Titel:
Vorläufige Vollstreckbarkeit, Berufsgenossenschaft, Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, Höhe des Verdienstausfalles, Gesetzliche Unfallversicherung, Kostenentscheidung, Sicherheitsleistung, Unfallbedingtheit, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Begegnungsverkehr, Mitverschulden, Betriebsangehörige, Verkehrsunfälle, Kosten des Berufungsverfahrens, Unfallbeteiligte, Betriebsgefahr, Entscheidung des Revisionsgerichts, mündlich Verhandlung, Haftpflichtversicherung, Betriebsfrieden
Schlagworte:
Haftungsausschluss, Schadensersatzanspruch, Gleichheitsgrundsatz, Verdienstausfall, Mitverschulden, Betriebsfrieden, Revision
Vorinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 09.02.2024 – 13 U 196/23
LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 29.12.2022 – 8 O 8286/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24206
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 29. Dezember 2023 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. 1. Der Beschluss ist vorläufig vollstreckbar.
2. Das unter I. genannte Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 101.000,00 € festgesetzt
Gründe
1
Die zulässige Berufung des Klägers ist offensichtlich unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz.
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Hinsichtlich des Tatbestands einschließlich der angekündigten Anträge nimmt der Senat auf seinen Hinweis gemäß § 522 Abs, 2 ZPO vom 9. Februar 2024 Bezug.
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Die Berufung des Klägers ist offensichtlich unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht einen Haftungsausschluss der Beklagten nach § 104 Abs. 1 SGB VII bejaht und die Klage abgewiesen.
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Der Senat nimmt zunächst auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils sowie auf den erteilten Hinweis des Senats vom 9. Februar 2024 Bezug.
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Im Hinblick auf den Schriftsatz des Klägers vom 28. März 2024, mit dem er zum Hinweis des Senats Stellung nimmt, ist ergänzend auszuführen:
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In der genannten Stellungnahme fokussiert sich der Kläger vertiefend darauf, warum seines Erachtens die unterschiedliche Haftungsgestaltung bei einem als betrieblichen Unfall einzuordnenden Unfall im allgemeinen Straßenverkehr – mit Ansprüchen gegen die Berufsgenossenschaft – einerseits und bei einem normalen Verkehrsunfall unter nicht in einem Betrieb verbundenen Personen – mit Ansprüchen gegen den Unfallgegner und dessen Haftpflichtversicherung – andererseits in einer Weise ungleich sei, die nicht mehr durch die bestehenden Unterschiede zwischen den beiden Sachverhalten gerechtfertigt sei. Zumindest in Fällen, in denen sich der betriebliche Unfall im allgemeinen Straßenverkehr abspiele, verstoße es gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs, 1 GG und Art. 20 der Charta der Grundrechte der EU, die Haftung in der vom Gesetzgeber vorgesehenen Weise unterschiedlich zu gestalten. Oer Kläger führt dazu Bereiche auf, in welchen die Ansprüche gegen die Berufsgenossenschaft hinter denjenigen zurückblieben, die sich aus allgemeinem Zivilrecht ergäben, etwa beim Schmerzensgeld oder bei der Höhe des Verdienstausfalls.
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Bei seiner selektiven Benennung von Aspekten, in welchen die berufsgenossenschaftlichen Ersatzleistungen hinter denjenigen zurückbleiben oder zumindest im Einzelfall zurückbleiben können, lässt der Kläger allerdings wesentliche Punkte unberücksichtigt, in denen die Ansprüche aus gesetzlicher Unfallversicherung dem Geschädigten Vorteile bieten.
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Im Zentrum der nunmehrigen Argumentation des Klägers steht, dass mit den Leistungen bei berufsgenossenschaftlicher Haftung der Verdienstausfall, den der Kläger bis zum Eintritt in das Rentenalter habe, nicht hinreichend kompensiert werde. Der Kläger blendet bei seiner Argumentation allerdings aus, dass ein Geschädigter, der Ansprüche aus allgemeinem Zivilrecht statt der berufsgenossenschaftlichen hat, die volle Darlegungs- und insbesondere Beweislast für den ihm entgangenen Verdienst hat. Dies stellt in der rechtlichen Praxis nicht selten einen ganz erheblichen Nachteil für den Geschädigten dar, wie dem Senat aus einer Vielzahl von Zivilprozessen bekannt ist. Nach den Grundsätzen des allgemeinen Zivilrechts zu führende Auseinandersetzungen zur Frage, ob und in welchem Umfang unfallbedingt Verdienstausfall besteht, führen nicht selten in den Geschädigten zermürbende, teilweise viele Jahre dauernde Rechtsstreite, in denen etwa über die zu erwartende berufliche Entwicklung ohne Unfall, über das Ausmaß der Beeinträchtigung bezogen auf die weitere berufliche Tätigkeit, über deren Unfallbedingtheit oder das Bestehen von Alternativursachen gestritten wird. Hinsichtlich des Ergebnisses solcher Prozesse besteht oft jahrelange Ungewissheit, nicht selten bleiben schließlich zugesprochenen Ersatzleitungen deutlich hinter den Vorstellungen des Geschädigten zurück, dann verbunden mit der Folge, dass der Geschädigte in erheblichem Maße die Kosten dieser Zivilverfahren zu tragen hat. In dieser Hinsicht hat das standardisierte berufsgenossenschaftliche Verfahren erhebliche Vorteile für den Geschädigten.
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Über das Vorstehende hinaus liegt für einen Geschädigten ein – im Einzelfall nicht selten massiver – Vorteil darin, dass er sich bei der gesetzlichen Unfallversicherung kein Mitverschulden anrechnen lassen muss. Gerade bei Verkehrsunfällen können unter Umständen schon für sich betrachtet unbedeutende Pflichtverstöße zu einer massiven Kürzung der nach allgemeinem Zivilrecht bestehenden Ansprüche führen, etwa wenn auf der Gegenseite ebenfalls nur geringe Pflichtverstöße vorliegen oder gar nur für einfache Betriebsgefahr gehaftet wird. Die Frage des wechselseitigen Verschuldens und der Haftungsquoten ist in Verkehrsunfällen, deren Regulierung über allgemeines Zivilrecht stattfindet, sehr häufig ein relevanter Streitpunkt.
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Zu all dem tritt der Regelungszweck der Sicherung des Betriebsfriedens hinzu. Dieser mag bei Unfällen, bei denen auch eine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung eintrittspflichtig ist, geringer sein als ohne Bestehen einer Versicherung. Auch bei Bestehen einer Versicherung kann aber insbesondere der in Zivilprozessen zu führende Streit über den Grad des wechselseitigen Verschuldens der am Unfall beteiligten Betriebsangehörigen zu Belastungen des Betriebsfriedens führen, die durch die Regelung der §§ 8, 104 SGB VII gerade auch vermieden werden sollen.
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Letztlich ist also eine Gesamtschau auf die Vor- und Nachteile der beiden Haftungssysteme – individualrechtliche Haftung nach Zivilrecht einerseits und sozialrechtliche aus der gesetzlichen Unfallversicherung andererseits vorzunehmen. Diese führt zu dem Ergebnis, dass eine Ungleichbehandlung von Verkehrsunfällen, die sich zwischen fremden Dritten ereignen, und solchen, die sich zwischen Angehörigen des selben Betriebs ereignen, welche durch hinreichende Sach- gründe nicht gedeckt ist, nicht festzustellen ist.
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Die Kostenentscheidung erging gemäß § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit nach § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs, 2 Satz 1 ZPO). Soweit Rechtsfragen berührt waren, folgt der Senat der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Sowohl der Bundesgerichtshof als auch das Bundesverfassungsgericht haben sich mehrfach mit den hier in Mitte stehenden Regelungen befasst (insoweit wird auf die zitierten Fundstellen im Hinweis des Senats vom 9. Februar 2024 Bezug genommen), es besteht hierzu ausreichend höchstrichterliche Judikatur. Auch zur Frage von Unfällen im Straßenverkehr wurde – auch unter Geltung des § 104 SGB VII – bereits höchstrichterlich entschieden, was hinreichend gesicherte Orientierung gibt. Der Umstand, dass sich im vorliegend zu entscheidenden Einzelfall der Unfall im Begegnungsverkehr ereignete, erfordert nicht, dass – wie der Kläger meint – „erneut höchstrichterlich zu prüfen“ wäre.
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Auch eine mündliche Verhandlung war nicht geboten. Zwar zieht der Senat es in der Regel unabhängig von den Erfolgsaussichten des klägerischen Begehrens vor, dem Kläger in Fällen schwerer Verletzungen persönlich in mündlicher Verhandlung Gelegenheit zur Äußerung zu geben und ihm die Sach- und Rechtslage auch nochmals mündlich zu vermitteln. Wegen der Konzentration des Rechtsstreits auf eine einzige rechtlich zu entscheidende Frage, die auch schon mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen war, verspräche die mündliche Verhandlung hier vorliegend aber keinen Mehrwert, der ihre Durchführung gebieten würde.