Titel:
Entgeltfortzahlungsanspruch vorrangig gegenüber infektionsschutzrechtlicher Verdienstausfallentschädigung
Normenketten:
IfSG § 56, § 57
EFZG § 3
VwGO § 113 Abs. 5
Leitsatz:
Die behördliche Anordnung einer Isolation bzw. häuslichen Quarantäne nach einem positiven Corona-Test hat die (rechtliche) Arbeitsunfähigkeit des betroffenen Arbeitnehmers iSd § 3 EFZG zur Folge, unabhängig davon, ob die Erkrankung symptomlos verläuft oder mit Krankheitssymptomen verbunden ist; ein Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG besteht daher nicht. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verdienstausfallentschädigung, Isolationsanordnung, symptomlose Corona-Erkrankung, vorrangiger Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber, Subsidiarität, Grundsatz der Monokausalität, Billigkeitsentscheidung, Corona, Entgeltfortzahlung, Arbeitsunfähigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 22669
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Zahlung einer Verdienstausfallsentschädigung in Höhe von 1.369,81 EUR für einen bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer.
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Die Klägerin ist ein überregional tätiger Lack- und Farbenhersteller, der auch im Bereich des Beklagten eine Niederlassung unterhält. Der am … Juni 1971 geborene B. ist Arbeitnehmer der Klägerin im Verkauf-Innendienst.
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Für den Arbeitnehmer B. wurde aufgrund einer festgestellten Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 (Positivtestung) mit Verfügung des Landratsamts … vom 27. April 2022 eine Isolation im Zeitraum zwischen dem 26. April 2022 und dem 4. Mai 2022 angeordnet.
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Mit Formblattantrag vom 18. April 2024 beantragte die Klägerin beim Beklagten für den Arbeitnehmer B. für den Zeitraum zwischen dem 26. April 2022 und dem 4. Mai 2022 eine Verdienstausfallentschädigung in Höhe von 817,99 EUR (Nettolohn) und in Höhe von 551,82 EUR für abgeführte Sozialversicherungsbeiträge (Gesamtsumme der beantragten Entschädigung 1.369,81 EUR). Die Klägerin gab an, dass sie für diese Beträge als Arbeitgeberin in Vorleistung getreten ist. Weiter ist im Antrag ausgeführt, dass die vom Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit nicht im „Homeoffice“ ausgeübt werden konnte, da der betroffene Arbeitnehmer Farbe und Lacke vertreibe, die auf Kundenwunsch individuell gemischt würden.
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Mit Bescheid der Regierung von … vom 29. April 2024 wurde der Antrag auf Erstattung des Verdienstausfalls und der Beiträge zur Sozialversicherung abgelehnt.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) eine Entschädigung in Geld erhalte, wer aufgrund dieses Gesetzes Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern i.S.v. § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliege oder unterworfen werde und dadurch einen Verdienstausfall erleide. Die Entschädigung bemesse sich gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 IfSG nach dem Verdienstausfall. Als Verdienstausfall im Sinne der Vorschrift gilt gemäß § 56 Abs. 3 Satz 1 IfSG, das Arbeitsentgelt, das dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zusteht, vermindert um Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung sowie zur Arbeitsförderung oder entsprechenden Aufwendungen zur sozialen Sicherung in angemessenem Umfang (Netto-Arbeitsentgelt). Die Voraussetzungen des § 56 IfSG für eine Verdienstausfallentschädigung seien nicht gegeben, so dass der Antrag abzulehnen gewesen sei. Es fehle an einem Verdienstausfall i.S.d. § 56 Abs. 1 IfSG. Ein Verdienstausfall i.S.d. § 56 Abs. 1 IfSG liege nur dann vor, wenn der Arbeitgeber während der Absonderung nicht nach anderen arbeitsvertraglichen, tarifvertraglichen oder gesetzlichen Vorschriften zur Zahlung der Vergütung verpflichtet ist. Bei der Entschädigung nach § 56 IfSG handle es sich um eine auf dem Billigkeitsgedanken beruhende Sondervorschrift, die im Verhältnis zu den arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungspflichten des Arbeitgebers nur nachrangig Anwendung finden würde. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bestehe ein vorrangiger Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) selbst dann, wenn lediglich eine symptomlose Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus vorgelegen habe. Eine solche Infektion stelle nach Ansicht des BAG auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach § 3 EFZG dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führe, wenn es dem Arbeitnehmer in Folge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sei, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht komme. Für eine subsidiäre Entschädigung nach § 56 IfSG bleibe insoweit kein Raum.
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Auf die weiteren Ausführungen im Bescheid der Regierung von … vom 29. April 2024 wird ergänzend verwiesen.
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Die Klägerin hat gegen den Bescheid vom 29. April 2024 mit Schriftsatz vom 13. Mai 2024 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,
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Die Beklagte (richtigerweise der Beklagte) wird verurteilt, unter Abänderung des Ablehnungsbescheids vom 29. April 2024 in Bezug auf den Arbeitnehmer B., der Klägerin eine Verdienstausfallentschädigung und die Beiträge zur Sozialversicherung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes nach Maßgabe ihres Antrags zu erstatten.
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Zur Begründung der Klage ist ausgeführt, dass der Beklagte seinen Ablehnungsbescheid darauf stütze, dass es bei dem Mitarbeiter an einem Verdienstausfall fehle. Es werde auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20. März 2024 verwiesen, wonach bei einer SARS-CoV-2 Infektion kein Raum für eine subsidiäre Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz verbleibe. Diese Begründung vermöge den Ablehnungsbescheid nicht zu stützen, da es an einer entsprechenden Krankmeldung des Mitarbeiters selbst fehle. Die Entscheidung der Regierung von … führe im Ergebnis dazu, dass die Verdienstausfallentschädigung des IfSG leerlaufe und niemals zur Anwendung komme. Das widerspreche dem Willen des Gesetzgebers.
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Auf die weiteren Ausführungen im Klageschriftsatz vom 13. Mai 2024 wird ergänzend verwiesen.
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Die Regierung von … ist für den Beklagten mit Schriftsatz vom 11. Juli 2024 der Klage entgegengetreten und beantragt,
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Die Ablehnung des Antrags auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. Abs. 1 IfSG und der Beitragserstattung nach § 57 Abs. 1 und 2 IfSG sei mangels kausalem Verdienstausfall aufgrund der Entgeltfortzahlungspflicht der Klägerin gegenüber ihrem Arbeitnehmer nach § 3 EFZG rechtmäßig und verletze die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Das Bundesarbeitsgericht habe mit Urteil vom 22. März 2024 entschieden, dass auch eine symptomlose SARS-CoV-2 Infektion eine Krankheit darstelle, die zur Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 3 EFZG führe, sofern es dem Arbeitnehmer in Folge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sei, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung („Homeoffice“) nicht in Betracht komme. Der Grundsatz der Monokausalität stehe der Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG nicht entgegen, da die Absonderungsanordnung unmittelbare Folge der Erkrankung und kein weiterer, paralleler Umstand sei, der für sich allein gesehen den Grund der Arbeitsverhinderung darstelle. Für die subsidiäre Entschädigung nach §§ 56 ff. IfSG bleibe kein Raum. Da ein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nicht bestehe, scheide auch eine Erstattung der während der Isolation abgeführten Beiträge zur Sozialversicherung i.S.d. § 57 IfSG aus.
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Auf die weiteren Ausführungen im Klageerwiderungsschriftsatz vom 11. Juli 2024 wird ergänzend verwiesen.
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Die Klägerin und der Beklagte haben mit Schriftsätzen vom 12. Juli 2024 und 11. Juli 2024 übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die vom Beklagten vorgelegte Verfahrensakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Kammer konnte über die Klage im Wege des schriftlichen Verfahrens (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit jeweils einverstanden erklärt haben.
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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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Die Klägerin besitzt keinen Anspruch auf Erstattung der von ihr an ihren Arbeitnehmer gezahlten Verdienstausfallentschädigung sowie abgeführter Sozialversicherungsbeiträge (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der diesen Anspruch versagende Bescheid des Beklagten vom 29. April 2024 ist rechtmäßig und nicht geeignet, die Klägerin in ihren Rechten zu verletzen.
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1. Für die Sach- und Rechtslage des geltend gemachten Anspruchs ist auf die Fassung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 20. März 2022 abzustellen, die Gültigkeit bis zum 29. Juni 2022 beanspruchte.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts richtet sich die Frage des richtigen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem Prozessrecht, so dass die Klägerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit einem Aufhebungsbegehren wie mit einem Verpflichtungsbegehren nur dann Erfolg haben kann, wenn sie im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die erstrebte Aufhebung des Verwaltungsakts bzw. einen Anspruch auf die erstrebte Leistung hat. Ob ein solcher Anspruch jedoch besteht, das heißt, ob ein belastender Verwaltungsakt die Klägerin im Sinne des § 113 Abs. 1 VwGO rechtswidrig in ihren Rechten verletzt oder die Ablehnung eines begehrten Verwaltungsakts im Sinne des § 113 Abs. 5 VwGO rechtswidrig ist, beurteilt sich nach dem materiellen Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage oder eines Anspruchs selbst, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (stRspr., vgl. BVerwG, U.v. 31.3.2004 – 8 C 5.03 – juris Rn. 35). Insbesondere bei zeitgebundenen Ansprüchen, d.h. bei Ansprüchen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt entstehen oder die sich auf einen bestimmten Zeitraum beziehen, ergibt sich der zeitliche Bezugspunkt nach dem Fachrecht, weil es andernfalls die Behörde oder das Gericht allein durch die Steuerung der Bearbeitungszeit in der Hand hätte, einen zunächst begründeten Antrag unbegründet werden zu lassen oder umgekehrt (vgl. VG Hannover, U.v. 1.10.2008 – 11 A 7719.06 – juris).
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2. Gemäß § 56 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. § 56 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 IfSG in der zum Zeitpunkt der Isolation im April/ Mai 2022 maßgeblichen Fassung mit Gültigkeit vom 20. März 2022 bis zum 29. Juni 2022 erhält ein Arbeitgeber, der für die zuständige Behörde die Entschädigung an seinen Arbeitnehmer auszahlt, auf Antrag eine entsprechende Erstattung, wenn sein Arbeitnehmer auf Grund des Infektionsschutzgesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtigte abgesondert wurden oder werden. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch gemäß § 56 Abs. 1 IfSG ist ein vorrangiger, dem Arbeitnehmer der Klägerin zustehender Entschädigungsanspruch aus § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG, der dann aufgrund der im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung des § 56 Abs. 5 Satz 3 IfSG auf die Klägerin übergegangen ist.
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a) Während der gegenüber dem Arbeitnehmer B. der Klägerin behördlich angeordneten Isolation zahlte die Klägerin für die Monate April/Mai 2022 die diesem zustehende anteilige arbeitsvertragliche Vergütung.
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b) Die Voraussetzungen des geltend gemachten Erstattungsanspruchs nach § 56 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 3 IfSG liegen jedoch nicht vor.
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aa) Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält eine Entschädigung in Geld, wer als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern i.S.v. § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt für eine Person, die nach § 30 IfSG, auch in Verbindung mit § 32 IfSG, abgesondert wird oder sich aufgrund einer nach § 36 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 erlassenen Rechtsverordnung absondert. Nach § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG hat bei Arbeitnehmern der Arbeitgeber die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen, die ihm auf Antrag erstattet wird (§ 56 Abs. 5 Satz 3 IfSG).
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bb) Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch an dem für den geltend gemachten Erstattungsanspruch erforderlichen Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers gem. § 56 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 IfSG, da dieser aufgrund des ihm gegenüber der Klägerin zustehenden Lohnfortzahlungsanspruchs aus § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (§ 3 EFZG) keinen Verdienstausfall erlitten hat, der einen Entschädigungsanspruch zugunsten der Klägerin begründen könnte.
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(1) Ein Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG besteht nur, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines Tätigkeitsverbots oder einer Absonderung einen Verdienstausfall erlitten hat. Ein Verdienstausfall ist hingegen zu verneinen, wenn dem Arbeitnehmer für den maßgeblichen Zeitraum ein vertraglicher oder gesetzlicher Anspruch auf Fortzahlung seines Lohnes gegen den Arbeitgeber zugestanden hat, obwohl der Arbeitnehmer nicht in der Lage gewesen ist, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen (vgl. VG Göttingen, U.v. 20.7.2023 – 4 A 150/21 – juris Rn. 20; Kümper in Kießling, IfSG, Kommentar, 3. Auflage 2022, § 56 Rn. 25 ff.). Das Nichtbestehen anderweitiger Ansprüche ist negatives Tatbestandsmerkmal für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch aus § 56 Abs. IfSG (vgl. NdsOVG, B.v.2.4.2024 – 14 LC 156/22 – juris Rn. 32; OLG Hamm, U.v. 29.10.2021 – 11 U 60/21 – juris Rn. 5; VG Münster, U.v. 23.4.2024 – 5 K 2977/22 – juris Rn. 33; VG Karlsruhe, U.v. 10.5.2021 – 9 K 67/21 – juris Rn. 67). Bei § 56 IfSG handelt es sich nach der gesetzlichen Konzeption um eine subsidiäre Entschädigungsregelung (vgl. Sangs in Sangs/Eibenstein, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 2022, § 56 Rn. 72). Neben dem Wortlaut spricht auch der Sinn und Zweck der Vorschrift für diese Auslegung. Denn § 56 IfSG soll vor materieller Not schützen, wenn allgemeine Fortzahlungspflichten nicht greifen. Eine Entlastung des Arbeitgebers wird von der Norm nicht bezweckt (vgl. NdsOVG, B.v. 2.7.2021 – 13 LA 258/21 – juris Rn. 9; Eckart/Winkelmüller, BeckOK Infektionsschutzrecht, IfSG, 20. Edition, Stand: 1.4.2024, § 56 Rn. 37 m.w.N.). Ein Anspruch nach § 56 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 IfSG erfordert damit einen Verdienstausfall, der nicht eintritt, soweit eine Entgeltersatzleistung gewährt wird bzw. ein Anspruch auf eine solche besteht bzw. bestanden hat. Dies zugrunde gelegt besteht ein Entschädigungsanspruch nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist und über § 3 EFZG einen Anspruch auf Lohnfortzahlung besitzt.
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(2) Ein die geltend gemachte Entschädigung ausschließender, vorrangiger Anspruch auf Lohnfortzahlung ist im vorliegenden Fall gegeben. Der betroffene Arbeitnehmer der Klägerin war im Zeitraum seiner Isolation vom 26. April 2022 bis zum 4. Mai 2022 arbeitsunfähig erkrankt.
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Krankheit i.S.d. § 3 EFZG setzt einen regelwidrigen, körperlichen oder geistigen Zustand des Arbeitnehmers voraus. Regelwidrig ist der Zustand, wenn er nach allgemeiner Erfahrung unter Berücksichtigung eines natürlichen Verlaufs des Lebensgangs nicht bei jedem anderen Menschen gleichen Alters und Geschlechts zu erwarten ist. Maßgeblich ist hierbei der jeweilige Stand der Wissenschaft. Auf die Behandlungsbedürftigkeit der Erkrankung kommt es hingegen nicht an. Die Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 stellt dem folgend eine Krankheit i.S.v. § 3 Abs. 1 EFZG dar (BAG, U.v. 20.3.2024 – 5 AZR 234/23 – juris Rn. 11 m.w.N; LAG SH, U.v. 6.7.2023 – 4 Sa 39 öD/23 – juris Rn. 52).
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(3) Die beim betroffenen Arbeitnehmer B. der Klägerin diagnostizierte Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 hat auch die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zur Folge.
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Arbeitsunfähigkeit besteht, wenn der Arbeitnehmer in Folge Krankheit seine vertragliche geschuldete Tätigkeit objektiv nicht ausüben kann oder nicht ausüben sollte, weil die Heilung nach ärztlicher Prognose hierdurch verhindert oder verzögert würde. In Fällen, in denen der Arbeitnehmer die von ihm geschuldete Arbeitsleistung objektiv nicht ausüben kann, wird ihm die Erbringung der Leistung unmöglich i.S.v. § 275 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
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Arbeitsunfähigkeit liegt aber nicht nur dann vor, wenn der betroffene Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann, sondern auch, wenn aus rechtlichen Gründen wegen einer Erkrankung ein Beschäftigungsverbot für den betroffenen Arbeitnehmer besteht. Die behördliche Anordnung einer Isolation bzw. häuslichen Quarantäne begründet ein Beschäftigungsverbot und hat die (rechtliche) Arbeitsunfähigkeit des betroffenen Arbeitnehmers zur Folge, unabhängig davon, ob die Erkrankung symptomlos verläuft oder mit Krankheitssymptomen verbunden ist. Die behördlich angeordnete Absonderung (Isolation) führt dazu, dass dem Arbeitnehmer die Erbringung seiner vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung wegen seiner Erkrankung mit dem Virus SARS-CoV-2 objektiv unmöglich wird, zumal eine Zuwiderhandlung gegen eine behördlich angeordnete Absonderung nach § 73 Abs. 1a IfSG zumindest bußgeldbewehrt ist (vgl. zum Ganzen BAG, U.v. 20.3.2024 – 5 AZR 234/23 – juris Rn. 14; LAG SH, U.v. 6.7.2023 – 4 Sa 39 öD/ 23 – juris Rn. 54). Die Annahme einer Arbeitsunfähigkeit in Fällen der behördlichen Isolationsanordnung und einer symptomlos verlaufenden SARS-CoV-2-Infektion erscheint auch aus Gründen des Schutzes der übrigen beim Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer sachlich geboten, da auch bei symptomlosem Verlauf einer Corona-Infektion der Betroffene Träger einer Viruslast ist, welche auch bei symptomlosem Verlauf ein Erkrankungsrisiko für Dritte darstellen kann. Aus diesem Grund dient die abstrakte Annahme der (rechtlichen) Arbeitsunfähigkeit auch dem Schutz des betroffenen Arbeitgebers und seiner weiteren Arbeitnehmer.
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cc) Damit liegt aber beim betroffenen Arbeitnehmer B. der Klägerin trotz des geltend gemachten symptomlosen Verlaufs der Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 eine Krankheit nach § 3 Abs. 1 EFZG vor, die die Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat, da es dem betroffenen Arbeitnehmer B., der bei der Klägerin im Verkauf bzw. Innendienst beschäftigt ist, in Folge der behördlich angeordneten Absonderung (Isolation) zumindest rechtlich unmöglich war, seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit bei der Klägerin zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung („Homeoffice“) nicht möglich war. Damit bestand aber für die Klägerin aus § 3 Abs. 1 EFZG die gesetzliche Verpflichtung zur Fortzahlung der arbeitsvertraglichen Vergütung an den betroffenen Arbeitnehmer B. aufgrund von dessen rechtlicher Arbeitsunfähigkeit. Dieser Anspruch ist vorrangig zu einem Anspruch aus § 56 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 3 IfSG (vgl. BAG, U.v. 20.3.2024 – 5 AZR 234/23 – juris Rn. 20).
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dd) Die in der Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 liegende Erkrankung des Arbeitnehmers B. stellt auch die alleinige Ursache (Monokausalität) des Arbeitsausfalls dar (vgl. zum Anspruchskriterium der Monokausalität bei § 3 EFZG LAG Hessen, U.v. 18.8.2023 – 10 Sa 1361/22 – juris Rn. 34). Die Annahme, dass ein Anspruch aus § 3 Abs. 1 EFZG mangels erforderlicher Monokausalität entfalle, weil bereits die behördlich getroffene Isolationsanordnung zum Verdienstausfall führe, vermag nicht zu überzeugen. Die behördliche Absonderungsanordnung tritt nämlich nicht isoliert neben die Erkrankung, sondern ist vielmehr unmittelbare Folge der beim betroffenen Arbeitnehmer festgestellten Virus-Infektion. Aufgetretene und nachgewiesene Erkrankung und behördliche Anordnung der Isolation bilden eine untrennbare gedankliche Einheit und begründen den vorrangigen Anspruch aus § 3 Abs. 1 EFZG (vgl. BAG, U.v. 20.3.2024 – 4 AZR 234/23 – juris Rn. 21). Die gegenteilige Auffassung würde hingegen eine lebensfremde Aufspaltung eines einheitlichen, durch die jeweilige Erkrankung ausgelösten Vorgangs darstellen. Entgegen der Auffassung der Klägerin verbleibt auch ein relevanter Anwendungsbereich für die Entschädigungsregelung des § 56 IfSG, nämlich für die Fälle, in denen ein Arbeitnehmer als Kontaktperson ohne erkrankt zu sein, einem Arbeitsverbot unterworfen ist.
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ee) Schließlich scheitert auch der vorrangige Anspruch aus § 3 EFZG nicht daran, dass der betroffene Arbeitnehmer B. der Klägerin nach deren Vortrag keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hat und offensichtlich auch keine Krankmeldung erfolgt ist. Der Klägerin stand in diesem Zusammenhang kein Leistungsverweigerungsrecht nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG zur Seite, da die Isolation als Folge einer festgestellten Infektion (Positiv-Testung) zum maßgeblichen Zeitpunkt gesetzlich angeordnet war.
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c) Da es folglich bereits an einem Anspruch des Arbeitnehmers aus § 56 Abs. 1 IfSG fehlt, kann ein solcher begrifflich auch nicht gem. § 56 Abs. 5 Satz 3 IfSG auf die Klägerin als betroffene Arbeitgeberin übergehen.
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3. In der Konsequenz besteht somit auch kein Anspruch auf Erstattung der für den Arbeitnehmer B. im April 2022 abgeführten Sozialversicherungsbeiträge gem. § 57 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 IfSG, da hierfür ein Anspruch gem. § 56 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. § 56 Abs. 1 IfSG zwingende Voraussetzung wäre (vgl. VG Würzburg, U.v. 15.11.2021 – W 8 K 21.864 – juris Rn. 32). Wie bereits ausgeführt, hat der betroffene Arbeitnehmer der Klägerin gerade keinen Anspruch auf eine (subsidiäre) Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG, sodass in der Folge auch kein Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 57 Abs. 1 IfSG besteht.
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4. Weitere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht, da ein Rückgriff auf allgemeine Entschädigungs- bzw. Erstattungsregelungen aufgrund der abschließenden Regelungen im Infektionsschutzgesetz ausscheidet.
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5. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 i.V.m. § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).