Titel:
Anerkennung einer COVID-19 Erkrankung als Dienstunfall
Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1-3
BayBeamtVG Art. 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1
BKV Nr. 3101 der Anlage 1
Leitsatz:
Bei einer pandemisch verbreiteten Krankheit reicht selbst ein hoher Grad an Durchseuchung des Tätigkeitsumfeldes grundsätzlich nicht aus, um eine besondere Infektionsgefahr zu begründen. Hinzukommen muss vielmehr immer eine im Vergleich zur übrigen Bevölkerung besondere, mit der konkreten dienstlichen Verrichtung verbundene Übertragungsgefahr. Denn der Gesetzgeber ist von dem allgemeinen Grundsatz ausgegangen, dass die Folgen schicksalsmäßiger schädlicher Einwirkungen von dem Geschädigten selbst zu tragen sind, also regelmäßig nicht auf einen schuldlosen Dritten abgewälzt werden können; und er hat den öffentlich-rechtlichen Dienstherren in Abweichung von diesem Grundsatz das (wirtschaftliche) Risiko für eine von einem Beamten im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit erlittenen Infektion nur ausnahmsweise auferlegt. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anerkennung als Dienstunfall, COVID-19 Erkrankung als Berufskrankheit, Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt (verneint), Justizsicherheitssekretär an einem Landgericht, Bearbeitung des Posteinlaufs und -versands sowie Aktensortierung, Gemeinsame Nutzung eines Dienstzimmers, Zusammenarbeit mit einem Kollegen, der in einem Arbeitsumfeld mit überdurchschnittlich vielen Corona-Infektionen tätig war, Anerkennung, Dienstunfall, COVID-19, Erkrankung, Berufskrankheit, Gefahr, besonders ausgesetzt, Justizsicherheitssekretär, Landgericht, Bearbeitung, Post, Aktensortierung, gemeinsame Nutzung, Dienstzimmer, Zusammenarbeit, Kollegen, Arbeitsumfeld, viele Corona-Infektionen, Anscheinsbeweis
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 05.03.2024 – B 5 K 23.198
Fundstelle:
BeckRS 2024, 23908
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt wird (BVerfG, B.v. 21.12.2009 – 1 BvR 812/09 – juris Rn. 16; B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 19 m.w.N.) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19).
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Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass der zuletzt als Justizsicherheitssekretär an einem Landgericht tätige Kläger weder aus Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG noch aus Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG i.V.m. Nr. 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31. Oktober 1997 (BGBl I S. 2623) einen Anspruch auf Anerkennung der Infektion mit SARS-CoV-2 als Dienstunfall hat.
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Der Kläger meint, er sei nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Infektionsgefahr besonders ausgesetzt gewesen, weil er sich am Freitag, dem 11. März 2022, bei seiner Bearbeitung des Posteinlaufs und -versands ein Dienstzimmer (sog. Zentrale Wachtmeisterei) mit einem am 14. März 2022 positiv getesteten Kollegen geteilt habe, der in der Woche vom 7. bis 11. März 2022 die Post und die Akten bei der überdurchschnittlich stark von SARS-CoV-2 betroffenen Staatsanwaltschaft des Landgerichts, in der Schutzmaßnahmen außer Acht gelassen worden seien, abgetragen hatte. Da sich der Kläger mit dem Kollegen nur ein kleines Dienstzimmer geteilt habe, hätte der vorgeschriebene Abstand nicht durchgehend eingehalten werden können. Die an seinem Arbeitsplatz geltenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen ließen die besondere Infektionsgefahr nicht entfallen. Im Tätigkeitsumfeld des Klägers hätten sich Ansteckungsfälle gehäuft. Der unmittelbare Kollege und zwei weitere Wachtmeister seien an COVID-19 erkrankt. Gleichzeitig seien bei der Staatsanwaltschaft überdurchschnittlich viele Staatsanwälte erkrankt gewesen, die entgegen den geltenden Dienstanweisungen vor Ort gearbeitet hätten. Die Rechtsprechung lasse in einer solchen Konstellation den Anscheinsbeweis für das Vorliegen eines Dienstunfalls zu.
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Damit vermag der Kläger nicht durchzudringen. In seiner Berufungszulassungsbegründung und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 7. August 2024 wiederholt und vertieft er im Wesentlichen lediglich seinen bisherigen Vortrag, bei der Staatsanwaltschaft habe es sich um einen „Hotspot“ gehandelt, dem sein Kollege und über diesen er selbst einem erhöhten Risiko einer Infektion ausgesetzt gewesen seien. Daher verfehlt er bereits weitgehend die Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO.
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Mit seinem Vortrag legt der Kläger aber auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils dar.
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Nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung (Bearbeitung des Posteinlaufs und -versands sowie Aktensortierung) war der Kläger der Gefahr, an Covid-19 zu erkranken, nicht im Sinne des Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG i.V.m. Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV besonders ausgesetzt. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der dargestellten konkreten Umstände des Einzelfalls.
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Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG soll nicht die Folgen jeglicher Krankheit abmildern, die sich der Beamte im Dienst zuzieht, sondern nur besonderen Gefährdungen Rechnung tragen, denen ein Beamter im Vergleich zur Beamtenschaft insgesamt ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2011 – 2 C 55.09 – juris Rn. 17). Deshalb genügt die generelle Ansteckungsgefahr, der ein Beamter ausgesetzt sein kann, wenn er im Dienst mit anderen Menschen in Kontakt kommt, gerade nicht (BayVGH, U.v. 5.6.2024 – 3 BV 21.3116 – juris Rn. 22 f. m.w.N.). Bei einer pandemisch verbreiteten Krankheit reicht selbst ein hoher Grad an Durchseuchung des Tätigkeitsumfeldes grundsätzlich nicht aus, um eine besondere Infektionsgefahr zu begründen (BayVGH, U.v. 5.6.2024, a.a.O. Rn. 78). Hinzukommen muss vielmehr immer eine im Vergleich zur übrigen Bevölkerung besondere, mit der konkreten dienstlichen Verrichtung verbundene Übertragungsgefahr. Denn der Gesetzgeber ist von dem allgemeinen Grundsatz ausgegangen, dass die Folgen schicksalsmäßiger – d.h. von niemandem verschuldeter – schädlicher Einwirkungen von dem Geschädigten selbst zu tragen sind, also regelmäßig nicht auf einen schuldlosen Dritten – hier den Dienstherrn – abgewälzt werden können; und er hat den öffentlich-rechtlichen Dienstherren in Abweichung von diesem Grundsatz das (wirtschaftliche) Risiko für eine von einem Beamten im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit erlittenen Infektion nur ausnahmsweise auferlegt (vgl. BVerwG, U.v. 11.2.1965 – II C 11.62 – BeckRS 1965, 31317469; BayVGH, U.v. 5.6.2024, a.a.O. Rn. 80). Hierfür genügt nicht eine Infektionsgefahr, die aus der bloßen Zusammenarbeit mit anderen Menschen herrührt. Denn die bloße Zusammenarbeit mit anderen Menschen ist gerade nicht einer konkreten dienstlichen Tätigkeit eigentümlich, sie ist vielmehr generell in einer Beschäftigung im Arbeitsleben und nicht nur im Beamtentum und der konkreten dienstlichen Verrichtung angelegt. Es bedarf daher besonderer, für die dienstliche Verrichtung typischer Umstände, die zu einer im Vergleich zur übrigen Bevölkerung höheren Übertragungsgefahr geführt haben. Hierunter fiele es insbesondere, wenn die dienstliche Verrichtung das Außerachtlassen empfohlener und üblicherweise vorgesehener Infektionsschutzmaßnahmen (Abstand, Masken, Testpflichten, Hygieneschutzkonzepte) bedingte (BayVGH, U.v. 5.6.2024, a.a.O. Rn. 78).
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Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen seiner Sachverhaltswürdigung zutreffend festgestellt, dass im Fall des Klägers keine zusätzlich risikoerhöhenden Faktoren hinzugetreten sind, die eine besondere Infektionsgefahr begründen könnten. Dabei hat es sich nicht nur ausdrücklich auf die risikoverringernde Wirkung der zum Zeitpunkt der Infektion des Klägers an seinem Arbeitsplatz geltenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen bezogen, sondern bei seiner Risikobewertung in erster Linie auf die konkrete dienstliche Tätigkeit abgestellt. In rechtlich nicht zu beanstandender Weise kam es zu dem Schluss (UA S. 22 f.), dass die vom Kläger zum streitgegenständlichen Zeitpunkt ausgeübte Tätigkeit des Posteinlaufs und -versands sowie der Aktenorganisation nicht nahelege, dass ein besonders enger Kontakt zu Kollegen notwendig oder die jederzeitige Einhaltung des Mindestabstands nicht möglich gewesen sei. Es seien auch keine Anhaltspunkte vorgetragen worden, dass für die Erledigung des Posteinlaufs und -versands eine besonders viele Aerosole ausstoßende Tätigkeit ausgeübt worden sei (z.B. durch erheblichen Besprechungsbedarf oder körperliche Anstrengung) oder eine Vielzahl kreuzender Wege zu einer besonders vermehrten Vermischung der Aerosole beigetragen habe. Die darüberhinausgehende Feststellung, dass die zum Zeitpunkt der Infektion des Klägers an seinem Arbeitsplatz geltenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu einer Minimierung des Infektionsrisikos beigetragen hätten (vgl. UA S. 21), ist weder rechtlich noch tatsächlich zu beanstanden. Alle Justizangehörige waren aufgrund umfangreicher Anordnungen der Präsidentin des Landgerichts vom 24. Februar 2022 zum Schutz vor COVID-19 (vgl. Dienstunfallakte S. 13 bis 20) aufgefordert, die allgemein anerkannten Hygienemaßnahmen (insbesondere 1,5 m Mindestabstand, Meidung von Körperkontakt und häufiges und gründliches Lüften) zu beachten. Auf den Begegnungs- und Verkehrsflächen und damit auch für die Wachtmeister beim Aktenumlauf habe gemäß Nr. 4 Buchst. b die Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken gegolten. Daneben sei Ende 2020 ein Lüftungskonzept für die Wachtmeisterei entwickelt worden, das auch im März 2022 gegolten habe. In der Wachtmeisterei sei zudem ein Luftreinigungsgerät im Einsatz gewesen. FFP2-Masken seien vom Landgericht kostenlos zur Verfügung gestellt worden. Zudem seien zwei kostenlose Selbsttests pro Woche angeboten worden.
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Das Verwaltungsgericht hat das verbleibende Restrisiko einer Ansteckung unter Kollegen erkannt, aber dem allgemeinen Lebensrisiko zugeschrieben (UA S. 22). Der Kläger zeigt nicht auf, weshalb diese rechtliche Wertung fehlerhaft wäre.
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Die bloße Behauptung, das Arbeitszimmer des Klägers und seines Kollegen sei derart beschaffen, dass der vorgeschriebene Abstand nicht habe durchgehend eingehalten werden können, weil sie sich nur ein „kleines“ Dienstzimmer hätten teilen können, hält der Senat vor dem Hintergrund der gegenteiligen Stellungnahme der Präsidentin des Landgerichts, der ausgeübten Tätigkeit und einer Raumfläche der Wachtmeisterei von insgesamt 52,73 m2 (Dienstunfallakte S. 11, 16) für nicht plausibel. Zudem ist maßgeblich, dass die Gefährdung aus der konkreten Tätigkeit selbst herrührt. Denn der Gesetzgeber hat sich in Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG dafür entschieden, auf die Art der jeweiligen Tätigkeit abzustellen und nicht auf sonstige dienstliche Bedingungen wie insbesondere die Beschaffenheit der Diensträume (vgl. BayVGH, U.v. 5.6.2024, a.a.O. Rn. 23 m.w.N.).
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Dass neben dem Kläger noch insgesamt drei Wachtmeister an COVID-19 erkrankt waren, führt nicht zur Annahme einer besonderen Infektionsgefahr. Selbst wenn ein hoher Grad an Durchseuchung des Tätigkeitsumfeldes des Beamten vorläge, würde dies hierfür aufgrund der pandemischen Verbreitung der Krankheit nicht ausreichen (BayVGH, U.v. 5.6.2024, a.a.O. Rn. 78). Der Kontakt des Klägers mit dem zuerst erkrankten Kollegen beschränkte sich zudem auf lediglich ca. sechs Stunden (am 11.3.2022 während seiner Dienstzeit von 6.25 Uhr bis 12.35 Uhr). Hinsichtlich der beiden später erkrankten Wachtmeisterkollegen wird mit dem vagen Hinweis, die Wachtmeister hätten sich „die Aufenthaltsräume geteilt“, nicht substantiiert dargelegt, in welcher Art, Häufigkeit und Dauer der Kläger Kontakt zu diesen im Vorfeld seiner Infektion hatte. Die Zulassungsbegründung räumt selbst ein, dass zwischen den Wachtmeistern „kein dauerhafter Kontakt“ bestanden habe.
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Die besondere Gefährdung resultiert auch nicht daraus, dass der zuerst erkrankte Kollege des Klägers möglicherweise einem höheren Infektionsrisiko aufgrund des Aktenumlaufs in der mit einer erheblichen Anzahl an Corona-Krankmeldungen belasteten Staatsanwaltschaft ausgesetzt war. Anderweitige Krankmeldungen bei der Staatsanwaltschaft sind schon deshalb nicht ausschlaggebend, da der Kläger zu diesem Personenkreis keinen Kontakt hatte. Ob in diesem Bereich empfohlene oder angeordnete Schutzmaßnahmen eingehalten worden sind oder nicht, ist daher ohne Belang. Die Zusammenarbeit mit einem nicht nur einem höheren Erkrankungsrisiko ausgesetzten, sondern sogar infizierten Kollegen gehört in Pandemiezeiten grundsätzlich zum allgemeinen Lebensrisiko. Inwieweit der Kollege durch sein (privates oder berufliches) Verhalten einer höheren Infektionsgefahr unterlag, spielt daher keine Rolle. Es widerspräche dem Sinn und Zweck der Unfallfürsorge, einen solchen Fall dem Risikobereich des Dienstherrn zuzurechnen. Maßgeblich ist, ob der Beamte oder die Beamtin nach der Art „seiner oder ihrer“ dienstlichen Verrichtung (Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG) der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt war.
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Soweit der Kläger wie schon im erstinstanzlichen Verfahren meint, er könne sich im Rahmen von Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG auf einen Anscheinsbeweis berufen, versäumt er es, sich mit den Urteilsgründen (vgl. UA S. 25 unter Bezugnahme auf VG Düsseldorf, U.v. 12.12.2022 – 23 K 8281/21 – juris Rn. 97 ff.) substantiiert auseinanderzusetzen. Damit verfehlt er auch zu diesem Punkt die Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO.
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Der Zulassungsantrag war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Ziffer 10.8 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (wie Vorinstanz).
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Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).