Inhalt

LG München I, Endurteil v. 17.09.2024 – 20 O 14715/21 e
Titel:

Beginn der Verjährung, Einrede der Verjährung, Verjährungsablauf, Verjährungsbeginn, Verjährungsfrist, Verjährungsunterbrechung, Verjährungshemmung, Unerlaubte Handlung, Mahnbescheid, Faktischer Geschäftsführer, Beratungsvertrag, Vermögensverwertung, Anspruchsbegründung, Materielle Rechtskraft, Schutzwirkung zugunsten Dritter, Geschäftsführerhaftung, Verletzung von Vertragspflichten, Elektronisches Dokument, Klägervortrag, Vorläufige Vollstreckbarkeit

Schlagworte:
Zulässigkeit der Klage, Unbegründetheit der Klage, Verjährung, Vertragsähnliche Ansprüche, Deliktische Ansprüche, Faktische Geschäftsführerhaftung, Schutzgesetzverletzung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24358

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar
Beschluss
Der Streitwert wird auf 15.815.748,55 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten aus abgetretenem Recht über Schadensersatzansprüche wegen einer gescheiterten Firmensanierung und daraus folgenden Firmeninsolvenzen.
2
Die Klägerin hat durch Abtretungs- und Kaufverträge vom 26.12.2019 sowie vom 12.12./15.12.2019 etwaige Ansprüche der Firmen Stones Men's Fashion GmbH, Stones Verwaltungs- und Beratungs GmbH sowie S. Vermögensverwertungs GmbH gegen die Beklagte zu 1), den Beklagten zu 2), den Beklagten zu 3) und die Firma Solvesta AG erworben. Mit Nachträgen vom 12.11.2020 und vom 21.12.2020 wurde erklärt, dass bezüglich der Ansprüche gegen die Fa. Solvesta AG sich die Abtretung auch auf Ansprüche gegen ehemalige und amtierende Organe erstrecken solle. Auf die Anlagen K42 bis K44 wird Bezug genommen.
3
Die Beklagte zu 1) ist eine Unternehmensberatungsgesellschaft mit Sitz in München.
4
Der Beklagte zu 2) ist Vorstand bei der Beklagten zu 1) und war darüber hinaus bis 06.05.2016 Mitglied des Aufsichtsrates der Fa. Solvesta AG (K23) und vom 24.05.2016 bis zum 15.10.2016 ebenso deren Vorstandsmitglied.
5
Der Beklagte zu 3) gehört ebenso dem Vorstand bei der Beklagten zu 1) an.
6
Der Beklagte zu 4) war u.a. vom 14.02.2016 bis zum 13.05.2017 Finanzvorstand (CFO) der Fa. Solvesta AG.
7
Der Beklagte zu 5) war bis 03.12.2017 Vorsitzender des Aufsichtsrates der Fa. Solvesta AG und einer ihrer Hauptaktionäre.
8
Die Fa. Solvesta AG betreibt als Geschäftszweck den Erwerb von in die Krise geratenen Unternehmen und Geschäftsbetrieben mit dem Ziel ihrer anschließenden Sanierung. In diesem Rahmen erwarb sie zum 01.07.2016 den Geschäftsbetrieb des ehemaligen Unternehmens Fa. Dress Master GmbH, den sie als Teilkonzern „Stones“ in ihre Organisationsstruktur integrierte. Dies erfolgte dergestalt, dass sie zunächst mit der Fa. Stones Verwaltungs- und Beratungs-GmbH eine 100%ige Tochtergesellschaft als Teilkonzernholding gründete, die wiederum die übrigen drei 100%igen Tochtergesellschaften des Teilkonzerns mit den erforderlichen Darlehen versorgen und finanzieren sollte. Die Fa. Solvesta Vermögensverwertung GmbH erwarb hierbei die komplette Bestandsware und das sonstige Vorratsvermögen der ehemaligen Dress Master GmbH, während die Fa. Stones Trading GmbH den Einkauf und die Beschaffung der Neuware übernahm. Als einzige nach außen hin werbende Vertriebsgesellschaft und Trägerin des operativen Geschäfts, in der auch sämtliches Personal angestellt war, fungierte die Fa. Stones Men's Fashion GmbH. Hintergrund der Aufspaltung war, dass erst in der juristischen Sekunde des Verkaufes an den Endkunden durch die Fa. Stones Men's Fashion GmbH die Warenlieferungen der Fa. Stones Trading GmbH (Neuware) und der Fa. Solvesta Vermögensverwertung GmbH (Bestandsware) erfolgten. Damit sollte verhindert werden, dass im Falle einer Insolvenz der operativen Gesellschaft, die Warengesellschaften mit dem Warenvermögen von Folgeinsolvenzen betroffen seien, so dass durch erneute Restrukturierung eine Fortführung am Markt problemlos möglich wäre. Die Fa. Solvesta Financial Services GmbH, eine weitere 100-prozentige Tochtergesellschaft der Fa. Solvesta AG sollte schließlich als Bürgschaftsgesellschaft für die Lieferanten verwendet werden.
9
Am 30.05.2016 unterschrieb der Beklagte zu 4) für die Solvesta AG einen Beratungsvertrag mit der Beklagten zu 1) über garantierte 1,5 Millionen Euro. Auf die Anlage K22 wird Bezug genommen. Seit dem 04.07.2016 bestand zudem ein Unterstützungsvertrag für eine umfassende Betreuung im Bereich der Unternehmensführung zwischen der Solvesta AG und der Stones Men's Fashion GmbH (vormals Solvesta WWI-II). Auf die Anlage K43 wird Bezug genommen.
10
Die Beklagte zu 1) erbrachte in der Folge aufgrund des Beratungsvertrages im einzelnen streitige Leistungen zugunsten der Firma Stones Men's Fashion GmbH, die sie gegenüber der Solvesta AG mit 511 Manntagen iHv ca. 1,2 Millionen Euro abrechnete, die wiederum der Stones Men's Fashion GmbH entsprechende Rechnungen stellte.
11
Bereits am 26.09.2016 erklärte die Beklagte zu 1) für einen Teil ihrer Forderungen gegenüber der Fa. Solvesta AG eine Stundung, am 15.10.2016 auch für alle bestehenden und alle zukünftigen  Forderungen. Diese Stundungserklärung wurde am 09.03.2018 bis zum 30.09.2018 verlängert. Auf die Anlagen K90 bis K92 wird Bezug genommen.
12
Mitte 2017 kam bei der Fa. Solvesta AG der Verdacht auf, dass die bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Teilkonzern „Stones“ ihre Ursache in fehlerhaften Beratungsleistungen der Beklagten zu 1) hätten. Nachdem die Beklagte zu 1) mit Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe konfrontiert wurde, zog sie am 06.06.2018 ihre gewährte Stundungserklärung zurück und stellte am 07.06.2018 einen Insolvenzantrag über das Vermögen der Solvesta AG. Bereits am 01.09.2018 meldete auch die Fa. Stones Men's Fashion GmbH Insolvenz an. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Solvesta AG wurde am 15.11.2018 eröffnet. Über das Vermögen der Stones Trading GmbH wurde das Insolvenzverfahren am 04.06.2019, über das Vermögen der Stones Verwaltungs- und Beratungs GmbH am 15.06.2021 eröffnet.
13
Die Klägerin behauptet, dass der Beklagte zu 5) als Aktionär der Solvesta AG beabsichtigt habe, die Beklagte zu 1) und deren Vorstände, die Beklagten zu 2) und 3) an der Fa. Solvesta AG zu beteiligen. Infolgedessen hätten die Beteiligten im Februar/März 2016 die Erteilung eines Beratungsvertrages über 1,5 Millionen Euro geplant, wobei anstelle einer Zahlung ein gleichwertiges Aktienpaket übergehen sollte. Nachdem das als rechtlich unzulässig beurteilt worden sei, habe man versucht, das gewünschte „work-for-equity“ auf anderem Wege umzusetzen. So seien unter Umgehung des Aktienrechts Aktienpakete der Fa. Solvesta AG in Höhe von 1,5 Millionen Euro gegen Zahlung dieses Betrags letztlich an eine Tochtergesellschaft der Beklagten zu 1), nämlich die Firma Augustus Investment GmbH gelangt. Um dieses Investment auf Seiten der Beklagten zu 1) bis 3) auszugleichen, sei schließlich der streitgegenständliche Beratungsvertrag zwischen der Beklagten zu 1) und der Fa. Solvesta AG in Höhe von garantierten 1,5 Millionen Euro zustande gekommen. Damit dies so umgesetzt werden konnte, hätten die Beklagten zu 1) bis 3) und 5) zuvor den Beklagten zu 4) als ungeeigneten und willfährigen Finanzvorstand (CFO) installiert. Dieser habe dann entgegen seiner eigentlichen Verpflichtung im Hinblick auf die Beratungsleistungen auch keine ernsthaften Alternativangebote zu dem der Beklagten zu 1) eingeholt und mit seiner Unterschrift den Beratungsvertrag ermöglicht.
14
Die Klägerin behauptet weiter, dass, um die Beratungsleistung in dieser Höhe fakturieren zu können, die Beklagte zu 1) durch die Beklagten zu 2), 3) und 4) bewusst auf die notwendige Implementierung eines Plugins für das Warenwirtschaftssystem (SICSone) der Fa. Dress Master GmbH verzichteten und statt einer automatisierten Zahlenbearbeitung eine manuelle Zahlenbearbeitung ausführten.
15
Die Klägerin behauptet nun, dass diese manuelle Zahlenbearbeitung zum einen unnötig war und zum anderen auch noch erheblich fehlerhaft durchgeführt wurde. Dies habe letztlich zu völlig falschen Zahlen bei der Fa. Stones Men's Fashion GmbH geführt, die dadurch in Schieflage geraten sei.
16
Die Klägerin behauptet weiter, dass die Beklagten zu 1) bis 4) entgegen der Vorgaben der Fa. Solvesta AG erhebliche liquide Mittel aus der Fa. Solvesta Financial Services GmbH entnommen hätten, obgleich diese lediglich als Bürgschaftsgesellschaft vorgesehen war. Auf diese Weise sei bei der Fa. Solvesta AG Kapital abgezogen und die Firma weiter geschwächt worden. Auch hätten die Beklagten das Risiko für die Liquiditätsbelastung durch anfallende Retouren und Gutschriften nicht ausreichend berücksichtigt, sodass erheblicher Nachsteuerungsbedarf notwendig geworden sei. Letztlich sei die Krise im Stones-Teilkonzern durch operative Fehlentscheidungen der Beklagten und die Generierung vollkommen falscher Zahlen hervorgerufen worden. Die Beklagte zu 1) habe dann in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken durch ihre horrende Fakturierung die Stones-Gruppe ausbluten lassen und schlussendlich einen widerrechtlichen Insolvenzantrag gestellt.
17
Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Beratungsvertrag zwischen der Fa. Solvesta AG und der Beklagten zu 1) auch ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter im Hinblick auf die Fa.
18
Stones Men's Fashion GmbH sei. Infolge der dortigen Schlechtleistungen stünde daher der Fa. Stones Men's Fashion GmbH auch ein vertraglicher Schadensersatzanspruch zu.
19
Die Klägerin meint weiter, dass ihr jedenfalls deliktische Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten zu 1) bis 5) zustünden. Solche würden sich u.a. aus Schutzgesetzverletzungen der §§ 263, 266 StGB aber auch aus der Verletzung von Sorgfaltspflichten im Rahmen der §§ 93 AktG und 43 GmbHG ergeben. Die Beklagten hätten darüber hinaus gegen die Bilanzregeln des HGB verstoßen und auch organschaftliche Treuepflichten verletzt. Auch sei ein Schadensersatzanspruch im Hinblick auf einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gegeben. Schließlich läge auch eine Haftung der Beklagten aufgrund faktischer und tatsächlicher Geschäftsführung vor. Die Beklagten seien daher jedenfalls zum Ersatz entstandenen Schäden verpflichtet.
20
Die Klägerin hat am 30.12.2020 Mahnbescheide gegen die Beklagten beantragt, die am 26.03.2021 erlassen und den Beklagten zwischen dem 13.04.2021 und dem 09.07.2021 zugestellt wurden. Sie haben im Bereich der Hauptforderung folgenden Inhalt:
„1. Abgetretener Schadensersatzanspruch der Stone Men´s Fashion GmbH aus Verletzung von Vertragspflichten sowie unerlaubter Handlung. vom 30.05.16 – 7.721.565,02 EUR
2. Abgetretener Schadensersatzanspruch der Solvesta Vermögensverwertung GmbH aus Verletzung von Vertragspflichten sowie unerlaubter Handlung vom 30.05.16 – 3.530.920,04 EUR
3. Abgetretener Schadensersatzanspruch der Stones Verwaltungs- und Beratungs GmbH aus Verletzung von Vertragspflichten sowie unerlaubter Handlung vom 30.05.16 – 4. 563.263,49 EUR.“
21
Ferner heißt es am Ende:
„I. 1. Die Forderung ist seit dem 26.12.19 an den Antragsteller abgetreten bzw. auf ihn übergegangen. Früherer Gläubiger: Stones Men's Fashion GmbH in: 4628 Herne I. 2. Die Forderung ist seit dem 26.12.19 an den Antragsteller abgetreten bzw. auf ihn übergegangen. Früherer Gläubiger: Solvesta Vermögensverwertung GmbH in: 0638 München
I. 3. Die Forderung ist seit dem 26.12.19 an den Antragsteller abgetreten bzw. auf ihn übergegangen. Früherer Gläubiger: Stones Verwaltg- und Beratungs GmbH in: 1369 München“
22
Gegen die Mahnbescheide haben die Beklagten zwischen dem 15.04.2021 und dem 13.07.2021 Widerspruch eingelegt. Das Verfahren wurde am 20.10.2021 an das Landgericht München I abgegeben.
23
Mit ihrer Anspruchsbegründung vom 29.11.2021 in Verbindung mit dem Schriftsatz vom 21.12.2022 beantragt die Klägerin zuletzt,
die Beklagten zu Ziffer 1 bis einschließlich 5 als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 15.815.748,55 € sowie Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten jährlich über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
24
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
25
Die Beklagten behaupten, dass die Entscheidung über den Nichterwerb des benannten Plugins in der Zuständigkeit der Geschäftsführer der Fa. Stones Men's Fashion GmbH gelegen hätte. Diese hätten sich dagegen entschieden, weil sie ein anderes System bevorzugten. Die Implementierung eines funktionierenden Warenwirtschaftssystems sei beklagtenseits auch nicht geschuldet gewesen. Generell seien die Entscheidungen im Teilkonzern „Stones“ durch die dortigen Geschäftsführer eigenverantwortlich getroffen worden. Die seitens der Beklagten zu 1) in Rechnung gestellten Leistungen habe man auch erbracht. Sie seien allerdings durch die Fa. Solvesta AG nicht vollumfänglich bezahlt worden. Der Beratervertrag sei Teil des Konzeptes zum Aufbau einer ordnungsgemäßen Finanzorganisation bei der Fa. Solvesta AG gewesen. Er habe sich als Rahmenvertrag auf alle Tochtergesellschaften der Solvesta AG bezogen. Diesbezüglich seien im Vorfeld auch Vergleichsangebote anderer Anbieter eingeholt worden, die allerdings teurer gewesen seien.
26
Die Beklagten behaupten weiter, dass das Konzept der Bürgschaftsgesellschaft an der Akzeptanz durch die Lieferanten gescheitert sei. Dies habe Vorkassezahlungen erforderlich gemacht, um den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten zu können. Dies sei letztlich eine wesentliche Ursache für die Liquiditätsknappheit und die Krise der Fa. Stones Men's Fashion GmbH gewesen. Sowohl den handelnden Akteuren der Fa. Solvesta AG wie auch den Geschäftsführern der Fa. Stones Men's Fashion GmbH sei die kritische Lage bewusst gewesen. Man habe einverständlich die Entscheidung getroffen, das Bürgschaftskonzept aufzugeben und stattdessen die Bürgschaftsmittel auszuzahlen.
27
Die Beklagten sind der Auffassung, dass ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter mangels Schutzbedürftigkeit aufgrund eines eigenen Vertragsverhältnisses der Fa. Stones Men's Fashion GmbH nicht angenommen werden könne.
28
Die Voraussetzungen für eine deliktische Haftung lägen ebenfalls nicht vor.
29
Die Beklagten wenden Verjährung ein. Sie sind der Ansicht, dass vorliegend Verjährung eingetreten ist, da die beantragten Mahnbescheide mangels ausreichender Individualisierung nicht verjährungshemmend wirken konnten.
30
Zudem seien die vorgelegten Abtretungen unwirksam.
31
Die Kammer hat zuletzt am 05.03.2024 mündlich zur Sache verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird zur Ergänzung des Tatbestandes ebenso Bezug genommen, wie auf die wechselseitig ausgetauschten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenteilen.

Entscheidungsgründe

32
Die zulässige Klage ist unbegründet.
33
Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
34
Die Klage war daher abzuweisen.
I.
35
Die Klage ist zulässig. Ordnungsgemäße Klageerhebung und die persönlichen Sachurteilsvoraussetzungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Das Landgericht München I ist örtlich und sachlich zuständig nach §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, 12, 13, 17, 35 ZPO. Die eingeklagte Summe übersteigt einen Betrag von 5.000,- Euro; die Beklagte zu 1) hat ihren Firmensitz, der Beklagte zu 2) seinen Wohnsitz in München. Die Klägerin hat ihr Wahlrecht bei mehreren zuständigen Gerichtsständen damit wirksam ausgeübt.
36
Subjektive und objektive Klagehäufung sind zulässig (§§ 59, 60, 260 ZPO).
II.
37
Die Klage ist aber unbegründet.
38
Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht gegenüber den vermeintlich gemeinsam handelnden und zusammenwirkenden Beklagten Schadenersatzforderungen wegen strafrechtlich relevanten Verhaltens geltend sowie Schadenersatzforderungen wegen Schlecht-/Nichtleistung eines Werkvertrages und wegen massiven Pflichtverstößen in Erfüllung eines gegen das Aktienrecht verstoßenden und damit erschlichenen Beratungsvertrags (mit Schutzwirkung zugunsten Dritter). Weiter werden Forderungen aus fahrlässiger bzw. vorsätzlicher Zufügung von Schäden als Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft und/oder als faktische Geschäftsführer sowie wegen Pflichtverstößen als Geschäftsführer im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit anderen geltend gemacht, die bei Tochtergesellschaften der Solvesta AG entstanden sind, die im Teilkonzern „Stones“ angesiedelt waren.
39
Die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin bestehen aber nicht oder sind bereits nach eigenem Vortrag verjährt.
40
1. Vertragliche oder vertragsähnliche Ansprüche der Zedenten (Fa. Stone's Men Fashion GmbH, Fa. Stone's Verwaltungs- und BeratungsGmbH, Fa. Solvesta Vermögensverwertung GmbH) gegen die Beklagten bestehen nicht.
41
Die Beklagten stehen in keinem direkten Vertragsverhältnis zu den hiesigen Zedenten. Soweit die Klägerin meint, dass die Geschäftsführer der Fa. Stones Men's Fashion GmbH in Einzelbeauftragungen die Leistungen der Beklagten zu 1) abgerufen hätten, so ist die Klage völlig unsubstantiiert, weil sie diese Beauftragungen – die beklagtenseits bestritten sind – schon nicht näher darlegt.
42
Soweit die Klägerin im Hinblick auf Mängel und Pflichtverletzungen aus dem Vertrag der Fa. Solvesta AG mit der Beklagten zu 1) vom 30.05.2016 das Institut eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bemüht, kann dies vorliegend schon deshalb nicht greifen, weil der Zedent (hier Fa. Stones Men's Fashion GmbH) nicht schutzbedürftig ist. Es ist anerkannt, dass für die Ausdehnung des Vertragsschutzes nach Treu und Glauben ein Bedürfnis bestehen muss, weil der Dritte anderenfalls nicht ausreichend geschützt ist. Die Schutzbedürftigkeit fehlt aber, wenn dem Dritten eigene vertragliche Ansprüche – gleich gegen wen – zustehen, die denselben oder zumindest einen gleichwertigen Inhalt haben. Das ist hier der Fall, weil es unstreitig zwischen der Fa. Solvesta AG und der Zedentin einen eigenen Beratervertrag vom 04.07.2016 (K43) gegeben hat, der letztlich durch die Unterbeauftragung der Beklagten zu 1) erfüllt wurde.
43
2. Die Klägerin führt dann vor allem deliktsrechtliche Ansprüche ins Feld. Soweit diese der Regelverjährung der §§ 195, 199 BGB unterliegen, sind sie jedoch bereits nach eigenem Vortrag der Klageseite verjährt.
44
Die Klägerin beschreibt zunächst Vorgänge aus den Jahren 2016 und 2017. Sie will im Dezember 2017 mit den Beklagten verjährungsunterbrechende Verhandlungen geführt haben und verweist zudem auf konkret benannte weitere Erkenntnisse zu den Geschehnissen aus den Jahren 2018 und 2019. Sie meint daher, dass eine Verjährung frühestens mit Ablauf des Jahres 2021 eingetreten sein könne, so dass die am 30.12.2020 eingereichten Mahnbescheide die streitgegenständlichen Ansprüche jedenfalls weit vor Verjährungsbeginn gehemmt hätten.
45
Unter Bezugnahme auf die klägerseits dargestellten Tatsachen teilt die Kammer die klägerseits angenommene rechtliche Einschätzung aber nicht. Tatsächlich vermochten nämlich die am 30.12.2020 eingereichten Mahnbescheide die Verjährung der klägerischen Ansprüche mangels hinreichender Spezifizierung nicht zu hemmen; die am 29.11.2021 eingereichte Anspruchsbegründung erfolgte zudem bereits in verjährter Zeit.
46
a) Nach klägerischer Darstellung seien die Ansprüche nicht schon vor Zustellung des Mahnbescheides verjährt, da bis mindestens Februar 2018 mit den Beklagten zu 1) bis 4) geführte Verhandlungen eine Verjährungshemmung gemäß § 203 BGB bewirkten.
47
Konkret wird vorgetragen, dass mit den ersten konkreten Hinweisen, dass das Problem in der Stones-Gruppe auf die Schlechtleistung der Beklagten zu 1) zurückführbar sei, der Zeuge F. mit dem Beklagten zu 3) ab Dezember 2017 Verhandlungen über eine Lösung geführt habe (Bl. 1163 dA). Der Schaden sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht bezifferbar gewesen. Noch bis 05.02.2018 sei dem Vorstand der Beklagten zu 1) bewusst gewesen, dass man über die Schlechtleistung verhandele (K183). Aufgrund des Schriftwechsels sei sich auch der Beklagte zu 5) über den Lebenssachverhalt gewahr gewesen, der den hiesigen Ansprüchen zugrunde liegt. Schließlich seien auch mit dem Beklagten zu 4) seit Dezember 2017 verjährungshemmende Verhandlungen geführt worden, wobei die Klägerin auf eine Email vom 26.01.2018 (K186) sowie auf eine solche der damaligen Vertreter der Solvesta AG vom 15.10.2018 (K187) abstellt.
48
Daraus leite sich in rechtlicher Hinsicht bis mindestens Mai 2018 eine Verjährungshemmung ab, so dass Verjährungsablauf frühestens der 31.12.2021 gewesen sein könne (Bl. 1167 dA).
49
Darüber hinaus werde der Beginn der Verjährung durch den Zeitpunkt der Kenntnis der relevanten anspruchsbegründenden Tatsachen und durch den Zeitpunkt der juristischen Aufarbeitung eines komplexen Sachverhalts (vgl. Rz. 1266 bis 1280 dieser Replik) bestimmt (Bl. 1158 dA). So trete der Verjährungsbeginn erst dann ein, wenn eine zutreffende Einschätzung der Rechtslage möglich sei. Solches sei beim hiesigen komplexen Fall erst mit der ersten anwaltlichen Beratung über die rechtliche Bedeutung der anspruchsbegründenden Tatsachen gegeben und damit erst später als 2019 (Bl. 1169 dA). Zudem seien „viele Sachverhalte“ erst nach Ablauf des Jahres 2017 bekannt geworden.
50
b) Diesen tatsächlichen Vortrag der Klägerin zugrundelegend, hält die Kammer die gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen für unzutreffend. Vielmehr sind danach die streitgegenständlichen deliktischen Ansprüche bereits mit Ablauf des 31.03.2021 verjährt.
51
aa) Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die Klägerin macht vorliegend aus abgetretenen Recht vertragliche Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) aus einer Schlecht-/Nichtleistung des Vertrages vom 18.05/30.05.2016 nach §§ 631, 634 BGB iVm einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sowie im Übrigen ausschließlich deliktische Ansprüche gegen die Beklagten geltend.
52
Sowohl die streitgegenständlichen Beratungsleistungen sowie die in der Anspruchsbegründung dargestellten vermeintlich unerlaubten Handlungsweisen datieren alle unstreitig aus den Jahren 2016 und 2017.
53
Nach eigenem Klägerinvortrag war den vermeintlich einstmaligen Anspruchsinhabern auch bereits Ende 2017 unstreitig der Eintritt eines Schadens bewusst (auch wenn dessen Bezifferung noch ausstand), wie sich zwanglos aus den zur Verjährungshemmung vorgetragenen Verhandlungsrunden ab Ende 2017 mit den Beklagten zu 1) bis 4) ergibt.
54
Damit waren aber zu diesem Zeitpunkt die Ansprüche bereits entstanden und zudem die den Anspruch begründenden Umstände so weit bekannt, dass sie Forderungen gegen die Beklagten stellen konnte. Diese waren auch der Grund für die behaupteten Verhandlungen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt die für den Beginn der Verjährung von Ersatzansprüchen erforderliche Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich und zuzumuten ist (Vgl. u.a. BGH NJW 2008, 506). Diese Voraussetzungen liegen bereits nach eigenem Klägerinvortrag für Ende 2017 vor.
55
Soweit sie auf das Bekanntwerden „vieler Sachverhalte“ in 2018 und 2019 abstellt, kann dem nicht gefolgt werden. So hatte die Klägerin als neue Sachverhalte im Jahr 2018 die „Analyseergebnisse der SICSone im Hinblick auf die Höhe der tatsächlichen Zahlenabweichungen, die durch die fehlerhafte Schnittstelle entstanden sind“ angeführt und Erkenntnisse des Steuerberaters Kofer bezüglich der Auswirkungen auf die Buchhaltung sowie die Entdeckung eines Ordners mit Vorkasseanweisungen, die den Verstoß gegen den Businessplan belegten. 2019 seien die Analysen der Ergebnisse aus den Zahlen der SICSone zum Abgleich der Abweichungen der IST-Zahlen zu den von der Beklagten zu 1) ermittelten Zahlen fortgesetzt worden und eine Unterlegung der konkreten Anspruchshöhen und Schäden durch feststehende Zahlen in den jeweiligen Buchhaltungen der einzelnen Gesellschaften erfolgt sowie der „die Beklagten belastende E-Mail-Verkehr“ zum Vorschein gekommen. Ein „gesichertes Feststehen“ sei „teilweise“ auch erst durch die jeweiligen Insolvenzen bedingt, die erst in den Jahren 2018 und 2019 über die Gesellschaften eröffnet wurden (Bl. 1170 dA).
56
Diese dargestellten „Sachverhalte“ betreffen aber allesamt nicht das Entstehen der Ansprüche, sondern dienen vielmehr der Feststellung der vermeintlichen Schadenshöhe (z.B. Analysen zu Abweichungen, Unterlegung von konkreten Anspruchsgrundlagen oder Schäden) oder einer vermeintlich erleichterten Beweisführung (z.B. Auffinden von Emailverkehr, Ordnern, Auswirkungen auf Buchhaltung). Das „gesicherte Feststehen“ von Ansprüchen ist aber nach der oben zitierten Rechtsprechung für den Verjährungsbeginn nicht notwendig. Es genügt bereits das ausreichende Wissen um einen Schaden und den Schädiger. Denn die Verjährung beginnt mit der Möglichkeit der Erhebung einer Schadensersatzklage und sei es eben auch nur in Form der Feststellungsklage. Dies ist auch sachgerecht, weil sich anderenfalls der Verjährungsbeginn dadurch beeinflussen ließe, wann und in welcher Weise konkrete Berechnungsmaßnahmen eingeleitet werden. Daher sind die dargestellten „vielen Sachverhalte“ aus 2018 und 2019 im Hinblick auf den Verjährungsbeginn nicht zu berücksichtigen.
57
Ebenso kann nach dem Obigen nicht der Klägerinansicht gefolgt werden, dass angesichts der hiesigen komplexen Sach- und Rechtslage ein Verjährungsbeginn erst nach einer anwaltlichen Beratung in Betracht kommt. Solches ist nur denkbar, wenn erst dadurch die Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umstände erlangt wird. Das ist vorliegend aber nicht der Fall. Der historische Anspruchsinhaber will bereits Ende 2017 mit den Beklagten verjährungshemmende Verhandlungen über die hiesigen Ansprüche geführt haben. Solches ist nur denkbar, wenn er nach seiner subjektiven Auffassung – bereits über ausreichende Kenntnisse verfügte. Nicht erforderlich ist, dass er die konkreten Anspruchsgrundlagen, ihre genauen Voraussetzungen oder etwa Möglichkeiten der rechtlichen Umsetzung kennt.
58
Schließlich folgt die Kammer auch nicht der klägerischen Ansicht, dass erst mit der Rechtskraft der Insolvenzeröffnungen in 2018 und 2019 über das jeweilige Vermögen sowohl der Solvesta AG als auch der Gesellschaften der Stones-Gruppe sich der Schaden tatsächlich manifestierte. Das widerspricht nämlich bereits dem Klägerinvortrag, wonach sich die Schäden aus unnötigen Kosten für originäre Beratungs- (Fehl-)Leistungen, unnötigen Aufwendungen, Verlusten aus Verkaufsvorgängen (durch retournierte Ware, Abverkauf zu zu niedrigen Verkaufspreisen) etc. zusammensetzen (Bl. 377 dA).
59
Nach hiesiger Auffassung sind – basierend auf dem Klägerinvortrag – die streitgegenständlichen Ansprüche daher spätestens Ende 2017 entstanden, so dass grundsätzlich Verjährung mit Ablauf des 31.12.2020 eingetreten wäre.
60
bb) Unter Zugrundelegung des Klägerinvortrages haben aber Verhandlungen mit den Beklagten zu 1) bis 3) und 5) von Dezember 2017 bis Februar 2018 angedauert; mit dem Beklagen zu 4) lediglich bis Januar 2018 (K186). Die insoweit noch angeführte Email vom 15.10.2018 an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 4) ist eine einseitige Information der damaligen anwaltlichen Vertreter der Fa. Solvesta AG, die allerdings keine Verhandlungen belegt.
61
Das Ende der Verhandlungen führt zum Ende der Hemmung. Damit tritt allerdings noch nicht die Verjährung ein, sondern es beginnt zunächst lediglich der Lauf der aus der Zeit vor den Verhandlungen noch übrigen Verjährungsfrist. Nach § 209 BGB wird der Zeitraum der Hemmung in den Lauf der Verjährungsfrist nicht eingerechnet. Das bedeutet vorliegend, dass die Ansprüche für den Zeitraum von 3 Monaten gehemmt waren (Dezember, Januar, Februar), so dass diese letztlich nicht am 31.12.2020, sondern erst am 31.03.2021 verjährten. Ein Fall des § 203 S. 2 BGB liegt nicht vor, da bei Ablauf der Hemmung die Verjährung noch nicht nahezu eingetreten war.
62
cc) Die am 30.12.2020 eingereichten Mahnbescheide gegen die Beklagten haben die vermeintlich klägerischen Ansprüche nicht gehemmt, da sie nicht hinreichend individualisiert sind.
63
(1) Ein Mahnbescheid ist dann hinreichend individualisiert, wenn durch seine Kennzeichnung die mit ihm verfolgten Ansprüche von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden können, dass sie Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein können und dem Schuldner die Beurteilung ermöglichen, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will. Wann diese Anforderungen erfüllt sind, kann nicht allgemein und abstrakt festgelegt werden; vielmehr hängen Art und Umfang der erforderlichen Angaben im Einzelfall von dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis und der Art des Anspruchs ab (Vgl. st. Rspr.; u.a. BGHZ 172, 42).
64
(2) Daran gemessen sind die streitgegenständlichen Mahnbescheide nicht hinreichend individualisiert.
65
Der am 26.03.2021 erlassene Mahnbescheid trägt gegen alle Beklagten in der Hauptforderung folgende Bezeichnung:
„1. Abgetretener Schadensersatzanspruch der Stone Men's Fashion GmbH aus Verletzung von Vertragspflichten sowie unerlaubter Handlung vom 30.05.16 – 7.721.565,02 EUR
2. Abgetretener Schadensersatzanspruch der Solvesta Vermögensverwertung GmbH aus Verletzung von Vertragspflichten sowie unerlaubter Handlung vom 30.05.16 – 3.530.920,04 EUR
3. Abgetretener Schadensersatzanspruch der Stones Verwaltungs- und Beratungs GmbH aus der Verletzung von Vertragspflichten sowie unerlaubter Handlung vom 30.05.16 – 4.563.263,49 EUR“.
66
Ferner heißt es zu den Forderungen, dass diese seit dem 26.12.2019 an den Antragsteller abgetreten bzw. auf ihn übergegangen sind und dass die benannten Gesellschaften die früheren Gläubiger seien.
67
Die Bezeichnung nach Ziffer 1 ist nicht hinreichend individualisiert. Allein dem Wortlaut nach muss ein Schadensersatzanspruch aus der Verletzung von Vertragspflichten gegenüber der Fa. Stone Men's Fashion GmbH oder aus einer unerlaubten Handlung vom 30.05.2016 vorliegen.
68
Beides berührt die Beklagten nicht. Keiner der Beklagten hatte vertragliche Pflichten gegenüber der Fa. Stone Men's Fashion GmbH. Gleichfalls besteht unstreitig keine isolierte, unerlaubte Handlung der Beklagten vom 30.05.2016, die die Klageansprüche trägt.
69
Dabei wird nicht verkannt, dass die Beklagte zu 1) am 30.05.2016 mit der Fa. Solvesta AG einen Beratungsvertrag abgeschlossen hat, wonach letztlich Leistungen zugunsten der Fa. Stone Men's Fashion GmbH erbracht wurden.
70
Der Mahnbescheid nimmt aber nicht auf diesen Vertrag Bezug.
71
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Fa. Stones Men's Fashion GmbH vorgerichtlich gegenüber den Beklagten etwaige Ansprüche geltend gemacht hätte.
72
Der Klagevortrag bezieht sich darauf, dass die Fa. Solvesta AG mit den Beklagten verhandelte. Zu ihr verhält sich der Mahnbescheid aber überhaupt nicht.
73
Der Klägerin kann auch nicht gefolgt werden, soweit sie darstellt, dass den Beklagten wegen der erfolgten Verhandlungen Grund und Höhe des Schadens und des Sachverhaltes bekannt gewesen seien. Die Äußerungen in der Replik nehmen insoweit Bezug auf die Verhandlungen bis ins Jahr 2018 hinein, wonach aber nach Klägerinvortrag jedenfalls die Schadenshöhe noch nicht feststand.
74
Soweit in Anspruchsbegründung darauf abgestellt wurde, dass der Aufsichtsratsvorsitzende der Solvesta AG Herr M. H. am 05.06.2018 bei der Beklagten zu 1) etwaige Schadensersatzansprüche von 13 Millionen Euro einforderte, so fehlt wiederum der Bezug zur hiesigen Gläubigerin (Fa. Stone Men's Fashion GmbH).
75
Für entscheidend hält die Kammer zudem, dass ein vorgerichtliches Zahlungsaufforderungsschreiben an die Beklagten nicht belegt ist. Durch die Beklagtenseite eingeführt ist lediglich ein Rechtsanwaltsschreiben vom 29.06.2018 (B74), welches allerdings von der Fa. Solvesta AG stammt und nicht Ansprüche der Tochtergesellschaften umfasst.
76
Weiter gab es ein Schreiben der Fa. Stones Men's Fashion an die Fa. Solvesta AG vom 04.06.2018 (B9), welches allerdings nicht an die Beklagten gerichtet ist.
77
Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass es außergerichtliche Zahlungsaufforderungen an die Beklagten gegeben habe (Vgl. Anspruchsbegründung, Rn. 500), ist dies beleglos geblieben.
78
Soweit die Klägerin noch die Auffassung vertritt, dass infolge der Unwirksamkeit des Vertrages mit der Solvesta AG vom 30.05.2016 stattdessen „mündliche Einzelbeauftragungen durch die Geschäftsführer der Stones“ vorgelegen hätten, wodurch „auf dieser Ebene eigene Vertragsverhältnisse mit der Beklagten zu 1) zustande gekommen wären“ (Bl. 1881 dA mit Verweisen), lässt der Mahnbescheid jedenfalls insoweit jegliche Spezifizierung vermissen.
79
(3) Für die Ziffern 2 und 3 des Mahnbescheides gilt gleiches im Hinblick auf die dort benannten Gläubiger. Soweit dort vermerkt ist, dass der Forderungsübergang am 26.12.2019 erfolgte, ist das fehlerhaft (K43). Auch sind die Zwischenabtretungen nicht erwähnt, so dass auch die Bezeichnung des früheren Gläubigers unvollständig ist.
80
Da nach hiesiger Auffassung die konkreten Ansprüche in ihrer Ursache und ihrer Zusammensetzung mithin unklar bleiben, können die Mahnbescheide keine Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein.
81
(4) Weil nach hiesiger Auffassung also Verjährung am 31.03.2021 eintrat und die Mahnbescheide vom 30.12.2020 keine Hemmung auslösten, erfolgte schließlich die am 29.11.2021 eingereichte Anspruchsbegründung bereits in verjährter Zeit.
82
Die Beklagten haben die Einrede der Verjährung auch erhoben. Sie sind daher im Hinblick auf die klägerischen Ansprüche aus dem Deliktsrecht, die der Regelverjährung unterliegen, berechtigt, die Leistung zu verweigern, § 214 Abs. 1 BGB. Das betrifft auch den behaupteten Anspruch auf Schadensersatz im Hinblick auf einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, da es sich insoweit um eine Ausprägung des „sonstigen Rechts“ iSv § 823 Abs. 1 BGB handelt.
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3. Etwaige klägerinseits behauptete deliktische Ansprüche, die nicht der Regelverjährung unterliegen, bestehen nicht.
84
Soweit die Klage gesellschaftsrechtliche Ansprüche aus §§ 823 Abs. 2 iVm 93 Abs. 2 AktG bzw. 43 Abs. 1 GmbHG verfolgt, ist sie schon deshalb unbegründet, weil die benannten Vorschriften keine Schutzgesetze iSv § 823 Abs. 2 BGB darstellen (Vgl. Altmeppen, 11. Aufl. 2023, GmbHG § 43 Rn. 63-69; MüKoAktG/Spindler, 6. Aufl. 2023, AktG § 93 Rn. 373-379).
85
Dies gilt auch für die klägerinseits behaupteten Verstöße gegen Buchführungsvorschriften des HGB (§§ 823 Abs. 2 iVm 238ff HGB). Da die allgemeine Buchführungspflicht von Vorstand und Geschäftsführern lediglich gegenüber der Gesellschaft gilt und damit nicht Individualinteressen einzelner Gläubiger schützt, gelten die benannten Normen nicht als Schutzgesetz nach § 823 Abs. 2 BGB (Vgl. Altmeppen, 11. Aufl. 2023, GmbHG § 43 Rn. 63-69; MüKoBilanzR/Graf, 1. Aufl. 2013, HGB § 238 Rn. 4-38).
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4. Soweit als Anknüpfungspunkt für eine Haftung der Beklagten noch ein Verstoß gegen eine mitgliedschaftliche Treuepflicht durch eine vermeintlich unberechtigte Stellung des Insolvenzantrages gegen die Solvesta AG durch die Beklagten verwendet wird, verkennt die Klägerin, dass eine solche Pflicht nur gegenüber der Fa. Solvesta AG bestehen kann, nicht aber bezüglich derer Tochtergesellschaften, da ein fehlerhaftes Verhalten ihrer Organe lediglich der Muttergesellschaft zugerechnet wird. Nach herrschender Meinung fehlt es – mangels tauglicher Rechtsgrundlage – an einer Konzernleitungspflicht gegenüber abhängigen Gesellschaften (Vgl. Lieder, Melot de Beauregard/Lieder/Liersch, Managerhaftung, 1. Auflage 2022, Rn. 59). Anspruchsinhaber wäre daher allenfalls die Fa. Solvesta AG, die im hiesigen Verfahren aber nicht beteiligt ist.
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5. Schließlich kann auch die klägerseits dargestellte Haftung der Beklagten zu 1) bis 4) im Rahmen einer faktischen Geschäftsführerhaftung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG nicht erfolgversprechend sein.
88
a) Hierbei ist zu sehen, dass die Beklagte zu 1) schon nicht als faktischer Geschäftsführer angesehen werden kann, weil nach Auffassung des Bundesgerichtshofes juristische Personen als faktische Geschäftsführer von vornherein ausscheiden (Vgl. BGHZ 150, 61, ebenso MüKoGmbHG/Fleischer, 4. Aufl. 2023, GmbHG § 43 Rn. 287).
89
b) Die Beklagten zu 2) und 3) scheiden dagegen als faktische Geschäftsführer aus, weil die monierten Leistungen nach eigenem Klägerinvortrag auf einer (vermeintlich von vornherein beabsichtigten) Schlechtleistung der vertraglichen Beratungsleistungen beruhen. Allerdings sind gesellschaftsfremde Berater gerade keine faktischen Geschäftsführer, weil sie nicht mit organtypischen Entscheidungskompetenzen ausgestattet sind, sondern nur kaufmännischen, juristischen oder technischen Sachverstand beisteuern (Vgl. MüKoGmbHG/Fleischer, 4. Aufl. 2023, GmbHG § 43 Rn. 292). Darüber hinaus wurden die Beratungsleistungen auch nicht gegenüber den Stones-Gesellschaften abgerechnet, sondern dem eigentlichen Vertragspartner, nämlich der Fa. Solvesta AG, in Rechnung gestellt.
90
Zwar ist anerkannt, dass in Ausnahmefällen analog § 43 II GmbHG, § 93 II AktG eine Beraterhaftung in Betracht kommt, wenn dieser die Geschäftsleitung faktisch aus der Verantwortung drängt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist für die Geschäftsführerhaftung aber erforderlich, dass der Betreffende in maßgeblichem Umfang Geschäftsführungsfunktionen übernimmt, wobei eine hoch anzusetzende Wesentlichkeitsschwelle anzunehmen ist, damit es aus Gründen einer wirkungsvollen Verhaltenssteuerung nicht mehr auf das Vorhandensein der gesetzlichen Geschäftsführer ankommt. Dabei genügt es nicht, dass die betreffenden Personen gesellschaftsintern auf die satzungsmäßigen Geschäftsführer einwirken. Sie müssen vielmehr auch nach außen als Geschäftsführer in Erscheinung treten (Vgl. MüKoGmbHG/Fleischer, 4. Aufl. 2023, GmbHG § 43 Rn. 283-285).
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Dem werden die hier vorgetragenen einzelnen Emails und Verhaltensweisen (z.B. „Arbeitsanweisung im Rahmen der Buchhaltung“, „Nichterwerb des notwendigen Plugins“) in keiner Weise gerecht, zumal ein Tätigwerden der Beklagten zu 2) und 3) im Rahmen der bestehenden Beratung gerade verlangt wurde. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die tatsächlich bestehende Geschäftsführung keinen eigenen, notwendigen Handlungsspielraum mehr besessen hätte. Die Beklagten haben insoweit nämlich unwidersprochen vorgetragen, dass die bestehende Geschäftsführung der Fa. S. M.'s Fashion GmbH in sämtliche Entscheidungen eingebunden war. So stellt auch die Klägerin darauf ab, dass „ausschließlich die Geschäftsführer der Stones die Beklagte zu 1) beauftragten“ (Bl. 1517 dA).
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Soweit als konkrete Handlungen nicht näher belegte „autarke Verhandlungen“ mit den Lieferanten erwähnt werden, stellt die Klägerin selbst fest, dass diese im Hinblick auf das beabsichtigte Bürgschaftsmodell deshalb scheiterten, weil die Lieferanten es nicht akzeptierten. Ein Fehlverhalten ist daher nicht ersichtlich. Ebenso sind diese – nach dem Bestreiten durch die Beklagten – auch nicht näher benannt und belegt. Dies gilt in gleicher Weise für das unsubstantiiert behauptete „autarke Verhandeln der vertraglichen Konditionen mit der SICSone GmbH durch die Beklagte zu Ziffer 1), 4C Group AG, bzw. durch die Beklagten zu Ziffern 2) und 3).
93
c) Soweit die Klägerin ausführt, dass kurz nach der Übernahme des Unternehmens die Beklagten zu 2) und 4) die Funktion der Fa. Solvesta Financial Services GmbH als Bürgschaftsgesellschaft unter Entnahme deren liquider Mittel ausgehöhlt hätten, wobei sie entgegen der Vorgaben des Aufsichtsrates der Fa. Solvesta AG handelten, wird deutlich, dass dieses vermeintlich pflichtwidrige Verhalten kein solches gegenüber der Fa. Stones Men's Fashion GmbH darstellt, sondern es sich allenfalls um behauptete Pflichtverletzungen gegenüber diesen Gesellschaften handelt. Soweit vorgeworfen wird, dass die Beklagten zur Entwicklung eines alternativen Businessplans verpflichtet gewesen wären, gilt gleiches.
94
6. Weiter ist noch zu sehen, dass für etwaige deliktische Ansprüche, die eine Schutzgesetzverletzung aus dem StGB beinhalten, ein vorsätzliches Verschulden erforderlich ist, welches nach Überzeugung der Kammer klägerinseits nicht ausreichend dargelegt wurde.
95
Einen konkreten Beleg für ein bewusstes Schädigungsverhalten der einzelnen Beklagten legt die Klägerin nicht vor. Vielmehr geht sie zum Teil selbst davon aus, dass es sich „um klassische Pflichtverletzungen gehandelt“ habe, „selbst wenn tatsächlich gar ohne Vorsatz, Schaden zu verursachen“. An anderer Stelle spricht sie lediglich von „grober Fahrlässigkeit“ der Beklagten (Bl. 309 dA). Die Klägerin begründet die Volatilität damit, „wie komplex die Kette und das Zusammenwirken ist, das zu einem Teil aus vorsätzlichem Tun und zum anderen aus zumindest vorsätzlichem Dulden … und Tatfolgen“ bestehe (Bl. 1884 dA). Jedenfalls die zunächst vorgenommenen Handlungen – wie z.B. die Nichtbestellung des PlugIns oder die Vornahme von nicht genehmigten Vorkasse- und Anzahlungsleistungen – seien eindeutig absichtlicher Natur und damit sicher vorsätzlich im Sinne der Schädigung der Stones gewesen. Der daraus resultierende Schaden sei dann für die Beteiligten absehbar und insofern von diesem Vorsatz auch mit abgedeckt.
96
Dieser Vortrag wird aber dann zum Teil schon durch den eigenen Klägerinvortrag selbst widerlegt. Denn gerade im Hinblick auf die Nichtbestellung des PlugIns, welches einen zentralen Vorwurf an die Beklagten im hiesigen Rechtsstreit darstellt, weil dieses benötigt wurde, um die behaupteten Ziele der Beklagten (Einflussnahme auf Fa. Solvesta AG durch Aktienbeteiligung; Grundlage für überhöhte Abrechnungen aus dem Beratervertrag) zu erreichen, ist ein Vorsatz nicht erkennbar. So legt die Klägerin selbst eine eidesstattliche Versicherung des Zeugen F. vom 02.08.2018 vor (K29) aus der sich zwar ergibt, dass der Geschäftsführer der S. ICSone GmbH, Herr S. R., ihm mitgeteilt habe, dass die Beklagte zu 1) das PlugIn nicht erwerben wollte, weil man die Tätigkeit eigenständig ausführen wollte. Allerdings habe er, Riepe, sich schon länger gewundert, auf welchen falschen Tabellenfeldern der Datenbank Abfragen gefahren worden seien und meinte sinngemäß, „die haben das nicht verstanden.“ Nach dieser Einlassung ist also ohne weiteres denkbar, dass die Beklagte zu 1) und ihre Mitarbeiter – deren Expertise unstreitig in der Unternehmensberatung liegt – möglicherweise Fehlvorstellungen über die Funktionalität des Warenwirtschaftssystems unterlegen waren und schlichtweg deshalb fehlerhafte Daten generierten. Jedenfalls lässt sich solches derzeit nach dem Klägerinvortrag nicht widerlegen. Denn einen greifbaren Beleg dafür, dass die Beklagten zu 1) bis 3) von der Funktion des Warenwirtschaftssystems sichere Kenntnis hatten und sich daher bewusst gegen den Kauf entschieden, liefert die Klage nicht. Auch die eingereichte eidesstattliche Versicherung des Herrn T. R. vom 02.08.2018 (K18) bleibt in diesem Zusammenhang vage. So schildert er zwar, dass er eine nach seiner Wahrnehmung „saubere Dokumentation der Gespräche“ zwischen der Fa. SICSone GmbH, „der Stones, der 4C und Herrn S. (Solvesta)“ gefunden habe, woraus sich ergäbe, „dass sämtliche Informationen über die Leistungsfähigkeit und den Leistungsumfang von SICone“ der „4C von Mitarbeitern der SIC Sone vorgelegt worden“ seien. Dies würde allerdings bedeuten, dass auch „der Stones“ die Informationen vorlagen, wobei natürlich ebenso wie bei „4C“ die tatsächlich Beteiligten offen bleiben. Die benannte Dokumentation selbst wird mit der Klage nicht vorgelegt.
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Soweit die Klägerin einen Abrechnungsbetrug wegen Doppelabrechnungen anreißt (Rechnungen SOL0xxx/0002 und SOL0003/0006; Rechnung SOL0xxx/0007), muss darauf hingewiesen werden, dass ein etwaiger behaupteter Schaden offensichtlich nicht streitgegenständlich ist. Denn die Zusammenstellung der geltend gemachten Schadenssumme weist einen solchen Posten nicht aus.
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7. Weil nach alledem keine erfolgsversprechende Rechtsgrundlage ersichtlich ist, die den Klägerinvortrag stützt, war die Klage folglich insgesamt abzuweisen.
III.
99
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Regelung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 S. 2 ZPO.