Inhalt

VG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 08.04.2024 – B 2 K 22.1070
Titel:

Stellplatzpflicht, Ablösung, Stellplatzsatzung, Ablösungsvertrag, öffentlich-rechtlicher Vertrag, Nichtigkeit, Unwirksamkeit, Störung der Geschäftsgrundlage

Normenketten:
BayVwVfG Art. 60
BGB § 313
BayBO Art. 47
GaStellV § 20
Schlagworte:
Stellplatzpflicht, Ablösung, Stellplatzsatzung, Ablösungsvertrag, öffentlich-rechtlicher Vertrag, Nichtigkeit, Unwirksamkeit, Störung der Geschäftsgrundlage
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24471

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2.    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Gegenstand des Verfahrens ist die Rückforderung eines von der Klägerin im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages über die Ablösung der Stellplatz- und Garagenbaupflicht an die Beklagte geleisteten Betrages in Höhe von 15.400,00 € samt Zinsen.
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Die Beteiligten schlossen am 08.07.2020 einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Ablösung der Stellplatz- und Garagenbaupflicht (vgl. Anlage K 1; Bl. 7 ff. der Gerichtsakte), in dem u.a. geregelt wurde, dass 1 Kfz-Stellplatz und 1 Fahrradstellplatz abzulösen sind (§ 1 des öffentlich-rechtlichen Vertrages) und von der Klägerin ein Ablösungsbetrag von 15.400,00 € zu zahlen ist (§ 2 des öffentlich-rechtlichen Vertrages).
3
Mit Schreiben vom 13.07.2020 (vgl. Anlage K 2; Bl. 10 der Gerichtsakte) bestätigte die Beklagte der Klägerin den fristgerechten Eingang des Ablösungsbetrags auf dem Konto der Beklagten sowie damit die Ablösung der Verpflichtung zur Herstellung eines Stellplatzes.
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Mit Schreiben vom 10.02.2022 (vgl. Anlage K 4; Bl. 11 f. der Gerichtsakte) forderte der Bevollmächtigte der Klägerin die Beklagte zur Rückzahlung des Ablösungsbetrags auf, da die dem öffentlich-rechtlichen Vertrag zugrundeliegende Stellplatzsatzung vom 11.08.2014 formell unwirksam sei. Eine unwirksame Satzung könne keine Geschäftsgrundlage für eine Ablösungsvereinbarung sein. Fehle schon bei Abschluss eines Vertrages die Geschäftsgrundlage, komme es zu einem Rückgewährverhältnis. Ohne wirksame Stellplatzsatzung könne die Beklagte die Erfüllung der Stellplatzverpflichtung nicht einfordern. Der Ablösungsbetrag sei daher rechtsgrundlos vereinnahmt und der Klägerin stehe insoweit ein Rückzahlungsanspruch zu.
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Mit Schreiben vom 07.04.2022 (vgl. Anlage B 1; Bl. 42 f. der Gerichtsakte) wies die Beklagte den geltend gemachten Rückzahlungsanspruch zurück.
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Mit Schriftsatz vom 17.11.2022, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat die Klägerin Klage auf Rückzahlung des Ablösungsbetrags erhoben. Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, dass nun gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen sei, da der Rechtsstreit außergerichtlich nicht gelöst werden konnte. Die Klage sei als allgemeine Leistungsklage zulässig und begründet.
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Insbesondere sei der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, da es sich bei der Rückforderung von Leistungen im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handele.
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Die Klage sei auch begründet, da die Klägerin ihre Forderung auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch analog §§ 812 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB – stützen könne. Die mit der Zahlung der Klägerin an die Beklagte bewirkte unmittelbare Vermögensverschiebung sei rechtsgrundlos erfolgt.
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Die Rechtsgrundlage des öffentlich-rechtlichen Vertrages über die Ablösung der Stellplatz- und Garagenbaupflicht vom 08.07.2020 sei unwirksam. Art. 47 Abs. 2 Satz 2 der Bayerischen Bauordnung – BayBO – lege fest, dass die Zahl der notwendigen Stellplätze durch eine örtliche Bauvorschrift oder eine städtebauliche Satzung festgelegt werden könne. Sofern eine solche Satzung bestehe, sei die darin festgelegte Zahl maßgeblich. Die Beklagte verfüge mit der Satzung über die Herstellung und Bereithaltung von Kfz-Stellplätzen und Fahrradabstellplätzen vom 11.08.2014 über eine solche Satzung. Die Stellplatzsatzung sei jedoch aus mehreren Gesichtspunkten formell unwirksam. Die letzte Seite des Textteils der Stellplatzsatzung auf Bl. 70 sei auf dieser Seite nicht unterzeichnet. Auch die Anlage 1 zur Stellplatzsatzung auf Bl. 71 f. sei nicht unterzeichnet. Erst auf Bl. 73 finde sich, losgelöst von jedem Sachzusammenhang mit der Stellplatzsatzung, ein Datum sowie die Unterschrift des Oberbürgermeisters. Mehr sei auf dieser Seite nicht vorhanden. Die Seite nehme auch keinen Bezug auf die Stellplatzsatzung oder die Anlagen. Auch sei die Stellplatzsatzung selbst nicht mit Seitenzahlen versehen. Nach dieser zusammenhanglosen Unterschrift des Oberbürgermeisters finde sich auf Bl. 74 sodann Anlage 2 zur Stellplatzsatzung. Auch diese Anlage sei nicht unterzeichnet. Auf Bl. 75 fänden sich dann nur noch interne Verfügungen der Beklagten. Eine Ausfertigung auf einem separaten Blatt ohne Bezug auf die vorherigen Seiten und nachfolgenden Anlagen genüge aber nicht, eine gedankliche Schnur liege nicht vor. Zwar sei die gesamte Akte mithilfe einer Paketschnur zusammengebunden, allerdings diene dies nur dem Zusammenhalt der Akte. Die Stellplatzsatzung selbst sei mit ihren Anlagen nicht gesondert zusammengeheftet oder verbunden. Auch seien weder Art noch Tag der amtlichen Bekanntmachung vermerkt worden.
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Eine formell unwirksame Satzung könne keine Geschäftsgrundlage für eine öffentlichrechtliche Ablösungsvereinbarung sein. Fehle schon bei Abschluss eines Vertrages die Geschäftsgrundlage, komme es nach Art. 62 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes – BayVwVfG – i.V.m. § 313 Abs. 2 und 3 BGB zu einem Rückgewährverhältnis.
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Die Unwirksamkeit der Rechtsgrundlage sei auch eine so wesentliche Änderung, dass die Klägerin den Ablösungsvertrag nicht abgeschlossen hätte, wären diese Umstände vor Vertragsschluss bekannt gewesen.
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Auch könne die Rechtsgrundlage nicht einfach so ausgetauscht werden. Die Beklagte berufe sich darauf, dass die Klägerin schon nach Art. 47 Abs. 1 BayBO dazu verpflichtet sei, Stellplätze für Ihr Bauvorhaben vorzuhalten. Liege eine örtliche Bauvorschrift oder städtebauliche Satzung vor, gehe diese der Anlage zur Garagen- und Stellplatzverordnung – GaStellV – nach Art. 47 Abs. 2 BayBO zwingend vor. Ein teilweises Zurückgreifen auf die Zahlen der Anlage zur GaStellV sei dann nicht mehr möglich. Insofern könne sich die Beklagte nachträglich auch nicht auf die Regelungen in der GaStellV berufen.
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Obwohl davon auszugehen sei, dass auch der Beklagten die Nichtigkeit der Stellplatzsatzung bekannt gewesen sei, habe sie den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zur Bedingung gemacht, damit die Klägerin überhaupt einen Stellplatz ablösen könne. Dies sei als Rechtsmissbrauch zu werten.
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Die Erhebung der Klage sei außerdem schon deshalb notwendig gewesen, um Akteneinsicht in das Original der Stellplatzsatzung zu bekommen, was zuvor außergerichtlich von der Beklagten mehrfach verweigert worden sei.
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Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 15.400,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.04.2022 zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie nimmt Bezug auf das Schreiben vom 07.04.2022 (vgl. Anlage B 1, Bl. 42 f. der Gerichtsakte) und trägt u.a. vor, dass die Klage unbegründet sei und der Klägerin ein Rückforderungsanspruch in Höhe von 15.400,00 € nebst Zinsen nicht zustehe. Der Ablösungsbetrag sei nicht rechtsgrundlos vereinnahmt. Hierbei komme es auf die Rechtswirksamkeit der Stellplatzsatzung nicht an.
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Bereits aus dem Gesetzeswortlaut des Art. 47 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 3 BayBO ergebe sich, dass die Existenz einer Stellplatzsatzung keine Voraussetzung für die Eingehung eines wirksamen Ablösungsvertrags sei. Die Möglichkeit des Satzungserlasses nach Art. 47 Abs. 2 Satz 2 BayBO sei rein fakultativer Natur. Die Stellplatzsatzung sei im öffentlich-rechtlichen Vertrag nur an zwei Stellen, jeweils in einer Reihe mit der Nennung von Art. 47 BayBO, erwähnt worden. In § 1 Abs. 3 des öffentlich-rechtlichen Vertrages seien die abzulösenden Stellplätze geregelt und ihre Zahl ausdrücklich im Vertrag selbst ausgewiesen worden. In § 6 des öffentlich-rechtlichen Vertrages sei die Bezugnahme auf die Stellplatzsatzung nur im Zusammenhang mit dem Vorbehalt zur Verringerung der Ablösungssumme enthalten, falls in der Baugenehmigung eine niedrigere Zahl der abzulösenden Stellplätze festgesetzt würde. Diese Klausel sei im hiesigen Fall gar nicht angewendet worden. Eine Relevanz der Wirksamkeit der Stellplatzsatzung für den hier maßgeblichen Vertragsinhalt sei nicht vorhanden. Diese Interpretation werde auch durch die Klausel in § 5 Abs. 2 des öffentlich-rechtlichen Vertrages untermauert. Aus ihr ergebe sich, dass es auf die Wirksamkeit der Stellplatzsatzung gerade nicht ankommen soll.
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Entgegen der klägerischen Rechtsauffassung verbitte sich ein Rückgriff auf die subsidiäre Verweisung des Art. 62 Satz 2 BayVwVfG i.V.m. § 313 BGB, auf die in Betracht zu ziehenden Fallkonstellationen einer Störung der Geschäftsgrundlage sei allein Art. 60 BayVwVfG direkt oder analog anzuwenden. Überdies könnten Vertragsinhalte eines Vertragstextes nicht zugleich als Geschäftsgrundlage qualifiziert werden. Dasselbe gelte im Wesentlichen für die in Art. 60 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG genannten Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgeblich gewesen seien. Soweit auf die Stellplatzsatzung im öffentlich-rechtlichen Vertrag Bezug genommen worden sei, sei dies gemäß Art. 62 Satz 2 BayVwVfG i.V.m. § 133, 157 BGB einvernehmlich Vertragsinhalt geworden. Eine weitergehende Zugrundelegung der Wirksamkeit der Satzung als maßgebendes Verhältnis sei nicht erfolgt. Vielmehr sei es der Klägerin darum gegangen, für Ihr Bauvorhaben den Nachweis über Stellplätze durch Ablöse führen zu können. Diesbezüglich lasse sich keine anfängliche Fehlvorstellung oder nachträgliche Änderung der maßgebenden Verhältnisse erblicken. Die Verpflichtung zur Herstellung von Stellplätzen bzw. deren Ablösungsmöglichkeit lasse sich weiterhin und unabhängig von der Stellplatzsatzung dem Art. 47 Abs. 1 BayBO entnehmen. Es sei für beide Seiten erkennbar, dass die Parteien in Kenntnis der unterstellten Unwirksamkeit der Stellplatzsatzung nichts Abweichendes vereinbart hätten. Auch wäre die Rechtsfolge eine andere, als die Klägerin sie begehrt. Nach Art. 60 BayVwVfG erfolge bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen eine Anpassung oder Kündigung mit Wirkung ex nunc und gerade keine Rückabwicklung. Zu einer solchen könnte es nur dann kommen, wenn ein Vertragspartner seine Leistung bereits erbracht hätte, ohne eine Gegenleistung erhalten zu haben. Hier habe aber die Beklagte ihre Gegenleistung mit Schreiben vom 13.07.2020 (vgl. Anlage K 2; Bl. 10 der Gerichtsakte) unstreitig erbracht.
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Ein anderer, zum Klageerfolg verhelfender Begründungsansatz des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs sei weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Rein hilfsweise sei der Rechtsansicht der Klägerin entgegenzutreten, die Stellplatzsatzung sei unwirksam. Bei Lichte betrachtet sei kein Grund gegeben, der zu der angeblichen Unwirksamkeit der Stellplatzsatzung der Beklagten führen könnte. Vor dem Trugschluss eines Generalsverdachts hinsichtlich der Unwirksamkeit des Ortsrechts der Beklagten sei zu warnen. Aus gewissen Ausfertigungsmängeln einzelner Satzungen könne und dürfe nicht darauf geschlossen werden, dass sämtliche Satzungen dieser Kommune an einem derartigen Ausfertigungsmangel leiden. Ebenso verfehle der in den Raum gestellte Schluss von der Verweigerung einer Einsichtnahme hin zur Unwirksamkeit der Stellplatzsatzung. Vielmehr sei der jeweilige Einzelfall einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. So sei die Urkunde der Stellplatzsatzung der Beklagten auf der letzten Seite vom Oberbürgermeister unterzeichnet worden und ihre einzelnen Blätter seien durch eine Heftung derart miteinander verbunden, dass die Zusammengehörigkeit der nicht gesondert ausgefertigten Textseiten und Anlagen zum unterschriebenen Rest außer Frage stehe. Es existiere somit eine hinreichende gedankliche Schnur zwischen sämtlichen Satzungsbestandteilen, sodass die abschließende Unterschrift des Oberbürgermeisters sowohl die Authentizitätsfunktion/Identitätsfunktion als auch die Legalitätsfunktion der Ausfertigung erfülle.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 04.03.2024 sind die Beteiligten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid angehört worden. Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vorgelegten Behördenakte (§ 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

Entscheidungsgründe

I.
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Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbs. 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
II.
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Die Klage – der Verwaltungsrechtsweg ist aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters des Ablösungsvertrages gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO unstreitig eröffnet – ist zulässig, aber unbegründet. Unabhängig von der Frage der Wirksamkeit der Stellplatzsatzung besteht kein Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Ablösebetrags in Höhe von 15.400,00 €, da der vorliegende öffentlich-rechtliche Vertrag weder unwirksam noch sonst entfallen ist und damit den Rechtsgrund für die Leistung darstellt (vgl. HessVGH, B.v. 24.09.2021 – 3 A 2085/13.Z – juris Rn. 5).
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1. Es liegt keine Nichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages vor. Insbesondere führt eine etwaige Unwirksamkeit der Stellplatzsatzung zu keiner Nichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages gemäß Art. 59 BayVwVfG. Im Ablöserecht der Stellplatzsatzungen gilt der Grundsatz, dass, soweit der Stellplatzbedarf, der der Festsetzung des Ablösebetrages zugrunde liegt, unter Verstoß gegen die insoweit einschlägige Vorschrift der Bauordnung fehlerhaft ermittelt worden ist, dieser Rechtsverstoß nicht zur Nichtigkeit des Vertrages führt (vgl. HessVGH, B.v. 24.09.2021 – 3 A 2085/13.Z – juris Rn. 7; Siegel in Stelkens/Bonk/Sachs, 10. Aufl. 2023, VwVfG, § 59 Rn. 19). Eine etwaige Fehlerhaftigkeit der dem Ablösevertrag zugrundeliegenden Bedarfsprognose hat nicht das Gewicht eines gesetzlichen Verbotes im Sinne von Art. 59 Abs. 1 BayVwVfG i.V.m. § 134 BGB, das die Nichtigkeit des zur Erlangung der Baugenehmigung abgeschlossenen Stellplatzablösungsvertrages bewirken könnte (vgl. HessVGH, B.v. 24.09.2021 – 3 A 2085/13.Z – juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 29.01.2004 – 2 B 02.1445 – juris Rn. 19; Siegel in Stelkens/Bonk/Sachs, 10. Aufl. 2023, VwVfG, § 54 Rn. 141). Die Wirksamkeit des Ablösungsvertrags hängt damit nicht von derjenigen der Stellplatzsatzung ab (vgl. BayVGH, U.v. 29.01.2004 – 2 B 02.1445 – juris Rn. 19).
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2. Anhaltspunkte für die bloße Behauptung der Klägerin, es sei davon ausgehen, dass die Beklagte selbst bereits bei Vertragsschluss von der Nichtigkeit der Stellplatzsatzung Kenntnis gehabt habe und deshalb ein Fall des Rechtsmissbrauchs vorliege, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich und könnten wohl nur durch Ausübung eines Gestaltungsrechtes geltend gemacht werden. Im Übrigen steht einer Behörde grundsätzlich keine Normverwerfungskompetenz zu (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2020 – 1 ZB 18.69 – BeckRS 2020, 9498 Rn. 5 m.w.N.).
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3. Auch eine etwaige Ausübung eines Gestaltungsrechtes – eine dafür erforderliche Gestaltungserklärung der Klägerin liegt nicht vor – würde zu keinem Entfall des öffentlich-rechtlichen Vertrags führen.
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a. Die Voraussetzungen für ein vertragliches Rücktrittsrecht (§ 5 des öffentlich-rechtlichen Vertrages) sind vorliegend ebenso wenig ersichtlich wie die eines gesetzlichen Anfechtungs-, Rücktritts- oder Kündigungsrechtes.
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b. Insbesondere liegen auch die Voraussetzungen für eine Kündigung bzw. einen Rücktritt gemäß Art. 60 BayVwVfG (analog) nicht vor. Als spezielle Regelung für den öffentlich-rechtlichen Vertrag verdrängt Art. 60 BayVwVfG in direkter oder analoger Anwendung die inhaltsgleiche Regelung des § 313 BGB vollständig (vgl. Brosius-Gersdorf in Schoch/Schneider, 3. EL August 2022, VwVfG § 60 Rn. 18 ff. m.w.N.).
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Zum einen ist keine Äquivalenzstörung gegeben. Mit seiner Vorlage bei der Baugenehmigungsbehörde (der Beklagten) hat die Bauherrin (die Klägerin) den zur Erlangung der beantragten Baugenehmigung erforderlichen Stellplatznachweis erbracht; er hat die Verpflichtung der Klägerin zum Inhalt, gegenüber der Beklagten die Herstellungskosten für einen Kfz-Stellplatz und einen Fahrrad-Stellplatz zu übernehmen, die, obgleich nach zwischen der Klägerin und der Baugenehmigungsbehörde übereinstimmender Prognose für das Gesamtvorhaben erforderlich, die Klägerin nicht tatsächlich herstellen würde. Der Beklagten sind mit der Zahlung des Ablösungsbetrags die zur Realisierung der in Art. 47 Abs. 4 BayBO beschriebenen Verwendungsmöglichkeiten erforderlichen Mittel zugeflossen. Darin hat sich der Vertragszweck erschöpft. Das vertragliche Schuldverhältnis ist durch Erfüllung nach Art. 62 BayVwVfG i.V.m. § 362 BGB erloschen. Schon deshalb kommt eine Anwendung des Art. 60 BayVwVfG nicht – mehr – in Betracht (vgl. BayVGH, U.v. 29.01.2004 – 2 B 02.1445 – juris Rn. 18). Überdies sind die nun abgelösten Stellplätze auch auf zukünftige Bauvorhaben auf dem Bauvorhaben anzurechnen (§ 4 des öffentlich-rechtlichen Vertrages), sodass auch bei einer etwaigen überobligatorischen Ablösung von Stellplätzen diese jedenfalls für zukünftige Bauvorhaben auf dem Bauvorhaben genutzt werden können. Außerdem bezieht sich auch die vertragliche Vorbehaltsklausel allein auf die in der bestandskräftigen Baugenehmigung festgesetzte Zahl der Stellplätze (§ 6 des öffentlich-rechtlichen Vertrages) und nicht auf die gesetzlich vorgeschriebene Stellplatzzahl.
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Zu anderen bestünde auch kein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht, sondern allenfalls ein Anspruch auf Vertragsanpassung. Denn es ist nicht ersichtlich, dass gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 1 a.E. BayVwVfG eine Anpassung nicht möglich oder einer Vertragspartei nicht zuzumuten wäre. Würde man der Berechnung anstatt der Stellplatzsatzung die GaStellV zugrunde legen, so müsste die Klägerin dennoch einen Kfz-Stellplatz ablösen, lediglich der Fahrrad-Stellplatz würde entfallen. Gemäß § 6 Abs. 6 der Stellplatzsatzung beträgt der Ablösungsbetrag für den Fahrradabstellplatz 400,00 €, sodass dies im Vergleich zum restlichen Ablösungsbetrag von 15.000,00 € kaum ins Gewicht fällt und der Vertrag ohne Weiteres auf diesen Ablösungsbetrag reduziert werden könnte. Eine solche Reduzierung tritt jedoch nicht automatisch ein und könnte gerichtlich nur unter Nachweis eines definitiven Scheiterns von Anpassungsverhandlungen oder die definitive Ablehnung solcher Verhandlungen durch eine allgemeine Leistungsklage geltend gemacht werden. Hingegen kann nicht unmittelbar auf die infolge der Anpassung geschuldete Leistung geklagt werden (vgl. Siegel in Stelkens/Bonk/Sachs, 10. Aufl. 2023, VwVfG, § 60 Rn. 28, 46 m.w.N.).
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO hinsichtlich der Vollstreckung durch die Beklagte bedurfte es angesichts der allenfalls geringen vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen der Beklagten nicht, zumal diese auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eventuell eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.