Titel:
Einstweilige Anordnung (Ablehnung), Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung, Erhöhter Förderbedarf, Integrativer Betreuungsplatz, Heilpädagogische Leistung, Rechtsmissbräuchliches Verhalten, Wunsch- und Wahlrecht, Darlegungsplicht
Normenketten:
SGB VIII § 5
SGB VIII § 22a Abs. 4
SGB VIII § 24
SGB IX § 79
SGB IX § 113
Leitsätze:
1. Der Anspruch nach § 24 Abs. 3 SGB VIII deckt nur den Regelbedarf ab, nicht jedoch behinderungsspezifische Bedarfe. (redaktioneller Leitsatz)
2. Es besteht kein gesetzlicher Anspruch auf einen Betreuungsplatz in einer bestimmten Einrichtung oder auf gemeinsame Betreuung mit Geschwistern. (Leitsätze der Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung (Ablehnung), Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung, Erhöhter Förderbedarf, Integrativer Betreuungsplatz, Heilpädagogische Leistung, Rechtsmissbräuchliches Verhalten, Wunsch- und Wahlrecht, Darlegungsplicht
Fundstellen:
FDSozVR 2024, 022963
BeckRS 2024, 22963
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten wird abgelehnt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, ihr einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung nachzuweisen.
2
Die Antragstellerin ist am ... 2020 geboren.
3
Die allein sorgeberechtigte Mutter der Antragstellerin beantragte am 2. Februar 2023 die Aufnahme der Antragstellerin ab dem 9. November 2023 in der heilpädagogischen Tagesstätte R. (im Folgenden: HPZ).
4
Mit Bescheid vom 29. Juni 2023 gewährte der Bezirk Oberbayern für die Antragstellerin im Zeitraum vom 9. November 2023 bis zum Tag vor dem Schuleintritt Leistungen der Eingliederungshilfe als Leistungen der sozialen Teilhabe durch Übernahme der Kosten für die Förderung in der HPZ (Ziffer 1 des Bescheides). Ebenso wurden die für den Einrichtungsbesuch notwendigen und angemessenen Fahrtkosten übernommen (Ziffer 4 des Bescheides).
5
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass im Rahmen der Eingliederungshilfe die Kosten für den Besuch der heilpädagogischen Tagesstätte gemäß §§ 102 Abs. 1 Nr. 4, 113 Abs. 1 und 2 Nr. 3, 79 SGB IX als Leistungen zur Sozialen Teilhabe erbracht würden. Die Antragstellerin gehöre aufgrund ihrer Einschränkungen zu dem leistungsberechtigten Personenkreis.
6
Am 23. Oktober 2023 meldete die Mutter der Antragstellerin diese von der HPZ ohne Angabe von Gründen wieder ab.
7
In einem Telefonat am 16. Mai 2024 teilte die Mutter der Antragstellerin dem Antragsgegner mit, dass sie mit der Antragstellerin zum Schnuppern im HPZ gewesen sei, dies aber ihrer Meinung nach nicht die richtige Betreuungsform für die Antragstellerin sei, da diese hierfür zu fit sei. Der Zwillingsbruder der Antragsteller sowie die jüngere Schwester würden derzeit Gruppen der Kindertageseinrichtung S. besuchen. In dieser sei ein Platz für die Antragstellerin mit der Begründung abgelehnt worden, dass diese nicht für die Betreuung in einer Kindertageseinrichtung geeignet sei. Die Kindesmutter bat um Unterstützung bei der Vermittlung eines Platzes dort. Ergänzend hierzu wurde ein Attest eines Kinder- und Jugendarztes vom 16. Mai 2024 vorgelegt, worin ausgeführt wird, dass aus medizinischer Sicht eine Integration der Antragstellerin in einen Regelkindergarten mit therapeutischer Unterstützung ohne Probleme möglich und sinnvoll sei.
8
Die Kindertageseinrichtung S. teilte dem Antragsgegner telefonisch am 6. Juni 2024 mit, dass ab September 2024 kein neues Integrationskind mehr aufgenommen werde. Zudem sei die Betreuung der Antragstellerin ausgeschlossen, da dies weder machbar noch adäquat sei. Diese habe einen stark erhöhten Betreuungsbedarf, dem eine Kindertageseinrichtung nicht gerecht werden könne. Bereits der Zwillingsbruder der Antragstellerin habe einen extremen Betreuungsbedarf und sei von beiden Kindern noch der fittere.
9
Bei einem Telefonat zwischen dem Antragsgegner und der Mutter der Antragstellerin am 1. Juli 2024 bat diese nochmals um Unterstützung, um einen Platz in der Kindertageseinrichtung S. zu erhalten.
10
Der Bevollmächtigte der Antragstellerin erhob für diese am 22. Juli 2024 Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte die Verpflichtung des Antragsgegners, der Klägerin einen Betreuungsplatz im Umfang von täglich mindestens fünf Stunden nachzuweisen (M 18 K 24.4366).
11
Zudem wurde mit Schriftsatz vom selben Tag beantragt,
12
den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen dem individuellen Bedarf entsprechenden Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung im Umfang von täglich mindestens 5 Stunden montags bis freitags bis zum Schuleintritt nachzuweisen.
13
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin einen erhöhten Förderbedarf und insoweit die Vermittlung eines Betreuungsplatzes bedarf. Die Mutter der Antragstellerin sei zur Zeit arbeitslos. In der näheren Umgebung seien keine Verwandten vorhanden, die für eine Betreuung der Antragstellerin sorgen könnten. Im Übrigen erfolgten ausschließlich allgemeine Ausführungen ohne Bezug auf den Einzelfall.
14
Mit weiterem Schriftsatz vom gleichen Tag wurde beantragt,
15
der Antragstellerin für den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen und den Bevollmächtigten als Rechtsanwalt beizuordnen.
16
Mit Beschluss vom 24. Juli 2024 wurde der Rechtsstreit gemäß § 6 VwGO zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
17
Der Antragsgegner legte die Behördenakten elektronisch vor und beantragte mit Schriftsatz vom 7. August 2024,
18
den Antrag abzuweisen.
19
Zur Begründung wurde der Sachverhalt ausführlich dargelegt und ausgeführt, dass die Antragstellerin sich durch ihre Mutter für eine Betreuungseinrichtung des tatsächlich vorhandenen Angebots entscheiden hätte müssen. Die angebotenen Betreuungseinrichtungen seien auch zumutbar, ein objektiver Grund zum Ablehnen der verfügbaren Einrichtungen habe nicht bestanden. Der Ausschluss des HPZ durch die Kindesmutter sei nicht gerechtfertigt, vielmehr sei davon auszugehen, dass eine Betreuung in einer üblichen Kindertagesstätte mit nur integrativen Elementen für die Antragstellerin nicht ausreichend sei. Zudem sei es zumutbar, eine Einrichtung anzubieten, in der nicht alle Geschwister gemeinsam untergebracht seien. Zwar stelle dies mehr logistische Schwierigkeiten dar. Es sei jedoch darauf hinzuweisen, dass der Antragstellerin für das HPZ ein Fahrdienst zur Verfügung stehen. Darüber hinaus bestehe kein Anspruch gemäß §§ 22, 24 SGB VIII, weil nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII in Verbindung mit § 27a Abs. 1 Satz 2 SGB XII die Regelungen nach dem SGB VIII nachrangig seien. Die Antragstellerin sei von körperlich starken Einschränkungen betroffen. Der insoweit von der Mutter behauptete Entwicklungssprung der Antragstellerin sei nicht nachgewiesen. Zudem liege kein Anordnungsgrund vor, da der Zustand der fehlenden Betreuung der Antragstellerin in einer geeigneten Einrichtung durch die Mutter als gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin eigenverschuldet sei. im Übrigen bestehe zum aktuellen Zeitpunkt kein Platz in einer geeigneten Betreuungseinrichtung.
20
Der Bevollmächtigte der Antragstellerin erwiderte mit Schriftsatz vom 20. August 2024, dass der damalige Zustand der Antragstellerin mit dem heutigen nicht vergleichbar und daher nicht relevant sei. Aktuelle Befunde und Atteste lägen unstreitig vor, die der Antragstellerin eine Eignung bescheinigen würden. Die Mutter der Antragstellerin besitze kein Auto. Es gebe immer Anlässe, die eine Anwesenheit in der Einrichtung erfordern würden.
21
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten auch im Verfahren M 18 K 24.4366 und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
22
Der Antrag hat keinen Erfolg.
23
Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
24
Voraussetzung für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatschlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
25
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber in zeitlicher Hinsicht vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
26
Nach diesen Maßgaben hat die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
27
Es erscheint bereits fraglich, ob von Antragstellerseite eine ausreichende Bedarfsmeldung hinsichtlich des Wunsches auf Nachweis eines geeigneten Betreuungsplatzes und nicht nur eines Betreuungsplatzes ausschließlich in der Kindertageseinrichtung S. erfolgte (vgl. hierzu VG München, B.v. 13.10.2023 – M 18 E 23.4672 – juris Rn. 24 m.w.N.). Zumindest in der mit der Antragsschrift vorgelegten E-Mail der Mutter der Antragstellerin vom 21. April 2024 wird lediglich ausgeführt, dass sie ausschließlich einen Betreuungsplatz in der Einrichtung S. für geeignet hält und wünscht und andere Einrichtungen ebenso wie das HPZ und SVE nicht infrage kämen. Die Antragsschrift verhält sich hierzu in keiner Weise.
28
Unabhängig hiervon wurde nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ein Betreuungsplatz nach § 24 Abs. 3 SGB VIII dem Bedarf der Antragstellerin hinreichend gerecht werden kann.
29
Mit dem vorliegenden Verfahren wird der Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes nach § 24 Abs. 3 SGB VIII begehrt. Demnach hat ein Kind, dass das 3. Lebensjahr vollendet hat, ohne weitere Voraussetzungen bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung. Die „Förderung in einer Tageseinrichtung“ steht grundsätzlich allen, also auch Kindern mit Behinderung offen (Wiesner/Wapler/Struck/Schweigler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 24 Rn. 62, § 22a Rn. 19 ff., beck-online; BeckOGK/Etzold, 1.6.2023, SGB VIII § 24 Rn. 47, beck-online). § 22a Abs. 4 SGB VIII sieht dementsprechend – ebenso wie Art. 12 Abs. 1 BayKiBiG – vor, dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam gefördert werden sollen, um eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Es ist daher Aufgabe des Antragsgegners im Rahmen seiner Planungsverantwortung dafür zu sorgen, dass auch ausreichend integrative Kindertageseinrichtungen im Sinne von Art. 2 Abs. 3 BayKiBiG zur Verfügung stehen (vgl. VG München, B.v. 27.3.2024 – M 18 E 24.876 – juris Rn. 23 f.; BeckOK SozR/Winkler SGB VIII § 22a Rn. 16-18).
30
Nach dem Wortlaut des § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII sollen die Kinder in der Kindertageseinrichtung „gefördert“ werden. Gemäß § 22 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII soll sich die Förderung am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethische Herkunft berücksichtigen. Sofern die Bedürfnisse bzw. der Förderbedarf des Kindes im Einzelfall, etwa aufgrund des Vorliegens einer Behinderung, erhöht ist, ist der Anspruch auf Nachweis eines Platzes, der eben diesem individuellen, qualifizierten Bedarf gerecht wird, gerichtet (vgl. Rixen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 24 SGB VIII, Stand: 01.08.2022, Rn. 28).
31
Allerdings deckt der Anspruch nach § 24 Abs. 3 SGB VIII nur den „Regelbedarf“, keine behinderungsspezifischen Bedarfe, ab. Kann ein Kind in einer „Regeleinrichtung“ nicht seiner Behinderung entsprechend gefördert werden und steht auch kein geeigneter Platz in einer integrativen/inklusiven Gruppe bzw. Einrichtung zur Verfügung (§ 22a Abs. 4 SGB VIII), hat das Kind nach § 35a SGB VIII bzw. § 113 SGB IX einen Anspruch auf den Besuch einer Einrichtung, die seinem Bedarf gerecht wird (Wiesner/Wapler/Struck/Schweigler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 24 Rn. 62, § 22a Rn. 19 ff., beck-online; Christian Grube in: Hauck/Noftz SGB VIII, 1. Ergänzungslieferung 2024, § 22a SGB VIII, Rn. 8; Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, SGB VIII § 22a Rn. 14, beck-online). Ein Anspruch eines „wesentlich behinderten Kindes“ auf eine gemeinsame Betreuung mit Kindern ohne Behinderung in einer Regeleinrichtung besteht hingegen auch unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht (NdsOVG, B.v. 15.10.2013 – 4 ME 238/13; Wiesner/Wapler/Struck/Schweigler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 24 Rn. 62, § 22a Rn. 21a, beck-online; BVerfG, B.v. 10.2.2006 – 1 BvR 91/06 – juris).
32
Die Antragstellerin hat vorliegend nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihr Förderbedarf hinreichend durch einen integrativen Betreuungsplatz gedeckt wird und daher ein Anspruch auf den Nachweis eines solchen integrativen Platzes nach § 24 Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 22a Abs. 4 SGB VIII besteht. Vielmehr ist insoweit der – wohl weiterhin bestehende – Anspruch nach §§ 113, 79 SGB IX auf Förderung in einer heilpädagogischen Tageseinrichtung vorrangig, § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII (JAmt 2022, 501, beck-online).
33
Die Antragsseite hat hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren keinerlei Dokumente vorgelegt und mit Schriftsatz vom 20. August 2024 lediglich die Behauptung aufgestellt, dass „aktuelle Befunde und Atteste unstreitig“ vorlägen und der Entwicklungssprung „durch MRT und Gentests bestätigt“ würde. Die Antragsschrift selbst enthält hingegen außer dem schlichten Hinweis auf einen bestehenden erhöhten Förderbedarf keinerlei Ausführungen.
34
In der vorgelegten Behördenakte findet sich ausschließlich ein Kurzattest vom 16. Mai 2024, wonach die Entwicklung der Antragstellerin positiv und aus medizinischer Sicht eine Integration in einem Regelkindergarten mit therapeutischer Unterstützung ohne Probleme möglich und sinnvoll sei. Als Diagnosen werden ohne weitere Erläuterungen ausschließlich die Klassifikationen ICD-10 F83 G und G 80.9 G genannt.
35
Im Bewilligungsbescheid des Bezirks von Oberbayern vom 29. Juni 2023 werden als Einschränkungen der Antragstellerin kombinierte Entwicklungsstörungen, verbunden mit Gleichgewichtsstörungen, spastische Cerebralparese in Form einer Hemiparese, Sprachentwicklungsverzögerungen, Defizite bei der Fein- und Grobmotorik sowie frühkindliche Regulationsstörung genannt, weshalb der Bedarf der Antragstellerin für den Besuch einer heilpädagogischen Tagesstätte gegeben sei.
36
Mangels weitergehender Glaubhaftmachung durch die Antragsseite geht das Gericht daher davon aus, dass die bei der Antragstellerin diagnostizierten Entwicklungs- und Bewegungsstörungen weiterhin einen Umfang haben, welche eine Betreuung und Förderung in einer heilpädagogischen Tagesstätte bedürfen. Zwar wird in dem Kurzattest vom 16. Mai 2024 eine positive Selbstständigkeitsentwicklung genannt, allerdings ohne weitere Ausführungen. Das Gericht hält es daher – zumindest ohne Vorlage weitere Nachweise – für unwahrscheinlich, dass sich die Behinderungen der Antragstellerin zwischen dem Zeitraum der Prüfung der Bewilligung durch den Bezirk von Oberbayern und dem aktuellen Zeitpunkt so wesentlich geändert haben, dass nunmehr die Voraussetzungen für die Betreuung in einer heilpädagogischen Tagesstätte entfallen wären.
37
Soweit zudem in dem Kurzattest vom 16. Mai 2024 Ausführungen zur geeigneten Betreuungsform gemacht werden, sind diese lediglich als Einschätzungen der Fachärzte zu beurteilen, denen insoweit jedoch keine Fachkompetenz und ihrer Beurteilung keine Bindungswirkung zukommt. Zudem wurden keine Angaben gemacht, worin sich die Fortschritte der Antragstellerin zeigen, welche zusätzliche Qualifikationen sie zwischenzeitlich erworben hat und welcher Betreuungsbedarf weiterhin besteht. Auch ergibt sich nicht, ob dieses Kurzattest von den gleichen Fachärzten erstellt wurde, die die fachärztlichen Stellungnahmen abgegeben haben, welche zur Bewilligung einer Eingliederungshilfe geführt haben.
38
Hingegen erscheinen die Ermittlungen durch den Antragsgegner, insbesondere durch Kontaktaufnahme mit der gewünschten und einer früheren Betreuungseinrichtung als sinnvoll und auch (noch) ausreichend, um den Betreuungsbedarf der Antragstellerin insbesondere unter Berücksichtigung der Mitwirkungspflicht der Antragsseite, § 60 Abs. 1 SGB I, zu ermitteln.
39
Die Leitung der von der Antragstellerin begehrten Betreuungseinrichtung S. teilt dem Antragsgegner hierbei mit E-Mail vom 25. Juli 2024 mit, dass ein ärztliches Attest vorläge, in dem empfohlen werde, dass die Antragstellerin nicht in einen Regelkindergarten gehen könne und für die Antragstellerin auch die Pflegestufe 1 bewilligt worden sei. Zudem gäbe es diverse Dokumentationen über das Verhalten der Antragstellerin in der Einrichtung, zum Beispiel beim Schnuppertag aber auch, wenn die Mutter der Antragstellerin im Kindergarten sei, um mit den Erzieherinnen über ihre anderen Kinder zu sprechen. Diese Angaben erscheinen, wenn auch ohne weitere Details und Belege, nachvollziehbar.
40
Schließlich spricht auch das Verhalten bzw. die Aussagen der Mutter der Antragstellerin gegen deren realistische Beurteilung des Hilfebedarfs der Antragstellerin und den Möglichkeiten der Betreuung in einer Regeltageseinrichtung. So hat diese bereits vier Monate nach Bewilligung des beantragten Betreuungsplatzes in der heilpädagogischen Tagesstätte diesen – offenbar ausschließlich aufgrund ihrer eigenen Beurteilung und ohne weitere medizinische Abklärung – wieder abgesagt. Zudem hat sie, entsprechend einem Aktenvermerk des Antragsgegners über ein Telefonat am 1. Juli 2024, den Vorschlag gemacht, den Platz ihres Sohnes in der Betreuungseinrichtung S. in einen regulären Platz umzuwandeln, sodass dieser nicht mehr die doppelte Platzzahl belege und so ein Platz für die Antragstellerin frei werde. Dieser Vorschlag, der dazu führen würde, dass die beiden Kinder jeweils lediglich einen regulären Betreuungsplatz ohne Integrationsleistungen inne hätten, verkennt unzweifelhaft den tatsächlichen Betreuungsbedarf ihrer Kinder. Dementsprechend geht auch das Gericht davon aus, dass der Wunsch auf einen Betreuungsplatz in der – ausschließlich – begehrten Tageseinrichtung S. primär davon getragen ist, eine für die Mutter der Antragstellerin praktikable Lösung insoweit zu schaffen, dass ihre drei Kinder gemeinsam in einer Einrichtung betreut werden. Auch wenn dieser Wunsch nachvollziehbar ist, entspricht er nicht dem Förderbedarf der Antragstellerin.
41
Die Antragstellerin hat daher aufgrund ihrer besonderen Bedürfnisse keinen Anspruch gegen den Antragsgegner auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer regulären Kindertageseinrichtung. Wobei das Gericht ergänzend darauf hinweist, dass zudem kein gesetzlicher Anspruch darauf besteht, dass ein Betreuungsplatz in einer bestimmten Einrichtung nachgewiesen wird. Auch steht Geschwisterkindern grundsätzlich kein Anspruch auf den Nachweis eines Betreuungsplatzes in derselben Einrichtung zu (vgl. OVG Hamburg, B.v. 21.5.24 – 4 Bs 2/24; VGH BW, B.v. 8.9.23 – 12 S 790/23; NdsOVG, B.v. 19.7.2022 – 14 ME 277/22 – jeweils juris).
42
Nachdem auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der vorrangig zuständige Bezirk Leistungen der Eingliederungshilfe als Leistungen der sozialen Teilhabe durch Übernahme der Kosten für die Förderung in der heilpädagogischen Tagesstätte nunmehr ablehnen würde, bedarf es auch keiner Verpflichtung des Antragsgegners zu einer entsprechenden (nachrangigen) Leistung (vgl. auch JAmt 2022, 501 – beck-online), welche im Übrigen durch die Antragstellerseite auch erkennbar nicht gewünscht ist.
43
Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass, sofern der Betreuungsbedarf der Antragstellerin ggf. auch nach Vorlage einer ausführlicheren fachärztlichen Stellungnahme (insoweit erschließt sich der Verweis des Bevollmächtigten der Antragstellerin auf die fehlende Möglichkeit der Einholung einer amtsärztlichen Stellungnahme nicht) ausreichend durch einen integrativen Betreuungsplatz sichergestellt ist, der Antragsgegner einen geeigneten und zumutbaren inklusiven Betreuungsplatz nachzuweisen hat. Der Antragsgegner kann sich hierbei weder auf fehlende Betreuungskapazitäten (stRspr., vgl. VGH BW, B.v. 23.11.22 – 12 S 2224/22 – juris m.w.N.), noch ohne besondere Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten auf vorausgegangene, zwischenzeitlich aber nicht mehr zur Verfügung stehende Betreuungsplätze berufen (vgl. NdsOVG, B.v. 19.7.2022 – 14 ME 277/22 – juris Rn. 3; VGH BW, B.v. 8.9.23 – 12 S 790/23 – juris).
44
Mangels Vorliegen eines Anordnungsgrundes zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, kann offenbleiben, ob durch die Antragsseite zudem ein Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht wurde. Das Gericht weist insoweit jedoch darauf hin, dass ausschließlich der Vortrag, dass die Mutter der Antragstellerin derzeit arbeitslos sei und keine weiteren Verwandten vorhanden seien, die für eine Betreuung der Antragstellerin sorgen könnten, die erforderliche Dringlichkeit wohl nicht hinreichend belegen dürften (vgl. OVG NW, B.v. 28.9.23 – 12 B 811/23 – juris).
45
Der Antrag war daher abzuweisen.
46
Zudem hat der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe keinen Erfolg.
47
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist dabei bereits dann gegeben, wenn ein Obsiegen der Partei ebenso wahrscheinlich ist wie ihr Unterliegen. Die Erfolgsaussichten des gerichtlichen Verfahrens müssen als offen zu beurteilen sein (BayVGH, B.v. 23.10.2005 – 10 C 04.1205 – juris Rn. 2).
48
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Prozesskostenhilfeantrags ist der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrages. Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit einer angemessenen Frist zur Stellungnahme ein (vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007 – 10 C 39/07; BVerfG, B.v. 14.6.2006 – 2 BvR 626/06; BayVGH, B.v. 28.10.2019 – 10 C 19.1785 – jeweils juris; Happ in: Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 166 Rn. 40).
49
Im vorliegenden Verfahren ist daher auf den Entscheidungszeitpunkt in der Sache abzustellen. Da von Antragsseite der geltend gemachte Anspruch auf einen integrativen Betreuungsplatz nach § 24 Abs. 3 SGB VIII auch nach der ausführlichen Stellungnahme des Antragsgegners in keiner Weise für das Gericht nachvollziehbar dargelegt wurde, waren zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keine hinreichenden Erfolgsaussichten gegeben.
50
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
51
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.