Titel:
Kein Asyl wegen internen Schutzes in Nigeria
Normenketten:
AsylG § 3, § 3e, § 4, § 77 Abs. 3
EMRK Art. 3
RL 2011/95/EU Art. 4 Abs. 4
Leitsätze:
1. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, wenn - aber auch nur dann - sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ausgehend von Erkenntnisquellen im August 2024 kann in Nigeria interner Schutz gewährt werden, denn es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil auszuweichen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl, Nigeria, Verfolgung durch ESN und Regierung (unglaubhaft), Inländische Fluchtalternative, inländische Fluchtalternative, glaubhaft, richterliche Überzeugung, Flüchtlingsschutz, Verfolgungslegende, individuelles Verfolgungsschicksal
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 13.11.2024 – 6 ZB 24.30940
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24633
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger, nach eigenen Angaben am … Julio 1974 in L. … geborener, nigerianischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt).
2
Nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am … Dezember 2021 mit dem Flugzeug stellte der Kläger am … Februar 2022 einen Asylantrag beim Bundesamt. Im Rahmen der Anhörung hierzu gab er im Wesentlichen an, er sei in Nigeria verfolgt worden, zum einen durch das ESN, das ihn des Verrats eines Kommandanten beschuldigte, zum anderen durch die Regierung, die ihn bezichtige, den ESN zu sponsern.
3
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom … Mai 2022 lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die Asylanerkennung ab (Nr. 1 und Nr. 2 des Bescheids), erkannte ihm weder subsidiären Schutz (Nr. 3 des Bescheids) zu noch sah es Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG als gegeben an (Nr. 4 des Bescheids). Der Kläger wurde zudem zur Ausreise aufgefordert, andernfalls die Abschiebung angedroht (Nr. 5 des Bescheids), sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate befristet (Nr. 6 des Bescheids).
4
Mit am 9. Juni 2022 bei Gericht eingegangenem Schreiben hat der Kläger Klage erhoben und beantragt,
5
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzsstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Nigeria vorliegen und den Bundesamtsbescheid vom … Mai 2022, Az. … aufzuheben, soweit er dem entgegen steht.
6
Zur Begründung verwies er auf einen Internetlink.
7
Die Beklagte beantragt,
9
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
10
Die zulässige Klage ist unbegründet und daher abzuweisen. Der Kläger hat keinen geltend gemachten Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, subsidiären Schutz oder die Feststellung, dass Abschiebungsverbote vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Bescheid ist auch im Übrigen (Nrn. 5 und 6) rechtlich nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
11
1. Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und folgt den Feststellungen und der Begründung im Bescheid (§ 77 Abs. 3 AsylG). Lediglich ergänzend ist auszuführen:
12
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen.
13
Auch innere Tatsachen, wie die sexuelle Identität oder dass eine verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat, muss zur Überzeugung des Einzelrichters feststehen (vgl. BVerfG, B.v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – juris Rn. 27). Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Dabei kommt es auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende, möglichst detaillierte und schlüssige Angaben ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen zu den Umständen machen, die für die von ihm befürchtete Gefahr der Verfolgung bzw. einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung maßgeblich sind. Der Antragsteller hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich ergibt, dass bei verständiger Würdigung die Gefahr der Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens besteht und es ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren; es müssen kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben gemacht werden (vgl. Art. 4 der RL 2011/95/EU sowie BVerfG, B.v. 7.4.1998 – 2 BvR 253/96 – juris).
14
Für den internationalen Schutz bestimmt Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, dass die Tatsache, dass ein Drittstaatsangehöriger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
15
Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Gericht nach dem Eindruck, den es sich in der mündlichen Verhandlung von der Glaubhaftigkeit des Vorbringens und der Person des Klägers machen konnte, nicht voll überzeugt von der Wahrheit des vom Kläger geschilderten individuellen Verfolgungsschicksals.
16
Sein Vortrag blieb zunächst zum Teil detailarm, vage und oberflächlich und wurde erst auf Nachfragen des Gerichts weiter vertieft. Zwar benannte er die Daten der beiden Angriffe, die im Auftrag des ESN auf ihn verübt worden seien, auf ihn jeweils mit Datum (.... Mai 2021 bzw. … Mai 2021). Diese Daten stimmen jedoch nicht mit der Schilderung beim Bundesamt überein, wo er angegeben hat, dass sich der Tod des Kommandanten am … April 2021 ereignet haben soll und die Angriffe circa ein bis zwei Wochen nach dem Todesfall stattgefunden hätten. Überschießend und nicht überzeugend wirkte die Schilderung, dass der Abgeordnete der Region des Klägers im Bundesparlament Nigerias, Senator … …, ihn angerufen habe um sich zu erkundigen, was vorgefallen sei, dass der Staat das Militär zu ihm geschickt habe, und dann hierzu Ermittlungen aufgenommen habe. Es ist schlicht nicht nachvollziehbar, weshalb sich ein Abgeordneter des Bundesparlaments eines Staates mit ca. 218 Millionen Einwohnern um eine solche Angelegenheit kümmern und von sich aus den Kontakt zum Kläger gesucht haben soll. Es ist auch nicht nachvollziehbar, wie es dem Kläger trotz der vorgetragenen Verfolgung durch den Staat gelungen sein soll, mit dem Flugzeug auszureisen. Die hierzu im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt gegebene Erläuterung, dies habe ein Bekannter für ihn arrangiert, ist unglaubhaft. Irrelevant für den Vortrag des klägerischen Verfolgungsschicksals blieb der Inhalt des Internetlinks, welcher belegen soll, dass der „Royal Father“ seiner Dorfgemeinschaft veröffentlicht habe, dass der Kläger kein Terrorist sei. Den aus einer solchen Veröffentlichung ergibt sich schon kein Bezug zu dem vorgetragenen Verfolgungsschicksal.
17
Im Übrigen hat das Bundesamt zu Recht auf die Möglichkeit internen Schutzes in einem anderen, sicheren Landesteil, § 3 e AsylG, verwiesen.
18
Wie sich aus den aktuellen Erkenntnismitteln (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria v. 24.11.2022, S. 14), ergibt, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil Nigerias auszuweichen. Mangels Melde- und Fahndungssystems (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Nigeria, Stand: 29.7.2022, S. 51 f.) sowie aufgrund der herrschenden Anonymitätsverhältnisse in den nigerianischen Großstädten (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, Stand: 22.2.2022, S. 24 f.) ist nicht anzunehmen, dass der Kläger auf fremde Veranlassung und ohne Offenlegen ihres neuen Aufenthaltsortes aufgefunden werden könnte. Bei einem Niederlassen in einer der anderen Großstädten (wie etwa L., P. H., I., A. oder auch A.) besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden. Dem Kläger ist es auch im Hinblick auf seine individuellen Umstände zuzumuten, sich in diesem sicheren Landesteil Nigerias niederzulassen. Insbesondere ist eine Verletzung des Art. 3 EMRK aufgrund der humanitären Situation (vgl. BVerwG, U. v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris Rn. 27) auch zum Entscheidungszeitpunkt nicht zu befürchten. Es ist anzunehmen, dass es dem gesunden und arbeitsfähigen Kläger, der seit einiger Zeit in verschiedenen Jobs im Bundesgebiet erwerbstätig ist, gelingen wird, den Lebensunterhalt für sich und seine beiden minderjährigen Kinder und gegebenenfalls seiner Mutter zu erwirtschaften, notfalls auch ohne Einbindung in ein familiäres Netzwerk.
19
2. Die Klage war daher mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.