Inhalt

VGH München, Beschluss v. 11.09.2024 – 3 CE 24.1344
Titel:

Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens – Ablauf der Monatsfrist

Normenkette:
VwGO § 123
Leitsatz:
Stellt der Bewerber nicht innerhalb eines Monats nach Zugang der Abbruchmitteilung einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO, so darf der Dienstherr darauf vertrauen, dass der Bewerber den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht angreift, sondern sein Begehren im Rahmen der neuen Ausschreibung weiterverfolgt; nach Ablauf der Monatsfrist ist die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Abbruchs des Auswahlverfahrens überprüfen zu lassen, verwirkt. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens, Ablauf der Monatsfrist, bloße Ankündigung eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz, Dienstpostenbesetzung, Konkurrentenstreitverfahren, Monatsfrist, Verwirkung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 08.07.2024 – M 5 E 24.2685
Fundstelle:
BeckRS 2024, 23904

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
2
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, das durch Verfügung vom 22. April 2024 abgebrochene Verfahren zur Besetzung des am 17. Juli 2022 ausgeschriebenen Dienstpostens der Leitung der Veterinärverwaltung im Landratsamt P. (entwicklungsfähig bis Besoldungsgruppe A 16) fortzusetzen, zu Recht als unzulässig abgelehnt. Die Antragstellerin hat das Fehlen eines sachlichen Grundes für den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht innerhalb der Monatsfrist nach Zugang der Abbruchmitteilung mittels Antrags nach § 123 VwGO gerichtlich geltend gemacht.
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Die Gründe, die die Antragstellerin fristgemäß nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegt hat und auf deren Prüfung der Senat in der Sache beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen zu keiner Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
4
Stellt der Bewerber nicht innerhalb eines Monats nach Zugang der Abbruchmitteilung einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, so darf der Dienstherr darauf vertrauen, dass der Bewerber den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht angreift, sondern sein Begehren im Rahmen der neuen Ausschreibung weiterverfolgt. Nach Ablauf der Monatsfrist ist die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Abbruchs des Auswahlverfahrens überprüfen zu lassen, verwirkt (stRspr. vgl. BVerwG, U.v. 3.12.2014 – 2 A 3.13 – juris Rn. 24; B.v. 10.5.2016 – 2 VR 2.15 – juris Rn. 13; B.v. 10.12.2018 – 2 VR 4.18 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 13.11.2020 – 3 CE 20.2213 – juris Rn. 9; B.v. 28.4.2016 – 3 CE 16.583 – juris Rn. 18; HessVGH, B.v. 3.5.2019 – 1 B 652/18 – juris Ls. und Rn. 4; OVG NW, B.v. 29.2.2024 – 1 B 1082/23 – juris Rn. 109; B.v. 15.12.2022 – 6 A 2253/20 – juris Rn. 26 ff.; VGH BW, B.v. 27.7.2022 – 4 S 713/22 – juris Rn. 40). Diese – in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte – Monatsfrist ist an dem für Beamte generell geltenden Rechtsmittelsystem orientiert (vgl. § 126 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes, § 54 Abs. 2 des Beamtenstatusgesetzes, § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und als ausreichend angesehen worden, um eine zeitnahe Klärung darüber herbeiführen zu können, ob der Bewerber eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO gegen den Abbruch des Auswahlverfahrens beantragen will (BVerwG, U.v. 3.12.2014 a.a.O. Rn. 24).
5
In ihrer Beschwerde stellt die Antragstellerin nicht in Abrede, die Mitteilung über den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens am 22. April 2024 erhalten zu haben (siehe hierzu auch den OK-Vermerk des Faxgerätes des Antragsgegners – Geheft 3 S. 361 der Behördenakte). Die Monatsfrist begann daher entsprechend § 57 Abs. 1, Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie § 187 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) am 23. April 2024 zu laufen und endete am Mittwoch, dem 22. Mai 2024 (§§ 57 Abs. 1, Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 2 ZPO). Da der Eilantrag der Antragstellerin erst am Freitag, dem 24. Mai 2024, beim Verwaltungsgericht einging, ist Verwirkung eingetreten.
6
Das Verwaltungsgericht hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats (B.v. 13.11.2020 – 3 CE 20.2213 – juris Rn. 9 m.w.N.) zu Recht darauf hingewiesen, dass zur Vermeidung einer Verwirkung zu verlangen ist, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung tatsächlich innerhalb eines Monats bei Gericht gestellt und nicht nur angekündigt („erwägt“ – vgl. Schreiben des Bevollmächtigten v. 7.5.2024) wird.
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1. Die hiergegen erhobenen Einwände der Antragsgegnerin verfangen sämtlich nicht.
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1.1 Die zitierte einhellige Rechtsprechung zur Monatsfrist wird nicht etwa dadurch infrage gestellt, dass in dem Sachverhalt zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Dezember 2014 (Az. 2 A 3.13) die Beamtin keinen Antrag nach § 123 VwGO gestellt, sondern ihr Begehren ausschließlich im Wege der Hauptsacheklage verfolgt hat. Dies zeigen bereits andere im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO ergangene Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. B.v. 10.5.2016 – 2 VR 2.15 – juris Rn. 13; B.v. 10.12.2018 – 2 VR 4.18 – juris Rn. 10).
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1.2 Der Einwand, die sich an der Widerspruchsfrist orientierende Monatsfrist dürfe aufgrund des Rechtsstaatsprinzips und des Gebots des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht wie eine strikte gesetzliche Ausschlussfrist angewendet werden, greift nicht durch. Auch im Bereich von Art. 33 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 4 GG ist es Aufgabe der Gerichte, die Interessen der verschiedenen Beteiligten – ausgewählte Bewerber, nicht berücksichtigte Bewerber und Dienstherr – ausgehend von den verfassungsrechtlichen Vorgaben in einen sachgerechten Ausgleich zu bringen, wenn der Gesetzgeber das bei Beförderungen einzuhaltende Verfahren nicht weiter regelt. Zu den dabei zu berücksichtigenden Rechtsgrundsätzen zählt auch das allgemein anerkannte Institut der Verwirkung. Das Gebot der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung (Art. 33 Abs. 2, Art. 83 ff. GG) fordern eine generelle und möglichst baldige Klärung von Beförderungskonkurrenzen. Sowohl der Dienstherr als auch die Bewerber brauchen Klarheit darüber, ob die Stellenbesetzung Bestand hat, zumal die nachträgliche Aufhebung der Ernennung im Beförderungsamt mit zunehmendem Zeitablauf zu schwierigen Rückabwicklungsproblemen führt (vgl. BVerwG, U.v. 30.8.2018 – 2 C 10.17 – juris Rn. 17, 31; U.v. 3.12.2014 – 2 A 3.13 – juris Rn. 23). Ein klar bestimmter Fristbeginn und ein eindeutig bestimmbarer Fristablauf dienen gerade der Gewährleistung der im Rahmen des Abbruchs eines Auswahlverfahrens besonders bedeutsamen Rechtssicherheit (BayVGH, B.v. 13.11.2020 – 3 CE 20.2213 – juris Rn. 8; HessVGH, B.v. 3.5.2019 – 1 B 652/18 – juris Rn. 8).
10
1.3 Entgegen der Beschwerdebegründung hat die erstinstanzliche Gesamtbewertung der Umstände des vorliegenden Verfahrens auch nicht wesentliche Gesichtspunkte, insbesondere nicht die Korrespondenz des Bevollmächtigten im Zusammenhang mit dem Bestreben der Antragstellerin, eine einvernehmliche Einigung mit dem Ministerium herbeizuführen, außer Acht gelassen. Das Verwaltungsgericht stellte hierzu zutreffend fest (BA Rn. 29), dass vor allem der Umstand, dass die Behörde auf die Bemühungen um eine außergerichtliche Lösung und die in den Schreiben des Bevollmächtigten vom 7. und 16. Mai 2024 gesetzten Fristen für eine Stellungnahme nicht reagiert hat, nicht zu einer anderen Bewertung führe. Denn es sei nicht erkennbar, wieso es dem Bevollmächtigten, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, nicht möglich gewesen sein sollte, am 22. Mai 2024 einen Eilantrag zu stellen, insbesondere zumal er dem Dienstherrn „wegen der Eilbedürftigkeit“ eine Äußerungsfrist bis zum 22. Mai 2024 gesetzt habe. Da die dem Dienstherrn gesetzte Äußerungsfrist am 22. Mai 2024 abgelaufen sei, ohne dass der Dienstherr hierauf reagiert habe, wäre es ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, am selben Tag einen Eilantrag zu stellen. Dies habe der Bevollmächtigte nicht getan und damit die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Auswahlverfahrens überprüfen zu lassen, verwirkt. Ungeachtet dessen erschließt sich auch nicht, dass die Antragstellerin auf ein Angebot zur gütlichen Einigung gewartet haben will, da auf entsprechende schriftliche Anfragen des Bevollmächtigten, wie dieser selbst erstinstanzlich ausführt, nicht eingegangen wurde. Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Antragsgegners sei dem Bevollmächtigten darüber hinaus bereits vor dem in der Beschwerdebegründung genannten Telefonat mit der Sachbearbeiterin am 23. April 2024 auf Nachfrage bei der stellvertretenden Referatsleitung telefonisch mitgeteilt worden, dass eine derartige Einigung nicht in Betracht komme, da eine Beförderung am bisherigen Einsatzort wegen eines nicht vorhandenen A16-Dienstpostens nicht möglich sei.
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1.4 Die Schreiben des Bevollmächtigten vom 7. und 16. Mai 2024 stehen dem Vertrauen des Dienstherrn auf die Akzeptanz des Abbruchs des Auswahlverfahrens durch die Antragstellerin nicht entgegen. Vielmehr gaben sie begründeten Anlass für die Annahme, dass der Antragstellerin die strikt einzuhaltende Monatsfrist sichtbar vor Augen stand. Dafür spricht zum einen, dass der Bevollmächtigte in seinem Schreiben vom 7. Mai 2024 auf den Beschluss des Senats vom 5. April 2019 (Az.: 3 CE 19.314) ausdrücklich Bezug nimmt. In Randnummer 4 des Beschlusses wird wiederum auf die ständige Rechtsprechung zum Abbruch von Stellenbesetzungsverfahren (u.a. ausdrücklich: BVerwG, U.v. 3.12.2014 – 2 A 3.13 – juris) rekurriert. Zum anderen folgt aus der E-Mail des Bevollmächtigten vom 16. Mai 2024, dass sich dieser nicht nur der „Eilbedürftigkeit“, sondern wohl auch des konkreten Fristablaufs am 22. Mai 2024 bewusst gewesen sein dürfte, da er den Dienstherrn gerade bis zu diesem Datum spätestens um kurzfristige Rückäußerung gebeten hat. Aus welchen Gründen der Bevollmächtigte mithin die Monatsfrist damit allem Anschein nach „sehenden Auges“ verstreichen ließ, ist weder ersichtlich noch nachvollziehbar (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 13.11.2020 – CE 20.2213 – juris Rn. 10). Anders als die Antragstellerin meint, setzt die Monatsfrist nicht etwa in der Behördenakte schriftlich dokumentierte Anhaltspunkte voraus, dass der Dienstherr die erneute Ausschreibung der Stelle bereits konkret vorbereitet hat. Auch der Hinweis auf den bisherigen zeitlichen Ablauf des Stellenbesetzungsvorgangs und die Behauptung, der Antragsgegner habe kein Interesse an einer zügigen Stellenbesetzung gezeigt, sind insoweit unbehelflich. Derartige Gesichtspunkte würden Unsicherheiten in Bezug auf die Fristberechnung bedingen, die im Rahmen des Abbruchs eines Stellenbesetzungsvorgangs aus Gründen der Rechtssicherheit gerade zu vermeiden sind (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2020 – 3 CE 20.2213 – juris Rn. 9; HessVGH, B.v. 3.5.2019 – 1 B 652/18 – juris Rn. 8).
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2. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Der Ansatz des Regelstreitwertes ist angemessen, weil der Antrag nur auf die Fortsetzung des Auswahlverfahrens, nicht jedoch bereits auf die Vergabe des Dienstpostens gerichtet ist. Eine Halbierung des Streitwerts scheidet ungeachtet des Umstands, dass es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, schon deshalb aus, weil allein der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für das Begehren auf Fortführung des abgebrochenen Auswahlverfahrens in Betracht kommt (BVerwG, B.v. 10.12.2018 – 2 VR 4.18 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 5.2.2019 – 3 CE 18.2608 – juris Rn. 36; anders OVG LSA, B.v. 3.1.2019 – 1 M 145/18 – juris Rn. 12).
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3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).