Inhalt

VG München, Beschluss v. 13.09.2024 – M 31 K 22.3767
Titel:

Kein Anspruch auf Beiladung eines früheren Vorstands einer Aktiengesellschaft

Normenkette:
VwGO § 65
Leitsätze:
1. Über die einfache Beiladung entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen, wobei Ausgangspunkt der Ausübung des Ermessens der Zweck der einfachen Beiladung, die Erstreckung der Rechtskraftwirkung und Gesichtspunkte der Prozessökonomie sind. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Beiladung eines früheren Vorstands einer Aktiengesellschaft wegen etwaiger Regressansprüche ist grundsätzlich nicht geboten, da ein Regressanspruch von zahlreichen Einzelfragen des Innenverhältnisses der Aktiengesellschaft abhängig sein wird. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Beiladung eines Dritten durch einen Beteiligten des Verfahrens (abgelehnt), Beiladung, einfache Beiladung, notwendige Beiladung, Vorstand, Ermessensgerechtigkeit, Regressanspruch, Ermessen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24636

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Beiladung ihres früheren Vorstands, Herrn … B. …, wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem die Regierung von Oberbayern die Bewilligung einer staatlichen Zuwendung nach dem Bayerischen Seilbahnförderprogramm teilweise widerrufen und die (verzinsliche) Erstattung des danach zu viel ausbezahlten Förderbetrags verlangt und betragsmäßig festgesetzt hat. In diesem Verfahren wurde am 12. Juli 2024 vor dem Einzelrichter mündlich verhandelt und sodann allseits auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet.
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Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 12. August 2024 beantragt die Klägerin, ihren früheren Vorstand, Herrn … B. …,
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beizuladen.
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Zur Begründung wird – unter nachträglicher Mitteilung der Adresse des Beizuladenden mit Schriftsatz vom 10. September 2024 – im Wesentlichen vorgetragen, der beizuladende frühere Vorstand sei zum Zeitpunkt bestimmter, im Verfahren relevanter Ereignisse Vorstand gewesen. Ferner seien die rechtlichen Interessen des Beizuladenden berührt, da die Klägerin in Erwägung ziehe, ihn zivilrechtlich wegen finanzieller Schäden in Anspruch zu nehmen, sollte der angegriffene Erstattungsanspruch bestehen.
II.
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Der Antrag auf Beiladung hat keinen Erfolg.
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Zur Entscheidung über den Beiladungsantrag ist der Einzelrichter berufen, auf den der Rechtsstreit übertragen wurde (vgl. Beschluss vom 29.4.2024).
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1. Die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Eine solche setzt voraus, dass Dritte an dem streitgegenständlichen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies ist dann der Fall, wenn die von der Klagepartei begehrte Sachentscheidung nicht getroffen werden kann, ohne dass dadurch gleichzeitig unmittelbar Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.12.2019 – 8 C 19.2198 – juris Rn. 6 m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Gegenstand des Verfahrens ist eine der Klägerin gewährte Zuwendung, konkret der teilweise Widerruf und die teilweise Rückforderung derselben. Ob diese Rückforderung besteht, bzw. der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist oder nicht, ist rechtlich unabhängig von der Frage des (internen) zivilrechtlichen Verhältnisses und/oder etwaiger Ansprüche der Klägerin zu ihren (früheren) Leitungsorganen.
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2. Ob die Voraussetzungen für eine einfache Beiladung (§ 65 Abs. 1 VwGO) vorliegen, kann dahinstehen, weil eine Beiladung des früheren Vorstands der Klägerin hier jedenfalls nicht ermessensgerecht ist.
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Das Gericht kann einen Dritten gemäß § 65 Abs. 1 VwGO zum Verfahren beiladen, wenn dessen rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden (einfache Beiladung). Dies ist der Fall, wenn dieser in einer solchen Beziehung zu wenigstens einer der Parteien oder zum Streitgegenstand steht, dass das Unterliegen eines der Hauptbeteiligten in der Sache seine Rechtsposition verbessern oder verschlechtern kann. Ausreichend ist die Möglichkeit, dass die Entscheidung in der Hauptsache auf rechtliche Interessen des Beizuladenden einwirken kann (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 27.2.2024 – 22 A 23.40047 – juris Rn. 15; B.v. 10.12.2019 – 8 C 19.2198 – juris Rn. 8 f. jeweils m.w.N.).
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Inmitten steht im vorliegenden Rechtsstreit der teilweise Widerruf und die teilweise Rückforderung einer bereits bewilligten Zuwendung. Dass die Interessen eines früheren Leitungsorgans der Klägerin durch die gerichtliche Entscheidung insbesondere über das Bestehen des Rückforderungsanspruchs gegenüber der Klägerin berührt werden, mag man in sehr allgemeiner oder grundsätzlicher Weise annehmen können, da nur dann ein Regressanspruch der Klägerin gegenüber ihren Leitungsorganen (in dieser Hinsicht) in Betracht kommt, wenn ein Rückforderungsanspruch gegenüber der Klägerin überhaupt besteht (vgl. zur einfachen Beiladung unter dem Gesichtspunkt von Schadensersatzansprüchen BVerwG, U.v. 12.3.1987 – 3 C 2/86 – juris Rn. 36; BayVGH, B.v. 2.3.2000 – 4 C 99.2108 – juris Rn. 13). Gleichwohl ist zu bedenken, dass selbst ein klageabweisendes Urteil hier nicht derart wirkte, dass damit bereits die Grundlage für einen Regressanspruch gegenüber dem früheren Vorstand gelegt wäre. Aus welchen Gründen das Verwaltungsgericht von der Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsanspruchs gegen die Klägerin ausginge, bindet ein etwa über einen Regressanspruch entscheidendes Zivilgericht nicht – auch nicht bei einer Beiladung des früheren Vorstands (vgl. VG Augsburg, B.v. 28.2.2023 – Au 6 K 22.2060 – juris Rn. 17). Umgekehrt ist die Frage, ob der frühere Vorstand der Klägerin intern eine einen Schadensersatzanspruch auslösende Pflichtverletzung gegenüber der Klägerin begangen haben könnte, von der hier relevanten Frage der Rechtmäßigkeit des Teilwiderrufs und der teilweisen Rückforderung der Zuwendung unabhängig und daher vorliegend nicht entscheidungserheblich (vgl. in ähnlicher Konstellation BayVGH, B.v. 7.11.2023 – 22 A 22.40045 – juris Rn. 8).
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Die Frage kann hier indes offenbleiben, da eine Beiladung jedenfalls nicht ermessensgerecht ist. Über die Beiladung entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Ausgangspunkt der Ausübung des Ermessens nach § 65 Abs. 1 VwGO ist der Zweck der einfachen Beiladung. Dieser liegt in erster Linie darin, Dritten die Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen in Bezug auf den Streitgegenstand zu ermöglichen, damit sie sich mit ihrem Rechtsstandpunkt Gehör verschaffen können. Eine Stärkung der Rechtsposition von bereits am Verfahren Beteiligten ist nicht Normzweck des Rechtsinstituts der Beiladung. Zudem soll durch die Erstreckung der Rechtskraftwirkung (§ 121 Nr. 1 VwGO) weiteren Rechtsstreitigkeiten mit der Möglichkeit widersprüchlicher Entscheidungen vorgebeugt werden. Ermessensleitend sind im Rahmen der Entscheidung über die einfache Beiladung weiter Gesichtspunkte der Prozessökonomie, ferner ist es sachgerecht, den Kreis der Beteiligten und insbesondere einfach Beigeladener grundsätzlich zu begrenzen (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2024 – 15 C 24.418 – juris Rn. 5; B.v. 10.12.2019 – 8 C 19.2198 – juris Rn. 11 f.; B.v. 23.8.2016 – 21 C 16.325 – juris Rn. 9; OVG NRW, B.v. 9.5.2018 – 10 E 216/18 – juris Rn. 8, jeweils m.w.N.).
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Dies zugrunde gelegt ist eine Beiladung des früheren Vorstands der Klägerin hier nicht geboten. Ein Regressanspruch der Klägerin gegenüber ihrem früheren Vorstand wird von zahlreichen Einzelfragen in diesem Innenverhältnis der Aktiengesellschaft abhängig sein, das als solches im vorliegenden Verfahren schon generell keine Rolle spielt. Eine Beteiligung des früheren Vorstands an einem Verfahren, in dem mit Blick auf dieses Innenverhältnis allenfalls das grundlegende Bestehen einer Forderung gegen die Klägerin inmitten steht, erscheint jedenfalls im konkreten Fall nicht zwingend oder zielführend, da es sich zunächst nur um eine Vorfrage zum (möglichen) Bestehen eines gesellschaftsinternen Regressanspruchs handelt. In einer derartigen Konstellation ist eine einfache Beiladung in der Regel erst zweckmäßig, wenn besondere Umstände vorliegen, z.B. die Verantwortlichkeit des früheren Vorstands aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen auf der Hand liegt (vgl. ähnlich BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 21 C 16.325 – juris Rn. 9; OVG NRW, B.v. 9.5.2018 – 10 E 216/18 – juris Rn. 8).
13
Dies ist hier gerade nicht der Fall. Die Klägerin trägt lediglich vor, dass sie es „in Erwägung zieht“, den beizuladenden früheren Vorstand wegen des ihr entstandenen finanziellen Schadens in Anspruch zu nehmen. Näheres ist hierzu nicht ausgeführt, auch ist die Frage einer Schadensersatzpflicht eines früheren Vorstands – wie ausgeführt – in keiner Weise Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Dies allein bietet somit im vorliegenden Fall keine Veranlassung zu einer Beiladung. Dem Vorbringen der Klägerin lässt sich nichts hinreichend Konkretes dafür entnehmen, dass unter den gegebenen Umständen ihr Interesse an einer Beiladung des früheren Vorstands mit Blick auf eine Rechtskrafterstreckung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vorrangig gegenüber prozessökonomischen Erwägungen – hier insbesondere einen klein zu haltenden Kreis der Beteiligten und eine zeitnahe Entscheidung – zu berücksichtigen wäre (ähnlich OVG NRW, B.v. 9.5.2018 – 10 E 216/18 – juris Rn. 12).
Das Gericht sieht daher von einer Beiladung des früheren Vorstands der Klägerin ab.