Titel:
Ärzte-ZV, Vertragsarztsitz, Bundesmantelvertrag, Widerspruchsbescheid, Ärztliche Leitung, vertragsärztliche Versorgung, Nebenbestimmung, Hauptverwaltungsakt, Einwirkungsmöglichkeit, Verwaltungsakt, Inhaltsbestimmung, Kassenärztliche Vereinigung, Notwendige Beiladung, angestellte Ärzte, Ärztlicher Leiter, Zweigpraxis, Vertragsärztliche Zulassung, Kostenentscheidung, Betriebsstätte, Filialen
Leitsatz:
Zur Frage der Rechtmäßigkeit einer Auflage zur Genehmigung einer Filiale gemäß § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV, wonach die ärztliche Leitung des MVZ an mindestens zwei Werktagen in der Filiale tätig werden muss.
Schlagworte:
Klagezulässigkeit, Klagebegründetheit, Filialgenehmigung, Auflage, Rechtsgrundlage, Nebenbestimmung, Zuständigkeitsverteilung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 24017
Tenor
I. Die Auflage unter Ziffer II. im Bescheid vom 29.11.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2022 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
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Zwischen den Beteiligten ist die Auflage zur Genehmigung einer Filiale gemäß § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV, wonach die ärztliche Leitung des MVZ an mindestens zwei Werktagen in der Filiale tätig werden muss, streitig.
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Die Klägerin ist Trägerin des MVZ P-Stadt. Vertragsarztsitz des MVZ, dessen ärztlicher Leiter mittlerweile M. als Nachfolger von P. ist, ist P-Stadt.
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Mit Antrag vom 05.10.2021 beantragte die Klägerin für das MVZ P-Stadt die Genehmigung zur vertragsärztlichen Tätigkeit in der Filiale am Standort K-Straße, A-Stadt.
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Zur Begründung führte sie an, dass S., die bisher eine onkologische Einzelpraxis in der K-Straße, A-Stadt betreibe, beabsichtige, auf ihre vertragsärztliche Zulassung zu verzichten, um mit Wirkung ab dem 01.01.2022 im Umfang eines vollen Versorgungsauftrages für das klägerische MVZ tätig zu werden. Ihre bisherige Tätigkeit an dem Standort K-Straße, A-Stadt wolle sie ab dem 01.01.2022 als angestellte Ärztin des MVZ fortführen.
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Mit Bescheid vom 29.11.2021 erteilte die Beklagte der Klägerin für das MVZ A-Stadt die Genehmigung zur Erbringung vertragsärztlicher Leistungen am Standort K-Straße in A-Stadt. Die Genehmigung wurde u.a. unter der Auflage (Ziffer II.) erteilt, dass die ärztliche Leitung des MVZ an mindestens zwei Werktagen ebenfalls in der Filiale tätig werde und zwar in einem solchen zeitlichen Umfang, dass eine Beurteilung über das Verhalten der Mitarbeiter aus eigener Anschauung möglich sei. Die Filiale könne sowohl mit einer qualitativen wie auch mit einer quantitativen Versorgungsverbesserung begründet werden, so dass die Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV erfüllt seien. Die im Rahmen der Auflage in Ziffer II. des Bescheides auferlegten Verpflichtungen beruhten auf § 95 Abs. 1 Satz 3 1. HS SGB V und der Entscheidung des BSG vom 14.12.2011 (B 6 KA 33/10 R). Demnach müsse der ärztliche Leiter eines MVZ die Verantwortung für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe und eine Gesamtverantwortung gegenüber der KV übernehmen. Er habe den ordnungsgemäßen Ablauf der vertragsärztlichen Versorgung im MVZ zu gewährleisten. Die Wahrnehmung von Leitungsfunktionen und die dazu notwendige tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit erforderten zunächst ärztliche Präsenz. Dabei sei eine Einbindung in die Strukturen des MVZ erforderlich, wie sie nur durch eigene ärztliche Tätigkeit gewährleistet werden könne. Hinreichende tatsächliche Einwirkungsmöglichkeiten habe ein Arzt nur dann, wenn er selbst in die Arbeitsabläufe eingebunden sei und aus eigener Anschauung das Verhalten der Mitarbeiter beurteilen könne (BSG, a.a.O., Rn. 18f.). In die Prüfung, ob der ärztliche Leiter diese Voraussetzungen erfülle, sei eingeflossen, dass der ärztliche Leiter über ein identisches Leistungsangebot, wie am Filialstandort geplant, verfüge. Demnach bestehe die Möglichkeit, dass der ärztliche Leiter in den laufenden Praxisbetrieb der Betriebsstätte in A-Stadt migriert werde und sich so von den dort eingesetzten Ärzten ein Bild machen könne. Wegen der von dem BSG festgelegten Anforderung, dass eine hinreichende tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit nur ein solcher ärztlicher Leiter habe, der aus eigener Anschauung das Verhalten der Mitarbeiter beurteilen könne, sei die Auflage aufzunehmen gewesen, dass die ärztliche Leitung des MVZ zwingend an mindestens zwei Werktagen in der MVZ-Betriebsstätte in A-Stadt tätig sein müsse und zwar in einem solchen zeitlichen Umfang, dass die vom BSG geforderte Beurteilung möglich sei. Zudem müsse der ärztliche Leiter in der Lage sein, bei Problemen im Betriebsablauf der geplanten Filiale unmittelbar korrigierend eingreifen zu können. Dies mache es erforderlich, dass der ärztliche Leiter auch sehr kurzfristig die in A-Stadt geplante Filiale aufsuchen können müsse.
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Die Klägerin legte Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.11.2021, beschränkt auf die in Ziffer II. festgesetzte Auflage, ein.
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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2022 zurück. Die Auflage treffe keine von dem Hauptverwaltungsakt zu unterscheidende zusätzliche Regelung, sondern definiere den Inhalt des Hauptverwaltungsaktes. Da die Auflage mit dem Hauptverwaltungsakt inhaltlich verbunden sei, sei sie eine Inhaltsbestimmung. Die Auflage sei damit nicht isoliert anfechtbar. Im Übrigen habe die Genehmigung der Filiale nur mit einer Auflage erteilt werden können. Die Auflage solle zum einen die Erfüllung der Versorgungspflichten des Vertragsarztes am Vertragsarztsitz in P-Stadt und zum anderen in der Filiale in A-Stadt sichern. Die Filiale in A-Stadt befinde sich vom Standort des MVZ P-Stadt ca. 83,35 km bei einer Fahrzeit von ca. 1 Stunde 13 Minuten entfernt. Eine Entfernung dieses Umfangs sei mit der durch das BSG geforderten tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeit des ärztlichen Leiters im MVZ in der Filiale in A-Stadt nicht in Einklang zu bringen. Aus Sinn und Zweck der Auflage folge, dass der ärztliche Leiter mindestens zwei Werktage in der Woche in der Filiale selbst tätig sein müsse. Die Auflage genüge auch dem Bestimmtheitsgebot. Die Beklagte habe nach Abwägung der räumlichen Distanz zwischen dem Vertragsarztsitz und der Filiale sowie der dargestellten besonderen Verantwortung, welche die ärztliche Leitung eines MVZ trage, insbesondere bei einer ausschließlichen Tätigkeit der angestellten Ärztin in der Filiale, entschieden, die Filialgenehmigung mit einer Auflage zu verbinden. Die Auflage sei bei der hier gegebenen räumlichen Distanz geeignet, erforderlich und angemessen, die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit, konkret die Einbindung des ärztlichen Leiters, in die Betriebsabläufe der Filiale zu gewährleisten.
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Die Klägerin hat am 22.04.2022 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Bei der strittigen Regelung handele es sich entgegen der Auffassung des Widerspruchsausschusses der Beklagten um eine Auflage und nicht um eine Inhaltsbestimmung. Der Hauptverwaltungsakt beziehe sich auf die Genehmigung zur Tätigkeit an einem weiteren Ort für das MVZ und die Auflage enthalte eine zusätzliche Regelung zur Tätigkeit des ärztlichen Leiters. Die Auflage diene nicht der Erfüllung der Versorgungspflichten des Vertragsarztes. Sinn und Zweck der Regelung unter Ziffer II. sei die Überwachung des ärztlichen Personals und die Sicherstellung einer hinreichenden Einwirkungsmöglichkeit des ärztlichen Leiters in der Filiale A-Stadt. Dies betreffe jedoch die Binnenstruktur und die Zulassungsvoraussetzungen eines MVZ, die Sache des Zulassungsausschusses seien. Die Beklagte sei für die Entscheidung über die ärztliche Leitung eines MVZ unzuständig; schon aus diesem Grund sei die Auflage rechtswidrig. Die Beklagte habe zudem die Anforderungen an die ärztliche Leitung eines MVZ überspannt. Eine solche Auflage hätte faktisch auch die zahlenmäßige Begrenzung der Filialstandorte eines MVZ zur Folge. Auch dürften die Einwirkungsmöglichkeiten auf Betriebsabläufe an einem Praxisstandort in Zeiten moderner Kommunikationsmittel und Datenverarbeitung nicht an der Kilometerzahl oder Fahrzeit zu bemessen sein. Die Auflage widerspreche zudem der Möglichkeit, eine Filiale ausschließlich mit einem angestellten Arzt zu betreiben (§ 15a Abs. 6 Satz 2 BMV-Ä).
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Die Klägerin beantragt,
Die Auflage unter Ziffer II. im Bescheid vom 29.11.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2022 wird aufgehoben.
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Die Beklagte beantragt,
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Sie weist darauf hin, dass die Auflage sicherstellen solle, dass die Versorgungsverbesserung als gesetzliche Voraussetzung der Filialgenehmigung kontinuierlich erfüllt werde. Bei einem MVZ sei eine Versorgungsverbesserung ohne die geforderte Präsenz des ärztlichen Leiters in der Filiale in Frage zu stellen. Die Beurteilung der Versorgungsverbesserung könne nicht losgelöst von der Prüfung erfolgen, ob die Gefahr bestehe, dass die Leistungserbringung in der Filiale der ärztlichen Leitung des MVZ entzogen sei. Eine Filialgenehmigung dürfe nicht der höherrangigen Regelung des § 95 Abs. 1 Satz 3 SGB V und dem mit dieser Regelung verfolgten Schutzzweck entgegenstehen. Bereits aus dem Wortlaut von § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV „vertragsärztliche Tätigkeiten an weiteren Orten“ sei abzuleiten, dass die Versorgung an den weiteren Orten sämtliche rechtliche Voraussetzungen für die vertragsärztliche Versorgung erfüllen müsse, mithin auch eine ausreichende ärztliche Leitung des MVZ. Allein der Einsatz von moderner Praxis-IT sowie die Abhaltung von Videobesprechungen und eine sporadische Anwesenheit des ärztlichen Leiters genügten für die Gewährleistung der ärztlichen Leitung in der Filiale nicht.
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Im Laufe des Rechtsstreits ist O. als ärztlicher Leiter der Filiale in A-Stadt benannt worden.
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Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet. Die Auflage unter Ziffer II. im Bescheid der Beklagten vom 29.11.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Auflage unter Ziffer II. („Die Genehmigung wird unter der Auflage erteilt, dass die ärztliche Leitung des MVZ an mindestens zwei Werktagen ebenfalls in der Filiale tätig wird und zwar in einem solchen zeitlichen Umfang, dass eine Beurteilung über das Verhalten der Mitarbeiter aus eigener Anschauung möglich ist.“) war daher aufzuheben.
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Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der fristgemäß eingelegten Klage liegen allesamt vor. Vorliegend hat die Beklagte die begehrte Filialgenehmigung mit einer Nebenbestimmung versehen. Die Nebenbestimmung kann von der Klägerin isoliert mit der Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 SGG angefochten werden (BSG, Urteil vom 05.11.2003, Az. B 6 KA 2/03 R, Rn 18; Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. (Stand: 28.05.2024), § 95 Rn. 640).
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Eine Beiladung der Krankenkassenverbände war vorliegend nicht notwendig, da alleiniger Streitgegenstand die Rechtmäßigkeit der Auflage ist, es also nicht mehr um die (bestandskräftige) Genehmigung der Zweigpraxis an sich geht (vgl. zur notwendigen Beiladung in Verfahren, in denen die Genehmigung einer Zweigpraxis durch die KÄV streitig ist, BSG, Urteil vom 16.12.2015, Az. B 6 KA 37/14 R, Rn. 14f.).
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Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Filialgenehmigung gem. § 24 Abs. 3 Satz 6 Ärzte-ZV ohne Auflage. Eine Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Auflage existiert nicht.
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Gem. § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV sind vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten zulässig, wenn und soweit
1. dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und
2. die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird; geringfügige Beeinträchtigungen für die Versorgung am Ort des Vertragsarztsitzes sind unbeachtlich, wenn sie durch die Verbesserung der Versorgung an dem weiteren Ort aufgewogen werden. Sofern die weiteren Orte im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung liegen, in der der Vertragsarzt Mitglied ist, hat er bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 Anspruch auf vorherige Genehmigung durch seine Kassenärztliche Vereinigung (§ 24 Abs. 3 Satz 6 Ärzte-ZV).
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Da die Genehmigung ein Verwaltungsakt ist, auf den gem. § 24 Abs. 3 Satz 6 Ärzte-ZV bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 ein Anspruch besteht, darf er gem. § 32 Abs. 1 SGB X mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden.
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Klarstellend weist das Gericht darauf hin, dass die in Streit stehende Regelung gem. Ziffer II. des Bescheides vom 29.11.2021 eine Auflage gem. § 32 Abs. 2 Nr. 4 SGB X und nicht lediglich eine Inhaltsbestimmung darstellt. Bei einer Inhaltsbestimmung handelt es sich um solche Bestandteile der Regelung, die den Inhalt der Regelung des VA näher umschreiben, also angeben, wie weit die Regelung reicht. Inhaltsbestimmungen sind nicht selbständig angreifbar, da der VA ohne sie zu unbestimmt wird (Engelmann in: Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 32 Rn. 4 m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Filialgenehmigung ist ohne die Ziffer II., die dem klägerischen MVZ in der Person der ärztlichen Leitung ein Tun in Form des regelmäßigen Tätigwerdens in der Filiale vorschreibt, nicht zu unbestimmt. Es handelt sich somit um eine Auflage i.S.d. § 32 Abs. 2 Nr. 4 SGB X.
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Die streitgegenständliche Auflage ist nicht durch Rechtsvorschrift i.S.d. § 32 Abs. 1 1. Alt. SGB X zugelassen. Als derartige Rechtsvorschrift kommt vorliegend nur die Regelung des § 24 Abs. 4 Satz 1 Ärzte-ZV in Betracht. Diese stellt aber keine ausreichende Rechtsgrundlage dar:
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Zwar kann nach § 24 Abs. 4 Satz 1 Ärzte-ZV die Genehmigung zur Aufnahme weiterer vertragsärztlicher Tätigkeiten nach Absatz 3 mit Nebenbestimmungen erteilt werden, wenn dies zur Sicherung der Erfüllung der Versorgungspflicht des Vertragsarztes am Vertragsarztsitz und an den weiteren Orten unter Berücksichtigung der Mitwirkung angestellter Ärzte erforderlich ist. § 24 Abs. 4 Satz 2 Ärzte-ZV bestimmt, dass das Nähere hierzu einheitlich in den Bundesmantelverträgen zu regeln ist.
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Danach haben die Partner der Bundesmantelverträge die Einzelheiten zur Aufnahme weiterer vertragsärztlicher Tätigkeiten, insbesondere in welchem Umfang der Vertragsarzt zur Erfüllung seiner Leistungspflichten am Vertragsarztsitz und an dem weiteren Ort angestellte Ärzte unter Berücksichtigung seiner Leitungs- und Überwachungspflicht einsetzen kann, einheitlich zu regeln (vgl. Pawlita, ebenda, § 95 Rn. 567).
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Früher regelte das Nähere i.S.v. § 24 Abs. 4 Satz 2 Ärzte-ZV die mittlerweile aufgehobene Vorschrift des § 17 Abs. 1a Satz 6 BMV-Ä, wonach zur Sicherung der Versorgungspräsenz am Vertragsarztsitz und den weiteren Orten Mindest- und/oder Höchstzeiten an den weiteren Orten festgelegt werden sollten (vgl. Rademacker in: Rolfs/Körner/Krasney/Mutschler, Kasseler Kommentar (Stand 01.08.2019), § 95 Rn. 43).
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Zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids der Beklagten – und noch heute – enthalten die Bundesmantelverträge lediglich auf der Grundlage der Ermächtigung in § 24 Abs. 4 Satz 2 Ärzte-ZV geregelte Beschränkungen in zeitlicher Hinsicht für die Aufteilung der Tätigkeit am Vertragsarztsitz und den Nebenbetriebsstätten (vgl. Pawlita, ebenda, § 95 Rn. 569). Für MVZ folgt aus § 17 Abs. 1a Satz 5 BMV-Ä i.V.m. 24 Abs. 3 Satz 5 Ärzte-ZV, dass in Fällen der Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit an mehreren Orten die Tätigkeit am Vertragsarztsitz zeitlich insgesamt überwiegen muss. Das bedeutet, dass nur die Summe der Tätigkeiten aller ärztlichen Mitarbeiter des MVZ am Hauptsitz größer sein muss als an den Nebenbetriebsstätten (Pawlita, ebenda, § 95 Rn. 577 m.w.N.). Darüberhinausgehende Regelungen zur Beschränkung für Tätigkeiten von MZV an weiteren Standorten enthält der BMV-Ä nicht.
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Systematisch ergibt sich aus § 24 Abs. 4 Ärzte-ZV, dass die nach Satz 1 grundsätzlich zugelassenen Nebenbestimmungen auf gem. Satz 2 konkretisierenden Regelungen des BMV-Ä basieren müssen. Denn das Nähere „hierzu“, also zur Sicherung der Erfüllung der Versorgungspflicht des Vertragsarztes am Vertragsarztsitz und an den weiteren Orten unter Berücksichtigung der Mitwirkung angestellter Ärzte (vgl. § 24 Abs. 4 Satz 1 Ärzte-ZV), ist von den Partnern der Bundesmantelverträge zu regeln (vgl. § 24 Abs. 4 Satz 2 SGB V).
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Der Verordnungsgeber hat damit ausdrücklich die Partner der Bundesmantelverträge beauftragt und ermächtigt („ist…zu regeln“), Näheres zu regeln. Vorliegend enthält der BMV-Ä keine gem. § 24 Abs. 4 Satz 2 Ärzte-ZV ausgestaltende Regelung zur Frage der Präsenz der ärztlichen Leitung von MZV in Zweigpraxen. Offensichtlich sahen die Partner der Bundesmantelverträge diesbezüglich bisher keine Regelungsnotwendigkeit. In einer derartigen Situation widerspricht es der in § 24 Abs. 4 Ärzte-ZV vorgesehenen Zuständigkeitsverteilung, wenn die Beklagte hier in Form einer Auflage Vorgaben macht, für die – jedenfalls dem Grunde nach – die Partner der Bundesmantelverträge zuständig sind.
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Dies hat zur Überzeugung der Kammer zur Folge, dass die Filialgenehmigung von Seiten der Beklagten nicht auf Grundlage von § 24 Abs. 4 Satz 1 Ärzte-ZV mit einer Auflage, die die Präsenzpflicht bzw. die Pflicht zum „Tätigwerden“ an zwei Werktagen – in der Woche – (s. zur Klarstellung die Ausführungen im Widerspruchsbescheid; vgl. hierzu auch Mutschler in: Rolfs/Körner/Krasney/Mutschler, Kasseler Kommentar (Stand 01.05.2021), § 33 Rn. 4) der ärztlichen Leitung in der Filiale regelt, versehen werden kann.
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Im Übrigen liegt auch kein Fall des § 32 Abs. 1 2. Alt. SGB X vor. Zwar schließt § 24 Abs. 4 Satz 1 Ärzte-ZV eine Anwendung der Vorschrift des § 32 Abs. 1 2. Alt. SGB X nicht aus (Ladurner, Ärzte-ZV, § 24 Rn. 70 m.w.N.). Mit der streitgegenständlichen Auflage soll aber nicht sichergestellt werden, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden.
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Schon aus der Begründung im Bescheid vom 29.11.2021 ergibt sich, dass die Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV unstreitig erfüllt sind und die im Rahmen der Auflage in Ziff. II. des Bescheids auferlegte Verpflichtung auf § 95 Abs. 1 Satz 3 1. HS SGB V und der Entscheidung des BSG (Urteil vom 14.12.2011, Az. B 6 KA 33/10 R) beruhen. Die Auflage dient damit augenscheinlich nicht dazu, sicherzustellen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen gem. § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV erfüllt sind.
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Aus den genannten Gründen war der Klage stattzugeben.
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Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.