Titel:
Wiedererlangung der Würdigkeit eines Zahnarztes nach 18 Jahren
Normenketten:
BÄO § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 2 S. 1
ZHG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 2 S. 1
StPO § 154 Abs. 2
BZRG § 51 Abs. 1
Leitsätze:
1. (Abrechnungs-)Betrug zu Lasten von Privatpatientin kann als ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Arztes qualifiziert werden, das grundsätzlich geeignet ist unter Berücksichtigung der Gesamtumstände der Verfehlungen im konkreten Fall einen Widerruf der Approbation wegen Unwürdigkeit zu rechtfertigen. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgeblich für den Beginn des inneren Reifeprozess zur Kompensation der zu Tage getretenen charakterlichen Mängel und damit zur Wiedererlangung der Würdigkeit ist der Zeitpunkt, in dem die zur Annahme der Berufsunwürdigkeit führenden gravierenden Verfehlungen durch den Betreffenden eingestellt worden sind, gleich ob dies auf einem freiwilligen Willensentschluss des Betreffenden oder auf einer Aufdeckung und Ahndung der Verfehlungen durch Dritte, insbesondere Strafverfolgungs- oder Approbationsbehörden beruht. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
3. Soweit in der Rechtsprechung darauf hingewiesen wird, dass aus einem bloßen Zeitablauf nicht auf eine Wiedererlangung der Würdigkeit geschlossen werden könne, darf dies nicht dahingehend verstanden werden, dass eine Würdigkeit nicht auch durch einen – lediglich – hinreichend langen Zeitraum verfehlungs- und beanstandungsfreien Verhaltens des Betreffenden, dh ohne Zutreten weiterer für den Abschluss des notwendigen inneren Reifeprozesses sprechender Umstände, wiedererlangt werden kann. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufsrecht der Ärzte, Widerruf der Approbation als Arzt und als Zahnarzt wegen Unwürdigkeit, Abrechnungsbetrug i.H.v. 19.050.- EUR (Betrug in 6 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit 5 tatmehrheitlichen Fällen des versuchten Betrugs zu Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen), Wiedererlangung der Würdigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt (Zeitdauer von ca. 10 Jahren zwischen letzter Tathandlung und Behördenentscheidung), Ausnahmefall: Verweisung auf Wiedererteilungsverfahren nicht zumutbar, Widerruf, Approbation, Zahnarzt, Unwürdigkeit, Abrechnungsbetrug, Geldstrafe, Tagessätze, Wiedererteilung, Reifeprozess, 18 Jahre, Tilgungsfrist
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 18.09.2018 – M 16 K 17.3200
Fundstelle:
BeckRS 2024, 23891
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 18. September 2018 geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 19. Januar 2016 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstre¬ckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Approbation als Zahnarzt sowie als Arzt.
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Dem im Jahr … geborenen Kläger wurde mit Wirkung vom 22. November 1995 die zahnärztliche und mit Wirkung vom 1. Oktober 1997 die ärztliche Approbation erteilt. Bis 2007 war er als niedergelassener Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in … tätig.
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Das Amtsgericht München verurteilte den Kläger mit Urteil vom 15. Oktober 2010 wegen 15 tatmehrheitlichen Fällen des Betrugs in Tatmehrheit mit 6 tatmehrheitlichen Fällen des versuchten Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
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Dagegen legten sowohl der Kläger als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein, die von der Staatsanwaltschaft auf die Rechtsfolgen beschränkt wurde. Am 25. März 2015, dem dritten Tag der Berufungshauptverhandlung, gab der Vorsitzende bekannt, dass zwischen Staatsanwalt und den Verteidigern eine Besprechung stattgefunden hatte. Sodann verpflichtete sich der Kläger gegenüber dem Patienten S zur Zahlung von 3.000,- EUR. Daraufhin stellte das Landgericht in Bezug auf die vom Amtsgericht genannten Taten zum Nachteil des Patienten S das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO ein. Zudem beschränkte die Verteidigung die Berufung gleichfalls auf die Rechtsfolgen.
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Mit seit 25. März 2015 rechtskräftigem Urteil hob das Landgericht München I das vorgenannte Urteil des Amtsgerichts München auf, sprach den Kläger des Betrugs in 6 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit 5 tatmehrheitlichen Fällen des versuchten Betrugs schuldig und verurteilte ihn zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 50 EUR. Der Kläger verzichtete auf Rechtsmittel.
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Zur Person des Angeklagten heißt es im Urteil: Ende 2001 übernahm der Kläger die Zahnarztpraxis Dr. K. in der … in … Ende 2005/2006 verlegte er die Arztpraxis in die … Die Zahl der Patienten ging seit 2002 erheblich zurück, so dass der Kläger zum Jahresende 2006 Regelinsolvenz anmeldete. Der Kläger hat kein Vermögen, seine Privatschulden belaufen sich auf 45.000,00 EUR, weil ihn Freunde unterstützten. Er bewohnt ein kleines Zimmer in der Wohnung seines Freundes B in …, für das er keine Miete zahlen muss.
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Zur Sache heißt es: Weil die Berufung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde, ist der Schuldausspruch des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts rechtskräftig geworden (soweit nicht eine Sachbehandlung nach § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf die zu Lasten des Patienten S begangenen Straftaten erfolgte). Die den Schuldspruch tragenden tatsächlichen Feststellungen sind bindend und unterliegen nicht mehr der Nachprüfung durch die Strafkammer, § 327 StPO. Insoweit wird auf die Gründe des Ersturteils Bezug genommen, die wie folgt niedergelegt sind, soweit sie die Patientin E betreffen:
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Der Angeklagte betrieb als approbierter Arzt und Zahnarzt sowie Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ab 2001 bis 2005 zunächst in der … und ab 2006 in der … in … eine Zahnarztpraxis. Im Zeitraum vom 16. September 2004 bis 26. Oktober 2005 befanden sich der Patient S und im Zeitraum von 14. April 2005 bis 3. März 2006 die Patientin E in der Zahnarztpraxis des Angeklagten in Behandlung. Beide Patienten bzw. deren Krankenkassen schädigte der Angeklagte finanziell erheblich, indem er diesen gegenüber vorsätzlich falsche und überhöhte privatärztliche Honorarrechnungen stellte, die diese zum Großteil bezahlten bis Zweifel an der Berechtigung der geltend gemachten Forderungen kamen. Dabei rechnete der Angeklagte fast ausschließlich den Steigerungsfaktor 3,5 ab, obwohl – wie er wusste – die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen. Auch rechnete der Angeklagte Leistungen ab, die er nicht erbracht und nicht dokumentiert hatte. Dabei wusste der Angeklagte, dass er nur zur Geltendmachung von erbrachten Leistungen berechtigt war, soweit diese hinreichend dokumentiert und begründet waren. Zudem rechnete der Angeklagte Leistungen mehrfach ab, bzw. über andere Abrechnungsposten zusätzlich, obwohl diese bereits anderweitig vergütet waren. Bei der Patientin E rechnete der Angeklagte 13 Behandlungstage ab, obwohl E in diesen Tagen überhaupt nicht in der Praxis war und behandelt wurde. Aufgrund der eingeholten gerichtlichen Gutachten sowie mehrerer ergänzender Äußerungen muss von einer absichtlichen Falschabrechnung ausgegangen werden. Die Patientin E zahlte auf den geltend gemachten Gesamtrechnungsbetrag in Höhe von 46.504,29 EUR einen Betrag von 33.926,11 EUR, wobei sie um einen zu viel gezahlten Betrag von 15.090,62 EUR geschädigt wurde. In fünf weiteren Fällen versuchte der Kläger von der Patientin E durch vorsätzlich falsche Abrechnung zu Unrecht einen Geldbetrag von 5.469,45 EUR zu erlangen. Insgesamt macht der Kläger gegenüber der Patientin E einen Abrechnungsbetrag in Höhe von 19.050,61 EUR zu Unrecht geltend.
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Im Rahmen der Strafzumessung wurde zugunsten des Klägers insbesondere berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft ist, keine neuen Delikte begangen hat, die Taten außerordentlich lange zurückliegen und der Kläger seinen Beruf seit etwa zehn Jahren in Deutschland faktisch nicht ausüben konnte. Außerdem wurde zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er wirtschaftlich angeschlagen ist, dass er sich an den von ihm betrügerisch erlangten Geldbeträgen nicht in höchst eigennütziger und verwerflicher Weise bereichert hat, sondern hiervon Schulden getilgt hat und dass das Verfahren schon lange dauert und den Kläger übermäßig belastet. Zu seinen Lasten wurde insbesondere berücksichtigt, dass er wirtschaftlich gesehen einen hohen Schaden angerichtet hat, die Patientin E zu der Behandlung überredet, sie durch übertriebene Darstellung der sonst drohenden Folgen in Angst versetzt und durch die lange und schwierige Behandlung physisch und psychisch sehr belastet sowie auch das Vertrauensverhältnis zwischen ihm als Zahnarzt und der Patientin grob missbraucht hat.
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Mit Bescheid vom 19. Januar 2016 widerrief die Regierung von Oberbayern die Approbation des Klägers als Zahnarzt sowie als Arzt wegen Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs und wegen Unzuverlässigkeit. Der Kläger habe sich als unwürdig zur Ausübung des (zahn-)ärztlichen Berufs erwiesen. Die begangenen Straftaten und die damit einhergehende Verurteilung hätten einen Schweregrad erreicht, der dafür ausschlaggebend sei, dass nicht nur das Vertrauensverhältnis zwischen Zahnarzt und Patientin grob missbraucht und damit das Vertrauen in eine patientengerechte Behandlung zerstört worden sei, sondern auch das Vertrauen, das die Öffentlichkeit dem ärztlichen Berufsstand generell entgegenbringe. Weiter fehle dem Kläger jegliches Unrechtsbewusstsein für seine begangenen Taten.
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Am 23. Februar 2016 erhob der Kläger Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht München. Das Verfahren wurde mit Blick auf einen Antrag des Klägers auf Wiederaufnahme des Verfahrens vor den Strafgerichten am 17. Februar 2016 zunächst mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 23. März 2016 ruhend gestellt. Das Verwaltungsgericht setzte das Verfahren fort, nachdem der Wiederaufnahmeantrag durch Beschluss des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 31. Mai 2016, bestätigt durch Beschluss des Landgerichts München II vom 6. März 2017, rechtskräftig verworfen worden war.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 24. April 2018 erklärten die Beklagtenvertreter, es sei die Möglichkeit gegeben, dass der Kläger die Wiedererteilung der Approbation beantragt und ihm zunächst voraussichtlich für die Dauer von zwei Jahren entsprechende vorläufige Erlaubnisse erteilt werden (§ 8 BÄO). Voraussetzung hierfür wäre das Vorliegen der weiteren persönlichen Voraussetzungen. Der den Widerrufen zu Grunde liegende Sachverhalt werde dem Kläger dann nicht mehr entgegengehalten. Der Klägerbevollmächtigte beantragte Schriftsatzfrist von drei Wochen, um Klagerücknahme unter den genannten Voraussetzungen zu prüfen. Die Beteiligten verzichteten übereinstimmend auf weitere mündliche Verhandlung. Mit Schriftsatz vom 14. Mai 2018 teilte der Klägervertreter mit, dass die Klage nicht zurückgenommen werde. Zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses (19. Januar 2016) sei das strafrechtlich festgestellte Fehlverhalten (letzte Tat 1. März 2006) etwa zehn Jahre zurückgelegen. Bei diesem zeitlichen Abstand könne eine Unwürdigkeit nicht mehr angenommen werden.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 18. September 2018 abgewiesen. Das Verhalten des Klägers erfülle den Tatbestand der Unwürdigkeit. Dabei könne der im Strafurteil des Amtsgerichts München vom 15. Oktober 2010 mit Blick auf die Taten zu Lasten der Patientin E festgestellte Sachverhalt zugrunde gelegt werden. Gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Feststellungen bestünden vorliegend nicht. Selbst für den Fall, dass einzelne Rügen des Klägers berechtigt sein sollten, verbliebe immer noch ein Fehlverhalten des Klägers, das sich als schwerwiegender Abrechnungsbetrug darstelle. Davon ausgehend sei der Betrug zu Lasten der Patientin E auch geeignet, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand der Zahnärzte und Ärzte auf schwere Weise zu schädigen. Der Kläger habe über einen längeren Zeitraum in zahlreichen Fällen Abrechnungsbetrugshandlungen gegenüber seiner Privatpatientin E begangen und dieser einen erheblichen Vermögensschaden zugefügt. Ein solcher Zahnarzt besitze nicht mehr das für seine Berufsausübung erforderliche Ansehen und Vertrauen der Bevölkerung. Hinzu komme, dass der Kläger die Patientin E nach dem Urteil des Landgerichts zu der Behandlung überredet habe, sie durch übertriebene Darstellung der angeblichen Folgen einer unterbliebenen Behandlung in Angst versetzt und das ärztliche Vertrauensverhältnis grob missbraucht habe. Ein Gewinnstreben um jeden Preis stehe in einem unauflösbaren Widerspruch zu dem in der Öffentlichkeit vorhandenen Bild eines helfenden Zahnarztes, der seinen Beruf gewissenhaft und nach den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschenwürde ausübe. Tilgungsreife i.S. des § 51 BZRG sei nicht ersichtlich. Für die hier verhängte Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen sei die Tilgungsfrist von zehn Jahren (§ 46 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a BZRG) noch nicht abgelaufen.
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Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger angesichts des Zeitraums von etwa zehn Jahren zwischen der letzten Betrugstat Anfang März 2006 und der Widerrufsentscheidung vom 19. Januar 2016 seine Würdigkeit zu jenem letztgenannten und maßgeblichen Zeitpunkt bereits wiedererlangt gehabt habe. Der zur Wiedererlangung der Würdigkeit notwendige Reifeprozess sei noch nicht erfolgreich abgeschlossen gewesen. Der vorliegende Abrechnungsbetrug stelle sich als schwere Straftat mit unmittelbarem Bezug zum Wirkungskreis des Zahnarztes dar, so dass regelmäßig ein Reifeprozess von mindestens acht Jahren zu absolvieren sei (OVG Lüneburg, B.v. 29.7.2015 – 8 ME 33/15 – juris Rn. 21, 29). Der Reifeprozess habe hier – ausgehend von der letzten Tathandlung im März 2006 – etwa 10 Jahre angedauert. Während dieser Zeit sei der Kläger aber vollständig unter dem Druck der gegen ihn geführten straf- und approbationsrechtlichen Verfahren gestanden. Der Reifung in diesem Zeitraum komme daher geringeres Gewicht zu. Bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die einerseits durch die Dauer des Strafverfahrens, ein faktisches Ruhen der ärztlichen Approbation in Deutschland und das Ausbleiben neuer Vorwürfe geprägt sei, andererseits aber auch durch einen groben Missbrauch des Vertrauensverhältnisses zur Patientin E, den Druck der genannten Verfahren, ein Fehlen jeglicher Einsicht in das verwirklichte Unrecht sowie Bemühungen des Klägers auch über das zur eigenen Verteidigung Notwendige hinaus die Integrität der Patientin E anzugreifen und sie unter Preisgabe vorgeblicher Details aus Patientengesprächen als psychisch labil darzustellen (vgl. Behördenvorgang Bd. I, Bl. 100 f., Bl. 123), erscheine es hier angemessen eine Reifedauer von allenfalls fünf Jahren anzurechnen. Damit sei, auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht die Annahme gerechtfertigt, dass zukünftig das Vertrauensverhältnis zu den Patienten gesichert und damit eine Gefahr für die Volksgesundheit als wichtiges Gemeinschaftsgut ausgeschlossen sei.
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Der Kläger hat gegen das am 22. Oktober 2018 zugestellte Urteil am 22. November 2018 die Zulassung der Berufung beantragen lassen.
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Mit Schriftsatz vom 18. März 2020 wiederholte der Beklagte inhaltlich den in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht unterbreiteten Vergleichsvorschlag.
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Der Klägervertreter erwiderte, dass einem entsprechenden Vergleichsvorschlag nicht zugestimmt werde. Der Kläger kämpfe in erster Linie für seine Rehabilitation und sei nicht bereit seine Klagen gegen den Widerruf seiner Approbationen zurückzunehmen. Der Kläger habe vielmehr wegen seines Interesses auf Rehabilitation einen neuerlichen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens gestellt. Da der Beklagte jedenfalls im Falle eines Antrags des Klägers auf Wiedererteilung der Approbationen verpflichtet wäre, diese sofort zu erteilen, gelte der Grundsatz, dass man nichts fordern könne, was man unverzüglich zurückzugeben verpflichtet sei.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 8. April 2020 wurde der Wiederaufnahmeantrag des Klägers abgelehnt. Dagegen legte der Kläger am 20. April 2020 sofortige Beschwerde ein. Mit Beschluss des Landgerichts München II vom 10. Juli 2020 wurde die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen. Dagegen erhob der Kläger am 20. August 2020 Verfassungsbeschwerde. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Entscheidung vom 10. Januar 2023).
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Mit Beschluss vom 7. Mai 2020 ordnete der Senat das Ruhen des Verfahrens an und setzte das Verfahren am 19. Februar 2024 fort.
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Der Kläger hat seine mit Beschluss des Senats vom 22. März 2024 zugelassene Berufung wie folgt begründet: Zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung hätten die strafgerichtlich festgestellten Verfehlungen bereits neun bzw. zehn Jahre zurückgelegen. Dass zwischen dem Urteil des Amtsgerichts München vom 15. Oktober 2010 und der Berufungsentscheidung fast fünf Jahre vergangen seien, liege an einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde des Klägers. Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung dürfe ein Widerruf nicht mehr erfolgen, wenn die Voraussetzungen zur Wiedererteilung zum maßgeblichen Zeitpunkt vorliegen. Ergebe die Gesamtbetrachtung einen zu Tage getretenen inneren Reifeprozess zur Kompensation der zu Tage getretenen charakterliche Mängel, so könne und dürfe die Approbation nicht widerrufen werden. Hierzu sei in erster Instanz bereits vorgetragen worden, dass der Kläger nur noch aushilfsweise praktiziert habe und nicht mehr in Form einer eigenen Praxisführung. Der Kläger sei in der Zeit zwischen letzter Verfehlung und Behördenentscheidung (etwa zehn Jahre) stets mit den ihm zur Last gelegten Verfehlungen konfrontiert gewesen und ihm seien die Auswirkungen seiner Verfehlungen Tag für Tag vor Augen geführt worden. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass einer Reifung in diesem Zeitraum geringeres Gewicht zukommen müsse. Vielmehr bestehe der entscheidende Unterschied dann, wenn ein Arzt in dieser Zeit unverändert seiner beruflichen Tätigkeit nachgehe, da sich dann nicht von selbst verstehe, dass er sich in dieser Zeit in derselben Weise mit den Konsequenzen eines entsprechenden Fehlverhaltens auseinandergesetzt habe. Das Verwaltungsgericht habe im Rahmen der Überprüfung der Gesamtwürdigung der Umstände ausgeführt, dass diese durch die Dauer des Strafverfahrens, ein faktisches Ruhen der ärztlichen Tätigkeit in Deutschland und das Ausbleiben neuer Vorwürfe geprägt sei. Zu Lasten habe es das Fehlen jeglicher Einsicht einbezogen. Dieser Vorwurf verkenne aber, dass der Kläger die Notwendigkeit richtiger Abrechnungen sowie auch die Notwendigkeit gegen (zahn-)ärztlichen Abrechnungsbetrug in voller Härte vorzugehen, ohne Einschränkung einsehe. Er habe umfassend erfahren und erlebt, was es bedeute hier in vorwerfbarer Weise Fehler zu machen. Dass er mit der (Un-)richtigkeit der rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidungen hadere und diese nicht akzeptieren wolle, sei kein Zeichen fehlender Reife, sondern Ausdruck eines festen Glaubens in das Rechtssystem. Eine Abwägung, die dies anders bewerte, sei nicht rechtsfehlerfrei. Selbiges gelte für die Einbeziehung der inhaltlichen Darlegung eines Patientengesprächs. Die dargelegte Abwägungsproblematik stelle letztlich einen Ausfluss des Übermaßverbots dar.
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Darüber hinaus müsse als weiterer Aspekt in die gerichtliche Entscheidung die lange (gerichtliche) Verfahrensdauer einfließen. Verfahrensgegenstand sei ein Verhalten des Klägers, das nunmehr 18 Jahre zurückliege. Seit dieser Zeit sei es zu keinerlei neuen Vorwürfen gekommen. Der Kläger habe in diesen 18 Jahren aushilfsweise praktiziert, dabei vor allem im Ausland und in einem Umfang und einer Form, die schon eher als karitativ bezeichnet werden müsse. Der Kläger habe ebenso wie jeder andere ein Recht auf Resozialisierung und damit auch in gewisser Weise ein Recht auf Vergessen. Nach nunmehr 18 Jahren sollte ihm dieses Recht auch gewährt werden. Auf § 51 BZRG sei hingewiesen. Zwischenzeitlich bestünden keine Zweifel mehr daran, dass dem Kläger die Approbationen auf seinen Antrag hin unmittelbar nach Rechtskraft der Entziehung erteilt werden müssten. Eine Gerichtsentscheidung, die bei dem dargelegten Ablauf der Verfahren die Behördenentscheidung im Jahr 2024 aufrechterhalte, nur um dem Kläger die Notwendigkeit einer Neubeantragung seiner Approbationen aufzubürden, würde den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen.
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Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 18. September 2018 wird der Bescheid des Beklagten vom 19. Januar 2016 aufgehoben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Entgegen den Ausführungen der Klägerseite dürfe die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheides des Beklagten vom 18. September 2018 nicht berücksichtigt werden, da es hierbei ausschließlich auf die Rechtmäßigkeit im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ankomme. Unstrittig sei auch, dass vorliegend der rechtskräftig festgestellte Sachverhalt aus dem Strafverfahren zur Beurteilung der Würdigkeit des Klägers herangezogen werden könne. Es sei nicht ersichtlich, wie der Sachverhalt noch besser hätte aufgeklärt werden können. Hinzu komme, dass der Kläger in sämtlichen strafrechtlichen Berufungs- und Wiederaufnahmeverfahren unterlegen sei. Im Hinblick auf das Vorbringen zur Verfahrensdauer sei anzumerken, dass der Kläger maßgeblich zu dieser beigetragen habe. Auch nach Abschluss des strafrechtlichen Verfahrens zeige der Kläger keine Einsicht, so dass nicht davon auszugehen sei, dass er einen inneren Reifeprozess durchlaufen habe. Auch sei der Widerruf im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht deshalb rechtswidrig, weil dem Kläger heute die Approbation auf seinen Antrag hin unmittelbar wiedererteilt werden müsste. Vielmehr sei die Frage der Wiedererteilung der Approbation für die Rechtmäßigkeit des Widerrufs nicht relevant. Die Wiedererteilung stelle ein eigenständiges Verfahren dar. Der Abschluss des behördlichen Widerrufsverfahrens bewirke eine Zäsur, durch die eine Berücksichtigung danach eintretender Umstände einem späteren Wiedererteilungsverfahren zugewiesen werde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die Behördenakten Bezug genommen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 2. Juli 2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg.
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Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die zulässige Anfechtungsklage begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 19. Januar 2016, in dem der Widerruf der dem Kläger erteilten Approbationen als Arzt und als Zahnarzt verfügt wurde, ist im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 12 Abs. 1 GG).
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1. Rechtliche Grundlage für den Widerruf der ärztlichen Approbation ist § 5 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Bundesärzteordnung (BÄO). Rechtsgrundlage für den Widerruf der zahnärztlichen Approbation ist § 4 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde (ZHG). Danach ist Voraussetzung für den zwingenden Widerruf der Approbation als Arzt bzw. Zahnarzt, dass sich der Betreffende nachträglich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des (zahn-) ärztlichen Berufs ergibt. Der Kläger hatte sich zwar unter Zugrundelegung seiner strafrechtlichen Verurteilung wegen (Abrechnungs-) Betruges mit einer Schadenshöhe von 19.050,- EUR zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen (vgl. Urteil des Landgerichts München I vom 25. März 2015) und der bindenden den Schuldausspruch tragenden tatsächlichen Feststellungen (vgl. Urteil des Amtsgerichts vom 15. Oktober 2010) im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung als Arzt bzw. Zahnarzt eines Verhaltens schuldig gemacht (Tatzeitraum von April 2005 bis März 2006), das so schwerwiegend war, dass sich daraus seine Unwürdigkeit zur weiteren Ausübung des ärztlichen Berufs ergab (1.1). Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung (Bescheidserlass am 19. Januar 2016) hatte der Kläger nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände jedoch seine Würdigkeit wiedererlangt (1.2), sodass der Widerruf der Approbationen zum Zeitpunkt der Bescheidserlasses rechtswidrig war und den Kläger in seinem Grundrecht auf freie Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzte.
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1.1 Der Senat geht – zunächst noch übereinstimmend mit dem Verwaltungsgericht – davon aus, dass das strafrechtlich geahndete Verhalten des Klägers grundsätzlich geeignet ist, den Tatbestand der Unwürdigkeit zu erfüllen.
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1.1.1 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. B.v. 31.7.2019 – 3 B 7.18 – juris Rn. 9) ist ein Arzt im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO bzw. ein Zahnarzt gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 (ZHG) zur Ausübung des (zahn-)ärztlichen Berufs unwürdig, wenn er ein Fehlverhalten gezeigt hat, das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Arztes schlechthin nicht zu vereinbaren ist, und er daher nicht mehr das Ansehen und das Vertrauen besitzt, das für die Ausübung des (zahn-) ärztlichen Berufs unabdingbar ist (st. Rspr., z.B. BVerwG, B.v. 15.11.2012 – 3 B 36.12 – juris Rn. 7 m.w.N.). Anlass für den Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit kann nur ein schwerwiegendes Fehlverhalten sein, das geeignet ist, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den ärztlichen Berufsstand nachhaltig zu erschüttern, bliebe das Verhalten für den Fortbestand der Approbation folgenlos. Es muss bei Würdigung aller Umstände die weitere Berufsausübung als untragbar erscheinen lassen (BVerwG, B.v. 31.7.2019 – 3 B 7.18 – juris Rn. 9, 13; zur Parallelregelung des § 4 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZHG: BVerwG, B.v. 27.1.2011 – 3 B 63.10 – juris Rn. 4 und B.v. 16.2.2016 – 3 B 68.14 – juris Rn. 6).
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Der Widerruf der Approbation stellt einen Eingriff in die Berufswahlfreiheit des (Zahn-) Arztes dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind solche Eingriffe nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 8.9.2017 – 1 BvR 1657/17 – juris Rn. 8). Den damit verbundenen hohen Anforderungen auf der Rechtfertigungsebene ist durch eine umfassende Prüfung des Einzelfalls ausreichend Rechnung zu tragen. Es ist eine Abwägung der grundrechtlichen Belange des Arztes mit den seiner fortdauernden Approbation als Arzt entgegenstehenden Gemeinwohlbelangen durchzuführen. Dabei ist nicht nur auf ein Verhalten abzustellen, das im beruflichen Umfeld oder gesellschaftlichen Bereich auf Missfallen stößt, sondern maßgeblich auf das für eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung unabdingbare Vertrauen zwischen Arzt und Patient, welches für nachhaltig zerstört erachtet wurde. Mit diesem Vertrauen untrennbar verbunden ist das Schutzgut der Volksgesundheit, in dessen Interesse Patienten die Gewissheit haben müssen, sich dem Arzt als ihrem Helfer uneingeschränkt anvertrauen zu können und nicht etwa durch Misstrauen davon abgehalten werden, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Volksgesundheit ist ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut (vgl. BVerfG, B.v. 16.6.1959 – 1 BvR 71/57 – BVerfGE 9, 338 <346>; B.v. 17.7.1961 – 1 BvL 44/55 – BVerfGE 13, 97 <107>; B.v. 25.2.1969 – 1 BvR 224/67 – BVerfGE 25, 236 <247>), zu dessen Schutz eine subjektive Berufszulassungsschranke nicht außer Verhältnis steht (vgl. BVerfG, U.v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377 <406 f.>; B.v. 17.7.1961 1 BvL 44/55 – BVerfGE 13, 97 <107>; B.v. 10.5.1988 – 1 BvR 1166/85 – BVerfGE 78, 179 <192>).
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1.1.2 Der Beurteilung, ob beim Kläger die Voraussetzungen für den Widerruf der Approbation wegen Unwürdigkeit gegeben waren, kann dabei der im Strafurteil des Amtsgerichts München vom 15. Oktober 2010 mit Blick auf die Taten zu Lasten der Patientin E bindend festgestellte Sachverhalt zugrunde gelegt werden.
35
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfen die in einem rechtskräftigen Strafurteil getroffenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen regelmäßig zur Grundlage der behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Beurteilung von Approbationswiderrufen gemacht werden, soweit sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Feststellungen ergeben (BVerwG, U.v. 26.9.2002 – 3 C 37.01 – juris Rn. 38; B.v. 6.3.2003 – 3 B 10.03 – juris Rn. 2, B.v. 18.8.2011 – 3 B 6.11 – juris Rn. 10). Gewichtige Anhaltspunkte in diesem Sinne liegen vor, wenn Wiederaufnahmegründe nach § 359 StPO gegeben sind, insbesondere im Fall der Beibringung neuer Tatsachen oder Beweismittel, die geeignet sind, eine für den Betroffenen günstigere strafrechtliche Entscheidung zu begründen. Dazu bedarf es der Darlegung substantiierter, nachprüfbarer Umstände, die die Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen ernstlich in Zweifel ziehen (BVerwG, B.v. 18.8. 2011 – 3 B 6.11 – juris Rn. 11; BVerwG, B.v. 13.2.2014 – 3 B 68.13 – juris Rn. 5). Weiter können solche Anhaltspunkte vorliegen, wenn die maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts erkennbar auf einem Irrtum beruhen oder die Approbationsbehörde ausnahmsweise in der Lage ist, eine für ihre Entscheidung erhebliche, aber strittige Tatsache besser als das Strafgericht aufzuklären (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 21.5.2013 – 8 LA 54/13 – juris Rn. 8).
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Derart gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Feststellungen in der strafgerichtlichen Entscheidung ergeben sich aus dem Vorbringen des Klägers hier nicht. Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum die Verwaltungsgerichtsbarkeit den eine lange Zeit zurückliegenden Sachverhalt nun besser aufklären können sollte als die Strafgerichte. Umstände, die die Unrichtigkeit der im strafgerichtlichen Verfahren getroffenen Feststellungen belegen könnten, wurden nicht nachprüfbar und substantiiert dargelegt. Insoweit wird auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug zum Vortrag des Klägers im Einzelnen genommen (UA S. 11 bis 14).
37
1.1.3 Ausgehend vom strafrechtlich sanktionierten Verhalten des Klägers ist der (Abrechnungs-)Betrug zu Lasten der Privatpatientin E als ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Klägers zu qualifizieren, das grundsätzlich geeignet ist unter Berücksichtigung der Gesamtumstände der Verfehlungen im konkreten Fall einen Widerruf der Approbation wegen Unwürdigkeit zu rechtfertigen.
38
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört die korrekte Abrechnung der ärztlichen Leistungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen selbstverständlich zu den Berufspflichten, und die Gefährdung der finanziellen Basis der Kassen durch betrügerische oder leichtfertige Falschabrechnungen in großem Umfang stellt eine gravierende berufliche Verfehlung dar (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.2002 – 3 C 37.01 – juris Rn. 20). Nichts anderes gilt für betrügerische Falschabrechnungen unmittelbar gegenüber Patienten. Es liegt auf der Hand, dass die berufliche Pflicht zur ordnungsgemäßen Abrechnung der ärztlichen Leistungen unabhängig davon besteht, ob es sich um Kassenpatienten oder Privatpatienten handelt. Falschabrechnungen zum Nachteil von Privatpatienten verletzen nicht nur deren berechtigte Vermögensinteressen. Betrugstaten im Bereich privatärztlicher Abrechnungen schädigen darüber hinaus das Gesundheitssystem, wenn die privaten Krankenversicherungen und staatlichen Beihilfestellen nach Vorlage der Rechnungen durch die Versicherten und Beihilfeberechtigten für Leistungen aufkommen, die nicht angefallen sind oder die nicht so, wie abgerechnet, erbracht worden sind (vgl. BVerwG, B.v. 20.9.2012 – 3 B 7/12 – juris Rn. 5).
39
Derartige Abrechnungsbetrugstaten gegenüber Krankenkassen und Patienten sind grundsätzlich schwere Straftaten mit unmittelbarem Bezug zum beruflichen Wirkungskreis des Arztes. Sie sind regelmäßig ohne Weiteres geeignet, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand des Arztes nachhaltig zu erschüttern, bliebe das Verhalten für den Fortbestand der Approbation folgenlos (vgl. BVerwG, B.v. 13.2.2014 – 3 B 68.13 – juris Rn. 10).
40
Hieran gemessen ist das festgestellte Fehlverhalten des Klägers grundsätzlich als so schwerwiegend einzustufen, dass es geeignet ist, zu einem Ansehens- und Vertrauensverlust zu führen, der den Kläger für den ärztlichen Beruf als auf absehbare Zeit untragbar erscheinen lässt. Nach den strafgerichtlichen Feststellungen steht fest, dass der Kläger gegenüber seiner Privatpatientin E, die sich von April 2005 bis März 2006 in der Zahnarztpraxis des Klägers in Behandlung befand, im Zeitraum von Mai 2005 bis März 2006 vorsätzlich falsche und überhöhte privatärztliche Honorarrechnungen stellte. Insgesamt machte der Kläger gegenüber der Patientin E einen Abrechnungsbetrag in Höhe von 19.050,- EUR zu Unrecht geltend. Dieses Fehlverhalten wiegt schwer. Der vom Kläger verursachte Schaden hat auch eine Höhe erreicht, in der die Annahme einer Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs grundsätzlich gerechtfertigt ist (vgl. Überblick zur Schadenshöhe bei Abrechnungsbetrugsfällen: OVG Lüneburg, B.v. 17.2.2015 – 8 LA 26/14 – juris Rn. 50 – 51).
41
1.2 Im maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Widerrufsvoraussetzungen (hier: Bescheidserlass am 19. Januar 2016) hatte der Kläger jedoch seine Würdigkeit zur Ausübung des (zahn-)ärztlichen Berufs wiedererlangt.
42
1.2.1 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ist der Abschluss des Verwaltungsverfahrens, hier also der Erlass des Bescheids am 19. Januar 2016 (st. Rspr, z.B. BVerwG, B.v. 31.7.2019 – 3 B 7.18 – juris Rn. 9; B.v. 18.8.2011 – 3 B 6.11 – juris Rn. 9 m.w.N.; ebenso für die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung: BSG, U.v. 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R – juris Rn. 32 ff.; für den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft: BGH, B.v. 29.6.2011 – AnwZ <Brfg> 11/10 – juris Rn. 9 ff.).
43
1.2.2 Rechtfertigt das festgestellte Fehlverhalten des Arztes grundsätzlich die Annahme der Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs, ist darüber hinaus zu prüfen, ob im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens veränderte Umstände vorliegen, die dazu führen, dass von einer Berufsunwürdigkeit nicht oder nicht mehr ausgegangen werden kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 8.9.2017 – 1 BvR 1657/17 – juris Rn. 14). Der Bedeutung und Tragweite von Art. 12 Abs. 1 GG wird bei der Auslegung des Begriffs der Unwürdigkeit hinreichend Rechnung getragen, wenn nicht nur auf das jeweilige Fehlverhalten, sondern auch auf mögliche veränderte Umstände abgestellt wird, die eine abweichende Beurteilung der Berufsunwürdigkeit rechtfertigen könnten (BVerwG, B.v. 31.7.2019 – 3 B 7.18 – juris Rn. 16).
44
1.2.3 Die Wiederherstellung der Würdigkeit setzt voraus, dass sich die den Widerruf grundsätzlich rechtfertigende Sachlage nachweislich „zum Guten geändert hat“, nämlich der Arzt das für die Ausübung seines Berufes erforderliche Ansehen und Vertrauen zurückerlangt hat (vgl. BVerwG, B.v. 15.11.2012 – 2 B 36.12 – juris Rn. 7). Das ist der Fall, wenn bei Würdigung aller Umstände nicht mehr zu besorgen ist, dass dessen selbständige Berufstätigkeit das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand nachhaltig erschüttern könnte. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung sind daher Art, Schwere und Dauer des Fehlverhaltens, verhängtes Strafmaß und die zugrundeliegenden Strafzumessungserwägungen (vgl. BVerwG, B. v. 31.7.2019 – 3 B 7.18 – juris Rn. 13) sowie der zeitliche Abstand zu den die Unwürdigkeit begründenden Verfehlungen zu berücksichtigen, des Weiteren alle sonstigen relevanten Umstände (vgl. für das Wiedererteilungsverfahren: BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 22.09 – juris Rn. 11; B.v. 27.10.2010 – 3 B 61.10 – juris Rn. 8, B.v. 23.10.2007 – 3 B 23.07 – juris Rn. 6). Ein beanstandungsfreies Verhalten, insbesondere eine nachträgliche berufliche Bewährung, fällt hiernach positiv ins Gewicht, während umgekehrt etwaige neue Verfehlungen negativ zu Buche schlagen (BVerwG, B.v. 15.11.2012 – 3 B 36.12 – juris Rn. 7).
45
1.2.4 Hat sich ein Arzt als zur Ausübung des ärztlichen Berufs unwürdig erwiesen, erfordert die Wiedererlangung der Würdigkeit regelmäßig einen längeren inneren Reifeprozess zur Kompensation der zu Tage getretenen charakterlichen Mängel (vgl. SächsOVG, U.v. 13.3.2012 – 4 A 18/11 – juris Rn. 31 und 37; OVG Lüneburg, U.v. 11.5.2015 – 8 LC 123/14 – juris Rn. 57; OVG Lüneburg, B.v. 10.6.2015 – 8 LA 114/14 – juris Rn. 78).
46
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg erachtet einen Reifeprozess von regelmäßig mindestens fünf Jahren bei gravierenden Verfehlungen außerhalb des beruflichen Wirkungskreises und von regelmäßig mindestens acht Jahren bei gravierenden Verfehlungen im beruflichen Wirkungskreis für erforderlich. (OVG Lüneburg, B.v. 17.2.2015 – 8 LA 26/14 – juris Rn. 52 f.). Diese in den Blick genommene Dauer des Reifeprozesses erfolgt in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Fortdauer einer die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ausschließenden Berufsunwürdigkeit (vgl. etwa BGH, B. v. 8.5.2013 – AnwZ (Brfg) 46/12 – juris Rn. 6; B.v. 12.7.2010 – AnwZ (B) 116/09 – juris Rn. 9; B.v. 14.2.2000 – AnwZ (B) 8/99 – juris Rn. 6; B.v. 11.12.1995 – AnwZ (B) 34/95 – juris Rn. 10: Dauer zwischen fünf Jahren bei leichteren Verfehlungen und zwanzig Jahren bei schweren Straftaten im Kernbereich der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts, nicht jedoch vor beanstandungsfreiem Ablauf einer von den Strafgerichten angeordneten Bewährungszeit) und des Bundessozialgerichts zur erforderlichen Dauer eines Wohlverhaltens für die Wiedererteilung einer entzogenen Vertragsarztzulassung (vgl. BSG, U.v. 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R – juris Rn. 49: mindestens fünf Jahre nach Wirksamwerden der Entziehung der Vertragsarztzulassung).
47
1.2.5 Maßgeblich für den Beginn des Reifeprozesses ist der Zeitpunkt, in dem die zur Annahme der Berufsunwürdigkeit führenden gravierenden Verfehlungen durch den Betreffenden eingestellt worden sind (im Anschluss an OVG Lüneburg, z.B. B.v. 29.7.2015 – 8 ME 33/15 – juris Rn. 22 – 25, und SächsOVG, U.v. 13.3.2012 – 4 A 18/11 – juris Rn. 32 und 36), gleich ob dies auf einem freiwilligen Willensentschluss des Betreffenden oder auf einer Aufdeckung und Ahndung der Verfehlungen durch Dritte, insbesondere Strafverfolgungs- oder Approbationsbehörden beruht (so auch BGH, B.v. 8.5.2013 – AnwZ (Brfg) 46/12 – juris Rn. 6; B.v. 12.7.2010 – AnwZ (B) 116/09 – juris Rn. 9: „zeitlicher Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft“; SächsOVG, U. v. 13.3.2012 – 4 A 18/11 – juris Rn. 32: „das gesamte Nachtatverhalten des Betroffenen bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Wiedererteilung der Approbation“).
48
Eine Anknüpfung an den Zeitpunkt, in dem das Verwaltungsverfahren über den Widerruf der ärztlichen Approbation abgeschlossen ist (vgl. BVerfG, B. v. 22.12.2008 – 1 BvR 3457/08 – juris Rn. 3; BVerwG, B.v. 15.11.2012 – 3 B 36.12 – juris Rn. 7), an den Zeitpunkt, in dem der Widerruf der ärztlichen Approbation bestandskräftig geworden oder in dem die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit tatsächlich eingestellt worden ist (vgl. noch BayVGH, U.v. 15.2.2000 – 21 B 96.1637 – juris Rn. 59), ist nicht sachgerecht.
49
Vielmehr ist davon auszugehen, dass die durch eine gravierende Verfehlung eingebüßte Berufsunwürdigkeit bereits während des laufenden behördlichen Verfahrens über den Widerruf der Approbation wiedererlangt worden sein kann (vgl. etwa OVG Lüneburg, B.v. 17.2.2015 – 8 LA 26/14 – juris Rn. 52; B.v. 23.7.2014 – 8 LA 142/13 – juris Rn. 38 f.). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der zur Kompensation zu Tage getretener charakterlicher Mängel erforderliche Reifeprozess ein tatsächlicher Vorgang ist, der in der Regel bereits mit der Aufgabe der gravierenden Verfehlungen einsetzt und nicht eine behördliche oder gar gerichtliche Bestätigung der Verfehlung und einen damit verbundenen Appell zur Läuterung voraussetzt. Durch eine Anknüpfung an die genannten nachgelagerten Zeitpunkte würde zudem derjenige Betreffende benachteiligt, der eine selbst erkannte Verfehlung freiwillig aufgibt, das Unrecht seines Handelns frühzeitig einsieht und sich ohne behördlichen oder anderen Einfluss um Wiedergutmachung entstandener Schäden bemüht. Denn wenn sein Handeln nicht ausreicht, um die Würdigkeit bis zu einem der genannten nachgelagerten Zeitpunkte wieder zu erlangen, bliebe es in einem nachfolgenden Verfahren auf Wiedererteilung der Approbation unberücksichtigt. Ein bereits weitgehend oder jedenfalls teilweise absolvierter Reifeprozess würde so ohne jede sachliche Rechtfertigung entwertet. Eine Anknüpfung an den Zeitpunkt, in dem der Bescheid über den Widerruf der Approbation bestandskräftig geworden ist, oder an den Zeitpunkt, in dem die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit tatsächlich eingestellt worden ist, wäre zudem zwangsläufig mit dem generellen Erfordernis einer Bewährung im außerberuflichen Bereich verknüpft. Ein solches generelle Erfordernis ist mit Blick auf die Beeinträchtigung der Berufswahlfreiheit nicht verhältnismäßig (vgl. hierzu auch kritisch: BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 28.8.2007 – BvR 1098/07 – juris Rn. 22). Im Übrigen bietet ein Reifeprozess, der während eines tatsächlich ausgeübten ärztlichen Berufs absolviert wird und durch den der Betreffende seine Fähigkeit zur beanstandungsfreien Berufsausübung dokumentieren kann, noch am ehesten die Gewähr dafür, dass der Betreffende sich „zum Guten geändert“ hat (vgl. SächsOVG, U. v. 13.3.2012 – 4 A 18/11 – juris Rn. 37). Hiervon ist offenbar auch der Gesetzgeber bei Einführung der Erlaubnis nach § 8 BÄO ausgegangen (so insgesamt überzeugend: OVG Lüneburg, B v. 17.2.2015 – 8 LA 26/14 – juris Rn. 52 ff.).
50
1.2.6 Bei der Gesamtwürdigung, ob der Kläger die Würdigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses wiedererlangt hat, sind zu berücksichtigen die Art, Schwere und Zahl der Verfehlungen, die zur Annahme der Unwürdigkeit geführt haben, und das Verhalten des Betreffenden nach der Aufgabe oder Aufdeckung der Verfehlungen, etwa seine Mitwirkung an der Aufklärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe, seine Einsicht in das verwirklichte Unrecht und seine Bemühungen um eine Wiedergutmachung entstandener Schäden sowie das Ausbleiben erneuter, mit Blick auf die Würdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs relevanter Verfehlungen (OVG Lüneburg, B.v. 29.7.2015 – 8 ME 33/15 – juris Rn. 25).
51
Ein bloßer Zeitablauf allein ist für die Wiedererlangung der Würdigkeit grundsätzlich nicht ausreichend. Durch den Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit soll nicht das bisherige Verhalten des Arztes durch eine zeitliche Verhinderung der Berufsausübung sanktioniert, sondern das Ansehen der Ärzteschaft in den Augen der Öffentlichkeit geschützt werden, dies freilich nicht als Selbstzweck, sondern um das für jede Heilbehandlung unabdingbare Vertrauen der Patienten in die Integrität der Personen aufrecht zu erhalten, denen mit der Approbation die staatliche Erlaubnis zur selbständigen Ausübung der Heilkunde verliehen ist, und in deren Behandlung sich die Patienten begeben (vgl. eingehend OVG Lüneburg, B.v. 3.2.2015 – 8 LA 2/14 – juris Rn. 29 m.w.N). Die Würdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs besteht daher erst dann wieder, wenn der Arzt das erforderliche Ansehen und Vertrauen zurückerlangt hat, mithin wenn nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände nicht mehr zu besorgen ist, dass dessen selbständige Berufstätigkeit das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand nachhaltig erschüttern könnte (vgl. BVerwG, B.v. 15.11.2012 – 3 B 36.12 – juris Rn. 7). In die danach gebotene Gesamtwürdigung ist die Dauer des Reifeprozesses einzustellen und dabei zu gewichten (OVG Lüneburg, B.v. 29.7.2015 – 8 ME 33/15 – juris Rn. 25).
52
1.2.7 Gemessen an diesen Grundsätzen kommt der Senat nach einer Gesamtwürdigung zu dem Ergebnis, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Widerrufsvoraussetzungen seine Würdigkeit zur Ausübung des (zahn-)ärztlichen Berufs wiedererlangt hatte. Die einen Widerruf der Approbation grundsätzlich rechtfertigende Sachlage hat sich in dem fast zehn Jahre andauernden Zeitraum seit letzter Tathandlung (März 2006) bis zum Bescheidserlass am 19. Januar 2016 nachweislich „zum Guten geändert“. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände das für die Ausübung seines Berufes erforderliche Ansehen und Vertrauen zurückerlangt. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger in diesem fast zehn Jahre andauernden Zeitraum einen inneren Reifeprozess zur Kompensation der zu Tage getretenen charakterlichen Mängel durchlaufen und das erforderliche Ansehen und Vertrauen der Patienten in die Integrität der Ärzteschaft zurückerlangt hat.
53
1.2.7.1 Da im Rahmen einer Gesamtbetrachtung insbesondere Art, Schwere und Dauer des Fehlverhaltens, verhängtes Strafmaß und die zugrundeliegenden Strafzumessungserwägungen (vgl. BVerwG, B. v. 31.7.2019 – 3 B 7.18 – juris Rn. 13) sowie der zeitliche Abstand zu den die Unwürdigkeit begründenden Verfehlungen zu berücksichtigen sind, ist Ausgangspunkt der Gesamtabwägung das strafrechtlich geahndete Fehlverhalten des Klägers. Abrechnungsbetrug gegenüber Privatpatienten ist im Hinblick auf die Art des Fehlverhaltens grundsätzlich als schwere Straftat mit unmittelbarem Bezug zum beruflichen Wirkungskreis eines Arztes zu qualifizieren und ist daher regelmäßig geeignet, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand des Arztes nachhaltig zu erschüttern.
54
Der Verurteilung des Klägers im Urteil des Landgerichts München I vom 25. März 2015 lagen somit nach der Art des Fehlverhaltens als schwere Straftaten zu qualifizierende (Abrechnungs-)Betrugstaten zugrunde. Dadurch wurde eine Person – die Privatpatientin E – im Hinblick auf Rechnungen vom Mai 2005 bis März 2006 mit einem zu Unrecht geltend gemachten Abrechnungsbetrag in Höhe von 19.050,- EUR geschädigt. Mithin sind die geahndeten Betrugstaten im Hinblick auf die Anzahl der Geschädigten, den Zeitraum, in dem die fehlerhaften Abrechnungen erfolgten, sowie auch im Hinblick auf die Höhe des Schadensbetrags und die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen eher im unteren bis mittleren Bereich der einen Widerruf der Approbation rechtfertigenden strafrechtlichen Verurteilungen wegen Abrechnungsbetrugs anzusetzen. Diese Einschätzung des Senats tragen auch die im Strafurteil enthaltenen Strafzumessungserwägungen. Zu Lasten des Klägers wurde dort berücksichtigt, dass der Kläger das Vertrauensverhältnis zu seiner Patientin E grob missbraucht hat. Es sei ein wirtschaftlich hoher Schaden verursacht worden. Zugunsten des Klägers wurde u.a. berücksichtigt, dass die Taten bereits außerordentlich lange zurückliegen. Die erste Rechnung stamme vom 11. Mai 2005, die letzte vom 1. März 2006. Der Kläger habe keine neuen Delikte begangen. Er könne seit etwa 10 Jahren faktisch seinen Beruf in Deutschland nicht ausüben. Der Kläger sei wirtschaftlich angeschlagen. Er habe sich an den von ihm betrügerisch erlangten Geldbeträgen nicht in höchst eigennütziger und verwerflicher Weise bereichert, sondern tilge hiervon Schulden. Das Verfahren dauere schon lange und habe den Kläger übermäßig belastet. Das vom Verwaltungsgericht angenommene „Gewinnstreben um jeden Preis“ (vgl. UA S. 15) kann den Strafzumessungserwägungen indes nicht entnommen werden.
55
1.2.7.2 Im vorliegenden Fall misst der Senat außerdem der ungewöhnlich langen Dauer des Strafverfahrens erhebliche Bedeutung im Reifeprozess des Klägers zu.
56
Nachdem das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen den Kläger nach seiner letzten Tathandlung (März 2006) im Jahre 2006 eingeleitet worden war, erließ das Amtsgericht München am 15. Oktober 2010 nach Einholung verschiedener Fach- und Ergänzungsgutachten das mit der Berufung angegriffene Strafurteil. Verschiedene Umstände, u.a. eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde des Klägers gegen die Anordnung der Durchsuchung der Rechtsanwaltskanzlei des Strafverteidigers und die Beschlagnahme von Beweismitteln (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6.11.2014), waren ursächlich für die lange Verfahrensdauer. Schließlich wurde das Strafverfahren erst mit seit 25. März 2015 rechtskräftigem Urteil des Landgerichts München I beendet. Da maßgeblich für den Beginn des Reifeprozesses der Zeitpunkt der Einstellung der Verfehlungen ist und erst etwa neun Jahre später das Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen wurde, sind die im Urteil ausgeführten Strafzumessungserwägungen, die sich auf die Umstände nach Tatbegehung beziehen (wie z.B. die außerordentlich lange zurückliegenden Taten sowie die den Kläger übermäßig belastende Zeitdauer des Strafverfahrens; die fast zehn Jahre andauernde faktische Unmöglichkeit für den Kläger, seinen Beruf auszuüben) von besonderer Bedeutung.
57
1.2.7.3 Entscheidende Bedeutung misst der Senat weiter insbesondere folgenden besonderen Umständen des Einzelfalles zu, die den inneren Reifeprozess des Klägers gefördert haben:
58
In dem langen Zeitraum zwischen letzter Tathandlung und Bescheidserlass konnte der Kläger seinen ärztlichen Beruf aufgrund der besonders gelagerten Umstände ab Mitte 2007 nicht bzw. nur in sehr geringem Umfang ausüben. Er musste Ende 2006 für seine Privatarztpraxis Regelinsolvenz anmelden und schließlich im Sommer 2007 die Praxis schließen. Wegen seiner Insolvenz ist für den Kläger eine Niederlassung in eigener Privatpraxis nicht mehr möglich gewesen. Er besaß kein Vermögen und hatte Schulden. Nach seiner Aussage habe er sich erfolglos um Anstellung bemüht. Die Angebote aus dem Ausland habe er nicht annehmen können, da er wegen der schwebenden Ermittlungen keine Unbedenklichkeitsbescheinigung („Certificate of Good Standing“) von der Regierung von Oberbayern erhalten habe. Er habe daher gelegentlich als Gastarzt bei Kollegen hospitiert. Insbesondere seit Erlass des Amtsgerichtsurteils hätten seine Kollegen ihn kaum noch beschäftigen wollen.
59
Obwohl die Approbationen des Klägers in dieser Zeit nicht bestandkräftig widerrufen waren, konnte der Kläger wegen der besonderen Umstände seines Falles seinen Beruf faktisch nicht bzw. nur in geringem Umfang ausüben. Aus den Akten, die dem Senat vorliegen, wird deutlich, dass sich der Kläger während dieser Zeit sehr intensiv mit den exakten Einzelumständen seiner Taten, den zugrundeliegenden strafbaren Tatbeständen und der Rechtsprechung beschäftigt hat. Er hat beispielsweise eine mehrere Ordner füllende Anzahl an ausführlichen Schriftsätzen im Verwaltungsverfahren verfasst und sich durch das Betreiben verschiedener Verfahren insbesondere vor den Strafgerichten über die Jahre hinweg mit dieser Thematik befasst. In dieser fast zehn Jahre andauernden intensiven Auseinandersetzung des Klägers mit seinen eigenen abgeurteilten Taten, die anstatt der Ausübung des Arztberufes einen wesentlichen Teil seiner Lebenszeit in Anspruch nahm, hat der Kläger nach der Überzeugung des Senats einen inneren Reifeprozess durchlaufen und das erforderliche Ansehen und Vertrauen der Patienten in die Integrität der Ärzteschaft zurückerlangt. Neue Vorwürfe berufsrechtlicher oder sonstiger Verfehlungen sind nicht aufgetreten.
60
1.2.7.4 Dem Kläger kann im vorliegenden Einzelfall nicht entgegengehalten werden, dass einem Wohlverhalten, das unter dem Druck eines schwebenden behördlichen Verfahrens an den Tag gelegt wird, regelmäßig kein besonderer Wert beigemessen werden kann (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 7.2.2014 – 8 LA 84/13 – juris Rn. 39; OVG Saarland, U.v. 29.11.2005 – 1 R 12/05 – juris Rn. 166; BayVGH, B.v. 15.6.1993 – 21 B 92.226 – juris Rn. 34). In diesem Sinn hat das Verwaltungsgericht (vgl. UA S. 17f.) ausgeführt, dass der Kläger während des Reifeprozesses ausgehend von der letzten Tathandlung vollständig unter dem Druck der gegen ihn geführten straf- und approbationsrechtlichen Verfahren gestanden habe. Der Reifung in diesem Zeitraum komme daher geringeres Gewicht zu (BayVGH, B.v.28.6.2017 – 21 B 16.2065 – juris Rn. 25).
61
Aufgrund der besonderen Umstände des Falles besteht für den Senat Anlass von diesem Grundsatz im vorliegenden Fall ausnahmsweise abzuweichen. Der Senat folgt nicht der Auffassung, dass der Kläger während des gesamten Zeitraums unter dem Druck des gegen ihn geführten straf- und approbationsrechtlichen Verfahrens gestanden und demgemäß aus diesem Grunde ein mutmaßlich nur vermeintliches oder nur taktisch vorgetäuschtes Wohlverhalten an den Tag gelegt hat. Dieses Argument überzeugt schon deshalb nicht – jedenfalls in der Fallkonstellation des Klägers, dessen Reifeprozess sich hauptsächlich außerhalb des ärztlichen Berufes vollzogen hat –, da es sich in gleicher Weise auch im Hinblick auf ein Wohlverhalten nach bestandskräftigem Entzug der Approbation unter Hinweis auf eine erstrebte Wiedererteilung der Approbation anwenden ließe (vgl. SächsOVG, U.v. 13.3.2012 – 4 A 18/11 – juris Rn. 38). Der Kläger konnte, obwohl der Widerruf seiner Approbationen nicht bestandkräftig wurde, seinen Beruf faktisch nicht oder nur in geringem Umfang ausüben. Bereits der Widerruf seiner Approbationen insbesondere im Zusammenhang mit seiner Insolvenz hat für ihn zu einer starken Einschränkung seiner ärztlichen Berufstätigkeit geführt. Es erschließt sich dem Senat nicht, warum der Reifung des Klägers, die sich im wesentlichen außerhalb des ärztlichen Berufes vollzogen hat, in diesem Zeitraum, in dem er faktisch seinen Beruf kaum ausüben konnte, ein geringeres Gewicht zukommen sollte.
62
1.2.7.5 Soweit in der Rechtsprechung darauf hingewiesen wird, dass aus einem bloßen Zeitablauf nicht auf eine Wiedererlangung der Würdigkeit geschlossen werden könne (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 8. September 2017 – 1 BvR 1657/17 – juris Rn. 15; OVG Lüneburg, B.v. 29.7.2015 – 8 ME 33/15 – juris Rn. 25; SächsOVG, U.v. 13.3.2012 – 4 A 18/11 – juris Rn. 31), darf dies nicht dahingehend verstanden werden, dass eine Würdigkeit nicht auch durch einen – lediglich – hinreichend langen Zeitraum verfehlungs- und beanstandungsfreien Verhaltens des Betreffenden, d. h. ohne Zutreten weiterer für den Abschluss des notwendigen inneren Reifeprozesses sprechender Umstände, wiedererlangt werden kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 8. September 2017 – 1 BvR 1657/17 – juris Rn. 15). Im Übrigen hat auch das Bundesverwaltungsgericht nicht in Frage gestellt, dass ein fortwährender beanstandungsfreier Lebens- und Berufswandel nach einem gewissen Zeitablauf eine Wiedererteilung der Approbation rechtfertigen kann (BVerwG, B.v. 15.11.2012 – 3 B 36/12 – juris Rn. 10). Das mit dem Widerruf der Approbation einhergehende Berufsausübungsverbot greift regelmäßig tief in das Recht der freien Berufswahl und zugleich in die private und familiäre Existenz ein; es kann Lebenspläne des Betroffenen zunichtemachen, da dieser von dem Beruf ausgeschlossen wird, für den er sich ausgebildet und den er für sich und seine Angehörigen zur Grundlage der Lebensführung gemacht hat. Solche Einschränkungen sind verfassungsrechtlich nur statthaft, wenn und solange sie zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter notwendig sind; insbesondere darf gerade in diesen Zusammenhängen die Fähigkeit des Menschen zur Änderung und zur Resozialisierung nicht gänzlich außer Acht gelassen werden (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.2002 – 3 C 37.01- juris Rn. 18 m.w.N.). Der Widerruf der Approbation darf dementsprechend auch nicht faktisch zu einem lebenslangen Berufsverbot führen (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.2002 – 3 C 37.01- juris Rn. 49).
63
1.2.7.6 Der Einwand des Beklagten, dass der Kläger bisher keine Einsicht in das verwirklichte Unrecht gezeigt hat, greift nicht. Der Kläger hat sich, wie sein umfangreiches schriftsätzliches Vorbringen im Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren zeigt, sehr intensiv mit seinen Straftaten, den genauen Tatumständen sowie der Rechtsprechung einschließlich der prozessualen Möglichkeiten, auseinandergesetzt und eine Reihe von Rechtsmitteln ergriffen. Es kann nicht zu seinen Lasten gehen, dass der Kläger die möglichen Rechtsmittel ausgeschöpft hat. Die Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte im jeweiligen Prozess sowie ein Ausschöpfen aller Rechtsmittel kann nicht grundsätzlich dazu führen, dem Kläger die Unrechtseinsicht abzusprechen. Der Senat kann nicht erkennen, dass der Kläger in den verschiedenen gerichtlichen Verfahren ein Verhalten gezeigt hat, das über die legitime Wahrnehmung und Ausschöpfung seiner Rechte hinausgeht und das dem Fortschreiten seines inneren Reifeprozesses entgegenstehen könnte. Insbesondere liegt ein solches Verhalten nicht darin begründet, dass der Kläger im Rahmen des Approbationswiderrufsverfahrens den Aussagen seiner Hauptbelastungszeugin E vor dem Strafgericht zur Thematik „Missbrauch des Arzt-Patientenverhältnisses“ seine Sichtweise der tatsächlichen Vorgänge sehr detailliert gegenübergestellt hat. Der Senat hat vielmehr aus den Verfahrensakten insgesamt die Auffassung gewonnen, dass der Kläger durchaus eine Unrechtseinsicht im Hinblick auf Abrechnungsbetrugshandlungen und deren berufsrechtliche Konsequenzen erlangt hat.
64
Unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalles und der Gesamtpersönlichkeit des Klägers ist nach Auffassung des Senats ein durchlaufener Reifeprozess von fast zehn Jahren ein hinreichend langer Zeitraum, in dem sich der faktisch von der Ausübung des ärztlichen Berufs weitgehend ausgeschlossene Kläger intensiv mit seinen abgeurteilten Taten auseinandergesetzt und darüber hinaus ein verfehlungs- und beanstandungsfreien Verhalten an den Tag gelegt hat, um das verlorengegangene Vertrauen der Öffentlichkeit in die ärztliche Integrität wiederherzustellen.
65
2. Unabhängig davon wäre – auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt, die der Senat zugrunde legt, selbst für den (wegen der Ausführungen unter 1. hier hypothetischen) Fall, dass im Zeitpunkt des Bescheidserlasses – dem Verwaltungsgericht folgend – die Würdigkeit des Klägers noch nicht vollständig hergestellt gewesen wäre, wegen der ganz besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles dem Kläger die Verweisung auf das Wiedererteilungsverfahren im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG ausnahmsweise nicht zumutbar.
66
Obwohl die Wiedererlangung der Würdigkeit durch den Kläger – nach Einschätzung des Senats, des Verwaltungsgerichts und auch der von Beklagtenseite in den Jahren 2018 und 2020 vertretenen Auffassung – seit Jahren vorliegt, haben die Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung am 2. Juli 2024 eindeutig erkennen lassen, dass die Prüfung der Wiedererteilung der Approbation noch einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen werde („nicht abzuschätzen, ev. Monate“, vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 2. Juli 2024, S.4) und der Ausgang des Wiedererteilungsverfahrens im Hinblick auf das Wiedererlangen der Würdigkeit offen sei. Trotz der langen Verfahrensdauer und der 18 Jahre zurückliegenden Taten sowie dem Umstand, dass keine weiteren negativen Vorfälle hinsichtlich des Klägers bekannt geworden sind, konnten und wollten die Beklagtenvertreter zu einer Prüfung der Wiedererlangung der Würdigkeit durch den Kläger keine Aussagen treffen. Weiter vermittelten die Beklagtenvertreter dem Senat in der Berufungsverhandlung den Eindruck, dass das Ergebnis der Prüfung der Wiedererlangung der Würdigkeit trotz des zwischenzeitlich 18 Jahre andauernden Reifeprozesses völlig offen ist, insbesondere hatten die Beklagtenvertreter dahingehend insoweit bisher keine Überlegungen angestellt. Die Beklagtenvertreter äußerten vielmehr, dass erst nach Antragseingang in die Prüfung der Einsichtsfähigkeit des Klägers eingetreten werde.
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Zwischen der letzten Tathandlung Anfang März 2006 und der Entscheidung im Berufungsverfahren sind über 18 Jahre vergangen. Das Verwaltungsgericht ging in seinem Urteil vom 18. September 2018 davon aus, dass ausgehend vom Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung vom 19. Januar 2016 „eine Reifedauer von allenfalls fünf Jahren“ anzurechnen sei (UA S. 18), so dass der Kläger in weiteren drei Jahren nach Erlass des Urteils seine Würdigkeit erlangen würde. Dieser vom Verwaltungsgericht ins Auge gefasste Zeitraum zur Wiedererlangung der Würdigkeit ist Anfang 2021 abgelaufen. Seither sind erneut über drei Jahre vergangen.
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Die Behördenvertreter des Beklagten hatten bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 24. April 2018 einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, wonach der Kläger nach Rücknahme seiner Klage die Wiedererteilung seiner Approbationen beantragt und ihm zunächst voraussichtlich für die Dauer von zwei Jahren entsprechende vorläufige Erlaubnisse erteilt werden. Voraussetzung hierfür wäre das Vorliegen der weiteren persönlichen Voraussetzungen. Der den Widerrufen zugrundeliegende Sachverhalt werde dem Kläger dann nicht mehr entgegengehalten. Die Behörde hatte dadurch zu erkennen gegeben, dass sie zunächst für die Dauer von zwei Jahren eine Erlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs nach § 8 BÄO (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 BÄO) erteilt hätte und nach Ablauf von zwei Jahren – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – den zurückgestellten Antrag auf Wiedererteilung der Approbationen positiv verbeschieden hätte. Der Beklagte ging somit ersichtlich davon aus, dass grundsätzlich im Jahr 2020 von der Wiederherstellung der Würdigkeit des Klägers im Hinblick auf den den Widerrufen zugrundeliegenden Sachverhalt ausgegangen werden kann. Dieser Vorschlag wurde mit Schriftsatz der LAB vom 18. März 2020 wiederholt. Obwohl zwischenzeitlich sechs Jahre seit Unterbreitung des Vergleichsvorschlags vergangen sind, in denen keine weiteren Straftaten und kein Fehlverhalten des Klägers bekannt geworden sind, ist nicht ersichtlich, dass die Beklagtenvertreter diesen erheblichen Zeitraum in ihre Überlegungen einbezogen haben.
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Zudem besteht seit Mitte Oktober 2020 im Hinblick auf die strafrechtliche Verurteilung des Klägers ein Verwertungsverbot nach den Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG).
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Ausgehend von einer Tilgungsfrist von zehn Jahren (§ 46 Abs. 1 Nr. 2 a BZRG), die mit dem Erlass des Strafurteils des Amtsgericht München am 15. Oktober 2010 begann (§ 47 Abs. 1, § 36 Abs. 1 BZRG), sind die Eintragungen im Bundeszentralregister (BZR) nach dem 15. Oktober 2020 getilgt worden bzw. zu tilgen mit der Folge eines Verwertungsverbotes. Nach § 51 Abs. 1 BZRG dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden ist oder sie zu tilgen ist. Hier ist das Verwertungsverbot auch nicht ausnahmsweise durchbrochen. Nach § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG darf die frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 nur berücksichtigt werden, wenn die betroffene Person (u.a.) die Zulassung zu einem Beruf beantragt, falls die Zulassung zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit führen würde. Im Fall der ärztlichen Approbation liegt eine erhebliche Gefährdung der Allgemeinheit u.a. vor, wenn die Erteilung der Approbation eine besonders schwerwiegende Erschütterung des Vertrauens in die Integrität der Ärzteschaft zur Folge hätte, so dass der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung die Versagung auch unter Berücksichtigung des Gewichts der Berufsfreiheit und des Resozialisierungsinteresses zwingend gebietet. Der Begriff der „Erheblichkeit“ knüpft folglich die Feststellung der Gefährdung im Hinblick auf Art. 12 GG und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, ebenso wie im Hinblick auf den im Rahmen des § 51 BZRG verfolgten Resozialisierungsgedanken an hohe Voraussetzungen. Das ist dahin zu konkretisieren, dass die Durchbrechung des Verwertungsverbots auf Fälle beschränkt ist, in denen das durch das Berufsrecht geschützte Rechtsgut in qualifizierter Weise, was das Ausmaß der Gefährdung und den Stellenwert des Rechtsguts betrifft, berührt ist. Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall (vgl. zum Maßstab: OVG Lüneburg, U.v. 22.5.2024 – 8 LB 101/23 – juris Rn. 52 – 68).
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In einem Fall einer nicht vollzogenen Widerrufsverfügung, in dem der Kläger offensichtlich die Würdigkeit seit einem längeren Zeitraum wiedererlangt hat, die Behördenvertreter aber klar erkennen lassen, dass erst nach Antragstellung eine intensive Prüfung eingeleitet werden soll, die sich über einen längeren Zeitraum mit offenem Ergebnis hinziehen kann, ist dem Kläger die Verweisung auf das Wiedererteilungverfahren im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG ausnahmsweise nicht zumutbar. In diesem besonders gelagerten Einzelfall wird der Kläger unverhältnismäßig – d.h. über die normalerweise durch die Verweisung auf das Wiedererteilungsverfahren hinaus verbundenen zeitlichen Beeinträchtigungen – in seiner Berufsfreiheit eingeschränkt.
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Nach alledem ist die Berufung des Klägers ist erfolgreich. Der angefochtene Widerrufsbescheid ist aufzuheben und das Urteil des Verwaltungsgerichts entsprechend abzuändern.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).