Titel:
Beibringung eines Drogenkontrollprogramms und eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bei Zweifeln an der Fahreignung
Normenketten:
FeV § 11 Abs. 2 S. 3 Nr. 1, Abs. 6 S. 1, S. 2, Abs. 8 S. 1, S. 2, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 2 Nr. 2, § 46 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 3, Anl. 4 Nr. 9.3, Nr. 9.4
StVG § 2 Abs. 8, § 3, § 6a
VwGO § 80 Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1, § 154 Abs. 1
BayVwVfG, Art. 35 S. 1
GebOSt § 4 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 46 Abs. 1 S. 1 FeV ist bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit die Einnahme eines Betäubungsmittels nachgewiesen wurden oder der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen ist gem. § 11 Abs. 8 S. 1 FeV nur dann zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig erfolgt ist. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Beibringung eines Drogenkontrollprogramms und eines medizinisch-psychologischen Gutachtens im maßgeblichen Zeitpunkt der Beibringungsaufforderung ist rechtmäßig, wenn hinreichend gewichtige Tatsachen vorhanden sind, die Zweifel an der Fahreignung des Klägers belegen und die die Fahrerlaubnisbehörde veranlassen durften, eine Abklärung herbeizuführen, insbesondere ob nach Anl. 4 Nr. 9.5 FeV die Fahreignung nach Entgiftung und Entwöhnung nach einjähriger Abstinenz wieder gegeben war. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Anordnung zur Abgabe des Führerscheins hat sich nicht durch die zwischenzeitlich erfolgte Abgabe an das Landratsamt erledigt, sondern stellt eine Rechtsgrundlage für das Einbehalten des Dokuments dar. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abbruch Drogenkontrollprogramm, verdünnte Urinprobe, keine plausible Erklärung zu niedriger Kreatininwerte, Attest, Drogenkonsum, Entziehung der Fahrerlaubnis, Fahreignung, Fahrerlaubnis, Gutachten, Konsum, Kraftfahreignung, Krankenhaus, medizinisch-psychologisches Gutachten, Therapie, Zwangsgeldandrohung, Abgabeverpflichtung, Drogenkontrollprogramm, vorläufige Vollstreckbarkeit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24463
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Am 7. April 2021 wurde die Führerscheinstelle des Landratsamts … (Landratsamt) per E-Mail informiert, dass die Fachbereiche 22 und 50 des Landratsamts Zweifel an der Zuverlässigkeit des Klägers zum Führen von Fahrzeugen hätten. Er war ausweislich des Beschlusses des Amtsgerichts … vom 8. April 2020 am 5. April 2020 bewusstlos aufgefunden und von 7. bis 21. April 2020 in einer geschlossenen Abteilung des Bezirkskrankenhauses … untergebracht worden. Er habe Hinweise auf optische Halluzinationen gezeigt und Selbstgespräche geführt. Er leide nach ärztlichem Attest vom 8. April 2021 an psychischen Störungen und Verhaltensstörungen durch Sedativa oder Myotika und durch Opioide-Fentanyl oder andere psychotrope Substanzen.
2
Mit Schreiben vom 19. April 2021 informierte das Landratsamt den Kläger, dass aufgrund der bekannt gewordenen Tatsachen – auch aus amtsärztlicher Sicht des Fachbereichs Gesundheitswesen – im Hinblick auf eine Abhängigkeitserkrankung und eine Erkrankung aus dem nervenärztlichen Fachgebiet erhebliche Zweifel an seiner Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen bestünden. Er wurde aufgefordert, den Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses vorzulegen.
3
Mit Antwortschreiben vom 25. April 2021 übersandte der Kläger das Entlassungsschreiben und gab an, dass er aufgrund eines bei seinem Vater diagnostizierten Krebsleidens Schlafstörungen habe, gegen die er Medikamente nehme. Er sei von diesen abhängig geworden und habe immer mehr genommen, bis seine Eltern eines Tages, als er kaum noch aufstehen habe können, den RTW gerufen hätten, der ihn ins Krankenhaus gebracht habe.
4
Im Arztbrief vom 14. April 2020 finden sich folgende Diagnosen (lCD-10):
- Psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen: Abhängigkeitssyndrom (F19.2)
- Psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen: Akute Intoxikation [akuter Rausch] (F19.0)
- Opiatintoxikation (F11.0)
- Psychische und Verhaltensstörungen durch Opioide-Fentanyl: Abhängigkeitssyndrom (F112)
- Benzodiazepinintoxikation (F130)
- Benzodiazepinabhängigkeit (F13.2)
- Schädlicher Gebrauch von nichtabhängigkeitserzeugenden Substanzen: Pregabalin (F552)
- Benigne essentielle Hypertonie: Ohne Angabe einer hypertensiven Krise (l10.00)
5
Bei Therapie und Verlauf war u.a. angegeben:
„Nach Suchtmittelrückfall erfolgte eine stationäre Behandlung zur qualifizierten Entzugsbehandlung und affektiven Stabilisierung. Bei Herrn … wurde ein polyvalenter Entzug durchgeführt und abgeschlossen. […] Der Patient wurde über die nicht gegebene Fahrtauglichkeit gemäß den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen (1. Mai 2014) informiert. Trotz Behandlungsindikation drängte Herr … auf seine Entlassung, die bei fehlenden Unterbringungsvoraussetzungen gegen ausdrücklichen ärztlichen Rat erfolgte.“
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Als Therapievorschlag war u.a. angegeben, dass zur Erreichung einer dauerhaften Suchtmittelabstinenz sowie zur weiteren Stabilisierung eine strikte Abstinenz, eine strikte Alkoholkarenz, der Anschluss an eine Selbsthilfegruppe und regelmäßiger Kontakt zur Suchtberatung empfohlen werden.
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Das Landratsamt forderte mit Schreiben vom 10. Mai 2021 die Feststellung der Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 2 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) i.V.m. Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV durch eine medizinisch-psychologische Fahrtauglichkeitsuntersuchung bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung. Da der letzte nachweisliche Konsum von Benzodiazepin und Opiaten bereits über ein Jahr zurückliege, stehe die Nichteignung nicht zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest. Es bestünden jedoch erhebliche Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, weshalb die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens notwendig sei. Nur dadurch könne geklärt werden, ob der Kläger weiterhin psychoaktiv wirkende Stoffe einnehme und ob ein stabiler Einstellungswandel stattgefunden hat, der für die Einschätzung der Gefahrensituation von entscheidender Bedeutung ist.
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Er wurde aufgefordert, bis spätestens 25. Juli 2022 ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle beizubringen. Die Untersuchung habe dabei folgende Fragestellungen im Hinblick auf seine Fahreignung zu klären:
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Liegen körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen vor, die mit der Einnahme von psychoaktiv wirkenden Stoffen in Zusammenhang gebracht werden können? Ist zu erwarten, dass Herr … zukünftig psychoaktiv wirkende Stoffe einnimmt? Vor der medizinisch-psychologischen Untersuchung sei ein einjähriges Drogenkontrollprogramm zum Nachweis der Abstinenz durchzuführen. Bis 24. Mai 2022 seien der Führerscheinstelle des Landratsamts sechs Drogenscreenings vorzulegen. Eine entsprechende Einverständniserklärung wurde beigefügt. Zudem wurden mehrere Hinweise aufgenommen.
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Am 25. Mai 2021 ging beim Beklagten die vom Kläger unterschriebene Einverständniserklärung ein, der sich für die TÜV ... GmbH in … als amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung entschied.
11
Mit Schreiben vom 29. Juni 2021 wurde der Beklagte über den Befundbericht über den Abstinenzbeleg, der am 22. Juni 2021 erbracht wurde, informiert. Danach wurde der Kläger kurzfristig zur Wiederholung der Urinkontrolle geladen. Grund hierfür war, dass die Konzentration des Urins bei einem Kreatininwert unter 20 mg/dl so niedrig war, dass die gewonnene Probe für einen Beleg der Drogenfreiheit nicht verwertbar war. Der Kreatininwert lag bei 13 mg/dl.
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Weitere Abstinenzbelege wurden dem Beklagten mit Schreiben vom 19. Juli 2021, 20. Oktober 2021 und 7. Dezember 2021 übersandt. Der Kreatininwert lag hier jeweils bei 25 bzw. 26 mg/dl und im Urin waren keine Drogensubstanzen/Ausweichmedikamente nachweisbar.
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Mit Schreiben vom 10. Februar 2022 informierte die Begutachtungsstelle den Beklagten, dass das Abstinenzkontrollprogramm abgebrochen werden musste. Der Abbruch sei gemäß der Vertragsbedingungen vorzeitig erfolgt, da der Kläger zwei aufgrund des niedrigen Kreatininwerts (Verdünnung) nicht verwertbare Urinproben abgegeben habe. Der Kreatininwert bei der Probe vom 7. Februar 2022 lag bei 16 mg/dl.
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Der Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 17. Februar 2022 dazu an, dass er aufgrund der Verdünnung der Urinproben davon auszugehen sei, dass der Kläger nicht gewillt sei, seine Abstinenz vollständig nachzuweisen oder bestehende Mängel bzw. ein Drogenkonsum verborgen bleiben sollen. Der Beklagte sei daher berechtigt, auf die Ungeeignetheit des Klägers als Kraftfahrzeugführer zu schließen und dazu gehalten, ihm die Fahrerlaubnis der Klassen 1b und 3 zu entziehen, da er die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen derzeit nicht besitze.
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Mit Schreiben vom 24. Februar 2022 bestellte sich der Klägerbevollmächtigte unter Vollmachtvorlage und beantragte Akteneinsicht. Dieser verwies mit Schreiben vom 28. Februar 2022 auf eine beim Kläger seit langem bestehende Vorerkrankung, die für die beiden nicht verwertbaren Urinproben ursächlich sei. Der Kläger habe ärztliche Unterlagen vorgelegt, aus denen sich derartige Erkrankungen bereits seit 2006 ergäben, mit der Folge, dass der Kreatininwert deutlich schwanke.
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Ausweislich des Aktenvermerks vom 4. März 2022 wurde diese Vorerkrankung auch der Begutachtungsstelle gegenüber geltend gemacht und werde dort ärztlich überprüft.
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Mit Schreiben vom 8. Mai 2022 äußerte sich der Klägerbevollmächtigte und übersandte ein Schreiben des Klägers vom 1. März 2022 an die Begutachtungsstelle, das Antwortschreiben der Begutachtungsstelle vom 2. März 2022 und ärztliche Berichte des Klinikums … vom 9. Mai 2006, 4. Mai 2011, 19. Oktober 2011, 5. Dezember 2013, 27. Februar 2018 und 8. März 2018 (Bl. 51 f. der Behördenakte).
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Im Schreiben des Klägers vom 1. März 2022 wird ausgeführt, dass er seit 2006 an einer chronischen Nierenerkrankung leide und seine Nierenwerte einfach sehr unterschiedlich seien. Seine Kreatininwerte würden sich immer zwischen 10 und 30 bewegen, obwohl er zu den angeordneten Untersuchungen sogar noch weniger Flüssigkeit zu sich genommen habe als normal.
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Aus den ärztlichen Unterlagen des Klinikums … ergibt sich, dass der Kläger an Nieren- und Harnleitersteinen litt und diesbezüglich mehrfach in ärztlicher Behandlung war. Ein dem Arztbericht vom 5. Dezember 2023 beigefügter Untersuchungsbericht gibt den Kreatininwert des Klägers mit 0,7-1,3 mg/dl an. Zwei konkrete Messwerte sind mit 0,69 mg/dl und 0,88 mg/dl ausgewiesen.
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Aus der Stellungnahme der Begutachtungsstelle vom 9. März 2022 ergibt sich, dass ein erniedrigter Kreatininwert nicht durch Nieren- und Harnleitersteine zu erklären sei. Eine gestörte Nierenfunktion äußere sich unter anderem durch eine Erhöhung des Kreatininwerts.
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Mit Bescheid vom 22. März 2023 entzog der Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klassen 1b und 3. Es wurde angeordnet, den Führerschein mit der Nummer … umgehend beim Landratsamt abzuliefern (Ziffer 1). Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 dieses Bescheids wurde angeordnet (Ziffer 2). Für den Fall, dass der Kläger seinen Führerschein innerhalb von 5 Tagen nach Zustellung dieses Bescheids nicht abliefere, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR angedroht. Sollte die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs angeordnet werden, so werde die Frist bis zum Ablauf von einer Woche nach Eintritt der Bestandskraft verlängert (Ziffer 3). Dem Kläger wurden die Kosten des Verfahrens und Gebühren auferlegt (Ziffer 4).
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Zur Begründung wurde angegeben, dass bei gegebenen Sachverhalt und nach Abbruch des Drogenkontrollprogrammes davon ausgegangen werden müsse, dass der Kläger offensichtlich nicht gewillt sei, der Führerscheinstelle des Landratsamts seine Abstinenz vollständig nachzuweisen und das bestehende Mängel bzw. ein Drogenkonsum verborgen bleiben sollen. Der Entzug der Fahrerlaubnis stütze sich auf die erheblichen Zweifel an der Fahreignung des Klägers, die er nicht habe ausräumen können. Da mit der Entziehung der Fahrerlaubnis diese erlösche, sei auch der Führerschein unverzüglich beim Landratsamt abzuliefern. Die Anordnung der Sofortvollziehung sei im öffentlichen Interesse geboten (wird näher ausgeführt). Die Zwangsgeldandrohung wird begründet.
23
Der Kläger übersandte seinen Führerschein an den Beklagten.
24
Gegen den am 25. März 2022 zugestellten Bescheid ließ er durch seinen Bevollmächtigten zum Verwaltungsgericht Bayreuth Klage erheben und beantragen,
Der Bescheid des Landratsamts … vom 22.03.2022 (Gz.: …*) wird aufgehoben.
25
Zur Begründung wird der tatsächliche Sachverhalt im Bescheid nicht bestritten, sondern dahingehend ergänzt, dass der Kläger seit 2006 unter einer Nierenerkrankung leide. Diese führe dazu, dass die Nierenwerte und insbesondere der Kreatininwert stark schwankten und sich unabhängig von der zu sich genommenen Flüssigkeitsmenge zwischen 10 und 30 bewegten.
26
Der Kläger konsumiere seit seiner Einweisung ins Bezirkskrankenhaus vom 8. April 2020 bereits seit über einem Jahr keine Betäubungsmittel mehr. Der Kläger habe die Urinproben nicht verdünnt, diese seien aber wegen seiner chronischen Nierenerkrankung und des niedrigen Kreatininwerts nicht verwertbar gewesen. Obwohl er dies durch Arztberichte erklärt habe, sei weder die TÜV ... GmbH, die mit dem Drogenkontrollprogramm beauftragt war, noch das Landratsamt darauf eingegangen.
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Zudem bestünden Zweifel an der Erforderlichkeit und Angemessenheit der Entziehung der Fahrerlaubnis, da es sich um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff handle.
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Der Beklagte erwiderte mit Schriftsatz vom 25. Mai 2022 und beantragte die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf den Bescheid vom 22. März 2022 verwiesen. Zudem sei der Kläger auch ausweislich der Stellungnahme des TÜV ... eine schlüssige Erklärung für den niedrigeren Kreatininwert und die Nichtverwertbarkeit der zwei Urinproben schuldig geblieben. Die Erkrankungen müssten zu einem höheren Kreatininwert führen. Da die Nichtverwertbarkeit in die Verantwortung des Klägers falle, sei ihm zu Recht nicht die Möglichkeit des Nachweises durch Haarproben eingeräumt worden.
30
Trotz gerichtlicher Aufforderung im Schreiben vom 20. Juli 2022 legte der Kläger keine weiteren ärztlichen Nachweise vor. Ausweislich des Schriftsatzes vom 23. August 2022 sei der bisherige Arzt des Klägers mittlerweile im Ruhestand und aktuell kein behandelnder Arzt vorhanden. Es wurde erneut ausdrücklich auf die ärztlichen Berichte des Klinikums … verwiesen.
31
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. Februar 2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
32
Die Klage hat keinen Erfolg.
33
Der Bescheid vom 22. März 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
34
Die Klage ist dahingehend zu verstehen, dass der Kläger sich gegen die Ziffern 1 und 4 des Bescheids des Landratsamts wendet. Ziffer 2 des Bescheids (Anordnung der sofortigen Vollziehung) stellt keinen Verwaltungsakt nach Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) dar, sondern ist eine verfahrensrechtliche Nebenentscheidung zum Hauptverwaltungsakt. Rechtsschutz gegen die erfolgte Anordnung der sofortigen Vollziehung richtet sich daher ausschließlich nach § 80 Abs. 5 VwGO und ist nicht im Rahmen eines Klageverfahrens zu gewähren (vgl. hierzu Schmidt in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Auflage 2014, § 80 Rn. 33 m.w.N; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: 36. EL Februar 2019, § 80 Rn. 199 m.w.N.).
35
Dem Antrag auf Aufhebung der Ziffer 3 des Bescheids (Zwangsgeldandrohung) fehlt das Rechtschutzbedürfnis, da der Kläger der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins nachgekommen ist und sich die Zwangsgeldandrohung dadurch erledigt hat.
36
Die im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet.
37
1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis in Ziffer 1 des Bescheids ist rechtmäßig. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder bedingt geeignet ist, so finden gem. § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit die Einnahme eines Betäubungsmittels nachgewiesen wurden oder der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat (vgl. BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris Rn. 16).
38
Die Nichteignung des Klägers ergibt sich vorliegend aus § 11 Abs. 8 FeV. Nach § 11 Abs. 8 FeV musste der Beklagte auf die Nichteignung des Klägers schließen, da dieser ein im Sinne einer Fahreignung positives Ergebnis des rechtmäßig angeforderten Drogenkontrollprogramms mit anschließend medizinisch-psychologischer Untersuchung nicht vorlegte. Das Drogenkontrollprogramm wurde wegen fehlender Mitwirkung des Klägers abgebrochen.
39
Der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen ist gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nur dann zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war, wenn also die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung erfüllt sind und die Anordnung auch im Übrigen den Anforderungen der §§ 11 ff. FeV entspricht. Voraussetzung ist, dass die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig erfolgt ist (stRspr., vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20/15 – juris Rn. 19). Die Gutachtensanordnung muss weiter hinreichend bestimmt und aus sich heraus verständlich sein. Der Betroffene muss der Gutachtensaufforderung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Weiterhin ist gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV erforderlich, dass der Betroffene nachweislich auf die Folgen der Nichteignungsvermutung des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV hingewiesen wurde. Die Frist muss so bemessen sein, dass dem Betroffenen die Gutachtensbeibringung möglich und zumutbar ist (BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – DAR 2005, 581; BayVGH, B.v. 17.4.2019 – 11 CS 19.24 – juris Rn. 18). Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (stRspr, vgl. u. a. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 14.17 – BVerwGE 165, 215 Rn. 11 m. w. N.).
40
a. Der Beklagte war nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 FeV befugt, die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen. Ein solches ist beizubringen, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass Abhängigkeit von Betäubungsmitteln oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen oder eine missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vorliegt. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn zu klären ist, ob der Betroffene noch betäubungsmittelabhängig ist oder -ohne abhängig zu seinweiterhin Betäubungsmittel einnimmt (vgl. VG München, B.v. 17.6.2019 – M 26 S 19.1809 – juris Rn. 29).
41
Das Gericht hat keinen Zweifel, dass die Forderung zur Beibringung eines Drogenkontrollprogramms nach § 14 Abs. 1 Satz 1 FeV sowie eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV i.V.m. Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV im maßgeblichen Zeitpunkt der Beibringungsaufforderung zu Recht erfolgte, denn es waren hinreichend gewichtige Tatsachen vorhanden, die Zweifel an der Fahreignung des Klägers belegen und die die Fahrerlaubnisbehörde veranlassen durften, eine Abklärung herbeizuführen, insbesondere ob nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung nach Entgiftung und Entwöhnung nach einjähriger Abstinenz wieder gegeben war.
42
Aus dem ärztlichen Attest vom 8. April 2021 und dem Entlassbrief des Bezirkskrankenhauses … vom 14. April 2020 ergibt sich, dass der Kläger u.a. an psychischen und Verhaltensstörungen durch Sedativa oder Myotika und durch Opioide-Fentanyl oder anderen psychotropen Substanzen litt, multipler Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen und eine entsprechende Intoxikation vorlag. Mithin sei die Fahrtauglichkeit gemäß den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen nicht gegeben. Der Kläger räumte zudem selbst ein, abhängig gewesen zu sein.
43
Bei Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen bzw. der missbräuchlichen Einnahme (regelmäßig übermäßiger Gebrauch) von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen ist nach Nr. 9.3 und 9.4 der Anlage 4 zur FeV die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen gegeben, vgl. § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV. Diese ist nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV erst nach Entgiftung und Entwöhnung nach einjähriger Abstinenz wieder gegeben.
44
Ausschließlich wegen der seit dem Vorfall verstrichenen Zeit konnte der Beklagte nicht mehr ohne Weiteres von der Fahrungeeignetheit des Klägers ausgehen, sondern war gehalten, den Kläger im Hinblick auf eine etwaige Wiedererlangung der Fahreignung (vgl. Anlage 4 Nr. 9.5 zur FeV) zunächst zu einem engmaschigen, behördlich überwachten Drogenscreening mit anschließender medizinisch-psychologischer Untersuchung aufzufordern (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2015 – 11 CS 15.145 – juris Rn. 17)
45
Im Zeitpunkt der Gutachtensanordnung lagen also Tatsachen vor, die Zweifel an der Kraftfahreignung des Klägers begründeten und weiterer Klärung bedurften. Zudem hat der Kläger der Gutachtenerstellung zugestimmt.
46
b. Weder die Fragestellung in der Gutachtensanforderung (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV) noch die Auswahl der Begutachtungsstellen ist zu beanstanden. Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV bestimmt die Fahrerlaubnisbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen, von wem das Fahreignungsgutachten zu erstellen ist. Das Landratsamt forderte vom Kläger die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV nach einem mittels Drogenkontrollprogramm geführten Abstinenznachweis von einem Jahr durch Vorlage von sechs Drogenscreenings. Dies war das gemäß der Fahrerlaubnis-Verordnung mildeste Mittel, um Eignungszweifel zu überprüfen. Das Landratsamt hat das ihm zustehende Ermessen im Hinblick auf die Aufforderung zur Beibringung eines medizinischen Gutachtens gemäß § 114 Satz 1 VwGO ordnungsgemäß ausgeübt. Das Landratsamt hat weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch sonst von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.
47
Die Aufforderung war verhältnismäßig. Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss die Fahrerlaubnisbehörde grundsätzlich prüfen, ob der Sachverhalt zunächst noch durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen weiter aufgeklärt werden kann. Die getroffene Anordnung gegenüber dem Kläger war im vorliegenden Fall insbesondere erforderlich, mithin das mildeste geeignete Mittel, um die Zweifel an der Fahreignung des Klägers auszuräumen. Lassen die der Anforderung zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen einen Eignungsmangel als naheliegend erscheinen, so steht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dieser Anordnung in der Regel, so auch hier, nicht entgegen.
48
Es bestanden hinreichende Anhaltspunkte, die bei vernünftiger lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründeten, dass der Kläger nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Mit dem Drogenkontrollprogramm und dem medizinisch-psychologischen Gutachten sollte insbesondere geklärt werden, ob der Kläger trotz der vom Bezirkskrankenhaus … attestierten nicht bestehenden Fahreignung mittlerweile seine Fahreignung wiedererlangte hatte. Dies ist nicht zu beanstanden.
49
c. Die Beibringungsaufforderung entspricht auch im Übrigen den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV. Der Beklagte ist den sich aus § 11 Abs. 6 FeV ergebenden Informationspflichten korrekt nachgekommen. Der Beklagte hat dem Kläger ausführlich die Gründe dargelegt, welche die Zweifel an seiner Fahreignung stützen. Auch Hinweise darauf, dass der Kläger die Kosten der Begutachtung zu tragen hat und das Recht hat, die zu übersendenden Unterlagen einzusehen, sowie ein Hinweis über die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV) sind in der Beibringungsanordnung enthalten. Es wird ausdrücklich erwähnt, dass der Beklagte bei einer nicht fristgerechten Vorlage des Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen darf. Die Fristsetzung zur Beibringung des medizinischen Gutachtens war angemessen im Sinne von § 2 Abs. 8 StVG und § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV.
50
d. Nachdem der Kläger die von ihm geforderte Mitwirkungshandlung in Form des Drogenkontrollprogramms ohne hinreichende Erklärung nicht fristgerecht erbrachte, ist das Landratsamt zutreffend davon ausgegangen, dass der Schluss auf das Fehlen der Fahreignung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV zwingend ist. Der Fahrerlaubnisbehörde steht insoweit kein Ermessen zu (vgl. BayVGH, B.v. 14.11.2011 – 11 CS 11.2349 – juris Rn. 47).
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Der pauschale Verweis auf eine bestehende Nierenerkrankung ist nicht geeignet, die ärztlichen Feststellungen der TÜV ... GmbH in Zweifel zu ziehen. Nach Angaben der Ärztin und ausweislich der vom Kläger vorgelegten Arztberichten, insbesondere vom 5. Dezember 2023, führen die attestierten Nieren- und Harnsteine zu einem erhöhten, nicht zu einem niedrigeren – wie in den Proben – oder schwankenden – wie vom Kläger behauptet – Kreatininwert. Trotz erneuter Aufforderung des Gerichts blieb der Kläger bis zur Entscheidung substantiierte Einwendungen gegen die ärztliche Feststellung oder wenigstens eine plausible Erklärung für die zu niedrigen Kreatininwerte in den beiden Proben schuldig.
52
2. Die Abgabeverpflichtung hinsichtlich des Führerscheins erweist sich ebenfalls als rechtmäßig. Nachdem dem Kläger die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen worden ist, ist die Abgabeverpflichtung als begleitende Anordnung geboten, um die Ablieferungspflicht nach § 47 Abs. 1 FeV durchzusetzen. Die Anordnung zur Abgabe des Führerscheins hat sich insbesondere nicht durch die zwischenzeitlich erfolgte Abgabe an das Landratsamt erledigt, sondern stellt eine Rechtsgrundlage für das Einbehalten des Dokuments dar (BayVGH, B.v. 6.10.2017 – 11 CS 17.953 – juris Rn. 9; B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris Rn. 22).
53
3. Die Kostenentscheidung in Ziffer 4 des Bescheides beruht auf § 6a StVG i.V.m. §§ 1 ff. Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt). Die Gebühren sind nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt dem Kläger als Kostenschuldner aufzuerlegen. Die Gebühren in Höhe von 150,00 EUR bewegen sich im Gebührenrahmen der Nr. 206 der Anlage 1 zur GebOSt und sind nicht zu beanstanden. Die Auslagen in Höhe von 4,11 EUR sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt vom Kläger zu tragen.
54
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung (ZPO).