Titel:
Wohnungsförderungsrechtlicher Haushaltsbegriff
Normenketten:
BayWoFG Art. 2 Abs. 1, Art. 4
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz:
Auch Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften wie etwa ambulant betreute Wohngemeinschaften iSv Art. 2 Abs. 4 BayPfleWoqG ("Senioren-WG") oder sonstige "sozio-ökonomische Lebensgemeinschaften" bilden Haushalte im wohnungsförderungsrechtlichen Sinn. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Registrierung für öffentlich geförderten Wohnraum, München Modell Miete, Sonstige auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft, Haushalt, Schwerbehinderung, Lebensgemeinschaft, Ehe, Partnerschaft, Zweckgemeinschaft, München Modell-Miete, Wohnberechtigung, Verantwortungsgemeinschaft
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 19.01.2023 – M 12 K 22.428
Fundstelle:
BeckRS 2024, 23873
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 19. Januar 2023 (Az.: M 12 K 22.428) wird wegen ernstlicher Zweifel an dessen Richtigkeit zugelassen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
1
Mit ihrem Zulassungsbegehren verfolgt die Klägerin ihre Registrierung für öffentlich geförderten Wohnraum im Rahmen des Programms „M. Modell Miete“ unter Zugrundelegung einer sonstigen, auf Dauer angelegten Partnerschaft im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 des Bayerischen Wohnraumförderungsgesetzes (BayWoFG) weiter.
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1. Die Klägerin ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 und seit einem Unfall 1975 querschnittsgelähmt. Sie ist im Alltag auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Am 29. Dezember 2021 beantragte sie über das Online-Portal „...“ der Beklagten die Registrierung für eine Wohnung nach dem Programm „M. Modell Miete“. Sie gab dabei zu ihren persönlichen Verhältnissen an, eine Wohnung zusammen mit Frau P. M. als Haushaltsangehöriger beziehen zu wollen. Zwischen ihr und Frau M. bestehe keine Lebenspartnerschaft; sie seien vielmehr seit fast 30 Jahren eng miteinander befreundet. Als Schwerbehinderte erfahre sie durch Frau M. viel freundschaftliche Unterstützung und Rückhalt. Da sich durch die lange Schwerbehinderung der Gesundheitszustand leider verschlechtert habe, werde sie absehbar nicht mehr alleine in ihrer bisherigen Wohnung leben können. Durch das Zusammenleben mit Frau M. in einer gemeinsamen Wohnung würde die Klägerin hingegen die notwendige Unterstützung erhalten. Deshalb beanspruche sie eine Registrierung als sonstige, auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft. Die aktuell bewohnte Wohnung erweise sich für gemeinschaftliches Wohnen als ungeeignet.
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Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Dezember 2021 ab. Zwischen der Klägerin und Frau M. bestehe keine dauerhafte Lebensgemeinschaft. Eine solche verlange innere Bindungen, die ein gegenseitiges Einstehen füreinander begründen und daneben eine weitere Lebensgemeinschaft nicht zuließen. Die Beziehungen müssten über eine bloße Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft deutlich erkennbar hinausgehen und dürften nicht nur vorübergehend angelegt sein. Als Indizien hierfür dienten insbesondere eine lange Dauer des Zusammenlebens (mindestens drei Jahre) sowie die Versorgung gemeinsamer Kinder.
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Mit Urteil vom 19. Januar 2023 wies das Verwaltungsgericht München die gegen den Versagungsbescheid erhobene Klage als unbegründet ab. Der Klägerin komme kein Anspruch darauf zu, als gemeinsamer Haushalt mit Frau M. für Wohnungen nach dem „M. Modell Miete“ zugelassen zu werden. Denn bei der geplanten Wohngemeinschaft handle es sich nicht um einen Haushalt im Sinne von Art. 4 BayWoFG bzw. der Dienstanweisung „Haushaltszugehörigkeit“ der Beklagten vom 1. April 2022. Nach den maßgeblichen Vorschriften rechneten neben dem Antragsteller der Ehegatte, der Lebenspartner und der Partner einer sonstigen auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 BayWoFG sowie in gewissem Umfang auch deren Verwandte zu einem Haushalt im Sinne der gesetzlichen Wohnraumförderung. Diese Voraussetzungen lägen im Fall der Klägerin nicht vor, da zwischen ihr und ihrer Freundin weder eine verwandtschaftliche noch eine lebenspartnerschaftliche Lebensgemeinschaft bestehe bzw. angestrebt werde. Bei der stattdessen gegebenen „freundschaftlichen Beziehung“ handle es sich nicht um eine „sonstige auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft“ im Sinne der Wohnraumförderung. Aus der Gesetzessystematik, die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften Gemeinschaften von Ehegatten und Lebenspartnern gleichstelle, folge, dass an die Intensität der Beziehung bei einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft hohe Anforderungen zu stellen seien. Diese setzte daher eine innere Bindung zwischen den Beteiligten voraus, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander beinhalte und eine weitere Lebensgemeinschaft daneben nicht zulasse. Die Situation des Zusammenlebens müsse deutlich erkennbar über eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Nach den Verwaltungsvorschriften des bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 12. September 2007 zum Vollzug des Wohnungsbindungsrechts (VVWoBindR) erwiesen sich insbesondere eine lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt sowie die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des Partners zu verfügen als geeignete Indizien hierfür. Es bedürfe folglich einer über eine bloße Freundschaft hinausgehende Beziehung und innere Bindung zwischen den Partnern, wobei es jedoch für die Beurteilung maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalles ankomme. Es erweise sich ferner auch als sachgerecht, an das Vorliegen einer „auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft“ erhöhte Anforderungen zu stellen, weil Wohnraum im sozialen Wohnungsbau sehr knapp sei und daher eine tatsächlich zweckentsprechende Verwendung des mit Steuermitteln geförderten Wohnraums sichergestellt werden müsse.
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Im vorliegenden Einzelfall gelte es zu berücksichtigen, dass trotz der langjährigen Freundschaft zwischen der Klägerin und Frau M. diese bislang im Alltag nicht zusammengelebt hätten. Das unzweifelhaft bestehende freundschaftliche Verhältnis stehe dabei der inneren Verbundenheit zwischen Partnern einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft nicht gleich. Ebenso wenig liege zwischen der Klägerin und Frau M. eine verwandtschaftliche Beziehung vor. Bei „wertender Betrachtung“ führe auch der Umstand, dass Frau M. die Klägerin in der Vergangenheit im Alltag unterstützt habe, nicht dazu, von einer Lebensgemeinschaft auszugehen, die den aufgezeigten Anforderungen gleichstehe. Nachdem bereits eine entsprechende Beziehung nicht bestehe, erweise es sich als unbeachtlich, dass nach Art. 4 Abs. 2 BayWoFG auch die künftige Aufnahme in einen Haushalt berücksichtigt werden könne.
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Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus der von der Klägerin vorgetragenen Intention der Förderung schwerbehinderter Menschen. Wohnraumförderung solle es dieser Personengruppe ermöglichen, möglichst lang in ihrer häuslichen Umgebung verbleiben zu können. Dies ändere jedoch nichts an den Anforderungen für das Bestehen eine Lebensgemeinschaft. Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin auf deren gesundheitliche Situation und den draus resultierenden Pflegebedarf hinweise, der die Anwesenheit einer Pflegekraft auch über Nacht erfordere, werfe er die Frage nach zusätzlichem Raumbedarf für eine Pflegekraft auf. Einen diesbezüglichen Antrag habe die Klägerin allerdings bislang nicht gestellt. Weiter bestehe zwischen der geschilderten Situation und dem Vorliegen einer Lebensgemeinschaft im Sinne des Wohnraumförderungsrechts kein Zusammenhang.
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2. Gegen dieses Urteil wendet sich nunmehr die Klägerin, die für die Zulassung der Berufung ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend macht. Sie verweist hierzu auf die Intention des Wohnraumförderungsgesetzes, wonach die Zuerkennung eines räumlichen Mehrbedarfs nicht einem „fremden Dritten“ zugutekommen dürfe. Ziel des Wohnraumförderungsgesetzes sei es u.a., Menschen mit Behinderung zu unterstützen. Der Klägerin einen zusätzlichen Wohnraum nicht zuzuerkennen, weil die Person, die mit ihr zusammenzieht, nicht ihre Lebenspartnerin im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes ist, die gleichzeitig jedoch bereit ist, die gleichen Tätigkeiten zu erbringen, wie eine externe dritte Pflegekraft, für die zusätzlicher Wohnraum zur Verfügung stünde, sei nicht haltbar. Dieser Aspekt sei auch bei der Frage zu berücksichtigen, ob eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft bestehe.
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Demgegenüber verteidigt die Beklagte das streitgegenständliche Urteil. Nach ihrer Auffassung bestehe zwischen der Klägerin und ihrer vermeintlichen Pflegekraft keine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 BayWoFG.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
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3. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat Erfolg, weil hinsichtlich der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils ernstliche Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen.
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Die vorliegend im Streit stehende Registrierung für das von der Beklagten initiierte „M. Modell Miete“ (vgl. hierzu allgemein Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Stadtsanierung und Wohnungsbau, PLAN HA III, München Modell-Miete – Programmjahr 2024) findet seine Rechtsgrundlage auf Mieterseite im Bayerischen Wohnraumförderungsgesetz.
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Nach Art. 2 Abs. 1 BayWoFG ist Ziel der Mietwohnraumförderung die Unterstützung von Haushalten, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können. Wohnraumförderung soll dabei nach Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BayWoFG insbesondere Familien, Menschen mit Behinderung, ältere Menschen und Studierende unterstützen. Wann im Zuge der Wohnraumförderung ein Haushalt vorliegt, definiert im Folgenden Art. 4 Abs. 1 BayWoFG. Dabei rechnen nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 BayWoFG zu einem Haushalt „der Antragsteller, der Ehegatte, der Lebenspartner und der Partner einer sonstigen auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft (…), die miteinander eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft führen“. Bereits angesichts des bloßen Normtextes erscheint es demnach fraglich, dass die Beklagte bzw. das Verwaltungsgericht für die Registrierung eines Haushalts mit zwei Personen verlangt, dass deren Beziehung über eine „bloße Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ hinausgeht.
13
Dass die Beklagte und zugleich auch die Verwaltungsvorschriften zum Vollzug des Wohnungsbindungsrechts (VVWoBindR, Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 12. September 2007, AllMBl S. 514, Ziffer 5.5) insoweit von einem zu engen Haushaltsbegriff ausgehen, ergibt sich insbesondere aus der Gesetzesbegründung zu Art. 4 BayWoFG (LT-Drucks. 15/6918, S. 11). Danach bildet der Haushaltsbegriff den maßgeblichen Anknüpfungspunkt für die Wohnberechtigung und die Einhaltung der jeweiligen Einkommensgrenze. „Einen Haushalt bildet der Antragsteller allein oder zusammen mit einer oder mehreren der in Abs. 1 und 2 genannten weiteren Personen. Ein Mehrpersonenhaushalt setzt voraus, dass diese Personen den Wohnraum gemeinsam bewohnen und sich ganz oder teilweise gemeinsam mit dem täglichen Lebensbedarf versorgen. Das Vorliegen einer sonstigen auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft nach Nr. 1 setzt bereits begrifflich voraus, dass ein dauerhafter gemeinschaftlicher Zusammenschluss der Partner zum Zeitpunkt der Antragstellung nach außen erkennbar besteht; ausgeschlossen werden sollen Fälle, in denen eine solche Partnerschaft nur zum Zwecke des Bezugs einer geförderten Wohnung begründet wird.“ Nach der gesetzgeberischen Intention erfordert die Annahme einer sonstigen auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft damit keine einer Ehe bzw. einer Lebenspartnerschaft gleichkommenden „inneren Bindung“, wie sie die Beklagte ausdrücklich fordert. Vielmehr bedarf es allein eines nach außen erkennbaren, dauerhaften gemeinschaftlichen Zusammenschlusses der Partner, der über eine bloße Zweckgemeinschaft zur Erlangung geförderten Wohnraums hinausgeht. Damit bilden auch Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften wie etwa ambulant betreute Wohngemeinschaften im Sinne von Art. 2 Abs. 4 BayPfleWoqG („Senioren-WG“) oder sonstige „sozio-ökonomische Lebensgemeinschaften“ (zu deren unterhaltsrechtlicher Relevanz vgl. etwa Maurer in M.er Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 1579 BGB Rn. 27 ff.) Haushalte im wohnungsförderungsrechtlichen Sinn. Hinzuweisen ist in diesem Kontext des Weiteren zugleich auf die Bestrebungen des Bundesgesetzgebers, einen gesetzlichen Rahmen für sog. „Verantwortungsgemeinschaften“ zwischen zwei Personen zu schaffen (vgl. hierzu „Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz für die Verantwortungsgemeinschaft“ vom 2. Februar 2024, abrufbar unter www.bmj.de; hierzu auch Röthel/v. Kügelgen/Reibetanz, Bedeutung der Verantwortungsgemeinschaft, NJW 2024, 1925 ff.).
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Dass im vorliegenden Fall das von der Klägerin und Frau M. geplante Zusammenleben, das nach Art. 4 Abs. 2 BayWoFG für die Förderfähigkeit ausreicht, die Kriterien des Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 BayWoFG erfüllt, ist unter Heranziehung der Gesetzesmaterialien sowie der in Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BayWoFG ausdrücklich genannten Zielgruppe, nämlich u.a. Menschen mit Behinderung und Senioren, zu bejahen. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der auf die Pflege und Betreuung der Klägerin ausgerichteten Lebensgemeinschaft angesichts einer langjährigen Freundschaft und Unterstützung der Klägerin durch Frau M. um eine bloße Zweckgemeinschaft zur Erlangung geförderten Wohnraums handelt, bestehen nicht. Demzufolge unterliegt das einen verengten Haushaltsbegriff zugrundeliegende Urteil des Verwaltungsgerichts ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit, was nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Zulassung der Berufung rechtfertigt.
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Angesichts des vorstehend Ausgeführten wird daher angeregt, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen für das „M. Modell Miete“, insb. bei Einhaltung der Einkommensgrenzen, dem Klagebegehren abzuhelfen und einen entsprechenden Registrierungsbescheid zu erlassen.
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Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen 12 B 24.1520 fortgeführt. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.