Titel:
Asyl, Timor-Leste: Mangels Verfolgung und existentieller Bedrohung erfolglose Klage
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 S. 1
ASylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
In Timor-Leste besteht die durch die Flutkatastrophe von Anfang April 2021 und die Corona-Pandemie zusätzlich verschärfte Situation so nicht mehr. Auch wird der Kläger realistischerweise in seine vormaligen familiären Verhältnisse zurückkehren können und steht nicht alleine und gänzlich ohne Unterstützung da. Als junger, gesunder, arbeitsfähiger, gut ausgebildeter und mit den Verhältnissen des Landes vertrauter Mann und auch mit Hilfe von möglichen Rückkehrbeihilfen und mit Hilfe der in Deutschland durch Arbeit erwirtschaften Mittel scheint sein Überleben in menschenwürdiger Weise – wie vor seiner Ausreise bzw. vor der Flutkatastrophe und Coronapandemie – realistisch. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kläger aus Timor-Leste, unglaubhaftes Vorbringen, Bedrohung durch verfeindete Kampfsportgruppe: keine staatliche Verfolgung, ausreichende Schutzbereitschaft und Schutzfähigkeit des timoresischen Staates, keine ausreichende Asylerheblichkeit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 22782
Tenor
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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Der 1994 geborene Kläger ist Staatsangehöriger von Timor-Leste. Er verließ nach eigenen Angaben sein Heimatland am 28. Mai 2022 und reiste über Indonesien und Frankreich (Einreise dort am 13.6.2022) am 16. Juni 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 29. August 2022 einen Asylantrag stellte. Er war bei der Einreise im Besitz eines Reisepasses der Republik Timor-Leste, gültig vom 19. Januar 2021 bis 18. Januar 2026.
2
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) nach § 25 AsylG am 13. Oktober 2022 trug er vor, in seinem Heimatland acht Jahre lang die Schule besucht und als Gärtner der I. Schule gearbeitet zu haben. Er habe rund 150 Dollar im Monat verdient, was nicht genug gewesen sei. Er sei verheiratet und habe zwei Töchter und habe in einem eigenen kleinen Haus gewohnt. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, dass Timor-Leste politische und wirtschaftliche Probleme habe. Es gebe dort Probleme mit Kampfsportlern. „PSTD“ und „Kera Sahti“ seien kriminelle Gruppen. Die meisten Menschen in seinem Land seien Mitglieder der einen oder anderen Gruppe. Sein Vater sei Teil der Kera Sahti gewesen. Die andere Gruppe suche deswegen nach ihm, um ihn zu töten. Er selbst gehöre keiner dieser Gruppen an. Man suche ihn jeden Tag auf, um ihn zu töten, weswegen er sich 7.000 Dollar geliehen habe, um hierher zu kommen. Die Leute, von denen er sich das Geld geliehen habe, kämen zu seiner Frau und würden nach ihm fragen und sagen, dass sie ihn töten würden. Er trage die Verantwortung für die Familie, seine Mutter, Frau und Kinder, weil er der Älteste sei. Das soziale System sei schlecht. Seine Familie habe jetzt Schwierigkeiten wegen ihm und leide. Es sei schwierig, an Geld zu kommen. Wenn er nicht geflohen wäre, wäre er wegen seines Vaters getötet worden. Jede Nacht und jeden Tag kämen die Menschen zu ihm und würden seiner Frau Angst machen; sie wollten wissen, wann er Geld zurückschicke. Er habe sich das Geld von jemandem geliehen und angegeben, es in zwei Monaten zurückzuzahlen. Diese Person habe seiner Frau gesagt, dass er ihn töten würde, wenn er zurückkehre. Er sei nicht in ein anderes Land geflüchtet, weil er denke, dass er nach Deutschland habe kommen müssen. Seine Freunde seien nach Portugal oder Großbritannien. Persönlich sei ihm nichts passiert. Er habe auch persönlich keine Probleme mit Kampfsportlern, aber sein Vater sei Mitglied einer dieser Gruppen gewesen. Sie hätten seinen Vater gesucht, was ihm Probleme gemacht habe. Sein Vater sei 2021 gestorben. Wenn er attackiert werde, rufe er nach der Polizei und die Täter würden wegrennen. Die PSTD habe nach seinem Vater gesucht, weil er Probleme gemacht habe. Wenn er nach der Polizei rufe und diese komme, passiere nichts, weil die Polizei von der Gruppe abhängig sei. Seine Familie lebe jetzt von seinen Asylbewerberleistungen, die er heimschicke. Zuhause habe er die Arbeit verlassen wegen der Probleme mit den Gruppen. Es sei schwierig, von einem Platz zum anderen zu gehen, weil sie blockierten. Sein Einkommen habe nicht gereicht, seine Mutter und seine Frau hätten Gemüse angebaut, so sei es gegangen. An einen anderen Ort im Land sei er nicht gegangen, weil er dort kein Haus zum Wohnen habe. Bei einer Rückkehr habe er Angst vor den Menschen der Gruppierung und genauso vor den Menschen, von denen er sich Geld geliehen habe. Die Polizei töte jeden Monat Menschen von der Gruppierung. Sie sei abhängig von diesen Gruppen. Wenn jemand Probleme mache, komme die Polizei und erschieße diese. Gesundheitliche Probleme habe er nicht.
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Mit Bescheid vom 14. Juli 2023 erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 4), drohte dem Kläger die Abschiebung – in erster Linie – nach Timor-Leste an, wenn er die Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens verlasse (Ziffer 5) und ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
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Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass es unglaubhaft sei, dass dem Kläger in der Erwartung eines Verdienstes in Höhe von 4.000 Dollar monatlich so viel Geld geliehen worden sei. Es mache auch keinen Sinn, ihn umzubringen. Hinsichtlich einer Bedrohung durch die PSTD gebe es keine objektiven Anzeichen. Der Kläger habe sich nach dem Tod seines Vaters ca. ein Jahr lang unbehelligt im Land aufgehalten. Da die Polizei ihm zu Hilfe gekommen sei und die Angreifer weggerannt seien, sei von der Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des Staats auszugehen. Zu intensiven Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und den Banden sei es nicht gekommen, auch sei im Dunkeln geblieben, warum ein Verfolgungsinteresse am Kläger bestehe.
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Der Kläger erhob am 25. Juli 2023 beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage und beantragte mit Schriftsatz seines nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vom 4. August 2024,
den Bescheid vom 14.Juli 2023 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen,
hilfsweise ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG,
hilfsweise den subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen,
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7
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AufenthG vorliegen, Es wurde darauf hingewiesen, dass der Kläger die englische Sprache, in der die Anhörung stattgefunden habe, nur auf Basis-Niveau beherrsche und seine Muttersprache Tetum sei. Bei den vom Kläger erwähnten Martial-Art-Gruppen (MAG) bzw. Ritual-Art-Gruppen (RAG) handle es sich um Kampfsportgruppen, die auch gewaltsame Aktivitäten in Mafia-Art betrieben. Hierzu gehöre Kera Sakti und Persaudaraan Setia Hati Terate – übersetzt „Bruderschaft des Heiligen Herzens der Lotusblume“ (PSHT), im Bundesamtsprotokoll fälschlich als PSTD benannt.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 31. Juli 2023,
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte Bezug genommen. Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung und das Vorbringen des Klägers dort wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzuweisen. Der streitgegenständliche Bescheid vom 14. Juli 2023 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG oder auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Auch im Übrigen stößt der angegriffene Bescheid auf keine rechtlichen Bedenken.
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder Asylanerkennung. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (jeweils näher definiert in § 3b Abs. 1 AsylG) außerhalb seines Herkunftslandes befindet und in dieses nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will, wobei nach § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich ist, ob die verfolgte Person tatsächlich die Merkmale, aufgrund derer sie verfolgt wird, aufweist oder ihr die Merkmale vom Verfolger nur zugesprochen werden. Als Verfolgung in diesem Sinn gelten gemäß § 3a AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen (Nr. 1) oder eine Kumulierung von Maßnahmen, die so gravierend ist, das eine Person in vergleichbarer Weise betroffen ist (Nr. 2). Als Verfolgungshandlungen in Sinn des Abs. 1 sind nach § 3a Abs. 2 AsylG u.a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden und eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung, anzusehen. Zwischen den Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen, § 3a Abs. 3 AsylG. Ergänzende Regelungen ergeben sich für die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, aus § 3c AsylG und zu den Akteuren, die Schutz bieten können, aus § 3d AsylG. Kein Schutz wird nach § 3e Abs. 1 AsylG gewährt, wenn der Verfolgte in einem Teil seines Herkunftslandes sicher vor Verfolgung ist und diesen Landesteil sicher und legal erreichen kann, dort aufgenommen wird und eine Niederlassung dort vernünftigerweise erwartet werden kann (inländische Fluchtalternative).
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Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Erforderlich ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene bei einer Rückkehr verfolgt werden wird. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – NVwZ 2011, 1463; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936). Dabei ist die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie in Form einer widerlegbaren Vermutung zu beachten, wenn der Asylbewerber bereits Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgungscharakter erlebt hat und sich seine Furcht hinsichtlich einer Rückkehr in sein Heimatland aus einer Wiederholung bzw. Fortsetzung der erlittenen Verfolgung ergibt.
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Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende hinsichtlich asylbegründender Vorgänge in einem gewissen, sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich der Vorgänge im Herkunftsland für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller und darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen. Es hat sich vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zu begnügen (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977 – 1 C 33/71 – NJW 1978, 2463). Andererseits muss der Asylbewerber von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, widerspruchsfreien Sachverhalt schildern. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann ihm in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171).
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Dies zu Grunde gelegt ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Timor-Leste mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG unterfallende Gefährdung droht.
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Eine politische Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (vgl. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 und § 3b AsylG) ist nicht zu befürchten. Timor-Leste ist eine parlamentarisch-demokratische Republik, die seit ihrer Unabhängigkeit im Jahr 2002 große Fortschritte beim Aufbau staatlicher Strukturen und demokratischer Kultur entwickelt hat (Auswärtiges Amt, Timor-Leste: Politisches Porträt vom 5.3.2024). Timor-Leste wird als die stabilste Demokratie in Südostasien angesehen (Konrad Adenauer Stiftung, Länderbericht: Timor-Leste am Scheideweg, von Juni 2023; siehe auch Freedom House, Freedom in the World 2023, Timor-Leste Country Report von 31.8.2023). Demokratische Freiheitsrechte und Rechtstaatlichkeit werden durch Gesetzgebung und grundsätzlich auch durch Verwaltung und Justiz gewährleistet (United States Department of State [USDOS], Human Rights Report Timor-Leste vom 23.3.2023).
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Prekär sind in Timor-Leste jedoch die wirtschaftlichen und damit einhergehend teilweise die humanitären Verhältnisse. Die Wirtschaft ist schwach. Hohe Arbeitslosigkeit, vor allem Jugendarbeitslosigkeit, und Armut stellen ein großes Problem dar. Nur 23% der Menschen im arbeitsfähigen Alter sind im formellen Sektor beschäftigt; Jobs auf dem formellen Arbeitsmarkt sind rar. Ein Großteil der Bevölkerung lebt in der bäuerlichen Substitutionswirtschaft. Etwa 42% der Bevölkerung lebt unter der nationalen Armutsgrenze, womit Timor-Leste zu den ärmsten Ländern der Welt gehört (Konrad Adenauer Stiftung, a.a.O., Bertelmann Stiftung, BTI 2022 Country Report Timor-Leste, a.a.O.).
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Die schlechten wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse mit hoher Jugendarbeitslosigkeit und einem schwachen Bildungssystem bedingen eine hohe Jugend- und Gangkriminalität (Konrad Adenauer Stiftung, a.a.O.) und dadurch eine schlechte Sicherheitslage (Global Initiativ, Global Organized Crime Index von 2023), wenn sich die Sicherheitslage im Vergleich zu den Gewalteskalationen von 2006 und 2008 auch insgesamt deutlich entspannt hat (Markus Reger, Bundeszentale für politische Bildung, Friedenskonsolidierung: Ost-Timor/Timor-Leste vom 1.11.2011). Ein spezifisches Problem sind in Timor-Leste die Kampf- bzw. Ritualsportgruppen (Martial- bzw. Ritual-Art-Gruppen, MAGs und RAGs), die sich seit der Unabhängigkeit Timor-Lestes 2002 von zunächst kulturellen bzw. sportlichen Gruppierungen und Organisationen zunehmend zu politischen Gruppen entwickelt haben und sich, auch im öffentlichen Raum gegenseitig und gewaltsam bekämpfen (WIKIPEDIA, Bandenwesen in Osttimor; Fundasaum Mahein, Politisierung von Kampfsportgruppen: Auswirkungen auf die nationale Sicherheit und die Parlamentswahlen 2023 vom 17.4.2023). Zu den bandenartigen, teilweise über verwandtschaftliche Beziehungen zusammengehaltene MAGs und RAGs gehören die Gruppen Persaudaraan Setia Hati Terate (PSHT), Colimau 2000, Kera Sakti, Korka, Kung Fu Masters und 7-7 (Sete-Sete). Es bestehen unterschiedliche Verbindungen, „Koalitionen“ und Gegnerschaften zwischen den Gruppen, zu verschiedenen politischen Parteien und teilweise auch zu den Sicherheitskräften des Landes (vgl. WIKIPEDIA, a.a.O.). Seit 2008 gab es mehrfache legislative Regelungen zur Regulierungen der MAGs/RAGs wie Legalisierungen und Verbote von Gruppierungen (vgl. WIKIPEDIA, a.a.O.; Bardia Rahmani (The Diplomat), Timor-Lestes neue Königsmacher vom 1.6.2020). Zuletzt ordnete die Regierung am 10. November 2023 angesichts schwerer Vorfälle und anhaltender Probleme die Aussetzung des Lehrens, Lernens und Praktizierens von Kampfkünsten für sechs Monate an (Presseerklärung des Sprechers der Regierung von Timor-Leste vom 10.11.2023; East-Timor, Die Regierung von Timor-Leste setzt den Unterricht und die Praxis der Kampfkünste aus, vom 10.11.2023). Die timoresische Regierung bezog sich zur Begründung dabei auf vier Tote, 26 Verletzte und Sachschäden an 21 Häusern und zehn Fahrzeugen in den vorausgegangenen Tagen (vgl. Presseerklärung, a.a.O.).
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Diese Lage und das Vorbringen des Klägers zugrunde gelegt ergibt sich für ihn keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine politische Verfolgung bei einer Rückkehr nach Timor-Leste. Der Kläger macht allein eine Gefährdung aufgrund der Kriminalität durch Kampfsportgruppen, konkret durch die PSHT, geltend. Die MAGs und RAGs üben jedoch, auch wenn sie teilweise staatliche Institutionen in dem Sinn unterwandert haben mögen, als dass Amtswalter zum Teil selbst Mitglieder oder Sympathisanten von MAGs und RAGs sind, keine staatliche oder quasi-staatliche Macht im Sinne von § 3c Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AsylG aus. Sie werden vom Staat wie das jüngste Verbot von November 2023 zeigt, nicht faktisch geduldet und haben auch politisch und administrativ keinen derart großen Einfluss auf das Land, dass ihnen faktisch Herrschaftsmacht zukäme. Bei der Gewalt der MAGs und RAGs handelt sich vielmehr um rein kriminelles Vorgehen von privaten Akteuren und nicht um eine staatliche Bedrohung i.S.v. § 3c AsylG. Der timoresische Staat ist, was die Gefahren für die Bevölkerung aufgrund der von den MAGs/ RAGs ausgehenden Kriminalität betrifft, auch schutzbereit und ausreichend schutzfähig. Der Kläger hat beim Bundesamt selbst angegeben, dass er, wenn er die Polizei gerufen habe, ihm nichts passiert sei, die Polizei gekommen sei und die Täter geflohen seien. Im Übrigen ist die timoresische Regierung nachhaltig bemüht und nachweislich tätig, die von MAGs und RAGs ausgehenden Gefahren zu bekämpfen. Insbesondere wurde im November 2023 das temporäre und im für das vorliegende Asylverfahren maßgeblichen Zeitpunkt (Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) auch noch gültige Verbot der Ausübung des Kampfsports erlassen. Dass das Regierungsverbot keine Wirkung zeigt, wird von keiner der Erkenntnismittel berichtet und ist – als reine Spekulation der Klägerseite – nicht nachvollziehbar; von der grundsätzlichen Einhaltung und Durchsetzung eines Verbotes ist in einem demokratischen Rechtsstaat vielmehr auszugehen. Anhaltspunkte für das Gegenteil sind nicht ersichtlich und wurden auch konkret nicht vorgetragenen, sondern bloß ins Blaue hinein behauptet.
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Das Ausmaß der Gefährdung der Bevölkerung allgemein und auch speziell des Klägers war zum Zeitpunkt vor der Einführung des Verbots auch nicht derart groß, dass ein asylrelevantes Ausmaß („real risk“ der eigenen Betroffenheit) erreicht gewesen wäre – insbesondere sind die von der timoresischen Regierung in ihrer Presseerklärung genannten Kriminalitätszahlen noch weit von einer realen Bedrohung jedes Einzelnen entfernt – und ist es dies angesichts des nunmehrigen gesetzlichen Verbotes des Kampfsportes somit erst nicht. Der Vortrag des Klägers dazu, wie und warum er von der PSHT bedroht und gefährdet wird, blieb insgesamt auch äußert pauschal und oberflächlich. Dass der Kläger wegen der Mitgliedschaft seines – inzwischen verstorbenen – Vaters in einer anderen MAG im Visier der PSHT steht (so Vortrag beim Bundesamt), ist schwer nachvollziehbar. Von „Gruppenverfolgungen“ allein aufgrund der Zugehörigkeit von Familienangehörigen zu anderen Kampfsportgruppen berichten weder die zum Verfahren beigezogenen Erkenntnismittel, noch ist dies angesichts der Vielzahl der existierenden MAGs und RAGs und der Üblichkeit der Mitgliedschaft in einer MAG oder RAG wahrscheinlich und nachvollziehbar. In der mündlichen Verhandlung gibt der Kläger zusätzlich an, selbst Mitglied der MAG Kera Sakti zu sein und deshalb im Fokus von PSHT zu stehen. Sein Vortrag ist insofern aber ebenfalls vollkommen unsubstantiiert und geht über Wertungen wie „er stecke tief drin“ und er sei bei einem Kampf, bei dem jemand getötet worden sei, „beteiligt“ gewesen, „um zu unterstützen und zu helfen“ im Wesentlichen nicht hinaus. Seine Antworten sind auf die mehrfachen (Nach-)Fragen der Einzelrichterin auch deutlich ausweichend gewesen und wurden selbst auf die sehr kurzschrittigen Fragen seines Bevollmächtigten nicht wesentlich konkreter, sondern teilweise nur anders (z.B. gab er auf Frage seines Bevollmächtigten neu an, dass er selbst Steine geworfen habe und dabei auch die Polizei getroffen habe). Es ist aus seinem Vorbringen auch nicht nachvollziehbar, warum er sich nicht von der Kera Sakti zurückzieht, um einer Gefährdung durch die verfeindete Gruppe zu entgehen. Völlig unverständlich ist – wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angibt –, dass die Gefährdung durch die PSHT vor allem deshalb bestehe, weil an seinem Haus das Emblem der Kera Sakti angebracht sei und die PSHT deshalb erkennen könne, dass seine Familie Mitglied der verfeindeten Bande sei, er aber dieses Emblem nicht entfernt. Absolut nicht nachvollziehbar ist auch, dass – wie er ebenfalls in der mündlichen Verhandlung angab – der Fortzug seiner Frau und seiner Kinder aus dem Haus zwar diese ausreichend geschützt habe, ihn selbst ein Fortzug aber nicht schützen würde. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass eine örtliche Veränderung auch dem Kläger bei Bedarf Schutz vor den im Wesentlichen lokal und nicht landesweit organisierten Kampfsportgruppen bieten würde. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger schließlich selbst angegeben, dass die Gefahr, von den Steinwürfen der PSHT getroffen zu werden, gering geworden sei, seit er vorsichtiger geworden sei. Ein real risk eines Schadens durch die PSHT, der nicht durch eigenes Verhalten verhindert werden könnte, ist damit nicht erkennbar. Die Bewertung des Gerichts ist dabei auch unabhängig davon, ob der Kläger aufgrund von Sprachschwierigkeiten mit der englischen Sprache, in der er beim Bundesamt angehört worden ist, dort Verständigungsschwierigkeiten hatte. Zahlreiche unsubstantiierte und für das Gericht nicht nachvollziehbare Angaben hat der Kläger nämlich auch in der mündlichen Verhandlung in seiner Muttersprache Tetum gemacht. Auch unter Außerachtlassung der aufgetretenen Widersprüche zwischen seinen Angaben beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung, kann beim Kläger eine Gefährdung durch die PSHT nicht abgenommen werden.
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2. Dem Kläger steht angesichts der dargestellten Lage in Timor-Leste auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zu. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Aufgrund der nicht glaubhaften Angaben des Klägers sind vorliegend keine Gründe ersichtlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland ein ernsthafter Schaden in diesem Sinne droht. Die Gefahr, Opfer von Übergriffen von MAGs/RAGs, die einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichkommen, zu werden, ist – wie vorstehend unter 1. ausgeführt – weder allgemein noch speziell für den Kläger ausreichend groß.
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3. Ebenso wenig bestehen ausreichende Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zwar sind die wirtschaftlichen und teilweise auch die humanitären Verhältnisse in Timor-Leste schlecht und stellen Arbeitslosigkeit und Armut wie dargestellt ein großes Problem dar, jedoch ist nicht erkennbar, dass der Kläger von so gravierenden Umständen betroffen wäre, dass deshalb ein Abschiebungsverbot anzunehmen ist. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können rechtlich aber nur im Ausnahmefall ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 26.3.2019 – 8 ZB 18.33221 – juris Rn. 11) und führen – schon wegen der Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG – auch nur ausnahmsweise zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Dass eine Situation extremer Not für den Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland zu erwarten ist, kann nicht festgestellt werden. Zum einen besteht die durch die Flutkatastrophe von Anfang April 2021 und die Corona-Pandemie zusätzlich verschärfte Situation so nicht mehr. Zum anderen wird der Kläger realistischerweise in seine vormaligen familiären Verhältnisse zurückkehren können und steht nicht alleine und gänzlich ohne Unterstützung da. Als junger, gesunder, arbeitsfähiger, gut ausgebildeter und mit den Verhältnissen des Landes vertrauter Mann und auch mit Hilfe von möglichen Rückkehrbeihilfen und mit Hilfe der in Deutschland durch Arbeit erwirtschaften Mittel scheint sein Überleben in menschenwürdiger Weise – wie vor seiner Ausreise bzw. vor der Flutkatastrophe und Coronapandemie – realistisch. Die Schulden, die der Kläger zur Finanzierung seiner Flucht aufgenommen hat, hat er nach seiner Angabe in der mündlichen Verhandlung inzwischen beglichen. Mangels substantiierten Vortrags ist von einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben alsbald nach einer Rückkehr ins Heimatland nicht auszugehen.
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4. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor.
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5. Gleiches gilt für die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Befristung in Ziffer 6 des Bescheids gemäß §§ 11 Abs. 1, Abs. 2, 75 Nr. 12 AufenthG. Die Befristung steht dabei im Ermessen der Behörde, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, womit das Gericht die Festsetzung in zeitlicher Hinsicht nur auf – im vorliegenden nicht vorgetragene und erkennbare – Ermessensfehler hin überprüft (§ 114 Satz 1 VwGO).
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6. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen, wobei Gerichtskosten gemäß § 83b AsylG nicht erhoben werden.