Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 15.02.2024 – AN 17 K 23.30556
Titel:

Keine flüchtlingsrelevante Verfolgung in Kuba

Normenkette:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Dass es sich bei Kuba nicht um einen demokratischen und rechtstaatlichen Staat mit Meinungs- und Versammlungsfreiheit handelt und ein Leben der Bevölkerung dort von Einschränkungen in der persönlichen Freiheit geprägt ist und auch willkürliche Maßnahmen des Staates gegenüber Bürgern möglich sind, genügt für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland zieht als solche nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung unverfolgt und legal aus Kuba eingereister kubanischer Staatsangehöriger nach sich. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet wegen Unsubstantiiertheit der Angaben ist nicht möglich. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylantragstellerin aus Kuba, keine Verfolgung mangels Eingriffsintensität von Maßnahmen, Aufhebung des auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG a.F gestützten Offensichtlichkeitsausspruchs, (Unsubstantiiertheit des Vorbringens) wegen Europarechtswidrigkeit, Rechtschutzbedürfnis für Klage gegen Offensichtlichkeitsausspruch, Erledigung der Klage hinsichtlich Ausreisefrist, Quotelung der Gerichtskosten, Kuba, offensichtlich unbegründet
Fundstelle:
BeckRS 2024, 22783

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 9. Mai 2023 wird hinsichtlich des Offensichtlichkeitsausspruchs in Ziffern 1 bis 3 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens zu fünf Sechstel, die Beklagte zu einem Sechstel.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

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Die 1976 geborene Klägerin ist kubanische Staatsangehörige. Sie reiste nach ihren Angaben am 22. Dezember 2020 aus ihrem Heimatland aus, verbrachte fast zwei Jahre in Russland und reist am 16. November 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie äußerte am 29. Dezember 2022 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ein Asylgesuch und legte einen vom 2. September 2021 bis 2. September 2027 gültigen kubanischen Reisepass (ausgestellt in Havanna) vor. Die förmliche Asylantragstellung erfolgte am 1. Februar 2023.
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Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 23. Februar 2023 gab die Klägerin an, dass sie in Kuba als selbständige Kostümbildnerin in Hotels gearbeitet habe. In Russland habe sie schwarzgearbeitet. Zu ihren Asylgründen gab sie an, ihr ganzes Leben gegen das politische System in Kuba gewesen zu sein. Vor ihrer Ausreise sei es schlimmer geworden. Sie habe nicht sagen dürfen, was sie wolle und denke. Wegen der Ideologie könne sie Probleme mit der Justiz haben. Deswegen habe sie sich entschlossen, das Land zu verlassen, als nach der Pandemie die Grenzen aufgemacht worden seien. Sie habe vier Kinder und habe es sich nicht leisten können, wegen ihrer Ideologie verhaftet zu werden. Auf Vorhalt, dass ihr Vortrag pauschal sei, verwies die Klägerin auf den Mangel an Essen und Medikamenten in Kuba. Wenn man sich beschwere, bekomme man Probleme. Man könne sich in Kuba nicht beschweren und demonstrieren. In der Covid-Zeit habe man ihnen nichts zu essen gegeben. Im Dezember 2020 habe sie wegen Covid nicht arbeiten können. Sie sei nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern wegen ihrer Meinung ausgereist. Sie habe sich wegen der wirtschaftlichen Situation und immer dann beschwert, wenn sie in der Schlange vor dem Supermarkt gewesen sei. Verschiedene politische Organisationen in Kuba würden Veranstaltungen organisieren. Sie sei dort nie hingegangen, was für die Leute dort schlimm gewesen sei. Sie wisse, dass es viele Leute ihrer Meinung gebe, ein besonderes Interesse an ihr habe man nicht gehabt. Andere haben sich die Ausreise aber nicht leisten können. Ihr aktueller Pass sei in der kubanischen Botschaft in Russland beantragt worden.
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Mit Bescheid vom 9. Mai 2023, der Klägerin zugestellt am 17. Mai 2023, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 1). Ebenso wurden der Antrag auf Asylanerkennung und der Antrag auf Gewährung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Ziffern 2 und 3). Weiter stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 4) und drohte der Klägerin die Abschiebung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides – in erster Linie – nach Kuba an, falls sie nicht freiwillig ausreise und setzte dabei den Lauf der Ausreisefrist bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist aus und im Falle der fristgerechten Antragstellung darüber hinaus bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des gerichtlichen Eilantrags (Ziffer 5). Es ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass ein substantiierter und detaillierter Sachvortrag ihrem Vorbringen nicht zu entnehmen seien und erhebliche Ungereimtheiten aufgetaucht seien. Eine herausgehobene regimekritische Position habe die Klägerin nicht vorgetragen. Auch habe die Klägerin keine überzeugende Erklärung geben können, warum ihr Pass augenscheinlich in Kuba ausgestellt worden sei, obwohl sie sich zu dieser Zeit in Russland aufgehalten habe. Auch die problemlose Ausreise auf legalem Wege spreche gegen eine drohende Verfolgung. Der Asylantrag sei offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG, weil sich die Ablehnung des Antrags geradezu aufdränge; eine Verfolgung sei nicht substantiiert vorgetragen worden, durch den nach der Ausreise ausgestellten Reisepass sei die Klägerin von ihrem Herkunftsland in ihrer Reisetätigkeit unterstützt worden.
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Mit beim Verwaltungsgericht Ansbach am 24. Mai 2023 eingegangenem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten erhob die Klägerin Klage und beantragte,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 9. Mai 2023 zu verpflichten,
die Klägerin als Flüchtling nach § 3 AsylG anzuerkennen,
hilfsweise ihr subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzusprechen,
hilfsweise festzustellen, dass in der Person der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin habe bei ihrer Anhörung am 23. Februar 2023 ausdrücklich angegeben, dass sie in den letzten Jahren vor ihrer Ausreise öffentlich ihre Meinung kundgetan habe, was vom Bundesamt keinerlei Beachtung gefunden habe. Insbesondere habe sie angegeben, vom ortsansässigen Präsidenten der CDR, …, eine Einladung zum Beitritt bei der CDR erhalten zu haben, was sie abgelehnt habe. Dieser Vortrag sei vom Bundesamt ignoriert worden und nicht ins Protokoll aufgenommen worden.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 30. Mai 2023,
die Klage abzuweisen.
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Mit Beschluss vom 18. Juli 2023 wurde im parallel eingeleiteten Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts vom 9. Mai 2023 angeordnet, weil weder § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG a.F. noch ein sonstiger Tatbestand für eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet eingreife.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakte Bezug genommen. Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist insgesamt zulässig, aber überwiegend unbegründet und insoweit abzuweisen. Hinsichtlich der Qualifizierung der Ablehnung des Asylantrags der Klägerin als offensichtlich unbegründet, ist die Klage begründet; der Bescheid des Bundesamtes vom 9. Mai 2023 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, er ist deshalb in Ziffern 1 bis 3 insoweit aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Der Klägerin steht im Ergebnis kein Anspruch auf Asylanerkennung oder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG (vgl. Ausführungen unter 2.) noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG (vgl. 3.) zu. Eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet war jedoch rechtswidrig und verletzt die Klägerin auch in ihren Rechten (vgl. 4.). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen für die Klägerin nicht vor (vgl. 5.), die Abschiebungsandrohung ist, soweit sie sich aufgrund der gerichtlichen Eilentscheidung nicht ohnehin erledigt hat, rechtmäßig (vgl. 6.), ebenso die Festsetzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (vgl. 7.).
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1. Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht binnen Wochenfrist nach Bescheidsbekanntgabe (§§ 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG) erhoben worden.
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Mit der Klage soll hilfsweise für den Fall, dass mit der vollständigen Aufhebung nicht durchgedrungen wird und ein asylrechtlicher Status nicht erstritten wird, auch die Aufhebung des Offensichtlichkeitsurteils in Ziffern 1 bis 3 des Bundesamtsbescheides, erreicht werden (vgl. ebenso VG Gelsenkirchen, U.v. 8.2.2023 – 6a K 5273/11.A – juris Rn. 17). Die Klage ist auch insoweit zulässig. Ihr fehlt diesbezüglich nicht das Rechtschutzbedürfnis. An der Aufhebung nur des Offensichtlichkeitsurteils des Bundesamts besteht nämlich aufgrund der Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ein rechtliches Interesse. Bei einer Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis Nr. 6 AsylG (a.F.) besteht nämlich eine Titelsperre; dem Ausländer darf gegebenenfalls ein Aufenthaltstitel nur bei vorheriger Ausreise aus dem Bundesgebiet erteilt werden, was eine Verschlechterung seiner ausländerrechtlichen Position gegenüber einem Asylbewerber darstellt, dessen Asylantrag nur als „einfach“ unbegründet abgelehnt worden ist (ebenso VG Gelsenkirchen, U.v. 8.2.2023 – 6a K 5273/11.A – juris Rn. 17; VG Bremen, U.v. 30.5.2023 – 2 K 2825/19 – juris Rn. 22; VG Würzburg, U.v. 1.2.2021 – W 8 K 20.30995 – juris Rn. 58, anders wohl bei Offensichtlichkeitsbescheiden nach § 30 Abs. 1 oder Abs. 2 a.F. vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 25.7.2019 – 2 L 57/18 – juris Rn. 10; VG Gießen, U.v. 29.11.2023 – 1 K 1042/20.Gl.A. – juris Rn. 22).
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2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder Asylanerkennung. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (jeweils näher definiert in § 3b Abs. 1 AsylG) außerhalb seines Herkunftslandes befindet und in dieses nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will, wobei nach § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich ist, ob die verfolgte Person tatsächlich die Merkmale, aufgrund derer sie verfolgt wird, aufweist oder ihr die Merkmale vom Verfolger nur zugesprochen werden. Als Verfolgung in diesem Sinn gelten gemäß § 3a AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen (Nr. 1) oder eine Kumulierung von Maßnahmen, die so gravierend ist, das eine Person in vergleichbarer Weise betroffen ist (Nr. 2). Als Verfolgungshandlungen in Sinn des Abs. 1 sind nach § 3a Abs. 2 AsylG u.a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden und eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung, anzusehen. Zwischen den Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen, § 3a Abs. 3 AsylG. Ergänzende Regelungen ergeben sich für die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, aus § 3c AsylG und zu den Akteuren, die Schutz bieten können, aus § 3d AsylG. Kein Schutz wird nach § 3e Abs. 1 AsylG gewährt, wenn der Verfolgte in einem Teil seines Herkunftslandes sicher vor Verfolgung ist und diesen Landesteil sicher und legal erreichen kann, dort aufgenommen wird und eine Niederlassung dort vernünftigerweise erwartet werden kann (inländische Fluchtalternative).
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Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Erforderlich ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene bei einer Rückkehr verfolgt werden wird. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – NVwZ 2011, 1463; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936). Dabei ist die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie in Form einer widerlegbaren Vermutung zu beachten, wenn der Asylbewerber bereits Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgungscharakter erlebt hat und sich seine Furcht hinsichtlich einer Rückkehr in sein Heimatland aus einer Wiederholung bzw. Fortsetzung der erlittenen Verfolgung ergibt.
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Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Gastland in einem gewissen, sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich der Vorgänge im Herkunftsland für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller und darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen. Es hat sich vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zu begnügen (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977 – 1 C 33/71 – NJW 1978, 2463). Andererseits muss der Asylbewerber von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, widerspruchsfreien Sachverhalt schildern. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann ihm in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171).
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Dies zu Grunde gelegt ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Kuba mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG unterfallende Gefährdung droht.
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a) Eine Vorverfolgung im o.g. Sinne hat die Klägerin nicht glaubhaft gemacht. Aus ihren Angaben ergibt sich eine solche nicht. Die Klägerin hat beim Bundesamt und im Rahmen der mündlichen Verhandlung als in Kuba erlebte Schwierigkeiten nur vorgebracht, dass sie vom Präsidenten des Comité de Defensa de la Revolucion (CDR) bzw. vom Sektorchef in ihrem Stadtviertel mehrmals dazu aufgefordert worden sei, an den Versammlungen ihres Stadtviertels teilzunehmen, was sie seit 2018/2019 nicht mehr gemacht habe (aber in Kuba verpflichtend sei), weil sie mit dem kubanischen Regime nicht einverstanden gewesen sei. Weitergehende Schwierigkeiten hieraus sind ihr aber nicht erwachsen und waren auch nicht konkret und mit beachtlicher Wahrscheinlich zu befürchten. Es kann nicht erkannt werden, dass die Klägerin in den Fokus des Staatsapparats geraten wäre und ihr Maßnahmen, noch dazu von asylerheblicher Schwere konkret gedroht hätten. Die Klägerin gab selbst an, bislang keine Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt zu haben. Sie war als regimekritisch nicht in Erscheinung getreten bzw. aufgefallen, hat keine als politisch zu wertende Tätigkeiten ausgeübt. Angaben zu Protesten, an den sie teilgenommen habe, hat die Klägerin nur auf konkrete Nachfrage überhaupt und nur sehr pauschal gemacht, woraus geschlossen werden kann, dass sie diesen Teilnahmen selbst keine großes Gefährdungspotential beimisst. Es hat sich nach ihren Angaben auch nicht um Kundgebungen zu politischen Themen im engeren Sinn gehandelt, sondern um Proteste wegen Versorgungsengpässen. Es ist unwahrscheinlich, dass aus einem derartigem niederschwelligem Auftreten, noch dazu in der Masse mit anderen Personen, die ernsthafte Gefahr einer Verfolgung wegen politischer Überzeugung droht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit bestand und besteht, da andere „Belastungsmomente“ für die Klägerin nicht bestanden, jedenfalls nicht. Maßnahmen wie Vorladungen und Befragungen – solche standen aber nicht konkret an und waren auch nicht angedroht – kommen im Übrigen mangels ausreichenden Eingriffscharakters auch keine Asylrelevanz zu. Den Beobachtungen durch den Sektorchef hätte die Klägerin außerdem z.B. durch einen Fortzug in ein anderes Stadtviertel oder an einen anderen Ort entgehen können. Dafür, dass dies nicht ausreichend gewesen wäre, spricht nichts; immerhin war die Klägerin nicht polizeibekannt oder sonst zentral als politisch auffällig erfasst. Es erscheint darüber hinaus auch nicht unzumutbar, an den Versammlungen des Stadtviertels zum Schein (und ohne innere Überzeugung) teilzunehmen, um einer näheren Beobachtung und weiteren Maßnahmen zu entgehen. Eine erhebliche, unzumutbare Belastung ist dies nicht und wird in Kuba von einer Vielzahl von Personen so praktiziert. Eine Flucht ins Ausland ist in dieser Situation nicht nachvollziehbar, erscheint deutlich übertrieben und wohl eher – zumindest auch – aus wirtschaftlichen Gründen veranlasst gewesen. Hierfür spricht auch, dass die Klägerin zunächst längere Zeit, nämlich fast zwei Jahre, in Russland verbracht und dort gearbeitet hat.
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Dass es sich bei Kuba nicht um einen demokratischen und rechtstaatlichen Staat mit Meinungs- und Versammlungsfreiheit handelt und ein Leben der Bevölkerung dort von Einschränkungen in der persönlichen Freiheit geprägt ist und auch willkürliche Maßnahmen des Staates gegenüber Bürgern möglich sind, genügt für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht. Die Wahrscheinlichkeit, von einer derartigen Willkürmaßnahme des Staates, der von der Schwere auch asylrechtliche Relevanz zukommt, betroffen zu sein, erreicht die notwendige Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht. Allenfalls bei einer Zusammenschau mit gefahrerhöhenden Umständen des Einzelfalls, insbesondere wenn eine Person als politischer Dissident in Erscheinung getreten ist, kann eine Verfolgungsgefahr anzunehmen sein, was aber für die Klägerin – wie dargelegt – nicht der Fall ist.
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b) Auch Nachfluchtgründe sind für die Klägerin nicht ersichtlich. Insbesondere zieht die Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland als solche nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung unverfolgt und legal aus Kuba eingereister kubanischer Staatsangehöriger nach sich (BVerwG, B.v. 7.12.1999 – 9 B 474.99; BayVGH, U.v. 29.7.2002 – 7 B 01.31054; B.v. 5.6.2008 – 15 ZB 07.30102; ständige Rechtsprechung des VG Ansbach, U.v. 24.9.2015 – AN 3 K 14.30542; B.v. 6.10.2020 – AN 17 K 20.30350 – alle juris). Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass den kubanischen Behörden die Asylantragstellung der Klägerin bekannt geworden ist. Nachfluchtaktivitäten der Klägerin, die die Kläger im Falle einer Rückkehr nach Kuba dort der Gefahr politischer Verfolgung aussetzen, wurden nicht vorgetragen.
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Ob eine Rückkehr nach Kuba für die Klägerin derzeit noch möglich ist (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Kuba, Gesamtaktualisierung vom 23.7.2019, wonach kubanische Staatsangehörige nur innerhalb von 24 Monaten rechtlich und tatsächlich ohne die Einholung einer Rückkehrberechtigung zurückkehren können; danach ist regelmäßig von einem Verlust der Rückkehrberechtigung auszugehen), kann offenbleiben. Jedenfalls stellt der Verlust der Rückkehrberechtigung keine Verfolgungsmaßnahme im Sinne von § 3 AsylG dar; dieser knüpft nämlich an den Ablauf der Rückkehrfrist und nicht an die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale an (ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. VG Ansbach, U.v. 6.10.2020 – AN 17 K 20.30350; U.v. 14.9.2015 – AN 3 K 14. 30542 – jeweils juris).
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3. Der Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
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Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Insofern hat die Klägerin nichts vorgebracht und ist ein Schutzstatus nach § 4 AsylG auch nicht aus der allgemeinen Lage in Kuba ableitbar.
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4. Wie bereits im Beschluss der Einzelrichterin vom 18. Juli 2023 (AN 17 S 23.30555) ausgeführt, trägt die Begründung des angefochtenen Bescheides jedoch insoweit nicht, als eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (a.F.) erfolgt ist.
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Nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG a.F. – der gem. § 87 Abs. 2 Nr. 6 AsylG neuer Fassung/Fassung nach Inkrafttreten des Rückführungsverbesserungsgesetzes vom 21. Februar 2024 AsylG weiter anzuwenden ist, weil der Bescheid vor dem 27. Februar 2024 ergangen ist – kann ein unbegründeter Asylantrag zwar auch dann als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden, wenn in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert ist, nach europarechtskonformer Auslegung anhand von Art. 31 Abs. 8 lit. e) i.V.m. Art. 32 Abs. 2 der RL 2013/32/EU (Asylverfahrens-RL) scheidet eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet wegen Unsubstantiiertheit der Angaben jedoch aus (vgl. Ausführungen des VG Ansbach, B.v. 1.6.2023 – AN 17 S 23.50522 – juris bzw. im vorausgegangenen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO – AN 17 K 23.30555, auf die vollumfänglich verwiesen wird) und liegen eindeutig unstimmige Angaben der Klägerin in diesem Sinne von Art. 31 Abs. 8 lit. e) i.V.m. Art. 32 Abs. 2 Asylverfahrens-RL oder ein sonstiger Tatbestand des § 30 Abs. 3 AsylG a.F. i.V.m.
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Art. 31 Abs. 8 Asylverfahrens-RL nicht vor. Auch insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführliche Begründung des Gerichts im Beschluss vom 18. Juli 2023 verwiesen. Zwischenzeitlich, d.h. durch das Rückführungsverbesserungsgesetz vom 21. Februar 2024 wurde § 30 AsylG an die europäische Grundlage des Art. 31 Abs. 8 Asylverfahrens-RL angepasst und ist eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet wegen unsubstantiierten Vorbringens auch vom Wortlaut her nicht mehr möglich, was als Bestätigung der vom Gericht im Eilverfahren vertretenen Rechtsauffassung und als Widerlegung der vom Bundesamt im angefochtenen Bescheid vertretenen Rechtsauffassung zu werten ist.
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Für das Eilverfahren ist seitens des Gerichts zwar auch ein Austausch eines Offensichtlichkeitstatbestandes nach § 30 Abs. 3 AsylG durch die Tatbestände nach § 30 Abs. 1 oder § 30 Abs. 2 AsylG (a.F.) möglich bzw. kann, wenn Abs. 1 oder Abs. 2 eingreift, im Eilverfahren offengelassen werden, ob auch ein Tatbestand nach § 30 Abs. 3 AsylG eingreift, für die Klage ist dies jedoch anders zu sehen; es hat stets eine Aufhebung des Offensichtlichkeitsurteils durch das Gericht zu erfolgen, wenn kein Tatbestand nach § 30 Abs. 3 AsylG greift, das Bundesamt die Offensichtlichkeitsentscheidung aber auf § 30 Abs. 3 AsylG gestützt hat, aber nur eine einfache Ablehnung gerechtfertigt war, weil sich die Rechtsverletzung für den Ausländer bei einer rechtswidrigen Heranziehung des § 30 Abs. 3 AsylG aus der Titelsperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ergibt. Ob auch 30 Abs. 1 AsylG oder § 30 Abs. 2 AsylG (a.F.) den Offensichtlichkeitsausspruch tragen (würden), ist mit der Klage hingegen nicht zu entscheiden, weil hieran – im Vergleich zur „einfachen“ Ablehnung – keine weitergehenden Folgen geknüpft wären (außer der fehlenden aufschiebenden Wirkung der Klage, die aber nur im Eilverfahren und nicht mit der Klage hergestellt werden kann). Wie unter 1. ausgeführt besteht für eine Entscheidung (nur) zu § 30 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG (a.F.) deshalb auch kein Rechtschutzbedürfnis; über das Eingreifen von § 30 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG (a.F.) ist nicht zu befinden, wenn eine Anordnung nach § 30 Abs. 3 AsylG (a.F.) Gegenstand der Klage ist.
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Der Ausspruch der offensichtlichen Unbegründetheit der Ablehnungen in Ziffer 1 bis Ziffer 3 des Bescheides ist, da dieser hier nicht auf § 30 Abs. 3 AsylG gestützt werden kann, deshalb aufzuheben.
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5. Es besteht für die Klägerin kein Abschiebungsverbot nach Kuba gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sodass die Klage insoweit abzuweisen war. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Asylantragstellers bei einer Rückkehr nach Kuba vorliegt. Mangels konkreter Angaben hierzu ist nichts dafür erkennbar, dass die schlechte allgemeine wirtschaftliche und teilweise auch humanitäre Lage in Kuba sich für sie persönlich als derart prekär darstellen würde, dass bei einer Rückkehr nach Kuba ein menschwürdiges Leben für sie nicht möglich wäre. Die Klägerin hat mit ihren Kindern und der Großfamilie auch Familienangehörige im Heimatland und wäre dort nicht auf sich allein gestellt. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können rechtlich auch nur ausnahmsweise, d.h. nur bei extremen humanitären Verhältnissen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 26.3.2019 – 8 ZB 18.33221 – juris Rn. 11) und führen – schon wegen der Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG – auch nur im Ausnahmefall zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Solche Verhältnisse bestehen in Kuba nicht allgemein.
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6. Die Abschiebungsandrohung mit Ausreiseaufforderung erweist sich im Hinblick auf die angeordnete Ausreisefrist von einer Woche wegen der Aufhebung des Offensichtlichkeitsausspruchs zwar als fehlerhaft. Durch die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 18. Juli 2023 endet die Ausreisefrist gem. § 37 Abs. 2 AsylG nunmehr jedoch kraft Gesetzes 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens. Da § 37 Abs. 2 AsylG damit die Rechtslage herstellt, die sich bei richtiger Sachbehandlung durch das Bundesamt nach § 38 Abs. 1 AsylG ergeben hätte, ergibt sich aus der fehlerhaften Anordnung im Bescheid, die sich insoweit erledigt hat, keine Rechtsverletzung für die Klägerin und erfolgt deshalb keine Aufhebung.
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Für inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die der Abschiebungsandrohung entgegenstünden, bestehen keine Anhaltspunkte.
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7. Ebenso wenig ergeben sich Bedenken im Hinblick auf die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Befristung in Ziffer 6 des Bescheids gemäß §§ 11 Abs. 1, Abs. 2, 75 Nr. 12 AufenthG. Die Befristung steht dabei im Ermessen der Behörde, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, womit das Gericht die Festsetzung in zeitlicher Hinsicht nur auf – im vorliegenden nicht vorgetragene und erkennbare – Ermessensfehler hin überprüft (§ 114 Satz 1 VwGO).
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8. Nach alledem war die Klage überwiegend abzuweisen und ist eine Quotelung der Kosten nach § 155 Abs. 1 VwGO vorzunehmen. Das Obsiegen, das sich auf die Aufhebung des Offensichtlichkeitsausspruches beschränkt, aber Auswirkungen auch auf die Ausreisefrist hat, wird von der Einzelrichterin dabei im Verhältnis zum Unterliegen mit 1/6 zu 5/6 bewertet (ebenso VG Gelsenkirchen, U.v. 8.2.2013 – 6a K 5273/11.A – juris). Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.