Titel:
Betriebsratswahlen, rückwirkendes Inkrafttreten eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, Wahlanfechtung
Normenkette:
BetrVG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 19 Abs. 1, § 1 Abs. 1
Leitsatz:
Die Verkennung des Betriebsbegriffs mit der Folge der Unwirksamkeit der durchgeführten Betriebsratswahl wird nicht durch ein rückwirkendes Inkrafttreten eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG geheilt. Dies ist mit den Grundsätzen einer bereits nach demokratischen Grundsätzen durchführten Wahl nicht vereinbar. Denn ein Rückwirkungsdatum, das eine bereits durchgeführte Wahl betrifft, birgt die Möglichkeit einer Wahlmanipulation im Nachhinein und ist damit rechtswidrig.
Schlagworte:
Betriebsratswahlen, rückwirkendes Inkrafttreten eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, Wahlanfechtung
Vorinstanz:
ArbG München vom -- – 13 BV 51/22
Fundstellen:
FDArbR 2024, 023539
BeckRS 2024, 23539
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 9 bis 13 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
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Der Beteiligte zu 9) ist der bei den Beteiligten zu 10) bis 13) gebildete Gemeinschaftsbetriebsrat (nachfolgend: Betriebsrat) nach den Betriebsratswahlen, die in der Zeit vom 01. 03.2022 bis 04.03.2022 stattfand. Die Beteiligten zu 1) bis 8) sind im Werk A-Stadt oder am Standort I-Stadt der Beteiligten zu 10) tätig und waren Wahlkandidaten auf der Liste 6 für die Betriebsratswahl 2022.
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Die Beteiligte zu 10) hatte dem Beteiligten zu 1) mehrfach gekündigt, zuletzt mit Schreiben vom 14.07.2021. In dem hiergegen erhobenen letzten Kündigungsschutzverfahren einigten sich die Parteien vergleichsweise auf eine Weiterbeschäftigung.
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Die Beteiligte zu 10) ist ein führender Hersteller von Lkw`s und Bussen. Die Beteiligte zu 11) ist ein Joint Venture der Beteiligten zu 10) mit der A1 AG, das im Jahr 2010 gegründet wurde. In diesem Zusammenhang wurde am 23.09.2009 von der damaligen F1 und dem Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebes Werk A-Stadt eine Betriebsvereinbarung geschlossen (vgl. Bl. 87 ff d.A.), in der in Ziffer 3 stand:
Die MN wird mit der Unternehmensleitung der MRMV durch den Abschluss einer Führungsvereinbarung einen Gemeinschaftsbetrieb am Standort A-Stadt gründen. In diesem Gemeinschaftsbetrieb bleibt die betreuende Zuständigkeit des Betriebsrats A-Stadt unverändert bestehen.
(…) Gleichermaßen gelten Kraft der Führung eines Gemeinschaftsbetriebs alle Konzern-, Gesamt- und Betriebsvereinbarungen sowie Regelungsabreden und Gesamtzusagen unverändert weiter (…).
Künftige neue Vereinbarungen, die der Gemeinschaftsbetrieb abschließt, gelten ebenfalls für die Beschäftigten der MRMV am Standort A-Stadt. (…)“
„(Anmerkung: MRMV = Beteiligte zu 11) / MN = Beteiligte zu 10)“
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Die Beteiligte zu 10) ist mit 49% an der Beteiligten zu 11) beteiligt. Die Beteiligte zu 12) wurde im Jahr 2006 gegründet, um Dienstleistungen im Bereich Gastronomie/Catering für die Mitarbeiter sowie Gäste für alle Gesellschaften der Beteiligten zu 10) bis 13) zu erbringen. Die Beteiligte zu 13) wurde ebenfalls im Jahr 2006 gegründet, um Servicedienstleistungen im Vertrieb zu übernehmen. Es handelt sich im Wesentlichen um einen After-Sales-Service für liegengebliebene Fahrzeuge, die Servicedienstleistungen in Anspruch nehmen müssen. Geschäftsführer der Beteiligten zu 12) ist Herr B1, der bei der Beteiligten zu 10) als Leitung Gastronomie & Catering im Rang eines Abteilungsleiters geführt wird. Geschäftsführer der Beteiligten zu 13) sind Herr C1 und Frau . Zwischen den Beteiligten zu 10) bis 13) wurde keine ausdrückliche Kooperationsvereinbarung schriftlich geschlossen. Zwischen der Beteiligten zu 10) und der Beteiligten zu 11) wurde ua. ein Dienstleistungsvertrag (Dienstleistungsvertrag vom 27.05. 2010 = Bl. 117 d.A.) abgeschlossen. Danach stellt die Beteiligte zu 10) der Beteiligten zu 11) Teile ihrer Werksinfrastruktur zur Verfügung und erbringt für diese Dienstleistungen, darunter auch „Betriebsrat gem. der Leistungsbeschreibung in Anlage 2“. Insgesamt bestehen zwischen der Beteiligten zu 10) und der Beteiligten zu 11) mehr als 100 Verträge und Vereinbarungen (so z.B. Grundstücksverträge, Rahmenlieferverträge für gemeinsame Einkäufe, Dienstleistungsverträge etc.). Neben der gemeinsamen Nutzung der bereits benannten Bereiche nutzt die Beteiligte zu 11) auch den Werksschutz der Beteiligten zu 10). Auch die Telefonanlage und der Empfang erfolgen einheitlich über die Beteiligte zu 10). Die Beteiligten zu 10), 12) und 13) nutzen zudem das Intranet gemeinsam. Auch nutzen die Beteiligten zu 11), 12) und 13) die von der Beteiligten zu 10) geschlossenen Rahmenverträge für Einkäufe von Betriebs- und Arbeitsmitteln.
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Der zuletzt für die Beteiligten zu 10) bis 13) gewählte Betriebsrat hatte einen Wahlvorstand mit 15 Mitgliedern bestellt. Im Wahlausschreiben vom 17.01.2022 (Bl. 15 d.A.) stand ua.:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
wir setzen Sie davon in Kenntnis, dass der Wahlvorstand zur Wahl eines Betriebsrats im Betrieb Q. in seiner Sitzung am 12.01.2022 den Erlass folgenden Wahlausschreibens beschlossen hat:
Die Betriebsratswahl im Betrieb der Q. einschließlich S., der G GmbH und der I GmbH findet vom 01.03.2022 bis 04.03.2022 statt.
In unserem Betrieb sind 1594 Frauen und 7758 Männer beschäftigt.
Der Betriebsrat hat aus 37 Mitgliedern zu bestehen. (…)“
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Am 10.02.2022 fand im Anschluss an die Sitzung des Wahlvorstands, in der die Ordnungsnummern der Listen ermittelt wurden, ein Termin statt, in dem Frau D1 als Vertreterin des Arbeitgebers sämtliche anwesenden Listenvertreter über die Regeln zur Durchführung von Wahlwerbung informierte. Anwesend waren auch die Beteiligten zu 1) und 2).
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Die Grundsätze zur Wahlwerbung sahen unter anderem vor, dass „besonders gesicherte Zutrittsbereiche nur unter Einhaltung der für alle Beschäftigten geltenden örtlichen und betrieblichen Sicherheitsmaßnahmen betreten werden dürfen; ggf. ist eine vorherige Anmeldung und Begleitung in dem jeweiligen Bereich notwendig.“ (Einheitliche Grundsätze zur Wahlwerbung vom 20.1.2022, Bl, 95 d. A.). Im Intranet wurde eine Plattform für Wahlwerbung zur Verfügung gestellt. Jede Liste konnte Wahlwerbung einstellen. Alle Listen, auch die Liste 6 (E1) hat dies genutzt. (Screenshot der Intranetplattform, in Kopie als Anlagen 5a) und b) Bl. 97 ff d.A.). Zudem stand allen Listen die Möglichkeit offen, Wahlwerbung vor den Werkstoren und auch im Werk zu machen, wovon auch Vertreter der Liste 6 Gebrauch machten.
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Vom Beteiligten zu 1) wurde ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz eingeleitet, mit dem Ziel, ihm zu Wahlkampfzwecken Zutritt zum Werksgelände zu gewähren. Dieses Verfahren endete am 09.02.2022 mit einem Vergleich in dem vereinbart wurde, an welchen Wochentagen an welchen Orten und zu welchen Zeiten Wahlwerbung möglich war.
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Mit vier Schreiben vom 02.03.2022 zeigten die Beteiligten zu 1) und 2) gegenüber dem Wahlvorstandsvorsitzenden vermeintliche Verstöße an (vgl. Bl. 22 bis 25 d. A.). Mit Schreiben vom 03.03.2022 bemängelten die Beteiligten zu 1) bis 3) gegenüber dem Wahlvorstandsvorsitzenden einen weiteren Verstoß (vgl. Bl. 26 d. A.).
11
Am 04.03.2022 gab der Wahlvorstand das Ergebnis der Wahl bekannt. Die Beteiligten zu 1) bis 8), Kandidaten der Vorschlagsliste 6 „E1“ wurden nicht in den Betriebsrat gewählt. Für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung am 07. 10.2022 für die Beteiligte zu 10) wurde vom Wahlvorstand am 29.08.2022 ein Wahlausschreiben ausgehängt (Bl. 199 d. A.), das ausweislich des Wahlausschreibens nur das F1 Werk A-Stadt betraf.
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Mit einem am 18.03.2022 beim Arbeitsgericht eingereichten Schriftsatz haben die Beteiligten zu 1) bis 8) die Betriebsratswahl angefochten. Sie haben gemeint, bei der Betriebsratswahl sei der Betriebsbegriff verkannt und gegen wesentliche Bestimmungen des Wahlrechts verstoßen worden. Aus dem Wahlausschreiben habe sich nicht ergeben, um welche Beschäftigte es sich bei der Wahl genau handeln solle und von welchem „Betrieb“ die Rede sei. Im Jahr 2018 sei ein Betriebsrat nur für die Beteiligte zu 10) gewählt worden (vgl. im Einzelnen Bl. 3ff, 148ff d. A.). Aus dem Wahlausschreiben sei auch nicht hervorgegangen, dass es sich um den Wahlvorstand der Beteiligten zu 10) gehandelt habe. Der Wahlvorstand der Beteiligten zu 10) hätte keine Betriebsratswahl für die Beteiligten zu 11) bis 13) durchführen dürfen. Der Wahlvorstand habe ein Wahlausschreiben erlassen, mit dem er die Wahl des Betriebsrats für insgesamt vier Unternehmen eingeleitet habe, ohne dass die Voraussetzungen dafür vorgelegen hätten und damit habe eine Verkennung des Betriebsbegriffs vorgelegen. Die Beteiligten zu 11) bis 13) seien als selbständige Betriebe anzusehen gewesen, weil ihrer jeweiligen Leitung der Kern der Arbeitgeberfunktionen für die dort tätigen Mitarbeiter übertragen gewesen sei. Die Beteiligten zu 11) bis 13) hätten jeweils eigene Leitungsapparate. Die Beteiligten zu 9) bis 13) hätten keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergeben würde, dass sie einen gemeinsamen Betrieb führen würden. Eine Führungsvereinbarung sei von den Beteiligten zu 9) bis 13) überhaupt nicht dargelegt worden. Aus dem Dienstleistungsvertrag habe sich keine Führungsvereinbarung ergeben. Die von ihnen behauptete Form der unternehmerischen Zusammenarbeit habe hierfür nicht genügt und diese sei nach eigenem Vortrag auch nicht auf die gemeinschaftliche Erreichung eines einheitlichen arbeitstechnischen Zwecks gerichtet gewesen. Es habe auch keine organisatorische Einheit zwischen den Beteiligten zu 10) bis 13) bestanden. Die Personalabteilung der Beteiligten zu 10) sei nur für die dortigen Beschäftigten zuständig gewesen und die Beteiligten zu 9) bis 13) hätten überhaupt keine einheitliche Leitung, die sich auf die wesentlichen Funktionen eines Arbeitgebers in sozialen und personellen Angelegenheiten erstrecken müsste, dargelegt. Die vom Arbeitsgericht mit Beschluss vom 14.12.2022 gestellten Fragen hätten die Beteiligten zu 10) bis 13) nicht substantiiert beantwortet. Vielmehr habe sich auch daraus ergeben, dass die Beteiligten zu 10) bis 13) keinen gemeinsamen Betrieb bildeten. Aus der Verkennung des Betriebsbegriffs habe sich ergeben, dass der Wahlvorstand die Mitarbeiter der Beteiligten zu 11) bis 13) fehlerhaft bei der Größe des Betriebs mitgezählt habe. In Betrieben mit in der Regel 7.001 bis 9.000 Arbeitnehmern bestehe der Betriebsrat aus 35 Mitgliedern und nicht aus 37 und nach den Angaben im Wahlausschreiben seien 9.352 im Betrieb beschäftigt. Es sei daher nicht auszuschließen gewesen, dass 353 Beschäftigte bei den Beteiligten zu 11) bis 13) tätig seien und folglich nicht zu den wahlberechtigten Mitarbeitern hätten gezählt werden dürfen. Dass in der Regel im gemeinsamen Betrieb über 9.000 Beschäftigte tätig seien, wurde im Übrigen mit Nichtwissen bestritten. Die Wahl sei außerdem unwirksam gewesen, weil der Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber verletzt worden sei, denn die Wahl sei unzulässig beeinflusst und behindert worden. Der Beteiligte zu 1) habe aufgrund eines Hausverbotes und der anschließenden fristlosen Kündigungen weder seine Betriebsratsaufgaben wahrnehmen noch vor dieser Betriebsratswahl für sich und seine Liste ordnungsgemäß werben können. Die Wahlkandidaten der Liste 6 seien durch die Einschränkung ihrer Wahlwerbung unzulässig bei der Wahl behindert worden (vgl. i. E. Bl. 7 ff, 156 ff d. A.). So habe sich der Beteiligte zu 2) als von der im Betrieb der Beteiligten zu 10) vertretenen Gewerkschaft E1 entsandtes Wahlvorstandsmitglied in der Sitzung des Wahlvorstandes am 23.02.2022 um 15:00 Uhr beim Wahlvorstandsvorsitzenden, Herrn G1, beschwert, dass die Wahlkandidaten der Liste 6 aufgrund ihrer fehlenden Eintrittsberechtigung nicht in einige Gebäude (V7; A55; A60; F5; F9; F10; F8; A22; V10 sowie S1 Gebäude und Werk VZ I-Stadt) hineinkommen konnten, um dort werben zu können. Der Beteiligte zu 2) habe verlangt, dass die Werksausweise der Kandidaten der Liste 6 für die o. g. Gebäude freizuschalten seien, damit diese auch dort Werbung für ihre Liste machen könnten. Eine Ermöglichung des Zugangs zu den o. g. Gebäuden sei aber weiterhin nicht erfolgt. Es sei davon auszugehen gewesen, dass die Wahlbewerber der Liste Team H1 zu den o. g. Gebäuden Zugang bzw. aufgrund der Zugangsberechtigung von einzelnen Wahlbewerbern der Liste Team H1 zu allen Gebäuden Zugang gehabt hätten und für sich hätten werben können. Es habe sich um ca. 4.000 bis 5.000 Mitarbeiter gehandelt, die die Wahlbewerber der Liste 6 nicht hätten erreichen können. Die Beteiligten zu 1) und 2) hätten sich mit Schreiben vom 28.02.2022 an den Wahlvorstandsvorsitzenden gewandt und gefragt, warum die Werksausweise trotz der o. g. Aufforderung nicht freigeschaltet worden seien. Aber auch nach diesem Schreiben sei den Kandidaten der Liste 6 nach wie vor kein Zugang zu den o. g. Gebäuden ermöglicht worden. Es sei des Weiteren nicht sichergestellt gewesen, dass unberechtigte Personen das Büro des Wahlvorstandsvorsitzenden und dessen Vertreter nicht betreten. Daher könne auch nicht sicher davon ausgegangen werden, dass die Wahlunterlagen auch sicher vor dem Zugriff unbefugter Dritte aufbewahrt worden seien (vgl. i. E. Bl.9 ff, 158 d. A.). Die Beteiligten zu 1) und 2) hätten außerdem mit Schreiben vom 28.02.2022 dem Wahlvorstandsvorsitzenden mitgeteilt, dass an diesem Tag gegen 09:00 Uhr ein Verstoß am Büro des Wahlvorstandsvorsitzenden und dessen Vertreter im V2/EG beobachtet worden sei. Das Wahlvorstandsmitglied Herr I1 habe dieses Büro betreten wollen. Wie die anderen Wahlvorstandsmitglieder habe aber auch er keinen elektronischen Türöffner und damit keinen Zugang zu diesem Raum gehabt. Der zufällig vorbeikommende H1 Wahlkandidat Herr J1 habe allerdings mit seinem Werksausweis dieses elektronisch abgesicherte Büro des Wahlvorstandsvorsitzenden und des Vertreters öffnen können. Daraufhin sei dann Herr I1 alleine in das Büro des Wahlvorstandsvorsitzenden und dessen Vertreter reingegangen. Der Zugriff und der Eintritt in das Büro des Wahlvorstandsvorsitzenden und seinem Stellvertreter hätten aber nur von diesen gewährt werden dürfen und auch nur den beiden vorbehalten sein müssen. Es könne daher nicht sicher davon ausgegangen werden, dass die Wahlunterlagen sicher vor unbefugtem Zugriff aufbewahrt worden seien. Es könne auch nicht sicher davon ausgegangen werden, dass die eingegangenen Briefe (Rücklauf Briefwahl) immer nur zwei Wahlvorstandsmitgliedern ausgehändigt worden seien (vgl. i. E. Bl. 10 ff, 158ff d. A.). Darüber hinaus könne nicht sichergestellt werden, dass nicht unzulässiger Weise weitere Stimmzettel in die Wahlurne geworfen worden seien (vgl. i. E. Bl.11 159ff d. A.). Es werde nämlich mit Nichtwissen bestritten, ob und wann der Raum, in dem die Wahlurnen in der Zeit vom 01. bis 04.03.2022 aufbewahrt worden seien, verschlossen und vor unbefugtem Zutritt geschützt gewesen sei. Mit vier Schreiben vom 02.03.2022 hätten die Beteiligten zu 1) und 2) gegenüber dem Wahlvorstandsvorsitzenden weitere Verstöße angezeigt (vgl. Bl. 22 bis 25 d. A.). Nachdem sich außer den berechtigten Personen (Wahlvorstandsmitglieder und Wahlhelfer) die Wahlkandidaten aus den Wahllisten während den Stimmabgaben nicht in den Wahllokalen aufhalten durften und dies seitens des Wahlvorstandes strengstens untersagt gewesen sei, sei festgestellt worden, dass von der Liste 2 Herr K1 am 01.03.2022 den ganzen Tag und am 02.03.2022 gegen 16.45 Uhr gesehen worden sei, wie er sich in dem Wahllokal Gebäude A3 während den persönlichen Stimmabgaben aufgehalten habe. Von der Liste 7 sei Herr L1 sowohl am 01.03. 2022 als auch am 02.03.2022 im Wahllokal des VZ I-Stadt während den persönlichen Stimmabgaben gesehen worden. Von der Liste 4 sei Herr M1 am 01.03. 2022 im Wahllokal des VZ I-Stadt während den persönlichen Stimmabgaben gesehen worden. Von der Liste 7 sei Herr N1 am 01.03.2022 gegen 05.15 Uhr in dem Gebäude A3, Werk A-Stadt, gesehen worden, wie er sich im Wahllokal Mitarbeitercasino während den persönlichen Stimmabgaben aufgehalten habe. Weiter wurde bemängelt, dass eine Person alleine und ohne befugt zu sein, Zugriff auf die Wahlunterlagen gehabt habe (mit Schreiben vom 03.03.2022 von den Beteiligten zu 1) bis 3) gegenüber dem Wahlvorstandsvorsitzenden bemängelt). Eine junge Frau habe am 01.03.2022 um 07.50 Uhr eine gelbe Postkiste mit kleinen Briefumschlägen in das Wahllokal Gebäude A3, Werk A-Stadt, gebracht. Sie habe diese Wahlunterlagen alleine, ohne ein Wahlvorstandsmitglied an ihrer Seite gebracht. Wer diese junge Dame gewesen sei, wurde mit Nichtwissen bestritten. Ob die Briefumschläge voll oder leer gewesen seien, habe nicht gesehen werden können. Es sei weiter nicht nachvollziehbar gewesen, warum die Wahlvorstandsmitglieder nicht auch jeweils einen gesonderten E-Mail-Account mit dem Zusatz „Wahlvorstand“ erhalten hätten. Der Beteiligte zu 2.) habe Zugriff auf die Mail Adresse des Wahlvorstandes gehabt, die auf dem Wahlausschreiben stehe und die für die Wahl 2022 eingerichtet worden sei. Sein E-MailAccount, über den er mit dem Wahlvorstand kommuniziert habe, sei der von der Beteiligten zu 10.) und habe 01@F1.eu gelautet. Dies sei auch bei den anderen Wahlvorstandsmitgliedern entsprechend der Fall gewesen. Den Wahlvorstandsmitgliedern sei vom Wahlvorstandsvorsitzenden mitgeteilt worden, dass alle ihre E-Mail Kommunikation und die Handlungen, wie z. B. Löschen und Weiterleiten von E-Mails, die sie als Wahlvorstandsmitglieder erhalten oder versendet hätten, nachverfolgt werden könnten. Im Übrigen wurde mit Nichtwissen bestritten, ob das Wahlausschreiben auch in den Gebäuden, zu denen die Wahlbewerber der Liste 6 keinen Zugang gehabt hätten, auch ausgehängt worden sei. Außerdem wurde mit Nichtwissen bestritten, ob das Wahlausschreiben bei den Beteiligten zu 11) bis 13) ausgehängt worden sei. Nach alledem sei angesichts der Schwere und der Vielzahl der Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften davon auszugehen gewesen, dass die Verstöße zu einem anderen Wahlergebnis geführt haben oder führen konnten, als es ohne diese Verstöße zu verzeichnen gewesen wäre.
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Vor dem Arbeitsgericht haben die Beteiligten zu 1) bis 8) zuletzt beantragt:
Es wird festgestellt, dass die in der Zeit vom 01.03.2022 bis 04.03.2022 bei den Beteiligten zu 10) bis 13) durchgeführte Betriebsratswahl rechtsunwirksam ist.
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Die Beteiligten zu 9) bis 13) haben die Zurückweisung des Antrages beantragt.
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Der Betriebsrat hat gemeint, es habe kein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren vorgelegen. Die betriebliche Einheit, in der die Wahl durchzuführen gewesen sei, sei korrekt bestimmt worden. Am Standort A-Stadt habe ein gemeinsamer Betrieb der Beteiligten zu 10) bis 13) bestanden und entgegen der Darstellung der Antragsteller habe schon seit langer Zeit ein gemeinsamer Betrieb bestanden. Zuletzt sei im Jahr 2018 die Wahl für den gemeinsamen Betrieb in seiner jetzigen Struktur durchgeführt worden. Entgegen der Ausführungen in der Antragsschrift habe sich aus dem Wahlausschreiben auch ergeben, in welchem Betrieb die Wahl durchgeführt werde solle. Die betriebliche Einheit sei in Absatz 2 des Wahlausschreibens korrekt und eindeutig bezeichnet worden und die Beschäftigten der Beteiligten zu 11) seien Teil des gemeinsamen Betriebs. In der Gastronomie am Standort seien Beschäftigte tätig, die einen Arbeitsvertrag mit der Beteiligten zu 10) hätten und solche, die einen Arbeitsvertrag der Beteiligten zu 12) hätten und diese Beschäftigten würden unterschiedslos zusammenarbeiten. Die Beschäftigten unterstünden sämtlich der einheitlichen Leitung des Leiters der Gastronomie, Herrn B1, der einen Arbeitsvertrag mit der Beteiligten zu 10) habe und Geschäftsführer der Beteiligten zu 12) sei. Auch die Beschäftigten der Beteiligten zu 12) seien somit Teil eines gemeinsamen Betriebs. Die Personalabteilung der Beteiligten zu 10) sei auch für diese Beschäftigten zuständig und für Entscheidungen in sozialen und personellen Angelegenheiten verantwortlich. Sämtliche Beschäftigte, die einen Arbeitsvertrag mit der Beteiligten zu 12) hätten, hätten als aktiv und passiv wahlberechtigt auf der Wählerliste gestanden. Die Beschäftigten der Beteiligten zu 13) erbrächten Reparatur- und Notdienstleistungen für LKW`s. Es handele sich dabei um 12 Personen. Diese Einheit sei in den Bereich „Customer Service Management“ der Beteiligten zu 10) integriert. Die Einheit werde dort als Untereinheit von „Service Quality“ geführt. Deren Leiterin, Frau, sei gleichzeitig Geschäftsführerin der Beteiligten zu 13) und sie übe die Leitungsfunktion für alle Beschäftigten ihrer Einheit aus. Die Personalabteilung der Beteiligten zu 10) sei auch für diese Beschäftigten zuständig und für Entscheidungen in sozialen und personellen Angelegenheiten verantwortlich. Selbst wenn die betriebliche Einheit nicht korrekt ermittelt worden sein sollte, könnten die Antragsteller ihre Anfechtung nicht auf diesen Umstand stützen. Sie hätten Einspruch gegen die Wählerliste erheben müssen, wenn sie Einwände gegen die Einbeziehung der Beschäftigten der Beteiligten zu 11) bis 13) und der daraus folgenden Nennung der entsprechenden Beschäftigten auf der Wählerliste hatten. Die Erhebung des Einspruchs sei Voraussetzung dafür, dass der Fehler später im Anfechtungsverfahren gerügt werden könne (§ 19 Abs. 3 BetrVG) und ein entsprechender Einspruch sei nicht erhoben worden.
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Die Größe des Betriebsrats sei korrekt bestimmt worden. In der Regel seien in dem gemeinsamen Betrieb über 9.000 Beschäftigte tätig und daher sei ein 37-köpfiges Gremium zu wählen gewesen. Der Wahlvorstand habe seine Feststellung zur Ermittlung der Regelbeschäftigtenzahl auf Basis der Informationen getroffen, die die Arbeitgeber des Gemeinschaftsbetriebs für die Erstellung der Wählerliste überreicht hätten. Die Zahl der Wahlberechtigten im Betrieb habe sich zum Zeitpunkt der Überreichung der Informationen für die Erstellung der Wählerliste auf insgesamt 9.352 Personen belaufen.
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Die Anfechtbarkeit der Wahl habe sich auch nicht aus weiteren Gründen ergeben. Es habe keine unzulässige Einschränkung der Möglichkeit vorgelegen, Wahlwerbung im Betrieb zu machen. Es sei unzutreffend, dass die Zugangsrechte bestimmter Wahlbewerber gegenüber denjenigen anderer Wahlbewerber eingeschränkt gewesen seien. Es habe einheitliche Grundsätze zur Wahlwerbung für die Betriebsratswahl gegeben. Alle Beschäftigten hätten also die Möglichkeit gehabt, nach vorheriger Anmeldung zu Zwecken der Wahlwerbung auch solche Bereiche aufzusuchen, zu denen sie ansonsten keinen Zugang hätten. Davon habe z.B. die Liste 5) für das S1-Gebäude Gebrauch gemacht, um dort Werbe-Aushänge für ihre Liste anzubringen. Entgegen der Behauptung der Antragsteller habe Herr J1 mit Ausnahme von Gebäude 7 keinen Zutritt zu den angegebenen Gebäuden gehabt. Unzutreffend sei auch die Behauptung, dass der Beteiligte zu 1) aufgrund seines Hausverbots keine Wahlwerbung hätte betreiben können. Es könne von Seiten des Betriebsrats nicht nachvollzogen werden, dass der mit dem Beteiligten zu 1) geschlossene Vergleich im Vortrag der Antragsteller keinerlei Erwähnung finde und stattdessen tatsachenwidrig behauptet werde, dass der Beteiligte zu 1) aufgrund eines Hausverbots keinen Zutritt zum Betrieb zum Zweck der Wahlwerbung gehabt habe. Im Übrigen habe die Liste 6) auch von den anderen Kandidatinnen und Kandidaten sowie den Unterstützerinnen und Unterstützern beworben werden können. Der Vortrag, dass Herr I1 das Büro des Wahlvorstandsvorsitzenden betreten habe, sei nicht zutreffend. Es sei zwischen dem Büro des Wahlvorstands und dem Büro des Wahlvorstandsvorsitzenden zu unterscheiden. Der in der Antragsschrift geschilderte Vorfall habe nicht das Büro des Wahlvorstandsvorsitzenden, sondern das Büro des Wahlvorstands (Raum 013) betroffen. Dieses Büro habe allen Wahlvorstandsmitgliedern zu Verfügung gestanden. Dort seien keine sensiblen Wahlunterlagen gelagert worden. Die elektronische Türöffnungsfunktion habe denjenigen Wahlvorstandmitgliedern zur Verfügung gestanden, welche dies auch ausdrücklich beantragt hätten. Es sei nicht erkennbar, welche Vorschriften dadurch verletzt worden seien, dass dem Wahlvorstandsmitglied Herrn I1 Zugang zu dem Büro gewährt wurde. Es liege auch kein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften darin, dass dem Wahlvorstandsmitglied Herrn P1 in der Poststelle die Briefwahlstimmen ausgehändigt worden seien. Es gebe keine gesetzliche Vorschrift, die vorgibt, dass Briefwahlunterlagen stets nur von zwei Wahlvorstandsmitgliedern gemeinsam transportiert werden dürften. Allein aus diesem Grund liege kein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften vor. Der Wahlvorstand habe selbst Verfahrensrichtlinien festgelegt, die vorgesehen hätten, dass Briefwahlstimmen von zwei Personen bei der Poststelle abgeholt werden sollen und so sei auch verfahren worden. Aus dem Umstand, dass eine Mitarbeiterin bei einer Kontrolle der Einhaltung dieser Verfahrensrichtlinie dem ihr bekannten Wahlvorstandsmitglied Herrn P1 auf dessen ausdrückliches Verlangen die eingegangenen Briefwahlstimmen ausgehändigt habe, könne nicht geschlossen werden, dass Wahlvorschriften verletzt worden seien. Herr P1 habe die Briefwahlstimmen in der Poststelle belassen. Ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften liege in dem Vorgang nicht. Es werde ins Blaue hinein unterstellt, dass Mitglieder des Wahlvorstands Briefwahlunterlagen abgeholt und nicht in die dafür vorgesehene Wahlurne verbracht hätten. Der Vortrag betreffend die Verwahrung der Wahlurnen im Büro von Frau D1 habe nicht erkennen lassen, gegen welche wesentlichen Wahlvorschriften hier verstoße worden sein solle. Die Antragsteller hätten selbst beschrieben, dass die Wahlurnen durch Verplombung gesichert gewesen seien. Zugang zum Büro von Frau D1 habe zudem nur diese selbst gehabt. Aus diesem Grund sei auch dieses Büro für die Verwahrung der Wahlunterlagen ausgewählt worden. Es sei beschlossen worden, dass aufgrund der Tatsache, dass nur D1 Schlüssel besitze, keine Bewachung des Raums durch einen Sicherheitsdienst notwendig sei. Die Mail von Frau D1 an Q1. sei zutreffend wiedergegeben worden. Frau D1 habe Herrn Q1 angeboten, bis zum Abschließen des Gebäudes vor dem Büro „Wache zu halten“. Dieser habe sich danach nicht mehr wegen einer Bewachung des Zimmers gemeldet. Es ist nicht erkennbar, gegen welche Vorschriften des Wahlverfahrens dadurch verstoßen worden sein solle, dass Beschäftigte nach der finalen Schließrunde durch den Sicherheitsdienst, bei der überprüft werde, dass die Gebäude menschenleer seien, kein Sonderzutrittsrecht gewährt werde. Die Antragssteller behaupteten mit gutem Grund auch selbst nicht, dass es Anzeichen eines Zugriffs auf die verplombten Wahlurnen gegeben habe. Auf den Vortrag zum Aufenthalt verschiedener Personen in Wahllokalen sei zu erwidern gewesen, dass in der Wahlvorstandssitzung vom 21.02. 2022 beschlossen worden sei, dass der Werksschutz während der Wahl und der Wahlauszählung insbesondere bei der Einhaltung von Abständen und Sicherheitskonzept unterstützen solle. K1 sei Leiter des Werksschutzes und in Ausübung seines Amtes anwesend gewesen. Er habe hierbei auch keine Wahlwerbung betrieben. Der Vortrag zu den weiteren Personen sei unsubstantiiert gewesen. Es sei zudem nicht dargetan worden, gegen welche wesentlichen Vorschriften über das Wahlverfahren hier verstoßen worden sei. Es gebe kein grundsätzliches Verbot von Wahlbewerbern, sich im Wahllokal oder dessen Nähe aufzuhalten. Es sei auch nicht vorgetragen worden, wie lange dies erfolgt sei. Im Übrigen sei der Beteiligte zu 2) als Mitglied des Wahlvorstands im VZ I-Stadt eingesetzt gewesen und hätte im Falle eines Gesetzesverstoßes selbst einschreiten müssen. N1 habe am Eingang zur Kantine und nicht in der Nähe des Wahlbereiches gestanden und sich mit zwei Vertretern einer anderen Vorschlagsliste unterhalten. Da hierbei der nach Corona erforderliche Mindestabstand nicht eingehalten worden sei, sei er von D1 angesprochen worden, nicht wegen angeblich unberechtigten Aufenthalts im Wahllokal. Ein Verstoß gegen Vorschriften bezüglich des Wahlverfahrens habe darin nicht gelegen. Der völlig unsubstantiierte Vortrag der Antragsteller zum Transport von Wahlunterlagen durch eine „junge Frau“ habe nicht erkennen lassen, gegen welche Wahlvorschriften hier verstoßen worden sei. Die Anfechtung einer Wahl könne nicht darauf gestützt werden, dass das korrekte Handeln des Wahlvorstands mit Nichtwissen bestritten werde. Es sei Sache der Antragssteller, Verstöße gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen. Der Vortrag sei daher schon aus diesem Grund unbeachtlich gewesen.
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Höchst vorsorglich werde mitgeteilt, dass es sich bei der „jungen Frau“ um das Wahlvorstandsmitglied R1 gehandelt habe, die mit Dokumenten auf dem Weg zum Wahlvorstandsvorsitzenden gewesen sei. Es sei unklar geblieben, welchen Verstoß gegen Wahlvorschriften die Antragssteller mit ihrem Vortrag zu Emails rügten. Ebenso unklar sei geblieben die Sachverhaltsdarstellung. Der Vortrag sei nicht einlassungsfähig gewesen. Höchst vorsorglich sei mitgeteilt worden, dass vermutlich ein Missverständnis auf Seiten der Antragsteller vorgelegen habe. Für den Wahlvorstand sei eine eigene Email-Adresse mit dazugehörigem Account eingerichtet worden. Die Mitglieder des Wahlvorstands hätten Zugriff auf diesen Account gehabt. Eine Überwachung des Email-Verkehrs der Mitglieder des Wahlvorstands oder eine Veränderung an den Einstellungen ihrer persönlichen Email-Konten habe es nicht gegeben. Die Anfechtung einer Wahl könne nicht darauf gestützt werden, dass das korrekte Handeln des Wahlvorstands mit Nichtwissen bestritten werde. Es sei Sache der Antragssteller, Verstöße gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen. Insofern seien Ausführungen zur Unkenntnis über den Aushang der Wahlausschreiben unbeachtlich gewesen. Höchst vorsorglich sei mitgeteilt worden, dass der Aushang des Wahlausschreibens an den Informationstafeln in allen Gebäuden und Hallen im Kernstandort erfolgt sei. Zusätzlich sei das Wahlausschreiben im Intranet veröffentlicht worden. Nach alledem habe festgestanden, dass kein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften vorgelegen habe.
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Die Beteiligten zu 10) bis 13) haben ausgeführt, es sei weder der Betriebsbegriff verkannt noch sei gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen worden. Das Wahlausschreiben (Bl. 15 d,A,) habe auf Seite 1 eindeutig auf den Betrieb der Q. einschließlich E GmbH, der U GmbH und der U GmbH hingewiesen. Somit sei klar gewesen, für welchen Betrieb die Betriebsratswahl durchgeführt werden sollte. Die dem Gemeinschaftsbetrieb angehörigen Unternehmen seien ausdrücklich bezeichnet worden. Die Beteiligten zu 10) bis 13) hätten seit vielen Jahren einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet, weshalb auch bereits seit dem Jahr 2010 ein Betriebsrat für den Gemeinschaftsbetrieb der vier beteiligten Unternehmen gewählt worden sei. Im Rahmen der Dienstleistungsvereinbarung vom Mai/Juni 2010 habe sich die Beteiligte zu 11) dazu verpflichtet, Themen der Mitbestimmung durch den für den Gemeinschaftsbetrieb gewählten Betriebsrat wahrnehmen zu lassen. Auch im Jahr 2018 sei eine Betriebsratswahl in einem Gemeinschaftsbetrieb durchgeführt worden. Im Nachgang zu der Betriebsratswahl 2018 sei ihren den Betriebsräten definierte Bereiche zur Betreuung zugeteilt worden (vgl. AG 1, Bl. 112 d.A.), woraus sich ergebe, dass auch die Beteiligten zu 11) bis 13) von dem Betriebsrat betreut worden seien. Die Beteiligten zu 11) bis 13) hätten nicht jeweils eigene Leitungsapparate. Die Führung der operativen Bereiche der Beteiligten zu 10), 12) und 13) erfolge durch die Beteiligte zu 10). Die operative Führung der Beteiligten zu 11) erfolge maßgeblich durch die Konzernleitung in T1. Im Bereich Engineering erfolge ein enger Austausch hinsichtlich der Produktion. Arbeitnehmer der Beteiligten zu 11) könnten auf das System der Beteiligten zu 10) zugreifen. Die Personalbetreuung der Arbeitnehmer der Beteiligten zu 12) und 13) erfolge einheitlich durch die HR Business Partner der Beteiligten zu 10). Die Entscheidung in Personalangelegenheiten der Beteiligten zu 11) werde durch die bei der Beteiligten zu 11) ansässige Personalabteilung getroffen. Zwischen den Beteiligten würden Betriebsmittel gemeinschaftlich eingesetzt. Die Beteiligte zu 10) stelle der Beteiligten zu 11) Teile ihrer Werksinfrastruktur zur Verfügung und erbringe Dienstleistungen unter anderen im Bereich Personaladministration, Betriebsgastronomie, Gesundheitsdienste und Weiterbildung. Gemeinsamer arbeitstechnische Zweck zwischen den Beteiligten zu 10) und 11) liege in der gemeinsamen Entwicklung und Produktion von LKWs für die Automobilindustrie. Zwischen den Beteiligten zu 10) und 11) erfolge zudem ein enger Austausch an gegenseitigen Produkten und insbesondere auch Knowhow: Durch Schnittstellen sei gewährleistet, dass die Mitarbeiter gegenseitig Zugriff auf die Systeme hätten und somit z.B. Fahrzeugdaten, Einkaufsverträge, Zeichnungen etc. austauschen könnten (vgl. im Einzelnen Bl. 108 ff. der Akten). Da die beteiligten Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb bildeten, sei die Größe des Betriebsrates nicht fehlerhaft bestimmt (vgl. im Einzelnen Bl. 109 d. A.). Es habe auch keine Verletzung der Chancengleichheit der Wahlbewerber oder eine unzulässige Wahlbeeinflussung / Wahlbehinderung vorgelegen. Die Beteiligten zu 10) bis 13) hätten keine Kenntnis über Beschwerden hinsichtlich der Zutrittsberechtigung von einzelnen Wahlkandidaten. Von dem behaupteten Vorfall am 28.02. 2022 hätten die Beteiligten zu 10) bis 13) keine Kenntnis gehabt. Insoweit werde dies mit Nichtwissen bestritten. Ob über den erwähnten Vorfall hinaus auch in weiteren Fällen eingegangene Briefe nicht ordnungsgemäß ausgehändigt worden seien, sei reine Spekulation und nicht näher vorgetragen worden. Insoweit hätten sich auch keine Anhaltspunkte ergeben, dass in weiteren Fällen Briefwahlunterlagen nicht ordnungsgemäß ausgehändigt worden seien. Die Möglichkeit des Zutritts habe für die Wahlbewerber je nach individueller Zugangsberechtigung (abhängig vom jeweiligen Tätigkeitsfeld) bestanden, sofern diese nicht einem Hausverbot unterlegen hätten (Beteiligter zu 1). Da es sich teilweise um Sicherheitsbereiche handele, müssten diese gesondert freigeschaltet werden. Bei den Beteiligten zu 10) bis 13) seien keine Anfragen bzgl. der Erteilung von zusätzlichen Zutrittsberechtigungen eingegangen. Diese wären für die Wahlbewerber erteilt worden. Die Wahlurnen seien jeweils am Ende eines Wahltages gesondert versiegelt und über Nacht in einem abgeschlossenen Büro aufbewahrt worden. Sämtliche Wahlurnen seien jede Nacht am Ende des jeweiligen Wahltages durch die zuständigen Wahlvorstandsmitglieder gemeinsam in das Büro von Frau D1 verbracht und dort verschlossen worden. Die bloße Vermutung der Antragsteller, dass unzulässiger Weise weitere Stimmzettel in die Wahlurne geworfen worden seien, sei nicht ausreichend. Es hätten sich vom tatsächlichen Ablauf her keine Anhaltspunkte ergeben für die von den Antragstellern geäußerte Vermutung. Von den behaupteten Vorfällen am 01.03.2022 hätten die Beteiligten zu 10) bis 13) keine Kenntnis. Insoweit würden diese mit Nichtwissen bestritten. Von dem behaupteten weiteren Vorfall am 01.03.2022 hätten die Beteiligten zu 10) bis 13) keine Kenntnis. Insoweit werde dieser ebenfalls mit Nichtwissen bestritten. Von der behaupteten Äußerung zur Nachverfolgung der E-Mail-Kommunikation hätten die Beteiligten zu 10) bis 13) keine Kenntnis. Insoweit werde diese mit Nichtwissen bestritten. Des Weiteren stelle sich hier die Frage, wie dieser Punkt das Wahlergebnis geändert oder beeinflusst haben solle. Eine Kausalität sei nicht ersichtlich gewesen. Das Wahlausschreiben sei in sämtlichen Gebäuden der Beteiligten zu 10) bis 13) ausgehangen.
20
Im Nachgang zu der ersten Anhörung vor der Kammer am 10.11.2022 hat das Arbeitsgericht den Beteiligten zu 10) bis 13) durch Beschluss vom 14.12.2022 zur Klärung der Frage des Vorliegens eines Gemeinschaftsbetriebes Fragen zur Beantwortung aufgegeben. In der mündlichen Anhörung vor der Kammer am 30.03.2023 haben die Vertreter der Beteiligten zu 9) bis 13) erstmals mitgeteilt, dass zwischenzeitlich zwischen den Beteiligten zu 10) bis 13) und der H1 Bezirksleitung Bayern ein Tarifvertrag über Betriebsratsstrukturen vom 24.01.2023 mit einem rückwirkenden Inkrafttreten zum 01.10.2021 vereinbart worden sei, der aber noch nicht von allen Vertragsparteien unterzeichnet worden sei.
21
Das Arbeitsgericht hat die Betriebsratswahl wegen einer Verkennung des Betriebsbegriffs für unwirksam erklärt. Es hat darauf verwiesen, dass es habe dabei dahinstehen können, ob der in der mündlichen Anhörung vorgelegte Tarifvertrag über Betriebsratsstrukturen rückwirkend Auswirkungen auf die seinerzeitige Betriebsratswahl haben könne, weil dieser jedenfalls zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Anhörung noch nicht von allen Parteien unterzeichnet gewesen sei und damit auch noch nicht in Kraft getreten sei. Der Wahlvorstand sei bei der Betriebsratswahl zu Unrecht von dem Bestehen eines gemeinsamen Betriebs zwischen den Beteiligten zu 10) bis 13) ausgegangen. Das Arbeitsgericht hat zunächst unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgeführt, dass ein Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes die organisatorische Einheit sei, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mithilfe technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolge und dass ein Betrieb auch von mehreren Arbeitgebern als gemeinsamer Betrieb geführt werden könne. Von einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen sei dann auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt würden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werde. Die beteiligten Unternehmen müssten sich ausdrücklich oder zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben und die einheitliche Leitung habe sich auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und sozialen Angelegenheiten zu erstrecken, wobei eine lediglich unternehmerische Zusammenarbeit nicht genüge. Vielmehr müssten die Funktionen des Arbeitgebers institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden und für die Frage, ob der Kern der Arbeitgeberfunktionen in sozialen und personellen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung ausgeübt werde, sei vor allem entscheidend, ob ein arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz praktiziert werde, der charakteristisch für den normalen Betriebsablauf sei. An der Wahrnehmung der maßgeblichen Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten durch eine Leitung fehle es bei Formen der unternehmerischen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern, bei denen die Arbeitnehmer nur von ihren jeweiligen Vertragsarbeitgebern eingesetzt würden oder wenn sich die Beteiligung eines Arbeitgebers auf das Zur-Verfügung-Stellen seiner Arbeitnehmer an einen Arbeitgeber beschränke. Abweichende Regelungen könnten gemäß § 3 BetrVG durch Tarifvertrag getroffen werden, wonach es den Tarifvertragsparteien erlaubt sei, den Betrieb als Organisationsbasis für die betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung durch eine abweichende Regelung zu ersetzen und an die Stelle des Betriebes trete die auf Grund des Tarifvertrages gebildete Organisationseinheit. Bei Würdigung dieser Grundsätze sei nach den Ausführungen des Arbeitsgerichts nicht von einem gemeinsamen Betrieb der Beteiligten zu 10) bis 13) auszugehen gewesen. Es habe zwar wohl ein gemeinsamer Betrieb zwischen den Beteiligten zu 10), 12) und 13 bestanden, da die Beteiligten zu 12) und 13) aus der Beteiligten zu 10) hervorgegangen seien und im Ergebnis ehemalige Abteilungen der Beteiligten zu 10) als selbstständige Gesellschaften fortgeführt worden seien, es habe aber jedenfalls kein gemeinsamer Betrieb mit der Beteiligten zu 11) bestanden. Die anlässlich der Gründung des Joint Venture getroffene Betriebsvereinbarung vom 23.09.2009 habe nicht für die Annahme eines gemeinsamen Betriebs zwischen den beteiligten Unternehmen ausgereicht. Aus dieser Betriebsvereinbarung sei lediglich hervorgegangen, dass die beteiligten Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb gründen „werden“. Dies habe lediglich eine im Rahmen einer Betriebsvereinbarung abgebildete Absichtserklärung dargestellt. Maßgeblich sei jedoch gewesen, ob über eine solche Erklärung hinaus auch tatsächlich ein gemeinsamer Betrieb eingerichtet worden sei und dass die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Voraussetzungen erfüllt seien. Nach der Auffassung des Arbeitsgerichts habe zwischen der Beteiligten zu 10) und der Beteiligten zu 11) nur eine rein unternehmerische Zusammenarbeit bestanden. Auch wenn die beiden Unternehmen in gewisser Weise einen gemeinsamen Zweck verfolgten, nämlich den Bau von Fahrzeugen, so würden dadurch lediglich Synergieeffekte genutzt und die Zusammenarbeit habe auf einer Vielzahl von Dienstverträgen beruht, was gegen eine einheitliche unternehmerische Steuerung spreche. Ein einheitlicher arbeitstechnischer Zweck im Sinne Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei jedenfalls nicht verfolgt worden. Die Produktion der Fahrzeuge sei in getrennten Produktionshallen erfolgt, ein Austausch von Arbeitnehmern habe allenfalls einseitig stattgefunden und die für die Beteiligte zu 11) maßgeblichen Entscheidungen in personellen und sozialen Angelegenheiten würden für die Beteiligte zu 11) aus I getroffen: Die in den jeweiligen Betriebsstätten am Standort A-Stadt vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel seien nicht zusammengefasst, geordnet und gezielt gemeinsam eingesetzt worden. Schließlich hat das Arbeitsgericht auch darauf abgestellt, dass die mit seinem Beschluss vom 14.12.2022 gestellten Fragen nicht hinreichend bzw. nicht substantiiert beantwortet worden seien. Darauf, dass die behauptete Vielzahl von Dienstverträgen aus der Sicht des Arbeitsgerichts eher gegen einen Gemeinschaftsbetrieb gesprochen hätte, sei gar nicht eingegangen worden. Die Beteiligten zu 10) bis 13) hätten sich vor allem auf die zwischen der Beteiligten zu 10) und 11) abgeschlossenen Dienstleistungsvereinbarung vom Mai/Juni 2010 berufen, wonach unter § 1 iVm. Anl. 2 geregelt sei, dass die Beteiligte zu 10) für die Beteiligte zu 11) ua. alle einem Betriebsrat zugewiesenen Aufgaben übernehmen sollte und sich die Beteiligte zu 11) im Gegenzug dazu verpflichte, diesen in Anspruch zu nehmen und Themen der Mitbestimmung durch den für den Gemeinschaftsbetrieb gewählten Betriebsrat wahrnehmen zu lassen. Auch diese – wohl unwirksame – Vereinbarung habe gegen einen Gemeinschaftsbetrieb gesprochen, weil die Beteiligte zu 10) nicht über den bei ihr gebildeten Betriebsrat verfügen könne und insbesondere sei der Betriebsrat keine Dienstleistung, die im Rahmen eines Dienstvertrages zwischen zwei Unternehmen angeboten werden könne. Ein gemeinsamer arbeitstechnischer Zweck zwischen den Beteiligten zu 10) bis 13) sei wiederum nicht dargelegt worden und es habe auch an einer gemeinsamen Betriebsstätte gefehlt, in der die Betriebsmittel und die Arbeitnehmer zur Erreichung eines einheitlichen arbeitstechnischen Zwecks von den beteiligten Arbeitgebern zusammengefasst und von einer einheitlichen Leitung eingesetzt seien. Zugestanden hätten die Beteiligten zu 10) bis 13) hingegen, dass die operative Führung der Beteiligten zu 11) maßgeblich durch die Konzernleitung in T1 erfolge und auch dies habe einer (konkludenten) Führungsvereinbarung zwischen den Beteiligten widersprochen. Es sei zudem auch nicht einmal behauptet worden, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Reichbereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt werde.
22
Hinsichtlich der ausführlichen und sorgfältigen Begründung im Einzelnen wird auf die Seiten 17 – 23 (Bl. 289 – 295 d.A.) des erstinstanzlichen Beschlusses verwiesen.
23
Gegen diesen Beschluss des Arbeitsgerichts vom 30.03.2023, der den Beteiligten zu 9) bis 13) jeweils am 17.04.2023 zugestellt wurde, hat der Betriebsrat mit einem am 11.05. 2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt, die er mit einem am 19.07.2023 begründet hat, nachdem zuvor bis zu diesem Tag die Frist zur Beschwerdebegründung verlängert worden war. Die Beteiligten zu 10) bis 13) haben am 17.05.2023 eine Beschwerde eingelegt, die sie mit einem am 17.07.2023 eingegangenen Schriftsatz begründet haben, nach zuvor die Frist zur Beschwerdebegründung bis zu diesem Tag verlängert worden war.
24
Die Beteiligten zu 10) bis 13) meinen, das Arbeitsgericht gehe zu Unrecht von einer Verkennung des Betriebsbegriffs bei der durchgeführten Wahl aus, denn sie würden einen gemeinsamen Betrieb bilden. Sie verweisen darauf, dass sie mit Datum vom 24.01.2003 mit der H1 Bezirksleitung Bayern einen Tarifvertrag über Betriebsratsstrukturen (fortan: TV BR-Struktur) abgeschlossen hätten (Bl. 391 – 392 d.A.), wonach die Beteiligten zu 10) bis 13) einen gemeinsamen Betrieb darstellten und dieser Tarifvertrag sei gemäß § 4 Abs. 1 bereits am 01.10.2021 in Kraft getreten. Hinsichtlich der Unterzeichnung des TV BR-Struktur gestehen sie zu, dass diese zum Zeit der letzten mündlichen Anhörung vor dem Arbeitsgericht noch die zweite Unterschrift bei der U. gefehlt habe, doch sei dieser Tarifvertrag inzwischen von allen Parteien unterzeichnet worden. Somit sei unter formellen Gesichtspunkten die Regelungsbefugnis gemäß § 4 BetrVG vorgelegen, von der auch Gebrauch gemacht worden sei. Die Rückwirkung durch den TV BR-Struktur sei möglich, denn Tarifverträge könnten grundsätzlich auch rückwirkend in Kraft treten. Diesbezüglich verweisen sie auf Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts und diese seien insbesondere auf die Rückwirkung für den TV BR-Struktur anwendbar. Zudem seien die Arbeitnehmer der Beteiligten zu 10. bis 13. im Rahmen des Wahlausschreibens darüber informiert worden, dass die Wahl eines Betriebsrates im Betrieb der Q. einschließlich S., der U. und der W. stattfinde und somit ein Betriebsrat für einen Gemeinschaftsbetrieb gewählt werde. Insoweit bestünde auch ein schützenwertes Vertrauen der wahlberechtigten Arbeitnehmer dahingehend, dass der Wahlvorstand dem Betriebsbegriff gerade nicht verkannt habe.
25
Der Betriebsrat schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen der Beteiligten zu 10. bis 13. im Hinblick auf eine Nichtverkennung des Betriebsbegriffs an und verweist darauf, dass auch in den Jahren 2013 und 2018 dementsprechend Betriebsratswahlen durchgeführt worden seien. Er behauptet aber auch, dass Aufgaben im personellen und sozialen Angelegenheiten aufgrund geschlossener Vereinbarungen auf die Beteiligten zu 10. und 11 verteilt seien und dass sich aus dieser Verteilung in der Gesamtbetrachtung eine gemeinsame Leitung, ergebe, die das gesamte Spektrum an Kompetenzen abdecke. Er bemängelt weiter, dass das Arbeitsgericht die durch die Betriebsrätereformgesetz eingeführte Norm des § 19 Abs. 3 BetrVG zu Unrecht außer Betracht ließ. Vielmehr hätten die Antragsteller Einspruch gegen die Wählerliste erheben müssen.
26
Die Beteiligten zu 9 bis 13 beantragen:
- 1.
-
Der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 30.03.2023, AZ: 13 BV 51/22 wird abgeändert.
- 2.
-
Der Antrag der Beteiligten zu 1 bis 8.auf Feststellung, dass die in der Zeit vom 01.03.2022 bis 04.03.2022 bei den Beteiligten zu 10.-13. durchgeführte Betriebsratswahl unwirksam war, wird zurückgewiesen.
27
Die Beteiligten zu 1 bis 8 beantragen
die Zurückweisung der Beschwerde.
28
Sie bestreiten mit Nichtwissen, dass und wer von den Beteiligten zu 10 bis 13 den TV BRStruktur unterzeichnet haben. Die Unterzeichnenden seien nicht namentlich genannt und es könnte auch aus den Unterschriften nicht entnommen werden, wer diese Personen seien und ob sie auch für das jeweilige Unternehmen vertretungsbefugt seien. Der Tarifvertrag sei aber auch unwirksam, weil er rückwirkend für die Zeit ab dem 01.10.2021 abgeschlossen worden sei, wobei die Beteiligten zu 9 bis 13 nicht einmal dargelegt hätten, warum dieser Zeitpunkt ausgewählt worden sei. Die Annahme des Betriebsrates, dass die gesetzliche Regelung eine rückwirkende Regelung nicht ausschließe, sei unzutreffend, denn aus § 3 Abs. 4 Satz 2 BetrVG gehe eindeutig etwas Anderes hervor. Da dort geregelt sei:
„Sieht der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung einen anderen Wahlzeitpunkt vor, endet die Amtszeit bestehender Betriebsräte, die durch die Regelungen nach Absatz 1 Nr. 1 bis 3 entfallen, mit Bekanntgabe des Wahlergebnisses.“
29
Hieraus gehe ganz klar hervor, dass eine nachträgliche Vereinbarung, die für die Zeit vor der Wahl des Betriebsrates im März 2022 geltend solle, nicht möglich sei. Nach der Ansucht der Beteiligten zu 1 bis 8 hätte der TV BR-Struktur spätestens vor Bestellung des Wahlvorstandes geschlossen sein müssen, was unstreitig nicht erfolgt sei. Den Zeitpunkt ab dem der Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG anzuwenden sei, könnten die Tarifvertragsparteien nach § 3 Abs. 4 nur für die Zukunft, aber niemals für die Vergangenheit regeln bzw. festlegen.
30
Zum weiteren Sachvortrag der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze im Beschwerdeverfahren vom 17.07.2023 (Blatt 371 ff.), 19.07.2023 (Blatt 381 ff.), 18.10.2023 (Blatt 428 ff.), 23.10.2023 (Blatt 442 bis 443 der Akte) sowie vom 22.01.2024 (Blatt 450 ff.) verwiesen. Des Weiteren wird, insbesondere zur Prozessgeschichte, auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Sitzungsniederschrift vom 26.01.2024 (Blatt 457 bis 460) und vom 20.02.2024 (Blatt 463 bis 466) Bezug genommen.
31
Die zulässige Beschwerde des Betriebsrates und der Beteiligten zu 10 bis 13 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 30.03.2023 – 13 BV 51/22 ist unbegründet.
32
Das Arbeitsgericht hat zu Recht die vom 01.03.2022 bis 04.03.2022 durchgeführte Betriebsratswahl wegen der Verkennung des Betriebsbegriffs für unwirksam erklärt. Eine Bezugnahme auf die zutreffenden und gründlichen Ausführungen des Arbeitsgerichts ist aber auf Grund der dazu fehlenden gesetzlichen Regelung nicht möglich (vgl. Germelmann, Matthes, Prütting, ArbGG 9. Aufl. § 91 Rn 5 mwN.).
33
1. Nach § 19 BetrVG können ua. mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer, die Betriebsratswahl anfechten, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte, wobei die Wahlanfechtung innerhalb von zwei Wochen ab der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen muss.
34
2. Die formellen Voraussetzungen einer zulässigen Wahlanfechtung sind erfüllt. Bei den Antragstellern, den Beteiligten zu 1 bis 8, handelt es sich um mehr als drei Wahlberechtigte und sie sind nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BetrVG zur Wahlanfechtung berechtigt. Ihr Wahlanfechtungsantrag ist am 18. März 2022 beim Arbeitsgericht eingegangen und erfolgte damit rechtzeitig iSd. § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG innerhalb von zwei Wochen nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses durch den Wahlvorstand am 04.03.2022.
35
3. Ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften liegt ua. vor, wenn bei der Wahl der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff verkannt wurde (vgl. BAG, 23.11.2016 – 7 ABR 3/15; 19.11. 2003 – 7 ABR 25/03). Betriebsratsfähige Organisationseinheiten liegen vor, wenn es sich bei den Einrichtungen um Betriebe iSv. § 1 Abs. 1 BetrVG, um selbständige Betriebsteile nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG oder um betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten iSv. § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG handelt. Im Falle einer tarifvertraglich gewillkürten Vertretungsstruktur liegt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften vor, wenn eine Betriebsratswahl unter Anwendung eines unwirksamen Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG durchgeführt wurde (vgl. hierzu BAG, 29. 07.2009 – 7 ABR 27/08) oder der Wahlvorstand bei der Anwendung eines wirksamen Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG die danach maßgebliche betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheit verkannt hat (vgl. BAG, 13.03.2013 – 7 ABR 70/11; 21.09.2011 – 7 ABR 54/10). Ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften liegt ebenfalls vor, wenn der Wahlvorstand eine tarifvertraglich gewillkürte Vertretungsstruktur zugrunde legt, die bei dem Arbeitgeber aus anderen Gründen nicht gilt und es sich bei der zugrunde gelegten Einheit nicht um einen Betrieb iSv. § 1 Abs. 1 BetrVG bzw. einen selbständigen Betriebsteil nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG handelt (vgl. zum Ganzen BAG, 21.07.2023 – 7 ABR 19/22). Die Berechtigung zur Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 1 BetrVG ist vorliegend auch nicht auch nicht durch den Verweis auf § 19 Abs. 3 BetrVG ausgeschlossen, denn bei dieser Vorschrift geht es um die Unrichtigkeit der Wählerliste mit der Frage, ob bestimmte Personen wahlberechtigt sind oder zu Unrecht von der Wahl ausgeschlossen sind. Über § 19 Abs. 3 BetrVG soll aber keinesfalls der in seiner Auswirkung wesentlich bedeutender und maßgebliche Begriff des Betriebs in einem Vorfeld der Wahl geklärt werden. Bei einer vermeintlichen Verkennung des Betriebsbegriffs kommt allenfalls über die Anrufung der Arbeitsgerichte das Instrument des Abbruchs einer Wahl in Betracht. Dass über § 19 Abs. 3 BetrVG nicht auch die Frage des Betriebsbegriffs geregelt werden soll, zeigt auch die zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.07.2023 – 7 ABR 19/22, in der es diese Thematik nicht aufgegriffen hat bzw. nicht einmal erwähnt hat.
36
4. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer bilden die Beteiligten zu 10, 12 und 13 jedenfalls mit der Beteiligten zu 11 keinen gemeinsamen Betrieb mit der Folge, dass mangels eines gemeinsamen Betriebs die Wahl eines Betriebsrats für einen Gemeinschaftsbetrieb bestehend aus den Beteiligten zu 10 bis 13 wegen der Verkennung des Betriebsbegriffs unwirksam ist.
37
a) Ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen liegt vor, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel mehrerer Unternehmen zu arbeitstechnischen Zwecken zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat betriebsbezogen gesteuert wird. Die beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben, so dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird. Eine lediglich unternehmerische Zusammenarbeit genügt nicht (vgl. BAG, 01.06.2023 – 2 AZR 150/22; 20.05.2021 – 2 AZR 560/20).
38
b) Vorliegend ist nach den von den Beteiligten zu 10 bis 13 im Verfahren gegebenen Auskünften nicht einmal ansatzweise erkennbar, dass bezüglich der Beteiligten zu 11, der S., der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich nicht von dieser ausgeübt wird, sondern auf eine gemeinschaftliche Leitung mit den Beteiligten zu 10, 12 und 13 übertragen wurde. So hat auch die Vertreterin der Beteiligten zu 11 im Anhörungstermin am 10.11.2022 ausweislich der Sitzungsniederschrift (Bl. 226 d.A.) vor dem Arbeitsgericht erklärt, dass die Beteiligte zu 11 Einstellungen nach Bewerbungsverfahren selber durchführt und schließlich hat die Beteiligte zu 11 mit Schriftsatz vom 20.01.2023 auf Seite 3 Ziffer 4 (Bl. 244 d.A.) vortragen lassen, dass die Entscheidungen in Personalangelegenheiten insbesondre Einstellungen, Versetzungen, Kündigungen durch die bei ihr ansässige Personalabteilung getroffen werden. Damit ist es offensichtlich, dass im Hinblick auf den personellen Bereich die Beteiligte zu 11 ihren Verantwortungsbereich selbst ausübt und gerade nicht auf andere Verfahrensbeteiligte übertragen hat. Es spricht zwar alles dafür, dass eine unternehmerische Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten zu 10 bis 13 vorliegt, doch ist dies nicht ausreichend dafür, dass die Beteiligte zu 11 sich mit den Beteiligten zu 10, 12 und 13, auch nicht stillschweigend, zu einer gemeinsamen Führung rechtlich dergestalt verbunden hat, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung (im Übrigen durch welche Personen) ausgeübt wird.
39
5. Die vorliegende Verkennung des Betriebsbegriffs mit der Folge der Unwirksamkeit der durchgeführten Wahl wird auch nicht durch den vorgelegten TV BR-Struktur geheilt. Unstreitig wurde dieser Tarifvertrag erst deutlich nach dem Ende der Wahl unterschrieben und ist jedenfalls ab diesem Zeitpunkt für die Zukunft in Kraft getreten. Soweit § 4 des Tarifvertrags eine Rückwirkung vorsieht, ist dies mit den Grundsätzen einer bereits nach demokratischen Grundsätzen durchgeführten Wahl nicht einmal ansatzweise vereinbar, denn das TV BR-Struktur festgesetzte Rückwirkungsdatum ist schlichtweg willkürlich und demokratiegefährdend und damit unwirksam. Ein Rückwirkungsdatum das wie vorliegend, eine bereits durchgeführte Wahl betrifft, birgt die Möglichkeit einer Wahlmanipulation im Nachhinein und ist damit offensichtlich rechtswidrig. Denn es kann nicht sein, dass eine nach demokratischen Grundsätzen durchgeführte Wahl im Nachhinein unwirksam wird, weil durch einen Tarifvertrag ein neuer Betriebsbegriff geschaffen wird. Eine entsprechend Regelung nach § 3 BetrVG kann und darf nur für die Zukunft Wirkung haben, denn ansonsten würde in unerträglicher Weise der Wählerwille, der in der bereit durchgeführten Wahl sein Abbild gefunden hat, ausgehebelt und missachtet.
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Die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung wird zugelassen.