Titel:
Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes: Gerichtliche Zuständigkeit bei der Neufestsetzung der Strafe
Normenkette:
EGStGB Art. 313 Abs. 3, Abs. 4, Abs. 5, Art. 316p
Leitsatz:
Unabhängig davon, ob gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe bereits vollstreckt wird, ist für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3, Abs. 4 und Abs. 5 EGStGB das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig (Anschluss an OLG Stuttgart BeckRS 2024, 12407). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
sofortige Beschwerde, Strafvollstreckungskammer, erkennendes Gericht, sachliche Zuständigkeit, Konsumcannabisgesetz, Gesamtfreiheitsstrafe, Wegfall einer Einzelstrafe
Vorinstanz:
LG München II, Beschluss vom 10.06.2024 – 2 KLs 45 Js 897/19 WA (2)
Fundstelle:
BeckRS 2024, 23322
Tenor
I. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten Q. gegen den Beschluss des Landgerichts München II vom 10. Juni 2024, Gz. 2 KLs 45 Js 897/19 WA (2), wird als unbegründet verworfen.
II. Der Verurteilte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
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Der Verurteilte Q. wurde mit Urteil des Landgerichts München II vom 20.11.2019, rechtskräftig seit 28.11.2019 (Gz. 2 KLs 45 Js 897/19), wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit besonders schweren Raub in Tatmehrheit mit Besitz kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitz von 7 jugendpornographischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 9 Monaten verurteilt. Daneben wurde die Unterbringung in eine Entziehungsanstalt sowie der Vorwegvollzug von 6 Monaten 2 Wochen Freiheitsstrafe angeordnet.
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Unter Gliederungspunkt C.I.2 des Urteils vom 20.11.2019 lag dem Verurteilten zur Last, am 15.12.2017 5g Haschisch mit einem Wirkstoff Gehalt von mindestens 5% Tetrahydrocannabinol unerlaubt mit sich geführt zu haben. Hierfür verhängte die Strafkammer eine Einzelstrafe von 2 Monaten (Urteil S. 18, 36, 38f.).
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Hinsichtlich der mit gleichem Urteil abgeurteilten Tat der besonders schweren Vergewaltigung mit Freiheitsberaubung und vorsätzlicher Körperverletzung (Gliederungspunkt C.I.1) verhängte die Strafkammer eine Einzelstrafe von 3 Jahren 9 Monaten, wegen des Vorwurfs des Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitz von 7 jugendpornographischen Schriften (Gliederungspunkt C.I.3) eine solche von 6 Monaten. Für den gemeinschaftlich mit Mittätern begangenen besonders schweren Raub verhängte die Strafkammer eine Einsatzstrafe von 5 Jahren 9 Monaten.
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Der Verurteilte verbüßte den Rest der Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 9 Monaten nach Erledigung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts München I vom 03.02.2023, rechtskräftig seit 07.03.2023 (Gz. 3 StVK 383/21), seit 31.03.2023. Zwei Drittel der Gesamtfreiheitsstrafe waren am 22.05.2024 verbüßt. Derzeit werden die Strafreste aus dem Urteil des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 20.09.2018 (Bundeszentralregisterauszug vom 25.07.2024 Nr. 11) und aus dem Urteil des Amtsgerichts München vom 20.10.2015 (BZR Nr. 9) vollstreckt. Der weitere Vollzug der verfahrensgegenständlichen Gesamtfreiheitsstrafe ist ab 22.08.2025 vorgemerkt, das Strafende errechnet sich gegenwärtig auf 21.11.2027.
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Mit Verfügung vom 25.03.2024 hat die Staatsanwaltschaft München II beim Landgericht München II die Neufestsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe für den Verurteilten Q. auf 6 Jahre 8 Monate beantragt, da der Besitz von Cannabis, wie unter Gliederungspunkt C.I.2 des Urteils festgestellt, nicht mehr strafbar sei.
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Das Landgericht München II hat mit Verfügung vom 08.04.2024 den Verurteilten zu dem Antrag angehört. Der Verteidiger hat mit Schriftsatz vom 16.05.2024 zum Antrag Stellung genommen und beantragt, eine Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 4 Monaten festzusetzen. Der Verteidiger ist hierbei von einer verhängten Einzelstrafe von 6 Monaten für den relevanten Tatkomplex ausgegangen.
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Mit Beschluss vom 10.06.2024 hat das Landgericht München II die mit Urteil vom 20.11.2019 im übrigen festgesetzten Einzelstrafen auf eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 8 Monate zurückgeführt und die Einzelstrafe von 2 Monaten zu dem unter Gliederungspunkt C.I.2 des Urteils festgestellten Sachverhalts entfallen lassen. Dieser Beschluss wurde dem Verurteilten und seinem Pflichtverteidiger mit Rechtsmittelbelehrung„sofortige Beschwerde“ am 14.06.2024 bzw. 21.06.2024 zugestellt. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 17.06.2024, beim Landgericht München II eingegangen am 20.06.2024, legte der Verurteilte gegen den Beschluss vom 10.06.2024 sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung wird ausgeführt, dass auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren 7 Monaten zu erkennen sei, da die Einzelstrafe von 2 Monaten in voller Höhe in Abzug zu bringen sei.
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Die Akten wurden dem Oberlandesgericht München durch Vermittlung der Generalstaatsanwaltschaft München am 01.08.2024 zur Entscheidung vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat dabei beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
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Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist nach Art. 316p EGStGB, Art. 313 Abs. 5 EGStGB, § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und auch im übrigen gemäß §§ 311 Abs. 2, 306 Abs. 1 StPO zulässig. Die sofortige Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.
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1. Die 2. Strafkammer des Landgerichts München II war für die Neufestsetzung der Strafe sachlich zuständig. Unabhängig davon, ob gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe bereits vollstreckt wird, ist für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3, Abs. 4 und Abs. 5 EGStGB das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.06.2024 – 4 Ws 167/24, juris).
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2. Die 2. Strafkammer des Landgerichts München II hat zutreffend gemäß Art. 316p EGStGB iVm. Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB die Gesamtfreiheitsstrafe neu festgesetzt, nachdem die Einzelstrafe von 2 Monaten zu entfallen hatte, da das unter Gliederungspunkt C.I.2 im Urteil festgestellte Verhalten nach dem zum 01.04.2024 in Kraft getretenen Konsumcannabisgesetz (KCanG) als straflos zu bewerten ist. Die „Ermäßigung“ der Gesamtfreiheitsstrafe um (nur) einen Monat ist dabei nicht zu beanstanden, da – quasi spiegelbildlich – auch bei der Gesamtstrafenbildung im Urteil vom 20.11.2019 gemäß § 54 Abs. 2 StGB die Einzelstrafe von 2 Monaten nicht in voller Höhe eingeflossen ist. Bei einer Einsatzstrafe von 5 Jahren 9 Monaten und der Berücksichtigung der weiteren rechtskräftig feststehenden Einzelstrafen von 3 Jahren 9 Monaten sowie 6 Monaten ist die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 8 Monaten als überaus maßvoll anzusehen. Eine wochenweise Abstufung kommt wegen § 39 StGB nicht in Betracht. Die in den Schriftsätzen vom 17.06.2024 und 16.05.2024 angestellten Berechnungen zur Gesamtfreiheitsstrafe finden in den Urteilsgründen keine Stütze und werden auch im Übrigen nicht näher erläutert. Insbesondere sind sie nicht geeignet, die ausgewogene und überzeugende Begründung im Beschluss vom 10.06.2024 in Frage zu stellen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO