Inhalt

OLG München, Beschluss v. 08.08.2024 – 2 Ws 522/24, 2 Ws 523/24
Titel:

Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes: Unanfechtbarkeit von Nebenentscheidungen bei der Neufestsetzung von Strafen

Normenketten:
EGStGB Art. 313 Abs. 5, Art. 316p
StGB § 11 Abs. 1 Nr. 8, § 55 Abs. 2, § 73 Abs. 1, § 73c
StPO § 37 Abs. 2, § 458 Abs. 1, § 460, § 462 Abs. 3 S. 1
KCanG § 34 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Eine Beschwer als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine sofortige Beschwerde liegt nicht vor, wenn nach einer nachträglichen Festsetzung der Strafe gem. Art. 316p, Art. 313 Abs. 5 EGStGB lediglich die Einziehungsentscheidung angefochten wird. (Rn. 9 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Anders als bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gem. § 55 Abs. 2 StGB iVm § 460 StPO verliert das ursprüngliche Urteil bei einer Neufestsetzung der Strafe gem.Art. 316p, Art. 313 Abs. 5 EGStGB iVm § 458 Abs. 1 StPO nicht seine Bedeutung als Grundlage der Vollstreckung, denn das Verfahren richtet sich nicht gegen den Bestand des Urteils. Dieser Umstand spricht gegen die Erforderlichkeit der Aufrechterhaltung von Nebenfolgen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine nachträgliche Gesamtstrafenentscheidung gem. § 460 StPO bildet hingegen die alleinige Vollstreckungsgrundlage und muss daher alle fortbestehenden Bestandteile der früheren Entscheidungen im Tenor enthalten. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
4. In einer Nachtragsentscheidung nach § 460 StPO nicht erforderlich ist dagegen, den Wegfall gegenstandslos gewordener Nebenentscheidungen im Tenor auszusprechen. Ist eine im früheren Urteil angeordnete Maßnahme, etwa eine Anordnung nach § 64 StGB, aus welchen Gründen auch immer erledigt, fehlt es zwar an der Notwendigkeit, ihre Aufrechterhaltung anzuordnen; geschieht dies dennoch, ist dies regelmäßig unschädlich. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
sofortige Beschwerde, fehlende Beschwer, isolierte Anfechtung der Einziehungsentscheidung, Aufrechterhaltung von Nebenfolgen, nachträgliche Gesamtstrafenbildung, Vollstreckungsgrundlage, Bestand des ursprünglichen Urteils, Konsumcannabisgesetz, Neufestsetzung der Strafe
Vorinstanz:
LG München II, Beschluss vom 03.07.2024 – 2 KLs 41 Js 27390/16 WA (2)
Fundstelle:
BeckRS 2024, 23324

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten F. gegen den Beschluss des Landgerichts München II vom 3. Juli 2024, Gz. 2 KLs 41 Js 27390/16 WA (2), wird als unzulässig verworfen.
II. Der Verurteilte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

I.
1
Der Verurteilte F. wurde mit Urteil des Landgerichts München II vom 22.02.2018, rechtskräftig seit 02.03.2018 (Gz. 2 KLs 41 Js 27390/16), wegen Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 25 Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 5 Fällen, davon in 3 Fällen in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln und in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln, des vorsätzlich unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 8 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln, des vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 2 Fällen, des versuchten unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 3 Fällen sowie des Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 9 Monaten verurteilt. Daneben wurde die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt, der Vorwegvollzug von 1 Jahr 5 Monaten Freiheitsstrafe und die Einziehung des Wertes von Tateinträgen in Höhe von 77.200 € angeordnet.
2
Nach den Urteilsfeststellungen betrieb der Verurteilte im Zeitraum von Ende 2014 bis Januar 2017 einen europaweiten Handel mit Betäubungsmitteln, wobei Erwerb und Vertrieb der Betäubungsmittel jeweils über das Darknet erfolgten. Insgesamt setzte der Verurteilte im Tatzeitraum mindestens 20 kg Cannabis, 1,7 kg Amphetamin, 110 g Kokain, 580 Ecstasy-Tabletten, 1 g Methamphetamin und 10 LSD-Trips um und erlangte hieraus einen Erlös von mindestens 77.200 €. Für die Einzelheiten der festgestellten Straftaten wird auf die Urteilsgründe Bezug genommen.
3
Unter den Gliederungspunkten I.2.d) bb) Nr. 24 und 28 sind zwei Fälle des (versuchten) Erwerbs von Marihuana zum Eigenkonsum mit einer Menge unter 25g festgestellt worden. Hierfür wurden im Urteil Einzelstrafen von 3 Monaten und 1 1/2 Monaten verhängt (Urteil S. 20f, 42f.).
4
Der Verurteilte verbüßte den Rest der Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 9 Monaten seit 29.03.2022 in der JVA S.. Das Ende war am 05.08.2024 erreicht. Gegenwärtig ist die Vollstreckung einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren aus dem Urteil des Amtsgerichts Straubing vom 03.05.2023 vorgemerkt.
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Mit Verfügung vom 26.03.2024 beantragte die Staatsanwaltschaft München II die Neufestsetzung der verfahrensgegenständlichen Gesamtfreiheitsstrafe auf 6 Jahre 8 Monate, da die Einzelstrafen in den vorgenannten Fällen auf 2 Monate bzw. 1 Monat zu reduzieren seien.
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Nach Anhörung des Verurteilten hat die 2. Strafkammer des Landgerichts München II mit Beschluss vom 03.07.2024 aus den mit Urteil des Landgerichts München II vom 22.02.2018 festgesetzten Einzelstrafen unter Weglassung der für die unter Gliederungspunkten I.2.d) bb) Nr. 24 und Nr. 28 dargestellten Fälle verhängten Einzelstrafen von 3 Monaten und 1 1/2 Monaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 8 Monaten gebildet. Daneben hat die Strafkammer entsprechend § 55 Abs. 2 StGB die Nebenentscheidungen – Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nebst Vorwegvollzug von 1 Jahr 5 Monaten sowie Einziehung des Wertes von Taterträgen – aufrechterhalten.
7
Der Beschluss wurde dem Verurteilten am 10.07.2024 und seinem Verteidiger am 05.07.2024 zugestellt. Der Verurteilte hat mit Schreiben vom 10.07.2024, beim Landgericht München II eingegangen am 17.07.2024, gegen den Beschluss vom 03.07.2024 sofortige Beschwerde eingelegt. Er wendet sich gegen die Nebenentscheidung betreffend der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 77.200 € und begehrt den Erlass im Rahmen seiner Resozialisierung, da ihm andernfalls ein straffreies Leben „mit dieser Last im Rücken“ nicht möglich sei.
8
Die Akten wurden dem Oberlandesgericht am 31.07.2024 zur Entscheidung vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat dabei beantragt, die sofortige Beschwerde des Verurteilten als unbegründet zu verwerfen.
II.
9
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist bereits unzulässig.
10
Nach Art. 316p EGStGB, Art. 313 Abs. 5 EGStGB, § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO ist gegen die Entscheidung der Neufestsetzung durch das erkennende Gericht (zur Zuständigkeit vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.06.2024 – 4 Ws 167/24, BeckRS 2024, 12407; OLG Köln Beschluss vom 18.6.2024 – 2 Ws 319/24, BeckRS 2024, 17222) das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde statthaft. Diese wurde auch fristgerecht eingelegt, §§ 311 Abs. 2 StPO. Nachdem die Zustellung sowohl an den Verurteilten als auch an den Verteidiger bewirkt wurde, ist gem. § 37 Abs. 2 StPO für die Fristberechnung die letzte Zustellung maßgebend. Der Eingang des Beschwerdeschreibens am 17.07.2024 erfolgte rechtzeitig.
11
Ausweislich ihrer Begründung richtet sich die sofortige Beschwerde jedoch ausschließlich gegen die Aufrechterhaltung der Nebenentscheidung betreffend die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 77.200 €. Dem Verurteilten fehlt es insoweit an einer Beschwer. Nur die unmittelbare Beeinträchtigung der Rechte oder schutzwürdigen Interessen des Betroffenen durch die Entscheidung begründet eine Beschwer. Die Beschwer ist Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Aufl. 2024, Vor § 296, Rn 8 ff.; MüKoStPO/Allgayer, 2. Aufl. 2024, StPO § 296 Rn. 41-43).
12
Die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen erfolgte mit dem rechtskräftigen Urteil. Aus diesem Urteil ergibt sich die Verpflichtung zum Wertersatz, sie wurde durch den angefochtenen Entschluss – lediglich klarstellend – aufrechterhalten.
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1. Zwar kann dem Regelungsgefüge des Konsumcannabisgesetzes (KCanG, BGBl. 2024 I Nr. 109) das gesetzgeberische Ziel entnommen werden, die Strafmakel für nunmehr strafloses Verhalten umfassend zu beseitigen. Insoweit wären von der in Art. 316p, 313 Abs. 1 S. 2 EGStGB angeordneten Neufestsetzung auch solche Nebenentscheidungen (Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen iSd. § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) erfasst, die allein an ein nunmehr strafloses Verhalten anknüpften. Dies ist jedoch eher theoretischer Natur, da z.B. die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB erfordert, dass eine Gefahrenprognose im Hinblick auf erhebliche rechtswidrige Taten festgestellt wurde, was auch nach bisheriger Rechtslage beim bloßen Besitz geringer Mengen von Cannabis zum Eigenkonsum ausschied. Ebensowenig ist eine Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. §§ 73 Abs. 1, 73c StGB denkbar, da dies Taterträge aus strafbaren Handlungen voraussetzt. Straflos ist nach dem Konsumcannabisgesetz (KCanG) jedoch lediglich der Besitz und der Erwerb von Cannabis in den gesetzlichen Freigrenzen (§§ 34 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 12 KCanG) zum Eigenkonsum. Einfuhr und Handel und sämtliche Möglichkeiten zur Erzielung von Taterträgen sind stets strafbar (§ 34 Abs. 1 Nr. 3 bis 11 KCanG). Mithin bezieht sich auch die Einziehungsentscheidung im Urteil vom 22.02.2208 (dort S. 46) allein auf die mit den verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittelgeschäften erzielten Erträge. Solche werden bei Taten zum Eigenkonsum regelmäßig nicht erzielt.
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2. Inwieweit es in Fällen der Neufestsetzung nach Art. 316p EGStGB entsprechend § 55 Abs. 2 StGB einer Anordnung betreffend die Aufrechterhaltung der Nebenentscheidungen bedarf, kann an dieser Stelle offenbleiben. Dafür spricht, dass die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach geänderten oder entfallenen Einzelstrafen durchaus einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB vergleichbar erscheint. Andererseits verweist Art. 313 Abs. 5 EGStGB nicht auf § 460 StPO, sondern auf § 458 StPO. Wie in anderen Fällen einer gerichtlichen Entscheidung gem. § 458 Abs. 1 StPO verliert das ursprüngliche Urteil nicht seine Bedeutung als Grundlage der Vollstreckung, denn das Verfahren richtet sich nicht gegen den Bestand des Urteils (BeckOK StPO/Coen, 52. Ed. 1.7.2024, StPO § 458 Rn. 3; KK-StPO/Appl, 9. Aufl. 2023, StPO § 458 Rn. 2), dieses wird vielmehr durch den Neufestsetzungsbeschluss ggf. in Einzelpunkten korrigiert.
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Eine nachträgliche Gesamtstrafenentscheidung gem. § 460 StPO bildet hingegen die alleinige Vollstreckungsgrundlage und muss daher alle fortbestehenden Bestandteile der früheren Entscheidungen im Tenor enthalten; dem trägt § 55 Abs. 2 StGB iVm. § 460 StPO Rechnung (MüKoStGB/v. Heintschel-Heinegg, 4. Aufl. 2020, StGB § 55 Rn. 45; BGH Urt. v. 11.12.2003 – 4 StR 398/03, BeckRS 2004, 462, Rn 4; KK-StPO/Appl, 9. Aufl. 2023, StPO § 460 Rn. 20).
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Eine nach dem Rechtsgedanken des § 55 Abs. 2 StGB im Tenor getroffene Feststellung zur Aufrechterhaltung von Nebenfolgen hat grundsätzlich lediglich klarstellenden Charakter. Denn eine erstmalige Anordnung von Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen iSd. § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB wäre in einem Beschluss nach § 460 StPO grundsätzlich unzulässig (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Aufl. 2024, § 460, Rn 18; Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 55, Rn 29ff.; BeckOK StPO/Coen, 52. Ed. 1.7.2024, StPO § 460 Rn. 10); dies muss erst recht für das Verfahren nach Art. 316p EGStGB gelten, dessen Ziel allein der Straferlass bzw. die Reduzierung von Strafen für nunmehr strafloses Verhalten ist.
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In einer Nachtragsentscheidung nach § 460 StPO nicht erforderlich ist dagegen, den Wegfall gegenstandslos gewordener Nebenentscheidungen im Tenor auszusprechen (Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben/Bosch, 30. Aufl. 2019, StGB § 55 Rn. 59). Ist eine im früheren Urteil angeordnete Maßnahme – wie vorliegend ggf. die Anordnung nach § 64 StGB – aus welchen Gründen auch immer erledigt, fehlt es zwar an der Notwendigkeit, ihre Aufrechterhaltung anzuordnen; geschieht dies dennoch, ist dies regelmäßig unschädlich (MüKoStGB/v. Heintschel-Heinegg, 4. Aufl. 2020, StGB § 55 Rn. 49; BGH Urt. v. 11.12.2003 – 4 StR 398/03, BeckRS 2004, 462, Rn 4).
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3. Die in dem Beschluss des Landgerichts München II vom 03.07.2024 aufrechterhaltene Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen enthält mithin keine über das ursprüngliche – rechtskräftige – Urteil hinausgehende Beschwer. Diese ist jedoch zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit eines auf diesen Beschwerdepunkt beschränkten Rechtsmittels (vgl. BGH Beschluss vom 5.3.2020 – 1 StR 598/19, BeckRS 2020, 4712).
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4. Höchst vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des Landgerichts München II vom 03.07.2024 hinsichtlich des Erlasses der Einzelstrafen bzgl. der Fälle unter Gliederungspunkten I.2.d) bb) Nr. 24 und Nr. 28 des Urteils und der Neufestsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe der Sach- und Rechtslage entspricht, die sofortige Beschwerde mithin auch unbegründet wäre.
III.
20
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.