Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 30.01.2024 – B 1 K 22.935
Titel:

Kostenbescheid, unmittelbarer Zwang, Fesselung, Sicherheitsgewahrsam

Normenketten:
PAG Art. 75
PAG Art. 17 Abs. 1 Nr. 2
PAG Art. 82
KG Art. 3 Nr. 10
KG Art. 16 Abs. 5
Schlagworte:
Kostenbescheid, unmittelbarer Zwang, Fesselung, Sicherheitsgewahrsam
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24464

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2.    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen einen Kostenbescheid des Beklagten, in dem Kosten für eine per unmittelbarem Zwang durchgesetzte Ingewahrsamnahme des Klägers gefordert werden.
2
Am 17. Mai 2022 gegen 21 Uhr wurde die Polizeiinspektion … (im Folgenden PI), konkret Polizeihauptmeister B. und Polizeiobermeisterin (im Folgenden: POMin) H., in die … Straße … gerufen, da der PKW der Zeugin Frau S.-K., ein …, amtliches Kennzeichen …, von einem anderen PKW, amtliches Kennzeichen …, eingeparkt wurde. Als Halterin des einparkenden PKWs konnte die Ehefrau des Klägers, Frau K., ermittelt werden. Die Zeugin, Frau S.-K., parkte nach eigenen Angaben versehentlich vor der privaten Garage von Frau K. Aufgrund des auf öffentlichem Verkehrsgrund parkenden Fahrzeuges der Frau K. habe Frau S.-K. nicht ausparken können (vgl. IGVP-Auszug, BA Bl. 22). Ein Gespräch mit der Ehefrau des Klägers sei ausweislich des polizeilichen Kurzsachverhalts (vgl. BA Bl. 23) nicht möglich gewesen. Diese habe unglaubwürdig behauptet, dass kein Fahrzeugschlüssel vorhanden sei, um das Fahrzeug umzuparken. Deshalb sei ein Abschleppunternehmen verständigt worden.
3
Dem Protokoll lässt sich weiterhin entnehmen, dass der Kläger ununterbrochen versucht habe, den Abschleppvorgang zu filmen und diesen zu behindern. Einem ausgesprochenen Platzverweis sei er nicht nachgekommen. Aus dieser Situation heraus habe sich ein Widerstand seitens des Klägers entwickelt, der im Rahmen des polizeilichen Kurzsachverhalts folgendermaßen beschrieben wurde: „Als GES B. ihm das Handy wegnehmen wollte, schlug dieser nach dem GES B – BES wurde durch GES B. und GES H. zu Boden gebracht und fixiert. BES beleidigte den GES B. mit den Worten ‚Du Faschist‘. Handy wurde sichergestellt. Sicherheitsgewahrsam wurde durchgeführt. BES wurde gefesselt. (…) GES B. leicht verletzt. Handgelenk linksseitig sowie Ellenbogen links. GES H. leicht verletzt. Knie linksseitig.“
4
Aus dem Einsatzprotokoll ergibt sich, dass der Sicherheitsgewahrsam zur Eigensicherung durch POMin H. um 21:01 Uhr angeordnet wurde (vgl. BA Bl. 19 und Einsatzprotokoll, BA Bl. 24). Es wurde im Folgenden eine ärztliche Untersuchung des Klägers durchgeführt. Der Kläger wurde am 18. Mai 2022 um 6:00 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen (vgl. BA Bl. 20) und hierbei zur beabsichtigten Kostenfestsetzung für die polizeiliche Maßnahme des unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung einer Maßnahme nach dem Polizeiaufgabengesetz mündlich angehört (vgl. BA Bl. 21). Er verweigerte die Unterschrift unter der Kostenübernahmeerklärung.
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Mit Bescheid vom 1. September 2022 wurden 59,00 EUR für die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Gewahrsamnahme nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG erhoben.
6
Die Maßnahme sei erforderlich gewesen, da der Kläger mehrfach die Abschleppmaßnahme u.a. durch Filmen gestört habe und ein normales Gespräch mit ihm nicht möglich gewesen sei. Dem milderen Mittel des Platzverweises sei er nicht nachgekommen, sodass die Beamten das Filmen anderweitig hätten unterbinden müssen. Es sei versucht worden, das Handy des Klägers sicherzustellen. Dabei habe der Kläger nach den Beamten geschlagen, sodass unmittelbarer Zwang habe angewendet werden müssen. Dieser sei gemäß Art. 75 Abs. 3 PAG kostenpflichtig. Dem Kläger seien Handfesseln angelegt worden und zur Verhütung weiterer Straftaten habe man diesen in Sicherheitsgewahrsam nehmen müssen. Die Kostenerhebung berücksichtige den Aufwand und die Kräftebindung, die der Einsatz mit sich gebracht habe und entspreche dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es wäre unbillig, diese Last der Allgemeinheit aufzuerlegen. Gründe, die die Kostenrechnung unbillig erscheinen ließen, seien nicht ersichtlich.
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Mit Schriftsatz vom 29. September 2022 erhob der Kläger Klage gegen den Kostenbescheid.
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Die Kostenrechnung sei aus seiner Sicht unbegründet, da die Anwendung unmittelbaren Zwangs unbegründet gewesen sei.
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Unter dem 20. Oktober 2022 beantragte der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
10
Die Anwendung unmittelbaren Zwangs sei rechtmäßig gewesen. Der Sicherheitsgewahrsam beruhe auf Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG, dessen Tatbestandsvoraussetzungen aus der ex-ante Perspektive erfüllt gewesen seien. Die bevorstehende Begehung bzw. Forstsetzung von Straftaten habe verhindert werden sollen. Es hätten zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits verschiedene Angriffe auf strafrechtlich geschützte Güter stattgefunden (§ 113 StGB, § 223 StGB, §§ 185 ff. StGB und § 201 StGB). Eine weitere Eskalation habe zukunftsgerichtet verhindert werden sollen. Ein milderes Mittel sei zum Einsatzzeitpunkt nicht ersichtlich gewesen. Ein sachliches Gespräch sei aufgrund der vorangegangenen Situation nicht möglich gewesen. Der zuvor ausgesprochene Platzverweis und die Sicherstellungsanordnung seien vom Kläger unbeachtet geblieben. Die Ingewahrsamnahme sei insbesondere auch angemessen gewesen. Das Individualinteresse des Klägers bezüglich der Freiheit der Person habe gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wahrung der Rechtsordnung zurückzutreten. Zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr sei die Androhung der Anwendung unmittelbaren Zwangs gemäß Art. 81 Abs. 1 Satz 1 PAG nicht zwingend erforderlich. Da der Kläger bereits nach den Beamten geschlagen hätte, sei die Androhung vorliegend entbehrlich gewesen. Die Voraussetzungen des Art. 82 PAG seien beachtet worden. Bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt worden. Insbesondere habe den Beamten kein milderes Mittel zur Durchsetzung des Sicherheitsgewahrsams zur Verfügung gestanden, da sich der Kläger uneinsichtig und gewaltbereit gezeigt habe. Vor diesem Hintergrund sei die Anwendung unmittelbaren Zwangs auch angemessen gewesen.
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Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll, insbesondere auf die Ausführungen der Zeugin POMin H., verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.
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1. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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Der Kostenbescheid des Beklagten vom 1. September 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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a. Der Kostenbescheid findet seine Rechtsgrundlage in den Art. 75 Abs. 3 Satz 1, 93 Satz 1 und 4 Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Polizei (Polizeiaufgabengesetz – PAG) i.V.m. § 1 Nr. 8 Polizeikostenverordnung (PolKV).
16
b. An der formellen Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids bestehen keine Zweifel. Mit Vorlage der – seitens des Klägers abgelehnten – Kostenübernahmevereinbarung am 18. Mai 2022 (vgl. BA Bl. 21) wurde der Kläger vor Erlass des belastenden Verwaltungsakts im Sinne des Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) angehört.
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c. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. So konnte der Beklagte die Kosten in Höhe von 59,00 EUR für die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Ingewahrsamnahme des Klägers sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach rechtmäßig vom Kläger beanspruchen.
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aa. Art. 75 Abs. 3 Satz 1 PAG i. V. m. Art. 93 Satz 1 PAG sieht für polizeiliche Vollstreckungsmaßnahmen eine Ausnahme von der in Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 Kostengesetz (KG) normierten Grundregel der Kostenfreiheit polizeilichen Handelns vor, sodass grundsätzlich für die Anwendung unmittelbaren Zwangs Kostenerstattung von dem Betroffenen gefordert werden darf. Hierfür erklärt Art. 93 S. 1 PAG die Vorschrift des Art. 3 KG für insoweit unanwendbar, als Art. 75 Abs. 3 Satz 1 PAG die Kostenerhebung für die unmittelbare Zwangsanwendung vorschreibt. Etwas anders gilt bezüglich der Ingewahrsamnahme des Klägers, die gemäß Art. 3 Nr. 10 KG kostenfrei ist und deshalb dem Kläger auch nicht in Rechnung gestellt wurde.
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bb. Insbesondere verstößt der Bescheid auch nicht gegen Art. 16 Abs. 5 KG. Demzufolge dürfen Kosten, die bei richtiger Sachbehandlung durch die Behörde nicht entstanden wären, nicht erhoben werden (sog. Konnexitätsgrundsatz). Positiv gewendet dürfen daher nur Kosten für Maßnahmen erhoben, die sich am Maßstab des Polizeirechts als rechtmäßig erweisen. In konsequenter Anwendung allgemeiner Vollstreckungsdogmatik ist dies bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs der Fall, wenn die allgemeinen und die besonderen Zwangsvoraussetzungen vorliegen.
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1) Die allgemeinen Zwangsvoraussetzungen lagen im Zeitpunkt der Anwendung unmittelbaren Zwangs vor.
21
a) Die Anordnung des Sicherheitsgewahrsams durch die Beamten des Polizeidienstes gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG war ein Verwaltungsakt der Polizei gerichtet auf Duldung der Ingewahrsamnahme durch den Kläger, gegen welchen ein eingelegtes Rechtsmittel gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung hat, mithin taugliche Primärmaßnahme im Sinne des Art. 70 Abs. 1 PAG.
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b) Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung die Überzeugung gewonnen, dass im Zeitpunkt der Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die eingesetzten Polizeibeamten die Voraussetzungen für die Ingewahrsamnahme des Klägers vorlagen, die Maßnahme mithin rechtmäßig erfolgen konnte. Auch wenn es auf die Rechtmäßigkeit des der Zwangsmaßnahme zugrundeliegenden Verwaltungsakts bei der rechtlichen Prüfung der Zwangsmaßnahme grundsätzlich nicht ankommt, erfolgt vorliegend, da ein Kostenbescheid und nicht die hiervon losgelöste und dem Kostenbescheid vorangegangene Zwangsmaßnahme streitgegenständlich ist, aufgrund des Konnexitätsgrundsatzes (Art. 16 Abs. 5 KG) eine inzidente Rechtmäßigkeitsprüfung der Ingewahrsamnahme.
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aa) Gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 PAG kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung (sog. Präventivgewahrsam) oder Fortsetzung (sog. Repressivgewahrsam) einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern (sog. Unterbindungsgewahrsam). Es muss hierfür Grund zur Annahme bestehen, dass eine Person die in Frage stehenden Handlungen begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird. Das Gesetz verlangt insofern eine Prognoseentscheidung des Polizeibeamten. Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 PAG enthält in den Buchst. a bis c Beispiele, worauf die Annahme, dass eine Person eine solche Tat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird, insbesondere gestützt werden kann, um die geforderte Prognoseentscheidung zu erleichtern. Liegen die in Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 Buchst a bis c PAG genannten Anhaltspunkte nicht vor, besteht die für den Gewahrsam erforderliche Gefahr nur dann, wenn im konkreten Einzelfall aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu befürchten ist, dass die in Frage stehende Person eine rechtswidrige Handlung begehen wird, die den objektiven Tatbestand eines Strafgesetztes oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit verwirklicht. Der Richter hat dabei die Prognose der Polizeibeamten zu überprüfen und darf sie nicht durch seine eigene ersetzen (Grünewald in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 23. Edition, Stand 15.4.2023, Art. 17 Rn. 44).
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Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Polizeibeamten den Kläger in Unterbindungsgewahrsam nehmen durften, da dieser zur Verhinderung der Fortsetzung der Begehung von Straftaten, aber auch zur Verhinderung der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger notwendig war. Da der Kläger mit der Begehung dieser Straftaten bereits begonnen hatte, war auch mit einer Fortsetzung zu rechnen. Nach der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2024 ist die Kammer überzeugt, dass sich der Kläger polizeilichen Anordnungen widersetzt und nach den Polizeibeamten im Einsatz geschlagen und getreten hat, wodurch er diese leicht verletzt hat. Aufgrund des aggressiven Verhaltens des Klägers bestanden für die Polizeibeamten im maßgeblichen Zeitpunkt zudem Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger weitere Straftaten, die sich gegen die körperliche Unversehrtheit der Polizisten richten, begehen könnte.
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Die Zeugin, POMin H., führte in der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2024 gegenüber dem erkennenden Gericht über die Hintergründe und den konkreten Hergang am 17. Mai 2022 aus, dass der Kläger die Abschleppmaßnahme durch das von der Polizei beauftragte Abschleppunternehmen gestört habe. Zunächst seien sie und ihr Kollege zum Wohnanwesen des Klägers gerufen worden, nachdem Frau Sch, die Nachbarin des Klägers, die Polizei darüber informiert habe, dass das Fahrzeug ihrer Freundin durch ein weiteres Fahrzeug vor der Garage des Klägers eingeparkt worden sei. Sie hätten sodann versucht, mit dem Kläger und seiner Ehefrau zu sprechen und hätten diese aufgefordert, das Fahrzeug wegzufahren. Bereits zu diesem Zeitpunkt habe sich eine heftige Diskussion entwickelt, in deren Zusammenhang seitens der Ehefrau auch geäußert worden sei, dass das Auto nicht weggefahren werden könne, da ein Bekannter den Schlüssel mitgenommen habe und dass die Polizei das Fahrzeug abschleppen lassen solle. Seitens der Polizei habe sich hieran eine Belehrung über die strafrechtlichen Tatbestände und ein Hinweis angeschlossen, dass nunmehr ein Abschleppunternehmen mit der Versetzung des Fahrzeugs beauftragt werde. Im weiteren Verlauf – nach Eintreffen des Abschleppfahrzeuges – habe sich der Kläger entlang der … Straße vor dieses Auto gestellt, um den Versetzungsvorgang zu behindern. Zudem habe er sich ständig in unmittelbarer Nähe zu den Arbeitern des Abschleppunternehmens bewegt und so deren Arbeit gestört, worauf diese auch hingewiesen hätten. Als einer der Arbeiter an die Polizeibeamten herangetreten sei und darum gebeten habe, den Kläger vom Abschleppfahrzeug fernzuhalten, hätten sie und ihr Kollege gegenüber dem Kläger einen Platzverweis ausgesprochen und ihn aufgefordert, sich vom Abschleppwagen zu entfernen und sich zum Hauseingang zu bewegen. Der Kläger sei diesem Platzverweis nicht nachgekommen. Vielmehr habe er sich sodann zum Führerhaus des Abschleppwagens bewegt und den Vorgang weiter gestört. Zudem habe er begonnen, die Handykamera auf sie und ihren Kollegen zu richten und sie zu filmen. Ihr Kollege habe den Kläger belehrt, dass das Filmen ihrer Gesichter nicht erlaubt sei. Als der Kläger das Filmen nicht unterlassen habe, habe ihr Kollege versucht, dem Kläger das Handy wegzunehmen. Der Kläger sei sodann aggressiv geworden und habe ihren Kollegen geschlagen. Infolgedessen hätten sie den Kläger zu Boden gebracht. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger sehr aggressiv gewesen und habe mit den Füßen nach ihnen getreten. Aufgrund des massiven Widerstandes des Klägers – darunter fielen das Schlagen nach dem Kollegen, ebenso wie die Tritte gegen sie, als er schon am Boden gelegen habe, wodurch sowohl sie als auch ihr Kollege leicht verletzt worden seien – hätten sie sich zu einer Fesselung des Klägers entschlossen. Eine anderweitige Bereinigung der Situation sei aufgrund des aggressiven Verhaltens des Klägers aus Sicht der Polizisten nicht möglich gewesen. Aufgrund der erheblichen Aggressivität des Klägers hätten sie außerdem beschlossen, diesen in Sicherungsgewahrsam zu nehmen.
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Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung zum Hergang am 17. Mai 2022 keine Angaben gemacht. Er verlas lediglich ein eigenes Statement, in dem er angab, sich nicht strafbar gemacht zu haben. Außerdem verwies er auf ein strafrechtliches Verfahren vor dem Amtsgericht …, wo die Frage der Strafbarkeit und seiner Schuld in Kürze entschieden werde. Substantiierte Einwendungen gegen den Kostenbescheid und Ausführungen dazu, weshalb sich dieser aus seiner Sicht als rechtswidrig darstellt, erfolgten nicht.
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Aus Sicht des Gerichts war diese Maßnahme auch unerlässlich im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG. Das Merkmal der Unerlässlichkeit im Sinne dieser Vorschrift betont den Grundsatz der Erforderlichkeit, d.h. es ist stets zu prüfen, ob mildere Mittel in der konkreten Situation ausreichend gewesen wären (vgl. Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, Polizeiaufgabengesetz und Polizeiorganisationsgesetz, 6. Aufl. 2023, Art. 17 PAG Rn. 42).
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Die Zeugin, POMin H., hat in der mündlichen Verhandlung plausibel erläutert, weshalb aus Sicht der Polizei in der konkreten Einsatzsituation andere Mittel nicht erfolgsversprechend erschienen. So hat die Zeugin ausgeführt, dass eine Bereinigung der Situation aufgrund der Aggressivität des Klägers, die sich durch das Schlagen und das Treten gegen die Polizeibeamten geäußert habe, anderweitig nicht möglich gewesen sei. Dies kann vom Gericht insbesondere vor dem Hintergrund nachvollzogen werden, dass der Kläger bereits im Vorfeld durch uneinsichtiges Verhalten aufgefallen ist, die polizeilichen Maßnahmen wiederholt gestört und polizeilichen Anordnungen keine Folge geleistet hat. Mildere Mittel wie etwa der zuvor ausgesprochene Platzverweis fruchteten nicht. Auch weitere Kommunikationsversuche mit dem Kläger schlugen fehl, da er sich nicht kooperativ verhielt. Die Kammer hat vorliegend keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die polizeilichen Anordnungen aufgrund schlechter Deutschkenntnisse nicht verstanden hat. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht erklärt, nicht so gut deutsch sprechen zu können. Insofern ist jedoch anzumerken, dass er zu Beginn der mündlichen Verhandlung zu Protokoll des Gerichts erklärte, sich ohne Übersetzung in der Lage zu sehen, der beantragten Verlesung des Sachberichts zu folgen. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass es dem Kläger auch möglich war, die polizeilichen Anordnungen zu verstehen. Gegenteiliges wurde jedenfalls vom Kläger auch nicht vorgetragen.
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bb) Da mit dem streitgegenständlichen Bescheid Kosten lediglich für die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Ingewahrsamnahme, nicht jedoch für die Maßnahme des Gewahrsams an sich erhoben wurden, kommt es auf die Frage, ob im Nachgang zur Durchsetzung der Ingewahrsamnahme die weiteren Voraussetzungen für freiheitsentziehende Maßnahmen eingehalten wurden, nicht streitentscheidend an. Der Beklagtenvertreter hat in der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2024 hervorgehoben, dass lediglich Kosten für die Anwendung unmittelbaren Zwangs, nicht jedoch zusätzliche Kosten für die Nacht des Klägers in der Polizeidienststelle im Rahmen des Gewahrsams erhoben wurden. In Anbetracht des Art. 16 Abs. 5 KG ist insbesondere anzumerken, dass die Kosten für die Anwendung unmittelbaren Zwangs – konkret die Fesselung des Klägers – im Zeitpunkt der Verbringung des Klägers in den Gewahrsam ohnehin bereits entstanden sind.
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2) Zudem lagen im Zeitpunkt der Anwendung unmittelbaren Zwangs die besonderen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen vor.
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a) Vorliegend war die Zwangsanwendung, insbesondere aufgrund der bereits ausgeführten Gewalthandlungen in Form von Schlägen und Tritten gegen die Beamten des Polizeidienstes, zur Abwehr der Gefahr notwendig. Hieraus erschließt sich ferner auch, dass der strenge Subsidiaritätsgrundsatz des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 PAG von den Beamten beachtet wurde. In der Dynamik der gefährlichen Situation hatten sie schlicht keine Zeit, sich eines niederschwelligeren Zwangsmittels zu bedienen. Folglich respektierten die Beamten die Natur des unmittelbaren Zwangs als ultima ratio auch bei sofortiger Anwendung dieses Mittels.
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b) Auch im Hinblick auf die Fesselung des Klägers auf Grundlage des Art. 82 PAG bestehen keine Rechtmäßigkeitsbedenken. Demgemäß darf eine Person, die nach diesem Gesetz oder anderen Rechtsvorschriften festgehalten wird, gefesselt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Polizeibeamte oder Dritte angreifen, Widerstand leisten oder Sachen beschädigen wird (Nr. 1). Die Voraussetzungen der Fesselung lagen im Zeitpunkt der Maßnahme vor. So befand sich der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt faktisch in der Gewalt der Polizisten, da er von diesen zum Zwecke der Ingewahrsamnahme (Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG) festgehalten wurde (vgl. Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, Polizeiaufgabengesetz/Polizeiorganisationsgesetz, 6. Aufl. 2023, Art. 82 PAG Rn. 4). Die Fesselung erfolgte weiterhin zur Verhinderung der in der Nr. 1 genannten Gefahr eines Angriffs auf Polizeibeamte bzw. weiterer Widerstandshandlungen seitens des Klägers. Es entspricht allgemeiner Rechtsauffassung, dass die Fesselung in jedem Fall gerechtfertigt ist, wenn der Betroffene bereits begonnen hat, das genannte Verhalten zu zeigen (vgl. Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, Polizeiaufgabengesetz/Polizeiorganisationsgesetz, 6. Aufl. 2023, Art. 82 PAG Rn. 5). Da der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt nach den Polizeibeamten geschlagen und sodann nach diesen getreten hat, kann auch diese Voraussetzung als gegeben betrachtet werden. Insofern wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Fesselung des Klägers unverhältnismäßig gewesen sein könnte, bestehen auch bei besonderer Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit nicht.
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cc. Der Kostenbescheid ist auch der Höhe nach rechtmäßig. Auf der Grundlage des förmlichen Art. 93 S. 4 PAG i. V. m. § 1 Nr. 8 PolKV setzte das Polizeipräsidium eine Gebühr von 59,00 EUR für die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Ingewahrsamnahme des Klägers fest. Hierbei blieb die Behörde im vorgegebenen Gebührenrahmen von 36 bis 1.500 EUR und bewegt sich mit der festgesetzten Gebühr in Höhe von 59,00 EUR sogar im unteren Bereich des vorgesehenen Rahmens, sodass die Gebühr der Höhe nach auch nicht unverhältnismäßig erscheint.
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dd. Von der Erhebung der Gebühr war auch nicht aus Billigkeitsgründen abzusehen, Art. 93 Satz 5 PAG. Zwar ermöglicht die Vorschrift der Behörde, von der Erhebung der Kosten in bestimmten Fällen abzusehen. Dabei handelt es sich jedoch um eine Ermessensvorschrift. Unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens hat das Polizeipräsidium im streitgegenständlichen Kostenbescheid nachvollziehbar ausgeführt, dass auf die Kostenerhebung nicht verzichtet werde, da diese den Aufwand und die Kräftebindung, die der Einsatz mit sich gebracht habe, berücksichtige und zudem Gründe, die die Kostenrechnung unbillig erscheinen ließen, nicht erkennbar seien.
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2. Die gerichtliche Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
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3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung (ZPO). Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – jedenfalls geringen vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.