Inhalt

VG München, Beschluss v. 26.08.2024 – M 31 S 24.32712
Titel:

Erfolgloser Eilantrag gegen Abschiebungsandrohung nach Mexico

Normenketten:
AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 3, § 36 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 59 Abs. 1, Abs. 2, § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsatz:
Die Ablehnung von Asylantrag und Rechtsbehelf als offensichtlich unbegründet setzt voraus, dass an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt die Ablehnung geradezu aufdrängt, wobei  das Gericht die Frage der Offensichtlichkeit eigenständig zu klären hat. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl, Herkunftsland Mexiko, Offensichtlich unbegründeter Asylantrag, Asyleilverfahren, Mexico, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Offensichtlichkeitsurteil, qualifizierte Asylantragsablehnung, Abschiebungsandrohung, Verfolgung, Abschiebeschutz
Fundstelle:
BeckRS 2024, 23756

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger Mexikos palästinensischer Abstammung. Er reiste am 7. Juli 2024 auf dem Luftweg aus Mexiko kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 11. Juli 2024 einen Asylantrag. Nach Anhörung am 11. und 12. Juli 2024 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 8. August 2024, dem Antragsteller zugestellt am 17. August 2024, den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Gewährung subsidiären Schutzes (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, das Bundesgebiet binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; widrigenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Mexiko oder in einen sonstigen Staat, in den er einreisen darf oder der zur Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5). Das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
2
Der Antragsteller hat am 22. August 2024 Klage gegen den Bescheid vom 8. August 2024 erhoben. Das Klageverfahren wird bei Gericht unter M 31 K 24.32709 geführt. Im zugleich anhängig gemachten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wird sinngemäß beantragt,
3
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 22. August 2024 gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bescheids vom 8. August 2024 anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin übersandte die Verfahrensakten; sie stellt keinen Antrag.
5
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
7
Die gemäß § 36 Abs. 1, § 34 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG), der hiergegen gerichtete Eilantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO mithin statthaft. Der Antrag vom 22. August 2023 wahrt zudem die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 AsylG.
8
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßstab ist dabei vorliegend, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Streitgegenstand im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist hier gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die nach § 36 Abs. 1, § 34 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung, die die offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrags i.S.d. § 30 AsylG voraussetzt. Die Erfolgsaussichten eines entsprechenden Eilantrags hängen davon ab, ob gerade das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes ernstlichen Zweifeln begegnet, ohne dass der Ablehnungsbescheid selbst zum Verfahrensgegenstand wird (vgl. BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris; U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris). Ernstliche Zweifel sind nur dann gegeben, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996, aaO). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt die Ablehnung von Asylantrag und Rechtsbehelf gleichermaßen als offensichtlich unbegründet voraus, dass an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 25.4.2018 – 2 BvR 2435/17 – juris). Die gerichtliche Prüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts zu erfolgen (z.B. BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris). Dabei hat das Gericht die Frage der Offensichtlichkeit eigenständig zu klären (BVerfG, aaO), wobei es jedenfalls im Eilverfahren auch genügt, wenn die Offensichtlichkeitsfeststellung des Bescheids zumindest im Ergebnis nicht ernstlich zweifelhaft ist (vgl. z.B. Pietzsch in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 42. Edition 1.4.2024, § 36 AsylG Rn. 40.1 m.w.N.). Die Prüfung schließt das (Nicht-) Vorliegen von Abschiebungshindernissen ein (§ 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG), wobei maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG).
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Dies zugrunde gelegt, begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen rechtlichen Bedenken, da der Antragsteller offensichtlich keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylG oder die Zuerkennung internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. §§ 3 ff. AsylG hat. Auch daran, dass das Bundesamt das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zutreffend verneint hat, bestehen keine Zweifel. Gleiches gilt hinsichtlich der Abschiebungsandrohung und Befristung des verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbots.
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Bei dem Antragsteller liegen die Voraussetzungen dafür vor, seinen Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Davon geht das Bundesamt im streitbefangenen Bescheid jedenfalls im Ergebnis zutreffend aus.
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1. Ein unbegründeter Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 3 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer die Behörden durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder Zurückhalten von Dokumenten über seine Identität oder Staatsangehörigkeit offensichtlich getäuscht hat.
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Das Bundesamt legt seiner Entscheidung nach Aktenlage zutreffend zugrunde, dass beim Antragsteller die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 3 AsylG vorliegen. Er hat bei der Stellung seines Asylantrags und insbesondere im Rahmen seiner ersten Anhörung vom 11. Juli 2024 seine mexikanische Staatsangehörigkeit bewusst verschwiegen und somit hierüber offensichtlich getäuscht. Erst auf Vorhalt durch das Bundesamt in seiner weiteren Anhörung vom 12. Juli 2024 hat er – nach Konfrontation mit den von der Bundespolizei zwischenzeitlich hierzu gewonnenen Erkenntnissen und Beweismitteln – seine tatsächliche Staatsangehörigkeit auch eingeräumt.
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Ob mit dem Bundesamt darüber hinaus davon auszugehen ist, dass auch die Voraussetzung nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG und § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG vorliegen, kann – wobei mit Blick auf den Vortrag des Antragstellers zu seiner Lage in Mexiko sowie den Umgang mit seinem mexikanischen Reisepass nach dem Abflug von dort nach Aktenlage für beides sehr vieles spricht – sonach offenbleiben.
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Des Weiteren nimmt das Bundesamt ebenfalls zutreffend an, dass dem Antragsteller in Mexiko keine asyl- oder flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG bzw. §§ 3 ff. AsylG oder Gefahr eines ernsthaften Schadens durch einen Akteur i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG droht. Eine asyl- oder flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung in Mexiko macht der Antragsteller, der lediglich sehr oberflächlich und in Gemeinplätzen von dort bestehenden Problemen mit Drogen, mangelnder Sicherheit und Korruption spricht, bereits selbst nicht geltend. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes liegen nicht vor. Auch wenn die Sicherheitslage in Teilen Mexikos prekär und schwierig sein mag, erreicht diese aber kein solches Niveau, dass davon auszugehen wäre, der mexikanische Staat hätte seine hoheitlichen, insbesondere exekutiven Eingriffsmöglichkeiten in einem so wesentlichen Umfang und Ausmaß verloren, dass von einem i.S.d. §§ 3 ff. AsylG maßgeblichen staatlichen Beherrschungsverlust auszugehen wäre. Es ist nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass in Mexiko kriminelles Unrecht nicht in rechtsstaatlich zumindest grundsätzlich (noch) ausreichender Weise verfolgt würde, auch wenn dort Bandenkriminalität und Korruption bei staatlichen Stellen in nicht unerheblichen Maße existieren (vgl. aktuell insbesondere KAS, Länderberichte Mai 2023 und Juni 2024, jeweils passim).
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Insgesamt gelangt folglich auch das Gericht nach Aktenlage zu der Überzeugung, dass der Antragsteller Mexiko nicht deswegen verlassen hat, weil ihm dort Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden drohte, sondern offensichtlich aus anderen, mutmaßlich wirtschaftlichen und/oder privat-familiären Erwägungen.
16
Nach alledem liegen die Voraussetzungen für eine Asylanerkennung und die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vor.
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2. Auch Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG scheiden unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation in Mexiko und der individuellen Umstände des Antragstellers aus.
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Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass die Lage des Betroffenen und seine Lebensumstände im Fall einer Aufenthaltsbeendigung erheblich beeinträchtigt würden, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen – hier nicht vorliegenden – Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, U.v. 27.5.2008 – 26565/05 – NVwZ 2008, 1334; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris; B.v. 25.10.2012 – 10 B 16/12 – juris). Unabhängig davon, in welchen Fällen existenzbedrohende Armut im Sinne von Art. 3 EMRK relevant sein kann, liegen Anhaltspunkte hierfür nicht ansatzweise vor. Der Antragsteller ist 29 Jahre alt und arbeitsfähig; die normative Vermutung nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufentG ist nicht widerlegt. Hinweise darauf, dass er nach seiner Rückkehr in Mexiko – gerade auch durch Tätigkeiten mit niedrigen Qualifikationserfordernissen – „durch seiner Hände Arbeit“ nicht in der Lage sein wird, zumindest das wirtschaftliche Existenzminimum für sich zu sichern, sind nicht ersichtlich. Dass er angeblich über nur unzureichende Spanischkenntnisse verfügt, ändert daran nichts. Im Übrigen ist beim Antragsteller nach Aktenlage auch davon auszugehen, dass er auf die über seinen Vater in Mexiko vorhandenen Verbindungen und zudem auch die schon bisher ohnehin für ihn vorhandene erhebliche finanzielle Unterstützung seiner weitverzweigten (und wirtschaftlich nach eigenen Angaben erfolgreichen Unternehmer-) Familie zurückgreifen können wird. Gut nachvollziehbar geht das Bundesamt sonach davon aus, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr jedenfalls nicht in eine existenzielle Notlage geraten wird.
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Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
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Bei den in Mexiko vorherrschenden Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist, weshalb Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt wird. Eine extreme Gefährdungslage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausnahmsweise dann nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – juris; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris), wenn ein Einzelner gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, liegt offenkundig nicht vor.
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Mit Blick auf § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufentG wird im Übrigen ergänzend nach § 77 Abs. 3 AsylG auf die entsprechenden Ausführungen unter 4. der Begründung des streitbefangenen Bescheids, die unverändert aktuell sind und denen das Gericht folgt, Bezug genommen.
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3. Schließlich begegnen auch die Abschiebungsandrohung und Befristungsentscheidung des verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbotes keinen erheblichen Richtigkeitszweifeln. Insoweit wird erneut gemäß § 77 Abs. 3 AsylG auf die einschlägigen Ausführungen unter 5. und 6. der Begründung des streitbefangenen Bescheids Bezug genommen.
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4. Sonach war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen; nach § 83b AsylG werden Gerichtskosten nicht erhoben.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).