Inhalt

LG München II, Beschluss v. 16.05.2024 – 6 T 2053/23
Titel:

Rechtsmittel gegen Bewertung eines Pfandgegenstandes durch den Gerichtsvollzieher

Normenketten:
ZPO § 569 Abs. 1, Abs. 2, § 766 Abs. 1 S. 1, § 793, § 811 Abs. 1 Nr. 1 b, Abs. 2 S. 1, § 813 Abs. 1 S. 1, S. 3, Abs. 2 S. 1
GVGA § 82 Abs. 6 S. 1
Leitsatz:
Bei der Bewertung eines Pfandgegenstandes durch den Gerichtsvollzieher handelt es sich um eine Maßnahme im Zwangsvollstreckungsverfahren, die  grundsätzlich einer gerichtlichen Prüfung nach § 766 Abs. 1 ZPO unterliegt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zwangsvollstreckung, Erinnerung, Gerichtsvollzieher, Bewertung, Pfandgegenstand, Schätzung, Sachverständiger, Fachgeschäft, Sachkunde, Sattel
Vorinstanz:
AG Wolfratshausen, Beschluss vom 22.05.2023 – 1 M 17/23
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 21.08.2024 – VII ZA 3/24
Fundstellen:
DGVZ 2025, 106
BeckRS 2024, 24086

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wolfratshausen vom 22.05.2023, Az. 1 M 17/23, wird zurückgewiesen.
2. Der Gläubiger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Der Gläubiger verkaufte an die Schuldnerin im Jahr 2020 zwei Pferdesättel unter Eigentumsvorbehalt zu einem Gesamtkaufpreis von 7.845 €. Die Lieferung an die Schuldnerin erfolgte am 30.10.2020. Nachdem die Schuldnerin den Kaufpreis nicht zahlte, erwirkte der Gläubiger bei dem AG Coburg unter dem Datum des 25.02.2021 einen Vollstreckungsbescheid über die Hauptforderung von 7.845 € zuzüglich Kosten und Zinsen (Aktz.: 21-7149929-0-1), der der Schuldnerin am 02.03.2021 zugestellt wurde. Aufgrund dieses Vollstreckungsbescheides betrieb der Gläubiger die Zwangsvollstreckung. Unter dem Datum des 21.12.2021 erteilte er Vollstreckungsauftrag und beauftragte auch die Pfändung körperlicher Sachen, hierunter ausdrücklich auch die Pfändung der gelieferten Sättel. Die zuständige Gerichtsvollzieherin pfändete die beiden Sättel am 10.03.2022.
2
Unter dem Datum des 24.05.2022 beantragte der Gläubiger gem. § 825 ZPO eine andere Art der Verwertung als eine Versteigerung, konkret einen freihändigen Verkauf. Zu diesem Zweck benannte er eine Käuferin, die bereit war, die Sättel zum Stückpreis von je 800 € zu kaufen. Mit Schreiben vom 26.05.2022 informierte die Gerichtsvollzieherin die Schuldnerin über den beantragten freihändigen Verkauf. Die Schuldnerin erhob hiergegen mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigen vom 17.06.2022 Erinnerung und brachte vor, die Sättel seien neuwertig und ein Kaufpreis von 800 € je Sattel daher unangemessen niedrig. Mit Beschluss vom 14.09.2022 wies das AG Wolfratshausen aufgrund der von der Schuldnerin erhobenen Erinnerung die Gerichtsvollzieherin an, die Sättel nicht durch Übereignung an Dritte gegen Zahlung von 800 € pro Sattel zu verwerten. Zur Begründung führte das Gericht aus, die Sättel seien lediglich zwei Jahre alt, der Neupreis habe bei 3.390 € je Sattel (netto) gelegen und die Gerichtsvollzieherin habe keine Feststellungen zum Zustand und zum Wert der Sättel getroffen. Es könne daher nicht festgestellt werden, dass der Kaufpreis von 800 € je Sattel angemessen sei.
3
Die Gerichtsvollzieherin holte in der Folge im November 2022 eine Auskunft des Fachgeschäfts F. Reitsport XXL mit Sitz in G. (im Folgenden: Fachgeschäft) zum Wert der Sättel ein. Das Fachgeschäft nahm nach Besichtigung der Sättel zu deren Wert wie folgt schriftlich Stellung:
„Nach meiner Einschätzung sind beide Sättel ca. gleich alt (älter als 6 – 7 Jahre) und haben einen Verkaufswert von ca. 500 € pro Sattel.“
4
Mit Schreiben vom 30.11.2022 informierte die Gerichtsvollzieherin die Parteien über diese Bewertung und kündigte an, sie einem Versteigerungsverfahren zugrunde zu legen.
5
Mit Schriftsatz an die Gerichtsvollzieherin vom 05.12.2022 führte der Verfahrensbevollmächtigte der Schuldnerin aus, dass die Bewertung mit einem Preis von 500 € pro Sattel fehlerhaft sei. Die Sättel seien nur zwei Jahre alt und beim Verkauf an die Schuldnerin habe der Kaufpreis für zwei Sättel 7.845 € betragen. Die Schuldnerin habe die Sättel kaum genutzt. Zudem habe das AG Wolfratshausen in seinem Beschluss vom 14.09.2022 einen freihändigen Verkauf untersagt, weil es den dabei avisierten Kaufpreis von 800 € pro Sattel als unangemessen niedrig angesehen habe. Die Gerichtsvollzieherin behandelte das Schreiben als Erinnerung gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung und legte es dem AG Wolfratshausen zur Entscheidung vor.
6
Mit Schreiben vom 16.02.2023 teilte die Gerichtsvollzieherin auf Anfrage des AG Wolfratshausen mit, dass der Wert der Sättel bei Pfändung nicht geschätzt worden sei. Bei der Wertermittlung, die sie mit ihrem Schreiben vom 30.11.2022 mitgeteilt habe, handele es sich um eine Schätzung nach § 813 Abs. 2 S. 1 ZPO.
7
Mit Verfügung vom 13.03.2023 wies das AG Wolfratshausen die Parteien darauf hin, dass die Schreiben der Gerichtsvollzieherin vom 30.11.2022 und 16.02.2023 eine Schätzung des Wertes der Sättel enthielten und in Betracht komme, den Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin vom 05.11.2022 als Antrag auf Schätzung durch einen Sachverständigen nach § 813 Abs. 1 S. 3 ZPO auszulegen. Mit Schriftsatz vom 22.03.2023 erklärte der Verfahrensbevollmächtigte der Schuldnerin, dass kein Sachverständigengutachten erholt werden solle. Zugleich wies er nochmals darauf hin, dass die von der Gerichtvollzieherin vorgenommene Schätzung eines Wertes von 500 € je Sattel fehlerhaft sei.
8
Mit Verfügung vom 02.05.2023 wies das AG Wolfratshausen die Parteien darauf hin, dass es aufgrund des Schriftsatzes des Verfahrensbevollmächtigen der Schuldnerin vom 22.03.2023 davon ausgehe, dass der Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin vom 05.12.2022 als Erinnerung gegen die Schätzung der Gerichtsvollzieherin auszulegen sei und in Betracht komme, dass diese Schätzung fehlerhaft sei.
9
Mit Schriftsatz vom 09.05.2023 machte der Verfahrensbevollmächtigte des Gläubigers geltend, dass eine Erinnerung gegen die Schätzung eines Gerichtsvollziehers nach gefestigter Rechtsprechung unzulässig sei. Dessen ungeachtet sei die Schätzung nicht fehlerhaft.
10
Mit hier angefochtenem Beschluss vom 22.05.2023 (Bl. 10/12 d.A.) traf das AG Wolfratshausen folgende Entscheidung:
„Auf die Erinnerung der Schuldnerin vom 05.12.2022 wird die Gerichtsvollzieherin angewiesen, den Wert der gepfändeten Sättel unter Berücksichtigung des sich aus dem Kaufvertrag vom 06.05.2020 ergebenden Alters und Kaufpreises erneut zu schätzen.“
11
Zugleich sprach es aus, dass der Gläubiger die Kosten des Verfahrens zu tragen habe. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Erinnerung gegen eine Schätzung des Gerichtsvollziehers jedenfalls bei einem offensichtlichen Fehler der Schätzung zulässig sein müsse.
12
Der Schuldner könne dann nicht darauf verwiesen werden, die Schätzung durch einen Sachverständigen zu beantragen. Vielmehr bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis dahingehend, dass bekannte Schätzgrundlagen bei der Bewertung zutreffend berücksichtigt werden. Wenn der Gerichtsvollzieher der Schätzung offenkundig unzutreffende Tatsachen zugrunde lege, liege ein Verfahrensfehler vor, der mit einer Erinnerung geltend gemacht werden könne. Bei der Schätzung sei unzutreffend von einem Alter der Sättel von 6 bis 7 Jahren ausgegangen worden. Tatsächlich seien die Sättel, wie sich aus den vorliegenden Unterlagen ergebe, erst im Jahr 2020 hergestellt worden.
13
Die auf Grundlage der Auskunft des Fachgeschäfts vorgenommene Schätzung der Gerichtsvollzieherin sei daher fehlerhaft. Es sei daher eine neue Schätzung vorzunehmen, bei der das richtige Alter der Sättel zu berücksichtigen sei. Die Kostenentscheidung beruhe auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Beschluss wurde formlos an die Verfahrensbevollmächtigten der Parteien übersandt.
14
Mit Schreiben vom 24.05.2024 teilte die Gerichtsvollzieherin mit, dass sie eine neue Schätzung vorgenommen habe und das Mindestgebot für eine Versteigerung auf 1.500 € je Sattel festgelegt werde.
15
Mit Schriftsatz vom 06.06.2023 (Bl. 14 d.A.) erhob der Verfahrensbevollmächtigte des Gläubigers gegen den Beschluss sofortige Beschwerde. Darin brachte er vor, dass der Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin vom 05.12.2022 keine Erinnerung enthalte, da dazu kein hinreichend bestimmter Antrag gestellt worden sei. Weiter sei eine Erinnerung bei einem Schätzfehler des Gerichtsvollziehers nach gefestigter Rechtsprechung unzulässig. Die Schätzung auf einen Wert von 800 € sei zudem nicht fehlerhaft. Es komme nicht entscheidend auf das Alter, sondern auf den Zustand der Sättel an. Es sei zudem unbillig, dem Gläubiger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, da er für einen möglichen Schätzfehler nicht verantwortlich sei.
16
Mit Beschluss vom 07.06.2023 (Bl. 15 d.A.) half das AG Wolfratshausen der sofortigen Beschwerde nicht ab.
17
Mit Verfügung vom 17.07.2023 (Bl. 19 d.A.) wies das LG München II als Beschwerdegericht die Parteien darauf hin, dass eine Auslegung des Schriftsatzes des Schuldnervertreters vom 05.12.2022 als Erhebung des Rechtsbehelfs der Erinnerung nicht zwingend sei und dass die Zulässigkeit einer Erinnerung gegen Schätzfehler des Gerichtsvollziehers in Rechtsprechung und Literatur mehrheitlich verneint wird, die Frage der Zulässigkeit aber nicht unumstritten ist. Die Parteien erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme zu dieser Verfügung.
18
Der Verfahrensbevollmächtigte der Schuldnerin nahm mit Schriftsatz vom 27.07.2023 (Bl. 20/21 d.A.) zu der Verfügung des Beschwerdegerichts Stellung und erklärte, dass die Schuldnerin aufgrund der damit verbundenen Kostenbelastung keinen Antrag auf Erholung eines Sachverständigengutachtens gestellt hat. Die von dem Fachgeschäft und in der Folge von der Gerichtsvollzieherin vorgenommene Schätzung sei jedoch so offensichtlich fehlerhaft gewesen, dass es aus Sicht der Schuldnerin nötig war, geltend zu machen, dass die Gerichtsvollzieherin sich im weiteren Verfahren nicht auf diese fehlerhafte Schätzung stützen dürfe. Die Entscheidung des AG Wolfratshausen vom 22.05.2023 sei richtig.
19
Mit Schriftsatz vom 18.08.2023 (Bl. 24 d.A.) beantragte der Verfahrensbevollmächtigte des Gläubigers der sofortigen Beschwerde stattzugeben und verwies zur Begründung auf die Beschwerdeschrift vom 06.06.2023.
20
Mit Verfügung vom 21.03.2024, für deren Einzelheiten auf Bl. 30/32 d.A. Bezug genommen wird, erteilte das LG München II einen ausführlichen Hinweis zur Sach- und Rechtslage, wies darauf hin, dass in Betracht komme, das Verfahren auf die Kammer zu übertragen und die Rechtsbeschwerde zuzulassen und gab den Parteivertretern Gelegenheit zur Stellungnahme.
21
Mit Schriftsatz vom 25.03.2024 (Bl. 33 d.A.) führte der Verfahrensbevollmächtigte der Schuldnerin aus, dass es der Schuldnerin im Verfahren darum gegangen sei, eine verfahrensökonomische Überprüfung und Korrektur der fehlerhaften Entscheidung der Gerichtsvollzieherin zu erreichen. Der Rechtsbehelf der Erinnerung sei als zulässig anzusehen.
22
Mit Schriftsatz vom 26.03.2024 (Bl. 36/37 d.A.) führte der Verfahrensbevollmächtigte des Gläubigers aus, dass der Rechtsbehelf der Erinnerung gegen Schätzungen des Gerichtsvollziehers unzulässig sei. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen, dass die Parteien die Erholung eines Sachverständigengutachtens beantragen können. Dies sei auch angemessen, da auf diese Weise eine zutreffende Bewertung vorgenommen werden könne. Auf diesem Wege könnten eventuelle Schätzfehler des Gerichtsvollziehers korrigiert werden. Demgegenüber verfügten Gerichte nicht über die notwendige Sachkunde, um den Wert eines Pfandgegenstandes zutreffend schätzen und in einem Erinnerungsverfahren festsetzen zu können. Der Gesetzgeber habe vor diesem Hintergrund gerade kein Wahlrecht zwischen Erinnerung und Antrag auf Erholung eines Sachverständigengutachtens vorgesehen. Im Übrigen sei es unbillig, den Gläubiger mit den Kosten des Verfahrens zu belasten, der für eine eventuell fehlerhafte Schätzung des Gerichtsvollziehers nicht verantwortlich sei.
23
Mit Beschluss vom 28.03.20224 (Bl. 38 d.A.) übertrug der zunächst zuständige Einzelrichter das Verfahren zur Entscheidung auf die Kammer.
24
Die Gerichtsvollzieherakte zum verfahrensgegenständlichen Zwangsvollstreckungsverfahren, Aktz.: 6 DR 488/23, lag dem Beschwerdegericht vor.
II.
25
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 793 ZPO statthaft und wurde vom Verfahrensbevollmächtigten des Gläubigers nach § 569 Abs. 1 und 2 ZPO form- und fristgerecht erhoben. Sie ist jedoch unbegründet und bleibt daher in der Sache ohne Erfolg.
26
2. Der Verfahrensbevollmächtigte der Schuldnerin hat mit Schriftsatz an die Gerichtsvollzieherin vom 05.12.2022 den Rechtsbehelf der Erinnerung im Sinne des § 766 Abs. 1 S. 1 ZPO erhoben. In seinem Schriftsatz hat er geltend gemacht, die von der Gerichtsvollzieherin unter Hinzuziehung eines Fachgeschäfts für Reitsport vorgenommene Schätzung der beiden Sättel auf einen Wert von 500 € je Stück sei fehlerhaft. Die Annahme des Fachgeschäfts, die Sättel seien 6 bis 7 Jahre alt, sei unzutreffend. Die Sättel seien zwei Jahre alt, kaum benutzt und der Kaufpreis habe beim Kauf durch die Schuldnerin bei 7.845 € für beide Sättel gelegen. Dieser ursprüngliche Kaufpreis sei in einem Versteigerungsverfahren zugrunde zu legen. Der Verfahrensbevollmächtigte der Schuldnerin hat in seinem Schriftsatz den Rechtsbehelf der Erinnerung zwar nicht ausdrücklich benannt. Er hat mit seinem Vorbringen aber in der Sache Einwendungen gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung erhoben und Fehler des Vollstreckungsverfahrens gerügt. Mit Schriftsatz vom 22.03.2023 hat er weiter klargestellt, dass die Schuldnerin keinen Antrag auf Erholung eines Sachverständigengutachtens stellen möchte. Gegen die ihm übermittelte Verfügung des AG Wolfratshausen vom 02.05.2023, welches erklärte, den Schriftsatz des Schuldnervertreters vom 05.12.2022 als Erinnerung behandeln zu wollen, hat er keine Einwendungen erhoben. Mit Schriftsätzen vom 27.07.2023 und vom 25.03.2024 brachte er schließlich vor, die Schuldnerin habe im Verfahren geltend machen wollen, dass die von der Gerichtsvollzieherin vorgenommene Schätzung fehlerhaft gewesen sei. Sie habe eine verfahrensökonomische Überprüfung und Korrektur erreichen wollen. Die Entscheidung des AG Wolfratshausen vom 22.05.2023 sei zutreffend. Aufgrund des Inhalts des Schriftsatzes vom 05.12.2022 und der danach erfolgten Stellungnahmen des Schuldnervertreters ist davon auszugehen, dass der Schuldnervertreter auch ohne ausdrückliche Benennung des Rechtsbehelfs die Erinnerung nach § 766 Abs. 1 S. 1 ZPO erheben wollte und auch erhoben hat.
27
3. Der Rechtsbehelf der Erinnerung ist zulässig.
28
a) Der Rechtsbehelf der Vollstreckungserinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO dient dazu, die Rechtmäßigkeit des Handelns der Vollstreckungsorgane zur richterlichen Überprüfung stellen und Verfahrensfehler im Vollstreckungsverfahren rügen zu können. Die Vorschrift soll dabei eine umfassende richterliche Kontrolle sicherstellen (vgl. Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 766 Rn. 1). Im Rahmen dessen unterliegen Maßnahmen des Gerichtsvollziehers einer umfassenden Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle (vgl. BeckOK ZPO/Preuß, 52. Ed., 01.03.2024, ZPO § 766 Rn. 6).
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b) Soweit die Auffassung vertreten wird, dass die Schätzung eines Gerichtsvollziehers keine Verfahrenshandlung sei und daher kein Verfahrensfehler vorliegen könne, sondern sie nur eine Bewertung im Sinne der Darstellung eines Schätzergebnisses sei (vgl. AG Schöneberg, DGVZ 2009, 45), ist dem nicht zu folgen. Denn zum einen nimmt der Gerichtsvollzieher die Schätzung im Rahmen der ihm überantworteten Tätigkeit als Vollstreckungsorgan vor. Zum anderen ist es nicht sachgerecht, zwischen einem Verfahren zur Wertermittlung einerseits und der Vornahme einer Bewertung andererseits zu differenzieren. Für eine sachgerechte Bewertung bzw. Schätzung des Wertes eines Gegenstandes ist es erforderlich, die für die Wertfeststellung maßgeblichen Tatsachen und Umstände zu ermitteln, zu gewichten und in einer Gesamtschau zu würdigen. Die Formulierung eines bestimmten Wertes baut hierauf auf. Es handelt sich dabei um einen zusammenhängenden Vorgang, bei dem die Formulierung des Bewertungsergebnisses Teil des Bewertungsverfahrens ist. Eine sachgerechte Wertfeststellung ist ohne ausreichende Grundlagenermittlung und Gewichtung der einzelnen Bewertungsfaktoren nicht möglich.
30
Aufgrund dessen handelt es sich bei einer Bewertung eines Pfandgegenstandes nach § 813 Abs. 1 Satz 1 ZPO, gegebenenfalls auch in Verbindung mit § 813 Abs. 2 S. 1 ZPO, durch den Gerichtsvollzieher um eine Maßnahme im Zwangsvollstreckungsverfahren, die ausgehend von dem dargestellten Zweck der Vorschrift grundsätzlich einer gerichtlichen Prüfung nach § 766 Abs. 1 ZPO unterliegt.
31
c) Die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs der Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO wird von der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung und Literatur gleichwohl abgelehnt, da nach § 813 Abs. 1 S. 3 ZPO den Parteien die Möglichkeit gegeben ist, einen Antrag auf Schätzung durch einen Sachverständigen zu stellen. Hierdurch sei ein spezieller und einfacherer Rechtsbehelf gegeben und damit bestünde für eine Erinnerung kein Rechtsschutzbedürfnis.
32
In seinem Beschluss vom 21.01.2021 führt beispielsweise das AG Karlsruhe aus, dass die Unrichtigkeit der Schätzung eines gepfändeten Gegenstandes durch den Gerichtsvollzieher von den Parteien nur durch einen Antrag an das Vollstreckungsgericht auf Schätzung durch einen Sachverständigen nach § 813 Abs. 1 S. 3 ZPO gerügt werden könne. Für eine Erinnerung, auf die hin der Richter die Schätzung nicht selbst vornehmen, sondern nur eine Neuschätzung durch den Gerichtsvollzieher anordnen dürfte, fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Sie sei daher unzulässig (AG Karlsruhe vom 21.01.2021, DGVZ 2021, 267). Diese Auffassung wurde in der Rechtsprechung auch bereits zuvor mehrheitlich vertreten (vgl. AG Schöneberg, DGVZ 2009, 45; AG Limburg vom 31.03.1988, Aktz.: 8 M 3410/87; LG Aachen JurBüro 1986, 1256; LG Köln, DGVZ 1957, 122). Diese Ansicht wird in der Literatur mehrheitlich geteilt. Nach dieser Auffassung können die Parteien die Unrichtigkeit einer Schätzung des Gerichtsvollziehers nicht isoliert rügen, sondern müssen von der Antragsmöglichkeit nach § 813 Abs. 1 S. 3 ZPO Gebrauch machen (vgl. BeckOK ZPO/Uhl, 52. Ed., Stand 01.03.2024, ZPO § 813 Rn. 10; Kindl, in Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Aufl. 2021, ZPO § 813 Rn. 9; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 813 Rn. 7; MüKo ZPO/Gruber, 6. Aufl. 2020, § 813 Rn. 14; Saenger ZPO/Kemper, 10. Aufl. 2023, § 813 Rn. 10; Zöller ZPO/Seibel, 35. Aufl. 2024, § 813 Rn. 9; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 44. Aufl. 2023, § 813 Rn. 9).
33
d) In der Literatur wird aber auch vertreten, dass die Erinnerung zur Geltendmachung von Schätzfehlern des Sachverständigen zulässig sei. Zur Begründung wird ausgeführt, dass es sich bei dem Antragsrecht nach § 813 Abs. 1 Satz 3 ZPO nicht um einen Rechtsbehelf handele, sondern um eine gesonderte Antragsmöglichkeit (vgl. Anders/Gehle/ Czekalla, ZPO, 82. Aufl. 2024, § 813 Rn. 17 m.w.N.). Hierfür spricht, dass das Antragsrecht nach § 813 Abs. 1 Satz 3 ZPO nicht davon abhängig ist, dass der Gerichtsvollzieher zuvor eine Schätzung vorgenommen hat. Die Parteien können den Antrag vielmehr jederzeit stellen, wenn sie die Hinzuziehung eines Sachverständigen für geboten erachten. Das Vollstreckungsgericht hat dann nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (vgl. nur Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 813 Rn. 4).
34
e) In einer Entscheidung vom 17.09.1985 vertritt das Kammergericht (KG NJW-RR 1986, 201) die Auffassung, dass der Gerichtsvollzieher auch im Rahmen seiner Tätigkeit nach § 813 ZPO über die Vorschrift des § 766 ZPO der uneingeschränkten Sachaufsicht durch das Vollstreckungsgericht unterliegt. Danach kann die Unrichtigkeit einer Schätzung durch den Gerichtsvollzieher mit einer Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO geltend gemacht werden.
35
f) Das LG Essen hat in einem Beschluss vom 03.04.1956 (NJW 1957, 108) ausgeführt, dass die Parteien mit der Erinnerung nach § 766 ZPO auch sachliche Einwendungen gegen eine nach § 813 ZPO vorgenommene Schätzung eines Sachverständigen geltend machen können. Zwar sei die Schätzung des Pfandgegenstandes allein Sache des Gerichtsvollziehers oder, wenn angeordnet, des Sachverständigen, so dass es dem Vollstreckungsgericht versagt ist, in Abweichung von der Schätzung des Gerichtsvollziehers oder des Sachverständigen den gewöhnlichen Verkaufswert selbst festzusetzen. Das Gericht war gleichwohl der Auffassung, dass nicht nur reine Verfahrensmängel (wie das Unterlassen einer Schätzung überhaupt oder der vorgeschriebenen Zuziehung eines Sachverständigen, der Aufnahme der Schätzung in das Protokoll usw.) mit der Erinnerung nach § 766 ZPO angegriffen werden können. Denn wenn die Parteien an jeglicher sachlichen Einwendung gegen die Schätzung des Sachverständigen gehindert wären, so wären sie bedingungslos der Auffassung des Sachverständigen ausgeliefert, auch wenn ihm offensichtliche Bewertungsfehler unterlaufen. Wenn auch der Sachverständige im Zwangsvollstreckungsverfahren – anders als im Erkenntnisverfahren – nicht Gehilfe des Gerichts bei der Rechtsfindung, sondern selbständig in der Bewertung sei, so müsse es mit Rücksicht darauf, dass es sich um ein staatliches Zwangsverfahren handele, als Aufgabe des Gerichts erachtet werden, derjenigen Partei, die durch unsachliche Bewertung in ihren Rechten geschmälert zu werden droht, Schutz zu gewähren. Dem Vollstreckungsgericht müsse auf eine Erinnerung hin gestattet sein nachzuprüfen, ob der Sachverständige nicht gegen die jeweils geltenden Grundsätze der Bewertung verstoßen hat. Gegebenenfalls müsse es befugt sein, den Sachverständigen zu veranlassen, sein Gutachten zu ergänzen, oder die Einholung eines Gutachtens von einem anderen Sachverständigen anzuordnen.
36
g) Die Ausführungen des Landgerichts Essen betrafen zwar die Schätzung durch einen Sachverständigen. Die vom Gericht formulierten Grundsätze können aber auf den Fall der Schätzung durch einen Gerichtsvollzieher übertragen werden. Auch insoweit besteht ein Bedürfnis, die Parteien bei einem fehlerhaften Handeln des Gerichtsvollziehers nicht ohne Rechtsschutzmöglichkeit zu lassen. Mit einer ähnlichen Begründung hat das AG Wolfratshausen in seiner Entscheidung vom 22.05.2023 ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Erinnerung der Schuldnerin bejaht.
37
Der Verweis auf die Antragsmöglichkeit nach § 813 Abs. 1 Satz 3 ZPO stellt keine der Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO gleichzustellende Rechtsschutzmöglichkeit dar. Zunächst ist davon auszugehen, dass diese Antragsmöglichkeit kein Rechtsbehelf ist (vgl. bereits die Ausführungen unter Buchstabe d). Des Weiteren ist die Erholung einer Sachverständigenschätzung mit einem Kostenaufwand verbunden. Vielfach wird die Erholung einer solchen Schätzung auch zeitaufwändiger sein als die Schätzung durch den Gerichtsvollzieher. Vor diesem Hintergrund ist über eine Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO regelmäßig einfacher und kostengünstiger Rechtsschutz zu erlangen als durch die Erholung einer Schätzung eines Sachverständigen.
38
Zwar hat die Hinzuziehung eines Sachverständigen den Vorteil, dass eine sachkundige und damit regelmäßig genauere Bewertung erfolgen kann. Das Gesetz hat aber die Hinzuziehung eines Sachverständigen nur in den Fällen des § 813 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 ZPO als Regelfall vorgesehen. Die Schätzung durch einen Gerichtsvollzieher ermöglicht demgegenüber in anderen Fällen eine regelmäßig ausreichende und schnellere, sowie kostengünstigere Bewertung. Dann erscheint es aber auch verfahrensökonomisch sinnvoll, einem Gerichtsvollzieher im Rahmen eines Erinnerungsverfahrens eine Korrektur von einfachen oder offensichtlichen Verfahrensfehlern zu ermöglichen, wenn auf diese Weise ein angemessenes Ergebnis erreicht werden kann. Wenn die Parteien demgegenüber der Meinung sind, dass eine solche Selbstkorrektur nicht zielführend ist, weil der Gerichtsvollzieher nicht über ausreichende Sachkunde verfügt, so ist es ihnen unbenommen, statt der Erinnerung einen Antrag nach § 813 Abs. 1 Satz 3 ZPO zu stellen. Eine Notwendigkeit dieses dann gegebene Wahlrecht zwischen der Erhebung einer Erinnerung und eines Antrags auf Schätzung durch einen Sachverständigen einzuschränken, ist nicht gegeben.
39
Der gegen die Zulässigkeit der Erinnerung erhobene Einwand, dass das Vollstreckungsgericht nicht über ausreichende Sachkunde verfüge, um im Erinnerungsverfahren anstelle des Gerichtsvollziehers eine Schätzung vorzunehmen, überzeugt nicht. Zwar ist richtig, dass das Vollstreckungsgericht ohne sachkundige Beratung regelmäßig nicht in der Lage sein wird, den Wert eines Pfandgegenstandes festzustellen. Weiter ist es auch gehindert, von Amts wegen einen Sachverständigen beizuziehen, da das Gesetz in § 813 Abs. 1 S. 3 ZPO die Hinzuziehung eines Sachverständigen nur aufgrund eines Antrages der Parteien vorsieht. Das Vollstreckungsgericht kann aber im Erinnerungsverfahren verhindern, dass im weiteren Vollstreckungsverfahren, namentlich im Versteigerungsverfahren, ein fehlerhaft ermittelter bzw. geschätzter Wert des Pfandgegenstandes zugrunde gelegt und insbesondere das Mindestgebot unrichtig festgelegt wird. Insoweit kann es durch Beschluss anordnen, dass der vom Gerichtsvollzieher geschätzte Wert nicht zugrunde gelegt werden darf. Soweit sich das Gericht an einer eigenen Bewertung gehindert sieht, kann es den Gerichtsvollzieher anweisen, eine neue Schätzung vorzunehmen und hierbei auch bestimmte Verfahrensweisen zu beachten, die geeignet sind, ein zutreffendes Schätzergebnis herbeizuführen (vgl. zum Tenor eines Beschlusses nach § 766 Abs. 1 ZPO Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 766 Rn. 29 f.). Im vorliegenden Fall hat das AG Wolfratshausen in einem Beschluss vom 22.05.2023 auch von dieser Möglichkeit Gebrauch gebracht. Aus der Mitteilung der Gerichtsvollzieherin bereits vom 24.05.2023 ist zu entnehmen, dass auch zeitnah eine Korrektur der Schätzung erfolgen konnte. Das vorliegende Verfahren zeigt damit, dass eine einfache und verfahrensökonomische Korrektur einer fehlerhaften Schätzung des Gerichtsvollziehers infolge eines Erinnerungsverfahrens erreicht werden kann.
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h) Der Einwand des Verfahrensbevollmächtigten des Gläubigers in seinem Schriftsatz vom 26.03.2024, wonach der Gesetzgeber in § 813 Abs. 1 S. 3 ZPO den Parteien ausdrücklich das Recht eingeräumt habe, die Erholung eines Sachverständigengutachtens zu beantragen, um ein sachkundiges Schätzergebnis zu erzielen, er aber gerade kein Wahlrecht zwischen Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO und dem Antragsrecht nach § 813 Abs. 1 S. 3 ZPO geschaffen habe, überzeugt nicht. Die Vorschrift des § 813 Abs. 1 ZPO ist in den Jahren 1952/1953 geschaffen worden und im Jahr 1953 in Kraft getreten. Aus der Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiet der Zwangsvollstreckung vom 05.04.1952, welches die Einführung der Vorschrift des § 813 Abs. 1 ZPO vorsah, ist zu entnehmen, dass die Vorschrift im Zusammenwirken mit der Bestimmung des § 817a ZPO über das Mindestgebot bei Versteigerung, einen Schutz gegen die Verschleuderung von Pfandsachen gewährleisten sollte. Näher Ausführungen zum Rechtscharakter des Antragsrechts nach § 813 Abs. 1 S. 3 ZPO und seinem Verhältnis zum Rechtsbehelf der Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO enthält die Gesetzesbegründung nicht.
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Insbesondere ist ihr nicht zu entnehmen, dass die Erinnerung neben dem Antragsrecht nach § 813 Abs. 1 S. 3 ZPO unzulässig sein sollte. Es kommt in Betracht, dass bei Einführung der Norm hier gar kein Spannungsverhältnis zur Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO gesehen wurde. Dann aber besteht auch keine Veranlassung anzunehmen, dass das Antragsrecht nach § 813 Abs. 1 S. 1 ZPO nach dem Willen des Gesetzgebers der Zulässigkeit der Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO entgegenstehen soll.
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4. Die Erinnerung der Schuldnerin war begründet. Die Schätzung durch die Gerichtsvollzieherin war in mehrerlei Hinsicht verfahrensfehlerhaft und hatte zu einem fehlerhaften Schätzergebnis geführt. Das AG Wolfratshausen hat daher in seinem Beschluss vom 22.05.2023 zu Recht angeordnet, dass die Gerichtsvollzieherin eine neue Schätzung unter Beachtung zutreffender Schätzgrundlagen vorzunehmen hat.
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a) Die Gerichtsvollzieherin hat die beiden Sättel am 10.03.2022 gem. § 808 Abs. 1 ZPO durch Inbesitznahme gepfändet. Die Pfändung war unbeschadet der Vorschrift des § 811 Abs. 1 Nr. 1 b) ZPO nach § 811 Abs. 2 S. 1 ZPO zulässig, da der Gläubiger die beiden Sättel unter Eigentumsvorbehalt an die Schuldnerin verkauft hatte.
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b) Bei der Pfändung war die Schätzung des Wertes der Sättel abweichend von § 813 Abs. 1 S. 1 ZPO und § 82 Abs. 6 S. 1 GVGA unterblieben. Bei der im November 2022 vorgenommenen und von der Schuldnerin im hiesigen Verfahren angegriffenen Schätzung der Gerichtsvollzieherin handelte es sich um die Nachholung einer Schätzung nach § 813 Abs. 2 S. 1 ZPO. Hierbei bedarf es keiner Entscheidung dazu, ob die Schätzung im Sinne der Vorschrift unverzüglich vorgenommen worden war. Sie ist jedenfalls verfahrensfehlerhaft erfolgt und hat in der Folge zu einer fehlerhaften Bewertung geführt.
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c) Das AG Wolfratshausen hatte der Gerichtsvollzieherin bereits mit Beschluss vom 14.09.2022 untersagt, die beiden Sättel im Wege des freihändigen Verkaufs zu einem Stückpreis von 800 € zu veräußern. In der Begründung hatte es darauf hingewiesen, dass die Sättel lediglich zwei Jahre alt waren und einen Neupreis von 3.390 € (netto) pro Sattel hatten, so dass der vorgesehene Verkaufspreis von 800 € als unangemessen niedrig anzusehen war. Die Entscheidung ist, da keine Rechtsmittel erhoben wurden, rechtskräftig geworden. Sie war daher von der Gerichtsvollzieherin im November 2022 zu beachten. Auch wenn die Entscheidung nicht unmittelbar die Schätzung nach § 813 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 ZPO betraf, war ihr doch zu entnehmen, dass ein Wertansatz von 800 € als unangemessen niedrig gelten muss. Gleichwohl hat die Gerichtsvollzieherin unter Nichtbeachtung der Entscheidung des AG Wolfratshausen vom 14.09.2022 den Wert auf 500 € geschätzt. Auch wenn sie die von ihr erholte Auskunft des Fachunternehmens für Reitsport für zutreffend erachtet haben sollte, hätte sie aufgrund der vorangegangenen Entscheidung des AG Wolfratshausen den Wert nicht unter 800 € je Sattel ansetzen dürfen.
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d) Es liegt ein weiterer Verfahrensfehler darin, dass die Gerichtsvollzieherin die Bewertung des Fachunternehmens übernommen hat, obgleich das Unternehmen erkennbar von einem Alter der Sättel von 6 bis 7 Jahren ausging, das wahre Alter aber nur etwa 2 Jahre betrug. Die Schätzung beruhte damit auf einer falschen Tatsachengrundlage. Entgegen der Auffassung des Gläubigers handelt es sich hierbei um einen für die Bewertung wesentlichen Umstand. Es ist davon auszugehen, dass das Alter einer Sache in der Regel einen bedeutsamen wertbildenden Faktor darstellt. Umstände dafür, dass das Alter im vorliegenden Fall ausnahmsweise ohne wesentliche Bedeutung gewesen wäre, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil hat das Fachgeschäft bei seiner Bewertung ausdrücklich auf das von ihm angenommene Alter hingewiesen und ihm damit eine erhebliche Bedeutung für die Schätzung des Wertes zuerkannt. Der Gerichtsvollzieherin war bekannt, dass das Alter der Sättel nur etwa zwei Jahre betrug. Es oblag ihr daher nach Vorlage der Auskunft des Fachgeschäfts diesem gegenüber, das wahre Alter richtigzustellen und eine ergänzende Auskunft und gegebenenfalls Korrektur der Schätzung zu veranlassen. Die Gerichtsvollzieherin hat dies unterlassen. Auch hierin liegt ein Verfahrensfehler.
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e) Des weiteren oblag es der Gerichtsvollzieherin im Rahmen der von ihr vorzunehmenden Schätzung, die ihr bekannten und für die Bewertung wesentlichen Umstände zu berücksichtigen.
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Hierzu gehörte es auch, den Neupreis von 3.390 € netto je Sattel, zu dem die Schuldnerin im Jahr 2020 gekauft hatte, in die Betrachtung einzubeziehen. Indes hat sie dies ebenfalls unterlassen. In ihrem Schreiben vom 16.02.2023 hat sie mitgeteilt, dass dem Fachunternehmen bei Schätzung der Sättel die vom Gläubiger an die Schuldnerin gestellte Rechnung vom 30.10.2020 nicht vorlag und das Fachunternehmen die Sättel lediglich besichtigt habe. Hieraus ist zu entnehmen, dass die Gerichtsvollzieherin dem zur Bewertung hinzugezogenen Fachunternehmen den Neupreis der Sättel nicht mitgeteilt hat. Der Neupreis ist daher bei der Schätzung nicht berücksichtigt worden. Auch insoweit liegt ein Verfahrensfehler vor.
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f) Die Verfahrensfehler haben sich auf die Schätzung ausgewirkt und zu einer unangemessen niedrigen Bewertung der Sättel geführt. Das AG Wolfratshausen hat daher in seinem Beschluss vom 22.05.2023 zu Recht festgestellt, dass die Schätzung durch die Gerichtvollzieherin verfahrensfehlerhaft war und das Schätzergebnis daher nicht berücksichtigt werden kann. Es hat daher die Gerichtsvollzieherin zu Recht angewiesen, eine erneute Schätzung vorzunehmen.
50
5. Das AG Wolfratshausen hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu Recht nach § 91 Abs. 1 ZPO dem Gläubiger auferlegt. Soweit der Gläubiger geltend macht, dass dies unbillig sei, da er die Verfahrensfehler bei der Schätzung nicht zu vertreten habe, ist darauf hinzuweisen, dass das Gesetz diese Kostenfolge regelt und keine Billigkeitsentscheidung vorsieht. Insbesondere kommt nicht in Betracht, der Gerichtsvollzieherin Kosten aufzuerlegen (vgl. Musielak/Voit/Lackmann, 21. Aufl. 2024, ZPO, § 766 Rn. 31).
III.
51
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
52
Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 568 S. 2 Nr. 2 ZPO). Die Rechtsfrage, ob gegen die Schätzung des Wertes eines Pfandgegenstandes durch einen Gerichtsvollzieher gemäß §§ 813 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 S. 1 ZPO der Rechtsbehelf der Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO zulässig ist oder nur ein Antrag auf Erholung eines Sachverständigengutachtens nach § 813 Abs. 1 Satz 3 ZPO gestellt werden kann, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt und ist im Schrifttum umstritten. Eine höchstrichterliche Klärung dieser Rechtsfrage gibt es bisher nicht.