Titel:
Asylrecht, Herkunftsland: Palästinensische, Autonomiegebiete, Drittstaatenbescheid (Griechenland), Ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung
Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
GRCh Art. 4
Schlagworte:
Asylrecht, Herkunftsland: Palästinensische, Autonomiegebiete, Drittstaatenbescheid (Griechenland), Ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24615
Tenor
I.Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Februar 2023 wird aufgehoben.
II.Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 16. Februar 2023, mit dem sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt und ihm die Abschiebung nach Griechenland angedroht wurde.
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Der Kläger ist Palästinenser aus den autonomen Palästinensergebieten (Gazastreifen), arabischer Volkszugehörigkeit und islamischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am … … … in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am … … … einen Asylantrag.
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Eine EURODAC-Abfrage durch das Bundesamt ergab einen Treffer für Griechenland.
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Mit Schreiben vom 4. November 2022 teilten die griechischen Behörden dem Bundesamt mit, dass dem Kläger am … … … internationaler Schutz („refugee status“) gewährt worden war und er eine Aufenthaltserlaubnis für den Zeitraum … … … … … … … erhalten hatte.
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In der Anhörung beim Bundesamt am … … … gab der Kläger an, dass er ca. 2,5 Jahre in Griechenland gelebt habe. Er sei im Flüchtlingscamp auf der … … gewesen. Dort sei er nicht gut behandelt worden. Nachdem er Schutz erhalten habe, habe er das Camp verlassen. Es gebe in Griechenland keine Möglichkeit, sich einen Lebensunterhalt aufzubauen. Wenn er zurückkehren würde, müsse er auf der Straße leben. Er sei im Gazastreifen wegen psychischer Probleme in Behandlung gewesen. In Deutschland gehe es ihm besser, er sei nicht in ärztlicher Behandlung. Er habe im Gazastreifen als Friseur gearbeitet. Dabei habe er das verdienen können, was er im Alltag gebraucht habe. Er habe nicht die Möglichkeit gehabt, Geld beiseitezulegen oder anzusparen. So sei es auch seinen Geschwistern gegangen. Sein Vater sei mittlerweile im Ruhestand, seine Mutter sei schon immer Hausfrau gewesen.
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Mit Bescheid vom 16. Februar 2023 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Andernfalls wurde ihm die Abschiebung nach Griechenland bzw. in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Der Antragsteller dürfe nicht in die palästinensischen Autonomiegebiete abgeschoben werden (Nr. 3). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
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Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass die derzeit schwierigen Lebensverhältnisse von international Schutzberechtigten in Griechenland nicht verkannt werden würden, von einer allgemeinen Unzumutbarkeit der Rückkehr nach Griechenland deswegen jedoch nicht ausgegangen werden könne. Es sei dem Kläger möglich, mit entsprechender Eigeninitiative zu vermeiden, dass er in eine Situation extremer materieller Not gerate, die es ihm nicht erlauben würde, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG).
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Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, mit Schriftsatz vom 10. März 2023 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben.
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Mit Schriftsatz vom 3. April 2023 beantragte er,
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den Bescheid vom 16. Februar 2023 aufzuheben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass anerkannte Asylrückkehrer in Griechenland mit hoher Wahrscheinlichkeit obdachlos werden würden und auch im Übrigen wirtschaftlich nicht Fuß fassen könnten.
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Die Beklagte hat die Akten vorgelegt und beantragte mit Schriftsatz vom 20. März 2023,
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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 21. März 2023 zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen.
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Mit Gerichtsbescheid vom 17. Juli 2023, der Beklagtenpartei zugestellt am 21. Juli 2023, hat das Gericht den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Februar 2023 aufgehoben. Die Beklagte hat am 27. Juli 2023 die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den Inhalt der vorgelegten Behördenakte des Bundesamts sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 29. August 2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der Gerichtsbescheid vom 17. Juli 2023 gilt als nicht ergangen, § 84 Abs. 3 Alt. 2 VwGO, da der Antrag auf mündliche Verhandlung rechtzeitig gestellt worden ist (§ 78 Abs. 7 AsylG, § 84 Abs. 2 Ziffer 2 VwGO).
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Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Februar 2023 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Unrecht als unzulässig abgelehnt. Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
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1. Statthafte Klageart ist im Hinblick auf die angegriffene Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids) und die Folgeentscheidungen die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 16 ff.).
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2. Es kann dahinstehen, ob der streitbefangenen Bescheid ursprünglich formell rechtswidrig war, weil die Beklagte den Kläger zur Zulässigkeit des Asylantrags gem. § 29 Abs. 1-4 AsylG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG unzureichend angehört hat (Bl. 177 ff. der Behördenakte – BA). Soweit der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung darauf verwiesen hat, dass der Entscheider aus der Angabe des Klägers, er habe nicht in Griechenland bleiben wollen, sondern nach Deutschland weiterreisen wollen, geschlossen habe, dass der Kläger sich in Griechenland nicht mit der erforderlichen Eigeninitiative bemüht habe, sich zu integrieren sowie eine Arbeit und eine Wohnung zu finden, und deshalb keine diesbezüglichen Fragen gestellt hat, verstößt dies gegen §§ 24, 25 AsylG i.V.m. Art. 14 bis 16 der RL 2013/32/EU. Hiernach ist es Sache der Asylbehörde, bei der Anhörung eine Situation zu schaffen, die es dem Antragsteller überhaupt erst ermöglicht, seiner Darlegungspflicht angemessen nachzukommen (vgl. Fränkel in Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, § 25 AsylG, Rn. 2). Das Gericht betrachtet einen etwaigen ursprünglichen Rechtsverstoß des Bundesamts im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung jedoch als geheilt, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit hatte, seinen Vortrag zu ergänzen und dies, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, auch getan hat.
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3. Als Rechtsgrundlage für die Unzulässigkeitsentscheidung in Nummer 1 des angefochtenen Bescheids kommt § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht in Betracht.
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Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Zwar wurde hinsichtlich des Klägers seitens der griechischen Behörden mitgeteilt, dass diesem in Griechenland internationaler Schutz („refugee status“) gewährt worden ist. Allerdings kommt § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG im klägerischen Fall nicht zur Anwendung.
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a. Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG darf nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Auslegung des Art. 33 Abs. 2 a) der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes nicht ergehen, wenn die Lebensverhältnisse, die den Kläger als anerkannt Schutzberechtigten in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nach Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) bzw. des diesem entsprechenden Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu erfahren (EuGH, B.v. 13.11.2019 – C-540/17 (Hamed) – juris Rn. 35 ff.; U.v. 19.3.2019 – C-297/17 (Ibrahim) – juris Rn. 83 ff.; BVerwG, U.v. 17.6.2020 – 1 C 35.19 – juris Rn. 23). Das Gericht ist verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 (Ibrahim) – juris Rn. 88).
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Solche Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 GRCh, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falls abhängt. Eine solche ist erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 (Ibrahim) – juris Rn. 89 ff.; BVerwG, U.v. 17.6.2020 – 1 C 35.19 – juris Rn. 27; OVG NW, B.v. 16.12.2019 – 11 A 228/15.A – juris Rn. 44: „Bett, Brot, Seife“). Bei der Gefahrenprognose ist auf das Bestehen einer ernsthaften Gefahr („serious risk“) abzustellen, was dem Maßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“) i.R.v. Art. 3 EMRK bzw. der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im nationalen Recht entspricht (so BVerwG, U.v. 17.6.2020 – 1 C 35.19 – juris Rn. 27).
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Verstöße gegen Art. 4 GRCh im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewährung sind nicht nur bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen, sondern führen bereits zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung (BVerwG, U.v. 17.6.2020 – 1 C 35.19 – juris Rn. 23).
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b. Ausgehend hiervon kann der Asylantrag nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden. Im Hinblick auf die dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel besteht die ernsthafte Gefahr, dass dem Kläger im Fall einer Rückkehr nach Griechenland eine erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh droht.
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Der Kläger als anerkannt Schutzberechtigter wird nach einer Rücküberstellung nach Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen seine elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigen werden können und nicht in der Lage sein, seinen Lebensunterhalt eigenständig zu erwirtschaften. Da er auch nicht auf eine ausreichende Unterstützung von staatlicher oder nichtstaatlicher Seite hoffen kann, besteht für ihn das ernsthafte Risiko, obdachlos zu werden und in eine Situation extremer materieller Not zu geraten, so dass ihm eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK droht (vgl. OVG Saarl, U.v. 15.11.2022 – 2 A 81/22; SächsOVG, U.v. 27.4.2022 – 492/21 A; OVG NRW, B.v. 5.4.2022 – 11 A 314/22.A; VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.1.2022 – A 4 S 2443/21; OVG Bremen, U.v. 16.11.2021 – 1 LB 371/21; OVG Lüneburg, U.v. 19. 4.2021 – 10 LB 244/20; VG Gelsenkirchen, B.v. 23.8.2024 – 18a L 1299/24.A, VG Berlin, U.v. 28.5.2024 – VG 23 K 507/23 A; VG Braunschweig, B.v. 15.6.2023 – 2 B 140/23; VG Bayreuth, B.v. 15.5.2023 – B 7 S 23.30402; VG Bremen, U.v. 23.2.2023 – 5 K 1434/22; VG Kassel, B.v. 23.2.2023 – 7 L 263/23.KS.A; VG Aachen, B.v. 17.2.2023 – 10 L 86/23.A; U.v. 16.12.2022 – 10 K 2266/21.A; VG Würzburg, B.v. 29.2.2024 – W 1 S 24.30257 – jeweils juris m.w.N.; VG Gelsenkirchen, B.v. 7.8.2024 – 18a L 1143/24.A; VG Meiningen, B.v. 5.8.2024 – 2 E 865/24 Me; VG Minden, B.v. 14.8.2024 – 12 L 693/24.A; VG Bayreuth, B.v. 14.2.2023 – B 4 S 23.30113; VG Augsburg, B.v. 7.2.2023 – Au 4 S 23.30105; VG Würzburg, B.v. 6.2.2023 – W 2 S 23.30077 VG München, U.v. 20.8.2024 – M 18 K 23.30534; U.v. 5.8.2024 – M 17 K 24.31085; B.v. 23.8.2024 – M 17 S 24.32627; B.v. 2.1.2024 – M 18 S 23.32113; B.v. 4.12.2023 – M 22 S 23.32311; B.v. 16.10.2023 – M 18 S 23.31959; B.v. 27.9.2023 – M 17 S 23.31899; B.v. 7.8.2023 – M 18 S 23.31125; B.v. 28.6.2023 – 17 K 23.31155; B.v. 11.5.2023 – 18 S 23.30535; B.v. 21.3.23 – 28 S 23.30542; B.v. 8.3.2023 – 15 S 23.30435; U.v. 24.1.2023 – 17 K 20.32064; U.v. 16.1.2023 – 21a K 19.34267, U.v. 30.11.2022 – 6 K 22.31553, GB.v. 15.11.2022 – 18 K 20.32814; – jeweils unveröffentlicht).
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Mit Zuerkennung des Flüchtlingsstatus sind Schutzberechtigte in Griechenland griechischen Staatsbürgern gleichgestellt und verlieren damit ihr Recht auf staatliche Unterstützung in jeglicher Form (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für Personen mit internationalem Schutzstatus, 20.1.2022, S. 3 m.w.N.). Für den Erhalt von Leistungen ist generell das Vorliegen einer Residence Permit Card (ADET), einer Steueridentifikationsnummer und einer Sozialversicherungsnummer erforderlich. Der dreistufige Prozess zur Erlangung einer Residence Permit Card verlangt Gänge zu verschiedenen Behörden und ist von technischen Defiziten, für Unkundige schwer erkennbaren Zuständigkeiten und Verzögerungen geprägt (Refugee Support Aegean (RSA), Beneficiaries of international protection in Greece: Access to documents and socio-economic rights, März 2024, S. 5 ff.; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Februar 2023, S. 2).
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Die Steueridentifikationsnummer wiederum ist Voraussetzung für die Eröffnung eines Kontos, die Anmietung von Immobilien und die Beantragung einer Sozialversicherungsnummer, an deren Ausstellung die Behörden Berichten zufolge zum Teil zusätzliche, kaum oder nicht erfüllbare Bedingungen knüpfen sollen. Zugang zur Gesundheitsversorgung und zum Arbeitsmarkt erhält nur, wer eine Sozialversicherungsnummer vorweisen kann. Diese kann unter Vorlage einer Aufenthaltserlaubnis, einer Korrespondenzadresse und einer Steueridentifikationsnummer beantragt werden (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland, 13.6.2024, S. 25). Der Erhalt einer Steueridentifikationsnummer ist aufgrund des erforderlichen Adressnachweises insbesondere für Obdachlose und für Personen, die inoffiziell mit anderen zusammenleben, vorübergehend unter verschiedenen Adressen wohnen oder entgegen den Vorschriften in ein Aufnahmelager zurückgekehrt sind, äußerst schwierig (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Februar 2023, S. 3).
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Seit Juni 2020 sind alle anerkannt Schutzberechtigten gesetzlich verpflichtet, die Unterkünfte, in denen sie während des Asylverfahrens untergebracht waren, innerhalb von 30 Tagen nach Schutzzuerkennung zu verlassen. Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Athen berichtet, dass, obwohl sich die die Ankunftszahlen von Flüchtlingen und irregulär einreisenden Migranten in Griechenland seit März 2020 deutlich verringert habe, sich die Situation von Schutzberechtigten seit 2015 nicht wesentlich verbessert hat (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Februar 2023, S. 1). Es wird kein Wohnraum von staatlicher Seite bereitgestellt und Sozialwohnungen existieren nicht. Viele Betroffene sind daher obdachlos, leben in besetzten Gebäuden oder überfüllten Wohnungen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland, 31.1.2024, S. 26 f.; Pro Asyl, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 10 f.; OVG NRW, U.v. 21.1.2021 – 11 A 2982/20.A – juris Rn. 39). Weder existieren eigene Unterbringungsmöglichkeiten für anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte (vgl. AIDA, Country Report: Greece, 2023 Update, 10.07.2024, S. 268 f.), noch reicht der von einigen NGOs punktuell angebotene Wohnraum aus (vgl. VGH BW, U.v. 27.1.2022 – A 4 S 2443/21 – juris Rn. 29 m.w.N.). Nach einer vor Kurzem durchgeführten Studie sind durchschnittlich 18 von 64 Personen mit internationalem Schutzstatus obdachlos oder befinden sich in prekären Wohnverhältnissen; 14 von 64 sind unmittelbar von Obdachlosigkeit bedroht (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland, 31.1.2024, S. 26 f.). Insgesamt hat die Zahl obdachloser Flüchtlinge und Asylbewerber seit Beginn der COVID-19-Pandemie zugenommen (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für Personen mit internationalem Schutzstatus, 20.1.2022, S. 9).
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Obwohl anerkannte Schutzberechtigte theoretisch auch Zugang zu den Notunterkünften für Obdachlose in Griechenland haben, ist der Zugang zu diesen für sie praktisch äußerst schwierig. Denn die Unterkünfte sind oft überlastet und haben lange Wartelisten. Personen, die weder Englisch noch Griechisch sprechen, Familien und Menschen mit Behinderungen werden in den meisten Unterkünften nicht aufgenommen. Auch Zugangsvoraussetzungen, wie etwa das Erfordernis einer Sozialversicherungsnummer, führen dazu, dass es sich für anerkannt Schutzberechtigte als sehr schwierig gestaltet, einen Platz in einer Obdachlosenunterkunft zu erlangen (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Februar 2023, S. 9; RSA, Beneficiaries of international protection in Greece: Access to documents and socio-economic rights, März 2024, S. 24 f.). Der Verbleib in griechischen Flüchtlingslagern stellt für anerkannt Schutzberechtigte keine Option dar, da sie dort keine Versorgung erhalten und die Pflicht zum Verlassen der Unterkünfte auch mit Zwang durchgesetzt wird (vgl. RSA, Beneficiaries of international protection in Greece: Access to documents and socio-economic rights, März 2024, S. 22). Auch können sie nicht auf informelle Siedlungen und Unterkünfte in besetzten Häusern verwiesen werden, da solche Unterkünfte illegal sind und in Griechenland immer wieder durch die Polizei geräumt werden (vgl. VG Braunschweig, B.v. 15.6.2023 – 2 B 140/23 – juris Rn. 30 m.w.N.).
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Wohnbeihilfe erhält erst, wer per Steuererklärung seinen Wohnsitz über mehr als fünf Jahre in Griechenland nachweisen (vgl. RSA, Beneficiaries of international protection in Greece: Access to documents and socio-economic rights, März 2023, S. 19; Pro Asyl, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 19; VGH BW, U.v. 27.1.2022 – A 4 S 2443/21 – juris Rn. 28 m.w.N.) und einen Mietvertrag mit einer Laufzeit von mehr als sechs Monaten vorlegen kann (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland, 31.1.2024, S. 26 m.w.N.). Hinzu kommt, dass, unabhängig von der Frage der Finanzierbarkeit, das private Anmieten von Wohnraum für bzw. durch anerkannte Schutzberechtigte durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte und Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile (vgl. VGH BW, U.v. 27.1.2022 – A 4 S 2442/21 – juris Rn. 24 f. m.w.N.), das Fehlen einer festen Arbeitsstelle (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland, 31.1.2024, S. 26 f. m.w.N.), den Mangel an bezahlbarem Wohnraum und der im Jahr 2024 weiter steigenden Mietpreise (RSA, Beneficiaries of international protection in Greece: Access to documents and socio-economic rights, März 2024, S. 22) äußerst erschwert ist.
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Der Wohnraum des Hilfsprogramms ESTIA war zwar auch für international Schutzberechtigte vorgesehen. Dieses von der Europäischen Kommission finanzierte Programm wurde jedoch im Dezember 2022 beendet und der Großteil der im Rahmen des ESTIA-Programms untergebrachten Personen wurde in sog. Langzeitunterbringungszentren umgesiedelt, wobei eine Gesamtlösung noch nicht ausgearbeitet wurde (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland, 31.1.2024, S. 24 m.w.N.). Infolge der Beendigung des ESTIA-Programms, wurde ein Anstieg der obdachlosen Personen in Griechenland verzeichnet (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Griechenland als «sicherer Drittstaat», 11.8.2023, S. 8 m.w.N.). Damit verbleibt das Programm HELIOS aktuell als einziges offizielles Integrationsprogramm für international Schutzberechtigte mit festem Wohnsitz in Griechenland (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland, 31.1.2024, S. 24). Das Integrationsprogramm HELIOS bietet unter anderem Unterstützung bei der Suche nach einer eigenständigen, auf den eigenen Namen angemieteten Unterkunft an und gewährt Mietzuschüsse für einen Zeitraum zwischen 6 und 12 Monaten und Hilfe bei der Vernetzung mit Wohnungseigentümern. Allerdings werden über das HELIOS-Programm lediglich dann Zuschüsse gewährt, wenn der internationale Schutzberechtigte bereits einen Mietvertrag mit einer Mietdauer von mehr als sechs Monaten unterzeichnet hat und über ein Bankkonto verfügt. Außerdem muss der international Schutzberechtigte offiziell registriert und in einer Flüchtlingsaufnahmeeinrichtung, einem Empfangs- und Identifikationszentrum (RIC), einem Hotel des IOM FILOXENIA-Projekts oder in einer Wohnung des ESTIA-Programms ansässig sein (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Februar 2023, S. 5).
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Die Anmeldung zu HELIOS darf nicht später als 12 Monate nach Anerkennung des Schutzstatus erfolgen, wobei etwaigen Rückkehrern aus dem Ausland eine Teilnahme offiziell nicht möglich ist (vgl. Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Februar 2023, S. 2; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland, 31.1.2024, S. 25; Pro Asyl, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 5 ff.; VGH BW, U.v. 27.1.2022 – A 4 S 2443/21 – juris Rn. 26). Selbst dann, wenn internationale Schutzberechtigte die erforderlichen Kriterien erfüllen, ist eine Unterstützung durch das HELIOS Programm keineswegs gewiss, da neue Registrierungen aufgrund von Finanzierungsengpässen häufig nicht möglich sind (vgl. RSA, Beneficiaries of international protection in Greece: Access to documents and socio-economic rights, März 2024, S. 21; sowie https://rsaegean.org/en/helios-new-interruption/, zuletzt abgerufen am 17.7.2024). So wurden im letzten Quartal des Jahres 2023 lediglich 30 Neuregistrierungen vorgenommen (IOM, HELIOS Factsheet, 29.2.2024, S. 1). Im Jahr 2023 erhielten insgesamt 2.961 Personen Zuschüsse bei der Mietzahlung (IOM, HELIOS Factsheet, 29.2.2024, S. 1). Angesichts dessen, dass Griechenland allein im Jahr 2023 über 25.000 Asylbewerbern internationalen Schutz gewährt hat, kann das HELIOS-Programm die Gefahr der Obdachlosigkeit international Schutzberechtigter kaum mindern (vgl. RSA, Beneficiaries of international protection in Greece: Access to documents and socio-economic rights, März 2024, S. 21).
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Die Gefahr der Obdachlosigkeit zurückkehrender Schutzberechtigter lässt sich nicht mit dem Argument verneinen, zurückkehrenden Schutzberechtigten stünden ungeachtet des Fehlens staatlicher Unterbringungsmöglichkeiten informelle Möglichkeiten der Unterkunftsfindung durch eigene Strukturen und durch Inanspruchnahme landsmännischer Vernetzung zur Verfügung (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Juni 2021, S. 3). Bei realistischer Einschätzung ist davon auszugehen, dass solche informellen Unterbringungsmöglichkeiten begrenzt, prekär und nicht hinreichend verlässlich sind (VG Berlin, U.v. 28.5.2024 – VG 23 K 507/23, beckonline). Die zur Hilfe bereiten Landsleute sind vielfach selbst von Unterstützungsleistungen abhängig. Informelle Unterkunftsmöglichkeiten sind wegen der dort herrschenden Zustände (überfüllte Wohnungen, verlassene Häuser ohne Zugang zu Strom und Wasser) zudem häufig unzumutbar (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 23.11.2021 – OVG 3 B 54.19 – juris Rn. 46; VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.1.2022 – A 4 S 2443/21 – juris Rn. 36 m.w.N.).
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Der Zugang zum Arbeitsmarkt steht anerkannten Schutzberechtigten zwar offen, jedoch ist dieser durch die hohe Arbeitslosigkeit, fehlende Sprachkenntnisse und diverse bürokratische Hürden erschwert (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland, 31.1.2024, S. 31 f.). Die Ausstellung zahlreicher, für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit benötigter, Dokumente ist an hohe Voraussetzungen geknüpft und teils wechselseitig vom Vorhandensein weiterer Dokumente abhängig (Pro Asyl, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 11 ff.), wie z.B. einer gültigen Aufenthaltserlaubnis, Steueridentifikationsnummer, Sozialversicherungsnummer und dem Nachweis einer Unterkunft. Beim Auslaufen einer Residence Permit Card (ADET) wird auch die Steueridentifikationsnummer gesperrt. Dies kann dazu führen, dass anerkannt Schutzberechtigten, die es geschafft haben, eine offizielle Arbeit zu bekommen, aus Angst des Arbeitgebers vor Bußgeldern gekündigt wird und sich diese nach Verlängerung der ADET um eine neue Arbeitsstelle bemühen müssen. Einer vom UNHCR koordinierten Umfrage zufolge.
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Die Angebote der Zivilgesellschaft einschließlich Nichtregierungsorganisationen genügen bei weitem nicht, um international Schutzberechtigte adäquat in den griechischen Arbeitsmarkt zu integrieren. Aufgrund der hohen Arbeitslosenquote von derzeit 9,9% (https://www.destatis.de (Stand Juli 2024); zweithöchste Arbeitslosenquote der EU), fehlender griechischer Sprachkenntnisse und der Konkurrenzlage auf dem griechischen Arbeitsmarkt ist es für anerkannte Schutzberechtigte nur schwer möglich, beziehungsweise beinahe aussichtslos, Arbeit zu finden, um den Lebensunterhalt oder die Kosten für die Anmietung von Wohnraum aus eigener Kraft bezahlen zu können (OVG Saarl, U.v. 15.11.2022 – 2 A 81/22 – juris Rn. 30). Migration in den griechischen Arbeitsmarkt findet daher – soweit überhaupt – vor allem in den Branchen Landwirtschaft, Bau, Tourismus und haushaltsnahe Dienstleistungen statt, in denen nach der Wirtschaftskrise nunmehr zunehmend Arbeitskräfte gesucht werden (vgl. Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Februar 2023, S. 6 f.). Auch hier ist aber davon auszugehen, dass viele der Schutzberechtigten, denen es gelingt, eine Arbeit zu finden, diese in der Schattenwirtschaft erlangen (vgl. AIDA/ECRE, Country Report: Greece, Update 2023, S. 209 ff.) mit der Folge, dass sie keine Ansprüche auf Sozialleistungen erwerben können, die an die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen anknüpfen und sie den bei informellen Arbeitsverhältnissen typischen Gefährdungen ausgesetzt sind (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland, 31.1.2024, S. 32 f.).
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Soweit einige Gerichte die Betroffenen ohne weitere Differenzierung auf eine Tätigkeit im Bereich der Schattenwirtschaft verweisen (vgl. Sächsisches OVG, U.v. 15.3.2022 – 4 A 506/19.A –, juris Rn. 58; VG Hamburg, U.v. 28.6.2024 – 12 A 4023/22 – Rn. 72 ff., und U.v. 28.6.2024 – 12 A 4048/22 – Rn. 73 ff., jeweils juris) so folgt dem die erkennende Einzelrichterin nicht. Ein Mitgliedsstaat darf nicht auf Möglichkeiten und Optionen in einem anderen Mitgliedsstaat verweisen, die nicht nur nach den gemeinsamen europarechtlichen Regelungen – wie hier etwa durch Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates 2016/344/EU –, sondern auch nach den Vorschriften des betroffenen anderen Mitgliedsstaates illegal und zu bekämpfen sind – ganz abgesehen davon, dass der betroffene Asylantragsteller dadurch auch der Gefahr von Sanktionen dieses Mitgliedsstaates ausgesetzt ist (vgl. VG Gelsenkirchen, U.v. 12.4.2024 – 1a K 4942/22.A – juris Rn. 124 ff. zur Zumutbarkeit der Rückkehr nach Italien; OVG NRW, U.v. 20.7.2021 – 11 A 1689/20.A – juris Rn. 137) Bereits das der Europäischen Union innewohnende Prinzip gemeinsam geteilter Werte, hier konkret der Rechtsstaatlichkeit, verbietet es einem Mitgliedstaat, Asylsuchende wie Schutzberechtigte darauf zu verweisen, in einem anderen Mitgliedstaat die dortige Rechtsordnung zu missachten (VG Gelsenkirchen, B.v. 23.8.2024 – 18a L 1299/24.A). Deshalb ist ein Verweis auf illegale Arbeit unzumutbar, auch wenn er nur „vorübergehend“ bis zu einem etwaigen Übertritt in ein legales Beschäftigungsverhältnis erfolgt. Denn diese Übergangszeit kann faktisch auf eine möglicherweise mehrere Jahre andauernde Tätigkeit in der sog. „Schattenwirtschaft“ hinauslaufen (VG Gelsenkirchen, a.a.O.). Soweit das Bundesverwaltungsgericht eine Tätigkeit in der sogenannten „Schattenwirtschaft“ für grundsätzlich zumutbar erachtet (vgl. B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 –, juris Rn. 29, und B.v. 9.1.1998 – 9 B 1130.97 – juris Rn. 5), hat es hier erkennbar nur die (normative) Zumutbarkeit einer (vorübergehenden) Tätigkeit in der „Schattenwirtschaft“ im Allgemeinen in den Blick genommen, zugleich aber ausgeführt, dass mangels Entscheidungserheblichkeit nicht abschließend zu entscheiden sei, ob insoweit ein weitergehender, abstrakt genereller (unionsrechtlicher) Klärungsbedarf zu den Maßstäben der Statthaftigkeit einer Verweisung auf die Ausübung einer Tätigkeit im Bereich der Schattenwirtschaft bestehe – etwa dahin, ob danach zu differenzieren sei, in welcher Weise der Staat gegen Schwarzarbeit vorgehe, auf wen eine etwaige Strafandrohung abziele und wie sich der tatsächliche Bedarf an ausländischen Arbeitskräften in bestimmten Sektoren der Volkswirtschaft und die tatsächliche Praxis der Strafverfolgung darstelle (vgl. auch OVG Münster, U.v. 21.1.2021 – 11 A 2982/20.A –, juris Rn. 80 ff.). Im vorliegenden Fall hat Griechenland durch seine Gesetzgebung zu erkennen gegeben, die Schwarzarbeit – trotz oder aufgrund ihrer weiten Verbreitung – nicht dulden zu wollen (Handelsblatt vom 3.1.2024, Griechenlands Finanzminister greift gegen Steuerhinterziehung durch, https://www.handelsblatt.com/politik/international/euro-zone-griechenlands-finanzminister-greift-gegen-steuerhinterziehung-durch/100004779.html). Für einen Schutzberechtigten ist eine Tätigkeit, bei der er strafrechtliche Sanktionen zu befürchten hat, unzumutbar.
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(Rückkehrende) Schutzberechtigte begegnen auch beim Zugang zu staatlichen Sozialleistungen erheblichen bürokratischen Hürden, an denen der Bezug von Leistungen regelmäßig scheitert. So haben anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland zwar grundsätzlich weitgehend gleichen Zugang zu der seit Februar 2017 schrittweise eingeführten sozialen Grundsicherung wie Inländer. Diese sieht Geldleistungen (erste Säule) sowie Sachleistungen (zweite Säule) und Arbeitsvermittlung (dritte Säule) vor. Die Beantragung von Leistungen der ersten Säule (Soziale Grundsicherung, KEA bzw. EEE; monatlich 200 Euro je Haushalt mit Erhöhungen abhängig von der Anzahl der Haushaltsmitglieder) ist aber von einer Vielzahl von Voraussetzungen abhängig, wie der Vorlage der Steuernummer, der Sozialversicherungsnummer, einer Steuererklärung, einer Arbeitslosenkarte, dem Nachweis eines Bankkontos und dem Nachweis eines festen Wohnsitzes (beispielhaft als Kopie des Mietvertrags oder des Grundbuchauszuges oder eine Obdachlosenbescheinigung). Hinsichtlich der insoweit ggf. erforderlichen Registrierungsbescheinigung der Gemeinde für Obdachlose ist anzumerken, dass es sich anscheinend so verhält, dass diese nur Personen ausgestellt wird, die nach Kenntnis der Behörden tatsächlich auf der Straße leben. Ausgeschlossen sind also Personen, die etwa unregistriert in Camps oder in verlassenen Häusern leben oder zeitweilig bei Bekannten Obdach finden (vgl. RSA, Beneficiaries of international protection in Greece: Access to documents and socio-economic rights, März 2023, S. 20 ff.; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Februar 2023, S. 3 f., die entgegen den Informationen im Bericht von RSA weiter ausführt, dass das KEA auch einen zweijährigen ununterbrochenen legalen Aufenthalt in Griechenland zur Voraussetzung hat).
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Die überwiegende Mehrheit der Personen, die internationalen Schutz erhalten, ist daher zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse auf die Verteilung von Nahrungsmitteln, anderen Gütern und finanzielle Unterstützung angewiesen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland, 31.1.2024, S. 32; OVG Saarl, U.v. 15.11.2022 – 2 A 81/22 – juris Rn. 30). Nichtregierungsorganisationen und sonstige Erbringer von Unterstützungsleistungen können Flüchtlinge und Migranten nicht flächen- und bedarfsdeckend unterstützen, sondern nur ein punktuelles und rudimentäres Auffangnetz gegen Hunger und Entbehrungen bieten (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Griechenland als «sicherer Drittstaat», 11.8.2023, S. 19; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland, 31.1.2024, S. 28). Die vage Annahme, dass der betroffenen Person vor Ort möglicherweise Unterstützung durch andere Asylbewerber oder anerkannt Schutzberechtigte zuteilwerden könnte, genügt auch nicht, um davon auszugehen, dass sich die nach der geschilderten Auskunftslage anzunehmende reale Gefahr längerer Obdachlosigkeit im Falle einer Rückkehr nicht realisieren werde (VGH Baden-Württemberg, U.v. 27. Januar 2022 – A 4 S 2443/21 – juris Rn. 42).
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Lediglich in besonderen Ausnahmefällen kann davon ausgegangen werden, dass der betroffenen Person, trotz der allgemeinen Verhältnisse in Griechenland, eine Verletzung von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK nicht droht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn diese über gefragte Qualifikationen oder Fertigkeiten verfügt, Sprachkenntnisse aufweisen kann oder vor Ort Unterstützung erwarten kann, etwa durch Familie oder Freunde. Weiter werden Alter, Gesundheitszustand Vermögensverhältnisse, Unterhaltsverpflichtungen und soziale Unterstützungsnetzwerke in den Blick genommen bzw. berücksichtigt. Jedoch reicht allein der Umstand, dass sich eine Person verhältnismäßig lange in Griechenland aufgehalten hat und ggf. dort zeitweise ein Existenzminimum erwirtschaften konnte, nicht aus, um ohne Weiteres darauf schließen, dass dies auch bei einer Rückkehr erneut der Fall sein wird. Ein langer Voraufenthalt kann allenfalls ein Indiz sein, dass in Bezug auf die betroffene Person besondere Umstände vorliegen, welche einen solchen Ausnahmefall begründen können (vgl. VG Bremen, U.v. 23.2.2023 – 5 K 1434/22, juris Rn. 32).
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Soweit in der Rechtsprechung zuletzt teilweise gegenteilige Auffassungen vertreten wurden (VG Hamburg, U.v. 15.8.2024 – 12 A 3228/24 – juris Rn. 64; VG Ansbach, B.v. 23.2.2024 – AN 17 S 23.50064 – juris Rn. 23 ff.; VG Bayreuth, U.v. 6.11.2023 – B 7 K 23.30771 – juris Rn. 36 ff.; U.v. 5.9.2023 – B 7 K 23.30517 – juris Rn. 50 ff.; VG München, B.v. 5.7.2024 – M 6 S 24.31735 – unveröffentlicht), folgt die erkennende Einzelrichterin dem nicht. Aus den aktuellen Erkenntnismitteln ergibt sich keine hinreichende Verbesserung der Lage anerkannter Schutzberechtigter in Griechenland. Soweit pauschal angenommen wird, dass junge, gesunde, arbeitsfähige, körperlich belastbare und mit hinreichender Durchsetzungsfähigkeit und Eigeninitiative ausgestattete Männer, vorbehaltlich außergewöhnlicher Umstände, ihre Existenzgrundlage in Griechenland sicherstellen können, deckt sich dies nicht mit den dargelegten Erkenntnissen. Ist eine Person zur Deckung ihrer Lebensgrundlage auf Erwerbsarbeit angewiesen, kommt es nicht nur auf individuelle Umstände an, sondern auch darauf an, ob der zur Verfügung stehende Arbeitsmarkt aufnahmefähig für diesen bestimmten Personenkreis ist. Der griechische Arbeitsmarkt ist von einer hohen Arbeitslosigkeit und hohen Zugangsschwellen (vgl. hierzu Rn. 28, 29, 36) geprägt, die sich gerade in Bezug auf Personen, die größtenteils nicht Griechisch und teilweise auch nicht Englisch sprechen und keine besonderen Fähigkeiten oder Kenntnisse aufweisen, als sehr schwer überwindbar erweisen. Auch der Verweis auf eine Beschäftigung in der Schattenwirtschaft kann nicht durchdringen (vgl. hierzu Rn. 38). Tätigkeiten in der Landwirtschaft und im Tourismus mag es zwar geben. Beide Industrien sind jedoch saisonal und erfahrungsgemäß besonders anfällig für Schwarzarbeit. Es liegen keine Erkenntnisse vor, die darauf hinweisen, dass anerkannt Schutzberechtigte in der Regel in diesen Bereichen auf legale Weise Arbeit finden und so ihren Lebensunterhalt sicherstellen können. Eine vom UNHCR beauftragte Studie (Stand Dezember 2023) hat ergeben, dass 62% der international Schutzberechtigten keine Arbeit gefunden hatten. Diejenigen, die Arbeit gefunden hatten, wurden häufig geringer bezahlt als der griechische Mindestlohn bzw. mussten mehr arbeiten als die durchschnittliche griechische Wochenarbeitzeit. Viele gaben an, aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten Mahlzeiten auslassen zu müssen oder 60 Stunden pro Woche arbeiten zu müssen (AIDA/ECRE, Country Report: Greece, Update 2023, S. 207, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2024/06/AIDA-GR_2023-Update.pdf).
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Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle der Rückkehr nach Griechenland weder eine adäquate Unterkunft noch Arbeit finden oder Zugang zu materiellen Unterstützungsleistungen erhalten kann. Ihm wird es dort aller Voraussicht nach nicht möglich sein, eine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt zu finden. Die Teilnahme an dem HELIOS-Programm wird für den Kläger nicht in Frage kommen, da etwaigen Rückkehrern aus dem Ausland eine Teilnahme offiziell nicht möglich ist. Nach den dargestellten Erkenntnissen ist auch zweifelhaft, ob er in einer durch Nichtregierungsorganisationen zur Verfügung gestellten Wohnung oder in einer Unterkunft für Obdachlose unterkommen kann. Bei einer Arbeitslosenquote von etwa 9,9% und dem Fehlen privater Netzwerke erscheint es nahezu ausgeschlossen, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Griechenland eine Arbeit finden wird, die seinen Lebensunterhalt sicherstellt. Während seines ersten Aufenthalts fand der Kläger keinen festen Arbeitsplatz, sondern verdingte sich illegal als Tagelöhner. Bei einer Tätigkeit als Tagelöhner handelt es sich um eine durch Unsicherheit und ungeregelte Beschäftigungsbedingungen geprägte Tätigkeit, die häufig am Rande der Legalität stattfindet. Auf eine auch in Griechenland strafrechtlich verfolgte Schwarzarbeit kann der Kläger jedoch nicht verwiesen werden, zumal sich dies auch als unionswidrig darstellen würde, weil die Europäische Union Anstrengungen zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung unternimmt (vgl. Rn. 38 und VG Berlin, U.v. 28.5.2024 – 23 K 507/23, BeckRS 2024, 13524 Rn. 41, beck-online). Die vormalige Betätigung als Tagelöhner in Griechenland lässt auch nicht zwingend darauf schließen, dass es dem Kläger auch bei einer Rückkehr wieder möglich sein wird, in diesem Bereich zu arbeiten und sich damit eine Existenzgrundlage zu sichern. Denn es handelt sich um eine je nach Nachfrage fluktuierende und daher äußerst unsichere Betätigung. Unabhängig davon kann der Kläger auch deshalb nicht auf eine Tätigkeit in der „Schattenwirtschaft“ verwiesen werden, weil diese ihn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in die Lage versetzen können wird, für sich eine den benannten unionsrechtlichen Anforderungen genügende Unterbringung und Versorgung zu erwirtschaften. Schwarzarbeit ist unter den Asylbewerbern in Griechenland sehr verbreitet. Viele Flüchtlinge arbeiten in der Landwirtschaft, z. B. in der saisonalen Erntearbeit, meist aber unter prekären Arbeitsbedingungen. Der Lohn reicht in der Regel bereits nicht aus, um eine Wohnung zu mieten. Es ist ferner nicht ersichtlich, dass der Kläger mit Unterstützung durch Freunde oder Familie in Griechenland rechnen kann. Im Übrigen ist der Verweis Schutzberechtigter auf in Griechenland bestehende informelle Migrantennetzwerke und etwaige persönliche Kontakte nicht tragfähig (vgl. VG Gelsenkirchen, B.v. 23.8.2024 – 18a L 1299/24.A, VG Hamburg, U.v. 28.6.2024 – 12 A 4023/22 – Rn. 63., und U.v. 28.6.2024 – 12 A 4048/22 – Rn. 63., jeweils juris). Denn es ist nicht erkennbar, dass Schutzberechtigten wie dem Kläger allein hierdurch mit der gebotenen Sicherheit nachhaltiger sowie gesicherter Zugang zu Wohnraum sowie zu einem legalen Beschäftigungsverhältnis verschafft werden könnte.
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Es bestehen auch keine gesicherten Erkenntnisse, dass der Vater des Klägers, der diesen während seines Aufenthalts in Griechenland finanziell unterstützt hat, weiterhin durch finanzielle Hilfe für den Lebensunterhalt des Klägers sorgen können wird. Nach Angaben des Klägers in der Anhörung beim Bundesamt waren seine Eltern, seitdem sein Vater im Ruhestand ist, selbst auf finanzielle Unterstützung angewiesen (Bl. 149 BA). Außerdem seien sie krank (Bl. 150 BA). Die Situation im Gaza-Streifen hat sich seit dem 7. Oktober 2023 massiv verschlechtert, sodass nicht davon auszugehen ist, dass sich die finanziellen Verhältnisse der Eltern des Klägers so verbessert haben, dass sie in der Lage sind, neben der Sicherstellung ihres eigenen Lebensunterhalts auch noch den Kläger finanziell zu unterstützen. Die Brüder des Klägers, die noch im Gaza-Streifen leben, hatten nach Angaben des Klägers in der Anhörung beim Bundesamt bereits vor Ausbruch des bewaffneten Konflikts nur so viel verdient, dass es ihnen gerade für den eigenen Lebensunterhalt gereicht hat (Bl. 149 BA). Auch bezüglich einer eventuellen Unterstützung des Klägers durch den Bruder in Schweden, der Friseur ist (Bl. 149 BA), liegen keine gesicherten tatsächlichen Anhaltspunkte vor. Aus dem Umstand, dass der Kläger nach eigenen Angaben von seinem Vater einen größeren Geldbetrag zur Finanzierung seiner Ausreise aus dem Gaza-Streifen erhalten hat, kann nicht geschlossen werden, dass der Kläger auch aktuell Unterstützung durch seinen Vater erhalten kann. Der Kläger ist der griechischen Sprache und auch der englischen Sprache nicht mächtig (Bl. 120 BA), was die Arbeitssuche und die Suche nach einer Wohnung noch erschweren dürfte. Es ist auch nicht ersichtlich – wie beklagtenseits in der mündlichen Verhandlung vorgetragen –, dass im Ausland lebende anerkannte Schutzberechtigte die bestehenden hohen Zugangshürden zum griechischen Arbeitsmarkt (vgl. Rn. 28, 29, 36) bereits aus der Ferne überwinden könnten. Schließlich besteht für den Kläger voraussichtlich auch keine Möglichkeit, staatliche Sozialleistungen zu erlangen, da er auch diesbezüglich die vorausgesetzten Nachweise aufgrund der hohen administrativen Hürden aller Wahrscheinlichkeit nach nicht beibringen können wird. Es ist nach Aktenlage auch nicht erkennbar, dass dem Kläger mit Eigeninitiative aufgrund von besonderen persönlichen Eigenschaften, Qualifikationen oder Lebensumständen für den Fall seiner Rückkehr nach Griechenland ausnahmsweise keine Verletzung von Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK drohen würde.
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Da auch kein anderer Unzulässigkeitstatbestand des § 29 AsylG in Betracht kommt, ist die Beklagte zur Durchführung des nationalen Verfahrens verpflichtet. Dementsprechend sind die Folgeentscheidungen in Nummer 2 bis 4 des streitgegenständlichen Bescheids über das Bestehen von Abschiebungsverboten, über die Abschiebungsandrohung und über ein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot, deren Grundlage die Unzulässigkeitsentscheidung ist, verfrüht ergangen und ebenfalls aufzuheben (vgl. BVerwG; U.v. 25.4.2019 – 1 C 51/18 – juris Rn. 20).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.