Titel:
Asylantrag unbegründet wegen fehlender Glaubhaftmachung
Normenketten:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
In Tadschikistan lebt die Minderheit der Pamiri, die zugleich als Ismailiten auch eine religiöse Minderheit darstellen, weitgehend frei von staatlicher Diskriminierung. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
asylrechtsrelevante und wirtschaftliche Lage in T., Flüchtlingseigenschaft (verneint), Minderheit der Pamiri, Gruppenverfolgung (verneint), Demonstrationsteilnahme, Vorladungsschreiben der Ermittlungsbehörden, fehlende Glaubhaftmachung der regierungskritischen Betätigung, Tadschikistan, Pamiri-Minderheit, exilpolitische Betätigung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 2336
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen den seinen Asylantrag ablehnenden Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 12. Mai 2023. Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Gewährung subsidiären Schutzes sowie weiterhin hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.
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Der am … 2003 geborene Kläger ist nach eigenen Angaben tadschikischer Staatsangehöriger, pamirischer Volkssowie ismailitischer Religionszugehörigkeit. Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 30. Juli 2022 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stelle am 13. Oktober 2022 einen Asylantrag.
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Bei der Bundesamtsanhörung am 17. November 2022 gab der Kläger im Wesentlichen an, dass er aus T. stamme und nicht zurückkehren könne, da ihm dort eine langjährige Inhaftierung drohe. Der Kläger habe die Schule in T. bis zur neunten Klasse besucht und sei dann im Juli 2019 nach Moskau gezogen. Bei der seinerzeitigen Ausreise habe es keine Probleme gegeben. Am 25. November 2021 habe der Kläger mitbekommen, wie Mitglieder der Pamir-Minderheit umgebracht worden seien und habe am selben Tag mit Freunden an einer Demonstration vor der tadschikischen Botschaft in M. teilgenommen. Die Anführer der Demonstration hätten in der Botschaft verhandelt und seien im Nachgang in T. inhaftiert worden. Der Vater des Klägers habe dann im Januar/Februar 2022 und im Mai/Juni 2022 zwei Vorladungen für den Kläger erhalten, nach denen sich dieser bei der Abteilung einer Sicherheitsbehörde melden solle. Der Kläger habe sich die Briefe übersetzen lassen, da er selbst nicht gut tadschikisch sprechen könne. Vorlegen könne der Kläger die Briefe nicht, da er diese nur auf dem Handy als Wh.-A.-Foto gehabt und sein Handy später gewechselt habe. Als der Kläger sich auf die Vorladungen nicht gemeldet habe, habe die Polizei im Juli 2022 eine Kontrolle an dessen Hausanschrift in T. durchgeführt. Der Kläger sei dann aus Moskau nach Deutschland ausgereist.
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Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 12. Mai 2023 den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf subsidiären Schutzstatus ab (Nr. 1 bis 3). Ferner stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4) und forderte unter Abschiebungsandrohung nach T. auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen (Nr. 5). Es befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 6).
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Der Kläger sei kein Flüchtling. Er habe angegeben, T. im Jahr 2019 ohne Probleme verlassen zu haben, um zu seiner Mutter nach Moskau zu ziehen. Auch aus den Geschehnissen in M. ergebe sich keine hinreichende Verfolgungsgefahr. Der Kläger habe nichts vorgetragen, was für eine exponierte Stellung bei der Demonstration oder sonst wie in der pamirischen Diaspora spreche. Die klägerischen Aussagen zu den vermeintlichen Vorladungsschreiben seien detailarm und widersprüchlich verblieben. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes sowie für die Zuerkennung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG lägen nicht vor.
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Gegen den Bescheid vom 12. Mai 2023, zugestellt am 24. Mai 2023, hat der Kläger mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 7. Juni 2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erheben lassen.
den streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid aufzuheben und das Bundesamt zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise ihm subsidiären Schutz zu gewähren.
weiterhin hilfsweise festzustellen, dass nationale Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen
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Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe des Bescheids,
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Mit Beschluss vom 26. September 2023 wurde der Rechtsstreit auf den Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Akte des Bundesamts, die dem Gericht in elektronischer Form vorgelegen hat, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg; sie war daher abzuweisen.
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Die vom Bundesamt getroffenen Entscheidungen, das klägerische Asylgesuch abzulehnen, das Vorliegen nationaler Abschiebungsverboten zu verneinen und den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung zur Ausreise aufzufordern, sind im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht zu beanstanden.
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Der streitgegenständliche Bundesamtsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG. Ihm droht bei einer Rückkehr nach T. namentlich keine Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG.
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a) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Herkunftsland befindet (Nr. 2, vgl. dort Buchst. a). Eine Verfolgung kann nach § 3c AsylG von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die genannten Akteure nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten (§ 3d AsylG). Von einer Verfolgung kann jedoch nur dann ausgegangen werden, wenn der Einzelne in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG ausgesetzt ist. Erforderlich ist insoweit, dass der Ausländer gezielte Rechtsverletzungen zu befürchten hat, die ihn wegen ihrer Intensität dazu zwingen, in begründeter Furcht sein Heimatland zu verlassen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen und Kriegen (OVG Berlin, U.v. 7.10.2022 – 2 B 16.19 – juris). Die Flüchtlingseigenschaft wird zudem dann nicht zuerkannt, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat und sicher in diesem Landesteil reisen kann und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
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Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (OVG Magdeburg, B.v. 8.3.2022 – 3 L 74/21 – juris). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Bei erheblichen Widersprüchen im Sachvortrag kann dem Ausländer nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (VG Regensburg, U.v. 11.7.2019 – RN 14 K 18.30289 – beck-online).
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b) Das Gericht geht für das klägerische Herkunftsland T., insbesondere für die Volksgruppe der Pamiri, von folgender maßgeblichen Lage aus:
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T. ist ein autoritärer Staat, der seit dem Jahr 1992 von Präsident R. und seinen Anhängern politisch dominiert wird. Die Verfassung T. sieht zwar ein Mehrparteiensystem vor, jedoch wird der Pluralismus in der politischen Realität durch die Regierung R.s erheblich behindert (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt T. vom 8. August 2022 – BFA Länderinformation 2022, S. 7). Obgleich das Gesetz eine unabhängige Gerichtsbarkeit vorsieht, übt die Exekutive Druck auf Staatsanwälte, Verteidiger und Richter aus. Der Staatspräsident kontrolliert die Justiz und kann Richter und Staatsanwälte ernennen und entlassen. In politisch heiklen Fällen urteilen Richter regelmäßig gemäß den Anweisungen führender Offizieller aus der Präsidialverwaltung (BFA Länderinformation 2022, S. 10). Die Verfassung verbietet zwar die Anwendung von Folter. Folter kommt jedoch weiterhin vor (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in T. vom 14. März 2022 – Lagebericht 2022, S. 5, 10 und 15). Laut den abschließenden Beobachtungen des UN-Menschenrechtsausschusses aus dem Jahr 2019 gab es Berichte über Schläge, Folter und andere Formen der Nötigung, um bei Verhören Geständnisse zu erzwingen (BFA Länderinformation 2022, S. 13). Ferner verfolgen die Behörden Einzelpersonen, die als „religiöse Extremisten“ eingeschätzt werden oder wegen ihrer angeblichen Mitgliedschaft in verbotenen religiösen Organisationen (BFA Länderinformation 2022, S. 23; Lagebericht 2022, S. 5). Das Verhältnis zu den größten nationalen Minderheiten, darunter die Pamiri, die zugleich als Ismailiten auch eine religiöse Minderheit darstellen, ist weitgehend frei von staatlicher Diskriminierung (Lagebericht 2022, S. 8; BFA Länderinformation 2022, S. 24).
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Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie Meinungs- und Pressefreiheit sind in der Verfassung festgeschrieben. In der Realität sind diese Rechte jedoch massiv beschränkt. Demonstrationen werden häufig nicht genehmigt oder mit Zwang unterbunden. Nicht genehmigte Demonstrationen gibt es gelegentlich im autonomen Gebiet Berg-Badachschan, dem Ostteil T.s, wo es immer wieder zu Konflikten der ethnisch-religiösen Minderheit der Ismailiten (Pamiri) mit den Sicherheitskräften der Zentralregierung kommt (Lagebericht 2022, S. 8 und 9). In einzelnen Bereichen Berg-Badachschan bestehende Dissidentenbewegung werden von Sicherheitskräften unterdrückt (BFA Länderinformation 2022, S. 10). Es kommt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, Schusswechseln und Kampfhandlungen (BFA Länderinformation 2022, S. 8).
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Im November 2021 kam es in Ch. der Hauptstadt der autonomen Region Gorno-Badachschan, zu einer Demonstration, nachdem die Polizei den P. G. Z. erschossen hatte. Nachdem zunächst versprochen wurde, den Tod von Z. zu untersuchen, wurde er im Dezember im tadschikischen Fernsehen als Selbstjustizler dargestellt (BFA Länderinformation 2022, S. 18).
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Eine weitergehende Intensivierung erfuhren die Konflikte zwischen der ethnisch-religiösen Minderheit der Pamiri mit den Sicherheitskräften der Zentralregierung im Mai 2022. Nachdem bei einer Kundgebung am 16. Mai 2022 ein Demonstrant von Polizisten getötet worden war, hätten gewaltsame Zusammenstöße zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften den Tod von bis zu 21 Menschen zur Folge gehabt (BAMF Briefing Notes vom 23. Mai 2022, S. 12). Die Vereinten Nationen berichteten im Nachgang von bis zu 40 getöteten Menschen (BAMF Briefing Notes vom 28. November 2022, S. 10). Zudem wurden vonseiten des tadschikischen Staates fünf lebenslängliche Haftstrafen sowie acht weitere Haftstrafen, jeweils zwischen zehn und 30 Jahren ausgesprochen (BAMF Briefing Notes vom 28. November 2022, S. 10). Zugleich seien seit Mai 2022 zwangsweise Rückführungen und Inhaftierungen von Pamiri-Volkszugehörigen, welche sich oppositionell betätigt hätten, aus der Russischen Föderation nach T. festgestellt worden (Amnesty International, Tajikistan: Prominent members of Pamiri minority arbitrarily detained, tortured and unfairly convicted – Amnesty International Pamiri 2023 – vom 21. September 2023, S. 2; U.S. Department of State, Human Rights Report 2022 - Tajikistan).
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c) Dem Kläger drohen unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Maßstäbe sowie asylrelevanten Lage keine politischen Verfolgungsmaßnahmen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in T..
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Der Einzelrichter folgt den entsprechenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid und sieht von einer detaillierten Darstellung der diesbezüglichen Urteilsgründe ab, § 77 Abs. 3 AsylG.
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aa) Ergänzend, das heißt insbesondere hinsichtlich der mündlichen Verhandlung vom 6. Februar 2024, ist wie folgt auszuführen:
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(1) Gegen ein auf den Kläger gerichtetes, hinreichendes Verfolgungsinteresse tadschikischer Behörden spricht insbesondere, dass es zu keiner regierungskritischen Betätigung des Klägers in exponierter Stellung gekommen ist. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, bei der Demonstration vom 26. November 2021 in der ersten Reihe gestanden zu haben, erscheint dieser Vortrag dem Einzelrichter wenig glaubhaft. Denn der Kläger muss sich vorhalten lassen, dass er diesen Umstand bei dem Bundesamt überhaupt nicht und in der mündlichen Verhandlung erst auf mehrfache Nachfrage vorgetragen hat. Für den Einzelrichter ist auch nicht nachvollziehbar, warum der Kläger bei einer Demonstration, bei welcher er sich nur über die Geschehnisse im Pamir erkundigen wollte, in der ersten Reihe gestanden haben sollte.
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Ähnliche Einwände hinsichtlich der Glaubhaftigkeit bestehen auch für die vorgetragenen Aktivitäten in den sozialen Medien. Denn diese konnten klägerseitig nicht nachgewiesen werden, da der Kläger nach seinem Vortrag sein Handy zum Selbstschutz weggeschmissen habe. Zudem bleibt unklar, warum der Kläger die vermeintlichen Aktivitäten in sozialen Medien sowie die Spenden an die Familie von Gulbeddin Z. nicht bereits bei der Bundesamtsanhörung vorgetragen hat. Der klägerische Vortrag, die Dolmetscherin bei dem Bundesamt habe während der Anhörung zu weinen begonnen, sodass nicht mehr verständlich gewesen sei, was sie genau übertrage, konnte den Einzelrichter nicht überzeugen. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund, dass der Kläger das Protokoll der Bundesamtsanhörung auf Richtigkeit und Vollständigkeit hin durchsehen konnte und das Protokoll unterzeichnet hat.
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Es kann dahinstehen, ob der Kläger einmalig an einer Demonstration (hier am 26. November 2021) teilgenommen hat. Denn anhand der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse gibt es keinen Hinweis darauf, dass unterschiedslos jeder Teilnehmer einer Demonstration mit asylverfahrensrelevanten Verfolgungsmaßnahmen des tadschikischen Staates zur Verantwortung gezogen werden würde. Vielmehr verweisen die Auskunftsmittel darauf, dass Inhaftierungen sich hauptsächlich gegen Aktivisten mit größerem Einfluss richten und im Übrigen wahllos erfolgen würden (BFA Länderinformation 2022, S. 16 „willkürliche Inhaftierungen“; Amnesty International Pamiri 2023, S. 2 „respected community figures among the Pamiri diaspora“). So richten sich die Maßnahmen nach den Erkenntnissen von Amnesty International insbesondere gegen Einzelpersonen mit lokalem Einfluss, Menschenrechtsaktivisten sowie Journalisten (Amnesty International Pamiri 2023, S. 2).
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(2) Auch die klägerseitig vorgetragenen Umstände zu der vermeintlichen polizeilichen Vorladung stellen sich für den Einzelrichter als detailarm und unsubstantiiert dar. So äußerte der Kläger auf mehrfache Nachfrage des Einzelrichters lediglich, dass der Vater Angst um ihn gehabt habe. Hierbei handelt es sich um allgemeingehaltene Aussage, welche kaum für ein tatsächliches Erleben spricht. Auch, dass der Kläger den Vater lediglich gefragt haben soll, ob die Mutter bereits von der Vorladung wisse, erscheint dem Einzelrichter nicht nachvollziehbar. In einer derartigen Konstellation wäre gerade zu erwarten, dass klägerseitig eine Vielzahl von Fragen an den Vater zu den konkreten Umständen der Vorladung gestellt werden. Bei (wichtigen) Ereignissen, welche eine Person von Dritten erfährt, tun sich naturgemäß mehr Fragen auf, als bei Ereignissen, welche die Person selbst miterlebt hat.
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(3) Hinsichtlich der klägerseitig vorgetragenen exilpolitischen Tätigkeit in Deutschland, einer Demonstrationsteilnahme aufgrund des Besuchs des tadschikischen Präsidenten, muss sich der Kläger bereits fragen lassen, inwieweit seine Unternehmungen überhaupt den tadschikischen Sicherheitsbehörden bekannt geworden sein sollen. Denn in der mündlichen Verhandlung verwies der Kläger zum Nachweis seiner Demonstrationsteilnahme lediglich auf ein Foto zu einem russischsprachigen Zeitungsartikel, welches mehrere Menschen neben einem Banner zeigt. Dass es sich bei der Person hinter dem Banner um den Kläger handeln solle, kann vonseiten des Einzelrichters nicht nachvollzogen werden. Denn einerseits befindet sich die Person nur klein abgebildet im Hintergrund des Fotos. Anderseits trägt die Person offensichtlich eine medizinische Maske oder ähnliche Gesichtsbedeckung. Auch aus der klägerischen Betätigung in Deutschland ergibt sich damit nicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer asylrechtsrelevanten Verfolgung in T..
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bb) Des Weiteren ist auch aufgrund der dargelegten Vorfälle und der eingeführten Erkenntnismittel keine Tatsachenlage absehbar, die rechtlich als Gruppenverfolgung der pamirischen Bevölkerungsgruppe zu bewerten ist.
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Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt sowohl die Anknüpfung an ein asylverfahrensrelevantes Merkmal als auch eine gewisse Verfolgungsdichte voraus (BVerwG, U.v. 18.7.2006 – 1 C 1/05 – juris). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen. Die bloße Feststellung „zahlreicher“ oder „häufiger“ Eingriffe reicht nicht aus. Es ist zudem die Zahl der Gruppenmitglieder in die Betrachtung einzustellen (VGH München, B. v. 4.5.2023 – 11 ZB 23.30138).
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Dafür, dass sich der tadschikische Staat in diesem Sinne mit Verfolgungshandlungen unterschiedslos gegen alle Pamiri wendet, gibt es auch vor dem Hintergrund der vorgetragenen Ereignisse keinen Ansatzpunkt. Vielmehr folgt der Einzelrichter den Ausführungen des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs in der Entscheidung vom 4. Mai 2023 (VGH München, B. v. 4.5.2023 – 11 ZB 23.30138): „Auch wenn es ohne Zweifel insbesondere im Zeitraum November 2021 bis Mai 2022 zu asylrelevanten Menschenrechtsverletzungen gegenüber Teilen der ortsansässigen Bevölkerung in der Region Berg-Badachschan unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung gekommen ist (…), wird nirgendwo beschrieben, dass die Maßnahmen landesweit auf alle Gruppenmitglieder zielen und in quantitativer und qualitativer Hinsicht ein solches Ausmaß annehmen, dass jeder Angehörige der pamirischen Minderheit im gesamten Staatsgebiet ohne weiteres gefährdet wäre.“
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2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus.
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Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
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Dass dem Kläger in T. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch staatliche Akteure droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Nr. 2 AsylG), ist nach dem oben Dargelegten nicht beachtlich wahrscheinlich. Es droht ihr zudem nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden durch nichtstaatliche Akteure (§ 4 Abs. 3 Satz 1, § 3c Nr. 3 AsylG). Schließlich ist auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht erkennbar.
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Der Einzelrichter folgt den Ausführungen im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid und sieht von einer Darstellung der diesbezüglichen Urteilsgründe ab, § 77 Abs. 3 AsylG.
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3. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen nicht.
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a) Ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. EMRK ist nicht gegeben.
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Danach ist eine Abschiebung dann verboten, wenn dem Ausländer in dem Zielstaat der Abschiebung eine unmenschliche Behandlung droht. Insoweit geht das Gericht davon aus, dass nach der EGMR-Rechtsprechung aus der EMRK, die hauptsächlich auf den Schutz der bürgerlichen und politischen Rechte abzielt, keine Rechte auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend gemacht werden können, um dort weiter medizinische oder soziale Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, begründet nach der EGMR-Rechtsprechung noch keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK. Die grundlegende Bedeutung des Art. 3 EMRK erfordert jedoch eine gewisse Flexibilität, um in „sehr ungewöhnlichen“ Fällen eine Abschiebung zu unterbinden. Hierbei sind die individuellen Umstände miteinzubeziehen. Zu berücksichtigen sind bei dieser Beurteilung eine Reihe relevanter Faktoren, etwa die Zugangsmöglichkeiten zu Arbeit sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden (BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 8 ZB 18.32888 – beck-online). Aus der oben genannten Rechtsprechung geht hervor, dass insoweit hohe Anforderungen zu stellen sind um die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu bejahen (BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris). Dies heißt jedoch nicht, dass hierbei der Maßstab für das Vorliegen einer Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG heranzuziehen ist. Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) nötig. Demnach muss eine ausreichend reale, auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage basierende, Gefahr vorhanden sein (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377).
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Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Kläger in einer derart gravierenden Lage befindet.
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Die Situation in T. stellt sich nach der Erkenntnislage im Wesentlichen wie folgt dar:
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T. ist der ärmste Staat der ehemaligen Sowjetrepubliken. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 wurde die Unabhängigkeit des Staates von einem fünf Jahre anhaltenden Bürgerkrieg überschattet. Obgleich T. mit einer verfallenen Infrastruktur sowie einem schwachen Gesundheits- und Bildungssystem belastet ist, gelang nach dem Bürgerkrieg zunächst eine wirtschaftliche Erholung des Landes. Insbesondere seit dem Jahr 2000 setzte ein stärkeres Wirtschaftswachstum ein, was mit einer Reduzierung der von Armut betroffenen Personen von 83% der Bevölkerung im Jahr 1999 auf 27% im Jahr 2019 einherging. Grundlage für den wirtschaftlichen Aufschwung war insbesondere (neben einem sehr begrenzten Exporthandel für Aluminium und Baumwolle) die Rücküberweisung von tadschikischen Arbeitsmigranten aus dem Ausland (Bertelsmann Stiftung, BTI 2022 Country Report – Tajikistan – BTI 2022 – S. 5).
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Die bescheidenen Fortschritte bei der Armutsreduktion der vorangegangenen Jahre werden in den letzten Jahren allerdings von den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie, der Afghanistan-Krise sowie des Klimawandels bedroht. Laut Schätzungen des Welternährungsprogramms lebten im Jahr 2020 rund 47% der Tadschiken von weniger als 1,33 USD pro Tag, wobei etwa ein Drittel der Bevölkerung an Unterernährung leide. Die Lebensmittelpreise steigen, staatliche Beihilfen erhalten nur etwa fünf Prozent der Haushalte (Lagebericht 2022, S. 16).
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Trotz dieser schwierigen Bedingungen ist davon auszugehen, dass der Kläger einen – zumindest bescheidenen – Lebensunterhalt in T. dauerhaft sichern werden kann.
45
Der Kläger hat nach seinem Vortrag in der Bundesamtsanhörung angegeben, die Schule in T. nach der neunten Klasse verlassen und in Russland weiter gelernt zu haben. Er verfügt daher zumindest über eine gehörige Schulbildung. In Moskau hat der Kläger nach seinem Vortrag zudem das Studium der angewandten Informatik abgeschlossen.
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Der Kläger ist auch jung und im arbeitsfähigen Alter. Es ist dem Einzelrichter daher nicht ersichtlich, warum der Kläger seinen Lebensunterhalt in T. nicht bestreiten könnte.
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Es ist zudem nicht ersichtlich, dass der klägerische Gesundheitszustand einer Arbeitsfähigkeit entgegensteht. Asylrechtsrelevante gesundheitliche Einschränkungen sind dem klägerischen Sachvortrag namentlich nicht zu entnehmen. In der mündlichen Verhandlung vom 6. Februar 2024 gab der Kläger an, dass er keine wesentlichen Gesundheitsprobleme habe. Die klägerseitig angeführten Kopfschmerzen, unter denen er bei Aufregung leide, scheinen die klägerische Arbeitsfähigkeit nicht nennenswert zu beeinträchtigen.
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b) Substantiierte Gründe für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden soll, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Voraussetzungen der Norm hat das Bundesverwaltungsgericht mit der Formulierung umschrieben, dass eine Abschiebung ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werde (BVerwG, B.v. 14.11.2007 – 10 B 47/07).
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Vorliegend ergibt sich nicht, dass dem Kläger mangels ersichtlicher Lebensgrundlage in der Heimat landesweit der alsbaldige sichere Hungertod drohen würde. Dies gilt auch unter Berücksichtigung insbesondere des Alters und des Gesundheitszustandes des Klägers. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen ohnehin nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist es in diesem Zusammenhang nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Es ist vor diesem Hintergrund weder erkennbar noch dargetan, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen.
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4. Die in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Sie beruht auf den §§ 34 Abs. 1 AsylG, 59 AufenthG.
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5. Die in Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist gleichfalls rechtmäßig. Die Beklagte musste nach den §§ 11 Abs. 2 Sätze 1 und 4, 75 Nr. 12 AufenthG eine Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG treffen. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Ermessensfehler sind hier nicht ersichtlich. Grundsätzlich darf die Frist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten. Hier hat das Bundesamt diese maximale Frist mit 30 Monaten zur Hälfte ausgeschöpft, was nicht zu beanstanden ist. Besondere Umstände, die eine kürzere Frist gebieten würden, sind bei dem Kläger nicht zu sehen.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.