Inhalt

VGH München, Beschluss v. 26.08.2024 – 19 ZB 24.444
Titel:

Kostenentscheidung nach übereinstimmender Erledigungserklärung des Zulassungsverfahrens

Normenkette:
VwGO § 161 Abs. 2
Leitsätze:
1. Dem Risiko einer unrichtigen Sachbehandlung durch das Gericht sind die Beteiligten in gleicher Weise ausgesetzt, weshalb es bei einer solchen Lage nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen billigem Ermessen entspricht, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens können der Staatskasse hingegen nicht auferlegt werden, da eine gesetzliche Grundlage insoweit nicht besteht und § 154 Abs. 4, § 155 Abs. 4, § 162 Abs. 3 VwGO sowie § 21 GKG als kostenrechtliche Ausnahmebestimmungen einer analogen Anwendung mangels planwidriger Regelungslücke nicht zugänglich sind, sodass auch ein entsprechender Rechtsgedanke im Rahmen der Kostenentscheidung gem. § 161 Abs. 2 VwGO nicht herangezogen werden kann. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Übereinstimmende Erledigungserklärungen, Scheinurteil, Kostenaufhebung, außergerichtliche Kosten der Beteiligten können nicht der Staatskasse auferlegt werden, übereinstimmende Erledigungserklärung, Kostentscheidung, unrichtige Sachbehandlung durch das Gericht, außergerichtliche Kosten
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 30.01.2024 – AN 5 K 23.423
Fundstellen:
BayVBl 2025, 33
BeckRS 2024, 23876
LSK 2024, 23876

Tenor

I. Das Zulassungsverfahren wird eingestellt.
II. Die Kosten des Zulassungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Nachdem die Beteiligten das Zulassungsverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Zulassungsverfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Einer Feststellung entsprechend § 173 Satz 1 VwGO, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO, dass das angegriffene Scheinurteil unwirksam ist, bedurfte es nicht mehr, da das Verwaltungsgericht dieses Urteil mit der Klägerseite am 1. August 2024 zugestellten Beschluss vom 31. Juli 2024 für unwirksam erklärt und klarstellend aufgehoben hat.
2
Über die Kosten des Verfahrens war gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. In der Regel entspricht es billigem Ermessen, gemäß dem Grundsatz des § 154 Abs. 1 VwGO dem Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre (BVerwG, B.v. 24.6.2008 – 3 C 5.07 – juris Rn. 2).
3
Wie im gerichtlichen Schreiben vom 19. Juni 2024 bereits ausgeführt, handelt es sich bei der den Beteiligten jeweils am 12. Februar 2024 versehentlich zugestellten Urteilsabschrift um ein Scheinurteil, da es auf einem bloßen Urteilsentwurf basiert. Dessen Anfechtung bleibt gleichwohl zulässig, bis der Rechtsschein durch eine förmliche richterliche Entscheidung beseitigt ist. Diese ist mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 31. Juli 2024 ergangen. Das Rechtsmittel der Klägerin hätte danach – jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt – voraussichtlich Erfolg gehabt. Jedoch erscheint es nicht sachgerecht, einen der Beteiligten mit den gesamten Kosten des Zulassungsverfahrens zu belasten, da die durch das Zulassungsverfahren entstandenen Kosten nicht auf das allein oder überwiegend ursächliche Verhalten eines der Beteiligten, sondern ausschließlich auf die unrichtige Sachbehandlung durch das Verwaltungsgericht zurückzuführen sind. Dem Risiko einer unrichtigen Sachbehandlung sind die Beteiligten in gleicher Weise ausgesetzt (BVerwG, B.v. 20.8.2001 – 3 B 88.01 – juris Rn. 2). Es entspricht bei einer solchen Lage daher billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben.
4
Da die für das Zulassungsverfahren anfallenden Gerichtskosten bei richtiger Behandlung der Sache durch das Verwaltungsgericht (Zustellung des unterschriebenen und in der Gerichtsakte befindlichen Urteils der Kammer vom 30.1.2024) nicht entstanden wären, werden diese nicht erhoben (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG).
5
Die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens können der Staatskasse hingegen nicht auferlegt werden, da eine gesetzliche Grundlage insoweit nicht besteht und §§ 154 Abs. 4, 155 Abs. 4, 162 Abs. 3 VwGO sowie § 21 GKG als kostenrechtliche Ausnahmebestimmungen einer analogen Anwendung mangels planwidriger Regelungslücke nicht zugänglich sind (vgl. BVerwG, B.v. 4.6.1991 – 4 B 189.90 – juris Rn. 2; B.v. 20.8.2001 – 3 B 88.01 – juris Rn. 2; NdsOVG, B.v. 2.8.2024 – 14 ME 118/24 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 30.8.2023 – 10 CE 23.1408 – juris Rn. 11; OVG LSA, B.v. 16.6.2020 – 3 M 89/20 – juris 7; SächsOVG, B.v. 17.2.2020 – 4 E 13/20.A – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 8.12.2015 – 4 C 15.2471 – juris Rn. 10; OVG Berlin-Bbg, B.v. 27.2.2012 – OVG 2 S 78.11 – juris Rn. 7; OVG Bremen, B.v. 25.3.2010 – 2 B 447/09 – juris Rn. 3; OVG RhPf, B.v. 22.11.1994 – 13 E 11732/94 – juris Rn. 4; Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 155 Rn. 113; Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022; § 155 Rn. 14; a.A. BayVGH, B.v. 8.4.2020 – 12 C 16.2612 – juris Rn. 34; OVG Hamburg, B.v. 29.3.2019 – 1 Bf 427/18.AZ – juris Rn. 6 ff.; B.v. 18.3.2015 – 1 Bs 72/15 – juris Rn. 18; Hug in Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 155 Rn. 24 m.w.N.), sodass auch ein entsprechender Rechtsgedanke im Rahmen der Kostenentscheidung gem. § 161 Abs. 2 VwGO nicht herangezogen werden kann.
6
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
7
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).