Inhalt

LArbG München, Beschluss v. 16.08.2024 – 3 Ta 62/24
Titel:

Gegenstandswert, Streitwert, allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch, Weiterbeschäftigungsantrag, unechter/uneigentlicher Hilfsantrag, gerichtlicher Vergleich

Normenketten:
GKG: §§ 39 Abs. 1, 42 Abs. 2, 45 Abs. 1 S. 2 und Abs. 4
BetrVG: § 102 Abs. 5 S. 1
RVG: § 33
Leitsätze:
1. Ein Weiterbeschäftigungsantrag, mit dem allein der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch (BAG, Beschluss vom 27.02.1985 - GS 1/84) geltend gemacht wird, kann auch dann als unechter Hilfsantrag auszulegen sein, wenn sich aus dem Antragswortlaut dessen Bedingtheit nicht unmittelbar ergibt. 
2. Die Annahme eines mit dem Kosteninteresse der klagenden Partei regelmäßig nicht vereinbaren unbedingten Weiterbeschäftigungsantrags erfordert eindeutige Anhaltspunkte bwz. eine diesbezügliche Erklärung in der Klagebegründung. Bei Zweifeln hat das Gericht gem. § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO auf eine Klarstellung der Antragsstellung hinzuwirken.
3. Ist der Weiterbeschäftigungsantrag als unechter Hilfsantrag auszulegen, ist für ihn bei vergleich-weiser Erledigung des Rechtsstreits nach § 45 Abs. 4 GKG nur dann ein Wert anzusetzen, wenn der Vergleich zur Frage der Beschäftigung über den Kündigungstermin hinaus eine Regelung enthält.
Schlagworte:
Gegenstandswert, Streitwert, allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch, Weiterbeschäftigungsantrag, unechter/uneigentlicher Hilfsantrag, gerichtlicher Vergleich
Vorinstanz:
ArbG Augsburg, Beschluss vom 08.03.2024 – 4 Ca 1724/23
Fundstellen:
FDArbR 2024, 023537
BeckRS 2024, 23537

Tenor

Auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Augsburg vom 08.03.2024 – 4 Ca 1724/23 – teilweise unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Gegenstandswert des Verfahrens wird zum Zwecke der anwaltlichen Gebührenberechnung auf 37.524,00 € festgesetzt.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Gebühr nach Nr. 8614 der Anlage 1 zum GKG zu tragen.

Gründe

1
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Festsetzung des Gegenstandswerts für ein Verfahren.
2
Mit seiner Klage hat der Kläger zu 1. die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihm zur Wiedererlangung und/oder Neuausstellung seiner kamerunischen Geburtsurkunde entstehen würden, und zu 2. bis 4 die Verurteilung der Beklagten zur Entfernung der Abmahnungen vom 07.07.2023, 07.08.2023 und 21.08.2023. Im Wege der ersten Klageerweiterung hat der Kläger zu 5. einen Kündigungsschutzantrag gegen die Kündigung vom 14.09.2023 zum 31.12.2023 und zu 6. einen allgemeinen Feststellungsantrag gestellt. Mit der zweiten Klageerweiterung hat er zu 7. seine vorläufige Weiterbeschäftigung mit der Begründung des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs, zu 8. bis 13. verschiedenen Auskünfte nach der DSG-VO, zu 14. Kopie der personenbezogenen Daten und zu 15. Zahlung von 5.000,00 € verlangt.
3
Durch gerichtlichen Vergleich vom 08.02.2024 vereinbarten die Parteien die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund der ordentlichen Kündigung vom 14.09.2024 gegen Zahlung einer Abfindung zum 31.12.2023. Wegen der weiteren Regelungen wird auf das Verhandlungsprotokoll Bezug genommen.
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Nach Anhörung des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten hat das Arbeitsgericht Augsburg durch Beschluss vom 08.03.2024 – 4 Ca 1724/23 – gem. § 33 RVG den Gegenstandswert für das Verfahren auf 38.024,00 € und für den Vergleichsmehrwert auf 7.279,00 € festgesetzt. Dabei hat das Arbeitsgericht u. a. für den zu 1. gestellten Antrag auf Feststellung etwaiger Schäden im Zusammenhand mit der Wiedererlangung und/oder Neuausstellung der kamerunischen Geburtsurkunde 500,00 €, für die drei Anträge zu 2. bis 4. betreffend die Entfernung der Abmahnungen zwei Bruttomonatsvergütungen und für den Weiterbeschäftigungsantrag eine Bruttomonatsvergütung festgesetzt. Die Bruttomonatsvergütung betrug 5.254,00 €. Dieser Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20.03.2024 und dem Kläger am 26.03.2024 zugestellt.
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Gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfahren hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit am 21.03.2024 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und beantragt, hierfür 46.778,00 € festzusetzen. Bei der Bemessung des Feststellungsantrags hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs sei der Sachvortrag des Klägers zu berücksichtigen, wonach die Geburtsurkunde vor Ort in Kamerun beantragt und abgeholt werden müsse. Es sei ein Gegenstandswert von mindestens 5.000,00 € anzusetzen. Es seien nur zwei der drei Anträge auf Abmahnungsentfernung berücksichtigt worden.
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Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Der Wert des Feststellungsantrags zu 1. sei mit 500,00 € angemessen berücksichtigt. Es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger extra und zum alleinigen Zwecke der Besorgung der Geburtsurkunde nach Kamerun fliegen würde. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, warum dies nicht im Zuge eines eventuell ohnehin geplanten Aufenthalts in Kamerun möglich sein solle. Der Kläger habe zu den Flügen keine Wertangaben gemacht. Auch sei nicht belegt, dass allein eine persönliche statt eine Beantragung durch einen Bevollmächtigten vor Ort in Betracht komme. Gebühren und Versand dürften den Betrag von 500,00 € nicht überschreiten.
7
Durch Beschluss vom 08.04.2024 hat das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass der Weiterbeschäftigungsantrag nicht werterhöhend zu berücksichtigen sei. Es entspreche der Rechtsprechung der seit dem 01.06.2024 allein zuständigen Beschwerdekammer, dass der in einem Bestandsstreit hilfsweise gestellte Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung nur dann bei der Gegenstandswertfestsetzung nach § 45 Abs. 4 iVm. Abs. 1 S. 2 GKG zu berücksichtigen sei, wenn ein über den Entlassungstermin der angegriffenen Kündigung hinausgehender Bestand des Arbeitsverhältnisses vereinbart werde und dieser Beendigungszeitpunkt bei Vergleichsabschluss bzw. Ablauf der Widerrufsfrist noch nicht verstrichen sei (LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23Rn. 85). Für den Feststellungsantrag zu 1. dürfte ein Abschlag von mindestens 20% einer etwaigen Schadenssumme geboten sein.
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Im Rahmen seiner Stellungnahme hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers behauptet, dass dem Kläger durch das Generalkonsulat telefonisch die Auskunft erteilt worden sei, dass die Beantragung und die Abholung persönlich und vor Ort geschehen müssten. Hin- und Rückflug von A-Stadt nach Z würden ca. 2.500,00 € kosten. Hinzu kämen die Fahrtkosten zu den Flughäfen, die Unterbringungskosten und die behördlichen Gebühren. Es sei weder vorgetragen noch korrekt, dass es einen ohnehin geplanten Aufenthalt in Kamerun gäbe. Der Weiterbeschäftigungsantrag sei unbedingt gestellt worden. Auch als unechter Hilfsantrag sei er zu berücksichtigen, da das Verfahren durch Vergleich geendet habe.
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Der Kläger hat keine Stellungnahme abgegeben.
II.
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Die Beschwerde ist zulässig, aber im Ergebnis unbegründet.
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1. Die nach § 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthafte Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Der Beschwerdewert ist bei dem um mehrere Tausend EURO höheren begehrten Verfahrenswert erreicht, § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG.
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2. Die Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet. Der Gegenstandswert für das Verfahren ist auf 37.524,00 € festzusetzen.
13
a) Die seit dem 01.06.2023 für Gegenstands- und Streitwertbeschwerden zuständige Kammer gibt die von ihr bisher vertretene Auffassung ausdrücklich auf, dass die Entscheidung des Erstgerichts vom Beschwerdegericht nur auf Ermessensfehler zu überprüfen ist und das Beschwerdegericht keine eigene hiervon unabhängige Ermessensentscheidung zu treffen hat (vgl. LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 50 f.).
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b) Die Beschwerdekammer folgt im Interesse der bundesweiten Vereinheitlichung der Rechtsprechung zur Wertfestsetzung und damit verbunden im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit bei bestimmten typischen Fallkonstellationen den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission, die im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte niedergelegt sind, derzeit in der Fassung vom 01.02.2024 (im Folgenden: Streitwertkatalog 2024, abgedruckt in NZA 2024, 307 ff.; ebenso LAG Nürnberg, Beschluss vom 30.07.2014 – 4 Ta 83/14 – Rn. 18 und Beschluss vom 29.07.2021 – 2 Ta 72/21 – Rn. 9; LAG Hessen, Beschluss vom 04.12.2015 – 1 Ta 280/15 – Rn. 7 m.w.Nachw.; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 09.02.2016 – 5 Ta 264/15 – Rn. 4; LAG Hamburg, Beschluss vom 20.5.2016 – 5 Ta 7/16 – Rn. 10; LAG Sachsen, Beschluss vom 28.10.2013 – 4 Ta 172/13 (2) unter II. 1 der Gründe¸ LAG Hamm Beschluss vom 26.10.2022 – 8 Ta 198/22 – Rn. 11; LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 52 f.). Dabei wird nicht verkannt, dass der Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte nicht bindend ist.
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c) Danach begründet sich ein Verfahrenswert in Höhe von 37.524,00 €.
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aa) Der zu 1. gestellte Feststellungsantrag betreffend einen Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit der Wiederbeschaffung der Geburtsurkunde ist durch das Arbeitsgericht zutreffend mit 500,00 € bewertet worden.
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(1) Der Wert einer unbezifferten Schadensersatzklage richtet sich nach Ziff. I Nr. 23 Streitwertkatalog 2024 nach dem wirtschaftlichen Interesse der klagenden Partei; abzustellen ist auch auf die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, die Höhe des (auch künftigen) Schadens sowie das Risiko der Inanspruchnahme. Diese Grundsätze der Wertermittlung folgen aus § 3 HS 1 ZPO (vgl. Heinrich in: Musielak/Voit, ZPO, 21. Auflage 2024, § 3 ZPO, Rn. 34; MüKoZPO/Wöstmann, 6. Auflage 2020, § 3 ZPO, Rn. 117; BGH, Beschluss vom 28.11.1990 – VIII ZB 27/90 – unter II. 3. b) der Gründe). Dabei stellt nach allgemeiner Auffassung die eigene, nicht offensichtlich unzutreffende Wertangabe der Klagepartei zu Beginn des Verfahrens ein gewichtiges Indiz für eine zutreffende Bewertung dar, weil in diesem Verfahrensstadium, in dem die spätere Kostentragungspflicht noch offen ist, erfahrungsgemäß Angaben von größerer Objektivität erwartet werden dürfen als zu einem Zeitpunkt, zu dem die Kostentragung feststeht oder zumindest mit erheblicher Sicherheit vorauszusehen ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 20.09.2021 – 1001 ZPR 134/20 – Rn. 62 m. w. N; BGH, Beschluss vom 08.10.2012 – X ZR 110/11 –). Die mit dem Ziel einer Erhöhung des Streitwerts vorgetragenen Tatsachen sind daher nicht berücksichtigungsfähig, wenn sie nach Abschluss des Verfahrens vorgetragen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 13.11.2019 – IV ZR 178/18 – Rn. 4).
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Darüber hinaus ist im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen, dass für die Wertfestsetzung der positiven Feststellungsklage ein Abschlag von 20 Prozent gegenüber dem Wert einer entsprechenden Leistungsklage vorzunehmen ist (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, § 3 ZPO, Rn. 1676).
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(2) Nach Maßgabe dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen für den Ansatz eines höheren Gegenstandswerts als 500,00 € für den Feststellungsantrag zu 1. nicht vor.
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In der Klageschrift hat der Kläger zwar angegeben, dass die Neuausstellung der angeblich durch die Beklagte entsorgten Geburtsurkunde vor Ort in Kamerun durch ihn persönlich beantragt und abgeholt werden müsse. Er hat aber nicht vorgetragen, dass er extra und zum alleinigen Zweck der Besorgung der Geburtsurkunde nach Kamerun fliegen würde. Der Erwägung des Arbeitsgerichts, die Besorgung sei auch im Zuge eines eventuell ohnehin geplanten Aufenthalts in Kamerun möglich, ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Beschwerdeverfahren nicht ausreichend entgegengetreten, wenn er behauptet, ein ohnehin geplanter Aufenthalt sei weder vorgetragen noch korrekt. Denn damit stellt er nicht in Frage, dass die Besorgung der Geburtsurkunde auch zu einem späteren, heute noch nicht feststehenden Zeitpunkt erfolgen könnte. Im Übrigen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Kosten eines Hin- und Rückfluges von ca. 2.500,00 € nicht belegt, obwohl das Arbeitsgericht hierfür bei Annahme einer Reise im Mai und Juni 2024 Kosten von nur ca. 528,00 € aufgezeigt hat. Dass dem Kläger Kosten einer Unterbringung in Z, Kamerun, entstünden, hat er in der Klageschrift nicht erwähnt. Eine solche Behauptung nach Abschluss des Verfahrens ist nicht mehr berücksichtigungsfähig und im Übrigen nicht substantiiert worden. Insgesamt erscheint es daher angemessen, mit dem Arbeitsgericht für behördliche Gebühren, Fahrtkosten u. a. und unter Berücksichtigung eines 20% Abschlags für diesen Feststellungsantrag 500,00 € anzusetzen.
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bb) Die drei Anträge zu 2. bis 4. auf Entfernung einer Abmahnung sind mit je einer Monatsvergütung zu bewerten.
22
(1) Nach Ziff. I Nr. 2.1. Streitwertkatalog 2024 wird der Streit über eine Abmahnung – unabhängig von der Anzahl und der Art der darin enthaltenen Vorwürfe und unabhängig von dem Ziel der Klage (Entfernung, vollständige Entfernung, ersatzlose Entfernung, Zurücknahme/Widerruf, Feststellung der Unwirksamkeit) – mit einer Monatsvergütung bewertet. Werden mehrere Abmahnungen in einem Verfahren angegriffen, sollen die Anträge nach Ziff. I Nr. 2.2. Streitwertkatalog 2024 mit maximal einem Vierteljahresentgelt berücksichtigt werden.
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(2) Folgt man diesen Empfehlungen, sind die drei Anträge zu 2. bis 4. betreffend die Entfernung der drei verschiedenen Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers grundsätzlich mit je einer Monatsvergütung zu bewerten. Gründe für eine niedrigere Bewertung im Umfang von nur zwei Monatsvergütungen sind vom Arbeitsgericht nicht mitgeteilt worden und auch nicht ersichtlich. Die Abmahnungen betreffen unterschiedliche Vertragsverletzungen, nämlich unentschuldigtes Fehlen (Abmahnung vom 07.07.2023) und die Nichtbeachtung von Arbeitsanweisungen (Abmahnungen vom 07.08.2023 und 21.08.2023), wobei der Kläger gegen verschiedenartige Weisungen verstoßen haben soll (keine Buchung und Nutzung des Arbeitsplatzes ohne Abstimmung einerseits und kein Überstundenaufbau andererseits). Die zeitliche Abfolge erstreckt sich über mehrere Wochen. Damit liegt kein einheitlicher Lebenssachverhalt vor, der es rechtfertigen würde, das nach § 3 ZPO maßgebliche wirtschaftliche Interesse an der Entfernung der zweiten und dritten Abmahnung zu reduzieren. Ob einer Deckelung des Gegenstandswerts nach Ziff. I Nr. 2.2. Streitwertkatalog 2024 auf ein Vierteljahresentgelt in jedem Fall zu folgen ist, ist nicht entscheidungserheblich (vgl. hierzu LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.08.2022 – 5 Ta 38/22 –). cc) Der Weiterbeschäftigungsantrag ist wertmäßig nicht zu berücksichtigen. Mit diesem Antrag liegt ein unechter Hilfsantrag i. S. d. § 45 Abs. 1 S. 2 GKG vor, der nicht durch den Vergleich erledigt wurde, § 45 As. 4 GKG.
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(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung während eines Kündigungsschutzverfahrens regelmäßig als ein unechter Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem Bestandsschutzantrag auszulegen (vgl. BAG, Beschluss vom 11.05.2023 – 6 AZR 157/22 (A) – Rn. 12; Urteil vom 02.02.2022 – 7 AZR 573/2007- Rn. 64; vom 22.07.2021 – 2 AZR 6/21 – Rn. 45; 07.05.2020 – 2 AZR 692/19 – Rn. 62; 31.07.2014 – 2 AZR 434/13 – Rn. 55). Das gelte auch dann, wenn die Formulierung des Antrags seinen Hilfscharakter nicht unmittelbar zu erkennen gebe. Die erforderliche Auslegung des Antrags habe unter Berücksichtigung seiner objektiven Sinnhaftigkeit zu erfolgen (so BAG, Urteil vom 22.07.2021 – 2 AZR 6/21 – Rn. 45; Urteil vom 11.05.2023 – 6 AZR 157/22 (A), Rn. 12). Stütze sich die Begründung in der Klageschrift auf die Rechtsprechung des Großen Senats vom 27.02.1985 (GS 1/84, BAGE 48, 122 = NZA 1985, 702), habe die Klagepartei regelmäßig hinreichend deutlich gemacht, dass über den Weiterbeschäftigungsantrag nur unter der Voraussetzung zu entscheiden sei, dass sie mit ihrem Feststellungsantrag obsiege. Es entspräche in keiner Weise den (Kosten-) Interessen der Klagepartei, würde der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung ohne diese Bedingung gestellt angesehen werden. Von der Unbedingtheit des Antrags auf vorläufige Weiterbeschäftigung könne nur ausgegangen werden, wenn gerade der Wille, einen unbedingten Antrag zu stellen, ausdrücklich erklärt worden sei (vgl. BAG, Beschluss vom 30.08.2011 – 2 AZR 668/10 (A) – Rn. 3).
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Des Weiteren kann der Weiterbeschäftigungsantrag als unbedingter Antrag ausgelegt werden, wenn in der Klagebegründung (auch) auf den besonderen Weiterbeschäftigungsanspruch aus § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG verwiesen wird und neben der Bildung eines Betriebsrats für den Beschäftigungsbetrieb schlüssig Tatsachen dargelegt sind, aus denen sich ein rechtzeitiger, auf die Widerspruchstatbestände des § 102 Abs. 5 S. 2 BetrVG gestützter und ordnungsgemäß begründeter Widerspruch ergeben könnte (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.01.2024 – 26 Ta (Kost) 6037/23 – Rn. 12 m. w. Nachw.; LAG Hamm, Beschluss vom 06.01.2023 – 8 Ta 254/22 – Rn. 11; Beschluss vom 17.12.2020 – 26 Ta (Kost) 6098/20 – Rn. 7). Denn in diesem Fall ist die Entscheidung über den Weiterbeschäftigungsantrag nicht von der gerichtlichen, aber noch nicht rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag abhängig.
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(2) Die Beschwerdekammer schließt sich im Interesse einer einheitlichen Streitwertrechtsprechung der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts an. Es handelt sich um eine gefestigte Rechtsprechung, der die Landesarbeitsgerichte inzwischen mehrheitlich gefolgt sind (vgl. LAG Hamm, Beschluss vom 06.01.2023 – 8 Ta 254/22 – Rn. 11; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01.02.2024 – 26 Ta (Kost) 6095/23 – Rn. 11 m. w. Nachw.; LAG Nürnberg, Beschluss vom 04.08.2020 – 2 Ta 84/20 – Rn. 13; LAG Niedersachsen, Beschluss vom 24.01.2020 – 8 Ta 13/20 – Rn. 9 ff.; LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.12.2015 – 5 Ta 82/15 – Rn. 13; LAG Köln, Beschluss vom 09.03.2016 – 4 Ta 33/16 – Rn. 4; Sächsisches LAG 25.01.2017 – 4 Ta 293/16 – Rn. 9; a. A. LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24.01.2018 – 5 Ta 137/17 – Rn. 20 ff.; ArbG Koblenz, Urteil vom 27.09.2023 – 4 Ca 982/23 – Rn. 60 ff.) und die auch in der Literatur Zustimmung findet (vgl. etwa Rachor, MünchHdb ArbR, Bd. 2: Individualarbeitsrecht II § 131 Rn. 30). Für diese Rechtsprechung streitet, dass Klageanträge nach den für Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätzen auszulegen sind. Analog §§ 133, 157 BGB ist nicht am buchstäblichen Sinn des in der Prozesserklärung gewählten Ausdrucks zu haften, sondern der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände – gegebenenfalls in einer Gesamtbetrachtung mehrerer gleichzeitiger Erklärungen – zu ermitteln. Die Prozesspartei darf nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden. Prozesserklärungen sind im Zweifel so auszulegen, dass Dasjenige gewollt ist, was aus der Sicht der Prozesspartei nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht. Zudem sind auch die schutzwürdigen Belange des Erklärungsadressaten zu berücksichtigen. Das verbietet es, eindeutigen Erklärungen nachträglich einen Sinn zu geben, der dem Interesse des Erklärenden am besten dient (vgl. BAG, Urteil vom 22.12.2009 – 3 AZN 753/09 – Rn. 12; 15.05.2013 – 7 AZR 494/11 – Rn. 16; Urteil vom 15.06.2021 – 9 AZR 217/20 – Rn. 29; BGH, Urteil vom 20.12.2022 – VI ZR 279/21 – Rn. 8; 21.12.2023 – IX ZR 238/22 – Rn. 12; BSG, Beschluss vom 12.12.2019 – B 10 EG 3/19 B – 9). Bei einem auf den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch gestützten vorläufigen Weiterbeschäftigungsantrag ist notwendige und damit auch für die Parteien sowie das Arbeitsgericht erkennbare Voraussetzung, dass die mit dem Kündigungsschutzantrag angegriffene Kündigung nach gerichtlicher, aber noch nicht rechtskräftiger Entscheidung als rechtsunwirksam erscheint (vgl. BAG (Großer Senat), Beschluss vom 27.02.1985 – GS 1/84 – insbesondere Leitsatz 1), so dass sich die Bedingung der Stattgabe des Kündigungsschutzantrags aus der Natur des zur Klagebegründung herangezogenen allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs ableitet. Hiergegen kann auch nicht eingewandt werden, es sei nach dem Antragswortlaut ein unbedingter Weiterbeschäftigungsantrag gestellt worden. Bei der Auslegung des vorläufigen Weiterbeschäftigungsantrags ist zu berücksichtigen, dass die dargestellte Rechtsprechung des BAG seit über einem Jahrzehnt besteht, so dass erwartet werden kann, dass derjenige (Rechtsanwalt), der neben dem Kündigungsschutzantrag einen unbedingten Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung zu stellen beabsichtigt, dies in der Klagebegründung erklärt oder jedenfalls während des Verfahrens mitteilt. In Zweifelsfällen hat das Arbeitsgericht im Rahmen seiner richterlichen Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO darauf hinzuwirken, dass die Klagepartei das Verhältnis von Haupt- und Hilfsantrag in Bezug auf den Kündigungsschutz- und vorläufigen Weiterbeschäftigungsantrag klarstellt (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 139 ZPO, Rn. 15; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 45. Aufl. 2024, § 139 Rn. 9).
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(3) Danach liegt mit dem vorläufigen Weiterbeschäftigungsantrag zu 7. ein unechter Hilfsantrag vor. Trotz der unbedingten Formulierung, wonach die Beklagte zu verurteilen ist, den Kläger zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als IT-Programmierer weiter zu beschäftigen, ist er als unechter Hilfsantrag auszulegen. In der Begründung der Klageerweiterung heißt es ausdrücklich, dass ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren habe, „wenn sich die ausgesprochene/n Kündigung/en nach der gerichtlichen Entscheidung 1. Instanz als unwirksam erweisen und keine überwiegenden Interessen des Arbeitgebers an der Weiterbeschäftigung entgegenstehen.“ Erkennbar wollte die Klagepartei den Weiterbeschäftigungsantrag vom Erfolg des Kündigungsschutzantrags abhängig machen. Die Klagepartei hat auch nicht anderweitig zum Ausdruck gebracht, dass ihr Weiterbeschäftigungsantrag unbedingt gestellt werde. Der nunmehrige Hinweis des Beschwerdeführers, der Antrag auf Weiterbeschäftigung sei unbedingt gestellt worden, verhilft nicht zum Erfolg. Denn dieses geht aus der Klagebegründung eben nicht hervor. Nach § 40 GKG, auf den § 23 Abs. 1 S. 1 RVG verweist, kommt es für die Wertfestsetzung auf den Zeitpunkt der Antragstellung an, die ggf. im Verlauf des Verfahrens nach gerichtlichem Hinweis klargestellt werden kann. Eine solche Klarstellung zugunsten eines Verständnisses als unbedingten Antrag ist vor Beendigung des Verfahrens durch Vergleichsschluss nicht erfolgt.
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(4) Der als unechter Hilfsantrag gestellte Weiterbeschäftigungsantrag ist gem. § 45 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 S. 2 GKG nicht mit dem Kündigungsschutzantrag zusammenzurechnen.
29
Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammer ist für einen solchen Antrag gem. § 45 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 S. 2 GKG nur dann ein Wert anzusetzen, wenn er im Vergleich durch eine ihn betreffende ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung mitgeregelt wurde (vgl. LAG München, Beschluss vom 31.07.2023 – 3 Ta 121/23 – Rn. 14 m. w. Nachw.). Hieran fehlt es. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund der streitgegenständlichen Kündigung vom 14.09.2023 zum vorgesehenen Kündigungstermin am 31.12.2023. Eine Weiterbeschäftigung nach dem Kündigungstermin war deshalb ausgeschlossen und ist nicht Gegenstand einer sachlichen Regelung im Vergleich. Eine nur verfahrensmäßige Erledigung des allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrags („Damit ist der Rechtsstreit erledigt“) genügt weder nach dem Gesetzeswortlaut noch nach dem Sinn und Zweck des § 45 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 GKG (siehe auch LAG Niedersachsen, Beschluss vom 24.01.2020 – 8 Ta 13/20 – Rn. 17 m.w.Nachw.).
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dd) Die Auskunftsanträge zur DSG-VO zu 8. bis 13. sind nach Ziff. I Nr. 10.4 Streitwertkatalog 2024 im Regelfall mit 500,00 € zu bewerten. Besondere Umstände sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich (vgl. auch LAG München, Beschluss vom 02.08.2023 – 3 Ta 142/23 – Rn. 19 ff.). Der Antrag auf Erteilung einer Kopie personenbezogener Daten wird neben dem Auskunftsanspruch nicht gesondert bewertet (vgl. LAG München, Beschluss vom 16.11.2023 – 3 Ta 177/23 – Homepage). ee) Der Gegenstandswert für das Verfahren ist danach wie folgt zu festzusetzen:
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Feststellungsantrag zu 1.: 500,00 €
Anträge zu 2. bis 4. auf Entfernung der Abmahnungen:
je eine Bruttomonatsvergütung von 5.254,00 € 15.762,00 €
Kündigungsschutzantrag zu 5.: 15.762,00 €
Allgemeiner Feststellungsantrag zu 6.: 0,00 €
Vorläufiger Weiterbeschäftigungsantrag zu 7.: 0,00 €
Auskunftsanträge zur DSG-VO zu 8. bis 13.: 500,00 €
Antrag auf Zurverfügungstellung einer Kopie der personenbezogenen Daten zu 14.: 0,00 €
Antrag auf Schadensersatz zu 15.: 5.000,00 €
Gesamt: 37.524,00 €
32
ff) Das Beschwerdegericht ist nicht an einer Herabsetzung des durch das Arbeitsgericht festgesetzten Wertes gehindert. Das Verbot der reformatio in peius findet im Wertfestsetzungsverfahren nach § 33 RVG keine Anwendung (vgl. LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 88 m. w. Nachw.).
III.
33
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil Kosten nicht erstattet werden, § 33 Abs. 9 RVG. Aufgrund der Zurückweisung der Beschwerde wird die angefallene Gebühr, Nr.
8614 KV GKG, erhoben.
IV.
34
Diese Entscheidung, die gem. § 78 S. 3 ArbGG durch die Vorsitzende der Beschwerdekammer allein ergeht, ist unanfechtbar, § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG.