Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.09.2024 – 15 ZB 24.30734
Titel:

Erfolgloser Zulassungsantrag: Gehörsrüge im Asylprozess

Normenketten:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3, § 78 Abs. 4 S. 4
VwGO § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. Für eine schlüssige Gehörsrüge genügt nicht allein der Vortrag eines Gehörsverstoßes, sondern es ist darüber hinaus substantiiert darzulegen, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und inwiefern dieser weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine fehlerhafte Sachverhalts- oder Beweiswürdigung führt grundsätzlich zu einem materiell-rechtlichen Fehler, der im Asylprozess aber nicht zu einer Berufungszulassung führen kann. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
rechtliches Gehör, Gehörsrüge, Darlegung, Sachverhaltswürdigung, Beweiswürdigung, Asylprozess
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 04.04.2024 – AN 17 K 24.30042
Fundstelle:
BeckRS 2024, 23874

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe – „Verfahrensmängel im Sinne des § 138 VwGO“ bzw. grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) – nicht in der gebotenen Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) dargelegt sind.
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1. Verfahrensmängel, die eine Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich. Die Klägerin macht in diesem Zusammenhang zwar geltend, das Gericht habe „ggf. bestehende Unklarheiten“ bezüglich ihrer Vorverfolgung „nicht um vollumfänglich ausgeräumt“ und damit das Recht auf rechtliches Gehör im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Insbesondere habe es ihre (ihrer Ansicht nach vollständigen) Angaben ohne weitere Nachfrage oder Ermittlungen als widersprüchlich gewertet. Mit diesen Ausführungen zeigt sie aber keinen Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs auf. Es fehlt schon an einer hinreichenden Darlegung (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Für eine schlüssige Gehörsrüge genügt nicht allein der Vortrag eines Gehörsverstoßes, sondern es ist darüber hinaus substantiiert darzulegen, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und inwiefern dieser weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 2.4.1985 – 3 B 75.82 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 165 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht.
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Ungeachtet dessen ist eine Gehörsverletzung auch nicht ersichtlich. Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (vgl. BayVGH, B.v. 14.3.2018 – 13a ZB 18.30454 – juris Rn. 5). Die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO berührt den Regelungsgehalt des Art. 103 Abs. 1 GG nicht; denn der Grundsatz des rechtlichen Gehörs stellt nur sicher, dass das Gericht die Ausführungen der Beteiligten würdigt. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich weder eine Pflicht zur allgemeinen Aufklärung im Sinn von § 86 Abs. 1 VwGO (vgl. BVerwG, B.v. 1.3.2002 – 1 B 352.01 – juris Rn. 7) noch folgt aus Art. 103 Abs. 1 GG eine allgemeine Fragepflicht des Gerichts (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1999 – 9 B 981.98 – Buchholz 11 Art. 103 Abs. 1 GG Nr. 54 m.w.N.). Art. 103 Abs. 1 GG gibt den am Prozess Beteiligten keinen Anspruch darauf, dass das Gericht Tatsachen erst beschafft oder von sich aus Beweis erhebt (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 12 unter Bezugnahme auf BVerfG, B.v. 2.12.1969 – 2 BvR 320/69 – BVerfGE 27, 248/251; BayVerfGH, E.v. 13.3.1981 – Vf. 93-VI-78 – VerfGH n.F. 34, 47). Jenseits des Gebots des rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG gilt zudem, dass es sich bei einem Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO für sich genommen nicht um einen absoluten Revisionsgrund nach § 138 VwGO handelt, der von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG erfasst wäre (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 9).
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In der Sache rügt die Klägerin mit ihren Ausführungen eine ihrer Ansicht nach fehlerhafte Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Wird aber die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt, scheidet schon deshalb eine Gehörsverletzung im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG aus, weil die Grundsätze der Beweiswürdigung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Regel nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen sind (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 21.1.2019 – 6 B 120.18 – juris Rn. 13 m.w.N.). Aus diesem Grund führt eine fehlerhafte Sachverhalts- oder Beweiswürdigung grundsätzlich zu einem materiell-rechtlichen Fehler, der im Asylprozess nicht zu einer Berufungszulassung führen kann, weil § 78 Abs. 3 AsylG einen dem § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entsprechenden Zulassungsgrund der „ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils“ nicht vorsieht.
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2. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist ebenfalls nicht dargelegt.
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Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Seeger in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.8.2017, § 78 AsylG Rn. 18 ff; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 78 AsylG Rn. 11 ff.). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 17.30787 – Rn. 2; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand September 2018, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit in GK-AsylG, Stand März 2019, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Hier formuliert die Klägerin bereits keine entsprechende, grundsätzlich klärungsbedürftige Frage.
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Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.