Titel:
AufenthG, Rechtswegverweisung, Antrag auf Anordnung der Wohnungsdurchsuchung einer Ausländerin zwecks Auffindens von Unterlagen
Normenketten:
GVG § 173 S. 1
GVG § 17a Abs. 2 S. 1
VwGO § 40 Abs. 1
AufenthG § 48 Abs. 3 S. 3
AufenthG § 58 Abs. 9a
AGAufenthG. Art. 4
Schlagworte:
AufenthG, Rechtswegverweisung, Antrag auf Anordnung der Wohnungsdurchsuchung einer Ausländerin zwecks Auffindens von Unterlagen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 23765
Tenor
I. Der beschrittene Rechtsweg zum Verwaltungsgericht ist unzulässig.
II. Der Rechtsstreit wird an das zuständige Amtsgericht München verwiesen.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt den Erlass eines Beschlusses zur Durchsuchung des Zimmers der Antragsgegnerin in einer Asylbewerberunterkunft zwecks der Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat.
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Mit Schriftsatz vom 27. August 2024 beantragte der Antragsteller,
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zum Zwecke der Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat die Durchsuchung des Zimmers der ukrainischen Staatsangehörigen …, …, … … … … … in der Asylbewerberunterkunft des Landkreises in … … … … … anzuordnen. Verschlossene Haustüren, Zimmertüren und Behältnisse dürfen geöffnet werden.
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Hilfsweise wird der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO beantragt.
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Er begründete den Antrag im Wesentlichen damit, dass ausweislich der Mitteilung der ukrainischen Behörden aktenkundig sei, dass die Antragsgegnerin das Hoheitsgebiet der Ukraine bereits vor mehr als fünf Jahren und somit nicht erst am 24. Februar 2022 oder danach verlassen habe. Ihr Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei daher mangels Erfüllung der Voraussetzung von Art. 2 Abs. 1 des Durchführungsbeschlusses des Rates (EU) vom 4. März 2022 abzulehnen und ein Rückführungsverfahren durchzuführen. Mit Blick auf die aktuelle Lage in der Ukraine und die Verpflichtung aus Art. 5 der RückführungsRL prüfe man vor Erlass einer Rückkehrentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 2, Abs. 3 RückführungsRL, ob ein anderer Staat zur Rückübernahme der Antragsgegnerin verpflichtet sei. Es bestehe ein begründeter Verdacht, dass die Antragsgegnerin über ein Reisedokument verfügen müsse bzw. im Besitz eines Aufenthaltstitels für einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Schengener Abkommens sei. Ein Reisepass mit ausländerrechtlichen Vermerken eines anderen Mitgliedstaats oder ein Aufenthaltstitel könne als Grundlage für eine Überstellung der Antragsgegnerin dienen. Da die Antragsgegnerin nur eine unrechtmäßig erworbene Geburtsurkunde vorgelegt habe, könne der Antragsteller ihre Reisebewegungen nicht nachvollziehen und daher die Befugnis nach Art. 6 Abs. 2, Abs. 3 RückführungsRL nicht ausüben. Wegen der langandauernden Verletzung der Mitwirkungspflicht sei davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin nicht bereit sei, die relevanten Urkunden auszuhändigen. Dies reiche zwar nicht als Indiz dafür aus, dass sich in ihrer Wohnung Passpapiere oder relevante Unterlagen befänden. Es lägen indes tatsächlich Anhaltspunkte dafür vor, die dafür sprächen, dass die Antragsgegnerin die Ukraine bereits vor dem Kriegsausbruch verlassen und die „Außengrenzen“ rechtmäßig überschritten habe und daher im Besitz eines Reisedokuments oder eines Aufenthaltstitels sein müsse. Die Antragsgegnerin habe durch Vorlage der Geburtsurkunde einer nichtexistierenden Person über ihre Identität getäuscht. Der Antrag werde somit nicht nur mit dem pauschalen Verweis auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht begründet, sondern beziehe sich auf die Umstände des vorliegenden Falles. Die Durchsuchung sei verhältnismäßig. Die Antragsgegnerin sei neben ausländerrechtlichen Verstößen auch strafrechtlich in Erscheinung getreten. Ausweislich eines Schreiben der Staatsanwaltschaft München I vom 30. Januar 2023 sei ein gegen die Antragsgegnerin geführtes Verfahren wegen Diebstahls gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden. Durch die Unterbringung der Antragsgegnerin in einer Kreisunterkunft entstünden dem Landkreis München Kosten. Wie bereits ausgeführt, seien bereits mehrere Schritte, inklusive Interpol-Beteiligung, unternommen worden, um einen zur Rückübernahme verpflichteten Staat zu bestimmen.
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Mit Schreiben vom 2. September 2024 teilte der Antragsteller auf das Anhörungsschreiben des Gerichts vom 30. August 2024 mit, dass gegen die beabsichtigte Verweisung an das Amtsgericht München keine Einwände bestehen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakte und die vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen.
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Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist nicht eröffnet (1.). Der Rechtsstreit wird an das zuständige Amtsgericht München verwiesen (2.).
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1. Der Verwaltungsrechtsweg ist nicht eröffnet, weil die Streitigkeit durch eine abdrängende bundesgesetzliche Sonderzuweisung einem anderen Gericht zugewiesen ist, § 40 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO i.V.m. §§ 48 Abs. 3 Satz 3 Hs. 2, 58 Abs. 9a Satz 1 AufenthG. Art. 4 des Gesetzes zur Ausführung des Aufenthaltsgesetzes und ausländerrechtlicher Bestimmungen in anderen Gesetzen (Ausführungsgesetz-Aufenthaltsgesetz – AGAufenthG) erfasst die vorliegend begehrte richterliche Anordnung der Wohnungsdurchsuchung eines Ausländers, der keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzt, zum Auffinden von Unterlagen oder Datenträgern, die für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit eines Ausländers in einen anderen Staat von Bedeutung sein können und in deren Besitz der Ausländer ist, nicht.
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1.1. Rechtsgrundlage für die begehrte Durchsuchungsanordnung der Wohnung ist § 48 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Eine solche Durchsuchung bedarf gemäß § 48 Abs. 3 Satz 3 AufenthG i.V.m. Art. 13 Abs. 2 GG der richterlichen Anordnung. Für sie ist gemäß § 48 Abs. 3 Satz 3 Hs. 2 i.V.m. § 58 Abs. 9a Satz 1 AufenthG entsprechend die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig.
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1.2. Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit ergibt sich nicht aus Art. 4 AGAufenthG.
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Gemäß Art. 4 AGAufenthG ist abweichend von § 58 Abs. 9a Satz 1 AufenthG für Anordnungen nach § 58 Abs. 8 AufenthG die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig. Richterliche Anordnungen nach § 58 Abs. 8 AufenthG sind für Durchsuchungen nach § 58 Abs. 6 AufenthG erforderlich. Dies sind Durchsuchungen, deren Zweck die Ergreifung eines abzuschiebenden Ausländers zur Durchführung der Abschiebung ist.
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Die vorliegend begehrte Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung zum Auffinden von Unterlagen gemäß § 48 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist nicht vom Wortlaut des Art. 4 AGAufenthG gedeckt. Sie ist nicht auf die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung nach § 58 Abs. 8 AufenthG gerichtet, die es gemäß § 58 Abs. 6 AufenthG erfordert, eine Wohnungsdurchsuchung zum Zweck der Ergreifung eines Ausländers zum Zweck der Durchführung der Abschiebung vorzunehmen. Eine Anordnung nach § 48 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist demgegenüber – anders als die Anordnung nach § 58 Abs. 8 AufenthG – nicht auf die Ergreifung eines abzuschiebenden Ausländers, sondern – quasi im „Vorfeld“ – auf das Auffinden von sonstigen Unterlagen und Datenträgern, die für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit eines Ausländers, der keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzt, in einen anderen Staat von Bedeutung sein können, gerichtet.
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Einer weiten Auslegung des Art. 4 AGAufenthG steht – auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass § 48 Abs. 3 Satz 3 Hs. 2 AufenthG auf die entsprechende Anwendung von § 58 Abs. 9a AufenthG verweist, der Bundesgesetzgeber mithin die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit für die Anordnung sowohl von Wohnungsdurchsuchungen zum Auffinden von Unterlagen als auch zur Ergreifung eines Ausländers zum Zweck der Abschiebung gleichlaufend geregelt hat und es denkbar wäre, dass der Freistaat in Kenntnis der bundesgesetzlichen Regelung von der Länderöffnungsklausel ebenfalls für beide Zwecke Gebrauch machen wollte – indes die Begründung des Änderungsantrags vom 13. Juni 2024 (Drs. 19, 2444), der wie vorgeschlagen mit § 6 des Gesetzes zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2024 (GVBl. S. 247) umgesetzt wurde, entgegen. Die Gesetzesänderung wurde ausschließlich in Bezug auf richterliche Anordnungen einer Wohnungsdurchsuchung zum Zweck der Ergreifung von abzuschiebenden Ausländern begründet. Die Verwaltungsgerichte seien für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung sowie für etwaige Eilanträge am Abschiebungstag zuständig. Die vorliegend im Streit stehende richterliche Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung gemäß § 48 Abs. 3 Satz 2 AufenthG soll hingegen zeitlich im Vorfeld einer Abschiebung erfolgen und es erst ermöglichen, einen vom Herkunftsstaat abweichenden Zielstaat für die erst noch zu erlassende Abschiebungsandrohung zu ermitteln. Die Begründung der Gesetzesänderung passt somit nicht für Anordnungen nach § 48 Abs. 3 AufenthG. Der Landesgesetzgeber hat in Kenntnis der bundesgesetzlichen Änderungen des AufenthG keine Ausführungen zu Anordnungen nach § 48 Abs. 3 AufenthG gemacht. Dies wäre jedoch bei der gegebenen Begründung des Änderungsantrags zu erwarten gewesen, wenn der Landesgesetzgeber auch diese Fälle hätte erfassen wollen. Dies spricht gegen eine weite Auslegung des Art. 4 AGAufenthG.
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Auch Sinn und Zweck von Art. 4 AGAufenthG gebieten es nicht, die Vorschrift weit auszulegen. Wohnungsdurchsuchungen auf der Grundlage von § 48 Abs. 3 AufenthG unterscheiden sich von ihrem Ziel und ihrem zeitlichen Zusammenhang von solchen nach § 58 Abs. 6, Abs. 8 AufenthG.
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Schließlich handelt es sich beim Gebrauchmachen von einer Länderöffnungsklausel zwar nicht um eine Ausnahmevorschrift im eigentlichen, engeren Sinn. Es ist bei der Auslegung der landesrechtlichen Regelung dennoch in Rechnung zu stellen, dass der Bundesgesetzgeber die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit nunmehr ausdrücklich geregelt und den Ländern lediglich die Möglichkeit einer abweichenden Regelung eingeräumt hat. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist daher zu erwarten, dass eine abweichende Regelung vom Landesgesetzgeber eindeutig getroffen wird, was vorliegend für Anordnungen nach § 48 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht geschehen ist.
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Letztlich erfordert auch der hohe verfassungsrechtliche Rang der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) eine unmissverständliche und eindeutige abweichende gesetzliche Zuständigkeitsregelung. Eine solche ist vorliegend für das Gericht weder unter Berücksichtigung des zeitlichen Gleichlaufs der Gesetzesänderungen der genannten Vorschriften noch unter Beachtung der Begründung des Änderungsantrags im Hinblick auf den Wortlaut der Norm und die unterschiedlichen Zielrichtungen der Wohnungsdurchsuchungen ersichtlich.
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Damit verbleibt es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit, §§ 48 Abs. 3 Satz 3, 58 Abs. 9a Satz 1 AufenthG. Der beschrittene Rechtsweg zum Verwaltungsgericht ist somit unzulässig, § 173 Satz 1 VwGO, § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG.
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2. Zuständig für den Rechtsstreit ist das Amtsgericht München, sachlich gemäß § 1 ZPO i.V.m. § 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 11 GVG i.V.m. §§ 48 Abs. 3 Satz 3 Hs. 2, 58 Abs. 9a Satz 1, Satz 2 entsprechend AufenthG, örtlich gemäß §§ 12, 13 ZPO i.V.m. Art. 5 Abs. 2 Nr. 47 Gesetz über die Organisation der ordentlichen Gerichte im Freistaat Bayern (Gerichtsorganisationsgesetz – GerOrgG).
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da die Kosten des Rechtsstreits nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG als Teil der Kosten behandelt werden, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtsstreit verwiesen wird.