Titel:
Asylrecht, Tansania, Politische Verfolgung, Tätigkeit für die Oppositionspartei CHADEMA, Glaubhaftigkeit (verneint), Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung (verneint), Bezugnahme auf Bescheid
Normenketten:
GG Art. 16a Abs. 1
AsylG § 3
AsylG § 4
AsylG § 77 Abs. 3
Schlagworte:
Asylrecht, Tansania, Politische Verfolgung, Tätigkeit für die Oppositionspartei CHADEMA, Glaubhaftigkeit (verneint), Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung (verneint), Bezugnahme auf Bescheid
Fundstelle:
BeckRS 2024, 22968
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
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Der tansanische Kläger wendet sich gegen den ablehnenden Asylbescheid der Beklagten.
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Wegen des Sachverhalts wird zunächst auf die Feststellungen des angefochtenen Bescheids der Beklagten vom 25. Oktober 2022, mit dem der Asylantrag des Klägers abgelehnt sowie die Abschiebung nach Tansania angedroht worden ist, Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Bei der Anhörung bei der Beklagten am 12. April 2022 gab der Kläger im Wesentlichen an, in Tansania politisch verfolgt worden zu sein, da er für die Oppositionspartei CHADEMA tätig gewesen sei.
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Der Kläger hat mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 7. November 2022, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, Klage gegen diesen Bescheid erhoben. Er beantragt,
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1. Der Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2022, zugestellt am 31. Oktober 2022, wird aufgehoben.
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2. Unter Aufhebung des Bescheids wird die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass
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a) der Kläger asylberechtigt ist.
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b) die Flüchtlingseigenschaft bei ihm vorliegt.
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c) der subsidiäre Schutzstatut bei ihm vorliegt.
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d) Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei ihm vorliegen.
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Zur Begründung wird auf die bisherigen Angaben des Klägers Bezug genommen.
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Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 8. November 2022,
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Zur Begründung wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 2. Mai 2024 auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 29. Juli 2024 ist niemand erschienen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Über die Klage kann trotz Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung gemäß § 102 Abs. 2 VwGO entschieden werden. Die Beteiligten sind zum Termin ordnungsgemäß geladen und auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen worden. Die Klagepartei hat die Ladung ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 29. Mai 2024 erhalten; die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 8. November 2022 auf Ladung gegen Zustellnachweis verzichtet.
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2. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
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Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die beantragten Verwaltungsakte (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Ein Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16a Abs. 1 GG, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG sowie ein Anspruch auf Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 4 AsylG wegen der vom Kläger vorgetragenen politischen Verfolgung bestehen nicht.
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Das Gericht hegt bereits erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Sachvortrags. Der Kläger schilderte seine Verfolgungsgründe in der Anhörung bei der Beklagten am 12. April 2022 sehr oberflächlich, insbesondere ohne Details zu nennen und Emotionen zu beschreiben. Hinzu kommt, dass der Kläger eigentlich wegen der Hochzeit seiner Freunde nach Deutschland kam. Als er dann hier war, hat er sich „gedacht“, dass er hier Asyl beantragen könnte (vgl. Anhörungsniederschrift, S. 3). Eine Sachaufklärung hierzu war nicht möglich, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist.
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Jedenfalls erscheinen selbst bei Wahrunterstellung des klägerischen Vortrags die befürchtete Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden nicht beachtlich wahrscheinlich.
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Verfolgungsmaßnahmen sind beachtlich wahrscheinlich, wenn bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtung im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32 m.w.N.).
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Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist vorliegend eine (weitere) Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden wegen der Tätigkeit für die Oppositionspartei CHADEMA nicht beachtlich wahrscheinlich.
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Nach der Erkenntnislage ist die Partei CHADEMA (Chama cha Demokrasia na Maendeleo – Party for Democracy and Progress) in Tansania eine der stärksten Oppositionsparteien. Sie erhielt im Oktober 2020 bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 13% der Stimmen. Vereinzelt kam es in den letzten Jahren zu Verhaftungen oder Entführungen von Mitgliedern oppositioneller Parteien. Human Rights Watch erwähnte die Anklage gegen 9 CHADEMA-Mitglieder im Februar 2018. Ihnen wurden Aufwiegelung, Gewaltanstiftung und das Abhalten illegaler Kundgebungen vorgeworfen. Nach mehreren Monaten der Inhaftierung wurden Anfang 2019 zwei von den CHADEMA-Mitgliedern freigelassen. Weiterhin wurde von einem im Jahr 2019 entführten Oppositionsaktivisten berichtet, der Tage später schwer verletzt aufgefunden wurde. Im Zuge der Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 wurden die Wahlkampfveranstaltungen des CHADEMA-Kandidaten Tundu Lissu zum Teil massiv behindert. Darüber hinaus wurden mehrere Veranstaltungen der Opposition CHADEMA unter Einsatz von Tränengas durch Sicherheitskräfte aufgelöst. Oppositionsmitglieder wurden im Rahmen von Verstößen gegen Versammlungsregeln in Gewahrsam genommen und wieder freigelassen. Auch unter der neuen Regierung von Präsidentin Suluhu Hassan kam es zu Verhaftungen Oppositioneller. Am 21. Juli 2021 wurden der CHADEMA-Vorstand Freeman Mbowe sowie 14 weitere Oppositionsmitglieder in Mwanza festgenommen. Die Festnahme ereignete sich, kurz bevor eine Kundgebung der Partei zur Reformierung der Verfassung abgehalten werden sollte. Mbowe wurde wegen Vorwürfen im Zusammenhang mit Terrorismus inhaftiert, während die anderen Mitglieder ohne Anklage entlassen wurden. Mbowe wurde nach 7 Monaten Polizeigewahrsam entlassen, nachdem die Anklagen fallen gelassen worden waren. Im Juli 2022 wurden 7 Mitglieder der Partei CHADEMA, die im Zuge der Wahlen 2020 festgenommen worden waren, frei gelassen. Am 24. Mai 2022 inhaftierte die Polizei vorübergehend 20 CHADEMA-Mitglieder, die ein CHADEMA-Forum zu einer Verfassungsreform besuchten (vgl. zum Ganzen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport Tansania, Stand: 06/2021, S. 3, 4, 11, 14; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 45 – Tansania – Allgemeine Situation und Menschenrechtslage, Stand: 11/ 2021, S. 13; US Department of State, Tanzania 2022 Human Rights Report, 20.3.2023, S. 7 f., 16).
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Unter Berücksichtigung der Erkenntnislage sowie aller Umstände des konkreten Einzelfalls erscheint eine (weitere) Verfolgung des Klägers bzw. ein ernsthafter Schaden nicht beachtlich wahrscheinlich. Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid vom 25. Oktober 2022 Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG).
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Zwar kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Verhaftungen und Entführungen Oppositioneller. Aber im Wesentlichen sind davon nach der Auskunftslage führende Oppositionsmitglieder, Oppositionsaktivisten oder Oppositionsmitglieder, die an Kundgebungen für eine Verfassungsreform teilgenommen haben, betroffen gewesen. Auch standen die Festnahmen häufig im Zusammenhang mit Wahlen. Es ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass der Kläger in einer solchen Weise besonders exponiert wäre. Der Kläger war nach Aktenlage lediglich einfaches Mitglied der Partei und hat dem Stellvertreter des Stadtteilvorsitzenden geholfen. Diese Tätigkeit hat er überdies nach dem Überfall auf ihn aufgegeben. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass er auch bei einer Rückkehr nach Tansania dort nicht wieder politisch aktiv werden würde. Eine genauere Sachaufklärung war dem Gericht insoweit nicht möglich, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist. Gegen ein anhaltendes Verfolgungsinteresse des tansanischen Staats oder der Regierungspartei spricht weiter, dass zwischenzeitlich drei Jahre vergangen sind und der Kläger vor seiner Ausreise im Dezember 2021 6 Monate unbehelligt in Tansania, wenn auch an wechselnden Orten, leben konnte. Ferner hat der Kläger nicht substantiiert vorgetragen, dass nach ihm noch gesucht würde oder gar ein Haftbefehl gegen ihn vorliege. Die Einschätzung, dass kein Verfolgungsinteresse (mehr) besteht, wird schließlich dadurch bekräftigt, dass es dem Kläger nach dem Überfall im Juni 2021 möglich war, im Dezember 2021 ein Visum zu erhalten und damit sowie mit seinem Reisepass ohne Probleme auszureisen. Im Übrigen ist zwischenzeitlich wohl eine gewisse Verbesserung der Situation der Oppositionsparteien anzunehmen, da die seit 2021 regierende Präsidentin eine Öffnung des Landes durch spürbare Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Diplomatie bewirkt hat. Es gibt Verbesserungen bei der Presse- und Meinungsfreiheit sowie dem Wirkungsspielraum der Opposition (vgl. Auswärtiges Amt, Tansania: Politisches Porträt, 28.3.2024, abrufbar im Internet unter: https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/tansania-node/politisches-portraet/208740).
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b) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Auch sind die Abschiebungsandrohung und die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtlich nicht zu beanstanden. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid gemäß § 77 Abs. 3 AsylG Bezug genommen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).