Inhalt

OLG München, Beschluss v. 17.09.2024 – 31 W 1309/24 e
Titel:

Streitwertfestsetzung bei Vergleich mit Ansatz eines Mehrwertes

Normenketten:
ZPO § 3
GKG KV Nr. 1900
Schlagworte:
Streitwert, Vergleich, Mehrwert, miterledigter Anspruch, Voraussetzungen, Streitigkeit, Gesamtschuldner
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 24.07.2024 – 5 O 4347/23 Bau
Fundstellen:
JurBüro 2025, 36
NJOZ 2025, 637
BeckRS 2024, 24340
LSK 2024, 24340

Tenor

Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 3) gegen den Streitwertbeschluss des Landgerichts München I vom 24.07.2024, Az. 5 O 4347/23 Bau, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Der Beschwerdeführer begehrt mit seiner Beschwerde die Festsetzung eines höheren Streitwerts, da die Streitwertfestsetzung des Landgerichts den Mehrwert des zwischen den Parteien geschlossenen Vergleichs unberücksichtigt gelassen habe.
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Die Kläger machten mit ihrer gesamtschuldnerisch gegen die Beklagten zu 1 bis 4 gerichteten Klage vom 12.12.2023 nachbarrechtliche Beseitigungsansprüche bzw. hilfsweise deliktische Schadensersatzansprüche geltend. Hintergrund war die Einbringung von Erdnägeln in das klägerische Grundstück im Zuge von Baumaßnahmen auf dem benachbarten Grundstück der Beklagten zu 1 und 2. Bei der Beklagten zu 4 handelt es sich um die bauausführende Firma, die den Auftrag als Subunternehmerin von der nicht verklagten Auftragnehmerin der Kläger, der Firma A… S… G…, erhalten hatte. Bei der Beklagten zu 3 handelt es sich um ein Ingenieurbüro, welches die Bauleitung innehatte, wobei der Umfang dessen Beauftragung im Prozess streitig geblieben ist. Die Kläger behaupteten, die Beklagte zu 3 habe während der gesamten Bauzeit die Bauleitung gehabt. Der Beklagte zu 3 trug dagegen vor, er sei nur für die Statik (Leistungsphasen 1-6) bezogen auf den Hochbau (Leistungsphasen 6-8) beauftragt worden, nicht aber für den streitgegenständlichen Baugrubenausbau. Die Beklagten zu 1 und 2 trugen dazu vor, sie seien für das gesamte Bauvorhaben vom Architekturbüro S… zur gesamten Objektplanung und vom Beklagten zu 3 für die Ausschreibung der Gewerke und Beratung in bautechnischer und planerischer Hinsicht vollumfassend betreut worden. Das Architekturbüro S… ist ebenfalls nicht mit verklagt. Streitverkündungen gab es keine.
3
Die Klagepartei gab in der Klageschrift einen Streitwert von 292.284,30 € an.
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Die Parteien verglichen sich erstinstanzlich im Termin vom 02.07.2024. Der Vergleich hatte – soweit für die hier zu treffende Entscheidung relevant – folgenden Wortlaut:
„1. Die Beklagten zu 1) und 2) zahlen an die Kläger einen Betrag von 120.000,00 EUR zuzüglich 9.723,60 EUR außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, zuzüglich 7.880,66 EUR für das Privatgutachten. Dieser Gesamtbetrag ist fällig am Dienstag, den 13.08.2024, und ab diesem Tag mit einem Zinssatz von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
2. Damit sind sämtliche wechselseitigen streitgegenständlichen Ansprüche der Parteien untereinander abgegolten und erledigt.
Damit sind auch evtl. Gesamtschuldnerausgleichsansprüche zwischen den einzelnen Parteien abgegolten und erledigt.
3. Der Beklagte zu 3) und die Beklagte zu 4) tragen ihre Anwaltskosten selbst. Im Übrigen tragen die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs die Klagepartei zu 60% und die Beklagten zu 1) und 2) zu 40%.
4. … [betrifft Widerruflichkeit]“.
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Mit Beschluss vom 24.07.2024 setzte das Erstgericht den Streitwert auf 292.284,30 € fest. Die Prozessbevollmächtigten der Klagepartei sowie der Beklagten zu 1 und 2 beantragten die Kostenfestsetzung aus diesem Streitwert.
6
Der Prozessbevollmächtige des Beklagten zu 3 legte mit Schriftsatz vom 25.07.2024 gegen diesen Beschluss Beschwerde ein. Diese stützt er darauf, dass das Landgericht nicht den Vergleichsmehrwert berücksichtigt habe. Ein solcher ergebe sich daraus, dass der abgeschlossene Vergleich nicht nur das Verhältnis zwischen der Klagepartei und den Beklagten erfasst habe, sondern auch das Verhältnis der Beklagten zu 1 und 2 gegenüber den Beklagten zu 3 und 4 sowie den außergerichtlichen Gesamtschuldnerausgleich zwischen den Beklagten zu 3 und 4. Die Klagepartei tritt dem ausdrücklich entgegen. Ein Vergleichsmehrwert bestehe nicht, da die Festsetzung des Streitwerts sich nach dem Wert des prozessualen Streitgegenstands im Verhältnis der Klagepartei zu den Beklagten zu 1 bis 4 zu richten habe.
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Mit Beschluss vom 08.08.2024 half das Landgericht der Beschwerde nicht ab und verfügte am selben Tag die Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Beschwerde.
II.
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1. Es ist der Senat zur Entscheidung berufen, da ihm der Einzelrichter das Verfahren übertragen hat, §§ 66 Abs. 6 S.2, 68 Abs. 1 S.5 GKG.
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2. Die aus eigenem Recht des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 3 eingelegte Streitwertbeschwerde ist gemäß §§ 68 Abs. 1 S.1, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. § 32 Abs. 2 S.1 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
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3. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Streitwert zutreffend festgesetzt.
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a) Noch zutreffend geht der Beschwerdeführer davon aus, dass jeder in den Vergleich einbezogene Anspruch den Wert erhöht und damit der Vergleichswert weder identisch mit dem Streitwert noch mit dem Vergleichsbetrag sein muss (vgl. OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 2009, 1079; Toussaint/Elzer, 54. Aufl. 2024, GKG § 45 Rn. 57; beck-online). Nach Nr. 1900 KV GKG besteht ein Vergleichsmehrwert, wenn ein Vergleich über nicht gerichtlich anhängige Gegenstände geschlossen wird.
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b) Es ist umstritten, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ein Vergleichsmehrwert auch dann anfällt, wenn nicht rechtshängig gemachte Ansprüche von oder gegen Dritte in den Vergleich einbezogen werden.
13
aa) Das OLG Koblenz vertritt die Auffassung, dass sich der Streitwert nicht nur nach dem Streitwert zwischen den Hauptparteien bemesse, wenn sich Streithelfer am Prozessvergleich beteiligen, sondern der Gegenstandswert des Vergleichs auf die Summe aller untereinander verglichenen Ansprüche festzusetzen sei (vgl. OLG Koblenz Beschluss vom 22.12.1997 – 14 W 771/97, BeckRS 1997, 30813226, beck-online).
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Der 10. Zivilsenat des OLG Stuttgart entschied in gleicher Weise: Werde in einem Vergleich auch der nicht rechtshängige Gesamtschuldnerausgleich zwischen einer Streitpartei und einem Streithelfer mitgeregelt, so begründe dies einen Mehrwert des Vergleichs für diese Streitpartei und den Streithelfer (vgl. OLG Stuttgart NJOZ 2015, 1506, beck-online).
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Das OLG Karlsruhe ist – insoweit allerdings differenzierend – der Auffassung, dass in dem Fall, in dem in einem Vergleich auch ein bislang nicht rechtshängiger Gesamtschuldnerausgleichsanspruch zwischen einer Partei und einem Streithelfer mitgeregelt wird, dies zwar einen Mehrwert begründet, jedoch nur im Verhältnis zwischen dieser Partei und dem Streithelfer und nur in der Höhe, in der ein Ausgleichsanspruch streitig war und die Partei ihn für berechtigt halten durfte (vgl. OLG Karlsruhe Beschluss vom 16.1.2024 – 19 W 92/22, BeckRS 2024, 208, beck-online).
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bb) Eine in diesem Zusammenhang zuweilen zitierte Entscheidung des OLG Köln erscheint mit der hier vorliegenden Konstellation nur bedingt vergleichbar, da es dort um die Erledigung mehrerer Rechtsstreitigkeiten mit verschiedenen Parteien in einem der Verfahren durch einen Gesamtvergleich ging, an dem die Prozessbevollmächtigten aller Parteien und Streithelfer sämtlicher Verfahren mitwirkten (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 29. November 1972 – 2 W 105/72 –, juris).
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cc) Eine andere Auffassung vertritt das Oberlandesgericht Frankfurt a.M.: Der Wert eines Vergleichs erhöhe sich nicht dadurch, dass in diesen mögliche Regressansprüche zwischen den als Streitgenossen in Anspruch genommenen Beklagten einbezogen werden. Ein Vergleichsmehrwert könne sich nur durch eine Einbeziehung von Forderungen, die im Verhältnis zwischen den Parteien im Streit standen, ergeben. Die Einbeziehung von Ansprüchen, die einer Partei gegen einen Dritten zustanden, könne zu einer Erhöhung des Streitwerts und damit zu einer (anteiligen) Kostenbelastung des an diesem Rechtsverhältnis nicht beteiligten Gegners grundsätzlich nicht führen. Dies gelte auch für Ansprüche, die zwischen den als Streitgenossen in Anspruch genommenen Beklagten bestanden (vgl. OLG Frankfurt NJW-RR 2009, 1079; zust. wohl BeckOK KostR/Dörndorfer, 46. Ed. 1.7.2024, GKG KV 1900 Rn. 3; aA BeckOK ZPO/Bacher, 53. Ed. 1.7.2024, ZPO § 278 Rn. 43a.1; jeweils zitiert nach beck-online).
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In gleicher Weise hat das LAG Brandenburg entschieden, wobei es sich dort – anders als hier – um eine Entscheidung nach § 33 RVG handelte, weil im dortigen arbeitsgerichtlichen Verfahren keine Gerichtsgebühren entstanden waren: Die gerichtliche Festsetzung des Vergleichsmehrwertes könne bei einem mehrseitigen Vergleich nur hinsichtlich der Gegenstände erfolgen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss gewesen seien. Vergleichsregelungen, die Dritte mit einer der Parteien treffen, seien bei der gerichtlichen Wertfestsetzung nicht zu berücksichtigen (LAG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 30.9.2014 – 17 Ta (Kost) 6057/14, BeckRS 2014, 72846, beck-online).
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cc) Der 24. Senat des Oberlandesgerichts München differenziert: Zwar begründe es einen Mehrwert des Vergleichs für die von einem Anspruch betroffenen Parteien bzw. Streithelfer, wenn in einem Vergleich ein nicht rechtshängiger Anspruch zwischen zwei Parteien des Rechtsstreits oder einer Partei und einem Streithelfer mit geregelt wird. Zu einem Mehrwert kann ein mit erledigter Anspruch jedoch nur führen, soweit er zwischen Gläubiger und Schuldner streitig war (OLG München Beschluss vom 15.1.2020 – 24 U 1530/19, BeckRS 2020, 165 Rn. 8, beck-online).
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In gleicher Weise hatte zuvor der 10. Zivilsenat des OLG Stuttgart entschieden (vgl. OLG Stuttgart Beschluss vom 28.3.2018 – 10 W 8/18, BeckRS 2018, 5759, beck-online). Dabei sei maßgeblicher Zeitpunkt für die Festsetzung des Mehrwerts des Vergleichs nicht die Erhebung der Klage, sondern der Zeitpunkt, zu welchem die nicht streitgegenständlichen Ansprüche in die Vergleichsgespräche zur Regelung (auch) der streitgegenständlichen Ansprüche einbezogen werden (vgl. OLG Stuttgart Beschluss vom 28.3.2018 – 10 W 8/18, BeckRS 2018, 5759 Rn. 25, beck-online; zust. Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 3 ZPO, Rn. 16_179, zitiert nach juris).
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c) Der Senat teilt nicht die Auffassung des OLG Frankfurt (NJW-RR 2009, 1079) und des LAG Berlin-Brandenburg (BeckRS 2014, 72846), sondern ist mit der wohl hM ebenfalls der Auffassung, dass es einen Mehrwert des Vergleichs für die von einem Anspruch betroffenen Parteien bzw. Streithelfer begründet, wenn in einem Vergleich ein nicht rechtshängiger Anspruch zwischen zwei Parteien des Rechtsstreits oder einer Partei und einem Streithelfer mit geregelt wird. Das kann grundsätzlich auch für den Fall gelten, dass Ausgleichsansprüche auf Seiten der Beklagten mit verglichen werden.
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Dabei kommt es allerdings immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Zum einen ist dieser Mehrwert nur im streitigen (und mit verglichenem) Verhältnis festzusetzen und darf nicht zu Lasten derjenigen Partei gehen, die an dem Mehrvergleich nicht beteiligt ist bzw. von ihm nicht betroffen ist. Zum anderen kann ein mit erledigter Anspruch zu einem Mehrwert nur führen, soweit er zwischen Gläubiger und Schuldner tatsächlich streitig war und für eine tatsächliche Inanspruchnahme ein nicht nur abstraktes bzw. nur vages Risiko bestand (vgl. Elzer in: Toussaint, 54. Aufl. 2024, GKG § 45 Rn. 59, beck-online, der auf die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts abstellt, um unrealistische und überhöhte Wertfestsetzungen zu verhindern).
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war im konkreten Fall kein Vergleichsmehrwert festzusetzen. Aus dem gesamten Akteninhalt ergibt sich nicht, dass sich etwaige Gesamtschuldnerausgleichsansprüche auf Beklagtenseite bereits in irgendeiner Weise konkretisiert hatten. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des protokollierten Vergleichs („evtl. Gesamtschuldnerausgleichsansprüche). Soweit es den Beschwerdeführer betrifft, ist darauf abzustellen, inwieweit die von ihm vertretene Partei von den Beklagten zu 1 und 2 in Anspruch genommen werden könnten bzw. der Beklagte zu 3 seinerseits Regressansprüche gegenüber der Beklagten zu 4 haben könnte. Etwaige Ansprüche der Beklagten zu 1 und 2 gegenüber der Beklagten zu 4, die mit verglichen worden sein könnten, können von vornherein keinen Vergleichsmehrwert im Verhältnis zu der vom Beschwerdeführer vertretenen Partei begründen. Weder wurde schriftsätzlich vorgetragen noch in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll genommen, um welche konkreten Ansprüche des Beklagten zu 3 bzw. gegenüber dem Beklagten zu 3 es sich handeln könnte, inwieweit diese streitig sind bzw. waren und wie diese zu bewerten sein könnten. Auch in der Beschwerdebegründung wird dazu nichts Konkretes ausgeführt. Auf dieser Grundlage ist es dem Senat nicht einmal möglich, grob zu schätzen, in welchem konkreten Verhältnis ein hier nicht rechtshängiger Anspruch mit verglichen wurde und welche Höhe dieser hat.
III.
24
Eine Kostenentscheidung und eine Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren sind nicht veranlasst, da gemäß § 68 Abs. 3 GKG das Verfahren der Streitwertbeschwerde gebührenfrei ist und (außergerichtliche) Kosten nicht erstattet werden.