Titel:
Vergabe von Altpapier-Entsorgungsdienstleistungen mittels elektronischer Auktion
Normenketten:
VgV § 15, § 25 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 26 Abs. 5, Abs. 8, § 31, § 60
GWB § 120 Abs. 2 S. 2, § 121 Abs. 1 S. 1
Öffentliche-Auftragsvergabe-RL Art. 35 Abs. 7, Abs. 9, Art. 53 Abs. 2
VerpackG § 22
Leitsätze:
1. Öffentliche Auftraggeber haben im Vergabeverfahren rechtzeitig gestellte, auftragsbezogene Fragen der Bieter zutreffend und unter Beachtung des Geheimnisschutzes zu beantworten (hier zu dem Umstand, dass die Abstimmungsvereinbarung zwischen öffentlich-rechtlichem Entsorgungsträger und den Betreibern dualer Systeme im Ausschreibungszeitpunkt bereits ausgelaufen und eine neue Vereinbarung noch nicht abgeschlossen war). (Rn. 25 – 51)
2. Nach Durchführung einer elektronischen Auktion sind die finalen Angebote unter den Voraussetzungen des § 60 VgV einer Auskömmlichkeitsprüfung zu unterziehen. (Rn. 53 – 80)
3. Nach den nationalen Bestimmungen über die Durchführung elektronischer Auktionen sind die öffentlichen Auftraggeber nicht verpflichtet, den an der Auktion teilnehmenden Bietern neben ihrem jeweiligen Rang auch die Gesamtanzahl der an der Auktion beteiligten Wettbewerber mitzuteilen. (Rn. 81 – 89)
4. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob die Zuweisung des Risikos schwankender Altpapiermengen an den Bieter ausnahmsweise eine kaufmännisch vernünftige Angebotskalkulation unzumutbar macht (hier verneint). (Rn. 99 – 110)
Schlagworte:
Auskunftspflicht, Abstimmungsvereinbarung, Herausgabeansprüche, Kalkulationsrelevanz, Zuschlagschancen, Bieteranfragen, Verstoß gegen Vergaberecht, Auskömmlichkeitsprüfung, Informationsgefälle, Gleichbehandlung, Wettbewerbsverzerrung, Unangemessenheit des Preises, Eignungsprüfung, Transparenz, elektronische Auktion, Geheimnisschutz, Durchführung elektronischer Auktionen, Rangstelle
Vorinstanz:
Vergabekammer München, Beschluss vom 12.10.2023 – 3194. Z3-3_01-23-31
Fundstelle:
BeckRS 2024, 23987
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 12. Oktober 2023, 3194.Z3-3_01-23-31, in Ziffern 1., 2. und 4. aufgehoben.
II. Der Antragsgegnerin wird untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.
III. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das mit Auftragsbekanntmachung vom 10. Mai 2023 (…) eingeleitete Verfahren mit elektronischer Auktion in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen und ab diesem Zeitpunkt unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen.
IV. Von den Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich des Eilverfahrens gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB und von den Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer haben die Antragstellerin und die Antragsgegnerin jeweils die Hälfte zu tragen. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen und die im Beschwerdeverfahren angefallenen außergerichtlichen Kosten hat jede Verfahrensbeteiligte selbst zu tragen.
V. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 50.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Mit Auftragsbekanntmachung vom 5. Mai 2023 (veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 10. Mai 2023 unter Nr. …) schrieb die Antragsgegnerin, eine öffentliche Auftraggeberin, unter Einschaltung des Abfallwirtschafts- und Stadtreinigungsbetriebs der Stadt … (…) eine Entsorgungsdienstleistung betreffend die Verwertung und Vermarktung von Altpapier (PPK) europaweit im offenen Verfahren unter Durchführung einer elektronischen Auktion aus. Der nicht verlängerbare Auftrag sollte vom 1. November 2023 bis zum 31. Oktober 2024 laufen. Alleiniges Zuschlagskriterium war der Preis. Zur Teilnahme an der Auktion waren alle Bieter zugelassen, die nach dem Ergebnis einer vollständigen Bewertung ihres Erstangebots die vorgegebenen Kriterien erfüllten. Nach Abschluss der Auktion sollten die in der Auktion abgegebenen Gebote einer nochmaligen Angemessenheitsprüfung unterzogen werden.
2
In der Bekanntmachung wurden zur Beschreibung des Auftrags die sechsstellige Abfallschlüsselnummer 200101 (Papier und Pappe) gemäß Anlage zu § 2 Abs. 1 der Abfallverzeichnis-Verordnung (AVV) sowie das Gewicht der vom Auftrag betroffenen Sammelmenge, ausgewiesen in zwei Teilmengen, angegeben („14000.00 Tonnen AVV 200101, 3500.00 Tonnen AVV 200101“). Wegen der vollständigen Informationen einschließlich der vollständigen Auftragsunterlagen wurde auf eine verlinkte Internetseite verwiesen. In den verlinkten Vergabeunterlagen war der sogenannte andienungspflichtige Anteil mit 40,00% angegeben. Zur Stoffbeschreibung der Teilmengen von 14.000 t und 3.500 t wurden die Stoffgruppe jeweils mit „Gruppe 1 – untere Sorten Altpapier“ und der Stoff einerseits mit „1.02.00 – Gemischtes Altpapier, 1.04.00 – Verpackungen aus Papier und Karton, 1.11.00 – Deinkingware“ und andererseits mit „1.02.00 – Gemischtes Altpapier“ bezeichnet. Zur Teilmenge von 3.500 t wurde außerdem erläutert:
3
Diese Stoffmenge ist die durch die Vergabestelle festgelegte andienungspflichtige Stoffmenge.
4
Hinsichtlich dieser Teilmenge war als Gebot lediglich der Entsorgungspreis anzugeben, der sich zusammensetzt aus den „Kosten für Übernahme, Umschlag, Handling, Verladung, Übergabe an den Systembetreiber etc. inkl. Nebenkosten je Stoffmengeneinheit“. Im Übrigen war ein (über die gesamte Vertragslaufzeit fixer) Abschlag bzw. Aufschlag auf den Index „EUWID Gemischte Ballen (1.02)“ anzubieten.
5
Gemäß Leistungsbeschreibung verpflichtete sich die Antragsgegnerin zur Leistung eines in Preis/Tonne angegebenen fixen Transaktionsentgelts an den Auftragnehmer, das in der Kalkulation nicht zu berücksichtigen war.
6
Gemäß den Vertragsbedingungen sollte der Auftragnehmer zur Abnahme der PPKAbfälle verpflichtet sein, die von der Antragsgegnerin als unsortiertes Gemisch an die vom Auftragnehmer zu betreibende Übergabestelle angeliefert werden. Die Mengen von 14.000 t und 3.500 t, gesamt 17.500 t, bezogen sich gemäß Ziffer 7.3 der Vertragsbedingungen auf die Vertragslaufzeit und stellten eine Schätzung dar. Hingewiesen wurde darauf, dass die tatsächlich anfallenden Mengen variieren könnten und dies auch für saisonale Schwankungen gelte. In den Ergänzenden Vertragsbedingungen waren die in den Jahren 2019 bis 2022 angefallenen und monatlich erfassten Sammelmengen, jeweils als Gesamtmengen aus kommunalem und nichtkommunalem Anteil, in einer tabellarischen Übersicht aufgeführt. Des Weiteren wurde die „Menge der zu verwertenden PPK-Abfälle“ wie folgt erläutert:
- Grundsätzlich beinhaltet die Leistung aufgrund fehlender, anderweitiger Zuständigkeit nur die Verwertung des sog. kommunalen Anteils an PPK, d. h. den Anteil des Aufkommens, für dessen Entsorgung die nach Verpackungsgesetz (VerpackG) festgestellten bzw. genehmigten Systembetreiber nicht zuständig sind. Im Rahmen der Verwertung (einschließlich des Transportes von der Übergabestelle des Auftragnehmers bis zur Verwertungsanlage) von PPK ist jedoch zunächst davon auszugehen, dass die gesamte überlassene Abfallmenge an PPK zu übernehmen und zu verwerten ist.
- Soweit die Systembetreiber mit dem Auftraggeber die Bereitstellung eines Systembetreiberanteils vereinbaren, erfolgt die Bereitstellung der betr. Mengen durch den Auftragnehmer; entsprechend ist für die betr. Menge nach Übernahme durch den Systembetreiber der weitere Transport oder die Verwertung nicht Gegenstand dieser Ausschreibung. Die Bereitstellung an die Systembetreiber erfolgt im Normalfall lose als Sammelgemisch. Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass der im Rahmen der Abstimmungsvereinbarung zwischen den Systemen und dem Auftraggeber gegebenenfalls vereinbarte bereitzustellende Systembetreiberanteil dem Auftragnehmer vom Auftraggeber mitgeteilt wird.
- Allerdings wird davon ausgegangen, dass ein Teil der Systembetreiber im Zuge der weiteren Abstimmung gemäß VerpackG mit dem … eine Verwertung des betr. Systembetreiberanteils vereinbart. Aus diesem Grund wird jeweils mitgeteilt, ob und ggf. welcher Anteil der überlassenen Gesamtmenge den betr. Systembetreibern zuzuordnen ist; entsprechend ist dieser Umstand ggf. auch bei der Rechnungslegung zu berücksichtigen. Auf die an anderer Stelle beschriebenen steuerlichen Besonderheiten wird insoweit verwiesen.
7
Die Aufklärungsrüge der Antragstellerin vom 9. Juni 2023, mit der unter anderem um nähere Angaben zum andienungspflichtigen Anteil und zum Inhalt der aktuellen Abstimmungsvereinbarung, konkret der Anlage 7 zur Abstimmungsvereinbarung, zu deren Restlaufzeit bzw. gegebenenfalls zum Verhandlungsstand sowie zum Umfang der von dualen Systemen geltend gemachten Herausgabeansprüche gebeten worden war, beantwortete die Antragsgegnerin am 12. Juni 2023 dahingehend, dass mit „andienungspflichtiger Anteil“ derjenige Anteil im gesammelten Altpapier gemeint sei, bei dem es sich um Altpapier aus Verpackungen handele. Weiter führte sie aus:
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Die 40% stellen den gesamten Anteil dar. Die in der Ausschreibung angegebene Menge von 3.500,00 t ist der Anteil davon, der an die Systembetreiber herausgegeben wird, die Differenz wird mit vermarktet und an die anderen Systembetreiber ausgezahlt. Die Verteilung ist das Ergebnis der letzten Abstimmungsvereinbarung. Es ist mit den dualen Systemen eine Anlage 7 abgeschlossen. Weitere Auskünfte zu den Verträgen zwischen dem Auftraggeber und den dualen Systemen können nicht gegeben werden. Durch Abschluss oder Änderungen der Abstimmungsvereinbarungen zwischen dem/den Systembetreiber(n) und der Stadt … kann sich der o.g. Systembetreiber-Anteil und die jeweilige zu verwertende Menge verändern. Verlangt ein Systembetreiber eine Bereitstellung, erfolgt diese anteilig an der Übergabestelle des Auftragnehmers. Eine Sortierung ist nicht notwendig. Der Auftraggeber stellt dem Systembetreiber seine entsprechende Teilmenge des PPK-Sammelgemisches zur eigenen Vermarktung zur Verfügung.
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Auf die weitere Rüge vom 16. Juni 2023, mit der die Antragstellerin unter anderem die Unzulänglichkeit der Antwort betreffend die Anlage 7 zur Abstimmungsvereinbarung beanstandete und wiederum konkrete Angaben zu Abschluss, Laufzeit und Höhe des vereinbarten Systemanteils, aber auch zu Name und Anzahl derjenigen dualen Systeme, die „aktuell und in der Vergangenheit“ Herausgabeansprüche geltend machen bzw. machten, verlangte, antwortete die Antragsgegnerin am 21. Juni 2023:
10
Der Systembetreiberanteil für die Stadt … beträgt 40% der Gesamterfassungsmasse, der kommunale Anteil entsprechend 60%. Es kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für den gesamten Leistungszeitraum angegeben werden, in welchem Umfang die Systembetreiber die Bereitstellung ihrer Anteile gegenüber dem Auftraggeber tatsächlich verlangen. Die Kalkulation des Auftraggebers beläuft sich aktuell im Leistungszeitraum auf einen durchschnittlichen Anteil von 20% der Gesamterfassungsmasse, der gesondert an die Systeme bereit zu stellen ist und auf einen Anteil von 20% der Gesamterfassungsmasse, der, wie auch der kommunale Anteil (60% Gesamterfassungsmasse), der gemeinsamen Verwertung zugeführt wird. Durch Änderungen der Abstimmungsvereinbarungen zwischen dem/den Systembetreiber(n) und der Stadt … kann sich der o.g. Systembetreiber-Anteil und die jeweilige zu verwertende Menge verändern. Verlangt ein Systembetreiber eine Bereitstellung, erfolgt diese anteilig an der Übergabestelle des Auftragnehmers. Eine Sortierung ist nicht notwendig. Der Auftraggeber stellt dem Systembetreiber seine entsprechende Teilmenge des PPK-Sammelgemisches zur eigenen Vermarktung zur Verfügung. Die geforderten Angaben, welche dualen Systeme Herausgabeansprüche geltend gemacht haben, sind vertraulich und sind deshalb nur den betreffenden Parteien zugänglich.
11
Die Antragstellerin, die diese Auskünfte für unzureichend hielt und daneben erfolglos weitere Rügen erhob, gab – unter Aufrechterhalten ihrer Rügen – ein Erstangebot ab und beteiligte sich an der elektronischen Auktion, bei der nicht sie, sondern die Beigeladene den ersten Rang belegte. In Bezug auf die abschließende Angemessenheitsprüfung hielt die Antragsgegnerin in den Vergabeunterlagen fest:
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Es liegen keine Anhaltspunkte für unangemessen niedrige Preise vor.
13
Bereits vor Versendung des Informationsschreibens gemäß § 134 GWB hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 6. Juli 2023 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragt. Sie hat gemäß den zuvor erhobenen Rügen geltend gemacht: Die Durchführung einer Auskömmlichkeitsprüfung nach einer elektronischen Auktion sei nach den Regelungen der Vergabeverordnung sowie nach Sinn und Zweck des Verfahrens unzulässig. Infolge einer drohenden Auskömmlichkeitsprüfung und der Gefahr, bei einer nicht ausreichenden Aufklärbarkeit der Preisfindung vom Verfahren ausgeschlossen zu werden, sei sie in ihrem freien Bieterverhalten unzulässig behindert worden. Die Antragsgegnerin sei nach der einschlägigen Bestimmung der Vergabeverordnung verpflichtet oder zumindest berechtigt gewesen, dem jeweiligen Bieter die Gesamtanzahl der Teilnehmer an der Auktion mitzuteilen, um diesen über seinen Rang innerhalb der Reihenfolge aller Angebote zu informieren. Es stelle einen Verstoß gegen Vergaberecht dar, dass sie sich auf die Mitteilung allein der Rangstelle beschränkt habe. Angesichts der unbeschränkten Abnahmepflicht des Auftragnehmers und einer fehlenden Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Lieferung einer Mindestmenge sei der Ausschluss von mengenabhängigen Preisanpassungsansprüchen unzulässig. Da eine Abnahmepflicht ohne Preisanpassung für bis zu 14.000 t bzw. bis zu 3.500 t bestehe, aber – ohne Rücksicht auf die konkreten Gründe einer Mengenabweichung – auch dann kein Anspruch auf Preisanpassung bestehe, wenn die Antragsgegnerin nur 1 t liefere, sei eine kaufmännisch vernünftige Preiskalkulation nicht zumutbar. Zu den von den dualen Systemen geltend gemachten Herausgabeansprüchen und zu den Inhalten der Abstimmungsvereinbarung (Anlage 7) hätten die geforderten Auskünfte erteilt werden müssen. Diese Angaben seien für die Angebotskalkulation unabdingbar. Die unterschiedliche Zusammensetzung des Altpapiers im kommunalen und nichtkommunalen Anteil laut Vergabeunterlagen sei widersprüchlich und auch unter Berücksichtigung der erteilten Auskünfte nicht nachvollziehbar.
14
Die Antragstellerin hat beantragt,
der Antragsgegnerin die Zuschlagserteilung zu versagen und ihr aufzugeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen und ab diesem Zeitpunkt unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.
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Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin kostenpflichtig zurückzuweisen.
16
In der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer am 19. September 2023 hat die Antragsgegnerin mitgeteilt, dass die Abstimmungsvereinbarung nach § 22 VerpackG bereits zum Jahresende 2022 ausgelaufen war, die Verhandlungen zwischen der Antragsgegnerin und den dualen Systemen mit dem Ziel des Abschlusses einer neuen Abstimmungsvereinbarung bis dato nicht zu einem Abschluss geführt hatten und der in den Vergabeunterlagen genannte Systembetreiberanteil von 40% lediglich eine Verhandlungsvorgabe der Antragsgegnerin gewesen war.
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Mit Beschluss vom 12. Oktober 2023 hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Antragstellerin sei durch die Gestaltung des Vergabeverfahrens nicht in ihren Rechten verletzt worden. Zwar habe die Antragsgegnerin durch die unzutreffende Beantwortung der Fragen zur Abstimmungsvereinbarung gegen ihre vergaberechtliche Pflicht zur Auskunftserteilung verstoßen. Dieser Verstoß habe jedoch keine Rechtsverletzung bewirkt. Die Kammer sei nicht davon überzeugt, dass es der Antragstellerin möglich gewesen wäre, auf der Grundlage einer (hypothetischen) ordnungsgemäßen Auskunft ein besseres Angebot zu kalkulieren. Die Kalkulation der Angebotspreise hätte vielmehr nur unter den Unwägbarkeiten einer noch nicht bestehenden Abstimmung erfolgen können. Der Antragstellerin wäre es somit auch dann nicht möglich gewesen, ihren Entsorgungspreis für Übernahme, Umschlag, Handling, Verladung und Übergabe an die Systembetreiber auf einer feststehenden Basis zu kalkulieren, wenn zutreffend über den Stand der Abstimmungsvereinbarung informiert worden wäre. Da der Anteil des zu verwertenden Altpapiers wiederum davon abhänge, wie viele Systeme ihren Herausgabeanspruch geltend machten, wäre es ihr auch bei Kenntnis vom aktuellen Stand der Abstimmungsvereinbarung nicht möglich gewesen, ihre Kalkulation an einer konkret der Verwertung unterliegenden Altpapiermenge auszurichten. Die beanstandeten Kalkulationsunsicherheiten hätten mithin auch bei pflichtgemäßer Auskunft bestanden. Ohne Erfolg blieben auch die übrigen Rügen. Die Ankündigung der Antragsgegnerin in den Vergabeunterlagen, nach vollständig durchgeführter Erstbewertung und Abschluss der Auktion eine nochmalige Prüfung der Angemessenheit durchzuführen, sei nicht zu beanstanden. Nichts anderes gelte in Bezug auf den Vorbehalt, nach Abschluss der Auktion gegebenenfalls fehlende Eignungsnachweise anzufordern und zu prüfen. Ob der öffentliche Auftraggeber verpflichtet sei, den Bietern neben ihrem eigenen Rang auch die Gesamtzahl der Teilnehmer an einer elektronischen Auktion mitzuteilen, könne offenbleiben, denn es sei nicht ersichtlich, dass sich die Zuschlagschancen der Antragstellerin durch die Nichtbekanntgabe verschlechtert hätten. Zu Unrecht beanstande die Antragstellerin das Fehlen einer mengenbezogenen Preisanpassungsklausel; mit der Kopplung des Verwertungserlöses an den EUWID-Preisindex und der Abrechnung nach Gewicht des Altpapiers lägen ausreichende Preisanpassungsmechanismen vor. Die Angaben zur Stoffzusammensetzung bewirkten keine Intransparenz der Leistungsbeschreibung, denn unter Berücksichtigung der auf die Bieterfragen gegebenen Erläuterungen sei die zu erbringende Leistung klar.
18
Gegen den am 12. Oktober 2023 zugestellten Beschluss der Vergabekammer, auf den ergänzend Bezug genommen wird, wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 26. Oktober 2023, die an diesem Tag bei Gericht eingegangen ist. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen zu den geltend gemachten Rügen, die sie weiterverfolgt, und beantragt,
- 1.
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Der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 12. Oktober 2023 – 3194.Z33_01-23-31 wird aufgehoben.
- 2.
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Der Antragsgegnerin wird untersagt, in dem Vergabeverfahren den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.
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Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das mit Auftragsbekanntmachung vom 10. Mai 2023 (…) eingeleitete Verfahren mit elektronischer Auktion in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen und ab diesem Zeitpunkt unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates zu wiederholen,
- 4.
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hilfsweise andere geeignete Maßnahmen zur Wahrung der geschützten Rechtsposition der Antragstellerin zu treffen.
19
Die Antragsgegnerin hält die sofortige Beschwerde teilweise für unzulässig, im Übrigen auch für unbegründet. Sie beantragt,
- 1.
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Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 26. Oktober 2023 wird als unzulässig verworfen, hilfsweise als unbegründet zurückgewiesen, soweit sie die Zulässigkeit einer Auskömmlichkeitsprüfung nach erfolgter elektronischer Auktion betrifft.
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Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragstellerin vom 26. Oktober 2023 als unbegründet zurückgewiesen.
20
Der Senat hat die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 7. November 2023 ohne nähere Sachprüfung einstweilen und mit Beschluss vom 14. Mai 2024 bis zur Entscheidung in der Hauptsache verlängert. Er hat darauf abgestellt, dass die Fragen betreffend die Existenz und den Inhalt einer Abstimmungsvereinbarung sowie den Umfang der geltend gemachten Herausgabeansprüche unzureichend beantwortet worden sein dürften und nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Antragstellerin dadurch benachteiligt worden sei, zumal die Bestandsdienstleisterin Kenntnisse von den verschwiegenen Umständen gehabt habe. Eine Auswirkung auf die Zuschlagschancen der Antragstellerin könne nicht sicher ausgeschlossen werden.
21
In der mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2024 hat die Beigeladene und damalige Bestandsdienstleisterin auf Nachfrage des Senats erläutert, ihr sei die damalige Abstimmungsvereinbarung zwischen der Antragsgegnerin und den Betreibern der dualen Systeme nicht bekannt gewesen. Dass die Laufzeit der Abstimmungsvereinbarung zum Ende des Jahres 2022 ausgelaufen gewesen sei, habe sie nicht gewusst. Während der Laufzeit der Abstimmungsvereinbarung sei keine Herausgabe von Altpapier an Systembetreiber erfolgt. Die Antragsgegnerin hat mitgeteilt, dass mittlerweile rückwirkend zum 1. Januar 2023 eine neue Abstimmungsvereinbarung geschlossen sei.
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Im Übrigen haben die Beteiligten an ihren jeweiligen Standpunkten festgehalten und ihre diesbezügliche Argumentation vertieft. Auf die gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
23
Die nach § 172 Abs. 1 bis 3 GWB form- und fristgerecht eingelegte und ordnungsgemäß begründete sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist insgesamt zulässig. Die Antragsbefugnis ist auch insoweit gegeben, als die Antragstellerin geltend macht, durch die vorbehaltene abschließende Auskömmlichkeitsprüfung in ihren Rechten verletzt zu sein. Zwar bringt sie nicht vor, durch die durchgeführte Auskömmlichkeitsprüfung eine Rechtsverletzung erlitten zu haben. Es genügt für die Antragsbefugnis jedoch, dass sie vorträgt, durch das Drohen einer aus ihrer Sicht unzulässigen Auskömmlichkeitsprüfung in ihrem Bieterverhalten beschränkt worden zu sein.
24
Auch in der Sache hat die sofortige Beschwerde Erfolg, weil die Antragsgegnerin auftragsbezogene Fragen unzulänglich beantwortet hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass dadurch die Zuschlagschancen der Antragstellerin beeinträchtigt worden sind (dazu unter 1.). Mit den übrigen Beanstandungen dringt die Antragstellerin hingegen nicht durch (dazu unter 2.).
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1. Die Antragstellerin ist durch die Erteilung unzulänglicher Informationen über Bestehen und Inhalt einer Abstimmungsvereinbarung nach § 22 VerpackG sowie über den Umfang der von Betreibern dualer Systeme geltend gemachten Herausgabeansprüche in eigenen Rechten verletzt, § 97 Abs. 6 GWB.
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a) Der Senat teilt die Rechtsansicht der Vergabekammer, wonach die in Art. 53 Abs. 2 der RL 2014/24/EU gemachte Vorgabe im Verhältnis zwischen öffentlichen Auftraggebern und deren Auftragnehmern unmittelbar Rechte und Pflichten erzeugt.
27
Nach dieser Vorschrift obliegt öffentlichen Auftraggebern die Pflicht, allen am Vergabeverfahren teilnehmenden Bietern auf rechtzeitige Anforderung ergänzende Auskünfte zu den Spezifikationen und den zusätzlichen Unterlagen zu erteilen (vgl. auch Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, VgV § 20 Rn. 14 m. w. N.). Die Verpflichtung gilt ohne weiteren Ausführungsakt unmittelbar, denn ihre Voraussetzungen und Rechtsfolgen sind der Richtlinienbestimmung selbst hinreichend genau und unbedingt zu entnehmen (zu dieser Voraussetzung grundlegend: EuGH, Urt. v. 5. April 1979, Rs 148/78 – Ratti, NJW 1979, 1764 und Urt. v. 19. Januar 1982, Rs 8/81 – Becker, NJW 1982, 499; BVerfG, Beschluss vom 8. April 1987, 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 [juris Rn. 44, 46, 51 ff.]; vgl. auch EuGH, Urt. v. 15. Februar 2017, C- 592/15, juris Rn. 13 – British Film Institute; Urt. v. 9. März 2004, C-397/01 bis C-403/01, NJW 2004, 3547 Rn. 103 – Pfeiffer u.a./Deutsches Rotes Kreuz; Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 20 Rn. 12; Schwabe in Müller-Wrede, VgV/UVgO, 5. Aufl 2017, § 37 VgV Rn. 273). Aus ihr ergibt sich insbesondere der bieterschützende Charakter der Auskunftspflicht.
28
b) Gegen ihre Verpflichtung, bei auftragsbezogenen Fragen (vgl. Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 20 Rn. 14 m. w. N.) entsprechende Auskunft zu erteilen, hat die Antragsgegnerin verstoßen. Trotz expliziter Nachfrage hat sie die Nichtexistenz einer gültigen Abstimmungsvereinbarung gemäß § 22 VerpackG und den Umstand, dass der in den Vergabeunterlagen genannte Systemanteil von 40% lediglich eine eigene Vorgabe für die laufenden Verhandlungen war, nicht transparent kommuniziert. Stattdessen hat sie die Fragen zur Abstimmungsvereinbarung zunächst nur ausweichend und insgesamt unzulänglich beantwortet. Des Weiteren hat sie trotz konkreter Nachfrage keine Auskunft über den Umfang der von Betreibern dualer Systeme beanspruchten Herausgabe erteilt.
29
aa) Die Leistungsbeschreibung und die Ergänzenden Vertragsbedingungen informierten allenfalls andeutend darüber, dass die Vergabestelle mit den Systemen (§ 3 Abs. 16 VerpackG) über den Abschluss einer Abstimmungsvereinbarung (§ 22 Abs. 1 Satz 2 VerpackG) verhandelte, nicht aber darüber, dass eine aktuell gültige Abstimmungsvereinbarung nicht existierte.
30
Der Hinweis in den Ergänzenden Vertragsbedingungen, im Rahmen der Verwertung sei „zunächst“ davon auszugehen, dass die gesamte überlassene Abfallmenge zu übernehmen und zu verwerten sei, obwohl „grundsätzlich“ die Leistung aufgrund fehlender, anderweitiger Zuständigkeit nur die Verwertung des kommunalen Anteils beinhalte, war lediglich geeignet, Überlegungen der Bieter darüber zu veranlassen, aus welchem Grund so zu verfahren sei. Als möglichen Grund konnte ein branchenkundiger Bieter das Auslaufen der aktuell gültigen Abstimmungsvereinbarung während des Auftragszeitraums bei noch fehlender Anschlussvereinbarung und gegebenenfalls sogar das Fehlen einer aktuell gültigen Abstimmungsvereinbarung in Erwägung ziehen. Auch die im Präsens gehaltene Aussage, die Bereitstellungspflicht des Auftragnehmers bestehe, „soweit“ die Systembetreiber mit dem Auftraggeber die Bereitstellung eines Systembetreiberanteils „vereinbaren“, deutete auf insoweit laufende Verhandlungen hin. Als Hinweis auf laufende Abstimmungsverhandlungen ließ sich außerdem die Bemerkung in den Ergänzenden Vertragsbedingungen deuten, wonach der „gegebenenfalls“ vereinbarte bereitzustellende Systembetreiberanteil mitgeteilt und „davon ausgegangen“ werde, dass ein Teil der Systembetreiber „im Zuge der weiteren Abstimmung … eine Verwertung des betr. Systembetreiberanteils vereinbart“. Zuverlässige Kenntnis darüber, dass die Abstimmungsvereinbarung bereits ausgelaufen war, hatten die Bieter aufgrund dieser unpräzisen Informationen jedoch nicht.
31
Zudem legte die in der Leistungsbeschreibung gewählte Formulierung, „[d]iese Stoffmenge“ (der Anteil von 3.500,00 t) sei „die durch die Vergabestelle festgelegte andienungspflichtige Stoffmenge“ (Hervorhebung durch den Senat), ein Verständnis dahin nahe, dass die Information den vertraglich festgelegten, aktuell noch gültigen Systembetreiberanteil betrifft. Dass es sich bei der Festlegung lediglich um eine Vorgabe der Antragsgegnerin für laufende Verhandlungen handelte, erschließt sich erst aufgrund derjenigen Informationen, die die Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren offengelegt hat. Darüber, dass bereits im Ausschreibungszeitraum keine gültige Vereinbarung mehr existierte und somit auch ein angeblicher Systemanteil von 40% vertraglich nicht festgelegt war, wurden die Bieter mit der mindestens missverständlichen Formulierung in der Leistungsbeschreibung jedoch nicht informiert.
32
bb) Mit ihren Fragen zu Bestand, Laufzeit und Inhalt der Abstimmungsvereinbarung sowie zum Umfang der Herausgabepflicht und dem Stand etwaiger Verhandlungen stellte die Antragstellerin auftragsbezogene Sachfragen, die eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zu ordnungsgemäßer Beantwortung auslösten.
33
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin zielten die Fragen der Antragstellerin nicht lediglich auf bloße Zusatzinformationen ohne Einfluss auf den Vergabegegenstand oder die zu erbringende Leistung. Es handelte sich vielmehr um auftragsbezogene Sachfragen, weil der Inhalt der Abstimmungsvereinbarung die Höhe des kommunalen und des nicht-kommunalen Anteils sowie die Möglichkeit der Systeme, Herausgabeansprüche geltend zu machen, vorgibt und auf diese Weise unmittelbare Auswirkung auf den Auftragsgegenstand hat. Während sich der Auftrag in Bezug auf den nicht-kommunalen und von Herausgabeansprüchen betroffenen Anteil auf Übernahme, Umschlag, Handling, Verladung und Übergabe an den/die Systembetreiber beschränkt, erstreckt er sich hinsichtlich des restlichen Sammelgemischs auf die Verwertung/Vermarktung. Entsprechend hatten die Bieter bei ihrem Preisangebot zwischen den beiden Teilmengen zu differenzieren. An der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Beantwortung der gestellten Bieteranfragen bestehen daher keine Zweifel.
34
cc) Gegen ihre Pflichten aus Art. 53 Abs. 2 der RL 2014/24/EU hat die Antragsgegnerin verstoßen, denn die auf die Nachfragen der Antragstellerin erteilten Antworten enthielten die geschuldeten Erläuterungen nicht und waren geeignet, Fehlvorstellungen hervorzurufen oder zu bestärken.
35
Die Aussage vom 12. Juni 2023, die Verteilung sei das Ergebnis „der letzten Abstimmungsvereinbarung“, war jedenfalls doppeldeutig, denn sie ließ sich – auch im Kontext mit den übrigen Informationen – nicht nur dahin verstehen, dass die letzte Abstimmungsvereinbarung bereits ausgelaufen war und die mitgeteilten Ergebnisse für das Auftragsverhältnis deshalb obsolet sind, sondern auch in dem – objektiv unzutreffenden – Sinn, dass die letzte Abstimmungsvereinbarung noch Bestand hat und ihr Inhalt jedenfalls für einen Teil des Leistungszeitraums von Relevanz ist. Für ein Verständnis in letzterem Sinn sprach sodann der anschließende Satz, wonach „mit den dualen Systemen eine Anlage 7 abgeschlossen [ist]“. Der durch das Präsens vermittelte Eindruck einer jedenfalls noch bestehenden Abstimmungsvereinbarung wurde sodann verstärkt durch die in die Zukunft gerichtete weitere Aussage, durch Abschluss oder Änderungen der Abstimmungsvereinbarungen könne sich der genannte Systembetreiberanteil und die jeweilige zu verwertende Menge verändern.
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Dieses Fehlverständnis wurde wiederum gefördert durch die Antwort vom 21. Juni 2023, die trotz Fehlens einer gültigen Abstimmungsvereinbarung die im Präsens gehaltene Aussage traf, dass der Systembetreiberanteil für die Stadt Augsburg 40% der Gesamterfassungsmasse, der kommunale Anteil entsprechend 60% „beträgt“. Zudem war die Aussage, es könne „zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für den gesamten Leistungszeitraum (Hervorhebung durch den Senat) angegeben werden, in welchem Umfang die Systembetreiber die Bereitstellung ihrer Anteile gegenüber dem Auftraggeber tatsächlich verlangen“, nur so zu verstehen, dass die zu den Anteilen gemachten Angaben zwar nicht für den gesamten, aber doch für einen – nicht näher präzisierten – Teil des Leistungszeitraums Gültigkeit beanspruchen. In dieses Verständnis fügte sich sodann friktionsfrei die wiederholte Aussage ein, wonach sich der genannte Systembetreiber-Anteil und die jeweilige zu verwertende Menge durch Änderungen der Abstimmungsvereinbarungen verändern könne.
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In ihrer Gesamtheit vermittelten diese Angaben den Eindruck, dass die in einer Abstimmungsvereinbarung festgesetzte Quote von kommunalem und nichtkommunalem Anteil und die darin getroffene Vereinbarung zu Herausgabeansprüchen der Systembetreiber jedenfalls für einen gewissen Zeitraum der Vertragsdurchführung noch von Bedeutung seien, sich aber während der Vertragslaufzeit aufgrund Neuabschlusses einer Vereinbarung ändern können. Dass die Abstimmungsvereinbarung tatsächlich bereits ausgelaufen war, konnten die Bieter den erteilten Informationen hingegen nicht entnehmen.
38
Des Weiteren hat die Antragsgegnerin auf die Nachfrage, in welchem Umfang und von welchen dualen Systemen aktuell und in der Vergangenheit Herausgabeansprüche in Bezug auf Altpapier aus Verpackungen geltend gemacht würden bzw. worden seien, lediglich geantwortet, dass „die geforderten Angaben, welche dualen Systeme Herausgabeansprüche geltend gemacht haben, […] vertraulich und […] deshalb nur den betreffenden Parteien zugänglich“ seien. Darauf, dass die Antragstellerin geltend gemacht hatte, zur Kalkulation der Entgelte sei es von Bedeutung, „gegenüber wie vielen dualen Systemen das Altpapier herauszugeben ist“, ist sie dabei nicht eingegangen. Ein sachlicher Grund für die insoweit unterbliebene Auskunft ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Selbst wenn vom Umfang eines geltend gemachten Herausgabeanspruchs auf den Marktanteil des dahinterstehenden Betreibers eines dualen Systems und davon wiederum auf dessen Identität geschlossen werden könnte, weshalb insoweit Geheimhaltungsinteressen grundsätzlich berücksichtigungsfähig sein können, ist nicht ersichtlich, was einer Auskunft über die von geltend gemachten Herausgabeansprüchen betroffene Gesamtmenge und über die Anzahl der Systembetreiber entgegengestanden hätte. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass – gemäß der von der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung gemachten Angabe – während der Dauer der ausgelaufenen Abstimmungsvereinbarung kein einziger Systembetreiber Herausgabe verlangt hatte. Kenntnis davon hatte jedenfalls die damalige Bestandsdienstleisterin. Erst recht vor diesem Hintergrund hätte der Antragstellerin auf ihre ausdrückliche Nachfrage hin derselbe Kenntnisstand vermittelt werden müssen.
39
c) Entgegen der Ansicht der Vergabekammer kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Vergabeverstoß auf die Zuschlagschancen der Antragstellerin nachteilig ausgewirkt hat. aa) Die von der Antragstellerin begehrten Angaben sind kalkulationsrelevant.
40
Dies folgt aus den Regelungen des Gesetzes über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die hochwertige Verwertung von Verpackungen (Verpackungsgesetz) über die sogenannte Abstimmung in § 22 VerpackG.
41
Systeme im Sinne des § 3 Abs. 16 VerpackG sind nach näherer Maßgabe des § 14 VerpackG zur Sammlung gebrauchter, restentleerter Verpackungen verpflichtet. Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 VerpackG haben sie ihre Sammlung auf die vorhandene Sammelstruktur des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers abzustimmen, in dessen Bereich das duale System eingerichtet ist. Im Rahmen der zu diesem Zweck schriftlich abzuschließenden Abstimmungsvereinbarung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 VerpackG sind verschiedene Regelungen zu treffen. Unter anderem ist im Rahmen der Abstimmungsvereinbarung eine Verständigung zwischen dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und den Systembetreibern darüber herbeizuführen, ob eine gemeinsame Verwertung des Verpackungsabfalls durch den die Sammlung Durchführenden stattfindet. Sofern keine gemeinsame Verwertung vereinbart wird, kann der jeweils die Sammlung des anderen Mitnutzende die Herausgabe eines Masseanteils verlangen, der dem Anteil des Entsorgungspflichtigen an der Gesamtmasse entspricht, § 22 Abs. 4 Satz 7 VerpackG. Die Anlage 7 PPK zur Abstimmungsvereinbarung betrifft die Regelungen zur Erfassung und Verwertung von Altpapier. Darin werden unter anderem die Eckdaten zum Verpackungsanteil (dem Systembetreiberanteil) und zur Verwertung festgelegt. Grundsätzlich sieht die Anlage 7 PPK zwei Modalitäten der Partizipation der Systembetreiber an der PPKGesamtmenge des Einzugsgebiets vor. Nach der ersten Variante erhalten die Systeme einen Anteil am erzielten Papiererlös. Die Systeme – alle oder einzelne der im Einzugsgebiet eingerichteten Systeme – können aber auch von der Möglichkeit Gebrauch machen, ihren jeweiligen Anteil am Altpapiersammelgemisch selbst zu übernehmen und im eigenen Auftrag einer Papierfabrik zuzuführen (zweite Variante). Unstreitig wird dazu in der Abstimmungsvereinbarung eine Frist geregelt, innerhalb der die Systeme ihren Anspruch auf Herausgabe geltend zu machen haben. An ihre Wahl sind sie für die Dauer der Gültigkeit der Abstimmungsvereinbarung gebunden. Gemäß den Erläuterungen der Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung richtet sich der Umfang des jeweiligen Herausgabeanspruchs nach den Marktanteilen der Systeme.
42
Der Inhalt der Abstimmungsvereinbarung wirkt sich somit unmittelbar auf den Umfang der Verwertungsmöglichkeit aus, die dem Auftragnehmer zur eigenen Gewinnerwirtschaftung durch Verkauf des PPK-Sammelgemischs verbleibt, wenn Betreiber dualer Systeme von ihrem Herausgabeanspruch Gebrauch machen. Der an die dualen Systeme herauszugebende Anteil an der Gesamtmenge des PPKGemischs reduziert die vom Auftragnehmer für eigene Rechnung zu verwertende Menge, mit der die Kosten und eine Gewinnmarge erwirtschaftet werden können. Daran ändert sich nichts deshalb, weil der Auftraggeber dem Auftragnehmer mit dem Transaktionsentgelt gewisse Leistungen auf der Basis der übernommenen Masse bzw. des übernommenen Gewichts vergütet. Der an die Systeme herauszugebende Anteil, der seinerseits von der Festlegung des nicht-kommunalen Anteils am Sammelgut mitbeeinflusst ist, wirkt sich unmittelbar auf die dem Auftragnehmer zur eigenen Erwirtschaftung von Gewinn verbleibende Menge aus.
43
Da außerdem nach den Angaben der Verfahrensbeteiligten für den Zeitraum einer fehlenden Abstimmungsvereinbarung die rückwirkende Geltendmachung von Herausgabeansprüchen ausscheidet mit der Folge, dass die Systembetreiber für diesen Zeitraum faktisch auf ihren gegen den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger gerichteten Vergütungsanspruch verwiesen sind, handelt es sich auch bei der Information über das Nichtbestehen einer gültigen Abstimmungsvereinbarung um eine potentiell kalkulationsrelevante Information.
44
Wegen des mit der Herausgabe verbundenen Aufwands ist es außerdem nachvollziehbar, dass die Anzahl der Systembetreiber, die Herausgabe gewählt haben, bei der Kalkulation der Angebotspreise mitbedacht und berücksichtigt wird. Der Aufwand entfällt vollständig, wenn keine Herausgabe verlangt wird, und kann sich mit einer steigenden Anzahl von Systembetreibern, die Herausgabe verlangen, erhöhen, weil eine entsprechende Anzahl an Teilmengen bereitgestellt und entsprechender Koordinierungsaufwand betrieben werden muss.
45
bb) Der Senat teilt nicht die Auffassung der Vergabekammer, wonach eine Rechtsverletzung der Antragstellerin deshalb ausscheide, weil die Antragsgegnerin in Ermangelung einer gültigen Abstimmungsvereinbarung keine verlässlichen Angaben zu den nachgefragten Daten habe machen können, sodass auch im Fall einer zutreffenden Information die gewünschten Kenntnisse nicht verschafft worden wären. Im vorliegenden Fall kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Zuschlagschancen der Antragstellerin dadurch verschlechtert worden sind, dass die Vergabestelle keine zutreffende Information zur – bereits abgelaufenen – Gültigkeitsdauer der Abstimmungsvereinbarung gegeben hat.
46
Die Antwort der Vergabestelle vom 21. Juni 2023 war objektiv dahingehend zu verstehen, dass für einen nicht näher bestimmten Zeitraum der Auftragsdurchführung eine gültige Abstimmungsvereinbarung bestehe. Die Tatsache, dass auf der Basis dieser (vermeintlich noch gültigen) Abstimmungsvereinbarung kein Systembetreiber Herausgabe verlangt, war allein der Bestandsdienstleisterin, nicht aber den übrigen Bietern bekannt. Objektiv bewirkte dies eine ungleiche Informationslage, die einen potentiellen Wettbewerbsvorteil für die Bestandsdienstleisterin begründete. Allein sie hätte bei der Kalkulation ihres Angebots die Kenntnis nutzen können, dass während der Dauer dieser (vermeintlich erst zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Verlauf der Auftragsdurchführung auslaufenden) Abstimmungsvereinbarung keine Herausgabeansprüche zu bedienen sind. Unerheblich ist, ob die Bestandsdienstleisterin dies genutzt hat oder nicht. Der Beigeladenen war nach ihrer Einlassung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat jedenfalls nicht bekannt, dass die Gültigkeitsdauer der Abstimmungsvereinbarung tatsächlich bereits geendet hatte. Diesbezüglich vermittelte die irreführende Antwort vom 21. Juni 2023 auf die Fragen zum Bestand einer Abstimmungsvereinbarung in objektiver Hinsicht die Information, dass die Vereinbarung noch für die Dauer eines nicht näher bekannten Zeitraums während der Auftragsdurchführung bestehe und so lange die Systembetreiber keine Möglichkeit haben, ihr Herausgabeverlangen zu ändern. Allein der Bestandsdienstleisterin aber war bekannt, dass kein Systembetreiber unter der (vermeintlich fortbestehenden) Abstimmungsvereinbarung Herausgabe verlangt hatte.
47
Sie hätte ihrem Preisangebot somit auf der Basis des von der Vergabestelle objektiv erweckten Eindrucks einer noch gültigen Abstimmungsvereinbarung zugrunde legen können, dass für eine gewisse, nicht näher bekannte Dauer der Auftragsdurchführung keine Herausgabeansprüche zu bedienen sein würden und die gesamte Sammelmenge zu eigenem wirtschaftlichen Nutzen durch Zuführung zur Papierfabrik verwertet werden könne. Den genauen Zeitraum konnte zwar auch die Bestandsdienstleisterin nicht abschätzen, allerdings war die Vertragslaufzeit ohnehin auf nur ein Jahr beschränkt. Das objektiv festzustellende Informationsgefälle ist geeignet, den Wettbewerb zu verzerren. Dafür ist es nicht von Bedeutung, dass der objektiv erweckte Eindruck einer bestehenden, für die Auftragsdurchführung zeitweise noch maßgeblichen Abstimmungsvereinbarung nicht der wahren Sachlage entsprach.
48
Die Argumentation der Vergabekammer, wonach bei klarer Kommunikation keine sichere Kalkulationsgrundlage vermittelt worden wäre, greift in dieser Situation zu kurz. Die Antworten der Vergabestelle, insbesondere diejenige vom 21. Juni 2023, vermittelten aus Empfängersicht die Information, dass zwar nicht für den gesamten, aber doch für einen nicht näher bezeichneten Zeitraum der Vertragsdurchführung die abgeschlossene Abstimmungsvereinbarung gelte. Der Beigeladenen kann mithin nicht darin zugestimmt werden, dass aufgrund der Ausschreibungsunterlagen nur klar gewesen sei, dass alles ungewiss sei. In Bezug auf die (vermeintlich noch maßgebliche) Abstimmungsvereinbarung aber hatte die Bestandsdienstleisterin einen Informationsvorsprung hinsichtlich des Herausgabeverlangens der Betreiber dualer Systeme. Nur bei transparenter Kommunikation der wahren Sachlage wäre für alle Wettbewerber klar gewesen, dass der Systembetreiberanteil und der Umfang etwaiger Herausgabeansprüche für die gesamte Vertragslaufzeit noch ungewiss sind, weil sie vom Abschluss und Inhalt einer noch nicht getroffenen Abstimmungsvereinbarung abhängen. Insofern führt zwar die Argumentation der Antragstellerin ins Leere, wenn sie geltend macht, dass konkretisierte und verbindliche Angaben zum Verpackungsanteil sowie zu den Herausgabeansprüchen von dualen Systemen für die Kalkulation des Angebotspreises und etwaiger Wagniszuschläge unerlässlich gewesen wären. Entsprechende Informationen konnten nicht erteilt werden. Maßgeblich ist aber, dass die Antragsgegnerin mit ihren Antworten auf die Fragen der Antragstellerin zu Bestand und Inhalt der Abstimmungsvereinbarung den – wenn auch in tatsächlicher Hinsicht unzutreffenden – Eindruck erweckt hatte, zwar nicht für den gesamten, aber für einen nicht näher konkretisierten Zeitraum der Auftragsdurchführung gelte noch die bisherige Abstimmungsvereinbarung, zu der der Beigeladenen immerhin bekannt war, dass Herausgabeansprüche nicht geltend gemacht werden. Damit bestand die abstrakte Möglichkeit, dass die Bestandsdienstleisterin preisrelevante Informationen berücksichtigt, die die Antragstellerin nicht hatte.
49
Dass in Wahrheit die Abstimmungsvereinbarung bereits ausgelaufen war, ändert an diesem Ergebnis nichts. Gerade wegen der Kalkulationsrelevanz der Informationen in Bezug auf eine Abstimmungsvereinbarung wäre bereits die Information darüber, dass keine gültige Abstimmungsvereinbarung mehr besteht, bedeutsam gewesen. Durch eine entsprechende Mitteilung wäre für alle Bieter einschließlich der Bestandsdienstleisterin klar gewesen, dass für den gesamten Zeitraum der Auftragsdurchführung keinerlei Angaben dazu möglich sind, ob eine solche Vereinbarung existieren wird. Klar gewesen wäre auch, dass die unter der abgelaufenen Abstimmungsvereinbarung getroffene Entscheidung der Systembetreiber in Bezug auf ihren Herausgabeanspruch ohne jede Relevanz für den ausgeschriebenen Auftrag ist. Die Antragsgegnerin führt zudem selbst aus, es sei marktbekannt, dass Systembetreiber in den letzten Jahren vermehrt dazu übergegangen seien, sich „PPK“ bereitstellen zu lassen und damit auf die Mitverwertung durch den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu verzichten. Vor diesem Hintergrund ist bereits der Tatsache, dass die Abstimmungsvereinbarung ausgelaufen und eine neue Vereinbarung noch nicht zustande gekommen ist, ein eigener Informationswert mit Relevanz für die Kalkulation der Angebotspreise beizumessen. Entgegen der Ansicht der Vergabekammer kann somit nicht ausgeschlossen werden, dass bei zutreffender Information die Antragstellerin in der Lage gewesen wäre, ein konkurrenzfähigeres Angebot zu kalkulieren, und damit eine bessere Chance auf den Zuschlag gehabt hätte.
50
Die Situation ist vergleichbar mit einer Fallkonstellation, in der nur einem Unternehmen wettbewerbs- und preisrelevante Informationen zur Verfügung gestellt werden. Für eine solche Sachlage ist anerkannt, dass die Ungleichbehandlung die Vergleichbarkeit der Angebote aufheben und zur Rückversetzung oder im Ausnahmefall zur Aufhebung des Vergabeverfahrens führen kann. Dabei reicht es aus, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die unterbliebene Bieteröffentlichkeit auf die Angebotserstellung Auswirkungen hatte (Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 20 Rn. 14).
51
Aus diesen Gründen darf der Zuschlag nicht auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden. Die Antragsgegnerin hat vielmehr – bei fortbestehender Beschaffungsabsicht – das eingeleitete Vergabeverfahren mit elektronischer Auktion in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen und ab diesem Zeitpunkt unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen.
52
2. Die übrigen mit der sofortigen Beschwerde weiterverfolgten Beanstandungen greifen nicht durch.
53
a) Die Antragsgegnerin hat nicht dadurch gegen vergaberechtliche Vorschriften verstoßen, dass sie gemäß Ziffer 7.4 der Angebotsbedingungen vorgesehen hat, nach dem Ende der elektronischen Auktion die Preisangebote der Bestbieter nochmals auf Angemessenheit zu überprüfen und gegebenenfalls noch fehlende Eignungsnachweise anzufordern sowie zu überprüfen.
54
Ob eine abschließende Auskömmlichkeitsprüfung in offenen Verfahren mit elektronischer Auktion, § 15 VgV i. V. m. §§ 25, 26 VgV, zulässig ist, ist zwar weder im nationalen Recht noch in der zugrundeliegenden Richtlinie der Europäischen Union ausdrücklich positiv geregelt. Vielmehr ist in § 120 Abs. 2 Satz 2 GWB, § 25 Abs. 1 Satz 3 VgV lediglich angeordnet, dass jeder elektronischen Auktion eine vollständige erste Bewertung aller Angebote vorauszugehen hat. Jedoch ergibt sich aus dem Regelungszusammenhang der Normen, dass es rechtlich zulässig und auch geboten ist, nach Durchführung der Auktion unter den Voraussetzungen des § 60 VgV nochmals eine Auskömmlichkeitsprüfung durchzuführen, die – naturgemäß erstmals – die in der Auktion abgegebenen Gebote betrifft.
55
aa) Nur eine Auskömmlichkeitsprüfung im Stadium nach Beendigung der Auktion ist geeignet, den subjektiven Anspruch der Mitbewerber auf die Beachtung der Vorgaben der Vergabeverordnung in Bezug auf ungewöhnlich niedrige Angebote zu wahren.
56
Eine Prüfung darauf, ob der angebotene Preis im Verhältnis zur Leistung ungewöhnlich oder unangemessen niedrig (bzw. vorliegend ungewöhnlich oder unangemessen hoch) ist und zur Leistung in einem Missverhältnis steht, kann hinsichtlich des finalen Angebots erstmals nach Beendigung der Auktion vorgenommen werden. Der Senat teilt nicht die Ansicht der Antragstellerin, wonach bereits die gemäß § 120 Abs. 2 Satz 2 GWB, § 25 Abs. 1 Satz 3 VgV durchzuführende Auskömmlichkeitsprüfung ausreichend sei. Zwar kann in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Antragstellerin davon ausgegangen werden, dass die Angebotskalkulation bereits im Vorfeld der Auktion erfolgt. Auch kann und muss die Regelung des § 60 VgV auf die Erstangebote angewendet werden, wenn es bereits diesbezüglich Anhaltspunkte für eine Unauskömmlichkeit gibt. Jedoch liefert die Antragstellerin selbst keine nachvollziehbare Begründung für ihre Behauptung, der Auftraggeber müsse, wenn die Erstangebote keinen Anlass für Zweifel böten, davon ausgehen, dass die Auktionsangebote verlässlich seien. Für diese Ableitung gibt es weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht einen Grund. Hat die Prüfung des Erstangebots nach § 60 VgV entweder ergeben, dass das Angebot auskömmlich ist, oder hat sie – trotz Unauskömmlichkeit des Angebots – nicht zu Zweifeln des Auftragsgebers an der Leistungsfähigkeit des Bieters geführt, muss dies nicht notwendigerweise auch für ein geändertes Gebot gelten.
57
Die Antragstellerin führt zwar ins Feld, dass der öffentliche Auftraggeber zu eigenen Gunsten einen Preiskampf provoziere, wenn er die elektronische Auktion wähle, und deshalb die damit verbundenen Risiken zu tragen habe. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 69 RL 2014/24/EU hat sich der öffentliche Auftraggeber zu vergewissern, dass die ihm unterbreiteten Angebote seriös sind (vgl. EuGH, Urt. v. 15. September 2022, C-669/20, NZBau 2023, 124 Rn. 33 ff. – Veridos m. w. N.). Diese Pflicht besteht nicht nur im öffentlichen Interesse. Vielmehr haben die Mitbewerber einen subjektiven Anspruch auf die Beachtung der Vorgaben zur Auskömmlichkeitsprüfung (vgl. EuGH NZBau 2023, 124 Rn. 46 mit Rn. 48 – Veridos; BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16, BGHZ 214, 11 Rn. 23 – Notärztliche Dienstleistungen). Gerade der von der Antragstellerin beschriebene Preis- und Bieterwettkampf bei Durchführung einer Auktion zeigt die Notwendigkeit auf, hinsichtlich der finalen Bestgebote die Regelung des § 60 VgV im Interesse eines fairen Wettbewerbs und damit der Bieter anzuwenden.
58
Das von der Antragstellerin argumentativ herangezogene Nachverhandlungsverbot und dessen Durchbrechung durch die Durchführung einer elektronischen Auktion rechtfertigen keine andere Bewertung. Der Rückgriff auf die elektronische Auktion ermöglicht es dem Auftraggeber, die Bieter zur Vorlage neuer, nach unten bzw. vorliegend nach oben korrigierter Preise aufzufordern. Darin wird in wirtschaftlicher Hinsicht die Möglichkeit eines „Nachverhandelns“ gesehen (so Seidel in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 2022, GWB § 120 Rn. 17 f.). Allerdings eröffnet die Durchführung einer Auktion auch den Bietern die Möglichkeit, nicht bereits mit dem Erstgebot den kalkulatorischen Spielraum vollständig auszuschöpfen. Somit eröffnet das Instrument der elektronischen Auktion beiden Seiten Chancen. Ein Widerspruch zum vergaberechtlichen Gebot der Fairness, den die Antragstellerin darin sieht, dass mit der Auktion zum gegenseitigen Unterbieten angeregt wird und der Ausschluss des besten Gebots im Zuge einer anschließenden Prüfung nach § 60 VgV vorbehalten bleibt, ist deshalb nicht erkennbar. Die in einem geordneten Verfahren durchzuführende, nochmalige Auskömmlichkeitsprüfung nach Abschluss der Auktion stellt zudem kein Nachverhandeln über die zuletzt gelegten Gebote dar. Deshalb kann keine Rede davon sein, dass die Vergabestelle mit der abschließenden Prüfung nach § 60 VgV das Nachverhandlungsverbot umgehen könne. Der angebliche Widerspruch zu den Vergabegrundsätzen der Gleichbehandlung und des Wettbewerbs besteht mithin nicht.
59
bb) Die Regelung des § 26 Abs. 8 VgV steht der Zulässigkeit einer Auskömmlichkeitsprüfung nach Abschluss der Auktion nicht entgegen.
60
§ 26 Abs. 8 VgV besagt lediglich, dass der Zuschlag nach Abschluss einer elektronischen Auktion entsprechend ihrem Ergebnis mitgeteilt wird. Mit dieser Vorschrift wird Art. 35 Abs. 9 der RL 2014/24/EU umgesetzt, welcher besagt, dass nach Abschluss der elektronischen Auktion der öffentliche Auftraggeber den Auftrag gemäß Art. 67 der Richtlinie entsprechend den Ergebnissen der elektronischen Auktion vergibt (Englische Sprachfassung: „After closing an electronic auction contracting authorities shall award the contract in accordance with Article 67 on the basis of the results of the electronic auction“).
61
(1) Bereits die Gesetzessystematik schließt es aus, in diesen Bestimmungen eine Regelung über den Abschluss der Auftragsvergabe durch Zuschlagserteilung zu sehen und die Bestimmungen über die Auskömmlichkeitsprüfung für nicht anwendbar zu erachten.
62
Die systematische Stellung der nationalen Bestimmungen zur elektronischen Auktion in §§ 25, 26 VgV (Abschnitt 2 „Vergabeverfahren“, Unterabschnitt 2 „Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren“) und der Vorschrift zur Auskömmlichkeitsprüfung in § 60 VgV (Abschnitt 2 Unterabschnitt 7 „Prüfung und Wertung der Interessensbestätigungen, Teilnahmeanträge und Angebote; Zuschlag“) bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass letztere Vorschrift durch die erstgenannten verdrängt werde. Vielmehr enthalten die §§ 25, 26 VgV lediglich Regelungen, die zusätzlich zu beachten sind, wenn eine elektronische Auktion als besonderes Instrument zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots (vgl. § 120 Abs. 2 Satz 1 GWB) im Vergabeverfahren der jeweils gewählten Art durchgeführt werden soll. Dasselbe gilt in Bezug auf die systematische Stellung des Art. 35 der RL 2014/24/EU in Titel II (Vorschriften für öffentliche Aufträge) Kapitel II (Methoden und Instrumente für die elektronische Auftragsvergabe und für Sammelbeschaffungen) einerseits und Art. 69 (ungewöhnlich niedrige Angebote) in Titel II Kapitel III (Ablauf des Verfahrens) Abschnitt 3 (Auswahl der Teilnehmer und Auftragsvergabe) Unterabschnitt 3 (Zuschlagserteilung) andererseits.
63
§ 26 Abs. 8 VgV erklärt, wie auch Art. 35 Abs. 9 der RL 2014/24/EU, das Ergebnis der elektronischen Auktion als maßgeblich für die Zuschlagserteilung. Zudem statuiert § 26 Abs. 8 VgV eine Mitteilungspflicht, die sich als Ausprägung des Transparenzgebots darstellt. Die Vorschrift betrifft nur den Verfahrensabschnitt der elektronischen Auktion, trifft aber keine Regelung über den systematisch nicht in Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 „Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren“, sondern in Abschnitt 2 Unterabschnitt 7 verorteten Abschluss des gesamten Vergabeverfahrens durch Zuschlagserteilung, in dem sich die Regelung zur Auskömmlichkeitsprüfung befindet. Nichts anderes gilt in Bezug auf Art. 35 Abs. 9 der RL 2014/24/EU, der in Kapitel II „Methoden und Instrumente …“ verortet ist, nicht aber den in Kapitel III Abschnitt 3 Unterabschnitt 3 geregelten Abschluss des Verfahrens durch Auftragsvergabe (Zuschlagserteilung) ersetzt, in dem mit Artikel 69 eine Regelung in Bezug auf ungewöhnlich niedrige Angebote getroffen ist. Zwar hätte es angesichts dieser Systematik auch keiner Erwähnung von Art. 67 in Art. 35 Abs. 9 der Richtlinie bedurft. Dass – anders als in Art. 29 Abs. 7 der Richtlinie – nur Artikel 67 (Zuschlagskriterien), nicht aber Artikel 67 bis 69, explizit erwähnt ist, lässt jedoch aus systematischen Gründen ein Verständnis dahingehend, dass Art. 69 der Richtlinie auf das zu bezuschlagende Angebot keine Anwendung finden soll, nicht zu. Dass das Ergebnis der elektronischen Auktion für die Zuschlagserteilung maßgeblich und nach Beendigung der Auktion transparent zu machen ist, steht daher nicht in Widerspruch dazu, dieses Ergebnis vor Zuschlagserteilung einer Auskömmlichkeitsprüfung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 VgV (Art. 69 der RL 2014/24/EU) zu unterziehen (so auch Wichmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 26 Rn. 21 f.; Wanderwitz in Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 3. Aufl. 2019, VgV § 25 Rn. 14 f., § 26 Rn. 36 ff.; a. A. Kus in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2. Aufl. 2022, § 25 Rn. 31, § 26 Rn. 2; Hübner in Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 5. Aufl. 2023, § 26 VgV Rn. 3 unter Verweis auf Röwekamp a. a. O.).
64
(2) Außerdem würde der Anwendungsbereich für elektronische Auktionen nicht nur eingeschränkt, sondern auf Null reduziert, wenn eine elektronische Auktion ausschließlich für solche Ausschreibungen möglich wäre, bei denen keine Angemessenheitsprüfung des Bestgebots mehr notwendig werden könnte. Denn es sind keine Leistungen denkbar, bei denen unangemessene Preise nicht vorstellbar wären. Es ist aber nicht anzunehmen, dass der europäische Gesetzgeber und ebenso der nationale Verordnungsgeber eine detaillierte Kodifikation der elektronischen Auktion ohne denkbaren Anwendungsbereich in der Praxis schaffen wollten.
65
(3) Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst (grundlegend: EuGH, Urt. v. 6. Oktober 1982, 283/81, NJW 1983, 1257 [juris Rn. 21] – C.I.L.F.I.T. u.a.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 6. Oktober 2021, C561/19, NJW 2021, 3303 Rn. 32 f. – Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi; Urt. v. 1. Oktober 2015, C-452/14, GRUR Int. 2015, 1152 Rn. 43 – Doc Generici).
66
Zwar kommt es für die Auslegung der nationalen Bestimmung in § 21 Abs. 8 VgV auf das autonome Verständnis der europäischen Regelung in Art. 35 Abs. 9 der RL 2014/24/EU an, die mit § 21 Abs. 8 VgV in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde.
67
Die richtige Auslegung des Unionsrechts ist jedoch angesichts der dargestellten systematischen und teleologischen Aspekte sowie der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers aus Art. 69 der RL 2014/24/EU derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Auch wenn sich der Senat der Wortlautargumentation der Vergabekammer zu Art. 35 Abs. 9 der RL 2014/24/EU nicht anschließt, ist das zutreffende Verständnis des § 26 Abs. 8 VgV, mit dem die Richtlinienvorgabe umgesetzt wird, klar und eindeutig. Die bloße Möglichkeit, dass eine unionsrechtliche Vorschrift unterschiedlich ausgelegt werden kann, begründet für sich genommen noch keine „vernünftigen Zweifel“ an ihrer richtigen Auslegung (EuGH NJW 2021, 3303 Rn. 48 f. – Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi).
68
cc) Anders als die Antragstellerin meint, ist eine abschließende Auskömmlichkeitsprüfung mit dem Konzept der elektronischen Auktion gemäß § 25 VgV vereinbar.
69
Nach den in § 25 VgV statuierten Grundsätzen für die Durchführung elektronischer Auktionen darf dieses Instrument nur eingesetzt werden, wenn (der Inhalt der Vergabeunterlagen hinreichend präzise beschrieben und) die Leistung mithilfe automatischer Bewertungsmethoden eingestuft werden kann, § 25 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VgV. Im Rahmen der elektronischen Auktion werden die Angebote mittels festgelegter Methoden elektronisch bewertet und automatisch in eine Rangfolge gebracht, § 25 Abs. 2 VgV. In die danach zwingend vorgegebene automatisierte Beurteilung des Preis-Leistungs-Verhältnisses wird durch eine nachfolgende Auskömmlichkeitsprüfung nicht eingegriffen. Dies gilt selbst dann, wenn die Aufgreifschwelle betreffende Informationen in die IT-Anwendung der elektronischen Auktion integriert würden und eine entsprechende Funktionalität bereits während der Durchführung der elektronischen Auktion das Vorliegen einer Aufgreifschwelle prüfen und gegebenenfalls den öffentlichen Auftraggeber mittels einer Hinweisfunktionalität darauf aufmerksam machen würde (so der Vorschlag bei Wanderwitz in Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, VgV § 25 Rn. 16).
70
Die Vorgabe, dass das Instrument der elektronischen Auktion nur dann in einem Vergabeverfahren eingesetzt werden darf, wenn sämtliche zu wertenden Angebotskomponenten einer automatischen und mathematischen Quantifizierung unterworfen werden können, bedeutet aus den bereits dargelegten Gründen nicht, dass nach Abschluss der elektronischen Auktion dem öffentlichen Auftraggeber vergaberechtlich die Hände gebunden wären und er eine Zuschlagsmitteilung nach § 134 Abs. 1 Satz 1 GWB samt nachfolgender Zuschlagserteilung durchzuführen hätte, ohne in das Vergabeverfahren noch eingreifen zu können (Wanderwitz in Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, VgV § 26 Rn. 36). Deshalb lässt sich aus der Beschränkung des Anwendungsbereichs für Auktionen (§ 25 Abs. 1 Satz 2 VgV; Erwägungsgrund 67 sowie Art. 35 Abs. 1 UAbs. 3 der RL 2014/14/EU) ebenfalls kein konzeptionelles Hindernis, das einer abschließenden Auskömmlichkeitsprüfung entgegenstünde, ableiten.
71
Dass eine umfassende und nachvollziehbare Kalkulation „im Zeitpunkt der Auktion“ nicht möglich ist, rechtfertigt nicht die Schlussfolgerung, dass eine Auskömmlichkeitsprüfung nicht angestellt werden dürfe und dem Konzept der elektronischen Auktion widerspreche. Die Bieter können bereits vor Beginn der Auktion das für sie jeweils bestmögliche Angebot kalkulieren, bis zu dem sie auskömmlich mitbieten können. Jeder Bieter kann sein Erstangebot auf einer solchen Grundlage im Verlauf der Auktion unter Berücksichtigung seines Rangs gegebenenfalls nachjustieren. Ein Verstoß gegen das „vergaberechtliche Gebot der Fairness“ kann nicht darin gesehen werden, dass dem Bieter abverlangt wird, den durch § 60 VgV gesteckten Rahmen einzuhalten. Danach muss entweder das Angebot auskömmlich oder der Bieter im Falle eines Unterkostenangebots wettbewerbskonform in der Lage sein, den Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen (vgl. Steck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 60 VgV Rn. 13 m. w. N.).
72
Auch die Bindung der Vergabestelle an das Ergebnis ihrer gemäß § 25 Abs. 1 Satz 3 VgV durchzuführenden – und vorliegend durchgeführten – Prüfung der Erstangebote steht einer Auskömmlichkeitsprüfung der finalen Gebote nicht entgegen. Mit Letzteren liegen neue Angebote vor, für die das Ergebnis der Prüfung der Erstangebote nicht zwingend aussagekräftig ist.
73
Soweit die Antragstellerin für ihr abweichendes Verständnis unter Verweis auf die von ihr als „pauschal“ abgewertete Dokumentation der Auskömmlichkeitsprüfung eine angebliche Gefahr der manipulativen Entwertung des Auktionsergebnisses behauptet, folgt ihr der Senat nicht. Eine abschließende Auskömmlichkeitsprüfung ermöglicht keine, erst recht keine „willkürliche“ Einflussnahme auf das Ergebnis der Auktion, das auf der Grundlage einer automatisierten Wertung gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 VgV gefunden wird. Vielmehr ist im Stadium der Auskömmlichkeitsprüfung die Auktion bereits abgeschlossen (§ 26 Abs. 7 VgV) und deren Ergebnis (§ 25 Abs. 8 VgV) steht fest. Ein „Einwirken auf das automatisierte Ergebnis des Wettbewerbs“ und ein „Eingriff in den automatischen Wertungsprozess“ ist in diesem Stadium nicht mehr möglich.
74
Die Art und Weise der hier durchgeführten Dokumentation ist zudem keineswegs „Beleg“ für eine nachträgliche Manipulationsmöglichkeit. Nach den Vorgaben des Art. 69 der RL 2014/24/EU besteht keine unterschiedslose Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, ausdrücklich dazu Stellung zu nehmen, ob ein Angebot möglicherweise ungewöhnlich niedrig ist. Eine Dokumentationspflicht besteht – ebenso wie eine Verpflichtung zur begründeten Entscheidung über die Zulassung oder den Ausschluss eines Angebots – nach der Richtlinie nur, wenn ein kontradiktorisches Verfahren durchgeführt worden ist (vgl. EuGH NZBau 2023, 124 Rn. 44 – Veridos).
75
Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin ausweislich ihrer Rügeantwort vom 9. Juni 2023 für den Einstieg in eine Auskömmlichkeitsprüfung objektive Kriterien festgelegt („alle Gebote und die Kostenschätzung“). Sie hat lediglich den selbst geschätzten Auftragswert nicht mitgeteilt. Ein Vergabeverstoß ist in diesem Zusammenhang nicht erkennbar. Insbesondere kann die Ansicht der Antragstellerin nicht geteilt werden, wonach generell eine Aufgreifschwelle von 20% zu einer elektronischen Auktion nicht passe. Im Übrigen kann sich die Frage der Unangemessenheit eines Preises nicht nur aufgrund des signifikanten Abstandes zum nächstgünstigen Gebot im selben Vergabeverfahren stellen, sondern gleichermaßen etwa bei augenfälliger Abweichung von in vergleichbaren Vergabeverfahren oder sonst erfahrungsgemäß verlangten Preisen (vgl. EuGH NZBau 2023, 124 Rn. 35 – Veridos; BGHZ 214, 11 Rn. 15 – Notärztliche Dienstleistungen). Abstrakte Vorgaben vor Angebotsabgabe im Sinne einer ex-ante-Konkretisierung derjenigen Kriterien, die Anlass für den Einstieg in eine Prüfung nach § 60 VgV geben (werden), sind auch bei Durchführung einer elektronischen Auktion nicht zu verlangen.
76
Soweit die Antragstellerin das mit dem Instrument der elektronischen Auktion verfolgte Ziel der Effizienzsteigerung ins Feld führt, kann ihr nicht gefolgt werden. Zwar trifft es zu, dass die elektronische Auktion als Instrument angesehen wird, dessen sich der öffentliche Auftraggeber bedienen könne, um die Effizienz der Durchführung von Vergabeverfahren mithilfe automatisierter Angebotsbewertungsprozesse zu steigern; damit sei sie ein typisches Beispiel anwendungsorientierter Digitalisierung (vgl. Wanderwitz in Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, VgV § 25 Rn. 9). Für die rechtliche Frage, in welchem Verhältnis die hier betroffenen Vorschriften der Vergabeverordnung zueinander stehen, ist dieser Gesichtspunkt der Effizienzsteigerung jedoch ohne Aussagekraft.
77
dd) Gegen die abschließende Eignungsprüfung gemäß Ziffer 7.4 der Angebotsbedingungen bestehen unter Berücksichtigung der Erläuterung der Vergabestelle vom 16. Juni 2023 keine vergaberechtlichen Bedenken.
78
Am 16. Juni 2023 hat die Vergabestelle mitgeteilt, dass die Eignungsprüfung vor Beginn der elektronischen Auktion erfolge und eine erneute Eignungsprüfung (Ziffer 7.4 der Angebotsbedingungen) nur getätigt werde, wenn sich nachträgliche Umstände ergeben sollten, die an der Eignung des Bieters zweifeln ließen.
79
Betroffen ist wiederum der Wettbewerbsgrundsatz, § 97 Abs. 1 GWB, wenn der Auftrag an einen Mitbewerber vergeben würde, dessen Eignung zweifelhaft erscheint (BGHZ 214, 11 Rn. 23 – Notärztliche Dienstleistungen).
80
Bei der Beurteilung der Eignung eines Bieters handelt es sich um eine Prognoseentscheidung darüber, ob vom künftigen Auftragnehmer die ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen erwartet werden kann. Dass die Vergabestelle die Eignung eines Bieters bereits vor Durchführung der Auktion geprüft und bejaht hat, steht einer späteren weiteren Prüfung und gegebenenfalls abweichenden Einschätzung nicht von vornherein entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, BGHZ 199, 327 Rn. 32 ff. – Stadtbahnprogramm Gera zu einer Bauvergabe; OLG Frankfurt, Beschluss vom 10. Februar 2009, 11 Verg 16/08, juris Rn. 63 ff.). Der Wiedereinstieg in die Eignungsprüfung ist in allen Verfahren der öffentlichen Auftragsvergabe selbst bei vorgezogener Eignungsprüfung jedenfalls dann zulässig, wenn sich im Laufe eines Vergabeverfahrens Umstände ergeben, die für die Beurteilung der Eignung eines Bieters relevant sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. Februar 2013, Verg 52/12, juris Rn. 13; OLG Frankfurt, Beschluss vom 10. Februar 2009, 11 Verg 16/08, juris Rn. 63 bis 65). Auch nach Abschluss einer elektronischen Auktion kann wegen neuer Umstände die Eignungsprüfung wiederaufgegriffen werden (vgl. Wanderwitz in Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, VgV § 26 Rn. 36; Wichmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 26 Rn. 22).
81
b) Ebenfalls keinen Vergabeverstoß stellt es dar, dass die Antragsgegnerin den an der Auktion teilnehmenden Bietern nur ihren jeweiligen Rang, nicht aber die Gesamtanzahl der an der Auktion beteiligten Wettbewerber mitgeteilt hat.
82
Gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1 VgV hat der öffentliche Auftraggeber allen Bietern im Laufe einer jeden Phase der elektronischen Auktion unverzüglich zumindest den jeweiligen Rang ihres Angebots innerhalb der Reihenfolge aller Angebote mitzuteilen. Er kann den Bietern weitere Daten nach § 26 Abs. 2 Nr. 3 VgV zur Verfügung stellen, § 26 Abs. 5 Satz 2 VgV. Die Identität der Bieter darf er in keiner Phase der Auktion offenlegen, § 26 Abs. 5 Satz 3 VgV.
83
Der Wortlaut des § 26 Abs. 5 Satz 1 VgV ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht eindeutig in der Weise zu verstehen, dass der jeweilige Rang (z. B. „Rang 1“) in einen Bezug zur Gesamtzahl der Bieter (z. B. „von insgesamt 4“) zu setzen sei. Vielmehr lässt sich die Formulierung „Rang ihres Angebots innerhalb der Reihenfolge aller Angebote“ auch als bloße Umschreibung für die Rangstelle des jeweiligen Angebots begreifen, wobei die Rangstelle auf der Grundlage der Reihenfolge aller Angebote zu ermitteln ist. Nach diesem Verständnis handelt es sich bei dem Zusatz
84
„innerhalb der Reihenfolge aller Angebote“ lediglich um eine um Präzision bemühte Umschreibung des Begriffs „Rang“ ohne zusätzliches inhaltliches Erfordernis, das über den Begriff des Rangs hinausginge (vgl. auch Wanderwitz in Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, VgV § 26 Rn. 24 ff.). Dieses Verständnis teilt der Senat.
85
Den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich nichts für die Auffassung der Antragstellerin entnehmen, der deutsche Verordnungsgeber habe nicht lediglich die zwingende Vorgabe des Art. 35 Abs. 7 Satz 1 der RL 2014/24 EU umsetzen und es im Übrigen bei dem durch die Richtlinie gewährten Freiraum belassen wollen, sondern von der in Art. 35 Abs. 7 Satz 3 der Richtlinie eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und eine das Ermessen der Verwaltung in diesem Punkt (Anzahl der Bieter) generell bindende Regelung treffen wollen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Verordnungsgeber „einen Schritt weiter gegangen“ sei und die Nennung der Angebotsanzahl verbindlich in das Gesetz integriert habe.
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Die Materialien zur Verordnung der Bundesregierung zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsverordnung – VergRModVO), mit der § 26 Abs. 5 VgV eingeführt worden ist, sprechen vielmehr gegen eine Auslegung der nationalen Norm in dem Sinne, dass neben der Rangstelle stets auch die Gesamtanzahl der Bieter zwingend zu nennen sei. Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers sollte mit der Bestimmung in § 26 Abs. 5 VgV lediglich Art. 35 Abs. 7 der RL 2014/24/EU umgesetzt werden (BT-Drs. 18/7318 S. 168 und BR-Drs. 87/16 S. 181). Art. 35 Abs. 7 der RL 2014/24/EU aber verlangt in Satz 1 nur, dass die öffentlichen Auftraggeber allen Bietern im Laufe einer jeden Phase der elektronischen Auktion unverzüglich zumindest diejenigen Informationen übermitteln müssen, die erforderlich sind, damit den Bietern jederzeit ihr jeweiliger Rang bekannt ist. Zusätzlich kann den öffentlichen Auftraggebern gemäß Satz 2 die Möglichkeit eingeräumt werden, im Fall vorheriger Ankündigung weitere Informationen bekanntzugeben, und gemäß Satz 3 über die Gesamtzahl der Teilnehmer in der jeweiligen Auktionsphase zu informieren, während gemäß Satz 4 eine Preisgabe der Identität der Bieter zwingend ausgeschlossen ist. Anhaltspunkte dafür, dass der nationale Gesetzgeber mit der in § 26 Abs. 5 Satz 1 VgV gewählten Formulierung von der Möglichkeit des Art. 35 Abs. 7 Satz 3 der RL 2014/24/EU Gebrauch machen wollte, sind nicht vorhanden. Hätte er den Willen gehabt, mit der Formulierung „innerhalb der Reihenfolge aller Angebote“ von der europäischen Ermächtigungsnorm Gebrauch zu machen, so hätte es nahegelegen, dies in den Materialien in irgendeiner Weise zum Ausdruck zu bringen. Die schlichte Erläuterung dahingehend, dass mit Absatz 5 die Richtliniennorm umgesetzt werde, spricht gegen die Annahme, der nationale Gesetzgeber habe erwogen und sich dazu entschieden, eine ihm in der Richtlinie eröffnete Möglichkeit zu einer weitreichenderen Regelung zu nutzen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass etwaige Überlegungen in dieser Richtung sowie die Gründe für eine gewollte erweiterte Regelung in den Materialien dokumentiert worden wären.
87
Somit kann offenbleiben, ob die Vergabestelle nur dann befugt ist, zusätzlich zur Rangstelle die Gesamtzahl der Angebote mitzuteilen, wenn sie dies zuvor in den Vergabeunterlagen gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 3 VgV angekündigt hat (so Wanderwitz in Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, VgV § 26 Rn. 26).
88
Selbst wenn die Vergabestelle grundsätzlich befugt gewesen wäre, neben der Rangstelle auch die Gesamtzahl der Bieter mitzuteilen, liegt kein Vergabeverstoß darin, dass sie gemäß ihren Rügeantworten vom 12. und 21. Juni 2023 (Anlagen Bf 5 und Bf 7) eine entsprechende Auskunft verweigert hat. Insbesondere hat die Vergabestelle damit nicht gegen eine selbst gesetzte Vorgabe verstoßen. Gemäß Ziffer 7.3.3 der Angebotsbedingungen wird „unmittelbar nach Preisabgabe […] allen Bietern die neue Rangfolge angezeigt“. Aus der Verwendung des Begriffs „Rangfolge“ im Vergabereport ergibt sich aber nicht, dass die Antragsgegnerin selbst das Verständnis der Antragstellerin teilte, weil sie andernfalls angeblich von „Rangposition“ habe sprechen müssen. Die Vergabestelle hat ihr Wortverständnis am 12. und 21. Juni 2023 klar kommuniziert.
89
Ohne Erfolg bleibt auch der Einwand der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe von einem ihr eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht, weil sie den ihr eingeräumten Freiraum nicht erkannt habe. Den Vergabestellen ist mit den Vorgaben des § 26 Abs. 5 VgV ein Rahmen gesteckt worden, den sie einzuhalten haben. Ob sie von ihrem dementsprechend beschränkten Freiraum Gebrauch machen oder davon absehen, ist ihnen überlassen. Vergaberechtliche Konsequenzen sind daran nicht anzuknüpfen.
90
c) Gleichfalls keinen Vergabeverstoß begründet es im vorliegenden Fall, dass nach den Vertragsbedingungen mengenbezogene Preisanpassungsklauseln zum Auf- oder Abschlag auf den Indexpreis nicht vorgesehen sind. Die Vorgabe der Antragsgegnerin bewirkt keine unzumutbaren Kalkulationsrisiken.
91
aa) Ob vorliegend eine „unzumutbare Bedingung“ im Sinne eines unzumutbaren Preisrisikos anzunehmen wäre, ist für die Entscheidung unerheblich.
92
Ein Verbot der Auferlegung eines ungewöhnlichen Wagnisses enthält die Vergabeverordnung nicht. Das ursprünglich in § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006 enthaltene Gebot, dass dem Auftragnehmer kein „ungewöhnliches Wagnis“ aufgebürdet werden dürfe, ist bereits im Zuge der Novellierung der VOL/A 2009 entfallen; dass die Neuregelungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und in der Vergabeverordnung (VgV) dazu keine Regelung enthalten, ist als Verzicht des Verordnungsgebers auf das Verbot bei Dienst- und Lieferleistungen zu verstehen (vgl. Trutzel/Meeßen in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 31 Rn. 30).
93
bb) Allerdings gehört zu den bieterschützenden Verhaltenspflichten des öffentlichen Auftraggebers das Verbot von Vorgaben, die eine kaufmännisch vernünftige Angebotskalkulation unzumutbar machen und dadurch die Aussichten des Bieters auf eine Berücksichtigung seines Angebots bei der Zuschlagserteilung beeinträchtigen können (vgl. BayObLG, Beschluss vom 6. Dezember 2023, Verg 7/23e, VergabeR 2024, 163 m. w. N.).
94
Eine kaufmännisch vernünftige Angebotskalkulation ist unzumutbar, wenn Preis- und Kalkulationsrisiken über das Maß hinausgehen, das Bietern typischerweise obliegt. Erforderlich ist eine die Umstände des jeweiligen Einzelfalls berücksichtigende Abwägung der Interessen der Bieter und des öffentlichen Auftraggebers (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. April 2021, Verg 1/20, NZBau 2022, 611 Rn. 31 [juris Rn. 40]).
95
Nach diesem Maßstab ist vorliegend kein Vergabeverstoß wegen Fehlens einer mengenbezogenen Preisanpassungsklausel zu erkennen.
96
(1) Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin sind weder das Anpassungsrecht nach § 2 Nr. 3 VOL/B noch das in § 313 BGB verankerte Recht, wegen Störung der Geschäftsgrundlage gegebenenfalls eine Preisanpassung zu verlangen, vertraglich ausgeschlossen worden.
97
Dass die VOL/B Vertragsbestandteil wird, hat die Antragsgegnerin mit der Bieterinformation vom 21. Juni 2023 ausdrücklich bejaht. Hinzu kommt, dass § 2 Nr. 3 VOL/B einen Anpassungsanspruch für den Fall regelt, dass sich die Grundlage des Preises für die im Vertrag vorgesehene Leistung durch Änderungen in der Beschaffenheit der Leistung ändert. § 2 Nr. 3 VOL/B trifft mithin Regelungen für qualitative Änderungen der Leistung während der Vertragslaufzeit. Rein quantitative Änderungen fallen nicht darunter (vgl. OLG München, Beschluss vom 6. August 2012, Verg 14/12, ZfBR 2012, 805 [juris Rn. 73]; VK Nordbayern, Beschluss vom 20. Juni 2012, 21.VK3194-08/12, juris Rn. 113). Somit trifft es nicht zu, dass mittelbar wegen Fehlens einer mengenbezogenen Preisanpassungsklausel das Anpassungsrecht nach § 2 Nr. 3 VOL/B ausgeschlossen worden wäre. Der angebliche Verstoß gegen § 29 Abs. 2 Satz 1 VgV liegt mithin nicht vor.
98
Zum Ausschluss der gesetzlichen Folgen einer Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, hätte es einer vertraglichen Regelung bedurft. Ohne Erfolg versucht die Antragstellerin, die Angebotsbedingungen und die Erwiderung der Antragsgegnerin zur erbetenen Aufklärung im Sinne eines Ausschlusses des gesetzlichen Anpassungsanspruchs umzudeuten. Zwar ist der vom Bieter anzugebende Auf- bzw. Abschlag auf den Indexpreis gemäß Ziffer 3.2 der Angebotsbedingungen ein Einzelpreis pro Einheit und als solcher ein Festpreis „für die gesamte Vertragslaufzeit und zwar unabhängig davon, welche jeweiligen Mengen tatsächlich abgenommen werden“. Nichts anderes ergibt sich aus den Bieterinformationen der Antragsgegnerin. Die Antragstellerin hatte vor dem Hintergrund, dass die im Auftragszeitraum anfallenden PPK-Mengen lediglich geschätzt werden können, trotz Ziffer 3.2 der Angebotsbedingungen um Aufklärung gebeten, ab welcher Mengenabweichung pro Jahr dem Auftragnehmer ein Anspruch auf Anpassung des Preises zukommt oder ob durch die Formulierung, wonach es sich bei dem vom Bieter abzugebenden Preis um einen Festpreis für die gesamte Vertragslaufzeit handele, Ansprüche auf Preisanpassung bei jeglicher Mengenabweichung ausgeschlossen werden. Darauf bezieht sich die Bieterinformation der Antragsgegnerin vom 12. Juni 2023, mit der sie mitgeteilt hat, dass der vom Auftragnehmer zu bietende Auf- bzw. Abschlag auf den Index über die Vertragslaufzeit fest und somit ein Festpreis sei. Aus diesem Festpreis und dem Index bzw. den Index-Veränderungen ergebe sich ein variabler Preis. Dem Zusatz „Eine Preisanpassung bei jeglicher Mengenabweichung wird ausgeschlossen“ wohnt vor diesem Hintergrund (nur) die Bedeutung bei, dass der vom Auftragnehmer zu bietende Auf- bzw. Abschlag ein fixer Preisbestandteil ist, für den eine mengenbezogenen Variabilität vertraglich ausgeschlossen wird. Im Ausschluss einer mengenbezogenen Anpassung mag eine Risikozuweisung liegen. Die wesentlich umfassendere Regelung des § 313 BGB ist jedoch nicht abbedungen worden.
99
(2) Die Zuweisung des mit Mengenschwankungen verbundenen Risikos an den Bieter bewirkt vorliegend keine Unzumutbarkeit der Angebotskalkulation.
100
Weil nach den vertraglichen Bestimmungen auf der Basis des Gewichts des Altpapiers abzurechnen und zu vergüten ist, enthält der Vertrag bereits einen Mechanismus der Preisanpassung bei Mengenschwankungen. Die Wettbewerber hatten keineswegs einen Festpreis anzubieten, den sie als Auftragnehmer völlig unabhängig von den ihnen überlassenen Mengen zu zahlen bereit sind, sondern lediglich einen fixen Auf- oder Abschlag auf den Indexpreis. Die Vergütung erfolgt sodann ausweislich Ziffer 3.2 der Angebotsbedingungen „pro Einheit“, mithin „pro Tonne“; nur die Höhe des Auf- oder Abschlags gilt für die gesamte Vertragslaufzeit und unabhängig davon, welche jeweiligen Mengen tatsächlich abgenommen werden.“
101
Ein zusätzlicher mengenbezogener Variabilitätsfaktor bei der Höhe des Auf- oder Abschlags könnte zwar möglicherweise das mit Mengenschwankungen verbundene Risiko für die Bieter weiter reduzieren und ihnen dadurch die Kalkulation der Angebotspreise unter Berücksichtigung ihrer Vertragskonditionen mit den Papierfabriken weiter erleichtern. Jedoch ist weder gegen das Gebot eindeutiger und erschöpfender Leistungsbeschreibung (§ 121 GWB i. V. m. § 31 VgV) dadurch verstoßen, dass die anfallenden Mengen an PPK-Abfall nicht vertraglich festgelegt sind, noch gibt es einen vergaberechtlichen Anspruch auf eine vertragliche Preisgestaltung, die den Bietern jegliches Prognose- und damit verbundene Preisrisiko abnimmt. Abseits des Fehlens einer gültigen Abstimmungsvereinbarung (dazu bereits unter Ziffer 1.) ist nicht erkennbar, dass Umstände vorlägen, die eine seriöse Kalkulation unmöglich machten oder unzumutbar erschwerten.
102
Bei der insoweit anzustellenden, umfassenden Würdigung aller Umstände fallen insbesondere folgende Gesichtspunkte ins Gewicht:
103
Die Vergabestelle hat in den Ergänzenden Vertragsbestimmungen die gesamte in ihrem Einzugsgebiet erfasste Sammelmenge von kommunalem und nichtkommunalem PPK für 2019 bis 2022 in einer Tabelle, aufgeschlüsselt nach Monaten, mitgeteilt. Diese Daten genügen, um dem Gebot der erschöpfenden Leistungsbeschreibung (§ 121 GWB i. V. m. § 31 VgV) gerecht zu werden, denn die überlassenen Informationen und Zahlen ermöglichen eine Prognose über das Auftragsvolumen (dazu: Friton/Prieß in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, GWB, § 121 Rn. 18 ff.; Lampert in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, GWB § 121 Rn. 46, 61 ff.). Aufgrund der mitgeteilten Sammelmengen der letzten vier Jahre dürfte es den Bietern möglich sein, das Risiko von Mengenänderungen während der nur einjährigen Laufzeit des Auftrags hinreichend verlässlich abzuschätzen und kalkulatorisch zu berücksichtigen. Unsicher wird die Prognose der anfallenden Mengen insbesondere mit zunehmender Vertragslaufzeit.
104
Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträgerin nach § 20 Abs. 1 Satz 1 KrWG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 BayAbfG verpflichtet ist, die in ihrem Gebiet angefallenen und überlassenen Abfälle aus privaten Haushaltungen nach den näheren Bestimmungen des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz – KrWG) zu verwerten oder zu beseitigen. Die Erzeuger oder Besitzer von Abfällen aus privaten Haushaltungen wiederum sind gemäß § 17 Abs. 1 KrWG grundsätzlich dazu verpflichtet, diese Abfälle dem zuständigen öffentlichrechtlichen Entsorgungsträger zu überlassen. Vor diesem Hintergrund ist es den Bietern ohne Weiteres zumutbar, das Risiko extremer Mengenschwankungen zu bewerten und in die Kalkulation einzubeziehen. Dass eine Änderung der Abfallsatzung geplant und deshalb die in der Vergangenheit angefallenen Mengen nicht mehr repräsentativ gewesen seien, ist nicht behauptet. Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass die PPK-Menge infolge gewerblicher oder gemeinnütziger Sammlungen in erheblichem Umfang zurückgehen könne, blendet sie aus, dass nach § 17 Abs. 3 KrWG (in der ab dem 29. Oktober 2020 geltenden Fassung) die Zulässigkeit gewerblicher Sammlungen an enge Voraussetzungen geknüpft ist. Verlangt wird, dass die gewerbliche Sammlung wesentlich leistungsfähiger sein muss als diejenige des öffentlichen Entsorgungsträgers. Ist das nicht der Fall, kann die gewerbliche Sammlung aufgrund einer Gefährdung der öffentlichen Sammlung untersagt werden. Durch die Verschärfung der Anforderungen ist die Position der Kommunen als öffentliche Entsorgungsträger gegenüber den privaten Entsorgern nochmals gestärkt worden, um durch Sammlungen des gesamten häuslichen Abfallaufkommens, mithin auch der besonders werthaltigen Abfallfraktionen, eine kostengünstige Entsorgung zu gewährleisten (Giesberts in BeckOK Umweltrecht, 70. Ed. Stand: 1. April 2024, KrWG § 17 Vorbemerkung). Hinsichtlich gemeinnütziger Sammlungen bestehen nach dem Gesetz zwar keine vergleichbaren Restriktionen. Jedoch kann bei gemeinnützigen Sammlungen regelmäßig von einer geringeren Sammelintensität und räumlich begrenzter Tätigkeit ausgegangen werden (vgl. BT-Drs. 17/6052 S. 89 [li. Sp.] zu § 18 des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts).
105
Des Weiteren liegt es in der Natur der Sache, dass die in Ziffer 7.3 der Vertragsbedingungen angegebenen Mengen lediglich eine auf Erfahrungswerten beruhende Schätzung darstellen. Dass die künftig anfallenden Mengen davon abweichen und ohnehin variieren können, ist typischerweise der Fall. Den Umfang der zu entsorgenden Menge kann weder der Auftraggeber noch ein Bieter im Vorfeld sicher voraussehen; der von der Antragstellerin monierte Unsicherheitsfaktor ist der ausgeschriebenen Dienstleistung somit typischerweise immanent. Den Bietern werden gerade keine untypischen Preis- und Kalkulationsrisiken abverlangt, wenn sie die Auswirkungen dieser Ungewissheit kalkulatorisch erfassen und berücksichtigen müssen.
106
Zugunsten der Antragstellerin kann unterstellt werden, dass der bei Papierfabriken zu erzielende „Erlös“ (gemeint wohl: Preis pro Einheit) in Abhängigkeit von der anzuliefernden Menge steht, dass beim Verkauf an Papierfabriken Mindestabnahmemengen gelten und dass Papierfabriken Mengenboni ab bestimmten Anlieferungsmengen vergeben.
107
Aus diesen allgemeinen Angaben ergibt sich nichts Greifbares, was – zumal unter Berücksichtigung der oben genannten, zu Lasten der Antragstellerin in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte – eine Kalkulation des Angebotspreises als unzumutbar erscheinen ließe. Auch wenn Unsicherheiten durch die Aufnahme von Mengenkorridoren begegnet werden könnte, heißt das nicht, dass der öffentliche Auftraggeber solche Korridore vorsehen muss. Der Verweis der Antragstellerin auf die Entscheidung des Oberlandegerichts München vom 6. August 2012, Verg 14/12 (ZfBR 2012, 805) trägt nicht. Die lediglich obiter dictu erfolgte Aussage, wonach im dort entschiedenen Fall „die Mengenabweichungen mit 20-25% grenzwertig erscheinen“ (juris Rn. 68), ist nicht näher ausgeführt. Auf welchen Erwägungen für die dort zugrunde liegende Konstellation diese Einschätzung beruhte, ist mithin nicht erkennbar.
108
Hinsichtlich des gegenständlichen Auftrags ist die Vergabestelle zur Festlegung von Mindest- oder Höchstmengen nicht verpflichtet. Ebenso wenig ist sie verpflichtet, Staffelpreise in Abhängigkeit von den tatsächlich anfallenden Mengen zu akzeptieren.
109
Der öffentliche Auftraggeber muss bestehende Mengenrisiken, namentlich auf dem Entsorgungssektor, nicht zu seinen Lasten übernehmen. Es besteht auch kein Anspruch darauf, dass er Bieterinteressen bei Ausschreibungen in der Weise bedient, dass er – sofern, wie auf dem Entsorgungssektor, bei den Mengen nicht unerhebliche Schwankungen zu erwarten und genaue Festlegungen nicht möglich oder nicht zumutbar sind – eine Methode vorgibt, nach der die Angebotspreise möglichst risikolos kalkuliert werden können (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. April 2013, VII-Verg 50/12, NZBau 2013, 597 [juris Rn. 31]). Vorliegend ist es nach Abwägung aller Umstände nicht zu beanstanden, dass grundsätzlich auch extreme Mengenänderungen ohne Einfluss auf die Höhe des Auf- oder Abschlags bleiben. Die kurze Laufzeit, die vorliegenden Erfahrungswerte aus mehreren Jahren, die öffentlich-rechtlich begründete Entsorgungspflicht der Antragsgegnerin und das Fehlen konkreter Anhaltspunkte für extreme Änderungen in der nächsten Zukunft ermöglichen es, das Mengenänderungsrisiko zu bewerten. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass bereits einige Preisanpassungsfaktoren vorgesehen sind, mit denen Risiken abgefedert werden. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin fließt dieser Gesichtspunkt in die Zumutbarkeitsprüfung ein, denn erforderlich ist eine Abwägung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls (vgl. BayObLG VergabeR 2024, 163 [juris Rn. 33]; OLG Düsseldorf NZBau 2022, 611 Rn. 31 [juris Rn. 40]).
110
Mit diesen Erwägungen weicht der Senat entgegen der Meinung der Antragstellerin nicht von dem Maßstab ab, an dem nach oberlandesgerichtlicher Rechtsprechung die Unzumutbarkeit einer kaufmännisch vernünftigen Angebotskalkulation gemessen wird (dazu: BayObLG VergabeR 2024, 163 [juris Rn. 55] m. w. N.). Vielmehr führt die Anwendung eben dieser in gefestigter Rechtsprechung anerkannter Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Fall zu dem dargestellten Ergebnis. Mangels Divergenz besteht kein Anlass für eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 179 Abs. 2 Satz 1 GWB.
111
d) Erfolglos bleibt die Antragstellerin auch insoweit, als sie eine unterschiedliche Stoffbeschreibung der beiden Teilmengen, also des kommunalen und des nichtkommunalen Anteils am Gesamtgemisch, beanstandet.
112
Bei der Stoffbeschreibung für die beiden Teilmengen, für die einerseits ein Abschlag oder Aufschlag auf den Indexpreis „EUWID Gemischte Ballen“ und andererseits lediglich die Kosten für die Übernahme bis zur Übergabe an den Systembetreiber anzugeben waren, handelt es sich aus der Sicht eines verständigen, mit dem Ausschreibungsgegenstand vertrauten, sorgfältigen Bieters nicht um unterschiedliche Qualitätszuschreibungen. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist die Leistungsbeschreibung mithin weder widersprüchlich noch intransparent.
113
aa) Vergabestellen sind verpflichtet, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu formulieren und Widersprüchlichkeiten zu vermeiden (BGH, Urt. v. 3. April 2012, X ZR 130/10, NZBau 2012, 513 Rn. 9; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Dezember 2017, Verg 19/17, NZBau 2018, 242 Rn. 32 [juris Rn. 54]). Für die Leistungsbeschreibung ergibt sich dies ausdrücklich aus § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB, § 31 Abs. 1 VgV.
114
Eine Leistungsbeschreibung ist eindeutig, wenn aus Sicht eines durchschnittlichen und mit der Art der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Bieters klar ersichtlich ist, welche Leistung der Auftragnehmer zu welcher Zeit, in welchem Umfang und in welcher Qualität zu erbringen hat und welche Anforderungen und Bedingungen an die vom Auftraggeber geforderte Leistung gestellt werden. Dass Bieter oder Bewerber Vergabeunterlagen auslegen müssen, um das vom öffentlichen Auftraggeber Verlangte zu erkennen, ist als solches nicht vergaberechtswidrig. In vergaberechtswidriger Weise nicht mehr eindeutig ist die Leistungsbeschreibung, wenn sie mehrere vertretbare Auslegungsmöglichkeiten zulässt und es fachkundigen Unternehmen auch nach sorgfältiger Lektüre unklar bleibt, welche Leistung der Auftraggeber nachfragt (zum Ganzen: Meeßen in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, GWB § 121 Rn. 5, 7; Stein/Wolf in BeckOK Vergaberecht, 32. Ed. Stand: 1. Mai 2024, GWB 121 Rn. 12 ff.; Lampert in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, GWB § 121 Rn. 41 ff; Zimmermann in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPKVergaberecht, 6. Aufl. Stand: 15. September 2022, § 121 GWB Rn. 32 ff.; Pauka/Krüger in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, GWB § 121 Rn. 13 ff.; Friton/Prieß in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, GWB, § 121 Rn. 31 ff.; jeweils m. w. N.).
115
bb) Vorliegend ergibt sich aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen und sachkundigen Bieters mit der notwendigen Eindeutigkeit, welche Leistung die Antragsgegnerin nachgefragt hat. Etwaige Unklarheiten sind jedenfalls mit den Bieterinformationen vom 12. und 21. Juni 2023 ausgeräumt.
116
Die Antragstellerin trägt selbst vor, dass nicht nachvollziehbar sei, wie es zu einer unterschiedlichen Stoff-Zusammensetzung im kommunalen und nicht-kommunalen Anteil des Sammelguts kommen könne, wenn das Altpapier gemeinsam in einer Tonne erfasst und keine Sortierung durchgeführt werde. Wenn sie im Widerspruch dazu der unterschiedlichen Bezeichnung der beiden Stoffmengen von 14.000 t („1.02.00 – Gemischtes Altpapier, 1.04.00 – Verpackungen aus Papier und Karton, 1.11.00 – Deinkingware“) und 3.500 t („1.02.00 – Gemischtes Altpapier“) in der Leistungsbeschreibung die Bedeutung unterschiedlicher Definitionen von Qualitätsstufen beimisst, kann ihr nicht gefolgt werden. Die Leistungsbeschreibung kann gerade nicht in der Weise verstanden werden, dass in den beiden Teilmengen des Gesamtsammelguts unterschiedliche Stoffe enthalten seien oder dass unterschiedliche Qualitätsstufen für den kommunalen und den nicht-kommunalen, herauszugebenden Anteil gelten würden. Aus diesem Grund liegen auch der angebliche Widerspruch und der angebliche Verstoß gegen den in § 31 VgV verankerten Grundsatz der Transparenz sowie den Grundsatz einer eindeutigen Leistungsbeschreibung nach § 121 GWB i. V. m. § 31 VgV nicht vor.
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Das zutreffende Verständnis ergibt sich klar aus den Ausschreibungsunterlagen und den Erläuterungen, die die Antragsgegnerin auf die Nachfragen der Antragstellerin gegeben hat. Gemäß den ergänzenden Vertragsbedingungen (unter „Herkunft und Qualität der PPK-Abfälle“) werden die PPK-Fraktionen „gemischt [Papier, Pappe und Kartonagen, einschließlich PPK-Verkaufs-/Um- und Transportverpackungen] und unsortiert erfasst und dem Auftraggeber gemischt und unsortiert angedient und ohne weitere Behandlung […] dem Auftragnehmer übergeben. Es erfolgt insbesondere keine Sortierung in Verpackungs- und Nichtverpackungsmengen.“ Danach ist das PPKGemisch, das dem Auftragnehmer zur eigenen Verwertung und gegebenenfalls anteiligen Herausgabe an Systembetreiber überlassen wird, klar beschrieben. Mit ihren Bieterinformationen vom 12. und 21. Juni 2023 hat die Antragsgegnerin darüber hinaus mitgeteilt, dass auf entsprechendes Verlangen eines Systembetreibers eine anteilige Bereitstellung des unsortierten Gemischs an der Übergabestelle des Auftragnehmers erfolge und der Systembetreiber seine entsprechende Teilmenge des PPKSammelgemischs sodann selbst vermarkte. Branchenkundige Bieter konnten auf dieser Grundlage nicht annehmen, die beiden Teilmengen (kommunaler und nichtkommunaler Anteil) stünden auf unterschiedlichen Qualitätsstufen oder die herauszugebende Teilmenge habe eine andere Qualität aufzuweisen als das überlassene Gemisch. Eine – faktisch ohnehin nicht zu leistende – Aussonderung des gewerblichen Verpackungsanteils wird nach den Vergabeunterlagen vom Auftragnehmer gerade nicht verlangt, auch nicht hinsichtlich eines gegebenenfalls an die Systeme herauszugebenden Anteils. Die Stoffbeschreibung für den kommunalen Anteil trägt lediglich dem Umstand Rechnung, dass in der Gesamtsammelmenge unsortiert Bestandteile unterschiedlicher Qualitätsstufen enthalten sind, wobei exakte Angaben zu den prozentualen Anteilen nicht möglich sind. Daraus sind die Qualitätsanforderungen, die an den kommunalen Anteil – gegebenenfalls auch im Hinblick auf den Umfang eines zu tolerierenden Störstoffanteils – zu stellen sind, abzuleiten. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist die Stoffzusammensetzung mithin nicht unklar.
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Die Verwendung unterschiedlicher Kennungen im Rahmen der Leistungsbeschreibung lässt kein abweichendes Verständnis zu. Die Stoffbeschreibung ist zusammen mit dem den Branchenkennern bekannten, aus den Regelungen des Verpackungsgesetzes folgenden Umstand zu lesen, wonach die Systeme lediglich am „Verpackungsanteil“ partizipieren, de facto aber – auf der Grundlage der jeweils gültigen Abstimmungsvereinbarung – Herausgabe eines Anteils am ungetrennten Altpapiergemisch verlangen können.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, § 175 Abs. 2 i. V. m. § 71 Satz 1 GWB. Entscheidend ist nicht allein, dass die Antragstellerin die Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Einholung der Angebote angestrebt und erreicht hat. Vielmehr ist daneben zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin für die Wiederholung der Ausschreibung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht zahlreiche Vorgaben entsprechend ihren erhobenen Beanstandungen zu erreichen suchte, eine Änderung der Ausschreibungsunterlagen insoweit aber nicht veranlasst ist. Insoweit hat die Antragstellerin ihr Verfahrensziel nicht erreicht. Erreicht hat sie eine zweite Chance auf den Zuschlag. Den Grad des Unterliegens schätzt der Senat unter Berücksichtigung der Bedeutung der einzelnen Rügen auf 50% (zum Ganzen: Krohn in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, GWB § 182 Rn. 31 f.). Es entspricht der Billigkeit, diese Gesichtspunkte auch bei der Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren einschließlich des Eilverfahrens gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB zu berücksichtigen. Die Antragstellerin ist mit ihrem Sachantrag im Beschwerdeverfahren nur formal vollständig, materiell aber nur teilweise durchgedrungen, weil sie zwar durch die Rückversetzung eine zweite Chance erhält, die Vergabeunterlagen jedoch nicht in der von der Antragstellerin erstrebten Weise abzuändern sind (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 3. Dezember 1986, 1 BvR 872/82, BVerfGE 74, 78 [95 f., juris Rn. 46]; BayObLG VergabeR 2024, 163 [juris Rn. 88]; Johanns/Roesen in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, GWB § 71 Rn. 8 ff.). Die Gewichtung rechtfertigt im Ergebnis eine Kostenaufhebung.
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Da sich die Beigeladene weder schriftsätzlich noch durch eigene Antragstellung am Verfahren vor dem Beschwerdegericht beteiligt hat, das über das selbstverständliche Interesse des zum Zuschlag vorgesehenen Unternehmens hinausgeht, besteht kein Anlass, ihr eine Zahlungsverpflichtung aufzuerlegen oder einen Anspruch auf Erstattung etwaiger Aufwendungen zuzuerkennen. Dass sie sich in der mündlichen Verhandlung auf die Fragen des Senats zu den tatsächlichen Umständen geäußert hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung (vgl. auch Vavra/Willner in Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, GWB § 175 Rn. 14 m. w. N.).
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Die Entscheidung über die Festsetzung des Werts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.