Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 25.04.2024 – B 4 K 22.362
Titel:

Erschließungsbeitragsrecht: Unter anderem zur "Identität" der Erschließungsanlage

Normenketten:
BauGB § 125 Abs. 2, § 127 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4, § 128 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 129, § 130, § 131 Abs. 1, § 133 Abs. 2 S. 1
KAG Art. 5a Abs. 1, Abs. 7 S. 1, S. 2, Art. 2 Abs. 1
EBS 1961 § 6 Abs. 1
BayVwVfG Art. 38 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Sogenannte historische Straßen sind als vorhandene Erschließungsanlagen dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts grundsätzlich entzogen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine derartige historische Straße liegt indes nicht mehr vor, wenn sich der Verlauf der betreffenden Straße derart verändert hat, dass im Vergleich zum ursprünglichen Zustand nicht von einer identischen Erschließungsanlage ausgegangen werden kann. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für vorhandene Erschließungsanlagen, bei denen seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung mindestens 25 Jahre vergangen sind, können keine Erschließungsbeiträge mehr erhoben werden. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
historische Straße, Identität der Erschließungsanlage, Anwendbarkeit des Art. 5a Abs. 7 KAG, Heilung ex nunc, Gemeinde, persönliche Beitragspflicht, Erschließungsbeitrag, Verteilungsmaßstäbe, Erschließungsaufwand, Beitragspflicht, Parkflächen, Erschließungsbeiträge, Zusicherung, Rechtssicherheit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24477

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 12. November 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von ... vom 10. März 2022 wird aufgehoben, soweit darin ein höherer Erschließungsbeitrag als 68.252,81 EUR festgesetzt ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.  

Tatbestand

1
Die Kläger wenden sich gegen einen Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten.
2
Die Kläger sind je zu ½ Miteigentümer von einem Miteigentumsanteil von 227,88/1000, je zu ½ Miteigentümer von einem Miteigentumsanteil von 112,81/1000 und je zu ½ Miteigentümer von einem Miteigentumsanteil von 307,74/1000 des Grundstücks Fl.-Nr. …, Gemarkung …, …gasse**. Das Grundstück ist mit einem viergeschossigen Wohnhaus bebaut. Die …gasse zweigt westlich der …straße ab und verläuft in nordwestlicher Richtung. An ihrem Ende mündet sie in die …-Straße. Die Beklagte führte in den Jahren 2018 bis 2020 Bauarbeiten an der …gasse durch. Dabei wurden die Fahrbahn, Parkflächen, eine Grünanlage, Straßenbegleitgrün, Oberflächenentwässerung und Beleuchtung hergestellt. Die Parkflächen sind für die Anwohner mit Anwohnerparkausweis nutzbar, ansonsten sind diese kostenpflichtig. Grundlage war der städtebauliche Entwurf zur Aufwertung des Parkplatzes in der …gasse und des direkten Umfeldes vom 2. Juni 2016 in der Fassung vom 18. September 2017. Im Bericht des Stadtbaureferats vom 30. Mai 2016 wird u.a. ausgeführt, durch die Errichtung eines dreigeschossigen Studentenwohnheimes sowie einer dreigeschossigen Wohnbebauung seien die historischen Baustrukturen im Blockinnenbereich zwischen …-Straße, …straße, …straße und …-Straße, einem innerstädtischen Wohnquartier, ergänzt worden. Der Straßenbelag befinde sich in einem äußerst bedenklichen Zustand. Auch hinsichtlich der Lage im Innenstadtbereich solle hier umgehend eine Umgestaltung erfolgen. Im Interesse einer Verkehrsberuhigung sowie besseren Wertschätzung des öffentlichen Grundes sei aus städtebaulicher Sicht eine Neuordnung der Fläche für die Erschließung und der öffentlichen Spiel- und Freifläche erforderlich. Der vorhandene provisorische Charakter der Stellplatzanlagen mit ca. 45 Stellplätzen könne durch einen neuen Straßenbelag und Baumpflanzungen städtebaulich aufgewertet werden. Durch die Neuordnung der Stellplätze entstünden 41 Stellplätze und 2 Behindertenstellplätze. Unter anderem seien auch eine Beleuchtung, eine Spielplatzfläche und Grünflächen geplant. Der städtebauliche Entwurf lag in der Zeit vom 13. November 2017 bis einschließlich 11. Dezember 2017 in den Räumen der Beklagten aus, es bestand die Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung der Planung. In der Bekanntmachung zur Beteiligung der Öffentlichkeit an der Bauleitplanung wurde u.a. ausgeführt: „Die öffentliche Verkehrsfläche dient der Erschließung und zur Deckung des Stellplatzbedarfes, insbesondere der anliegenden Baugrundstücke und ihrer Nutzungen. Die öffentliche Erschließung mit einem öffentlichen Parkplatz ist dringend zu erneuern. Der vorhandene provisorische Charakter des Parkplatzes mit 45 Stellplätzen soll durch einen neuen Straßenbelag und ergänzende Baumpflanzungen städtebaulich aufgewertet werden.“ Die Umsetzung der Planung „Stellplatzneuordnung …gasse“ wurde vom Stadtrat der Beklagten in der Sitzung vom 21. März 2018 beschlossen. Der Plan „Stellplatzneuordnung …gasse“ vom 19. Februar 2018 bildet einen Bestandteil des Beschlusses. Die Schlussrechnung vom 2. Oktober 2020 ging am 6. Oktober 2020 bei der Beklagten ein. Bei den Bauarbeiten war vom Denkmalschutz eine archäologische Begleitung gefordert worden, die zu höheren Aufwendungen beim Aushub geführt hatte. Für die archäologischen Arbeiten im Vorgriff der Baumaßnahme wurden aus Mitteln der …stiftung Zuwendungen in Höhe von 7.436,36 EUR ausgezahlt, für die baubegleitenden Arbeiten wurden Zuwendungen in Höhe von 5.000 EUR genehmigt und ausbezahlt. Die Gesamtkosten betrugen 620.126,82 EUR, die beitragsfähigen Kosten 320.090,02 EUR. Dabei wurde die von der …stiftung gewährte Förderung zunächst dafür verwendet, den Eigenanteil der Beklagten zu decken. Der überschießende Fördermittelbetrag wurde auf die Kosten für die Anlieger angerechnet. Das von der Beklagten gebildete Abrechnungsgebiet umfasst 5.698,40 m². In den Behördenakten finden sich u.a. Lagepläne aus den Jahren 1850, 1946, 1955 und 1971.
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Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 12. November 2020 gegenüber den Klägern zu 1. und 2. für das Grundstück Fl.-Nr. …, Gemarkung …, einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 68.259,56 EUR fest (Ziffer 1 des Bescheides). Der Betrag war innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides zur Zahlung fällig (Ziffer 2 des Bescheides). Für das klägerische Grundstück wurde aufgrund der viergeschossigen Bebauung (1,9) und einem vorhandenen Dachgeschossausbau (0,15) ein Nutzungsfaktor von insgesamt 2,05 zugrunde gelegt. Die Grundstücksfläche wurde mit einer Fläche von 975 m² angesetzt. Je Quadratmeter Grundstücksfläche wurde ein Erschließungsbeitrag von 52,6674 EUR/m² angesetzt.
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Die Kläger ließen gegen den Bescheid mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 8. Dezember 2020 Widerspruch einlegen und begründeten diesen mit Schriftsatz vom 16. März 2021 wie folgt: Die …gasse sei mit den abgerechneten Maßnahmen nicht „erstmalig hergestellt“, sondern habe bereits in der Zeit vor 1936, jedenfalls aber 1961, als vollständig hergestellte, öffentlich genutzte, den örtlichen Verkehrsbedürfnissen angepasste und mit Parkmöglichkeiten versehene Ortsstraße fungiert. Sie sei als Erschließungsstraße/historische Straße seit 1889 namentlich erfasst. Der Umfang der erschlossenen Grundstücksflächen sei bereits seit 1900 bekannt, der Erwerb der für die Straße erforderlichen und später auch genutzten Flächen sei zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen gewesen, die Straße sei mit den von der Stadt für erforderlich gehaltenen technischen Merkmalen ausgestattet und der Öffentlichkeit gewidmet gewesen. Somit komme es nicht darauf an, ob die rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht, insbesondere in Form einer gültigen Beitragssatzung zum Zeitpunkt der endgültigen Herstellung bereits vorgelegen hätten. Die …gasse sei seit spätestens 1955 als „…gasse“ bezeichnet und dem öffentlichen Verkehr zur Verfügung gestellt worden. Bezüglich der entsprechenden planerischen Grundlagen sei die Beklagte darlegungspflichtig. Ein Plan vom 23. August 1955 (Bl. 41 der Widerspruchsakte der Beklagten) werde vorgelegt. Der Straßenkörper habe stets und zwar 1936, 1955 und Ende der 1960er Jahre den üblichen Ausbaugepflogenheiten entsprochen, die Straße sei hinreichend befestigt gewesen, die Oberflächen seien entwässert worden, die Straße in ihrem gesamten Verlauf mit einer Straßenbeleuchtung versehen und sowohl für den Durchgangsverkehr als auch insbesondere im geschotterten Bereich als Parkfläche genutzt worden. Die …gasse habe über eine gezielte Ableitung von Oberflächenwasser in der Form verfügt, dass Straßenrinnen/Randsteine zur Abgrenzung und zur Vermeidung der Ableitung von Oberflächenwasser auf angrenzende Grundstücke gesetzt gewesen seien. Die …gasse habe auch in ihrer Nutzung den örtlichen Verkehrsbedürfnissen genügt. So habe die Straße durchaus immer eine Durchfahrtsbreite von mindesten 5,5 m gehabt. Dies würden entsprechende Fotografien aus der Zeit belegen. Sie sei 1956 wie auch 1969 mit Lieferfahrzeugen befahren worden. Gerade weil die Beklagte die …gasse über Jahrzehnte keiner weiteren Beplanung zugeführt habe, habe sie zum Ausdruck gebracht, dass im Hinblick auf die Planungshoheit eine bereits endgültig hergestellte Straßenanlage angenommen werde. Auch in den Stadtratsbeschlüssen der Beklagten zum Thema „Stellplatzneuordnung …gasse – städtebaulicher Entwurf“ heiße es u.a., die öffentliche Erschließung mit einem öffentlichen Parkplatz sei dringend zu erneuern. Der Beitragsbescheid habe auch nicht beitragsfähige Anlagen wie die selbstständige Parkfläche in Form eines größeren öffentlichen Parkplatzes erfasst. Diese Parkfläche könne den erschlossenen Grundstücken nicht zugeordnet werden, sondern stehe vielmehr der Öffentlichkeit zur Verfügung, für die Benutzung würden Parkgebühren erhoben. Dieser Bereich werde – ursprünglich geschottert – seit mindestens 60 Jahren als öffentlicher Parkplatz genutzt, eine Beleuchtung sowie eine Befestigung seien vorhanden. Die Anlieger hätten keinen Sondervorteil, insbesondere da die Kläger auf ihrem Grundstück die nach Art. 47 Abs. 2 Satz 2 der Bayerischen Bauordnung (BayBO) nachzuweisenden neun Kfz-Stellplätze und zwei weitere Parkplätze für Besucher hergestellt hätten. Selbst wenn an eine endgültig hergestellte Erschließungsstraße zu einem späteren Zeitpunkt ein Parkstreifen oder Parkbuchten gebaut würden, würden diese als Veränderungen an fertigen Erschließungsanlagen zu keiner neuen Beitragspflicht nach dem Baugesetzbuch (BauGB) führen. Die Kosten für die Erneuerung des Parkplatzes und die Kosten für die archäologischen Sicherungs- und Ausgrabungsarbeiten seien nicht umlagefähig. Im Übrigen sei die Festsetzung der Erschließungsbeiträge auf Grundlage des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und Vorhersehbarkeit ausgeschlossen, da seit dem Entstehen der Vorteilslage mehr als 30 Jahre vergangen seien. Die …gasse habe seit 1955 bis zur Neugestaltung in nahezu unveränderter Form bestanden. Zwar sei die Vorschrift des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) erst zum 1. April 2021 in Kraft getreten, Sachverhalte in der Vergangenheit seien auch im Lichte dieser Vorschrift zu beurteilen.
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Die Regierung von … wies mit Widerspruchsbescheid vom 10. März 2022 den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, wann eine Erschließungsanlage im rechtlichen Sinne erstmalig endgültig hergestellt sei, ergebe sich aus § 6 EBS i.V.m. § 132 Nr. 4 BauGB. Dies setze voraus, dass die Erschließungsflächen mit Entwässerung und Beleuchtung, die Fahrbahnen mit einem frostsicheren Unterbau mit Pflasterung oder Asphaltdecke, sowie Randsteinen und befestigten Straßenrinnen und die Parkplätze mit Platten versehen seien. Aus der vorgelegten Fotodokumentation und den vorgelegten Abrechnungsunterlagen sei ersichtlich, dass dies bislang nicht der Fall gewesen sei. Es bestehe kein Zweifel, dass im Rahmen der Bauarbeiten nicht nur der Straßenbelag erneuert, sondern die gesamte Erschließungsanlage mitsamt Unterbau, Randsteinen und Straßenrinnen, Grünanlagen und Parkplätzen u.a. neugestaltet worden sei. Bei der Erschließungsanlage …gasse handele es sich auch nicht um eine „vorhandene“ Erschließungsanlage i.S.d. Art. 5a Abs. 7 Satz 1 (KAG) i.V.m. § 242 Abs. 1 BauGB, für die ein Erschließungsbeitrag nicht erhoben werden könne. So habe die Straße vor dem Inkrafttreten des BBauG am 30. Juni 1961 nicht den damals einschlägigen, rechtlichen Vorgaben des Anliegerbeitragsrechts genügt. Das gesamte Grundstück – geschweige denn die Fahrbahn – der städtischen Wohnstraße habe die bereits 1936 für städtische Wohnstraße erforderliche Gesamtbreite von 8,50 m (vgl. Ziffer I.1 der Entschließung des Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 6.8.1936, MABl. 1958, S. 627 – IME) nicht erreicht. Auch habe bis zuletzt weder ein frostsicherer Fahrunterbau noch eine durchgehende Straßenentwässerung noch eine Straßenbeleuchtung auf der gesamten Länge existiert. Die Parkflächen seien Bestandteil der Verkehrsanlage …gasse. Auch die Kosten für die archäologische Baubegleitung würden zum Herstellungsaufwand zählen. Da nur eine Asphaltfläche existiert habe, sei auch keine Vorteilslage anzunehmen, die eine zeitliche Begrenzung zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen erfordere. Die Regelung des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes sei im Zeitpunkt der Beitragsfestsetzung und -erhebung noch nicht in Kraft getreten gewesen.
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Die Kläger ließen mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 11. April 2022 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth Klage erheben und beantragen,
I. Der Bescheid der Stadt … vom 12. November 2020, Az.: …, über die Festsetzung und Erhebung eines Erschließungsbeitrags für das Grundstück Flur-Nr. … in Form des Widerspruchsbescheids der Stadt … vom 10. März 2022, Az.: …, wird aufgehoben.
II. Die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu 1) und des Klägers zu 2) im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 20. Mai 2022 in Ergänzung des Vorbringens im Widerspruchsverfahren vorgetragen, bei der vorhandenen Erschließungsanlage handele es sich um eine historische Straße gemäß § 12 des Preußischen Gesetzes betreffend die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften vom 2. Juli 1875, Preußisches Fluchtliniengesetz (PrFluchtlG). Die …gasse habe schon immer, auch vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes, die Funktion einer Anbaustraße im Sinne des Erschließungsbeitragsrechts erfüllt. Dies bestätige eine Luftbildaufnahme vom 6. Mai 1969 (Bl. 60 der Gerichtsakte), auf der zu erkennen sei, dass die …gasse mit einem Asphaltbelag versehen gewesen sei, sich in Teilbereichen ein Gehsteig befunden habe und Parkflächen im Durchgang zur …straße (Bereich späteres Kino-Center) vorhanden gewesen seien. Die Fotografie zeige auch, dass sich, vergleichbar zur angrenzenden …straße, Gullys und Sinkkästen im Straßenverlauf befunden hätte. Eine Fotografie des Kino-Centers nach dem Umbau 1976 (Bl. 61 der Gerichtsakte) zeige ebenso wie eine weitere Fotografie (Bl. 62 der Gerichtsakte) einen Gully bzw. einen Kanaldeckel in eben diesem Bereich. Soweit die Beklagte vortrage, die …gasse habe keine ausreichende Beleuchtung aufgewiesen und es habe bis zuletzt kein „üblicher frostsicherer Fahrbahnunterbau“ existiert, dürfe nicht auf die jetzige Fassung der Satzung für die Erhebung des Erschließungsbeitrages in der Stadt … vom 25. Mai 1983/24. Juni 1987 (EBS 1983/1987), sondern müsse auf die vor 1961 geltende Fassung der EBS vom 17. Mai 1961, in Kraft getreten am 29. Juni 1961 (EBS 1961), abgestellt werden. Nach deren § 6 seien Merkmale der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlagen, dass sie mit einer den Verkehrserfordernissen entsprechenden Straßendecke, Entwässerung und etwa vorgesehenen Beleuchtung versehen, dem öffentlichen Verkehr gewidmet und an einer dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straße angeschlossen seien. Die in § 6 EBS 1961 geforderte Straßendeckung, die „den Verkehrserfordernissen entspricht“, habe vorgelegen, ebenso die „etwa vorgesehene Beleuchtung“, wenn auch nicht „auf ganzer Länge“ durchgehend. Im Hinblick auf Entwässerung, Beleuchtung und Fahrbahnbau sei die …gasse bereits vor 1961 „endgültig hergestellt“ gewesen. Soweit die Beklagte vortrage, die endgültige Herstellung der …gasse scheitere auch daran, dass die „erforderliche Straßenbreite von 8,50 m“ nicht erreicht sei, sei entgegen den Darlegungen der Beklagten die gesamte Durchfahrtsbreite der …gasse zu keinem Zeitpunkt nach dem Krieg schmäler als 6 m gewesen. Der von der Beklagten beschriebene Zustand treffe möglicherweise auf die Situation im Jahr 1945 zu, auf das Luftbild vom 15. April 1945 (Bl. 67 der Gerichtsakte) werde verwiesen. So sei die Ausfahrt zur …straße im Bereich des späteren Kino-Centers von einem Schutthaufen infolge eines durch den Krieg zerstörten Hauses eingeengt gewesen. Eine Fotografie vom 6. November 1963 (Bl. 69 der Gerichtsakte) belege, dass die Kriegsschäden behoben worden seien und im Bereich des früheren Schutthaufens das noch heute stehende Haus errichtet worden sei. Genau diese Bebauung habe es vor 1961 in der …gasse gegeben und diese befinde sich auch heute noch dort. Die schmalste Stelle der …gasse befinde sich im Bereich der Ausfahrt auf die …straße/Kino-Center und betrage von Haus zu Haus 888 cm. Die Beklagte habe den Parkplatz, der als selbstständige Parkfläche anzusehen sei, als „unselbstständige Stichstraßen bis an die östliche Blockrandbebauung“ ausgewiesen, in deren Verlauf seitlich Parkbuchten angelegt worden seien. Eine Erschließung der mit „schwarzen Pfeilmarkierungen“ gezeichneten Eingänge sei einfacher, kostensparender und effektiver möglich gewesen. Ausreichend wäre es gewesen, das kurze Stück Privatweg bis vor die Grundstücke Fl.-Nrn. … und …, Gemarkung …, um wenige Meter zu verlängern oder alternativ eine kurze Zufahrt neben dem Privatweg zu diesen beiden Flurstücken zu schaffen. Hausnummer 4 sei bereits durch den Privatweg erschlossen. Weitere Grundstücke würden eine Zuwegung vom Parkplatz aus nicht benötigen. Der Parkplatz gehöre auch deswegen nicht zum beitragsfähigen Erschließungsaufwand, da nach der „natürlichen Betrachtungsweise“, auf die beim Begriff der Erschließungsanlage abzustellen sei, der unvoreingenommene Betrachter nicht eine kleine Stichstraße, sondern einen öffentlichen Parkplatz sehe. Das Vorhandensein der …gasse mit Parkplatz in beinahe unveränderter Form seit den sechziger Jahren setze deutlich einen Vertrauenstatbestand, zumal Erschließungsbeiträge in ungewöhnlich hoher Höhe verlangt würden. Den Klägern sei beim Kauf ihres Grundstückes auf konkrete Nachfrage hin mitgeteilt worden, dass allenfalls geringfügige Erschließungsbeiträge für das gesamte Anwesen in Höhe von maximal 25.000 EUR anfallen könnten. Die Inanspruchnahme der Kläger durch den im Bescheid festgelegten Umfang sei im Hinblick auf Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Vertrauens in staatliches Handeln unzulässig.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 12. Juli 2022:
Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung wurde bezüglich der Rechtsauffassung der Beklagten und des zugrundeliegenden Sachverhalts auf die vorliegenden Behördenakten verwiesen. Im Jahr 1950 habe bei der Beklagten ein Baulandumlegungsverfahren stattgefunden. Im Rahmen dieses Verfahrens sei im Juli 1950 ein Vorentwurf für die Neueinteilung der Grundstücke angefertigt worden, ein Ausschnitt aus diesem Plan werde vorgelegt (Bl. 105 der Gerichtsakte). Der Plan zeige, dass die Straßenführung der …gasse vor der Baulandumlegung an zahlreichen Stellen grundlegend anders gewesen sei als die jetzige Straßenführung, die der Straßenführung des vor der jetzigen Baumaßnahme vorhandenen Provisoriums im Wesentlichen entsprochen habe. Wie die Straßenführung der alten …gasse vor dem Zweiten Weltkrieg verlaufen sein müsse, lasse sich anhand eines weiteren nicht datierten Planes, der als Anlage (Bl. 106 der Gerichtsakte) vorgelegt werde, rekonstruieren. Da die gleichen Grundstückseigentümer eingetragen seien wie auf dem Vorentwurfsplan von Juli 1950 und der Bestand von Trümmern und Ruinen eingezeichnet sei, stamme dieser vermutlich auch aus der Zeit rund um 1950. Es werde auch ein Luftbild vom 29. Juni 1944 vorgelegt (Bl. 107 ff. der Gerichtsakte). Dieses zeige, dass das Umfeld der …gasse vor den Zerstörungen aufgrund des Zweiten Weltkrieges dicht bebaut gewesen sei und eine verwinkelte Straßenführung ausgewiesen habe. Aus diesen Erkenntnisquellen ergebe sich, dass die nördliche Einmündung der …gasse in die …-Straße vor der Baulandumlegung nach Nordwesten versetzt gewesen sei und sich direkt neben der heutigen Einmündung befunden habe. In ihrem weiteren Verlauf (beschrieben aus Sicht der Pläne), sei die …gasse vor der Umlegung gerade nach Süden verlaufen, während heute ein deutlicher Knick der Straße nach Westen zu erkennen sei und die Straße dafür an dieser Stelle breiter und gleichmäßiger geworden sei. Vor der Baulandumlegung sei eine extreme Verengung der …gasse erfolgt, da sich im Westen zwei kleine Privatgrundstücke (Fl.-Nrn. … und …*) befunden hätten. Die Gasse sei um diese Privatgrundstücke herum verlaufen, habe sich nach beiden Grundstücken zunächst wieder verbreitert, um kurz danach aufgrund der südlichen Grundstücke erneut sehr schmal zu werden. Auch die südliche Einmündung in die …straße sei im Zuge der Baulandumlegung an eine andere Stelle nördlich der früheren Einmündung versetzt und wesentlich breiter gestaltet worden. Die heutige …gasse verlaufe nur zu einem kleinen Teil auf den Flächen, auf denen die früher vorhandene Straßenanlage situiert gewesen sei. Auch seien die Flächen, auf denen sich die beiden Stichstraßen mit den straßenbegleitenden Parkplätzen befänden, vor der Baulandumlegung zu großen Teilen nicht im Eigentum der Beklagten gewesen. Diese Flächen seien – wie sich aus dem nicht datierten Plan (Bl. 106 der Gerichtsakte) und dem Auswertungsprotokoll zur Kampfmittelvorerkundung (Bl. 107 ff. der Gerichtsakte) ergebe – vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu wesentlichen Teilen bebaut gewesen. Vor der Baulandumlegung habe die …gasse eine Art Gabelung gehabt, die weiter nördlich ebenfalls auf die …straße gemündet sei. Mit der Umgestaltung der …gasse im Zuge der Baulandumlegung sei eine völlig neue Straße geschaffen worden, die nicht mehr als identisch mit der vorher bestehenden …gasse angesehen werden könne. Irgendwann nach der Baulandumlegung sei eine völlig neue Straße mit einer im Wesentlichen neuen Straßenführung realisiert worden, zunächst in einer provisorischen Bauweise (ohne durchgängige Randsteine, ohne zielgerichtete, ordnungsgemäße Straßenentwässerung und ohne ordnungsgemäße Frostschutzschicht) und erst im Zuge der Bauarbeiten ab dem Jahr 2018 als endgültige Herstellung einer Erschließungsstraße. Eine weitere historische Karte, die auf die Zeit von 1808 bis 1864 datiere (Bl. 114 der Gerichtsakte), zeige, dass die Straßenführung der von 1950 ähnlich sei. Die Beklagte lege zum Vergleich der verschiedenen Straßenverläufe einen weiteren Plan vor (Bl. 115 der Gerichtsakte), bei dem über die Karte aus der Zeit von 1808 bis 1864 ein Plan der heutigen …gasse in einem angepassten Maßstab gelegt worden sei. Dieser zeige, dass die frühere Gasse nur zu einem kleinen Teil den Bereich abdecke, auf dem die heutige …gasse verlaufe. Auf dem Bereich der heutigen Stichstraßen habe sich eine Wasserfläche und eine Gebäude- bzw. Gartenfläche befunden. Auch damals habe es den verwinkelten, stellenweise sehr schmalen Verlauf der Gasse gegeben. Die Einmündungen der Gasse in die …-Straße und in die …straße hätten sich an einer anderen Stelle als heute befunden. Auch diese ältere Gasse sei nicht identisch mit der heutigen Straßenanlage und könne schon aus diesem Grund nicht als „historische Straße“ im Sinne des § 242 Abs. 1 BauGB, die einer Erhebung von Erschließungsbeiträgen entgegenstünde, qualifiziert werden. Eine nach den §§ 127 ff. BauGB abrechenbare „historische Straße“ liege nicht vor, da die Verkehrsanlage wegen der erforderlichen Eignung, den anliegenden Grundstücken eine ausreichende wegemäßige Erschließung zu vermitteln, gewisse objektive Mindeststandards, welche z.B. ihren Niederschlag in der Ministerialenentschließung vom 6. August 1936 gefunden haben, unterschritten habe. Aufgrund der vor dem Umbau nach der Baulandumlegung vorhandenen Engstellen habe die …gasse diesen Vorgaben nicht entsprochen. Auch nach der irgendwann nach der Baulandumlegung erfolgten provisorischen Anlegung der Straßenfläche in ihrer neuen Form habe diese „neue Straße“ nie als endgültig hergestellt eingestuft werden können. Es habe an einem den technischen Erfordernissen genügenden einwandfreien Straßenaufbau mit Frostschutzschicht gefehlt, die Straße sei durchgängig nicht mit einem befestigten Straßenrand versehen gewesen. Dies sei auf den in der Behördenakte befindlichen Lichtbildern, die den Zustand der Straße vor der Baumaßnahme ab 2018 dokumentieren würde, deutlich zu erkennen. Das von den Klägern vorgelegte Luftbild von 1963 weise keine gute Qualität auf, Details der damaligen Straßenführung könnten aufgrund dieses Bildes nicht erkannt werden. Möglicherweise habe die im Luftbild vom 6. Mai 1969 erkennbare Straßenführung bereits damals so bestanden, mit Bestimmtheit lasse sich dies nicht ermitteln. Weitere Einzelheiten ließen sich aus dem Luftbild von 1963 nicht entnehmen. Insbesondere sei der Beklagten nicht klar, wie die Kläger aufgrund der vorgelegten Fotografien zu der Annahme kämen, dass die dortigen Verhältnisse bereits vor 1961 so bestanden haben sollen. Der auf dem Luftbild von 1969 zu erkennende Asphalt auf der Fahrbahn mache den Eindruck, relativ neu zu sein, da er optisch sehr platt und eben sei. Aber auch die auf dem Luftbild von 1969 abgebildete Straßenführung, die vermutlich die Straßenführung nach der Baulandumlegung bzw. in deren Zuge sei, sei keine endgültige Herstellung der Erschließungsstraße. Die klägerseits vorgelegten Fotos würden zeigen, dass es keine ordentliche Straßenbegrenzung und auch keine geordnete Straßenentwässerung gegeben habe. Der Asphalt sei einfach an die Häuserwand herangeführt worden, an manchen Stellen sei er einfach in eine Schotterfläche übergegangen. Auf die Straßenbreite komme es für die Beurteilung, ob eine endgültige Herstellung der …gasse in Bezug auf die offenbar in den sechziger Jahren neu errichtete Straße vorliege, nicht an. Es seien damals die technischen Erfordernisse eines ordnungsgemäßen Straßenbaus nicht eingehalten worden, die Straße sei als Provisorium einzustufen. Vor den Bauarbeiten im Jahr 2018 habe es bei der …gasse an einem einwandfreien Straßenaufbau mit Frostschutzschicht gefehlt, die Straße sei nicht durchgängig mit einem befestigten Straßenrand versehen gewesen und eine geordnete, zielgerichtete Straßenentwässerung entsprechend dem damaligen technischen Standard sei nicht vorhanden gewesen. Die Parkflächen seien Bestandteile der Erschließungsanlage …gasse. Das Vorbringen, die Beklagte hätte aufgrund der ab 1. April 2021 in Kraft getretenen Neuregelung in Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG den Bescheid nicht mehr erlassen dürfen, entspreche nicht der Rechtslage. Die Kosten, die hinsichtlich der archäologischen Dokumentationsarbeiten entstanden seien, seien unter dem Gesichtspunkt der Freilegung beitragsfähig. Die Beklagte sei aufgrund des Art. 7 Abs. 1 des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes (BayDSchG) verpflichtet gewesen, eine denkmalschutzrechtliche Erlaubnis für die Ausführung der entsprechenden Straßenbauarbeiten zu beantragen. Diese Erlaubnis sei mit zahlreichen Auflagen verbunden gewesen. Die durch das städtische Grundstücksamt der Familie … mitgeteilte voraussichtliche Beitragshöhe sei nur als grobe Schätzung anhand der damals prognostizierbaren Angaben erfolgt. Mit den Klägern sei bezüglich der Kaufpreishöhe intensiv verhandelt worden. Eine Freistellung von Erschließungsbeiträgen für die Kläger sei jedoch nicht vereinbart worden.
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Mit Schriftsatz vom 1. März 2024 trug die Klägerbevollmächtigte im Wesentlichen vor, entscheidend sei, dass sich der Zustand der …gasse noch vor 1961 entscheidend geändert habe. Lege man die Luftbildaufnahme vom 6. November 1963 auf diejenige vom 6. Mai 1969, zeige sich durchgängig ein identischer Straßenverlauf, genau genommen schon seit 1945 (Bl. 67 der Gerichtsakte), allerdings dort im Nachkriegszustand. Es werde ein Luftbild vom 16. September 1956 (Bl. 156 der Gerichtsakte) sowie ein Luftbild vom 6. Mai 1969 (Bl. 157 der Gerichtsakte) vorgelegt. Damit werde der durchgängig gleiche Straßenverlauf im Juni 1961 und zum jetzigen Zeitpunkt belegt, die …gasse habe in dieser Form seit 1961 bzw. seit 1945 bestanden. Auf dem Luftbild von 1956 sei sehr gut zu erkennen, wo eine Asphaltschicht vorhanden und wo lediglich geschottert worden sei, nämlich im Bereich des damaligen und jetzigen Parkplatzes. Auch sei ein Gehweg zu erkennen. Das vorgelegte Luftbild vom 6. Mai 1969 lasse deutlich Gullys erkennen. Ein Vergleich mit dem Luftbild vom 16. September 1956 zeige, dass der Zustand 1956 und damit auch 1961 kein anderer gewesen sei. Der Rückgriff der Beklagten auf die jetzige EBS sei ebenso unzulässig wie auch auf die Entschließung des Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 6. August 1936. Die Auffassung der Beklagten, auch nach dieser Satzung sei die …gasse nicht hergestellt, sei weder detailliert dargelegt noch sonst nachvollziehbar. Ein weiteres Luftbild, aufgenommen im Zeitraum zwischen 1958 und Anfang 1961 (Bl. 158 und 159 der Gerichtsakte) lasse deutlich erkennen, dass sowohl Straße als auch Gehsteig damals in Ordnung gewesen seien. Auch wenn sich die Straße zum Zeitpunkt der Renovierung in schlechtem Zustand befunden habe, bedeute dies nicht, dass die Straße nicht bereits einmal ordnungsgemäß hergestellt worden sei.
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Die Beklagte trug mit Schriftsatz vom 9. April 2024 im Wesentlichen vor, wann genau die provisorisch angelegte Umgestaltung der Straße im Zuge bzw. wohl gegen Ende des Baulandumlegungsverfahrens erfolgt sei, sei der Beklagten nicht bekannt. Dass der Beklagten keinerlei Unterlagen zu dieser Straßenbaumaßnahme vorlägen, sei ein Indiz, dass den provisorisch ausgeführten Arbeiten kein Bauprogramm zugrunde gelegen habe. Das von den Klägern vorgelegte Luftbild vom 16. September 1969 lasse nicht erkennen, ob damals bereits auch eine Asphaltierung der eigentlichen Straßenflächen vorhanden gewesen sei. Gullys seien auf den Luftbildern von 1956 und von 1963 nicht zu erkennen. Auch aus den zusätzlich vorgelegten Luftbildern aus dem Zeitraum zwischen 1958 und 1961 lasse sich der Zustand der …gasse in diesem Zeitraum nicht erkennen. Auf die Frage, wann genau die Straßenanlage, die im Zuge des Baulandumlegungsverfahrens errichtet worden sei (im folgenden Provisorium), tatsächlich hergestellt worden sei, komme es nicht an. Selbst wenn das Provisorium bereits vor dem 29. Juni 1961 errichtet worden sei, wären statt der Erschließungsbeitragsatzung die statuarischen Bestimmungen für die Übernahme und den Ausbau neuer Straßen und Straßenteile der Stadt … vom 23. September 1903 einschlägig (Bl. 168 f. der Gerichtsakte). Nach § 6 dieser Bestimmungen würden dann zur Herstellung des Straßenkörpers unter anderem die Setzung von Granitrandsteinen und eine Rinnenpflasterung gehören. Zumindest diese dann notwendigen Vorgaben seien beim Provisorium wohl unstreitig nicht durchgängig gegeben, so dass auch unter Maßgabe der statuarischen Bestimmungen von 1903 keine fertig hergestellte Straße angenommen werden könne. Soweit das Provisorium erst nach dem 29. Juni 1961 fertig angelegt worden sei, sei für die Frage, ob eine endgültig hergestellte Straße vorliege, die EBS der Beklagten vom 17. Mai 1961 maßgeblich. Da es aber an einem den technischen Erfordernissen genügenden, einwandfreien Straßenaufbau mit adäquater Frostschutzschicht fehle, die Straße noch nicht einmal durchgängig mit einem befestigten Straßenrand versehen gewesen sei und es an einer geordneten, zielgerichteten Straßenentwässerung (auch entsprechend dem damaligen technischen Standard) gefehlt habe, liege keine endgültige Herstellung der Straße nach Fertigstellung des Provisoriums vor. Der Zustand der Straßenentwässerung vor der Herstellung der …gasse in den Jahren 2018 bis 2020 zeige, dass von einem Provisorium auszugehen sei. So habe es vor 2018 zwar einzelne Sinkkästen gegeben, in denen das unmittelbar angrenzende Regenwasser habe abfließen können, es habe aber keine durchgängigen Randeinfassungen gegeben, die eine gezielte Ableitung des Regenwassers in die Sinkkästen ermöglicht hätten. Auf dem in der Akte befindlichen Bestandsplan zur Straße vor der Baumaßnahme von 2018 (Bl. 90, Ordner III der Behördenakte) seien vier Sinkkästen eingezeichnet. Beim Neubau der …gasse seien sieben Sinkkästen in den eigentlichen Verlauf der …gasse eingebaut worden. Die vorherige Entwässerungssituation sei eine Art provisorisches Flickwerk gewesen. Auch sei vor der Baumaßnahme von 2018 in den asphaltierten Bereichen der …gasse nur eine Tragschicht, darunter Schotter, und nicht wie eigentlich üblich eine zweischichtige Straßendecke, bestehend aus Tragschicht und Asphaltdeckschicht, vorhanden gewesen.
12
Die Klägerbevollmächtigte trug mit Schriftsatz vom 16. April 2024 im Wesentlichen vor, die …gasse habe es in ihrem jetzigen Verlauf seit mindestens 1956 gegeben. Diese sei schon vor 1961 entwässert worden, Gullys und Abflüsse seien vorhanden gewesen. Die …gasse habe auch über Straßenbeleuchtung, in Teilbereichen über Gehsteige verfügt und habe Erschließungsfunktion gehabt. Das Bayerische Staatsministerium habe den Gemeinden ausdrücklich freigestellt, ob diese vor dem Stichtag 1. April 2021 Erschließungsbeiträge erlassen. Im Übrigen hätten sämtliche Beteiligte den in der …gasse nunmehr überarbeiteten Parkplatz als Neuordnung einer öffentlichen Verkehrsfläche angesehen. Ein öffentlicher Parkplatz werde nicht durch das Einzeichnen von ein paar schwarzen Pfeilen zu einer der Erschließung dienenden Stichstraße.
13
Die Beklagte legte nach Aufforderung durch das Gericht mit Schriftsatz vom 22. April 2024 u.a. weitere Unterlagen bezüglich der Widmung der …gasse vor. Danach wurden Teilflächen der Fl.-Nrn. …, … und …, Gemarkung …, am 16. Juli 2021 rückwirkend zum Zeitpunkt der Fertigstellung der die Flächen betreffenden Straßenbaumaßnahmen, mithin zum 1. Oktober 2020, gewidmet.
14
Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten auch in den Verfahren B 4 K 22.152, B 4 K 22.224, B 4 K 22.347, B 4 K 22.363, B 4 K 22.364 und B 4 K 22.365, hinsichtlich der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

15
Die Klage ist zulässig und nur teilweise begründet.
I.
16
Der Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 12. November 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von … vom 10. März 2022 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit darin ein höherer Erschließungsbeitrag als 68.252,81 EUR festgesetzt ist. Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig.
17
Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Erschließungsbeitragsbescheides ist Art. 5a, Art. 2 Abs. 1 KAG, §§ 127 ff. BauGB i.V.m. EBS 1983/1987. Nach Art. 5a Abs. 1 KAG erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für die Herstellung von Erschließungsanlagen (Art. 5a Abs. 2 KAG) einen Erschließungsbeitrag.
18
1. Die Erhebung eines Erschließungsbeitrages ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil es sich bei der …gasse um eine sog. historische Straße handelt (a), die Anlage nach In-Kraft-Treten von Bundesbaugesetz/Baugesetzbuch am 30. Juni 1961 bereits ohne die nun abgerechneten Maßnahmen erstmalig endgültig hergestellt war (b.), die Regelung des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG zur Anwendung kommt (c.), das Gebot der Rechtssicherheit dies verlangt (d.) oder eine entsprechende Zusicherung der Beklagten vorliegt (e.).
19
a. Gemäß Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG kann für vorhandene Erschließungsanlagen, für die eine Beitragspflicht auf Grund der bis zum 29. Juni 1961 geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte, kein Erschließungsbeitrag erhoben werden. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs liegt eine vorhandene (historische) Straße im Sinne von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG vor, wenn eine Straße zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck – nach den damaligen rechtlichen Anforderungen – endgültig (erstmalig) hergestellt war (vgl. BayVGH‚ B.v. 18.8.2017 – 6 ZB 17.840 – juris Rn. 13; B.v. 3.7.2017 – 6 ZB 16.2272 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 19.1.2015 – 6 ZB 13.1548 – juris Rn. 6; B.v. 21.11.2013 – 6 ZB 11.2973 – juris Rn. 7).
20
aa. Soweit die heutige …gasse bereits vor 1945 bestanden hat, handelt es sich schon deshalb nicht um eine sog. historische Straße, die als vorhandene Erschließungsanlage gemäß Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechtsrechts entzogen wäre, da diese Erschließungsanlage, namentlich in ihrem Verlauf, nicht identisch ist mit dem Verlauf der …gasse nach den Baumaßnahmen 2018 bis 2020. Das Merkmal „ihre erstmalige Herstellung“ in § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB bezieht sich jeweils auf die Erschließungsanlage insgesamt (§ 127 Abs. 2 BauGB). Erst wenn geklärt ist, was „die Erschließungsanlage“ ist, kann – in einem zweiten Schritt – gefragt werden, ob diese Anlage durch die Baumaßnahme, die bzw. deren Kosten Gegenstand der Betrachtung sind, erstmalig hergestellt, d. h. gleichsam „neu“ angelegt, oder aber nach einer früheren (erstmaligen) endgültigen Herstellung lediglich verändert, erweitert oder verbessert worden ist. Grundlage dieses Vergleichs hat § 127 Abs. 2 BauGB, d. h. die Erschließungsanlage, zu sein: Ergibt der Vergleich, dass die ausgebaute (z.B. Anbau-) Straße – namentlich in ihrer Führung – identisch ist mit einer bereits früher zu irgendeinem Zeitpunkt im Sinne des Erschließungsbeitragsrechts „endgültig“ hergestellten Verkehrsanlage, schließt das die Annahme aus, die für die abzurechnende Baumaßnahme entstandenen Kosten seien solche einer erstmaligen Herstellung i.S. des § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB (vgl. BVerwG, U.v. 21.10.1988 – 8 C 64.87 m.w.N.).
21
Anhand der vorgelegten Unterlagen und dem Vortrag der Beklagten – auch in der mündlichen Verhandlung – geht die Kammer davon aus, dass sich der Verlauf der …gasse nach 1945 derart verändert hat, dass im Vergleich zum Zustand vor dem Krieg nicht von einer identischen Erschließungsanlage ausgegangen werden kann. Laut Behördenakte wurde im März 1946 eine Baulinienänderung durchgeführt, die am 4. Oktober 1946 gebilligt wurde (Bl. 11 Ordner 2 I der Behördenakte). In den 1950er Jahren wurde ein Baulandumlegungsverfahren begonnen, das nach dem Vortrag der Beklagten erst 1973 abgeschlossen wurde. Der vollständige Eigentumsübergang der Grundstücksflächen erfolgte nach dem Vorbringen der Beklagten zum 1. Juli 1973. Die vorgelegten Lagepläne zur Baulinienänderung vom 4. Oktober 1946 (Bl. 11 Ordner 2 I der Behördenakte) und zum Baulandumlegungsverfahren vom 21. Juli 1950 (Vorentwurf für die Neueinteilung, Bl. 105 der Gerichtsakte) sowie ein weiterer Lageplan, datiert auf den 23. Oktober 1955 (Bl. 28 Ordner 2 I der Behördenakte), lassen erkennen, dass der Verlauf der …gasse, der im Wesentlichen auch dem Verlauf in der Zeit von 1808 bis 1864 entsprach, insbesondere im Hinblick auf die in Anspruch genommenen Grundstücksflächen, im Rahmen des Baulandumlegungsverfahrens wesentlich geändert wurde. So zeigen die Lagepläne, dass die (damalige) Einmündung der …gasse in die …straße in jedem Fall bis zum Jahr 1955 südlich der derzeitigen nunmehr deutlich breiteren Einmündung verläuft. Im weiteren Verlauf befanden sich auf der jetzigen Fahrbahn der …gasse zwei Grundstücke, damalige Fl.-Nrn. … und …, die vor dem Krieg bebaut waren. Wie der von der Beklagten vorgelegte (nicht datierte) Lageplan (Bl. 106 der Gerichtsakte), auf dem Trümmer und Ruinen eingezeichnet sind und der somit in jedem Fall nach 1945 erstellt wurde, zeigt, sind auch diese Gebäude zerstört worden. Die Lagepläne zeigen eine Gabelung, von der nach Nordosten eine Fahrbahn abzweigt, die nördlich der Einmündung der …gasse ebenfalls in die …straße einmündet. Nordwestlich an den genannten Fl.-Nrn. … und … vorbei verengt sich die …gasse und verbreitert sich danach wieder deutlich. Die (damalige) Einmündung in die …-Straße lag westlich der derzeitigen Einmündung. Auch waren die Grundstücksflächen der (heutigen) Stichstraßen mit Parkflächen nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten vor der Baulandumlegung nicht Eigentum der Beklagten. Diese Flächen waren – wie ebenfalls auf den Lageplänen zu erkennen ist – in wesentlichen Teilen bebaut. Den (damaligen) Verlauf der …gasse belegen zudem die von Klägerseite vorgelegten Luftbildaufnahmen aus dem Jahr 1945 (Bl. 67 der Gerichtsakte) und dem Jahr 1956 (Bl. 68 der Gerichtsakte). Die Beklagte hat im Übrigen in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, aus einem Aktenvermerk des Baulandumlegungsverfahrens im Jahr 1955 gehe hervor, dass die Grundstücke schuttgeräumt gewesen seien und die alte Wegeverbindung tatsächlich nicht mehr genutzt werde.
22
bb. Der Zeitpunkt, wann die vor den Baumaßnahmen 2018 bis 2020 existierende Fahrbahn der …gasse hergestellt wurde, deren Verlauf derjenigen nach den Baumaßnahmen 2018 bis 2020 entspricht, ist nicht mehr feststellbar. Nach dem Vortrag der Beklagten ist dies den Akten nicht zu entnehmen. Eine genauere Überprüfung, ob dies noch vor dem 30. Juni 1961 der Fall war oder erst danach, erübrigt sich jedoch aus folgenden Gründen:
23
Soweit die Fahrbahn vor dem 30. Juni 1961 hergestellt wurde, war diese vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes als Erschließungsanlage nicht endgültig hergestellt.
24
Welche Merkmale eine Straße aufweisen muss, um nach dem bis zum 29. Juni 1961 geltenden Recht als endgültig hergestellt beurteilt werden zu können, bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (z.B. B.v. 5.6.2008 – 6 ZB 06.2721 – juris Rn. 5 m.w.N.) nach den zuvor geltenden landesrechtlichen und örtlichen straßenbaurechtlichen Vorschriften sowie städtebaulichen Regelungen, nach etwaigen Richtlinien für den Abschluss von Straßenkostensicherungsverträgen, nach einer erkennbar gewordenen Straßenplanung der Gemeinde und, falls es an dahingehenden Unterlagen fehlt, nach den örtlichen Verkehrsbedürfnissen. Haben örtliche Bauvorschriften sich im Lauf der Jahre geändert, ist jede Baumaßnahme an der Regelung ihrer Zeit zu messen. War „eine Erschließungsanlage“ zu irgendeinem Zeitpunkt endgültig hergestellt, verliert sie diese Eigenschaft durch spätere Änderungen der Sach- und Rechtslage nicht mehr (BayVGH, U.v. 6.4.2000 – 6 B 96.56 – BeckRS 2000, 24932).
25
Die Merkmale für die endgültige Herstellung einer Straße richten sich vorliegend nach den „Bestimmungen über die Übernahme und den Ausbau neuer Straßen und Straßenteile“ der Beklagten vom 23. September 1903. Gemäß § 6 dieser Bestimmungen gehören zur Herstellung des Straßenkörpers u.a. die Setzung von Granitrandsteinen (b) und die Rinnenpflasterung (d). Auf keinem der von den Beteiligten vorgelegten Lageplänen und Luftbildern ist erkennbar bzw. ersichtlich, dass an der …gasse zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1961 durchgängig Granitrandsteine gesetzt und eine Rinnenpflasterung vorhanden waren. Diese Annahme wird auch durch das Luftbild aus dem Jahr 1956 (Bl. 68 der Gerichtsakte), das Luftbild aus dem Jahr 1969 (Bl. 60 der Gerichtsakte), die Fotos der Kläger aus dem Jahr 1976 (Bl. 61 und 62 der Gerichtsakte) sowie die Fotos der Beklagten (Bl. 78 ff. Ordner 1 I bzw. Bl. 2 ff. Ordner 3 V der Behördenakte) und die Bilddokumentation des städtischen Tiefbauamtes aus 2016 (Bl. 224 ff. der Gerichtsakte) belegt. Die genannten Dokumente zeigen zu keinem dieser Zeitpunkte entsprechende Entwässerungseinrichtungen; es kann bei lebensnaher Betrachtungsweise auch nicht angenommen werden, dass sie zwischenzeitlich vorhanden gewesen, aber wieder entfernt worden wären. Die vorgelegten Bilder lassen vielmehr auf das durchgängige Fehlen solcher Einrichtungen bis zu den streitgegenständlichen Baumaßnahmen und damit auch vor dem 30. Juni 1961 schließen.
26
b. Auch soweit die Fahrbahn erst nach dem 30. Juni 1961 und damit nach In-Kraft-Treten des Bundesbaugesetzes/Baugesetzbuches hergestellt wurde, war sie (ohne die nun abgerechneten Maßnahmen) nicht als Erschließungsanlage erstmalig endgültig hergestellt.
27
Nach In-Kraft-Treten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 ist eine Anbaustraße erschließungsbeitragsrechtlich erstmalig endgültig hergestellt, wenn sie die nach dem satzungsmäßigen Teileinrichtungsprogramm und dem (dieses bezüglich der flächenmäßigen Teileinrichtungen ergänzenden) Bauprogramm erforderlichen Teileinrichtungen aufweist und diese dem jeweils für sie aufgestellten technischen Ausbauprogramm entsprechen (BVerwG, U.v. 10.10.1995 – 8 C 13.94 – juris Rn. 19; Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 11. Auflage 2022, § 11 Rn. 64), wobei die Gemeinde das Bauprogramm im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften (z.B. § 125 BauGB, Anforderungen nach dem Landesstraßenrecht) frei gestalten kann (VG München, U.v. 15.12.2021 – M 8 K 19.2127 – BeckRS 2021,57121 Rn. 19 m.w.N.).
28
Die Merkmale der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage ergeben sich vorliegend aus § 6 EBS 1961 bzw. § 6 EBS 1983/1987. Gemäß § 6 Abs. 1 EBS 1961 sind die öffentlichen, zum Anbau bestimmten Straßen, Wege und Plätze sowie die Sammelstraßen und Parkflächen endgültig hergestellt, wenn sie mit einer den Verkehrserfordernissen entsprechenden Straßendecke, Entwässerung und etwa vorgesehenen Beleuchtung versehen, dem öffentlichen Verkehr gewidmet und an eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße angeschlossen sind. Gemäß § 6 Abs. 1 EBS 1983/1987 sind die öffentlichen, zum Anbau bestimmten Straßen, Wege und Plätze sowie die Sammelstraßen und Parkflächen endgültig hergestellt, wenn u.a. die Erschließungsflächen mit Entwässerung und Beleuchtung versehen, dem öffentlichen Verkehr gewidmet und an eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße angeschlossen sind. Eine Straßenentwässerung stellt dabei schon begrifflich eine technisch abgrenzbare Teileinrichtung dar, das bloße Abfließen des Regenwassers aufgrund einer Straßenwölbung oder -neigung genügt hierfür nicht. Es genügt nicht, dass das Regenwasser unkontrolliert auf angrenzende Grundstücke versickert. Dies gilt erst recht, wenn wegen des ungezielten („wilden“) Abfließens des Oberflächenwassers für die Entwässerung notwendig Privatgrundstücke in Anspruch genommen werden müssen und die Beklagte sich dadurch möglichen Abwehransprüchen der Anlieger, die diese Beeinträchtigung ihres Privateigentums nicht hinzunehmen haben, aussetzt. Erforderlich sind vielmehr Entwässerungsleiteinrichtungen wie Randsteine oder Rinnen, durch die das Oberflächenwasser gezielt und ohne Inanspruchnahme von Privateigentum abgeleitet wird (BayVGH, B.v. 6.3.2006 – 6 ZB 03.2961 – juris Rn. 8 f.; VG München, U.v.19.4.2023 – M 28 K 20.2852 – BeckRS 2023, 22548 m.w.N.).
29
Gemessen an diesen Grundsätzen war in der …gasse vor den Baumaßnahmen 2018 bis 2020 eine (ordnungsgemäße) Straßenentwässerung nicht vorhanden. Aus den von den Beteiligten vorgelegten Luftbildern und Fotos ist ersichtlich, dass vor den Baumaßnahmen 2018 bis 2020 zu keiner Zeit Entwässerungsleiteinrichtungen wie Randsteine oder Rinnen auf der gesamten Länge der …gasse vorhanden waren, durch die das Oberflächenwasser gezielt abgeleitet wurde. Gullys und Sinkkästen, die auch vor den Baumaßnahmen 2018 bis 2020 in der …gasse unstreitig vereinzelt vorhanden waren, sowie das bloße Abfließen des Regenwassers aufgrund einer Straßenwölbung bzw. -neigung, das auf dem von der Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Foto aus dem Jahr 2017 erkennbar war, genügen den Vorgaben einer ordnungsgemäßen Straßenentwässerung nicht.
30
c. Der Erhebung eines Erschließungsbeitrages steht auch nicht Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG entgegen, der bestimmt, dass für vorhandene Erschließungsanlagen, bei denen seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung mindestens 25 Jahre vergangen sind, keine Erschließungsbeiträge mehr erhoben werden können.
31
aa. Die Regelung des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG, die am 1. April 2021, also nach dem Erlass des Bescheides vom 12. November 2020, in Kraft trat, ist anwendbar. Der zunächst rechtswidrige Bescheid wurde erst mit Wirkung vom 16. Juli 2021 geheilt. Erst zu diesem Zeitpunkt ist die sachliche Beitragspflicht entstanden. Dementsprechend muss auch auf die Rechtslage in diesem Zeitpunkt abgestellt werden.
32
Für das Erschließungsbeitragsrecht ist für Konstellationen wie die vorliegende allgemein anerkannt, dass bei der gerichtlichen Überprüfung eines Beitragsbescheides nicht auf den Zeitpunkt seines Erlasses, sondern auf den der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist. Dementsprechend kann ein Bescheid bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz durch rechtliche oder tatsächliche Veränderungen mit Wirkung ex nunc geheilt werden (Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 15 Rn. 18). Das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht für eine Erschließungsanlage (§ 133 Abs. 2 BauGB) setzt u.a. deren Widmung für den öffentlichen Verkehr voraus. Ohne Widmung kann die Beitragspflicht nicht entstehen, selbst wenn die Erschließungsanlage bereits endgültig hergestellt ist (st. Rspr. BVerwG, U.v. 11.11.1987 – 8 C 4.86 – juris Rn. 15; BayVGH, U.v. 24.10.2005 – 6 B 01.2416 – juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 23.3.2023 – 6 B 22.200 – Rn. 18). Im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides am 12. November 2020 war die Erschließungsanlage noch nicht vollständig gewidmet. Die Widmung von Teilflächen der Ortsstraße …gasse wurde erst im Amtsblatt der Beklagten vom 16. Juli 2021 (Bl. 218 der Gerichtsakte) bekannt gemacht. Damit wurde der Bescheid zum 16. Juli 2021 ex nunc geheilt. Die in der Bekanntmachung verfügte Anordnung der Rückwirkung der Widmung zum Zeitpunkt der Fertigstellung, mithin zum 1. Oktober 2020, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit unwirksam (BayVGH, B.v. 12.3.2003 – 6 CS 02.2879 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 5.7.2018 – 6 ZB 18.1054 – juris Rn. 7). Allerdings führt die unzulässige Rückwirkungsanordnung nicht zur Unwirksamkeit der Widmungsverfügung in ihrer Gesamtheit, sondern nur zur Unwirksamkeit der Rückwirkungsanordnung. (BayVGH, B.v. 20.9.2017 – 20 ZB 17.942 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 5.7.2018 – 6 ZB 18.1054 – a.a.O.).
33
bb. Die Voraussetzungen des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG liegen jedoch nicht vor, da mit der Anlegung der Fahrbahn vor den Baumaßnahmen 2018 bis 2020 keine erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage erfolgte.
34
Bei der Auslegung des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber nicht nur vom Beginn der erstmaligen technischen Herstellung spricht, sondern diese ausdrücklich auf eine Erschließungsanlage bezieht, mithin auf den Anfang des durch zentrale erschließungsbeitragsrechtliche Begriffe umschriebenen Vorgangs der „erstmaligen Herstellung“ (vgl. § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB) einer beitragsfähigen „Erschließungsanlage“ (§ 127 Abs. 2 BauGB) abstellt. Der fristauslösende Beginn wird nicht durch irgendwelche sichtbaren Bauarbeiten markiert, sondern nur durch solche, die objektiv auf die erstmalige und endgültige Herstellung gerichtet sind und bei Fortführung der Baumaßnahmen zur endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage führen sollen, also Teil der Herstellung sind. Hinweise hierzu gibt das jeweilige – förmliche oder formlose – Bauprogramm (vgl. BayVGH, U.v. 27.11.2023 – 6 BV 22.306 – juris Rn. 29; Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand 75. AL, 19. Update, Rn. 1101a). Damit scheiden solche Maßnahmen aus, die sich als „reines“ Provisorium darstellen, die also gerade nicht der endgültigen Herstellung dienen (VG München, U.v. 1.9.2021 – M 28 K 21.1559 – juris Rn. 39).
35
Nach Überzeugung des Gerichts waren weder die Erstellung des Mischwasserkanals im Jahr 1968 noch die Erstellung der Fahrbahn vor den Baumaßnahmen 2018 bis 2020 Maßnahmen, die der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage dienen sollten. Es liegt vielmehr insbesondere bezüglich der Fahrbahn ein Provisorium vor, das auch von der Beklagten als solches bezeichnet wird. Dabei war maßgeblich zu gewichten, dass ein Bauprogramm, das auch formlos aufgestellt werden kann, sich (mittelbar) aus Beschlüssen des Rates oder seiner Ausschüsse sowie den solchen Beschlüssen zugrundeliegenden Unterlagen und selbst aus der Auftragsvergabe ergeben kann (Driehaus/Raden, a.a.O., § 11 Rn. 64), nach dem glaubhaften Vortrag der Beklagten bis 2018 nicht vorlag. Auch das Baulandumlegungsverfahren, das in den 1950er Jahren begonnen wurde, kann nicht als Bauprogramm angesehen werden. Dieses befasst sich ausschließlich mit dem Verlauf der …gasse, konkrete Vorstellungen zur Ausgestaltung der späteren Erschließungsanlage enthält es – wie die Beklagte nachvollziehbar vorträgt – nicht. Im Übrigen erfolgte auch der Grunderwerb der heutigen Stichstraßen mit Parkflächen wesentlich später. Als weiteres Indiz ist auch zu werten, dass die Beklagte im Zuge der streitgegenständlichen Baumaßnahme die alte Fahrbahn ausgebaut und entsorgt und eine neue Fahrbahn mit Unterbau erstellt hat. Damit war insbesondere die Erstellung der ursprünglichen Fahrbahn gerade nicht auf die erstmalige und endgültige Herstellung gerichtet, die bei Fortführung der Baumaßnahmen zur endgültigen Herstellung führen sollte. Somit lag hier vor den streitgegenständlichen Bauarbeiten schon kein Beginn der erstmaligen technischen Herstellung i.S.d. Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG vor.
36
d. Die Erhebung eines Erschließungsbeitrages ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) Spiegelstrich 1 KAG i.V.m. § 169 der Abgabenordnung (AO) ausgeschlossen, da – wie unter Ziffer 1 a. und b. ausgeführt – mangels endgültiger technischer Fertigstellung der Erschließungsanlage eine Vorteilslage tatsächlich noch nicht eingetreten ist.
37
e. Der Erhebung eines Erschließungsbeitrages steht auch nicht entgegen, dass nach dem Vortrag der Kläger beim Kauf des Grundstücks von der Beklagten Aussagen zur maximalen Höhe des Erschließungsbeitrags getroffen worden seien. Gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) bedarf eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung), zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Eine schriftliche Zusage liegt unstreitig nicht vor.
38
2. Abzurechnende Erschließungsanlage ist die Fahrbahn der …gasse mit den beiden Stichstraßen und den Parkflächen (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 BauGB).
39
Wie weit eine einzelne Anbaustraße reicht und wo eine andere Verkehrsanlage beginnt, bestimmt sich nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Zu fragen ist dabei, inwieweit sich die zu beurteilende Straße als augenfällig eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes darstellt. Deshalb hat sich der ausschlaggebende Gesamteindruck nicht an Straßennamen, Grundstücksgrenzen oder dem zeitlichen Ablauf von Planung und Bauausführung auszurichten, sondern, ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise, an der Straßenführung, der Straßenlänge, der Straßenbreite und der Straßenausstattung (ständige Rechtsprechung; vgl. etwa BVerwG, U. v. 10.6.2009 – 9 C 2.08 – NVwZ 2009, 1369/1370; BayVGH, U. v. 1.12.2011 – 6 B 09.2893 – BayVBl. 2012, 409; U.v. 30.6.2011 – 6 B 08.369 – juris Rn. 18; B.v. 3.6.2013 – 6 CS 13.641 – juris Rn. 9).
40
Beginnend von der Einmündung der …straße bis zur Einmündung in die …-Straße vermitteln die tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter den Gesamteindruck einer Straße, an der sich auch Parkplätze befinden. Die tatsächlichen Verhältnisse vermitteln nicht den Eindruck, es handele sich ausschließlich um einen Parkplatz.
41
a. Die östlich abzweigenden Stichstraßen sind unselbstständige Anhängsel und Bestandteil der Erschließungsanlage …gasse.
42
Nach dem Gesamteindruck, den die tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter von der zu beurteilenden Anlage vermitteln, bestimmt sich weiter, ob eine Stichstraße schon eine selbstständige Anbaustraße bildet oder noch ein unselbstständiges Anhängsel und damit ein Bestandteil der Hauptstraße, von der sie abzweigt. Von Bedeutung sind neben der Ausdehnung der Stichstraße und der Zahl der durch sie erschlossenen Grundstücke vor allem das Maß der Abhängigkeit zwischen ihr und der Hauptstraße. Vor diesem Hintergrund sind grundsätzlich alle abzweigenden Straßen als unselbstständig zu qualifizieren, die (ungefähr) wie eine Zufahrt aussehen. Das ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 23.6.1995 – 8 C 30.93 – BVerwGE 99, 23, 25 f.; B.v. 26.9.2001 – 11 C 16.00 – KStZ 2002, 98 f.) typischerweise dann der Fall, wenn die Stichstraße bis zu 100 m lang und nicht abgeknickt oder verzweigt ist. Das bezeichnet, wie das Bundesverwaltungsgericht zugleich betont, nur die Regel und lässt Raum für Ausnahmen. Voraussetzung für die Anwendung der 100-m-Regel ist, dass Haupt- und abzweigende Stichstraße sich in ihrer bestimmungsgemäßen Erschließungsfunktion nicht wesentlich unterscheiden, insbesondere beide (rechtlich und tatsächlich) befahrbar sind (vgl. Schmitz, a.a.O., § 6 Rn. 17).
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Die beiden Stichstraßen, die von der Fahrbahn der …gasse in geradem Verlauf südöstlich abzweigen, sind 35 m bzw. 25 m lang (vgl. Bl. 1 Ordner 3 III der Behördenakte) und sind Zufahrten zu den Grundstücken Fl.-Nrn. … und …, Gemarkung … Insbesondere das Grundstück Fl.-Nr. …, Gemarkung …, ist zur …straße ein Hinterliegergrundstück und wird ausschließlich über die (nördliche) Stichstraße erschlossen. Das Grundstück Fl.-Nr. …, Gemarkung …, ist zwar bereits von der Fahrbahn der …gasse und dem Privatweg Fl.-Nr. …, Gemarkung …, dessen Miteigentümer zu ½ der Grundstückseigentümer Fl.-Nr. …, Gemarkung …, ist, erschlossen. Bedenken hinsichtlich der Erforderlichkeit der (südlichen) Stichstraße im Sinn des § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB bestehen nicht. Die durch das Merkmal der Erforderlichkeit markierte Grenze des einer Gemeinde eingeräumten Spielraums wird erst dann überschritten, wenn die im Einzelfall gewählte Lösung sei es die Anlage einer bestimmten Erschließungsanlage überhaupt oder Umfang und Art ihres Ausbaus sachlich schlechthin unvertretbar ist (Driehaus/Raden, a. a. O., § 15 Rn. 8). Anhaltspunkte, dass der Umfang des Ausbaus der Erschließungsanlage hinsichtlich der (südlichen) Stichstraße schlechthin unvertretbar wäre, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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b. Auch die Parkflächen sind als unselbstständige Parkflächen Bestandteil der Erschließungsanlage …gasse.
45
Für die Abgrenzung der unselbstständigen Parkflächen von den selbstständigen Parkflächen ist grundsätzlich danach zu fragen, ob sich diese nach dem Gesamteindruck, den die tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter bei natürlicher Betrachtungsweise vermitteln, als Bestandteil der Straße oder als eigenständiges Element des gemeindlichen Straßennetzes darstellen (vgl. BayVGH, U.v. 1.12.2011 – 6 B 09.2893 – juris Rn. 32; OVG Hamburg, B.v. 11.10.1999 – 1 Bs 342/98 – juris Rn. 11; NdsOVG, U.v. 18.11.1998 – 9 L 102/97 – juris Rn. 7). Bei Parkplätzen kann es sich nur dann um selbstständige Parkflächen handeln, wenn damit ausschließlich Abstellplätze für Fahrzeuge geschaffen werden sollen. Ist die Verkehrsanlage hingegen auch zum Anbau bestimmt, so sind die Parkflächen Bestandteil einer Anbaustraße und stellen sich deshalb als unselbstständige Parkflächen nach § 127 Abs. 2 Nr. 4 Alt. 1 BauGB dar (BVerwG, U.v. 6.2.2020 – 9 C 9.18 – juris Rn. 24).
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Nach dem Gesamteindruck sind bei natürlicher Betrachtungsweise vorliegend nach Lage und Ausdehnung der Parkflächen unselbstständige Parkflächen anzunehmen. Die Stichstraßen, an denen die Parkflächen liegen, sind unselbstständige Anhängsel der Erschließungsanlage …gasse. Diese Erschließungsanlage ist „zum Anbau bestimmt“. Somit sind auch die Parkflächen Teileinrichtungen der Erschließungsanlage …gasse.
47
Dass für die Parkflächen (mit Ausnahme der Anwohner) eine straßenverkehrsrechtlich begründete Parkgebühr mit dem Ziel der Parkraumbewirtschaftung (Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Stand: 32. EL Januar 2023, Art. 14 Rn. 18) erhoben wird, stellt die Qualität der Parkflächen als Bestandteil der Erschließungsanlage i.S.d. § 127 Abs. 2 Nr. 4 BauGB nicht infrage (BayVGH, U.v. 19.2.2007 – 6 B 99.44 – juris Rn. 28; BayVGH, U.v. 1.12.2011- 6 B 09.2893 – juris Rn. 32).
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3. Die Erschließungsanlage wurde rechtmäßig hergestellt.
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Anhaltspunkte, dass die bebauungsplanersetzende Abwägungsentscheidung gemäß § 125 Abs. 2 BauGB nicht den formellen oder materiellen Anforderungen entsprochen hat, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
50
4. Die Kosten für die archäologischen Arbeiten i.H.v. 84.813,99 EUR wurden zu Recht als Erschließungsaufwand angesetzt.
51
Gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 2 BauGB umfasst der Erschließungsaufwand nach § 127 BauGB die Kosten für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlagen einschließlich der Einrichtungen für ihre Entwässerung und ihre Beleuchtung. Zu den Herstellungskosten zählen auch archäologische Maßnahmen, die nach dem Denkmalschutzrecht eines Landes erforderlich sind, etwa um ein Bodendenkmal wissenschaftlich zu untersuchen und zu dokumentieren, auszugraben und zu bergen, wenn diese Maßnahmen durch die Herstellung der Erschließungsanlage verursacht sind und die Herstellung der Anlage hiervon abhängt (Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 15. Auflage 2022, § 128 Rn. 18; Grziwotz in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 153. EL Januar 2024, § 128 Rn. 18a).
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Der Beklagten waren für archäologische Maßnahmen Kosten i.H.v. 84.813,99 EUR entstanden. Diese Kosten waren notwendig zur Durchführung der archäologischen Maßnahmen, die in den Auflagen der denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis vom 22. Dezember 2016 zur Ausführung von Erdarbeiten auf den Grundstücken der …gasse mit den Fl.-Nrn. …, …, …, … und …, Gemarkung …, zum Schutz der dort aufgefundenen Bodendenkmäler geregelt waren. Diese Maßnahmen waren durch die Herstellung der Erschließungsanlage …gasse verursacht, die Herstellung der Anlage war hiervon abhängig.
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5. Der beitragsfähige Aufwand wurde zutreffend nach den tatsächlichen Kosten ermittelt, § 129, § 130 BauGB, § 3 Abs. 2 EBS 1983/1987.
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Der umlagefähige Erschließungsaufwand war aber von 333.466,69 EUR auf 333.433,36 EUR zu korrigieren, da die Beklagte auf Grund eines Übertragungsfehlers die Kosten für die archäologischen Maßnahmen mit einem Betrag von 84.843,99 EUR anstelle des korrekten Betrages von 84.813,99 EUR in die Berechnung eingestellt hat. Auf die mit Schriftsatz vom 24. April 2024 vorgelegte Neuberechnung der Beklagten (Bl. 244 der Gerichtsakte) wird Bezug genommen. Die Beklagte hat dabei die von der …stiftung bewilligten Fördermittel zutreffend in die Berechnung eingestellt.
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Erhält die Gemeinde für die Herstellung von Erschließungsanlagen öffentliche Mittel, ist zu prüfen, ob diese zur Reduzierung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands oder nur der Minderung der gemeindlichen Kostenbeteiligung dienen.
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Das Gericht geht davon aus, dass die von der …stiftung bewilligten Fördermittel i.H.v. 12.436,36 EUR zur Minderung der gemeindlichen Kostenbeteiligung dienen sollten. Dafür spricht, dass der Zuwendungsbescheid der …stiftung an die Beklagte adressiert war. Diese war gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 1 BayDSchG verpflichtet, eine denkmalschutzrechtliche Erlaubnis zu beantragen. In der denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis vom 22. Dezember 2016 wurden gegenüber der Beklagten in den Auflagen archäologische Maßnahmen gefordert, die zu Kosten i.H.v. 84.813,99 EUR geführt haben. Die Förderung erfolgte zudem ausdrücklich zweckgebunden für die archäologische Begleitung der städtebaulichen Umgestaltung der …gasse durch die Beklagte. Dass damit auch beabsichtigt gewesen wäre, die Kosten für die Anlieger dieser Straße zu reduzieren, ergibt sich aus diesem Förderzweck gerade nicht. Die Beklagte hat somit zu Recht die Fördermittel i.H.v. insgesamt 12.436,36 EUR zunächst auf den Eigenanteil der Stadt i.H.v. 8.481,40 EUR (gemäß § 3 Abs. 5 EBS 1983/1987 10%) und den noch verbleibenden Betrag i.H.v. 3.954,96 EUR auf den Anteil der Anlieger i.H.v. 76.332,59 EUR (90%) angerechnet.
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6. Der ermittelte beitragsfähige Erschließungsaufwand wurde gemäß § 131 Abs. 1 BauGB unter Anwendung der Verteilungsmaßstäbe (§ 131 Abs. 2 BauGB, § 4 EBS 1983/1987) zutreffend auf die erschlossenen Grundstücke, insbesondere auch das Grundstück der Kläger, verteilt.
58
7. Die sachliche Beitragspflicht der Kläger i.H.v. 68.252,81 EUR ist mit der Widmung am 16. Juli 2021 entstanden (§ 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB, § 132 Nr. 4 BauGB, § 6 Abs. 1 EBS 1983/1987). Diese sind als Miteigentümer des Grundstücks Fl.-Nr. Fl.-Nr. …, Gemarkung …, auch persönlich beitragspflichtig (§ 134 Abs. 1 Satz 1 BauGB).
II.
59
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3, § 159 Satz 2 VwGO. Den Klägern waren als Gesamtschuldner die Kosten ganz aufzuerlegen, da die Beklagte nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 709 der Zivilprozessordnung (ZPO).