Inhalt

OLG München, Beschluss v. 30.07.2024 – 2 Ws 492/24
Titel:

Neufestsetzung von Strafen nach Einführung des KCanG

Normenkette:
EGStGB Art. 313, Art. 316p
Leitsätze:
1. Anders als unter der Geltung des BtMG kann dem Umstand, Cannabis sei eine "weiche Droge", aus gesetzessystematischen Gründen unter Geltung des KCanG keine strafmildernde Wirkung mehr beigemessen werden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unabhängig davon, ob gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe bereits vollstreckt wird, ist für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3, Abs. 4 und Abs. 5 EGStGB das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Möglichkeit, eine Strafe alleine aufgrund einer Abmilderung des Strafrahmens herabzusetzen, während das geahndete Verhalten auch nach dem KCanG weiterhin unter Strafe gestellt oder bußgeldbewehrt ist, sehen die abschließenden Regelungen der Art. 316p iVm 313 EGStGB nicht vor. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Cannabis, Konsumcannabis, THC, Handeltreiben, Strafe, Neufestsetzung, Zuständigkeit, Strafvollstreckungskammer, erkennendes Gericht
Vorinstanz:
LG München I vom -- – 8 KLs 365 Js 173715/20
Fundstelle:
BeckRS 2024, 23321

Tenor

I. Dem Verurteilten O. wird von Amts wegen auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
II. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten O. gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 30. April 2024, Gz. 8 KLs 365 Js 173715/20, wird als unbegründet verworfen.
III. Der Verurteilte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

I.
1
Der Verurteilte wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts München I vom 08.04.2022 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren 3 Monaten verurteilt.
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Im Einzelnen hat das Landgericht mit dem Urteil folgende Straftaten abgeurteilt:
Zum Tatkomplex B.I. (Urteil, S. 20 f., 38, 45 – 48) wurde der Verurteilte wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gem. §§ 1 Abs. 1 iVm. Anlage I, 3 Abs. 1 Nr. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zu einer Einzelstrafe von 1 Jahr 6 Monaten verurteilt. Der Verurteilte hatte am 03.02.2020 ein Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 5% und einer Mindestmenge von 50g Tetrahydrocannabinol (THC) zum Kaufpreis von 6.500,00 Euro zum gewinnbringenden Weiterverkauf erworben.
Zum Tatkomplex B.II. (Urteil, S. 21, 38 f., 48-50) wurde der Verurteilte wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gem. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zu einer Einzelstrafe von 1 Jahr verurteilt. Der Verurteilte hatte am 21.01.2021 in seiner Wohnung nicht ausschließbar zum Eigenkonsum 35,29g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 0,7% und einer Mindestmenge von 0,24g THC, 28,54g Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 31,3% und einer Mindestmenge von 8,93g THC sowie 0,62g und 0,36g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 0,8% aufbewahrt, mithin insgesamt 64,81g Cannabisprodukte mit mindestens 9,17g THC.
Zum Tatkomplex B.III. (Urteil S. 21-24, 39 f., 42-45) wurde der Verurteilte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung in Mittäterschaft zu einer Einsatzstrafe von 3 Jahren 6 Monaten verurteilt.
3
Der Verurteilte verbüßt die Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren 3 Monaten unter Anrechnung von 442 Tagen Untersuchungshaft seit 08.04.2022, seit 19.04.2022 in der Justizvollzugsanstalt B.. Das Strafende wird am 20.04.2025 erreicht sein.
4
Mit Schreiben vom 16.04.2024 beantragte der Verurteilte bei der Staatsanwaltschaft München I die Prüfung des Urteils vom 08.04.2022. Im Hinblick auf Tatkomplex B.I. sei die Strafzumessung zu prüfen, da der Tetrahydrocannabinolgehalt 50g betragen habe. Der Tatkomplex B.II. sei gänzlich einzustellen, weil das aufgefundene Marihuana mit Wirkstoffgehalten unter 1% bereits seit 01.07.2011 nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt und der Besitz der Menge von 28,54g Haschisch nach der neuen Gesetzeslage erlaubt sei.
5
Mit Verfügung vom 25.04.2024 hat die Staatsanwaltschaft das Schreiben dem Landgericht München I vorgelegt und ausgeführt, dass eine Neufestsetzung nicht veranlasst sei, da auch im Tatkomplex B.II. mit 64,81g Cannabis die nunmehr zulässige Menge überschritten sei.
6
Das Landgericht München I hat mit Beschluss vom 30.04.2024 den Antrag auf Neufestsetzung der mit Urteil des Landgerichts München I vom 08.04.2022 verhängten Strafen zurückgewiesen. Hinsichtlich des Tatkomplexes B.II. sei die zulässige Höchstmenge überschritten. Bezüglich Tatkomplex B.I. beziehe sich die gemäß § 3 Abs. 2 S. 1, S. 2 KCanG erlaubte Menge auf das Trockengewicht und nicht auf die Wirkstoffmenge.
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Der Beschluss wurde dem Beschuldigten und seinem Verteidiger formlos mitgeteilt.
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Mit Schriftsatz vom 20.06.2024, beim Landgericht eingegangen am selben Tag, übersandte der Verteidiger ein Schreiben des Verurteilten vom 17.05.2024 „zur Kenntnisnahme mit der Bitte um Bearbeitung und Entscheidung“. Im Schreiben vom 17.05.2024 legt der Verurteilte Beschwerde gegen den Beschluss vom 30.04.2024 ein. Mit seinem Rechtsmittel verfolgt er nurmehr die Überprüfung von Ziffer 1b. des Anklagesatzes (Urteil Tatkomplex B.II.) weiter. Er wiederholt insoweit zur Begründung, dass Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt unter 1% THC nicht unter das Betäubungsmittelgesetz falle und die aufgefundene Menge an Haschisch unterhalb der zulässigen Höchstmenge liege.
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Mit Verfügung vom 15.07.2024 hat das Landgericht München I der Beschwerde nicht abgeholfen.
10
Die Akten wurde dem Senat auf Vermittlung der Generalstaatsanwaltschaft München am 23.07.2024 zur Entscheidung vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat dabei beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
11
Gegen die Entscheidung auf Neufestsetzung aufgrund des Inkrafttretens des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) zum 01.04.2024 ist gem. Art. 316p EGStGB, Art. 313 Abs. 5 EGStGB, § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde statthaft. Hierüber wurde der Verurteilte nicht belehrt. Dem Verurteilten war daher gem. §§ 44 S. 2, 45 Abs. 2 S. 3 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Versäumung der Beschwerdefrist von Amts wegen zu gewähren.
III.
12
Das als sofortige Beschwerde auszulegende Rechtsmittel des Verurteilten ist nach Art. 316p EGStGB, Art. 313 Abs. 5 EGStGB, § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und – nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – auch im übrigen gemäß §§ 311 Abs. 2, 306 Abs. 1 StPO zulässig. Die sofortige Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.
13
1. Seit dem 01.04.2024 stellt sich – soweit hier relevant – die Rechtslage wie folgt dar:
14
Am 01.04.2024 ist das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG, BGBl. 2024 I Nr. 109) in Kraft getreten. Durch das dort unter Art. 1 neu eingeführte Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (KCanG) wurde der Konsum von Cannabis auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt. Cannabis unterfällt nicht mehr den Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes und wurde aus dessen Anlagen gestrichen (Art. 3 CanG). Für cannabisbezogene Handlungen finden nicht mehr die Strafvorschriften der §§ 29 ff. BtMG, sondern § 34 KCanG Anwendung.
15
Handeltreiben mit Cannabis ist nunmehr nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG strafbewehrt. Diese Vorschrift sieht – anders als der Regelstrafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG – für Handeltreiben nicht mehr Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren, sondern nur noch Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren vor. Gewerbsmäßiges Handeltreiben stellt in der Regel einen besonders schweren Fall dar, welcher nach § 34 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 KCanG mit Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren bedroht ist. Da die Ausnahmetatbestände der §§ 2 Abs. 2, 3 KCanG nicht greifen, die nur Besitz (bzw. Anbau) zum Eigenkonsum in den genannten Freigrenzen und Modalitäten straffrei stellen, ist der Handel mit Cannabisprodukten stets strafbar.
16
Der Besitz von nicht mehr als 60g Cannabis zum Eigenkonsum in der Wohnung ist nach § 34 Abs. 1 Nr. 1b KCanG nicht mehr strafbar. Ordnungswidrig handelt, wer in der Wohnung vorsätzlich oder fahrlässig insgesamt mehr als 50g und bis zu 60g Cannabis besitzt (§ 36 Abs. 1 Nr. 1b KCanG).
17
Anders als unter der Geltung des BtMG kann dem Umstand, Cannabis sei eine „weiche Droge“, aus gesetzessystematischen Gründen keine strafmildernde Wirkung mehr beigemessen werden, wie noch im Urteil vom 08.04.2022 geschehen. Denn das KCanG enthält Regelungen allein zu dieser Droge (BGH Beschluss vom 29.05.2024, Gz. 6 StR 174/24, Rn 5, juris).
18
Gemäß des nach Art. 13 CanG neu eingefügten Art. 316p EGStGB ist im Hinblick auf vor dem 01.04.2024 verhängte Strafen nach dem BtMG, die nach dem KCanG nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, Art. 313 EGStGB entsprechend anzuwenden.
19
2. Die 8. Strafkammer des Landgerichts München I war für die Neufestsetzung der Strafe sachlich zuständig. Unabhängig davon, ob gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe bereits vollstreckt wird, ist für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3, Abs. 4 und Abs. 5 EGStGB das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.06.2024 – 4 Ws 167/24, juris).
20
3. Eine Neufestsetzung bzw. Ermäßigung war auch für die unter Tatkomplex B.II. festgestellte Tat nicht veranlasst. Denn das dort festgestellte Verhalten ist auch weiterhin strafbar.
21
3.1 Die abschließenden Regelungen der Art. 316p i.V.m. 313 EGStGB eröffnen lediglich die Möglichkeit, eine Strafe zu erlassen, neu festzusetzen oder zu ermäßigen, wenn die Strafbarkeit einer Handlung infolge des Inkrafttretens des KCanG nachträglich zumindest teilweise – z.B. bei tateinheitlicher Begehung – entfallen ist und die Handlung auch nicht mit Geldbuße bedroht ist. Die Möglichkeit, eine Strafe alleine aufgrund einer Abmilderung des Strafrahmens herabzusetzen, während das geahndete Verhalten auch nach dem KCanG weiterhin unter Strafe gestellt oder bußgeldbewehrt ist, ist hingegen nicht vorgesehen (OLG München, Beschluss vom 05.07.2024, Gz. 6 Ws 92/24; vgl. auch BGH, Urteil vom 23.05.2024, Gz. 5 StR 68/24, Rn 15, juris). Dies ergibt sich aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 316p EGStGB.
22
3.2 Nach den rechtskräftigen Urteilsfeststellungen unter Gliederungspunkt B.II. besaß der Verurteilte am 21.01.2021 eine Menge von 64,81 g Cannabisprodukten, überschritt damit deutlich die Freigrenze für den erlaubten Besitz eines Erwachsenen zum Eigenkonsum von 50g. Dieses Verhalten ist nach § 34 Abs. 1 Nr. 1b KCanG strafbar. Ab einer Besitzmenge von mehr als 50g ist das Verhalten gem. § 36 Abs. 1 Nr. 1b KCanG ordnungswidrig und damit ebenfalls dem Anwendungsbereich des Art. 316p EGStGB entzogen.
23
Soweit der Verurteilte ausführt, der Besitz von Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von unter 1% wäre seit 01.07.2011 nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt gewesen, so kann er hiermit im Neufestsetzungsverfahren nicht gehört werden. Denn er behauptet, dass das Urteil vom 08.04.2022 bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses unter einem Rechtsfehler gelitten habe. Ein solcher Einwand kann nur mit dem Rechtsmittel der Revision geltend gemacht werden, nach Rechtskraft der Entscheidung besteht hierfür kein Raum.
24
Nur vorsorglich ist darauf hinzuweisen, dass die vom Verurteilten behauptete Regelung nicht existierte. In der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG in der bis zum 31.03.2024 geltenden Fassung war Cannabis als Saatgut unter gewissen Voraussetzungen von der Geltung des BtMG ausgenommen, darunter, wenn deren THC-Gehalt unter 0,2% lag und Zwecken diente, „die einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen“. Auch CBD-Produkte durften kein THC enthalten, andernfalls sie unter das Betäubungsmittelgesetz fielen (vgl. Weber in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl. 2021, § 1, Rn 254, 293). Nach den Feststellungen im Urteil handelte es sich folglich bei dem aufgefundenen Marihuana um eine bis zum 31.03.2024 unter das Betäubungsmittelgesetz fallende Substanz.
IV.
25
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1, Abs. 7 StPO.