
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Die Klägerin stellte zu Alternative 1 folgende, mit einer Begründung versehene Vorbescheidsfragen:
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Verbindungsbau im 1. OG zwischen dem Vordergebäude und dem Rückgebäude
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1.1 Wird der Errichtung eines Verbindungsbaus zwischen dem Vordergebäude und dem Rückgebäude wie im Plan zeichnerisch dargestellt, auf der Grundlage des Bebauungsplans Nr. …a planungsrechtlich zugestimmt?
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1.2 Wird erforderlichenfalls von der Festsetzung des Bebauungsplans Nr. …a = 1 Vollgeschoss, dargestellt durch eine römische „I“ eine Befreiung erteilt?
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1.3 Wird erforderlichenfalls wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen zu den seitlichen Grundstücksnachbarn eine Abweichung nach Art. 63 BayBO von Art. 6 Abs. 1 und 2 BayBO erteilt?
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Auf Hinweis der Beklagten (Schreiben vom 13. September 2021) stellte die Klägerin durch ihren Entwurfsverfasser und Vertreter im Vorbescheidsverfahren mit Schreiben vom 29. September 2021 ferner folgenden Antrag:
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„Sollte trotz der Anordnung eines Flachdaches wie oben erwähnt eine Befreiung von der Festsetzung „Flachdach“ erforderlich sein, so wird diese hiermit beantragt.“
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Mit Vorbescheid vom 19. Oktober 2021 (Az.: …), der Klägerin ausweislich der in den Behördenakten enthaltenen Postzustellungsurkunde zugestellt am 21. Oktober 2021, beantwortete die Beklagte die Vorbescheidsfragen zu Alternative 1, soweit nach dem Klageantrag noch von Interesse, wie folgt:
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„Antwort zu Frage 1.1 und 1.2
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Da für das Vorhaben Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. …a erforderlich sind, wird Frage 1.1 gemeinsam mit Frage 1.2 beantwortet.
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Eine Befreiung von der Festsetzung zur maximal zulässigen Anzahl an Vollgeschossen ist nicht erforderlich, der dargestellte Verbindungsgang stellt kein Vollgeschoss dar.
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Im Nachgang zu dem Antrag wurde mit Schreiben vom 29.09.2021 zusätzlich eine Befreiung von der Festsetzung „Flachdach“ abgefragt.
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Eine Befreiung von der Festsetzung „Flachdach“ für eine vollflächige Überbauung des Zwischengebäudes mit einem teilweise geneigten Dach kann nicht in Aussicht gestellt werden. Eine solche Dachform ist auch im Innenhof städtebaulich nicht verträglich und widerspricht den Zielen des Bebauungsplans Nr. …a und den Grundzügen der Planung. Ziel des Bebauungsplans ist Bebauung mit flachen Dächern im Blockinnenbereich. Das Vorhaben in der Alternative 1 als „Verbindungsbau“ ist damit planungsrechtlich insgesamt nicht zulässig.“
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Die Abweichung kann nicht in Aussicht gestellt werden.
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Das Vorhaben nach Maßgabe der Ausführungen zu Frage 1.1 und 1.2 ist planungsrechtlich nicht zulässig. Zudem sind die Abstandsflächen nicht dargestellt, die abgefragte Abweichung ist diesbezüglich auch nicht näher begründet.
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Soweit aus den Plänen erkennbar, ist gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO vorliegend keine Abweichung erforderlich.“
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Für die abgefragte Alternative 2 wurden im Vorbescheid die Erteilung einer Befreiung von der Festsetzung „Anzahl der Vollgeschosse“ für einen Verbindungsgang in einer Breite von 1,50 m und die Erteilung von Abweichungen wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen zum östlichen Grundstücksnachbarn in Aussicht gestellt. Zur Begründung der Befreiung führte die Beklagte unter anderem aus, mit der Errichtung eines auf die minimal erforderlichen Abmessungen reduzierten Bauteils seien die Grundzüge der Planung noch nicht berührt.
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Mit Schriftsatz vom 18. November 2021, beim Verwaltungsgericht München eingegangen am 19. November 2021, ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben und beantragte zunächst:
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1. Der Bescheid der Beklagten vom 19.10.2021 – Az. … wird aufgehoben, soweit der Antrag auf Erlass eines Vorbescheides für Errichtung einer baulichen Verbindung zwischen Vorder- und Rückgebäude in der „Alternative 1: Verbindungsbau“ abgelehnt wurde.
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2. Die Beklagte wird verurteilt, den Antrag der Klägerin vom 24.06.2021 auf Erlass eines Vorbescheides für die Errichtung einer baulichen Verbindung zwischen Vorder- und Rückgebäude für die „Alternative 1: Verbindungsbau“ positiv zu verbescheiden.
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In der mündlichen Verhandlung am 5. Februar 2024 beantragt die Klägerin zuletzt:
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1. Der Bescheid der Beklagten vom 19.10.2021 – Az. … wird aufgehoben, soweit der Antrag auf Erlass eines Vorbescheides für Errichtung einer baulichen Verbindung zwischen Vorder- und Rückgebäude hinsichtlich der Fragen 1.1 und 1.2 der „Alternative 1: Verbindungsbau“ abgelehnt wurde.
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2. Die Beklagte wird verurteilt, den Antrag der Klägerin vom 24.06.2021 auf Erlass eines Vorbescheides für die Errichtung einer baulichen Verbindung zwischen Vorder- und Rückgebäude hinsichtlich der Fragen 1.1 und 1.2 der „Alternative 1: Verbindungsbau“ positiv zu verbescheiden.
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Zur Begründung wurde schriftsätzlich unter dem 8. Dezember 2021 und dem 11. September 2023 – zusammengefasst – vorgetragen, dass angesichts des sehr schmalen Grundstückszuschnitts und des vorhandenen Baubestands sowie dessen Nutzung eine fußläufige Erschließung eines von der Klägerin geplanten Neubaus des Rückgebäudes von der … Straße aus nur auf Höhe des ersten Obergeschosses des Vordergebäudes (dort Büronutzung) über das Dach des Mittelgebäudes zum Rückgebäude möglich sei. Die Ablehnung der Alternative 1 sei rechtswidrig. Es liege schon kein Widerspruch zu Festsetzung „Flachdach“ vor. Zwar handle es sich bei dem geplanten Dach um kein konventionelles Flachdach, allerdings liege mit dem geplanten „Sargdeckeldach“, das an den Seiten angeschrägt sei und auch als „Plattformdach“ oder „Altandach“ bezeichnet werde, eine spezielle Form des Flachdachs vor. Darüber hinaus sei die der Festsetzung zugrundeliegende Ermächtigungsnorm des Art. 107 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1969 bzw. 1974 wegen Verstoßes gegen die Vorschriften über die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder verfassungswidrig und daher nichtig. Damit sei auch die Ablehnung der beantragten Alternative 1 mit der Begründung, das Vorhaben verstoße gegen die Festsetzung „Flachdach“, mangels wirksamer Rechtsgrundlage rechtswidrig. Schließlich lägen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung vor. Die Ablehnung mit der Begründung, das Vorhaben widerspreche den Grundzügen der Planung, finde in § 31 Abs. 2 BauGB keine Grundlage. Eine bauordnungsrechtliche Gestaltungsvorschrift könne keinen Grundzug der Planung darstellen, dies könnten nur bauplanungsrechtliche Regelungen. Zudem habe die Beklagte unter dem 19. Oktober 2020 die Errichtung eines Rückgebäudes mit Satteldach auf dem Grundstück … Straße 7 (FlNr. …) genehmigt und hierfür eine Befreiung von der Festsetzung „Flachdach“ erteilt. Die unterschiedliche Behandlung sei nicht nachvollziehbar und willkürlich. Wenn die Festsetzung „Flachdach“ einen Grundzug der Planung darstellte, hätte auch im Baugenehmigungsverfahren für die N.Straße 7 – rechtmäßiges Handeln der Beklagten unterstellt – keine Befreiung für ein Satteldach im Blockinnenbereich erteilt werden dürfen. Damit könne das beantragte Vorhaben auch keinen Bezugsfall mehr begründen. Darüber hinaus seien auch bei der Bebauung des Grundstücks FlNr. … augenscheinlich eine Reihe von Befreiungen erteilt worden. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB seien gegeben. Die Abweichung sei städtebaulich vertretbar. Die Versagung des beantragten Durchgangs würde zudem zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen, da ansonsten ein an sich zulässiges fünfgeschossige Rückgebäude mangels Erschließung nicht errichtet werden könne.
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Die Beklagte beantragt
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Es bestehe kein Anspruch auf positive Verbescheidung der Fragen 1.1 und 1.2, da eine Befreiung von der Festsetzung eines Flachdachs im Bebauungsplan für die geplante Überbauung des Zwischengebäudes mit einem geneigten Dach nicht in Aussicht gestellt werden könne. Die Befreiung berühre die Grundzüge der Planung. In § 2 der Satzung sei eine ausdrückliche Festsetzung dahingehend getroffen, dass Dach- und Terrassengeschosse nur in den festgesetzten Bereichen (+DA/+TG) zulässig seien. In der Planzeichnung sei für den vorliegenden rückwärtigen Bereich hingegen ein Flachdach festgesetzt. Die Argumentation der Klägerin hinsichtlich der Unvereinbarkeit des Begriffs der Grundzüge der Planung mit Festsetzungen nach Art. 81 BayBO bzw. Art. 107 BayBO a.F. überzeuge nicht. Zwar sei korrekt, dass die Festsetzung von gestalterischen Elementen gem. Art. 81 BayBO bzw. Art. 107 BayBO a.F. den landesrechtlichen Charakter der Regelungen unberührt lasse, dies habe aber nicht die Konsequenz, dass das planerische Konzept der Gemeinde nicht auch diese Festsetzungen als Grundzug der Planung vorsehen könne. Dies werde insbesondere dadurch deutlich, dass örtliche Bauvorschriften, einmal Teil eines Bebauungsplans geworden, auch nur durch eine Änderung des Bebauungsplans in dem für die Änderung von Bebauungsplänen vorgeschriebenen Verfahren geändert und aufgehoben werden könnten. Im Übrigen lasse auch die Klagebegründung eine Begründung für diese Schlussfolgerung vermissen. Die Klägerseite setze sich zudem nicht näher mit der Rechtsgrundlage der Festsetzung auseinander. Bei der Festsetzung der Dachgestaltung als Flachdach handle es sich um eine baugestalterische Regelung, die kompetenzrechtlich dem Landesrecht zuzuordnen sei und als örtliche Bauvorschrift im Rahmen eines Bebauungsplans sowohl gem. Art. 107 BayBO a.F. als auch der nachfolgenden Regelung gem. Art. 91 Abs. 1 BayBO a.F. hätte geregelt werden können. Zudem sei im rückwärtigen Bereich im Gegensatz zu den Vordergebäuden entlang der N. Straße bewusst neben der Festsetzung einer geringeren Geschossigkeit festgelegt worden, dass im vorliegenden Bereich lediglich ein Flachdach zulässig sei. Die geplante Bebauung stehe somit in deutlichem Widerspruch zu den Zielen des Bebauungsplans, in diesen Bereichen eine Bebauung ohne hohe Dächer oder Terrassengeschosse im Blockinnenbereich vorzugeben. Die geplante Dachgestaltung sei auch im Hinblick auf die Abwägung mit nachbarlichen Interessen im Innenhof nicht verträglich und widerspreche den Grundzügen der Planung. Zudem sei keine der Alternativen gem. § 31 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 BauGB einschlägig.
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Über die baulichen Verhältnisse auf dem streitgegenständlichen Grundstück sowie in dessen Umgebung hat das Gericht am 5. Februar 2024 Beweis durch Einnahme eines Augenscheins erhoben. Hinsichtlich der Feststellungen dieses Augenscheins sowie der anschließenden mündlichen Verhandlung wird auf die entsprechende Sitzungsniederschrift verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des schriftsätzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Var. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin hat (auch) im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung weder einen Anspruch auf positive Beantwortung der streitgegenständlichen Vorbescheidsfragen 1.1 und 1.2, soweit diese im Vorbescheid vom 19. Oktober 2021 negativ beantwortet wurden (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), noch einen Anspruch auf deren Neuverbescheidung durch die Beklagte unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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Nach Art. 71 Satz 4 Halbsatz 1 i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) ist eine zulässige Vorbescheidsfrage positiv zu beantworten und der begehrte Vorbescheid zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben, soweit seine Zulässigkeit mit dem Vorbescheid abgefragt wird, keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Vorbescheidsverfahren zu prüfen sind.
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Das Vorhaben der Klägerin (Alternative 1) ist bauplanungsrechtlich unzulässig. Es widerspricht der Festsetzung des einschlägigen Bebauungsplans Nr. 526 a zur Dachform (vgl. nachfolgend 1.), die wirksam ist (vgl. nachstehend 2.). Ein Anspruch auf Befreiung von dieser Festsetzung gem. § 31 Abs. 2 BauGB besteht nicht (nachstehend Ziffer 3.).
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1. Das Vorhaben widerspricht mit der in Alternative 1 beantragten Dachform den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 526 a „… Eck 8-16, E. …straße, … Straße 5-13“ vom 10. Juni 1975. Dieser setzt für den Grundstücksbereich, auf dem das Bauvorhaben zur Ausführung kommen soll, in Plan 4 zeichnerisch ein „Flachdach“ fest.
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Bei der in den Planvorlagen dargestellten Dachform, bestehend aus zwei Dachschrägen mit 45 Grad Neigungswinkel und dem abgeschnittenen, flachen Giebel, handelt es sich entgegen der Auffassung der Klagepartei nicht um ein Flachdach im Sinne der vorgenannten Festsetzung.
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Zwar enthält weder der Bebauungsplan selbst noch dessen Begründung eine Definition des Begriffs „Flachdach“. Der Inhalt der Festsetzung ist jedoch durch Auslegung ermittelbar (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 7.1.2020 – 15 ZB 19.1641 – juris Rn. 8). Ein Flachdach ist im Gegensatz zu einem geneigten Dach zu sehen. Letzteres ist anzunehmen, wenn bei natürlicher Betrachtungsweise davon auszugehen ist, dass es einen First aufweist, also das Dach von seiner höhenmäßigen Ausdehnung unterschiedliche Ausmaße hat (VG München, B.v. 28.4.2010 – M 1 S 10.1529 – juris Rn. 14). Wesentliches Merkmal eines Satteldachs etwa ist ein durgängiger Hauptfirst, an dem zwei entgegengesetzt geneigte Dachflächen aufeinandertreffen (BayVGH, B.v. 31.1.2011 – 1 ZB 09.200 – juris Rn. 9). Ein Flachdach zeichnet sich hingegen dadurch aus, dass es kein oder nur ein geringes Gefälle aufweist (vgl. VG München, B.v. 28.4.2010 – M 1 S 10.1529 – juris Rn. 14).
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Vorliegend ist das wesentliche Gestaltungselement eines Flachdachs, nämlich kein oder nur ein geringes Gefälle, in der Gesamterscheinung des Dachs nicht vorhanden. Daran ändert auch der „abgeplattete“ Dachfirst nichts. Allein dieses Element führt nicht dazu, dass das Dach insgesamt das Gepräge eines Flachdachs erhalten würde. Vielmehr entspricht das Gesamterscheinungsbild des geplanten Dachs aufgrund seiner Dachschrägen demjenigen eines geneigten Dachs mit zwei entgegengesetzt geneigten Dachflächen und einem Dachfirst.
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Vor dem Hintergrund, dass die Plangeberin – wie insbesondere die zeichnerischen Festsetzungen des Bebauungsplans zeigen – sehr ausdifferenzierte Festsetzungen zu den Dachformen im Plangebiet (bei den größeren Grundstücken entlang der N. Straße jeweils ein Walmdach, bei den kleineren ein Satteldach, unmittelbar entlang der E. …straße und des … Eck Pultdächer mit einer Dachneigung von 60 Grad und im Übrigen – im Blockinnern – Flachdach) getroffen hat, bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die von der Klägerin geplante Dachform – von ihrem Bevollmächtigten in der Klagebegründung u.a. als „Plattformdach“ bzw. „Altandach“ und „Sargdeckeldach“ bezeichnet – vom planerischen Willen der Satzungsgeberin erfasst sein soll.
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2. Die Festsetzung der Dachform ist auch wirksam, insbesondere war die Beklagte auf der Grundlage des Art. 107 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1969/1974 i.V.m. § 9 Abs. 2 Bundesbaugesetz (BBauG) in der Fassung vom 23. Juni 1960 i.V.m. § 1 der Verordnung über Festsetzungen im Bebauungsplan (GVBl 1961, 161) zu einer solchen ermächtigt (2.1.). Sie ist von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt (2.2.) und auch nicht nachträglich funktionslos geworden (2.3.).
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2.1. Gegen die Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsnorm des Art. 107 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1969/1974 bestehen unter Kompetenzgesichtspunkten keine Bedenken.
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Nach Art. 107 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1969/1974 konnten die Gemeinden durch Verordnung örtliche Bauvorschriften erlassen über besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen und an Werbeanlagen, soweit dies zur Durchführung bestimmter städtebaulicher Absichten erforderlich ist. Solche Regelungen konnten auch in den Bebauungsplan aufgenommen werden (§ 9 Abs. 2 BBauG i.V.m. § 1 der Verordnung über Festsetzungen im Bebauungsplan).
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Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich die Kammer anschließt, ist der Begriff der „städtebaulichen Absichten“ in Art. 107 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1969/1974 dahingehend auszulegen, dass darunter baugestalterische Absichten zu verstehen sind, die für das Ortsbild in einem zusammenhängenden Gebiet bedeutsam sind. Es handelt sich nicht um eine in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes liegende Regelung des Bodenrechts [vgl. dazu: BayVGH, U.v. 28.4.1987 – 1 B 85.00190 – n.v., Urteilsumdruck S. 7; U.v. 12.7.2000 – 2 B 96.356 – BeckRS 2000, 24707 Rn. 14 zu Art. 91 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1982; vgl. auch: VG München, U.v. 19.1.2010 – M 1 K 09.4086 – juris Rn. 27; vgl. weiter: Decker in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 68. EL Januar 2001, Art. 91 Rn. 100 unter Verweis auf BayVGH, U.v. 28.4.1987 – 1 B 85.00190: „Städtebauliche Absichten sind besondere konkretisierte Absichten für die Gestaltung des Orts-, Straßen- und Landschaftsbildes in einem bestimmten Gebiet, die nicht bauplanerischer Natur sind, denn die Wahrnehmung des Städtebaurechts fällt in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes (…). Gemeint sind mithin baugestalterische Anliegen (BayVGH v. 12.7.2000, Az.: 2 B 96.356)“].
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2.2. Die Festsetzung der Dachform hält sich auch im Rahmen der vorgenannten Ermächtigungsgrundlage und ist – als Anforderung an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen zur Gestaltung des Ortsbildes – von dieser gedeckt, (vgl. Decker in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 152. EL Oktober 2023, Art. 81 Rn. 121 f.; BVerwG, U.v. 11.5.2000 – 4 C 14.98 – NVwZ 2000, 1169; Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 15. Auflage 2022, § 9 Rn. 30; Grünewald in: BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 27. Edition 1.11.2019, Art. 81 Rn. 104.1; Moldodovsky/Waldmann in: Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, 150 AL 09/2023, Art. 81 Ziffer 2.7 m.w.N.; BayVGH, U.v. 11.9.2014 – 1 B 14/170 – juris Rn. 20; U.v. 2.2.2012 – 1 N 09.368 – juris Rn. 27).
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2.3. Es liegt auch keine Funktionslosigkeit vor.
50
Bauplanerische Festsetzungen können nur in äußerst seltenen Fällen wegen Funktionslosigkeit außer Kraft treten (BayVGH, U.v. 25.10.2023 – 9 B 22.1461 – BeckRS 2023, 32080 Rn. 26). Funktionslosigkeit liegt nur dann vor, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sich die Festsetzung bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (grundlegend BVerwG, U.v. 29.4.1977 – IV C 39.75 – juris Leitsatz, Rn. 35; B.v. 9.10.2003 – 4 B 85/03 – juris Rn. 8). Dabei sind die Anforderungen an das Außerkrafttreten eines Bebauungsplans wegen Funktionslosigkeit streng; insoweit ist große Zurückhaltung geboten (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1998 – 4 CN 3.97 – BVerwGE 122, 207, juris Rn. 22; BayVGH, U.v. 27.5.2020 – 1 B 19.544 – juris Rn. 18).
51
Entscheidend ist, ob die jeweilige Festsetzung überhaupt noch geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen sinnvollen Beitrag zu leisten (vgl. BVerwG, B.v. 9.10.2003 a.a.O.; BayVGH, B.v. 9.9.2013 – 2 ZB 12.1544 – juris Rn. 5; U.v. 27.2.2020 – 2 B 19.2199 – juris Rn. 12, B.v. 11.3.2020 – 2 ZB 17.548 – Beschlussumdruck Rn. 5). Die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit eine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag, kann von einer Funktionslosigkeit die Rede sein. Das setzt voraus, dass die Festsetzung unabhängig davon, ob sie punktuell durchsetzbar ist, bei einer Gesamtbetrachtung die Fähigkeit verloren hat, die städtebauliche Entwicklung noch in einer bestimmten Richtung zu steuern (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2004 – 4 C 10.03 – juris Rn. 15; BayVGH, U.v. 25.10.2023 – 9 B 22.1461 – BeckRS 2023, 32080 Rn. 26; B.v. 23.2.2021 – 9 ZB 20.12 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 7.3.2022 – 9 ZB 19.2503 – juris Rn. 8).
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Die strengen Voraussetzungen, die an das Funktionsloswerden von bauleitplanerischen Festsetzungen zu stellen sind und die auch für gestalterische Satzungsbestimmungen herangezogen werden können (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2012 – 15 B 11.801 – juris), sind vorliegend – auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin im Vorbescheids- und im gerichtlichen Verfahren vorgetragenen Bezugsfälle – nicht erfüllt.
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2.3.1. Die Plangeberin hat im Bebauungsplan Nr. … a ein sehr ausdifferenziertes, klar vorgegebenes System an Regelungen geschaffen, das sich an Lage, Größe und Zuschnitt der einzelnen, im Geltungsbereich der Satzung liegenden Grundstücke orientiert.
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Das flächenmäßig umfangreiche Bebauungsplangebiet (ca. 10.000 qm, vgl.: geoportal.bayern.de) zeichnet sich durch Grundstücke verschiedenartigen Zuschnitts und unterschiedlicher Größe aus. Im Westen befindet sich das sich von der … Straße bis an die Straße … Eck erstreckende Grundstück FlNr. …, welches gut die Hälfte des Plangebiets ausmacht. Unmittelbar Richtung Osten schließen sich sowohl entlang der … Straße (* … Straße 17, FlNr. …*) als auch entlang der Straße … Eck (* … Eck 12 und 14, FlNrn. … und …*) Grundstücke kleineren Zuschnitts an, die deutlich weniger tief in das Innere des Plangebiets hineinreichen als die übrigen, wiederum östlich angrenzenden Grundstücke (* … Straße 15, 15a, FlNr* …, … Straße 11, FlNr. …, … Straße 5, FlNr. … und … Eck 10, FlNr. …, jeweils Gemarkung … *), zu denen auch das Vorhabengrundstück gehört. Dabei weisen die letztgenannten Grundstücke höchst unterschiedliche Grundstücksbreiten auf. Während das Vorhabengrundstück und sein Nachbargrundstück … Straße 7 sehr schmal (und lang) ausgestaltet sind, sind die – ebenfalls weit ins Gebietsinnere reichenden – Grundstücke … Straße 5 und … Eck 10 deutlich breiter geschnitten – das Grundstück … Straße 5 über seine gesamte Grundstückslänge, das im vorderen Grundstücksbereich schmale und dort hinsichtlich seiner Breite etwa mit dem Vorhabengrundstück und der … Straße 7 vergleichbare Grundstück … Straße 15 weitet sich – im Unterschied zu diesen – im rückwärtigen Bereich in seiner Breite deutlich auf. Die gegenwärtigen Grundstückszuschnitte entsprechen denen zum Zeitpunkt der Plangebung.
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Aus den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … a insbesondere zur Höhenentwicklung (insbesondere zur Zahl der Vollgeschosse) und zu den Dachformen, aber auch zur Grundfläche der baulichen Anlagen, wird erkennbar, dass die Satzungsgeberin mit ihren differenzierten und konkret für jedes einzelne Grundstück im Plangebiet getroffenen Festsetzungen den vorgenannten grundstücksbezogenen Besonderheiten/Zuschnitten Rechnung tragen wollte.
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So wurde für das flächenmäßig dominierende Grundstück FlNr. … auf dessen gesamter Fläche – mit Ausnahme eines 483 qm großen Bereichs (dort max. ein Vollgeschoss) – zwingend eine Bebauung mit fünf- (im rückwärtigen Bereich, 3.550 qm Grundfläche) bzw. sechs Vollgeschossen (Blockrand entlang der … Straße, 990 qm Grundfläche) vorgesehen.
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Hinsichtlich der übrigen Grundstücke im Plangebiet wurde weiter differenziert: Für die Blockrandbebauung entlang der … Straße wurde die Zahl der Vollgeschosse zwingend auf sechs (* … Straße 21, FlNr. …, … Straße 17, FlNr. …, … Straße 15, FlNr. … … Straße 11, FlNr. … und … Straße 7, FlNr. …*) bzw. fünf (* … Straße 5, FlNr. …*) festgesetzt. Auf den schmaleren, aber sehr tief ins Innere des Plangebiets reichenden Grundstücken … Straße 11 und 7 ist nach den Bebauungsplanfestsetzungen neben dem Vordergebäude (190 qm bzw. 220 qm Grundfläche) ein maximal eingeschossiges Mittelgebäude (150 qm bzw. 160 qm Grundfläche) und ein bis zu fünfgeschossiges Rückgebäude (110 qm bzw. 130 qm Grundfläche) zulässig, während auf den „breiteren“ Grundstücken … Straße 5 und … Straße 15/15a – abgesehen von eingeschossigen Unterbrechungen – sowohl im „mittleren“ als auch im rückwärtigen Bereich eine höhere Bebauung mit bis zu sechs (* … Straße 15/15a mittlerer Bereich, 390 qm Grundfläche) bzw. fünf (* … Straße 15/15a rückwärtiger Bereich, 115 qm Grundfläche, und … Straße 5 mittlerer und rückwärtiger Bereich, 790 qm Grundfläche) Vollgeschossen möglich sein soll. Bei dem ebenfalls weiter ins Planinnere reichenden Grundstück … Eck 10, welches in seiner Breite dem Grundstück … Straße 5 entspricht, ist eine zwingend sechsgeschossige Blockrandbebauung festgesetzt, die sich in Teilen ebenfalls in den rückwärtigen Grundstücksbereich zieht.
58
Auch hinsichtlich der festgesetzten Dachformen differenziert der Bebauungsplan: Während für das „Plangebietsinnere“ durchgehend ein Flachdach festgesetzt wurde, sind entlang der das Bebauungsplangebiet umgebenden Erschließungsstraßen (* … Straße, E. …straße und … Eck) folgende Dachformen vorgesehen: entlang der … Straße bei den größeren/breiteren Grundstücken Walmdach, bei den kleineren Satteldach, entlang der E. …straße und dem … Eck Pultdach, übergehend ins Gebietsinnere in Flachdach.
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Diese sehr detaillierten, klar für jedes Grundstück innerhalb des Geltungsbereichs vorgegebenen Festsetzungen zu Grundfläche, Höhenentwicklung (insbesondere Zahl der Vollgeschosse) und Dachformen sprechen dafür, dass die Satzungsgeberin diese „im Angesicht des Falles“ (vgl. BayVGH, U.v. 22.5.2006 – 26 B 04.1947 – BeckRS 2009, 40627 m.w.N.) so und nicht anders gewollt hat und es sich nach ihren Vorstellungen um ein planerisches Konzept handelt, mit dem in seiner Gesamtschau eine Gestaltung und Gliederung des Plangebiets sichergestellt werden soll.
60
Neben den gestalterischen Zielsetzungen dienen die Festsetzungen im Bereich der schmalen, langgestreckten Grundstücke insbesondere auch dazu, in diesem Bereich trotz der vollständigen Überbauung eine Belichtung der Gebäude sicherzustellen. Sowohl die Vorder- und Rückgebäude auf den jeweiligen Grundstücken als auch die zugelassene Nachbarbebauung sind auf eine dergestalt abgestufte Bebauung angewiesen. Diesem Zweck dient neben der Festsetzung der Eingeschossigkeit im mittleren Grundstücksbereich auch die ausschließliche Zulassung eines Flachdachs, die eine Höhenbegrenzung des mittleren Gebäudeteils bewirkt.
61
2.3.2. Selbst wenn man die von der Klägerin vorgetragenen Abweichungen vom Bebauungsplan in der Umgebung hinsichtlich der festgesetzten Zahl der Vollgeschosse und den Dachformen als zutreffend unterstellt, haben diese, wie sich aus öffentlich zugänglichen Luftbildern (google maps) ergibt, jedenfalls nicht einen solchen Umfang erreicht, dass den vorgenannten Festsetzungen keinerlei steuernde Funktion mehr zukommen könnte. Auf der Grundlage der anzustellenden wertenden Betrachtung unter Berücksichtigung unter anderem der Art der Festsetzung, des Maßes der Abweichung und der Irreversibiliät der entstandenen tatsächlichen Verhältnisse (vgl. BayVGH, U.v. 27.2.2020 – 2 B 19.2199 – juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 7.3.2022 – 9 ZB 19.2503 – juris Rn. 10) ist aus Sicht der Kammer die Verwirklichung des dargestellten Konzepts nicht auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen. Die Festsetzungen sind vielmehr weiterhin geeignet, einen sinnvollen Beitrag zu Gestaltung und Gliederung des Plangebiets zu leisten. Wenngleich tatsächlich vereinzelte, punktuelle Abweichungen von der festgesetzten Zahl der Vollgeschosse und der Dachformen, v.a. am Blockrand, aber auch beim Rückgebäude auf dem Grundstück … Straße 7, vorhanden sein mögen, wird jedoch auch erkennbar, dass die vorgenannten Festsetzungen im Geltungsbereich des Bebauungsplans überwiegend eingehalten sind. Die vereinzelten Abweichungen haben in dem ca. 10.000 qm umfassenden Plangebiet keinen Grad erreicht, der die Annahme rechtfertigte, die vorgenannten Festsetzungen hätten ihre Steuerungsfunktion eingebüßt. Dies gilt umso mehr, als die mit der Bauleitplanung verfolgte grundstücksbezogene Zielsetzung weiterhin gewährleistet ist. Nachdem die Planung auf die Situation auf dem jeweiligen Grundstück Rücksicht nimmt, kann eine Abweichung von der gleichen Festsetzung auf anderen Grundstücken nicht schon zum Verlust der Ordnungsfunktion des Bebauungsplans insgesamt führen. Dies gilt insbesondere für die Festsetzungen zu den Vollgeschossen und der Dachform, die eine abgestufte Bebauung im mittleren Bereich der langgestreckten Grundstücke bewirken. Die damit auch bezweckte Belichtungsverbesserung ist weiterhin zu erreichen.
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3. Die Klägerin kann auch keine Befreiung entsprechend § 31 Abs. 2 BauGB von der Festsetzung des Bebauungsplans „Flachdach“ beanspruchen (Art. 81 Abs. 2 Satz 2 BayBO in der Fassung vom 24. Juli 2023), da die tatbestandlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (nachstehend Ziffer 3.1., vgl. zur Anwendbarkeit des Art. 81 Abs. 2 Satz 2 BayBO in der derzeit geltenden Fassung: BayVGH, U.v. 14.2.2012 – 15 B 11.801 – juris Rn. 18; B.v. 2.5.2002 – 1 ZB 01.2982 – juris Rn. 3). Auch eine Verpflichtung der Beklagten zur Neuverbescheidung der streitgegenständlichen Vorbescheidsfragen kommt nicht in Betracht (nachfolgend Ziffer 3.2.).
63
Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung und des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, die Befreiung erfordern oder die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
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3.1. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
65
Die Festsetzung der Dachformen im Bebauungsplan stellt einen Grundzug der Planung im Sinne des § 31 Abs. 2 BauGB dar, der durch die Zulassung und Errichtung des von der Klägerin beantragten, von der Satzung abweichenden Dachs berührt würde. Dass es sich vorliegend um eine Festsetzung auf der Grundlage des Bauordnungsrechts handelt, steht der Anwendbarkeit des Tatbestandsmerkmals nicht entgegen (vgl. BayVGH, U.v. 14.2.2012 – 15 B 11.801 – juris Rn. 23; vgl. dazu auch: U.v. 24.7.2001 – 15 B 98.2552 – BayVBl. 2002, 279, juris Rn. 18 f.; B.v. 31.1.2011 – 1 ZB 09.200 – juris Rn. 11).
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Ob eine Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB in Betracht kommt, weil die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab (BVerwG, U.v. 16.12.2010 – 4 C 8/10 – juris Rn. 26; U.v. 18.11.2010 – 4 C 10.09 – juris Rn. 37). Entscheidend ist, ob die Befreiung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist (vgl. BVerwG, B.v. 19.5.2004 – 4 B 35/04 – juris Rn. 3; BayVGH, U.v. 3.11.2010 – 15 B 08.2426 – juris Rn. 21). Die Frage, ob eine Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, beurteilt sich nach dem im Plan zum Ausdruck gebrachten planerischen Wollen. Bezogen hierauf darf der Abweichung vom Planinhalt keine derartige Bedeutung zukommen, dass die dem Plan zugrunde gelegte Planungskonzeption, also dem „Grundgerüst“, in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Die Abweichung muss – soll sie mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein – durch das planerische Wollen gedeckt sein; es muss angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Plangeber gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er den Grund für die Abweichung gekannt hätte (vgl. BVerwG, U.v. 4.8.2009 – 4 CN 4/08 – BVerwGE 134, 264, juris Rn. 12; U.v. 29.1.2009 – 4 C 16/07 – BVerwGE 133, 98, juris Rn. 23; U.v. 9.3.1990 – 8 C 76.88 -BVerwGE 85, 66, juris Rn. 19; BayVGH, U.v. 3.11.2010 – 15 B 08.2426 – juris Rn. 21). Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens in Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – NVwZ 1999, 1110, juris Rn. 6; B.v. 19.5.2004 – 4 B 35.04 – BRS 67 Nr. 83, juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 19.1.2021 – 9 ZB 19.661 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 29.4.2020 – 15 ZB 18.96 – juris Rn. 7; B.v. 9.7.2019 – 8 ZB 17.1698 – juris Rn. 24 m.w.N.).
67
Gemessen an diesen Grundsätzen kommt die Erteilung einer Befreiung von der Festsetzung der Dachform für das klägerische Vorhaben nicht in Betracht.
68
3.1.1. Bei den differenzierten, unterschiedlich festgesetzten Dachformen handelt es sich, insbesondere auch in Gesamtschau mit den Festsetzungen zur Höhenentwicklung und der Grundfläche, um einen Grundzug der Planung.
69
Die Begründung zum Bebauungsplan Nr. … a ist insoweit zwar unergiebig, da sie sich hierzu nicht verhält. Ob es sich bei einer Festsetzung um einen Grundzug der Planung handelt, ist jedoch nicht allein aufgrund der Begründung des Bebauungsplans zu beurteilen, sondern kann sich – wie hier – auch aus der Festsetzung selbst ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2017 – 15 ZB 16.940 – juris Rn. 13; VGH BW, U.v. 15.9.2016 – 5 S 114/14 – juris Leitsatz 1, Rn. 34; vgl. auch: Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 152. EL Oktober 2023, § 31 Rn. 36 m.w.N.).
70
Wie oben bereits ausgeführt, hat die Plangeberin mit ihren Festsetzungen ein sehr detailliertes, ausdifferenziertes Regelungssystem unter Berücksichtigung von Lage, Größe und Zuschnitt der einzelnen Grundstücke im Plangebiet geschaffen. Das sich daraus ergebende planerische Konzept stellt einen Grundzug der Planung dar. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die vorstehenden Ausführungen unter 2.3.1. verwiesen.
71
3.1.2. Das vorstehend dargelegte Grundkonzept würde durch die in Alternative 1 des Vorbescheidsantrags vorgesehene Änderung des Mittelgebäudes mit dem Aufbringen eines geneigten Dachs anstelle des festgesetzten Flachdachs berührt. Hat der Plangeber – wie hier – eine Festsetzung „im Angesicht des Falles“ für diesen Fall so und nicht anders gewollt, ist für eine Befreiung kein Raum (vgl. BVerwG, U.v. 14.7.1972 – IV C 69.70 – BVerwGE 40, 268, juris Rn. 29; BayVGH, U.v. 22.5.2006 – 26 B 04.1947 – BeckRS 2009, 40627; U.v. 27.7.2005 – 26 B 01.1270 – BeckRS 2005, 16944.). Die Zulassung eines geneigten Dachs anstelle eines Flachdachs würde auch Vorbildwirkung für andere Grundstücke im Plangebiet entfalten. Eine Befreiung von einer Festsetzung, die für die Planung tragend ist, darf jedoch nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – NVwZ 1999, 1110, juris Rn. 6). Ein Abweichen von der Festsetzung auf dem Vorhabengrundstück würde wegen der Bezugswirkung insbesondere auf den unmittelbaren Nachbargrundstücken ein weitgehendes Abrücken von dieser planerischen Konzeption bedeuten und eine Umplanung mit einer erneuten Abwägung der Interessenlagen erfordern, die im Wege eines behördlichen Einzelaktes nicht erfolgen kann.
72
3.2. Ob eine Befreiung erteilt wird, steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, § 31 Abs. 2 BauGB. Da vorliegend jedoch bereits die Grundzüge der Planung berührt sind, kommt auch eine Verpflichtung der Beklagten zu einer erneuten Verbescheidung der streitgegenständlichen Vorbescheidsfragen der Klägerin nicht in Betracht.
73
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin eine Ermessensbindung der Beklagten zu seinen Gunsten auch nicht aus deren bisheriger Genehmigungspraxis hinsichtlich der bereits – insbesondere für das Baugrundstück großzügig – gewährten Befreiungen (Bezugsfälle) herleiten könnte. Denn eine Behörde muss sich nicht an einer einmal erkannten Fehlentwicklung festhalten lassen (BayVGH, U.v. 4.7.2003 – 2 B 02.1962, BeckRS 2003, 27623, Rn. 13) und damit sehenden Auges eine Funktionslosigkeit des Bebauungsplans herbeiführen (VG Würzburg, U.v. 16.08.2016 – W 4 K 16.344 – juris Rn. 45).
74
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
75
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO.