Inhalt

VG München, Beschluss v. 14.06.2024 – M 10 S 24.3385
Titel:

Erfolgloser Eilantrag gegen eine versammlungsrechtliche Auflage (Untersagung der Parole "Vom Land bis zum Meer...")

Normenketten:
GG Art. 5 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1
BayVersG Art. 15
Leitsätze:
1. Maßgeblich für die versammlungsrechtliche Beurteilung einer Äußerung ist diese selbst und ihr unmittelbarer Kontext, nicht die innere Haltung oder die Ideologie, die möglicherweise den Hintergrund der Äußerung bildet. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Parole "From the river to the sea - Palestine will be free" kann aufgrund ihrer möglichen Strafbarkeit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sein. (Rn. 24 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilrechtsschutz, Gefahrenprognose, Versammlungsrechtliche Beschränkung, Versammlung, Auflage, Gefahr für die öffentliche Sicherheit, "from the river to the sea"
Fundstelle:
BeckRS 2024, 23751

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Weg des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine beschränkende Auflage im Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Juni 2024.
2
Unter dem … Juni 2024 zeigte die Antragstellerin eine stationäre Versammlung mit dem Thema „Gegen die Unterdrückung und Ungleichbehandlung von Palästinenser:innen im gesamten Gebiet vom Fluss bis zum Meer; gegen die Unterstützung und Befeuerung dieser Unterdrückung durch die deutsche Politik und für Frieden und Freiheit für alle Menschen dort!“ für den … Juni 2024 von …:00 Uhr bis …:00 Uhr am … mit einer erwarteten Teilnehmerzahl von 20 Personen an. Als Kundgebungsmittel wurden Plakate mit den Aufschriften „From the river to the sea, palestine will bei free!“, „From the river to the sea, we want justice and equality!“ sowie „From the sea to the river, waepons you shall not deliver.“ angezeigt.
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Mit E-Mail vom 11. Juni 2024 teilte die Staatsanwaltschaft …  nach Rücksprache mit der Generalstaatsanwaltschaft … – ZET mit, dass sie weiterhin davon ausgehe, dass bei allen Äußerungen der besagten Parole ein Anfangsverdacht einer Straftat nach §§ 86a Abs. 1, 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu bejahen sei, bzw. bei den verschiedenen von der Antragstellerin genannten Parolen eine Strafbarkeit nicht gänzlich ausgeschlossen sei.
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Im Rahmen eines Kooperationsgesprächs per E-Mail wurde der Antragstellerin am 13. Juni 2024 mitgeteilt, dass die Parole „From the river to the sea, palestine will be free“ sowie die geplanten Varianten auf den Kundgebungsmitteln von der Versammlungsbehörde mittels Auflage im Zusammenhang mit den aktuellen Geschehnissen im Nahen Osten derzeit grundsätzlich untersagt werde. Die Antragstellerin hat mit E-Mail vom 13. Juni 2024 mitgeteilt, dass sie nach Lektüre des Bescheids zu dem Schluss gelangt sei, dass dieser keine konkrete Gefahrenprognose darstelle und keineswegs schlüssig erkläre, warum die seit den 60er-Jahren in erster Linie von palästinensischen und israelischen Linken verwendete Ausdrucksweise „From the river to the sea“ ein Kennzeichen der Hamas sein soll. Sie halte die Beschränkungen deswegen für rechtswidrig.
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Mit Bescheid vom 13. Juni 2024 erließ die Antragsgegnerin unter Ziffer 5 unter anderem folgende Beschränkungen:
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„5.3 Das öffentliche Zeigen von Emblemen, Kennzeichen oder Fahnen von verbotenen und/oder terroristischen Organisationen ist untersagt. Darunter fallen insbesondere (nicht abschließend) die in der Anlage 2 aufgeführten Organisationen, Kennzeichen und Symbole (strafbar gem. § 20 VereinsG bzw. §§ 86a, 86 StGB).
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Darunter fällt auch die Parole „Vom Fluss bis zum Meer…“ in Deutsch oder in anderen Sprachen; als Schriftzug, Ausruf, Musikstück und anderen Kundgabeformen.
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Hinweis 1: Die untersagte Parole ist im Versammlungsthema und auf zwei angezeigten Kundgabemitteln genannt („From the river to the sea, palestine will be free!“ und „From the river to the sea, we want justice and equality!“). Wir weisen noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass die Parole versammlungsrechtlich untersagt ist und zudem den Anfangsverdacht gem. § 86a StGB erfüllt.
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Hinweis 2: Bzgl. des angezeigten Plakats mit dem Slogan: „From the sea to the river, weapons you shall not deliver“ (umgedrehte Wortreihenfolge) weisen wir darauf hin, dass eine Strafbarkeit nicht ausgeschlossen werden kann und bei Verwendung dieses Kundgabemittels ein Strafverfahren eingeleitet werden könnte.“
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Auf die weitere Begründung des Bescheids wird verwiesen.
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Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 14. Juni 2024, eingegangen beim Verwaltungsgericht München per beA am selben Tag, hat die Antragstellerin Klage erhoben (Az. M 10 K 24.3378) und beantragt zugleich,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die beschränkende Verfügung in Ziffer 5.3 des Bescheids vom 13. Juni 2024, soweit die Parole „Vom Fluss bis zum Meer…“ in Deutsch oder anderen Sprachen als Schriftzug, Ausruf, Musikstück oder in anderen Kundgebungsformen untersagt wird, anzuordnen.
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Hinsichtlich der Begründung wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragstellerin Bezug genommen.
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Die Antragsgegnerin hat mit Schutzschrift vom 13. Juni 2024 beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung verweist sie auf die Begründung ihres Bescheids und die vorgelegte Behördenakte.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
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Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Hierbei hat es abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse der Antragstellerin regelmäßig zurück. Sofern die Klage jedoch nach summarischer Prüfung erfolgreich sein wird, tritt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung zurück.
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Im vorliegenden Fall überwiegt bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage das öffentliche Interesse am gesetzlich grundsätzlich vorgesehenen Sofortvollzug das private Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Die bereits erhobene Klage (Az. M 10 K 24.3378) gegen das Versammlungsverbot hat voraussichtlich keinen Erfolg. Bei kursorischer Prüfung ist der streitgegenständliche Bescheid vom 13. Juni 2024 rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (hierzu und zum Folgenden zuletzt BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage. Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Derartige Beschränkungen sind im Licht der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. zuletzt BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris). Rechtsgüterkollisionen ist im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen durch Beschränkungen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001- 1 BvR 1190/90 – BVerfGE 104, 92).
22
Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst dabei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie das Grundrecht Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Daneben umfasst der Begriff der öffentlichen Sicherheit den Schutz der Unversehrtheit der Rechtsordnung jedenfalls dann, wenn deren strafbare Verletzung droht. Soweit sich das Verbot einer Versammlung oder eine beschränkende Auflage auf den Inhalt von Aussagen bezieht – dies ist bei der Anknüpfung an das Motto der Versammlung und die zu erwartenden Äußerungen der Versammlungsteilnehmer der Fall –, ist es auch am Maßstab des Art. 5 Abs. 1, 2 GG zu beurteilen. Der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 GG nicht unterbunden werden darf, kann daher auch nicht zur Begründung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken (BVerfG, B.v. 1.12.2007 – 1 BvR 3041/07 – BVerfGK 13, 1). Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen kommt im Rahmen der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG in Betracht (hierzu und zum Folgenden BVerwG, U.v. 26.4.2023 – 6 C 8/21 – juris zur entsprechenden ständigen Rechtsprechung des BVerfG). Die Äußerung verliert den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG nicht allein wegen ihres Inhalts, es sei denn, der Inhalt ist strafbar. Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Inhalte einer auf einer Versammlung geäußerten Meinung richten sich nicht nach Art. 8 Abs. 2 GG, sondern nach Art. 5 Abs. 2 GG. Die Grenze verläuft nach letztgenannter Vorschrift dort, wo Meinungsäußerungen auf verfassungsgemäße Weise rechtlich verboten, insbesondere unter Strafe gestellt sind (vgl. zum Begriff der öffentlichen Sicherheit aktuell: VG Berlin, B.v. 11.10.2023 – 1 L 428/23 – juris). Maßgeblich für die Beurteilung einer Äußerung bleibt diese selbst und ihr unmittelbarer Kontext, nicht die innere Haltung oder die Ideologie, die möglicherweise den Hintergrund der Äußerung bildet. Bei mehrdeutigen Äußerungen haben Behörden und Gerichte sanktionsrechtlich irrelevante Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen, bevor sie ihrer Entscheidung eine zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung zugrunde legen. Bleibt die Äußerung mehrdeutig, weil sich ihre strafbaren Deutungsmöglichkeiten nicht als fernliegend ausschließen lassen, ist diejenige Variante zugrunde zu legen, die noch von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt ist (vgl. HessVGH, B.v. 22.3.2024 – 8 B 560/24 – juris).
23
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen oder eines Versammlungsverbots keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben (vgl. BVerfG, B.v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris). Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris; B.v. 6.6.2015 – 10 CS 15.1210 – juris; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris; BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – juris). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris; B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris). Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG, B.v. 4.9.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris).
24
Gemessen an diesen Grundsätzen begegnen die angegriffenen beschränkenden Auflagen bei summarischer Prüfung keinen rechtlichen Bedenken. Die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“, deren Verwendung mit Ziffer 5.3 des angegriffenen Bescheids vom 13. Juni 2024 untersagt wird, stellt im vorliegenden Fall nach summarischer Prüfung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar.
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Die Kammer geht nach summarischer Prüfung davon aus, dass die Parole im vorliegenden Kontext voraussichtlich strafbar ist. Bei der strafrechtlichen Einordnung der Parole ist zwar zu berücksichtigen, dass damit der Wunsch nach einem freien Palästina vom Fluss (Jordan) bis zum Mittelmeer ausgedrückt wird, das heißt in einem Gebiet, in dem Israel in seinen heutigen Grenzen liegt. Die Parole sagt als solche noch nichts darüber aus, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Grundsätzlich sind politisch verschiedene Mittel und Wege denkbar, dieses abstrakte Ziel zu erreichen. Einen zwingenden Aufruf zum bewaffneten Kampf gegen Israel beinhaltet der Slogan als solcher auch aus seinem historischen Kontext heraus noch nicht (vgl. dazu ausführlich HessVGH, B.v. 22.3.2024 – 8 B 560/24 – juris). Ob die streitige Parole die möglicherweise in Betracht kommenden Straftatbestände (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG, § 86a Abs. 1 Nr. 1 i.Vm. § 86 Abs. 2 StGB) erfüllt, kann mit der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung und den nur eingeschränkt zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln aber nicht abschließend beantwortet werden (vgl. VGH BW, Bv. 3.4.2024 – 2 S 496/24 – juris, der die Verbotsverfügung als Indiz wertet; HessVGH, B.v. 22.3.2024 – 8 B 560/24 – juris, der offenlässt, ob die Parole der HAMAS zuzuordnen ist; OVG Bremen, B.v. 30.4.2024 – 1 B 163/24 – juris, welches eine Zuordnung als naheliegend betrachtet; OVG NRW, B.v. 2.12.2023 – 15 B 1323/23 – juris; LG Mannheim, B.v. 29.5.2024 – 5 Qs 42/23 – juris, welches eine Strafbarkeit nicht annimmt, weil die Parole bereits der HAMAS nicht zugeordnet werden könne und zudem die Sozialadäquanzklausel eingreife). Anders als im Fall des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. B.v. 22.3.2024 – 8 B 560/24 – juris) erscheint der Kammer eine Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG im vorliegenden Fall nicht als ausgeschlossen. Im hessischen Fall hatte sich der Antragsteller ausdrücklich von einer gewaltsamen Lösung distanziert und sich für eine „Ein-Staaten-Lösung“ für alle Menschen unabhängig von ihrer Religion ausgesprochen. Zudem zeigte sich der Antragsteller im hessischen Fall in allen Punkten kooperativ. Im vorliegenden Fall verwendet die Antragstellerin als Motto ihrer Versammlung zwar „Gegen die Unterdrückung und Ungleichbehandlung von Palästinenser:innen im gesamten Gebiet vom Fluss bis zum Meer; gegen die Unterstützung und Befeuerung dieser Unterdrückung durch die deutsche Politik und für Frieden und Freiheit für alle Menschen dort!“, eine weitere Erläuterung oder Distanzierung von Gewalt oder gewaltbereiten Gruppierungen ist aber nicht erkennbar. Zudem wurde im vorliegenden Fall dem Motto bereits ausdrücklich von der Antragsgegnerin durch den Zusatz im Bescheid „Achtung Beschränkung in Ziffer 5.3“ widersprochen, wohingegen es von der Stadt Frankfurt am Main unwidersprochen akzeptiert wurde. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (vgl. B.v. 22.3.2024 – 8 B 560/24 – juris) hatte daher über die Verwendung der Parole als Thema der Veranstaltung nicht zu entscheiden, sondern lediglich über die Verwendung der Parole als Kundgebungsmittel. Eine Strafbarkeit nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 i.Vm. § 86 Abs. 2 StGB erscheint der Kammer ebenso wenig ausgeschlossen. Diese wurde vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof (vgl. B.v. 22.3.2024 – 8 B 560/24 – juris) überhaupt nicht geprüft. Einer Strafbarkeit stünde auch nicht die Sozialadäquanzklausel des §§ 86a Abs. 3, 86 Abs. 3 StGB entgegen. Im Gegensatz zum Fall des Landgerichts Mannheim (vgl. B.v. 29.5.2024 – 5 Qs 42/23 – juris), welcher eine Demonstration zum Gedenken an die Nakba, die ihren Ausgangspunkt in der sich 2023 zum 75. Mal jährenden israelischen Staatsgründung am 14. Mai 1948 hatte, zugrunde lag, die zudem vor den Ereignissen des 7. Oktober 2023 stattfand, ist hier ein vollständig fehlender Bezug zu dem Überfall der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 gerade nicht ausgeschlossen, da gerade auf den andauernden Konflikt im Gaza-Streifen aufmerksam gemacht werden soll. Zudem ist nicht erkennbar, dass die genannte Parole im Sinn der Sozialadäquanzklausel verwendet werden soll, also mit einer engen Zweckrichtung einer „aufklärenden Abschreckung“ oder auch für Zwecke der Kunst, der Wissenschaft, der Forschung und Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens und der Geschichte.
26
Daher fällt die vom Gericht zu treffende Abwägungsentscheidung zu Ungunsten der Verwendung der hier in Frage stehenden Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ und deren Varianten auf einer öffentlichen Versammlung oder als Thema einer öffentlichen Versammlung aus. Mit dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (vgl. B.v. 3.4.2023 – 2 S 496/24 – juris) geht die Kammer davon aus, dass bei lebensnaher Betrachtung derzeit die streitige Parole der verbotenen Vereinigung HAMAS zuzuordnen ist. Dafür spricht, dass eine Variante hiervon in der aktuellen Verfassung (vgl. Steinberg, NVwZ 2024, 302, 304 mwN) bzw. Gründungscharta der Hamas zu finden ist (vgl. OVG NRW, B.v. 2.12.2023 – 15 B 1323/23 – juris). Gestützt wird diese Annahme dadurch, dass die Verwendung dieser Parole in der Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat betreffend das Verbot der Vereinigung Hamas vom 2. November 2023 (BAnz AT 02.11.2023 B10) als ihr Kennzeichen verboten wurde (Nummer 3 Satz 2 der Verfügung). Unabhängig von den rechtlichen Wirkungen dieses Verbots kann davon ausgegangen werden, dass diese Zuordnung durch das zuständige Ministerium auf Ermittlungen und einer gewissen Sachkunde beruht. Dass diese Parole bereits vor Gründung der Hamas verwendet wurde und auch heute noch von anderen Organisationen verwendet wird, ist in diesem Zusammenhang unerheblich (vgl. auch OVG NRW, B.v. 2.12.2023 – 15 B 1323/23 – juris). Entscheidend ist vielmehr, dass die Parole im politischen Bewusstsein der Öffentlichkeit als Bestandteil der gewaltsam verfolgten Ziele dieser Organisation und ihre Verwendung bei öffentlichen Kundgebungen als deren Unterstützung erscheint.
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Bei lebensnaher Betrachtungsweise insbesondere nach den Ereignissen des 7. Oktober 2023, die nach den aktuellen Ereignissen im Zusammenhang mit dem Iran weiter präsent sind, muss daher mit dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (vgl. B.v. 3.4.2023 – 2 S 496/24 – juris) davon ausgegangen werden, dass mit der Parole ein gewaltsames Vorgehen gemeint ist. Von daher führt auch der Rechtsgedanke, dass eine Meinungsäußerung, die mehrere plausible Bedeutungen hat, grundsätzlich von der Verfassung geschützt ist, wenn wenigstens eine der Bedeutungen nicht strafbar ist (vgl. BVerfG, B.v. 28.7.2014 – 1 BvR 482/13 – juris), hier nicht zur einer abweichenden Beurteilung.
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Wenn mit der Verwendung der Parole also andere, mit friedlichen Mitteln zu erreichende Ziele verfolgt oder unterstützt werden, bedarf dies einer hinreichenden Begründung seitens der Antragstellerin, an der es hier fehlt. Insoweit ist es, auch unter angemessener Beachtung der bedeutsamen Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit erheblich, ob der Antragstellerin das von ihr behauptete Interesse an der Verwendung der streitigen Parole darstellen konnte. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Das von der Antragstellerin angegebene Versammlungsthema ist ohne weitere Erläuterung angesichts der Dominanz der strittigen Parole im Hinblick auf die Gewalttaten der HAMAS nicht ausreichend zur Klarstellung geeignet, dass sie ausschließlich für eine gewaltfreie Lösung des Konflikts eintritt. Es ist zudem nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin ihre Ziele und ihr Anliegen nicht auch ohne Verwendung der streitigen Parole und des angegebenen Versammlungsthemas inhaltlich ausreichend vorbringen könnte.
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Schließlich ist bei der Abwägung auf Seiten des öffentlichen Interesses einzustellen, dass eine einmal getätigte Äußerung – sollte sie sich als strafbar oder sonstiger Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erweisen – irreversibel ist und durch ein nachträgliches Einschreiten der Polizei oder nachträgliche Strafanzeigen in der Sache nicht wieder rückgängig gemacht werden kann (vgl. VGH BW, B.v. 21.10.2023 – 3 S 1669723 – juris; B.v. 3.4.2024 – - 2 S 496/24 – juris). Sollte sich dagegen in einem Hauptsacheverfahren herausstellen, dass die streitige Parole der HAMAS nicht zugerechnet werden kann und strafrechtlich unbedenklich ist, kann die Antragstellerin nach einer solchen Feststellung ohne weiteres weitere Versammlungen mit diesem Thema bzw. unter Verwendung dieser Parole als Kundgebungsmittel durchführen.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nummer 45.4 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.