Titel:
Erfolgreicher Eilantrag gegen die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet im Asylfolgeverfahren
Normenkette:
AsylG § 30 Abs. 1, § 34 Abs. 1, § 36, § 71
Leitsätze:
1. Auf die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet stützt sich die sofortige Beendigung des Aufenthalts eines Asylbewerbers und ist zugleich deren Folge. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes muss Anknüpfungspunkt der gerichtlichen Prüfung daher die Frage sein, ob das Bundesamt den Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat, ohne dass deshalb der Ablehnungsbescheid selbst zum Verfahrensgegenstand würde (BVerfG BeckRS 9998, 170716). (Rn. 13) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Für eine Verkürzung der einem Asylbewerber nach § 36 Abs. 1 AsylG zu setzenden Ausreisefrist auf eine Woche wäre nach § 36 Abs. 1, § 34 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 AsylG erforderlich, dass kumulativ eine offensichtliche Unbegründetheit hinsichtlich der beantragten Anerkennung als Asylberechtigter, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Zuerkennung subsidiären Schutzes vorliegt. (Rn. 14) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
keine offensichtliche Unbegründetheit eines Asylfolgeantrages, wenn im Erstverfahren nicht die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes geprüft worden sind, türkische Staatsangehörige, Asylfolgeantrag, subsidiärer Schutz, einwöchige Ausreisfrist, Abschiebungsandrohung, offensichtliche Unbegründetheit, vorläufiger Rechtsschutz
Fundstelle:
BeckRS 2024, 22789
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 25. März 2024 gegen Ziffer 5 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 1. März 2024 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Die Antragstellerin ist eigenen Angaben zufolge türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und reiste, ebenso eigenen Angaben zufolge, am … September 2023 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Antragstellerin hatte bereits zu einem unbekannten Zeitpunkt in Deutschland einen Asylantrag gestellt, der am … Mai 1995 unanfechtbar abgelehnt wurde. Am … September 2023 stellte sie einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.
2
Die Begründung erfolgte schriftlich am … September 2023 und eine Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) fand am … Dezember 2023 statt. Hierbei gab die Antragstellerin Auseinandersetzungen mit der Familie des verstorbenen Schwiegersohns an, weil dessen Bruder die Tochter der Antragstellerin habe heiraten wollen und enormen Druck ausgeübt habe.
3
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 1. März 2024, der Bevollmächtigten der Antragstellerin am 18. März 2024 zugestellt, den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (1.), auf Asylanerkennung (2.) und auf subsidiären Schutz (3.) als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen (4.). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, Deutschland innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls werde ihr die Abschiebung in die Türkei angedroht; die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Anlauf der einwöchigen Klagefrist bzw. bei fristgerechter Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (5.). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (6.).
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Zur Begründung wurde ausgeführt, es handle sich um einen zulässigen Folgeantrag, weil die Entscheidung im vorangegangenen Asylverfahren vor Inkrafttreten der RL 2004/83/EG ergangen und erst seit Inkrafttreten der Richtlinie bzw. ihrer Nachfolgevorschriften auch die Zuerkennung subsidiären Schutzes zu prüfen sei. Der Antrag sei jedoch unbegründet, weil kein Verlassen des Heimatlandes im Zusammenhang mit asylrelevanten Verfolgungshandlungen anzunehmen sei und auch die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nicht vorlägen. Der Asylantrag sei zudem gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen gewesen, weil er sich um einen Folgeantrag i.S.d. § 71 Abs. 1 AsylG handle und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt worden sei.
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Die Antragstellerin ließ durch einen am 25. März 2024 beim Verwaltungsgericht Ansbach per EGVP eingegangenen Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten gegen diesen Bescheid Klage erheben mit den Anträgen, die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Bescheides vom 1. März 2024 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz und höchst hilfsweise das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Zugleich wurde ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, es gäbe keinen sachlichen Grund für eine Einschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten im vorliegenden Fall. Die Verfassungsmäßigkeit des § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG werde angezweifelt. Denknotwendig könne es außerdem sich nicht um einen Folgeantrag handeln, weil die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes im Erstverfahren noch nicht hätten geprüft werden können.
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Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 5 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung anzuordnen.
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Das Bundesamt beantragt,
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Zur Begründung wird Bezug auf die angefochtene Entscheidung genommen.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Bundesamtes Bezug genommen.
11
Der Antrag, die gemäß § 75 Asylgesetz (AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) anzuordnen, ist zulässig, insbesondere wurde die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG eingehalten.
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Der Antrag ist auch begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bestehen.
13
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen, in denen der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Angegriffener Verwaltungsakt in diesem Sinn und damit alleiniger Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Prüfung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist die Abschiebungsandrohung (Pietzsch in BeckOK, Ausländerrecht, 35. Ed., Stand: 01.01.2022, § 36 AsylG Rn. 36). Die sofortige Beendigung des Aufenthalts eines Asylbewerbers im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet und ist deren Folge. Anknüpfungspunkt der gerichtlichen Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes muss daher die Frage sein, ob das Bundesamt den Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat, ohne dass deshalb der Ablehnungsbescheid selbst zum Verfahrensgegenstand wird (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 – juris Rn. 93). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 – juris Rn. 99). Dabei ist in Bezug auf die Tatsachenermittlung zu berücksichtigen, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gemäß § 36 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 1 AsylG im schriftlichen Verfahren ergehen soll. Das Verwaltungsgericht hat daher regelmäßig nach Aktenlage (aufgrund der Bescheide und Protokolle der Behörden einerseits und des schriftsätzlichen Vorbringens des Antragstellers im Eilverfahren andererseits) zu entscheiden (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 – juris Rn. 100). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG).
14
Es bestehen ernstliche Zweifel i.S.d. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Abschiebungsandrohung, weil die Voraussetzungen für die Verkürzung der zu setzenden Ausreisefrist auf eine Woche nach § 36 Abs. 1 AsylG voraussichtlich nicht vorliegen. Hierfür erforderlich wäre nach § 36 Abs. 1, § 34 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 AsylG nämlich, dass kumulativ eine offensichtliche Unbegründetheit hinsichtlich der beantragten Anerkennung als Asylberechtigter, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Zuerkennung des subsidiären Schutzes vorliegt. Zwar bezieht sich der Wortlaut des § 30 Abs. 1 AsylG auf den „Asylantrag“, der in § 13 Abs. 2 AsylG gleichermaßen durch den Verweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sowohl auf die Flüchtlingseigenschaft als auch auf den subsidiären Schutz Bezug nimmt und damit einheitlich definiert ist. Wie sich aus dem Prüfungskatalog des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG ergibt, muss aber eine nach Schutzaspekten differenzierte Prüfung vorgenommen werden.
15
Vorliegend fehlt es jedenfalls hinsichtlich der Prüfung des subsidiären Schutzes (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AsylG) am Vorliegen des Offensichtlichkeitsgrundes des § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG, auf den allein sich die Antragsgegnerin beruft. Denn soweit die Prüfung des subsidiären Schutzes in Rede steht, handelt es sich nicht um einen Folgeantrag, sondern um eine erstmalige Prüfung. Im Asylerstverfahren der Antragstellerin konnte – in Übereinstimmung mit der damaligen Rechtslage – das Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nicht geprüft werden. Dass auch die Antragsgegnerin davon ausgeht, dass eine Prüfung der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes zuvor niemals erfolgt ist, zeigt sich dabei bereits in der Annahme der Zulässigkeit des Folgeantrages mit eben dieser Begründung.
16
Dabei kann offenbleiben, ob damit die Voraussetzungen für die Ablehnung als offensichtlich nur hinsichtlich Ziffer 3 des Bescheides oder insgesamt nicht vorliegen, weil beides zu ernstlichen Zweifeln i.S.d. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung führt.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
18
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.