Titel:
Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte im Zusammenhang mit dem Austritt von Großbritannien aus der EU
Normenketten:
EuGVVO Art. 6
AEUV Art. 216 Abs. 2
HGÜ Art. 1 Abs. 1
ZPO § 29, § 32, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
BGB § 269
UmwG § 341 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Für mögliche rechtswidrige Umwandlungen von Genussrechten in Aktien im Zusammenhang mit der Verschmelzung einer österreichischen GmbH mit einer Gesellschaft in Großbritannien ergibt sich aufgrund der internationalen Unzuständigkeit deutscher Gerichte kein Gerichtsstand in Deutschland. (Rn. 13 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass es sich bei Großbritannien nach Ablauf der Übergangsfrist nach dem Brexit um einen Drittstaat handelt, besagt nichts darüber, ob das Austrittsabkommen vorrangig gegenüber Art. 6 EuGVVO anzuwenden ist oder nicht. Vielmehr ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage hinsichtlich der internationalen (Un-) Zuständigkeit deutscher Gerichte im Zusammenhang mit dem Austrittsabkommen die Revision zuzulassen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Brexit, international, Zuständigkeit, Austritt, Großbritannien, Europäische Union, Unzulässigkeit, Gerichtsstand, Sitz, Deutschland, unerlaubte Handlung, Genussrechtsbeteiligung, Österreich
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 25.04.2024 – 47 O 13979/22
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe vom -- – II ZR 112/24
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
AG 2025, 255
LSK 2024, 24338
BeckRS 2024, 24338
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des LG München I vom 25.04.2024 (Aktenzeichen: 47 O 13979/22) abgeändert und die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge.
III. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen. Zuständig ist der Bundesgerichtshof.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf € 7.438,99 festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um die Rückerstattungspflicht der Beklagten hinsichtlich einer Genussrechtsbeteiligung an der 2007 (dem Jahr der Zeichnung durch die Klägerin) noch in Österreich ansässigen D. AG, die im Juli 2007 in eine Genussrechtsbeteiligung (G. Fund …) der T. AG (diese Gesellschaften künftig auch: Beklagte) umgewandelt wurde, die wiederum zum 31.12.2018 nach einer zunächst erfolgten Umwandlung in eine österreichische GmbH auf die Beklagte in Großbritannien mit Sitz in London verschmolzen wurde. Streitgegenstand ist nicht eine etwaige Falschberatung im Zusammenhang mit dem Erwerb der Genussrechtsbeteiligung von 2007, sondern die nach Ansicht der Klägerin rechtswidrige Umwandlung ihrer Genussrechte in sogenannte B-Aktien im Zusammenhang mit der Verschmelzung auf die Beklagte mit der nach ihrer Ansicht damit einhergehenden Schadensersatzpflicht bzw. Rückerstattungspflicht betreffend ihre Einlage bei der Beklagten durch diese entsprechend den Genussrechtsbedingungen (künftig: GRB; Anlage K 3).
2
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die tatsächlichen Feststellungen im Endurteil des LG München I vom 25.04.2024 (Bl. 60/69 der erstinstanzlichen Akte; künftig: Erstakte) mit nachfolgenden Änderungen und Ergänzungen verwiesen.
3
In § 13 GRB (Anlage K 3) findet sich unter anderem folgende Regelung: „2. Erfüllungsort ist Sitz der Gesellschaft. Gerichtsstand ist – soweit gesetzlich zulässig – ebenfalls Sitz der Gesellschaft. Die Gerichtsstandsvereinbarung beschränkt nicht das Recht eines Genussrechtsinhabers, Verfahren vor einem anderen zuständigen Gericht anzustrengen.“
4
Mit Schreiben vom Februar 2019 teilte die Anlegerverwaltung der Beklagten die Verschmelzung der T. AG auf die C. Limited (= die Beklagte) mit, und dass zum Stichtag 31.12.2018 die Genussrechte automatisch in Aktien der Beklagten umgewandelt worden seien (Anlage K 4).
5
Die Klage vom 18.11.2022 wurde am 21.11.2022 beim LG München I eingereicht und am 30.01.2023 (in der Schweiz) zugestellt.
6
Die Beklagte hat durchgängig in beiden Instanzen von Anfang an u.a. die Zulässigkeit der Klage wegen internationaler Unzuständigkeit deutscher Gerichte gerügt.
7
Mit Endurteil vom 25.04.2024 verurteilte das LG München I die Beklagte zur Zahlung in Höhe von € 7.438,99 nebst Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von wohl noch € 647,84.
8
Mit ihrer Berufung beantragt die Beklagte,
das am 25.04.2024 verkündete Urteil des Landgerichts München I, Az. 47 O 13979/22, abzuändern und die Klage abzuweisen.
9
Die Klägerin beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
10
Hinsichtlich des Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
11
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Tenor des erstinstanzlichen Urteils unvollständig ist. Das Erstgericht hat tatsächlich die Klage zu einem geringen Teil abgewiesen durch Begrenzung der Verzinsung auf maximal 4%. Dies wird im Folgenden jedoch keine weiteren Auswirkungen haben.
12
Dahinstehen kann, ob der Tenor des erstinstanzlichen Urteils hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten („den verbleibenden Rest“) zu unbestimmt ist (was genau ist jetzt noch zu erstatten?). Auch dies hat nämlich keine Auswirkungen auf das Urteil des Senats.
13
Die Klage ist wegen internationaler Unzuständigkeit deutscher Gerichte abzuweisen.
14
Deutsche Gerichte sind international unzuständig. Es gibt drei Rechts„ebenen“, die zunächst in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden müssen:
1. § 341 Abs. 2 Satz 1 UmwG in der seit 01.03.2023 geltenden Fassung (im Gegenschluss) könnte die Zulässigkeit der Klage nachträglich wieder beseitigt haben (da Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Gesetze [BGBl. Teil I Nr. 51 vom 28.02.2023, Seite 34] keine Übergangsregelung enthält) oder klarstellen, dass von Anfang an nur unter den dort gegebenen Voraussetzungen die Zulässigkeit der Klage vor deutschen Gerichten zu bejahen wäre. Das scheitert nach Ansicht des Senats zum Einen an einer dann bestehenden echten Rückwirkung zum Nachteil der Klägerin und zum Anderen an der Normenhierarchie des hier bestehenden Vorrangs des EU-Rechts.
2. Es ist an eine Anwendung der Art. 17 Abs. 1 c, 18 Abs. 1, 6 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (künftig: EuGVVO) zu denken.
3. Vorrangig könnten aber auch Art. 67 Abs. 1 a, 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft 2019 (künftig: Austrittsabkommen; Amtsblatt der Europäischen Union vom 12.11.2019, C 384 I/1; im Internet unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A12019W/TXT% 2802%29 abrufbar) sein.
4. Der Senat entscheidet sich für Letzteres, da ansonsten die Regelungen des Austrittsabkommens zur Beendigung der Anwendbarkeit der EuGVVO zu großen Teilen leer liefen, was mit Sicherheit keine der beiden Vertragsparteien so gewollt hat (sonst wäre die Regelung nicht vereinbart worden). Der Senat teilt daher die Ansicht der Klägerin, die EuGVVO griffe (über Art. 6 EuGVVO?) hier durch, nicht. Im Übrigen wird auf Art. 216 Abs. 2 AEUV verwiesen. Die EuGVVO wäre danach hier nicht anwendbar. Soweit andere Oberlandesgerichte und Literaturmeinungen das Gegenteil vertreten (vgl. zuletzt OLG Köln, Urteil vom 23.05.2024, I-18 U 157/23, BKR 2024, 669, 670f., Randziffern 31 bis 38 mit weiteren Nachweisen; Steinbrück/Lieberknecht, Grenzüberschreitende Zivilverfahren nach dem Brexit, EuZW 2021, 517, 519, Ziffer II 1 d), wird dies, soweit ersichtlich, mehr oder weniger apodiktisch behauptet, aber nicht bzw. nur unter Verweis auf die weiterhin geltende Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (künftig: EuGVVO) begründet. Eine Auseinandersetzung mit Art. 216 Abs. 2 AEUV und dem damit verbundenen Vorrang völkerrechtlicher Abkommen der Europäischen Union findet, soweit ersichtlich, nicht statt.
5. § 13 Nr. 2 GRB steht einer Klage in Deutschland nicht entgegen, sofern sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte anderweitig bejahen lässt, begründet selbst aber keinen solchen Gerichtsstand in Deutschland.
6. Das Haager Gerichtsstandsübereinkommen vom 30.06.2005 (vgl. Anhang zum Beschluss des Rates vom 26.02.2009 über die Unterzeichnung des Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen Nr. 2009/397/EG – nach juris; künftig: HGÜ) ist nicht einschlägig, da es lediglich die internationale Zuständigkeit aufgrund von Gerichtsstandsvereinbarungen regelt (Art. 1 Abs. 1 HGÜ), was hier nicht relevant ist, zumal Verbraucher (diese Eigenschaft bei der Klägerin unterstellt) nicht in den Anwendungsbereich des Abkommens fallen (Art. 2 Abs. 1 a HGÜ).
15
7. Wendet man Art. 6 EuGVVO hier nicht an, gelten die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung (vgl. Tintemann/Ali, Klage am Verbrauchergerichtsstand in Deutschland nach Brexit mögl…, VuR 2022, 336, 337, Ziffer II 2), hier u.a. § 32 ZPO:
a) Die Klägerin macht eine vertragliche Pflichtverletzung geltend, nicht jedoch eine vermögensschützende unerlaubte Handlung. Eine solche ist auch nicht ersichtlich. Aber nur eine unerlaubte Handlung (in Großbritannien oder Österreich) mit Schadenseintritt (hier:) in Deutschland kann den Gerichtsstand des § 32 ZPO begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 10.12.2002, X ARZ 208/02, NJW 2003, 828, 830, Ziffer III 3 d; Münchener Kommentar-Patzina, 6. Auflage, § 32 ZPO Randziffer 10).
b) Darüber hinaus liegen Schadenshandlung und Schadenseintrittsort (Umwandlung der Genussscheine in sogenannte B-Aktien der jetzigen Beklagten) nicht in Deutschland, da nichts dafür ersichtlich ist, dass im Zeitpunkt der Umwandlung exakt allein und durch diese ein Wertverfall der Anteilsscheine stattgefunden hat (allein dann wäre an einen Schadenseintritt in Deutschland zu denken). Dabei kann offen bleiben, ob mit diesem Ergebnis die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte begründet wäre (vgl. § 13 Nr. 2 GRB) oder die Beklagte allein in Großbritannien verklagt werden könnte.
8. § 29 ZPO (wegen behaupteter Vertragspflichtverletzung) verweist im Hinblick auf § 269 BGB auf den Sitz der Beklagten in Großbritannien.
9. §§ 12, 17 ZPO verweisen ebenfalls auf die internationale Zuständigkeit britischer Gerichte am Sitz der Beklagten.
10. Damit kommt es auf die Frage, ob ein Verbraucher, der Genussscheine der Beklagten gezeichnet hat, für rechtliche Auseinandersetzungen im Rahmen dieses Vertragsverhältnisses noch Verbraucher ist, nicht mehr an.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 709 Satz 1, § 711 ZPO.
17
Die Revision war zuzulassen, da für die Frage der internationalen (Un-) Zuständigkeit deutscher Gerichte im Zusammenhang mit dem Austrittsabkommen die grundsätzliche Bedeutung zu bejahen ist (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Allein die Feststellung des BGH im Beschluss vom 15.06.2021 (II ZB 35/20, WM 2021, 1444, 1447, Randziffer 42), bei Großbritannien handele es sich nach Ablauf der Übergangsfrist nach dem Brexit um einen Drittstaat, besagt nichts dazu, ob das Austrittsabkommen vorrangig gegenüber Art. 6 EuGVVO anzuwenden ist oder nicht.