Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 15.08.2024 – B 5 E 24.685
Titel:

Zweifel an der Eignung für das Beamtenverhältnis aufgrund Erkenntnissen aus zu löschenden Personalaktendaten 

Normenketten:
GG Art. 3 Abs. 1
BWLBG § 86
VwGO § 123
BDG § 16
Leitsätze:
1. Im Rahmen des Bewerbungsverfahrens ist zu überprüfen, ob der Bewerber nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung den Anforderungen der zu besetzenden Stelle genügt; dabei darf der Dienstherr die Einstellung – und als notwendige Vorstufe dessen auch die Frage der Teilnahmeberechtigung am Einstellungsverfahren eines Bewerbers - bereits dann ablehnen, wenn berechtigte Zweifel an dessen Eignung bestehen, wenn diese Zweifel auf tatsächlichen Feststellungen und Erkenntnissen basieren und sich nicht im Bereich bloßer Mutmaßungen bewegen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Durch das in § 86 Abs. 7 LBG BW normierte Verwertungsverbot ist die Verwaltung nicht daran gehindert, bei der Entscheidung über die Zulassung einer Bewerbung Erkenntnisse zugrunde zu legen, die sie durch Einsicht von Personalakten früherer Dienstherrn erlangt hat (hier: Bewerbung um Einstellung im bayrischen Staatsdienst, früherer Dienstherr: die Polizei Baden-Württemberg), denn das im Landesbeamtengesetz Baden-Württemberg begründete Verwertungsverbot aus § 86 Abs. 7 LBG BW betrifft lediglich das Verhältnis zum Land Baden-Württemberg als dem früheren Dienstherr. (Rn. 17 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch aus dem disziplinarrechtlichen Verwertungsverbot des § 16 BDG ergibt sich kein Verwertungsverbot, da den Grundsätzen des dizisplinarrechtichen Verwertungverbots und Tilgungsgebots nach § 16 BDG der Gedanke der Resozialisierung und des Erreichens des Erziehungszwecks nach einem angemessen langen pflichtgemäßen Verhalten zugrundeliegt, wohingegen § 86 Abs. 7 LBG BW schlicht an die erfolgte (respektive rechtswidrig unterbliebene) Löschung von Personalaktendaten anknüpft. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zulassung zum Auswahlverfahren, Eignungszweifel, frühere Entlassung aus Beamtenverhältnis in anderem Bundesland, Verwertungsverbot, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Polizeivollzugsdienst, Zweifel an der Eignung, gelöschte Personalaktendaten, früherer Dienstherr, Bewerbungsverfahren
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 02.09.2024 – 3 CE 24.1440
Fundstelle:
BeckRS 2024, 23906

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Auswahlverfahren für die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst (2. Qualifikationsebene) für eine Einstellung in den Dienst des Antragsgegners zum Einstellungstermin 01.03.2025.
2
Die Antragstellerin bewarb sich bereits am 13.12.2022 für eine Ausbildung zur Polizeivollzugsbeamtin (2. Qualifikationsebene) beim Antragsgegner zum Einstellungstermin 01.03.2024. Der Antragsgegner nahm seinerzeit Einsicht in die bei der Polizei Baden-Württemberg während der Ausbildungszeit vom 01.03.2021 bis zum 01.04.2022 geführte Personalakte der Antragstellerin. Unter dem 26.05.2023 verfügte der Antragsgegner, das Bewerbungsverfahren wegen fehlender Eignung einzustellen. Nach Einsicht in die Personalakte habe sich ergeben, dass der Basiskurs in allen drei Leitthemen-Klausuren nicht bestanden worden sei. Ebenso sei der 5.000 m-Lauf trotz Wiederholung nicht bestanden und die Antragstellerin daraufhin von Amts wegen entlassen worden. Dieser Sachverhalt war Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens B 5 E 23.582. In jenem Verfahren lehnte die Kammer den Antrag der Antragstellerin nach § 123 VwGO auf Zulassung zum Auswahlverfahren für die Einstellung mit Beschluss vom 11.08.2023 ab. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Antragsgegner zu Recht vom Vorliegen von Eignungszweifeln ausgehe, welche die Antragstellerin im Rahmen ihrer Bewerbung wie auch im gerichtlichen Verfahren nicht ausgeräumt habe. Eine gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 05.09.2023 (Az. 3 CE 23.1529) zurück.
3
Die Antragstellerin bewarb sich erneut für eine Einstellung in den Vorbereitungsdienst zum 01.03.2025 beim Antragsgegner. In einer Stellungnahme vom 06.06.2024 führte sie insbesondere aus, sie habe ihre Ausbildung im Dienst des Landes Baden-Württemberg durch Entlassung kraft Gesetzes am 01.04.2022 beenden müssen. Grund für ihre Entlassung sei der Bereich „Ausdauer“ im Fach Sport gewesen. Sie sei leider unmittelbar vor der Leistungsabnahme in Quarantäne gewesen. Zunächst habe sie alle Prüfungen im Bereich Kraft mit sehr guten Leistungen bestanden, jedoch den 5.000 m-Lauf beim ersten Versuch abbrechen müssen. Sie habe das Unglück gehabt, vor dem Widerholungsversuch der Laufprüfung am Corona-Virus zu erkranken, was zu einer erheblichen Beeinträchtigung ihrer Leistungsfähigkeit und letztendlich zu ihrer Entlassung geführt habe. Schon für die Berücksichtigung ihrer Bewerbung habe sie mehrere Leistungen erbringen müssen, die bei anderen Bewerbern nicht relevant gewesen seien, was schon für ihren Willen und Ehrgeiz spreche. Sie sei ihren Fristen und Pflichten immer nachgekommen und habe alles, was angeordnet worden sei, erfüllt. Nach ihrer Entlassung habe sie sehr viel trainiert und Sport gemacht, da sie die Entlassung etwas belastet habe und sie die Leistung für sich selbst habe erbringen wollen. Bei Beginn ihrer Ausbildung sei sie gerade 18 Jahre alt gewesen, was der Grund dafür sein könnte, dass ihr der Ernst der Lage nicht ganz bewusst gewesen sei. Mittlerweile sei sie bereits fast 22 Jahre alt, habe auch andere berufliche Erfahrungen gesammelt und sich in verschiedenen Bereichen engagiert. Sie habe immer wieder festgestellt, dass sie sich mit dem Beruf des Polizeibeamten am besten identifizieren könne. Sie habe auch viel Kontakt zu Polizisten, die ihr immer wieder von deren dienstlichem Alltag erzählten und erwähnten, dass eine entsprechende Tätigkeit gut zum Charakter und zur Einstellung der Antragstellerin passe, sie aber leider damals vermutlich einfach zu jung und unreif gewesen sei. Ihr Verlobter sei ebenfalls seit ca. zehn Jahren bei der Polizei und seit knapp zwei Jahren Praxisausbilder für den Streifendienst. Sie unterhielten sich immer wieder über polizeilichen Themen, die sie „heute rechtlich noch im Kopf habe“. Sie seien beide zu dem Entschluss gekommen, dass sich die Antragstellerin persönlich stark entwickelt habe, verantwortungsbewusster sei und mit der Reife ihres Alters nun ohne Zweifel sowohl eine erfolgreiche Ausbildung als auch eine erfolgreiche Karriere führen könne. Aktuell leite sie den Fanshop von … und sei zuständig für die Bestellung und sorgfältige Bedruckung der Fanartikel. Zusätzlich helfe sie in einem Fitnessstudio aus, wo sie personalisierte Trainingspläne für die Mitglieder erstelle, Anmeldungen bearbeite und im Bereich der Verwaltung tätig sei. Ebenso habe sie bis vor kurzem die …- und …-Mannschaften von … trainiert und sei als Coach tätig gewesen. Selbstverständlich stimme sie der Einsicht in ihre Personalakte zu und hoffe auf eine positive Rückmeldung. Sie könne ihr Schwimmabzeichen und Sportabzeichen auf Nachfrage übersenden, welche sie dieses Jahr freiwillig abgelegt habe.
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Mit Schreiben vom 10.07.2024 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, nach erneuter Prüfung unter Berücksichtigung ihrer Stellungnahme vom 06.06.2024 bleibe die ursprüngliche Entscheidung, die Antragstellerin nicht für das Bewerbungsverfahren zu berücksichtigen, bestehen. Für die Begründung dieser Entscheidung werde auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 11.08.2023 (Az. B 5 E 23.582) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 05.09.2023 (Az. 3 CE 23.1529) verwiesen.
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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 25.07.2024 ließ die Antragstellerin gegen dieses Schreiben Widerspruch erheben, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden wurde.
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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 26.07.2024 – bei Gericht eingegangen am selben Tag – ließ die Antragstellerin sodann um einstweiligen Rechtsschutz nachsuchen. Zur Begründung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Auswahlverfahren mit den Einstellungstests für den Einstellungstermin 01.03.2025 bereits und längstens bis Ende August 2024 laufe, weswegen es zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes erforderlich sei, die beantragte Eilentscheidung zu treffen. Ohne eine solche Entscheidung würde sich eine nach entsprechender Beteiligung am Auswahlverfahren in Betracht kommende Einstellung über Jahre hinweg verzögern, was die Antragstellerin in ihrem beruflichen Fortkommen erheblich beeinträchtigen würde. Der Antragstellerin stehe auch ein Anordnungsanspruch zur Seite. Gemäß Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) habe jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung den gleichen Zugang zu einem öffentlichen Amt. Auch die Auswahl der Bewerber im vorliegenden Einstellungsverfahren habe sich deshalb hiernach zu richten. Als vollziehende Gewalt sei der Antragsgegner gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. Sowohl die allgemeinen als auch die schulischen Voraussetzungen für eine Einstellung in den Polizeivollzugsdienst würden seitens der Antragstellerin erfüllt. Sie sei Deutsche, körperlich und gesundheitlich geeignet, gesetzestreu etc. Mit der Zurückweisung ihrer Bewerbung werde ihr bereits die Chance genommen, im Rahmen des Auswahlverfahrens den Beweis dafür zu erbringen, dass sie die zusätzlichen leistungsbezogenen Anforderungen des Antragsgegners erfüllen könne. Angesichts ihres Anspruchs aus Art. 33 Abs. 2 GG müsse ihr die Gelegenheit gegeben werden, am Bewerbungsverfahren und den entsprechenden Testungen teilzunehmen. Eine Ablehnung der Antragstellerin, die wie die Mitbewerber alle Kriterien für eine Zulassung zum Auswahlverfahren erfülle, verstoße auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG. Zur Begründung der Ablehnung verweise der Antragsgegner auf die ergangenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Bayreuth und den Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und verkenne hierbei, dass sich die Rechtslage zwischenzeitlich geändert habe. Nunmehr seien Teile der Personalakte, die Gegenstand dieser Entscheidungen seien, seitens der Polizei Baden-Württemberg gelöscht worden und unterlägen deshalb gemäß § 86 Abs. 7 des Landesbeamtengesetzes Baden-Württemberg (LBG BW) einem Verwertungsverbot. Schon die Erwähnung aus der Personalakte getilgter Tatbestände stelle einen Verstoß gegen das Verwertungsverbot dar. Dieses verfolge nämlich ebenso wie das Verwertungsverbot in § 16 Abs. 1 des Bundesdisziplinargesetzes (BDG) den Zweck, die betroffene Person vom Makel vergangener Tatbestände zu befreien und diesen „aus der Welt zu schaffen“. Auch die Vorschrift im LBG BW sei eine materiell-rechtliche Schutzmaßnahme zu Gunsten des ehemaligen Beamten dahingehend, dass ihm Dinge aus seiner Vergangenheit nicht ohne zeitliche Begrenzung vorgehalten werden dürften und sich zu seinem Nachteil auswirkten. Aus der Personalakte getilgte Tatbestände dürften deshalb bei Personalmaßnahmen keine Berücksichtigung mehr finden, wie auch das Bundesverwaltungsgericht entschieden habe (BVerwG, U.v. 13.10.2020 – 2 C 41.18). Auch die Antragstellerin verdiene eine zweite Chance und müsse deshalb unbelastet in das Auswahlverfahren einbezogen werden. Sie habe in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Antragsgegner ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie mittlerweile älter und gereifter sei. Da sie den Polizeiberuf liebe, habe sie sich trotz ihrer Entlassung fit gehalten und weiterhin trainiert, um bessere körperliche Leistungen erbringen zu können. Dass sie gereift und fitter als vor Jahren sei, könne sie im Auswahlverfahren unter Beweis stellen. In diesem könne sie auch etwaige Zweifel zerstreuen, die ohne persönliche Kenntnis der Antragstellerin und ihrer zwischenzeitlichen Entwicklungen ins Feld geführt würden.
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Die Antragstellerin beantragt,
Die Antragsgegnerin [sic!] wird verpflichtet, die Antragstellerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Ablehnung der Bewerbung der Antragstellerin zur Einstellung in den Polizeivollzugsdienst Qualifikationsebene 2 zum 01.03.2025 vorläufig am Auswahlverfahren zur Einstellung in diesen Dienst für den Einstellungstermin 01.03.2025 zu beteiligen.
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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
9
Er tritt dem Antrag im Wesentlichen wie folgt entgegen: Aus den Inhalten der Personalakte, welche bei der Polizei Baden-Württemberg geführt worden sei, habe der Antragsgegner – bei der Einsichtnahme im Rahmen der ersten Bewerbung der Antragstellerin – die Erkenntnis gewonnen, dass begründete Zweifel sowohl an der fachlichen als auch an der charakterlichen Eignung der Antragstellerin für den Polizeivollzugsdienst bestünden. Diese Erkenntnisse seien im hiesigen Bewerbungsverfahren weiterhin verwertbar. Das von der Antragstellerin behauptete Verwertungsverbot nach § 86 Abs. 7 LBG BW greife vorliegend nicht. Sofern ein aktives Beamtenverhältnis – z.B. wegen Entlassung – nicht mehr bestehe, fänden ausschließlich die Löschfristen nach § 86 Abs. 1 LBG BW Anwendung, so dass sich die Löschfrist im Fall der Antragstellerin nach Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 der Vorschrift berechnet hätte. Eine Löschung von Aktenteilen aus der Personalakte durch die Polizei Baden-Württemberg sei demzufolge unzulässig gewesen, so dass auch das antragstellerseits zitierte Verwertungsverbot nicht greife. Zudem sei davon auszugehen, dass die Löschung aus der Personalakte sich lediglich auf die Einschätzungen zur charakterlichen Eignung der Antragstellerin bezogen hätten, da hinsichtlich der fachlichen Eignung der den Bestimmungen in § 86 Abs. 2 und 3 LBG BW immanente Resozialisierungsgedanke nicht greife. Die mangelnde fachliche Eignung der Antragstellerin stehe jedoch zur Überzeugung des Antragsgegners ebenso fest wie die charakterliche Nichteignung. Ferner seien die Defizite nach wie vor in der Personalakte verzeichnet, sodass die Zweifel an der fachlichen Eignung feststünden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte – auch im Verfahren B 5 E 23.582 – sowie der beigezogenen Behördenakten ergänzend Bezug genommen.
II.
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1. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO bleibt in der Sache ohne Erfolg.
12
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt also ein besonderes Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) im Interesse einer Wahrung des behaupteten streitbefangenen Rechts (Anordnungsanspruch)
voraus. Beides ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).
13
Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine – vorliegend begehrte – Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) dann gerechtfertigt, wenn glaubhaft gemacht ist, dass der Erfolg der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist, die Sache also bei Anlegung eines strengen Maßstabs an die Erfolgsaussichten erkennbar Erfolg haben wird (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (Anordnungsgrund). Dabei ist dem jeweils betroffenen Grundrecht und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Droht dem Antragsteller bei Versagung des Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist – erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs – einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, wenn nicht ausnahmsweise überwiegende gewichtige Gründe entgegenstehen (vgl. BVerfG, B.v. 12.09.2011 – 2 BvR 1206/11 – juris Rn. 15; BVerwG, U.v. 18.04.2013 – 10 C 9.12 – juris Rn. 22; BVerwG B.v. 12.04.2016 – 1 WDS-VR 2.16 – juris Rn. 19; B.v. 10.02.2011 – 7 VR 6.11 – juris Rn. 6; so auch OVG NW, B.v. 02.12.2016 – 1 B 1194/16 – juris Rn. 9).
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Legt man dies zugrunde, hat die Antragstellerin jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein derartiger Anspruch kann sich nur aus dem Bewerberverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG ergeben. Hiernach hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Diese Vorschrift gewährt – ebenso wie die einfachgesetzlichen Vorschriften des Bundes – keinen unbedingten Einstellungsanspruch. Sie vermittelt dem Bewerber vielmehr ein grundrechtsgleiches Recht darauf, dass über seinen Antrag auf Zugang zu öffentlichen Ämtern nur nach Maßgabe seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung rechtsfehlerfrei entschieden wird. Hinsichtlich der Prüfung der Kriterien für die Ernennung eines Beamten wird dem Dienstherrn ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Die vom Dienstherrn vorzunehmende Beurteilung der für den Polizeivollzugsdienst erforderlichen Eignung ist ein Akt wertender Erkenntnis. Sie ist als solche vom Gericht nur beschränkt darauf zu überprüfen, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff verkannt, einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt hat (vgl. BVerwG, U.v. 30.01.2003 – 2 A 1.02 – juris Rn. 11; OVG NW, B.v. 02.11.2016 – 6 B 1172/16 – juris Rn. 9; B.v. 18.10.2013 – 1 B 1131/13 – juris Rn. 7 ff.; B.v. 02.12.2016 – 1 B 1194/16 – juris Rn. 13).
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Im Rahmen des Bewerbungsverfahrens ist auch zu überprüfen, ob der Bewerber nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung den Anforderungen der zu besetzenden Stelle genügt (vgl. z.B. VG Greifswald, B.v. 06.06.2016 – 6 B 999/16 HGW – juris Rn. 17, 20 m.w.N.). Anerkannt ist hierbei, dass der Dienstherr die Einstellung – und als notwendige Vorstufe dessen auch die Frage der Teilnahmeberechtigung am Einstellungsverfahren an sich (VG Bayreuth, B.v. 14.12.2020 – B 5 E 20.1136 – juris Rn. 38) – eines Bewerbers bereits dann ablehnen darf, wenn berechtigte Zweifel an dessen Eignung bestehen (vgl. OVG NW, B.v. 02.11.2016 – 6 B 1172/16 – juris Rn. 9; B.v. 18.10.2013 – 1 B 1131/13 – juris Rn. 7 ff.; B.v. 02.12.2016 – 1 B 1194/16 – juris Rn. 15). Die Zweifel müssen jedoch auf tatsächlichen Feststellungen und Erkenntnissen basieren und dürfen sich nicht im Bereich bloßer Mutmaßungen bewegen (vgl. BayVGH, B.v. 20.03.2017 – 3 CS 17.257 – juris; U.v. 13.01.2016 – 3 B 14.1487 – juris). Dabei bezieht sich die Entscheidung auf die konkrete künftige Dienstausübung und enthält zugleich eine Prognose darüber, ob der Bewerber die ihm im jeweiligen Amt obliegenden Pflichten erfüllen wird, was eine einzelfallbezogene Würdigung der Persönlichkeit des Bewerbers erfordert (vgl. zum Ganzen VG Bayreuth, B.v. 24.03.2023 – B 5 E 23.134 – juris Rn. 28 ff. m.w.N.).
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Nach Auffassung der Kammer erweisen sich die Eignungszweifel des Antragsgegners in Bezug auf die Antragstellerin nach wie vor als berechtigt. Daher wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst auf den zwischen denselben Beteiligten ergangenen Beschluss vom 11.08.2023 im Verfahren B 5 E 23.582 verwiesen und insoweit von einer gesonderten Darstellung der Gründe abgesehen (§ 117 Abs. 5 VwGO analog). Ergänzend hierzu ist zum weiteren Vorbringen der Beteiligten sowie zur Sache noch auszuführen, was folgt:
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a. Durch das in § 86 Abs. 7 LBG BW normierte Verwertungsverbot war und ist der Antragsgegner nicht daran gehindert, bei seiner Entscheidung über die Bewerbung der Antragstellerin Erkenntnisse zugrunde zu legen, die er durch eine Einsicht in die von der Polizei Baden-Württemberg geführte Personalakte erlangt hat.
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aa. Dies folgt nicht bereits daraus, dass sich in der im hiesigen Verfahren gerichtlicherseits beigezogenen Akte der Polizei Baden-Württemberg nach wie vor zahlreiche Unterlagen befinden, aus denen Eignungszweifel hergeleitet wurden (z.B. die Schreiben bezüglich des Nichterfüllens der Leistungsanforderungen im Ausbildungsabschnitt Basiskurs sowie das entsprechende Zeugnis, vgl. Bl. 59 ff. der Akte). Denn der Antragsgegner hat bei seiner Entscheidung über die Bewerbung der Antragstellerin zur Begründung auf die Beschlüsse der Kammer und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs verwiesen. In diesen wiederum wurde eine Gesamtwürdigung angestellt, in welcher zumindest auch Lebenssachverhalte Berücksichtigung gefunden haben, die nunmehr gelöschten Personalaktendaten zugrunde liegen.
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bb. Jedoch bindet § 86 Abs. 7 LBG BW den Antragsgegner nicht bei seiner in Bezug auf die Antragstellerin getroffenen Personalmaßnahme (= Entscheidung über die Bewerbung). Nach dieser Vorschrift dürfen Personalaktendaten nach ihrer Löschung bei Personalmaßnahmen nicht mehr berücksichtigt werden, wobei das Verwertungsverbot nach dem Willen des Gesetzgebers über den Wortlaut hinaus auch im Fall einer rechtswidrig unterbliebenen Löschung eingreifen soll. Ebenfalls über den Wortlaut der Vorschrift hinaus wird angesichts des Sinn und Zwecks des Verbots zudem angenommen, dass nicht nur die – ohnehin durch die Löschung nicht mehr vorhandenen – Personalaktendaten, sondern auch die den gelöschten Daten zugrundeliegenden Sachverhalte nicht mehr bei Personalmaßnahmen berücksichtigt werden dürfen (vgl. Holz/Rauscher in BeckOK BeamtenR BW, 29. Edition Stand: 15.01.2024, LBG § 86 Rn. 24).
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Dieses landesrechtlich begründete Verwertungsverbot aus § 86 Abs. 7 LBG BW betrifft unterdessen lediglich das Verhältnis zwischen der Antragstellerin und ihrem früheren Dienstherrn, da das Dienst- und Treueverhältnis von Landesbeamtinnen und -beamten i.S.v. § 1 LBG BW zum Land Baden-Württemberg besteht (vgl. Haug/Jerxsen in BeckOK BeamtenR BW, 29. Edition Stand: 01.04.2024, LBG § 1 Rn. 19). Eine Bindung des Antragsgegners an diese Vorschrift kommt angesichts des Geltungsbereichs des Gesetzes (vgl. § 1 LBG BW) somit nicht in Betracht.
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cc. Nichts anderes ergibt sich aus einer – auch von der Antragspartei angestellten – vergleichenden Betrachtung mit dem disziplinarrechtlichen Verwertungsverbot aus § 16 BDG. Die rechtlichen Wirkungen des Verwertungsverbots mögen zwar nicht auf das Verhältnis des Beamten zu seinem Dienstherrn beschränkt, sondern im allgemeinen Rechtsverkehr auch darüber hinaus zu berücksichtigen sein. Anders als im Verhältnis zum Dienstherrn gelten sie im Außenverhältnis jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht absolut (vgl. Gansen in Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, § 16 BDO Rn. 6a; BVerwG, U.v. 13.10.2020 – 2 C 41.18 – juris Rn. 13 ff., jeweils zu einem disziplinarrechtlichen Verwertungsverbot nach § 16 BDG).
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Die vorliegende Situation ist schon im Ausgangspunkt anders als etwa die eines presserechtlichen Auskunftsanspruchs und der dabei vorzunehmenden Interessenabwägung, bei welcher disziplinarrechtliche Verwertungsverbote einen „bedeutenden Abwägungsfaktor“ (BVerwG, U.v. 13.10.2020 – 2 C 41.18 – juris Rn. 13) darstellen. In der hiesigen Fallgestaltung ist bereits zweifelhaft, inwiefern sich bei der Prüfung von Eignungszweifeln überhaupt ein entsprechendes „Einfallstor“ für die Berücksichtigung eines Verwertungsverbotes bieten soll. Jedenfalls aber kann die Antragstellerin mit ihrem Rekurs auf § 86 Abs. 7 LBG BW nichts für sich Günstiges herleiten. Vielmehr kann der Norm des § 86 Abs. 7 LBG BW kein mit § 16 BDG vergleichbarer Regelungszweck entnommen werden. Denn das Verwertungsverbot und das Tilgungsgebot des § 16 BDG verfolgen den – mit § 51 Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) vergleichbaren – Zweck, den Beamten vom Makel eines vergangenen Fehlverhaltens (dem Dienstvergehen) zu befreien, diesen also „aus der Welt zu schaffen“. Sie sollen als materiell-rechtliche Schutzmaßnahmen zugunsten des Beamten verhindern, dass sich ein geahndetes Dienstvergehen ohne zeitliche Begrenzung zum Nachteil des Beamten auswirken kann. Dieser Zweck wiederum beruht auf der Überlegung, dass nach einem angemessen langen pflichtgemäßen Verhalten des Beamten der Erziehungszweck der vorausgegangenen Maßnahme als erreicht und das Vertrauen in seine Integrität als wiederhergestellt gelten kann. Die verhängte Disziplinarmaßnahme darf nach Ablauf der bestimmten Frist weder bei weiteren Disziplinarmaßnahmen noch bei Personalmaßnahmen Berücksichtigung finden (vgl. BVerwG, U.v. 13.10.2020 – 2 C 41.18 – juris Rn. 24 f.).
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Diese Grundsätze können auf § 86 Abs. 7 LBG BW nicht übertragen werden. Dabei ist zunächst zu bemerken, dass diese Norm „weder in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung des BWLBG v. 19.3.1996 noch im Personalaktenrecht des Bundes oder der anderen Länder ein Vorbild hat“ (Holz/Rauscher in BeckOK BeamtenR BW, 29. Edition Stand: 15.01.2024, LBG § 86 Rn. 24). Während disziplinarrechtliche Verwertungsverbote auf dem Gedanken der Resozialisierung und des Erreichens des Erziehungszwecks nach einem angemessen langen pflichtgemäßen Verhalten basieren, knüpft § 86 Abs. 7 LBG BW schlicht an die erfolgte (respektive rechtswidrig unterbliebene) Löschung von Personalaktendaten an. Nachdem hier kein aktives Beamtenverhältnis mehr vorliegt, findet § 86 Abs. 2 LBG BW schon nach dem Wortlaut keine Anwendung (vgl. Schwarz in BeckOK BeamtenR Bund, 33. Ed., Stand: 15.01.2024, BBG § 112 Rn. 3 zur korrespondierenden bundesrechtlichen Norm). Der hier allein einschlägige § 86 Abs. 1 LBG BW konkretisiert den Grundsatz, dass Personalaktendaten, die die speichernde Stelle nicht mehr für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt, zu löschen sind. Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 LBG BW wird gewissermaßen ein fehlendes Benötigen hinsichtlich des Personalaktendatenbestands eines Beamten spätestens nach Ablauf einer Aufbewahrungsfrist von fünf Jahren unwiderleglich vermutet (vgl. Holz/Rauscher in BeckOK BeamtenR BW, 29. Edition Stand: 15.01.2024, LBG § 86 Rn. 24). Dies basiert somit auf der Fragestellung, ob Daten von der betreffenden Stelle zur Aufgabenerfüllung noch benötigt werden und nicht, ob sich die Antragstellerin über einen angemessenen Zeitraum pflichtgemäß verhalten hat und das Vertrauen in ihre Integrität wiederhergestellt ist. Unabhängig von der Frage, aus welchen konkreten Gründen die Polizei Baden-Württemberg im Einzelnen die Erforderlichkeit (bereits jetzt) verneint hat, gibt § 86 Abs. 7 LBG BW mit Blick auf den Gesetzeszweck für ein irgendwie geartetes Verwertungsverbot aufseiten des Antragsgegners schlechterdings nichts her. Im Gegenteil wird die – den Antragsgegner nicht bindende – grundsätzliche Wertung des Landesgesetzgebers erkennbar, dass eine fünfjährige Aufbewahrungsfrist (im Fall der Antragstellerin beginnend gem. § 86 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBG BW) zumindest im Regelfall dienstlichen Erfordernissen entspricht.
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b. Was das sonstige Vorbringen der Antragstellerin anbelangt, hat sie keine Umstände glaubhaft gemacht, welche zu der Annahme führen, die im vorangegangenen Verfahren konstatierten Zweifel an ihrer Geeignetheit seien nunmehr ausgeräumt. Allein der Zeitablauf von einem Jahr streitet – jedenfalls noch zum jetzigen Zeitpunkt – nicht zu ihren Gunsten. Wie bereits im früheren Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes setzt die Antragstellerin ausweislich ihrer Stellungnahme vom 06.06.2024 (Bl. 4 f. der Behördenakte) nach wie vor ganz überwiegend ihre eigene Einschätzung an die Stelle derjenigen des Dienstherrn (vgl. BayVGH, B.v. 05.09.2023 – 3 CE 23.1529 – BA Rn. 5 a.E). Die Kammer hat bereits im Beschluss vom 11.08.2023 ausgeführt, dass es an der Antragstellerin wäre, die signifikante Verbesserung ihrer Situation näher zu substantiieren und glaubhaft zu machen (BA S. 11), zumal wenn ihr Rechtsschutzziel auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist. Dies ist auch im vorliegenden Verfahren nicht erfolgt. Die in der verfassten Stellungnahme lediglich wiedergegebene „neutrale Betrachtung“ ihrer Situation durch ihren Verlobten ändert an den bestehenden Eignungszweifeln ebenso wenig etwas wie das von ihr geschilderte berufliche Engagement, welches im Übrigen auch inhaltlich keine besondere Nähe zum Polizeiberuf erkennen lässt.
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c. Soweit die Antragstellerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG rügt, ist darauf hinzuweisen, dass der allgemeine Gleichheitssatz nur gebietet, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln, und davon auszugehen ist, dass bei den zum Bewerbungsverfahren zugelassenen Bewerbern – anders als bei der Antragstellerin – vorab keine Eignungszweifel festgestellt wurden, mithin ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 05.09.2023 – 3 CE 23.1529 – BA Rn. 10).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, wonach die Antragstellerin als unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
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3. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Die Antragstellerin begehrt nicht etwa die vorläufige Einstellung in den Vorbereitungsdienst (vgl. § 52 Abs. 6 Abs. 1 Nr. 2 GKG), sondern die Zulassung zum Auswahlverfahren (vgl. BayVGH, B.v. 05.09.2024 – 3 C 23.1530). Nachdem das Antragsbegehren auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist, kommt eine Halbierung des Streitwerts nicht in Betracht (Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).