Titel:
Zuständigkeit des erkennenden Gerichts für die Neufestsetzung einer Strafe nach Einführung des Konsumcannabisgesetzes
Normenketten:
EGStGB Art. 313, Art. 316p
StPO § 458, § 462, § 462a Abs. 3
Leitsätze:
1. Für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB sowie für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB ist das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB sowie für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB ist das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig (Anschluss an OLG Stuttgart BeckRS 2024, 12407). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Strafe, Neufestsetzung, Zuständigkeit, erkennendes Gericht, Konsumcannabisgesetz
Vorinstanz:
LG Amberg, Beschluss vom 30.04.2024 – 2 StVK 623/23
Fundstellen:
LSK 2024, 23104
BeckRS 2024, 23104
StV 2024, 601
Tenor
1. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft R. gegen den Beschluss der Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg vom 30.04.2024 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
1
Gegen den Verurteilten wurde mit Urteil des Amtsgerichts Ravensburg vom 09.06.2020, rechtskräftig seit 09.06.2020, eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt. Zugrunde lagen Beleidigungsdelikte und Erwerb von Betäubungsmitteln, namentlich der Erwerb von 4,18 Gramm Marihuana. Das Amtsgericht hat für das Betäubungsmitteldelikt den Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG zugrunde gelegt und eine Einzelstrafe von vier Monaten festgesetzt, während für die drei Beleidigungsdelikte jeweils Einzelstrafen von zwei Monaten verhängt wurden.
2
Der Verurteilte hat vier Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe bis 31.03.2024 verbüßt. Seit 01.04.2024 befindet er sich in Strafhaft in anderer Sache.
3
Die Staatsanwaltschaft R. hat mit Verfügung vom 03.04.2024 beantragt, unter Wegfall der Einzelstrafe für das Delikt des Erwerbs von Betäubungsmitteln eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten festzusetzen, weil die Einzelstrafe aufgrund nunmehr – nach Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) – straflosen Verhaltens festgesetzt worden sei.
4
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg hat mit Verfügung vom 10.04.2024 die Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen, dass die Entscheidung über die Festsetzung einer neuen Einzelstrafe und die Entscheidung über die Höhe der Gesamtstrafe in die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts falle und die Strafvollstreckungskammer unzuständig sei.
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Die Staatsanwaltschaft R. hat mit Verfügung vom 16.04.2024 ihren Antrag aufrechterhalten und um Erlass einer rechtsmittelfähigen Entscheidung gebeten.
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Mit angefochtenem Beschluss vom 30.04.2024 hat das Landgericht – Kleine Strafvollstreckungskammer – Amberg den Antrag der Staatsanwaltschaft als unzulässig zurückgewiesen.
7
Zur Begründung hat die Strafvollstreckungskammer unter anderem dargelegt, dass von einer bindenden Abgabe der Entscheidung an das Gericht des ersten Rechtszugs nach § 462a Abs. 1 S. 3 StPO abgesehen werde, weil eine solche die nicht gegebene Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer voraussetze. Zur Begründung der Unzuständigkeit hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt, dass sich eine Zuständigkeit des erkennenden Gerichts, mithin des Amtsgerichts Ravensburg, aus der analogen Anwendung des § 462a Abs. 3 StPO ergebe.
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Gegen diesen Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft R. mit ihrer am 03.05.2024 eingegangenen Beschwerde vom 02.05.2024. Die Staatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, dass sich die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer aus der in Art. 313 Abs. 5, 316p EGStGB vorgesehenen sinngemäßen Anwendung der §§ 458, 462 StPO ergebe. Diese umfasse auch die Anwendung des § 462a Abs. 1 S. 2 StPO. Eine analoge Anwendung des § 462a Abs. 3 StPO sei nicht erforderlich.
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Die Generalstaatsanwaltschaft N. hat mit Schreiben vom 21.05.2024 die Akten zur Entscheidung vorgelegt und ausgeführt, dass die Entscheidung über die Neufestsetzung der Strafe in die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts des ersten Rechtszugs falle.
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Die Strafvollstreckungskammer hat lediglich über ihre nicht bestehende sachliche Zuständigkeit und nicht in der Sache selbst entschieden. Dagegen ist entgegen §§ 458, 462 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 StPO das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, § 462 Rz. 5 m.w.N). Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag auf Neufestsetzung einer Strafe zu Recht wegen ihrer Unzuständigkeit als unzulässig zurückgewiesen.
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Für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB sowie für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB ist das erkennende Gericht – hier das Amtsgericht Ravensburg – und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig (so OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.06.2024, 4 Ws 167/24, juris; OLG Brandenburg, Beschluss vom 21.05.2024, 2 Ws 54/24 (S), juris; im Ergebnis wie hier: LG Aachen, Beschluss vom 29.04.2024, 69 KLs 17/19, juris; aA LG Trier, Beschluss vom 03.04.2024, 10 StVK 189/24, juris; aA ohne Begründung LG Karlsruhe, Beschluss vom 15.05.2024, 20 StVK 228/24, juris; Böhme/Günnewig, in: DRiZ 2024, 144 <145 f.>; aA offenbar auch AG Köln, Beschluss vom 16.05.2024, 583 Ds 135/22, juris Rn. 11, das von einer Zuständigkeit nach § 462a StPO ausgeht; vgl. auch zur Zuständigkeit des Richters, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen, gemäß § 66 Abs. 2 S. 4 JGG: OLG Hamm, Beschluss vom 23.04.2024, 4 OGs 10/24, juris).
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Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in seinem Beschluss vom 06.06.2024 ausgeführt:
„Weder Art. 316p EGStGB noch Art. 313 EGStGB enthält – anders als beispielsweise § 11 Abs. 2 S. 2 des Straffreiheitsgesetzes 1954 (BGBl. I 203 <205>), wonach das erkennende Gericht zuständig ist, oder als Art. 316e Abs. 3 S. 3 EGStGB, der „das nach den §§ 454, 462a Absatz 1 der Strafprozessordnung zuständige Gericht“ zur Entscheidung beruft – eine ausdrückliche Regelung zur Zuständigkeit, weshalb die dem Gesetz zugrunde liegende Regelungskonzeption im Wege der Auslegung zu ermitteln ist.
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a) Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf. Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall – auch unter gewandelten Bedingungen – möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058 <1062 Rn. 66 mwN>).
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b) aa) Der Wortlaut von Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB trägt die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts. Der Begriff „das Gericht“ lässt ohne Weiteres die Auslegung zu, dass damit das erkennende Gericht gemeint ist. Art. 313 Abs. 3 S. 3 EGStGB legt diese Auslegung sogar nahe, weil dort mit derselben Bezeichnung unzweifelhaft das Gericht benannt wird, das auf die Strafe „erkannt“ hat. Auch der Wortlaut des Art. 313 Abs. 4 EGStGB schließt dieses Verständnis nicht aus. Im Gegenteil legt der Wortlaut der Handlungsbefehle in den Absätzen 3 und 4, „die Strafe neu festzusetzen“, die Zuständigkeit des Gerichts nahe, das auf die Strafe erkannt hat. Die Straffestsetzung bedingt eine Strafzumessungsentscheidung, welche dem erkennenden Gericht obliegt.
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bb) Gesetzessystematische Erwägungen sprechen ebenfalls nicht gegen ein solches Verständnis.
16
Der nach Art. 316p EGStGB entsprechend anzuwendende Art. 313 Abs. 5 EGStGB erklärt „bei Zweifeln über die sich aus den Absätzen 1 und 2 ergebenden Rechtsfolgen und für die richterlichen Entscheidungen nach den Absätzen 3 und 4“ die §§ 458 und 462 StPO für sinngemäß anwendbar.
17
§ 458 StPO geht von einem Selbstentscheidungsrecht der Vollstreckungsbehörde aus und normiert Ausnahmen einer gerichtlichen Entscheidung in den in den Absätzen 1 und 2 aufgezählten Fällen. Ohne Art. 313 Abs. 5 EGStGB hätte die Vollstreckungsbehörde über Zweifel der Rechtsfolgen aus Art. 313 Abs. 1 und 2 EGStGB selbst zu entscheiden und könnte keine gerichtliche Entscheidung einholen (vgl. Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 458 Rn. 8; aA in Bezug auf das Straffreiheitsgesetz 1954 [BGBl. I 203 <205>], das keine Regelung bei Zweifeln über die Rechtsfolgen vorsah, offenbar LG Berlin, Beschluss vom 8. Juni 1955 – 501a Qs 274/55 – 54 Ms 65/52, JR 1955, 394). Die gerichtliche Entscheidungskompetenz für Entscheidungen nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB ergibt sich demgegenüber bereits unmittelbar aus den genannten Absätzen des Art. 313 EGStGB, so dass sich der Regelungsgehalt der sinngemäßen Geltung von § 458 StPO insoweit auf dessen Absatz 3 beschränken dürfte, wonach der Fortgang der Vollstreckung nicht gehemmt wird, das Gericht einen Aufschub oder eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen und eine einstweilige Anordnung treffen kann.
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§ 462 StPO enthält Verfahrensregelungen, konkret zum Beschlussverfahren (Abs. 1), zum rechtlichen Gehör (Abs. 2) und zu Rechtsschutzmöglichkeiten (Abs. 3), deren sinngemäße Anwendung auch bei gerichtlichen Entscheidungen nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB eingängig ist.
19
Zur Zuständigkeit für die gerichtlichen Entscheidungen nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB lassen sich hingegen den sinngemäß anwendbaren Vorschriften keine Erkenntnisse ableiten. Gesetzessystematisch streitet jedoch der Umstand, dass nur auf §§ 458 und 462 StPO und gerade nicht auf § 462a StPO – die allgemeine Zuständigkeitsnorm des Abschnitts „Strafvollstreckung“ im 7. Buch der StPO, nach der die Strafvollstreckungskammer zuständig ist für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 StPO zu treffenden Entscheidungen, wenn gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird – verwiesen wird, gegen eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer. Soweit hingegen vertreten wird, dass § 462a StPO mittelbar herangezogen werden müsse, weil § 462a StPO Regelungen für Entscheidungen nach § 462 StPO enthalte (vgl. Böhme/Günnewig, in: DRiZ 2024, 144 <145 f.>; so auch ohne nähere Begründung LG Trier, Beschluss vom 3. April 2024 – 10 StVK 189/24, juris Rn. 16 ff. und AG Köln, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 583 Ds 135/22, juris Rn. 11), überzeugt dies nicht. Bei den hier in Rede stehenden gerichtlichen Entscheidungen handelt es sich um keine Entscheidungen nach § 462 oder § 458 StPO, sondern um originäre Entscheidungen nach Art. 316p in Verbindung mit Art. 313 Abs. 3 oder Abs. 4 EGStGB, für die nur die in § 458 (Abs. 3) und § 462 StPO enthaltenen Verfahrensregeln sinngemäß anzuwenden sind. cc) Für dieses Verständnis streitet auch die historische Auslegung.
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Den Gesetzesmaterialien kommt für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption im Gesetz zugrunde liegt, eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14, NJW 2018, 2542 <2548 Rn. 74>). Hinsichtlich des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) sind diese allerdings unergiebig. Die Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 20/8704, S. 155), der unverändert verabschiedet worden ist, die darauf bezogene Stellungnahme des Bundesrats (insbesondere Ziffer 77 der Ausschussempfehlung BR-Drs. 367/1/23, vgl. BR-Plenarprotokoll 1036, S. 259), die darauf bezogene Gegenäußerung der Bundesregierung (BT-Drs. 20/8763, S. 13) sowie die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Gesundheit (BT-Drs. 20/10426) enthalten allesamt keinerlei Ausführungen oder Anhaltspunkte zur Zuständigkeit für die Entscheidungen nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 und Abs. 4 EGStGB.
21
Der nach Art. 316p EGStGB entsprechend anzuwendende Art. 313 EGStGB wurde bereits mit dem Einführungsgesetz vom 2. März 1974 (BGBl. I 469 <642>) geschaffen. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/550, S. 464) soll diese Vorschrift Art. 97 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (BGBl. I 645 <679>) und Art. 6 des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (BT-Drs. VI/1552, S. 7 f.; wobei Art. 6 Abs. 6 als Art. 7 Abs. 6 des Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 23. November 1973 in Kraft getreten ist, vgl. BGBl. I 1725 <1733 f.>) entsprechen. Wille des historischen Gesetzgebers war es demnach, insoweit das bisherige Regelungskonzept aufrecht zu erhalten. Art. 97 Abs. 2 1. StrRG erklärte unter anderem § 8 des Gesetzes über die Straffreiheit vom 9. Juli 1968 (BGBl. I 773 <774>) für sinngemäß anwendbar. § 8 Abs. 3 Straffreiheitsgesetz 1968 bestimmte wiederum, dass für das Verfahren die §§ 458, 462, 462a StPO gelten. Art. 7 Abs. 6 4. StrRG regelte die sinngemäße Geltung von §§ 458 und 462 StPO bei Zweifeln über die sich aus den Absätzen 1 bis 3 ergebenen Rechtsfolgen und für die richterlichen Entscheidungen nach den Absätzen 4 und 5. Zu den beiden Regelungszeitpunkten in den Jahren 1969 und 1973 war § 462a StPO a.F. noch keine Zuständigkeitsnorm, sondern enthielt Regelungen zur Strafgewalt bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung und § 462 Abs. 1 S. 1 StPO a.F. war ausdrücklich zu entnehmen, dass die bei der Strafvollstreckung notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen von dem Gericht des ersten Rechtszugs erlassen werden. Wenn der historische Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung 1974 das bisherige Regelungskonzept fortgelten lassen wollte, so ist er von einer Zuständigkeit der Gerichte des ersten Rechtszugs ausgegangen. Hätte er hierfür eine Zuständigkeit der erst zum 1. Januar 1975 mit demselben Einführungsgesetz vom 2. März 1974 eingerichteten Strafvollstreckungskammern (BGBl. I 469 <517 und 520>) schaffen wollen, wäre zu erwarten gewesen, dass er dies – als Abkehr von der bisherigen Konzeption – durch ausdrückliche Regelung in beispielsweise Art. 313 Abs. 3 oder 4 EGStGB oder zumindest durch Aufnahme einer Verweisung auf die neu geschaffene Zuständigkeitsnorm des § 462a StPO in Art. 313 Abs. 5 EGStGB zum Ausdruck gebracht hätte. Stattdessen ist der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/550, S. 464) das Gegenteil zu entnehmen, wonach es bei der bisherigen Konzeption und damit der Zuständigkeit des erkennenden Gerichts bleiben soll. Seither wurde das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch häufig, zuletzt durch Art. 13 des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) geändert, ohne dass aufgrund etwaiger gewandelter Bedingungen Änderungen an Art. 313 EGStGB vorgenommen oder auf anderem Wege der Wille zur Änderung der Regelungskonzeption zum Ausdruck gekommen wäre.
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dd) Schließlich und maßgeblich widerstreiten Sinn und Zweck einer Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer und streiten für ein Verständnis, wonach das erkennende Gericht die Strafen nach Art. 313 Abs. 3 oder 4 EGStGB neu festzusetzen hat.[…] In der Sache geht es nicht um Zweifel über die Berechnung einer bereits „erkannten Strafe“ (§ 458 Abs. 1 StPO) oder um Gesichtspunkte, die dem Vollstreckungsverfahren zugeordnet werden können, sondern um eine Rechtskraftdurchbrechung und Neufestsetzung der originären Strafe und damit um eine dem Tatgericht zuzuordnende Strafzumessungsentscheidung, die der Vollstreckung vorgelagert ist. Der Akt der Strafzumessung ist typischerweise Teil des Erkenntnisverfahrens und zweifellos dem erkennenden Gericht und nicht etwa der Strafvollstreckungskammer zugewiesen. Auch das Verfahren zur nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO, bei dem eine Gesamtstrafe neu festzusetzen ist, ist dem erkennenden Gericht des ersten Rechtszugs zugewiesen, was angesichts der hierfür erforderlichen Strafzumessungsentscheidung auf der Hand liegt und zweckmäßig ist.
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Zielrichtung des Gesetzgebers bei Einrichtung von Strafvollstreckungskammern war hingegen, dass die während einer freiheitsentziehenden Maßnahme notwendigen Entscheidungen im Interesse der Einheitlichkeit des auf die Resozialisierung des Täters gerichteten Handelns ortsnah bei einem Spruchkörper konzentriert werden (BT-Drs. 7/550, S. 312). Dieser Zweck ist nicht berührt, soweit es um die Festsetzung der Ausgangsstrafe geht, nachdem die Strafvollstreckung und das Tätigwerden der Strafvollstreckungskammer das Vorliegen einer erkannten Strafe denknotwendig voraussetzen. Wenn der Gesetzgeber – wie hier mit dem Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) – eine rechtskraftdurchbrechende Amnestieregelung schafft, muss das erkennende Gericht nach Art. 313 Abs. 3 und Abs. 4 EGStGB neu auf eine Strafe erkennen und eine valide Grundlage für die Strafvollstreckung schaffen.“ Dem schließt sich der Senat an.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 2 S. 1 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, § 473 Rz. 17).