Titel:
Duldungsbescheid, keine erfolglose Geltendmachung der persönlichen Beitragsschuld gegenüber dem persönlich Beitragspflichtigen
Normenketten:
KAG
AO
Schlagworte:
Duldungsbescheid, keine erfolglose Geltendmachung der persönlichen Beitragsschuld gegenüber dem persönlich Beitragspflichtigen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24479
Tenor
1. Der Bescheid des Beklagten vom 23. Dezember 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Landratsamtes ... vom 13. Mai 2022 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen einen Duldungsbescheid der Beklagten.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Fl.-Nr. …, Gemarkung … Gegenüber der vorherigen Eigentümerin des Grundstückes, A. …, der geschiedenen Ehefrau des Klägers, war mit bestandskräftigem Bescheid der Beklagten vom 4. März 2015 ein Straßenausbaubeitrag i.H.v. 22.678,45 EUR erhoben worden. A. … hatte gegen den Bescheid mit Schreiben vom 27. März 2015 Widerspruch eingelegt mit der Begründung, die Festlegung der maßgebenden Grundstücksflächen sei fehlerhaft und vom ehemaligen Bürgermeister zugesicherte Abweichungen von den Festsetzungen der Straßenausbaubeitragssatzung seien nicht erteilt worden. Das Landratsamt … wies den Widerspruch mit Bescheid vom 20. Januar 2016 zurück. Mit notariellem Überlassungsvertrag vom 26. September 2016 übertrug die vormalige Eigentümerin das Grundstück Fl.-Nr. …, Gemarkung …, dem Kläger zur Abgeltung des Zugewinnausgleichsanspruchs. In Ziffer IV.2. des Vertrages wurde geregelt, dass der Erwerber sämtliche noch nicht bezahlte Erschließungs- und Anschlusskosten trägt. Dies gelte insbesondere für den Bescheid des Beklagten vom 4. März 2015 i.H.v. von 22.678,45 EUR (Straßenausbaubeitrag). Am 21. Januar 2018 verstarb A. … Die Eintragung des Klägers im Grundbuch erfolgte am 25. April 2018. Auf Nachfrage des Beklagten teilte das Amtsgericht … diesem mit Schreiben vom 13. August 2019 mit, Erbe von A. … sei Herr B. … Die Behördenakte enthält ein Schreiben des Beklagten vom 13. November 2019, bezeichnet als „Mahnung (Muster)“ und adressiert an Herrn B. …, mit dem dieser aufgefordert wird, den Gesamtbetrag i.H.v. 35.382,45 EUR (Ausbaubeitrag i.H.v. 22.678,45 EUR, Säumniszuschläge i.H.v. 12.684 EUR, Mahngebühren i.H.v. 20 EUR) zu begleichen. Das Schreiben ist nicht unterschrieben und enthält keinen Versandvermerk. Ein Zustellungsnachweis befindet sich nicht in der Behördenakte. Herr B. … verstarb am 27. März 2020. Das Amtsgericht … teilte auf erneute Nachfrage des Beklagten mit Schreiben vom 14. Mai 2020 mit, bezüglich der Erben von Herrn B. … sei das Nachlassverfahren noch nicht abgeschlossen. Mit Schreiben vom 29. Juli 2020 beantragte der Beklagte die Bestellung eines Nachlasspflegers. Mit Schreiben vom 6. August 2020 teilte das Amtsgericht mit, zur Errichtung einer Nachlasspflegschaft bestehe kein rechtliches Bedürfnis. Die Erbenermittlung könne kurz- bzw. mittelfristig abgeschlossen werden. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2020 beantragte der Beklagte erneut die Bestellung eines Nachlasspflegers mit der Begründung, die Forderung aus dem Straßenausbaubeitrag werde zum 31. Dezember 2020 verjähren. Mit Beschluss vom 17. Dezember 2020 bestellte das Amtsgericht … Herrn … zum Nachlasspfleger und teilte dies dem Beklagten mit Schreiben vom 18. Dezember 2020 mit. Der Beklagte teilte dem Nachlasspfleger mit Schreiben vom 23. Dezember 2020 mit, da auch Herr B. … verstorben sei, wende man sich mit der offenen Forderung über die Festsetzung eines Straßenausbaubeitrages an den Nachlasspfleger. Zur Fristwahrung werde das Ausstandsverzeichnis mit den entsprechenden Forderungen (Ausbaubeitrag i.H.v. 22.678,45 EUR, Säumniszuschläge i.H.v. 12.910,50 EUR, Mahngebühren i.H.v. 20 EUR) übersandt. Das Schreiben wurde mit Postzustellungsurkunde vom 29. Dezember 2020 zugestellt.
3
Der Beklagte verpflichtete mit Bescheid vom 23. _Dezember 2020 den Kläger, die Vollstreckung in seinen erworbenen Grundbesitz, auf dem zu Gunsten des Beklagten öffentliche Grundstückslasten i.H.v. 22.678,45 EUR gemäß Art. 5 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) ruhen, zu dulden. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Vollstreckung in das Vermögen der Alteigentümer (Grundstücksverkäufer) sei erfolglos verlaufen. Damit lägen die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Klägers vor. Der Bescheid wurde mit Postzustellungsurkunde vom 24. Dezember 2020 zugestellt.
4
Der Kläger ließ gegen den Bescheid mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 22. Januar 2021 Widerspruch erheben. Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 4. Juni 2021 im Wesentlichen ausgeführt, seit 1. Januar 2018 würden in Bayern keine Straßenausbaubeiträge mehr erhoben. Es treffe nicht zu, dass die Vollstreckung gegen den ursprünglichen Adressaten des Verwaltungsaktes erfolglos gewesen sei, diese sei in einem Zeitraum von drei Jahren möglich gewesen. Vor diesem Hintergrund könne der Kläger nicht fast sechs Jahre nach Erlass des ursprünglichen Bescheides mit einer Vollstreckung i.H.v. 22.678,45 EUR belastet werden. Dem Kläger sei es mittlerweile nicht mehr möglich, sich für den Härtefallfonds anzumelden. Der Beklagte habe sein Recht auf Duldung gemäß § 191 der Abgabenordnung (AO) verwirkt, im Übrigen seien die Ansprüche verjährt.
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Das Landratsamt … wies mit Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 2022 den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beitrag sei zu einem Zeitpunkt festgesetzt worden, zu dem die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen noch vorgesehen gewesen sei. Er ruhe gemäß Art. 5 Abs. 7 Satz 2 KAG als öffentliche Last auf dem Grundstück. Dass die Vollstreckung in einem Zeitraum von drei Jahren nicht durchgeführt worden sei, habe keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Duldungsbescheides. Im Übrigen sei dem Kläger die Pflicht, den mit Bescheid vom 4. März 2015 festgesetzten, noch nicht bezahlten Straßenausbaubeitrag zu tragen, bekannt gewesen und sei in Ziffer IV.2. der Überlassungsurkunde vom 26. September 20216 explizit festgehalten worden. Dass die Antragsfrist für den Härtefallfonds abgelaufen gewesen sei, habe keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides. Der Beklagte habe – im Vertrauen auf die Eintragung im Grundbuch, in dem weiterhin A. … als Eigentümerin eingetragen gewesen sei – zunächst die Erben ermittelt und von diesen erfahren, dass mittlerweile der Kläger Eigentümer des Grundstücks geworden sei. Der Widerspruchsbescheid wurde am 19. Mai 2022 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.
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Der Kläger ließ mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 13. Juni 2022 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth Klage erheben und mit Schriftsatz vom 16. September 2022 sinngemäß beantragen,
Der Duldungsbescheid der Beklagten vom 23.12.2020 – in Form des Widerspruchsbescheids vom 13.05.2022 – wird aufgehoben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen das Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren vorgetragen. Es wurde ausgeführt, der Anspruch der Beklagten auf Vollstreckung der Straßenausbaubeiträge sei verwirkt, da der Beklagte fast sechs Jahre nach Erlass des ursprünglichen Bescheides den Kläger mit einer Vollstreckung belaste. Seit 1. Januar 2018 würden in Bayern keine Straßenbaubeiträge mehr erhoben. Der Kläger habe schützenswert darauf vertrauen können, dass er, nachdem bereits seit 2015 auf die Vollstreckung der Straßenausbaubeiträge verzichtet worden sei, hierzu nicht mehr herangezogen werden würde. Der Kläger sei im Gegensatz zu seiner verstorbenen Ehefrau finanziell nicht in der Lage, die Straßenausbaubeiträge zu bezahlen.
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Der Beklagte ließ mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 11. Oktober 2022 beantragen,
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der dem Duldungsbescheid zugrundeliegende Straßenausbaubeitragsbescheid sei bereits im Jahr 2015 erlassen worden. Die Tatsache, dass die ursprüngliche Adressatin des Straßenausbaubeitragsbescheides im Jahr 2018 verstorben sei, ändere nichts daran, dass der Beitrag als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhe. Diese sei durch das Entstehen der (sachlichen) Beitragspflicht begründet worden. Die Entscheidung, den Grundstückseigentümer in Anspruch zu nehmen, sei auch nicht ermessensfehlerhaft. Zwar sei die Inanspruchnahme des Duldungspflichtigen erst dann zulässig, wenn die Durchsetzung der Beitragsforderung gegenüber dem persönlichen Schuldner erfolglos geblieben sei oder ihre Durchsetzung ihm gegenüber aussichtslos erscheine. Der Beklagte sei jedoch nicht dazu verpflichtet, alle denkbaren Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den persönlichen Schuldner auszuschöpfen. Dass der Beklagte in der Zeit zwischen der Entscheidung über den Widerspruch bis zum Tod von A. … über einen Zeitraum von fast zwei Jahren die Forderung nicht beigetrieben habe, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen. Nach dem Tod von A. … habe sich der Beklagte um die Ermittlung der Erben bemüht, um die Forderung bei dem jeweiligen persönlichen Schuldner geltend zu machen. Nachdem auch der Erbe von A. … verstorben sei und dessen Erben bis zum Ende des Jahres 2020 nicht hätten ermittelt werden können, sei dem Beklagten nur der Erlass eines Duldungsbescheides gegenüber dem Kläger geblieben. Eine Durchsetzung der Inanspruchnahme des persönlichen Schuldners sei aussichtslos gewesen. Der Anspruch auf Zahlung des Straßenausbaubeitrages sei auch nicht verjährt. Die öffentliche Last erlösche nicht, solange die persönliche Schuld bestehe. Die persönliche Schuld sei mit Ablauf des Kalenderjahres 2020 verjährt gewesen. Der Anspruch des Beklagten sei auch nicht verwirkt. Der Beklagte habe gegenüber dem Kläger kein widersprüchliches Verhalten an den Tag gelegt und habe sich nachweislich darum gekümmert, die Erben der verstorbenen A. … und damit den persönlichen Schuldner in Erfahrung zu bringen. Die bloße Untätigkeit gegenüber dem Kläger über einen Zeitraum von ca. zweieinhalb Jahren (Eintragung als Eigentümer im Grundbuch bis Erlass des Duldungsbescheides) sei nicht geeignet, einen Vertrauenstatbestand zu begründen, dass der Beklagte seinen Anspruch nicht mehr geltend machen werde. Auch bei einer früheren Inanspruchnahme des Klägers hätte dieser keine Möglichkeit gehabt, einen Antrag für den Härtefallfonds zu stellen. Der Kläger sei nicht persönlicher Schuldner eines Straßenausbaubeitragsbescheides, nur für diese sei der Härtefallfonds vorgesehen gewesen. Die Rechtmäßigkeit des Duldungsbescheides scheitere auch nicht an einer etwaigen Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides vom 4. März 2015. Zwar habe der Kläger – sofern die Bestandskraft nicht eingetreten wäre – gegen den Beitragsbescheid dieselben Verteidigungsmittel, die der Beitragspflichtige selbst habe. Der Beitragsbescheid sei rechtmäßig erlassen worden. Insbesondere sei die Nutzungsfläche des Grundstücks Fl.-Nr. …, Gemarkung …, zutreffend bestimmt worden, eine mündliche Aussage des ehemaligen Bürgermeisters, von den Festsetzungen der Satzung abzuweichen, werde bestritten. Im Übrigen sei der Beitragsbescheid bestandskräftig.
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Die Klägerbevollmächtigte erwiderte mit Schriftsatz vom 5. Januar 2023 im Wesentlichen, die Beklagte habe ermessensfehlerhaft gehandelt, indem sie den Kläger in Anspruch genommen habe. Vorrangig hätte die Vollstreckung gegen den persönlichen Schuldner der Straßenausbaubeiträge erfolgen müssen, diese sei ohne Grund unterblieben. Persönliche Schuldnerin sei ab Erlass des ursprünglichen Bescheides bis zu ihrem Tod im Jahr 2018 A. … gewesen. Die vom Beklagten angeführte zivilrechtliche notarielle Vereinbarung vom 26. September 2016 gelte nur zwischen den Vertragsparteien, nicht aber gegenüber der Beklagten. Auch gegenüber dem gesetzlichen Alleinerben Herrn B. …, dem Sohn von A. …, sowie nach dessen Tod gegenüber dessen testamentarischen Alleinerben Herrn C. …, ebenfalls wohnhaft in …, seien keine Vollstreckungsversuche der Beklagten dargelegt. Mit Ablauf des Jahres 2020 sei die persönliche Schuld verjährt gewesen. Der Anspruch der Beklagten sei verwirkt, diese sei bis zum 23. Dezember 2020 untätig geblieben, ihren Anspruch zu vollstrecken. Der Kläger habe darauf vertrauen können, dass er nicht in Anspruch genommen werde.
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Auf Nachfrage des Gerichts teilte die Beklagtenbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 15. Februar 2023 mit, der Beklagte habe gegen die Erben des Herrn B. … keine weiteren Vollstreckungsversuche unternommen. Mit Schriftsatz vom 9. März 2023 führte die Beklagtenbevollmächtigte weiter aus, der Beklagte habe sein Ermessen zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides fehlerfrei ausgeübt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, die auch auf den Erlass von Duldungsbescheiden anwendbar sei, seien bei der Ermessensausübung die Uneinbringlichkeit der Erstschuld und außergewöhnliche Umstände zu berücksichtigen. Dem Beklagten sei mit Schreiben des Amtsgerichts … vom 6. August 2020 mitgeteilt worden, dass kein Bedürfnis für die Errichtung einer Nachlasspflegschaft gesehen werde, da die Erbenermittlung kurz- bzw. mittelfristig abgeschlossen werde. Verschiedene Telefonate zwischen Ende September und Mitte November 2020 mit der zuständigen Nachlasspflegerin hätten weder die Werthaltigkeit des Nachlasses noch die Erbenstellung des Herrn B. … aufklären können. Der Beklagte habe mit Schreiben vom 15. Dezember 2020 erneut die Bestellung eines Nachlasspflegers für den Nachlass des Herrn B. … beantragt, das Amtsgericht … habe in dem Beschluss vom 17. Dezember 2020 den Nachlasspfleger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Forderung des Beklagten gegen den Nachlass mit Ablauf des 31. Dezember 2020 verjähre. Der Beklagte habe sich mit Schreiben vom 23. Dezember 2020 an den Nachlasspfleger wegen eines Vollstreckungsversuches der rückständigen Forderungen aus dem Straßenausbaubeitrag gewandt. Bis zum heutigen Tag habe der Beklagte vom Nachlasspfleger keine Nachricht erhalten. Die Forderung sei nach § 211 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) spätestens am 30. Juni 2021 verjährt. Spätestens in der Widerspruchsentscheidung habe die Ermessensentscheidung, warum der dingliche und nicht der persönliche Schuldner in Anspruch genommen werde, begründet werden müssen. Diese besondere Begründung sei jedoch nicht erforderlich gewesen, da zu diesem Zeitpunkt die Realisierung des Abgabeanspruches gegen den persönlichen Schuldner unmöglich gewesen sei.
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Der Aufforderung des Gerichts an die Klägerbevollmächtigte, zu dem Schriftsatz Stellung zu nehmen, kam diese nicht nach. Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat mit Urteil vom 9. Mai 2018 (B 4 K 16.237) die Klage einer weiteren Anliegerin gegen den Straßenausbaubeitrag abgewiesen. In den Gründen des Urteils (Bl. 450 f. der Widerspruchsakte) wird ausgeführt, auch wenn die Satzung der Beklagten über die Erhebung von Beiträgen zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung von Straßen, Wegen, Plätzen, Parkplätzen, Grünanlagen und Kinderspielplätzen (Ausbaubeitragssatzung) vom 15. März 2005 (ABS) unwirksam sei, da diese keine Verteilungsregelungen für Außenbereichsflächen enthalte, könne der Bescheid auf die am 26. April 2016 erlassene neue Satzung der Beklagten gestützt werden, die eine Woche nach der Veröffentlichung im Amtsblatt (21. Mai 2016) in Kraft getreten und mit Satzung vom 28. März 2017 teilweise geändert worden sei. Selbst wenn die Ausbaumaßnahme technisch bereits im Jahr 2005 abgeschlossen gewesen sei, dürften Beiträge auch für solche Ausbaumaßnahmen erhoben werden, die vor dem Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung endgültig abgeschlossen worden seien (Art. 5 Abs. 8 KAG).
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Die Beteiligten erklärten mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2022 bzw. mit Schriftsatz vom 5. Januar 2023, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein.
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Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, ist begründet.
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Der Duldungsbescheid des Beklagten vom 23. Dezember 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Landratsamtes … vom 13. Mai 2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Duldungsbescheid ist Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) ee) KAG i.V.m. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO, Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 c) KAG i.V.m. § 77 Abs. 2 Satz 1 AO und Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG in der Fassung vom 1. April 2014 i.V.m. der ABS des Beklagten vom 26. April 2016, geändert durch Satzung vom 28. März 2017. Danach hat der Eigentümer die Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz wegen eines Beitrages, der als öffentliche Last auf dem Grundbesitz ruht, zu dulden. Die persönliche Beitragsschuld muss entstanden und darf nicht erloschen sein. Diese muss gegenüber dem persönlichen Schuldner erfolglos geltend gemacht worden sein.
18
1. Der Duldungsbescheid ist trotz unterbliebener Anhörung des Klägers formell rechtmäßig. Die gemäß Art. 28 Abs. 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) erforderliche Anhörung des Klägers vor Erlass des Duldungsbescheides vom 23. Dezember 2020 ist nicht erfolgt. Es kann vorliegend dahinstehen, ob von der Anhörung gemäß Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG abgesehen werden konnte. In jedem Fall ist der Verfahrensfehler gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG mit der Durchführung des Widerspruchsverfahrens (Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG) geheilt.
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2. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 c) KAG i.V.m. § 77 Abs. 2 Satz 1 AO hat der Eigentümer die Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz wegen eines Beitrages, der als öffentliche Last auf dem Grundbesitz ruht, zu dulden. Der gegenüber A. … mit Bescheid vom 4. März 2015 festgesetzte Straßenausbaubeitrag für das Grundstück Fl.-Nr. …, Gemarkung …, ruht gemäß Art. 5 Abs. 7 Satz 1 KAG als öffentliche Last auf dem Grundstück, dessen Eigentümer der Kläger seit dem 25. April 2018 ist.
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a. Die persönliche Beitragspflicht der vorherigen Eigentümerin, A. …, i.H.v. 22.678,45 EUR ist durch Bekanntgabe des Straßenausbaubeitragsbescheides vom 4. März 2015 an diese wirksam entstanden.
21
Der Duldungsanspruch setzt das Bestehen eines vollstreckbaren Anspruchs gegen den Beitragsschuldner voraus (Erstschuld) (Kratzsch in Koenig, Abgabenordnung, 5. Auflage 2024, § 191 Rn. 130 f.). Die Duldungspflicht ist streng akzessorisch (BVerfG, U.v. 13.2.1987 – 8 C 25/85 – BStBl. II 1987, 475). Dabei reicht eine „formelle Forderung“ nicht aus. Die öffentliche Last entsteht erst mit dem Entstehen der (persönlichen) Beitragspflicht (BayVGH, U.v. 2.2.1994 – 23 B 91.2967 – BeckRS 1994, 16967 m.w.N.). Da die öffentliche Last untrennbar mit der sachlichen Beitragspflicht zusammenhängt, muss der auf Duldung in Anspruch Genommene auch Einwände gegen die sachliche Beitragspflicht und den Beitragsbescheid erheben können. Darf er nicht all diejenigen Einwände, die dem Beitragspflichtigen bei fehlender Bestandskraft des Beitragsbescheides selbst zustünden, geltend machen, so käme man zu dem nicht hinnehmbaren Ergebnis, dass eine öffentliche Last zwar Voraussetzung für den Duldungsbescheid ist, dennoch aber nicht umfassend überprüft werden kann, ob die öffentliche Last überhaupt entstanden ist. Die enge, unabdingbare Verknüpfung zwischen öffentlicher Last und Entstehen der Beitragspflicht fordert daher, dass auch das Entstehen der Beitragspflicht in den Prüfungsumfang einbezogen wird (NdsOVG, U.v. 15.9.1995 – 9 L 6166/93 – BeckRS 2005, 21821 m.w.N.).
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Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG in der im Zeitpunkt des Bescheidserlasses geltenden Fassung (Fassung vom 1. April 2014) i.V.m. der ABS des Beklagten vom 21. Mai 2016, geändert durch Satzung vom 28. März 2017, war der Beklagte befugt, für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen Beiträge zu erheben, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Artikel 5a KAG zu erheben waren. Auch wenn die ABS vom 15. März 2005 wegen fehlender Verteilungsregelungen für Außenbereichsflächen unwirksam ist, konnten gemäß Art. 5 Abs. 8 KAG Beiträge auch für solche Ausbaumaßnahmen erhoben werden, die vor dem Inkrafttreten einer wirksamen Satzung endgültig abgeschlossen worden waren. A. … war gemäß Art. 5 Abs. 6 Satz 1 KAG i.V.m. § 1, 2 und 4 ABS vom 21. Mai 2016 i.d.F. vom 28. März 2017 beitragspflichtig, da sie im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld Eigentümerin des o.g. Grundstückes war. Weitere Einwände gegen die Rechtswidrigkeit des Bescheids wurden nicht vorgetragen und sind für das Gericht auch nicht ersichtlich. Der Straßenausbaubeitragsbescheid ist der vorherigen Eigentümerin des o.g. Grundstücks ersichtlich zugegangen, da diese gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt hat. Die Beitragsschuld war laut Bescheid vom 4. März 2015 am 9. April 2015 fällig.
23
Der Straßenausbaubeitragsbescheid vom 4. März 2015 ist auch vollstreckbar. Der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes … gegenüber der vorherigen Eigentümerin vom 20. Januar 2016 wurde nicht beklagt.
24
b. Die persönliche Beitragsschuld der vorherigen Eigentümerin ist nicht durch Übertragung des Eigentums an o.g. Grundstück mit notariellem Überlassungsvertrag vom 26. September 2016 an den Kläger auf diesen übergegangen. Änderungen im Eigentum nach der Bekanntgabe des Beitragsbescheides sind für die persönliche Beitragspflicht ohne Belang, solange der Beitragsbescheid nicht aufgehoben wird, etwa durch einen Widerspruchsbescheid oder ein verwaltungsgerichtliches Urteil (OVG MV, B.v. 4.9.2014 – 1 L 84/13 – BeckRS 2014, 57645). Auch wenn sich der Kläger in Ziffer IV.2. dieses Vertrages verpflichtet hat, sämtliche noch nicht bezahlte Erschließungs- und Anschlusskosten, insbesondere den mit Bescheid des Beklagten vom 4. März 2015 festgesetzten Straßenausbaubeitrag i.H.v. 22.678,45 EUR, zu tragen, gilt eine solche Vertragsabrede nur zwischen den Vertragsparteien, nicht jedoch gegenüber dem Beklagten (vgl. Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 11. Auflage 2022, § 47 Rn. 46).
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c. Die persönliche Beitragsschuld ist nicht erloschen. Sie ist im Zeitpunkt des Erlasses des Duldungsbescheides (23. Dezember 2020) nicht verjährt und auch nicht verwirkt.
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aa. Die Zahlungsverjährung für Beitragsforderungen beträgt gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 a) KAG i.V.m. § 228 Satz 2 HS 1 AO 5 Jahre und beginnt gemäß 13 Abs. 1 Nr. 5 a) KAG i.V.m. § 229 Abs. 1 Satz 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist. Wird die Verjährung gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 a) KAG i.V.m. § 231 Abs. 1 AO unterbrochen, beginnt gemäß § 231 Abs. 3 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Unterbrechung geendet hat, eine neue Verjährungsfrist.
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Gemessen an diesen Grundsätzen ist hinsichtlich der Beitragsforderung aus dem Bescheid vom 4. März 2015 noch keine Verjährung eingetreten. Der Straßenausbaubeitrag war laut Bescheid am 9. April 2015 fällig, so dass die Verjährungsfrist am 1. Januar 2016 zu laufen begann. Der Duldungsbescheid des Beklagten wurde in jedem Fall noch vor Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist (31. Dezember 2020, 24 Uhr) erlassen. Vorliegend wurde jedoch der Ablauf der Verjährung gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 a) KAG i.V.m. § 231 Abs. 1 Nr. 7 AO durch die Ermittlungen des Beklagten bezüglich der Erben von Herrn B. …, dem Erben von A. …, unterbrochen.
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Die Anfrage des Beklagten an das Amtsgericht … vom 22. April 2020, den Erben von Herrn B. …, dem Erben der vorherigen Eigentümerin des o.g. Grundstücks, mitzuteilen, war darauf ausgerichtet, die Person des (jetzigen) Beitragspflichtigen, insbesondere dessen Wohnsitz bzw. Aufenthaltsort zu ermitteln. Dieser Zugriff auf Datenbestände oder Register außerhalb des innerdienstlichen Bereiches geschah mit dem Zweck, zukünftig auf den neuen Beitragspflichtigen zugreifen und den konkreten Beitragsanspruch aus dem bestandskräftigen Bescheid vom 4. März 2015 durchsetzen zu können (sog. erhebungsspezifisches Element, vgl. Klüger in Koenig, a.a.O., § 231 Rn. 21 f.; Werth in Klein, a.a.O., Rn. 20 m.w.N.). Somit begann gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 a) KAG i.V.m. § 231 Abs. 3 AO mit Ablauf des Jahres 2020, in dem die Ermittlungen bezüglich des neuen Erben abgeschlossen waren, frühestens zum 1. Januar 2021 eine neue fünfjährige Verjährungsfrist. Damit besteht auch die öffentliche Last fort, da diese gemäß Art. 5 Abs. 7 Satz 1 HS 2 KAG nicht erlischt, solange die persönliche Schuld besteht.
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bb. Verwirkt ist ein Anspruch, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die spätere Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen (Umstandsmoment). Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser seinen Anspruch nach längerer Zeit nicht mehr geltend machen würde, und wenn er sich infolge seines Vertrauens so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BVerwG, U.v. 18.7.2012 – 8 C 4.11 – BVerwGE143, 335 Rn. 86, B.v. 20.1.2017 – 8 B 23.16 – Buchholz 316 § 41 VwVfG Nr. 8 Rn. 14). Der Umstand, dass der Beklagte im Zeitraum zwischen dem Erlass des Straßenausbaubeitragsbescheides und dem Tod von A. … keine Maßnahmen zur Durchsetzung des Anspruchs getroffen hat, ist unerheblich. Dem Beklagten stand es frei, die Verjährungsfristen auszuschöpfen, ohne dass ihm entgegengehalten werden kann, der Anspruch wäre früher geltend zu machen gewesen (NdsOVG, U.v. 31.8.2009 – 9 LA 419/07 – juris Rn. 10). Laut Behördenakte ist der Beklagte erstmals mit dem Schreiben vom 23. Dezember 2020 an den Nachlasspfleger mit einem (persönlich) Beitragspflichtigen in Verbindung getreten. Insoweit scheidet positives Verhalten, das einen Vertrauenstatbestand des (persönlich) Beitragspflichtigen hätte auslösen können, aus. Anhaltspunkte für ein pflichtwidriges Unterlassen des Beklagten, aus denen die (persönlich) Beitragspflichtigen einen entsprechenden Vertrauenstatbestand herleiten könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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3. Auch der Duldungsanspruch gegenüber dem Kläger ist nicht verwirkt. Aus der Behördenakte ist ersichtlich, dass der Beklagte vor Erlass des Duldungsbescheides am 23. Dezember 2020 nicht mit dem Kläger in Verbindung getreten ist. Ein Verhalten des Beklagten gegenüber dem Kläger, das geeignet ist, ein Vertrauen darauf zu begründen, dass der Duldungsanspruch nicht mehr ausgeübt werde, ist auch insoweit weder vorgetragen noch ersichtlich. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass dem Kläger spätestens am 26. September 2016, als er sich in dem notariellen Überlassungsvertrag gegenüber A. … verpflichtete, sämtliche noch nicht bezahlte Erschließungs- und Anschlusskosten für das Grundstück zu übernehmen, von der bestehenden Forderung aus dem Bescheid des Beklagten vom 4. März 2015 i.H.v. 22.678,45 EUR (Straßenausbaubeitrag) wusste.
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Entgegen dem Vorbringen der Klägerbevollmächtigten ist der Duldungsanspruch auch nicht deshalb verwirkt, weil die Erstschuld, der Straßenausbaubeitrag, ab 1. Januar 2018 nicht mehr erhoben werden durfte. Mit dem Gesetz zur Änderung des KAG vom 26. Juni 2018 war es den bayerischen Gemeinden nicht mehr möglich, ab 1. Januar 2018 Straßenausbaubeiträge zu erheben. Der (bestandskräftige) Straßenausbaubeitragsbescheid wurde jedoch bereits am 4. März 2015 erlassen, ein Vertrauenstatbestand für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2018 wurde nicht gesetzt. Im Übrigen wird der Kläger aus dem Duldungsbescheid und nicht aus dem Straßenausbaubeitragsbescheid in Anspruch genommen.
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Mit dem Vorbringen, dem Kläger sei es mittlerweile nicht mehr möglich, sich für den Härtefallfonds anzumelden, dringt die Klägerbevollmächtigte bereits deshalb nicht durch, da dem Kläger die Antragsbefugnis gefehlt hätte. Gemäß Art. 19a Abs. 7 Satz 4 Nr. 1 KAG ist antragsbefugt nur derjenige, gegen den nach den Bestimmungen des KAG durch Bescheid, Vergleich oder Vereinbarung u.a. Straßenausbaubeiträge festgesetzt wurden. Der Straßenausbaubeitragsbescheid war an die verstorbene Exfrau des Klägers, nicht aber an den Kläger adressiert. Damit hätte der Kläger – auch wenn der Duldungsbescheid früher ergangen wäre – in keinem Fall einen Antrag auf Härteausgleich stellen können.
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4. Der Duldungsbescheid ist jedoch rechtswidrig, weil der Beklagte vor Erlass des Duldungsbescheides die persönliche Beitragsschuld nicht gegenüber dem (persönlich) Beitragspflichtigen erfolglos geltend gemacht hat bzw. die Erfolglosigkeit einer solchen Geltendmachung absehbar gewesen wäre.
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Eine Vollstreckung in das haftende Grundstück kann grundsätzlich erst eingeleitet werden, nachdem die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des (persönlich) Beitragspflichtigen ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass eine solche Vollstreckung aussichtslos sein würde (BayVGH, U.v. 2.2.1994 – a.a.O.; BayVGH, U.v. 24.2.2005 – 23 B 04.1482 – BeckRS 2005,39591; SächsOVG, B.v. 16.11.2010 – 5 B 207/10 – NJOZ 2011,1469; Thimet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Teil IV Kommentar zum Kommunalabgabengesetz, I. Abschnitt Art. 5, VIII 23, 10.1; Driehaus/Raden, a.a.O. § 27 Rn. 12, 18; Werth in Klein, Abgabenordnung, 17. Auflage 2023, § 219 Rn. 1).
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Eine Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des eigentlich persönlich Beitragspflichtigen vor Erlass des Duldungsbescheides ist unstreitig nicht versucht worden. Anhaltspunkte, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde, sind nicht ersichtlich. Gegenüber der Adressatin des Straßenausbaubeitragsbescheides, A. …, sind laut der Behördenakte bis zu deren Tod am 21. Januar 2018 keine Maßnahmen zur Beitreibung der Forderung getroffen worden. Gleiches gilt gegenüber dem Erben von A. … Herrn B. … Mit der Annahme der Erbschaft ging gemäß § 1922 Abs. 1 BGB das Vermögen von A. … als Ganzes, d.h. alle vererblichen Rechte und Verbindlichkeiten, die auch die persönliche Beitragspflicht aus dem Bescheid des Beklagten vom 4. März 2015 umfassen, auf Herrn B. … über (Gesamtrechtsnachfolge). Der Behördenakte ist nicht zu entnehmen, dass gegenüber Herrn B. … bis zu dessen Tod am 27. März 2020 Vollstreckungsversuche in das bewegliche Vermögen stattgefunden haben. Zwar ist in Bl. 33 der Behördenakte eine Mahnung vom 13. November 2019 mit dem Zusatz „Muster“, adressiert an Herrn B. … und ohne Unterschrift, enthalten. Es ist nicht dokumentiert und damit für das Gericht nicht ersichtlich, dass dieses Schreiben tatsächlich an Herrn B. … versandt wurde. In der Folge hat sich der Beklagte – wie der Behördenakte ebenfalls zu entnehmen ist – um die Ermittlung der Erben des Herrn B. … bemüht und mit Schreiben vom 29. Juli 2020 sowie mit weiterem Schreiben vom 15. Dezember 2020 beim Amtsgericht … die Bestellung eines Nachlasspflegers beantragt. Das Amtsgericht … teilte dem Beklagten mit Schreiben 18. Dezember 2020 den Beschluss vom 17. Dezember 2020 über die Bestellung von Herrn … als Nachlasspfleger mit. Eine Vollstreckung in das bewegliche Vermögen ist ebenfalls nicht erfolgt. Am gleichen Tag, dem 23. Dezember 2020, wandte sich der Beklagte mit einem Schreiben an den Nachlasspfleger mit der Übermittlung eines Ausstandsverzeichnisses bezüglich der offenen Forderungen aus dem Straßenausbaubeitrag und erließ gegenüber dem Kläger den streitgegenständlichen Duldungsbescheid. Vor Erlass des Duldungsbescheides gegenüber dem Kläger hat somit noch keine Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des (persönlich) Beitragspflichtigen stattgefunden. Anhaltspunkte, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Duldungsbescheides die Vollstreckung in den Nachlass aussichtslos sein würde, sind ersichtlich nicht gegeben. Auch wenn an die Zulässigkeit einer solchen Annahme keine unangemessen hohen Anforderungen zu stellen sind (SächsOVG, B.v. 18.5.2015 – 3 B 96/14 – juris Rn. 14 m.w.N.; VG Gießen, U.v. 14.6.2012 – 8 K 2455/10.GI – BeckRS 2012,53849), hat der Beklagte nicht alles unternommen, was nach Lage der Dinge vernünftigerweise zu erwarten war, um von dem persönlichen Schuldner den noch ausstehenden Betrag zu erhalten. Wie oben unter 2. c. aa. ausgeführt, ist insbesondere die Verjährung der persönlichen Beitragspflicht nicht am 31. Dezember 2020 eingetreten. Der Beklagte hätte somit in jedem Fall zunächst versuchen müssen, Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Nachlasspfleger durchzuführen, bevor er den Kläger mit dem Duldungsbescheid in Anspruch nimmt.
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5. Der Bescheid ist auch deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte das ihm durch § 191 Abs. 1 AO eröffnete Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat. Dieser muss das Für und Wider der Inanspruchnahme des Duldungspflichtigen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles abwägen. Aus der Begründung des Bescheides müssen die für die Ausübung des Ermessens angestellten Erwägungen hinreichend erkennbar sein. Der Abgabengläubiger hat zum Ausdruck zu bringen, warum er den Duldungspflichtigen statt des persönlich Beitragspflichtigen in Anspruch nimmt. Der Begründung muss der Sachverhalt, der der Ermessensentscheidung zugrunde gelegt wurde, entnommen werden können (Kratzsch in Koenig, a.a.O., § 191 Rn. 38 m.w.N.). Vom Gericht ist zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Vorschrift nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (Kratzsch in Koenig, a.a.O., § 191 Rn. 35).
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Gemessen an diesen Grundsätzen enthält der vorliegende Duldungsbescheid vom 23. Dezember 2020 keinerlei Ermessenserwägungen. Es liegt ein Ermessensausfall vor. Der streitgegenständliche Bescheid enthält in der Begründung folgende Formulierung: „Die Vollstreckung in das Vermögen der Alteigentümer (Grundstücksverkäufer) verlief erfolglos. Daher liegen nunmehr die Voraussetzungen für ihre Inanspruchnahme aus Duldungspflicht vor“. Tatsächlich hat – wie oben unter 4. Ausgeführt – eine Vollstreckung in das Vermögen der persönlich Beitragspflichtigen („Alteigentümer“) nicht stattgefunden. Es lagen auch keine Erkenntnisse vor, dass diese Vollstreckung aussichtslos sein würde. Die Begründung des Bescheides lässt nicht erkennen, dass sich der Beklagte des eingeräumten Ermessensspielraums überhaupt bewusst war. Sie enthält keine Ausführungen, warum der Straßenausbaubeitrag von dem persönlich Beitragspflichtigen nicht beigetrieben werden konnte. Sie enthält auch keine Erwägungen, wieso es – ohne eine Pflichtverletzung des Beklagten – zu einem Abgabenausfall gekommen ist. Der Beklagte ging vielmehr (irrtümlich) vom Vorliegen der Voraussetzungen für das Ergehen des Duldungsbescheides aus (BayVGH, U.v. 2.2.1994 – a.a.O.). Auch der Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 2022 enthält nicht im Ansatz entsprechende Ermessenserwägungen. Der Duldungsbescheid ist damit rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Klage war deshalb stattzugeben.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 der Zivilprozessordnung (ZPO).