Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 22.07.2024 – Au 6 K 24.30281
Titel:

Kein internationaler Schutz für Kurdin mit minderjährigen Kindern aus der Türkei

Normenketten:
AsylG § 3, § 4
AufenthG§ 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsätze:
1. Flieht eine Frau nicht vor der häuslichen Gewalt ihres Ehemannes, sondern vor den Drohungen eines außerfamiliären privaten Dritten, fehlt es für die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes mangels deutlich abgegrenzter Identität am Verfolgungsmerkmal der eigenen sozialen Gruppe (EuGH BeckRS 2024, 160). (Rn. 20) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung auch einer etwaigen psychischen Erkrankung eines zurückkehrenden Flüchtlings sind in der Türkei jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert. (Rn. 25) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Klage gegen einen als unbegründet abgelehnten Asylerstantrag einer Familie türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit (Mutter mit zwei Kindern), Geltendmachung von Angst vor Gewaltdelikten eines Mannes in der Türkei sowie des Verlusts ihres Zuhause in Folge des Erdbebens in der Türkei, Asylverfahren des geschiedenen Ehemanns und Vaters erfolglos, internationaler Schutz, Türkei, Kurdin, minderjährige Kinder, häusliche Gewalt, Zerstörungen durch Erdbeben, unbegründeter Asylantrag, Existenzminimum
Fundstelle:
BeckRS 2024, 22487

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Rahmen ihres von der Beklagten als unbegründet abgelehnten Asylerstantrags.
2
Die Kläger zu 1 bis 3 sind nach eigenen Angaben und ihren vorgelegten Reisepässen bzw. Kimlik Karti türkische Staatsangehörige, kurdischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens, eine Mutter mit zwei minderjährigen Kindern. Sie reisten per Bus und ohne erforderliche Visa auf dem Landweg am 19. März 2023 unerlaubt nach Deutschland ein (BAMF-Akte Bl. 132, 149 ff.) und stellten am 31. März 2023 einen Asylerstantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt).
3
In ihrer auf Türkisch geführten polizeilichen Anhörung anlässlich ihres Aufgriffs gab die Klägerin zu 1 im Wesentlichen als Fluchtgründe aus der Türkei an (BAMF-Akte Bl. 160 ff.), sie seien von der Türkei nach Serbien geflogen und hätten als Kurden Angst um ihr Leben; ihr Lebensgefährte sei in .... Als Kurden hätten sie keine Rechte und würden vom Staat verfolgt. Kehrte sie zurück, werde sie eingesperrt.
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In ihrer auf Türkisch geführten Anhörung vor dem Bundesamt am 28. September 2023 gab die Klägerin zu 1 im Wesentlichen an (BAMF-Akte Bl. 234 ff.), sie habe mit ihren Kindern in einem ihrer Mutter gehörenden Haus bei ... gelebt, sei mit dem Flugzeug von Istanbul nach Serbien und auf dem Landweg per Bus nach Deutschland eingereist. Deutschland sei wegen ihrer Verwandten ihr Ziel; ihre Mutter lebe seit 15 Jahren in G. (ebenda Bl. 236). Den Vater ihrer Kinder habe sie 2008 geheiratet; sie seien 2012 geschieden worden. 2014 seien sie wieder zusammengekommen, Ende 2017 hätten sie sich wieder getrennt; er sei in Deutschland; sie hätten aber keinen engen Kontakt (ebenda Bl. 236). Sie habe nach der Schule u.a. als Sekretärin und in einer Textilfabrik gearbeitet, auch als Reinigungskraft; sie habe davon leben können und von niemandem Hilfe gebraucht (ebenda Bl. 236 f.).
Ihr Ausreisegrund sei ein Mann, den sie im Jahr 2022 kennengelernt habe, der aber drogenabhängig und dann gewalttätig geworden sei (ebenda Bl. 237). Sie habe mit polizeilicher Hilfe ein Kontaktverbot gegen ihn erlangt, aber dann habe er die Kinder auf dem Schulweg belästigt und sie und die Kinder mit dem Tod bedroht, sollte sie sich von ihm trennen (ebenda Bl. 237 f). Als er – ungefähr am 10. Januar 2023 – mit einem Messer an ihrer Türe erschienen sei, um sie zu töten, hätten die Nachbarn die Polizei gerufen und er sei in Arrest gekommen; danach habe sie sich mit den Kindern im Dorf ihrer Mutter versteckt und die Kinder nicht mehr zur Schule geschickt (ebenda Bl. 238). Durch das Erdbeben seien diese Unterkunft und auch ihre Wohnung zerstört worden; zu ihrem Ex-Ehemann habe sie damals keinen Kontakt mehr gehabt und daher beschlossen, die Türkei zu verlassen (ebenda Bl. 238). Der andere Mann sei nach einer Gerichtsverhandlung drei Monate im Gefängnis gewesen und als er wieder herausgekommen sei, sei sie nicht mehr in der Türkei gewesen, aber er habe sie an ihrer Tür gesucht, habe sie von Nachbarn erfahren; nur die Wohnung im Dorf sei zerstört gewesen, nicht ihre eigentliche Wohnung (ebenda Bl. 238 f.).
Mit dem türkischen Staat habe sie keine Probleme, aber die Polizei habe ihr keine Schutzperson zur Verfügung gestellt, sondern ein Kontaktverbot auferlegt mit Strafandrohung, sollte er sich ihnen nähern; der Mann lasse überall in der Türkei nach ihr suchen, habe ihr ein gemeinsamer Freund gesagt (ebenda Bl. 239). Er habe sie nach einem Umzug nach ... Ende November 2022 über die Meldeadresse (zwecks Schulbesuchs der Kinder) ausfindig gemacht und wieder zurückgebracht (ebenda Bl. 240).
Auf Vorhalt ihrer anderslautenden Angaben beim polizeilichen Aufgriff gab sie an, dort keine solchen Aussagen gemacht haben zu wollen; sie habe nur gesagt, dass sie nicht in die Türkei zurückwolle, da ihr Leben dort in Gefahr sei (ebenda Bl. 240).
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Auf dem Kontrollbogen bestätigte die Klägerin zu 1, es habe bei der in türkischer Sprache durchgeführten Anhörung keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben, das rückübersetzte Protokoll entspreche ihren Angaben und diese seien vollständig und entsprächen der Wahrheit (BAMF-Akte Bl. 243).
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Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 12. März 2024 den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) sowie auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ab (Nr. 4). Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Sollten sie die Ausreisefrist nicht einhalten, würden sie in die Türkei abgeschoben. Sie könnten auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei. Die durch die Bekanntgabe dieser Entscheidung in Lauf gesetzte Ausreisefrist werde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5).
Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen, weil die Kläger eine Verfolgung im Herkunftsstaat nicht hätten glaubhaft machen können. Die Bedrohungen der Klägerin zu 1 durch ihren Ex-Partner seien nicht flüchtlingsrelevant, weder sei sie als Teil einer abgegrenzten sozialen Gruppe als Frau und Kurdin betroffen, noch sei er ein Verfolger. Die Bedrohungen seien vielmehr allgemeines kriminelles Unrecht. Insoweit sei jedoch von einer Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des türkischen Staates gegen kriminelles Unrecht auszugehen, auf den sie verwiesen werde. Sie habe staatlicherseits gegen den Ex-Partner ein Kontaktverbot und seine dreimonatige Inhaftierung erwirkt. Zudem stehe ihr mindestens in der auf dem Luftweg sicher erreichbaren Millionenstadt Istanbul eine sichere innerstaatliche Zuflucht offen. Sie könne sich auch dort eine wirtschaftliche Existenz mit ihren Kindern sichern. Eine konkrete Vorverfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal habe sie nicht erlitten. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen ebenfalls nicht vor. Auch Abschiebungsverbote seien nicht ersichtlich. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Türkei würden nicht zu der Annahme führen, dass bei einer Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die Klägerin zu 1 sei jung und arbeitsfähig und bei einer Rückkehr auf die eigene Arbeitskraft zu verweisen. Im Falle einer Unterstützungsbedürftigkeit sei sie auf ihre in der Türkei wohnhaften Familienmitglieder zu verweisen. Die Anordnung mit Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sei angemessen. Schutzwürdige Belange seien nicht vorgetragen worden. Der Vater der Kläger zu 2 und zu 3 sei nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels. Sein Asylverfahren sei mit Bescheid des Bundesamtes vom 28. April 2023 als einfach unbegründet abgelehnt worden und eine dagegen erhobene Klage sei vor dem Verwaltungsgericht Ansbach zum Zeitpunkt der Entscheidung anhängig.
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Gegen diesen ihnen am 15. März 2024 zugestellten Bescheid ließen die Kläger am 20. März 2024 Klage erheben mit dem Antrag,
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I. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 12. März 2024 zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise subsidiären Schutz zu gewähren,
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II. hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Weiter ließen sie zur Begründung ausführen, die Klägerin zu 1 sei psychisch krank und der Ehemann und Kindesvater lebe jetzt wieder mit ihr zusammen.
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Die Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Mit Beschluss vom 30. April 2024 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Mit der Ladung übersandte das Gericht eine aktuelle Erkenntnismittelliste. Die mündliche Verhandlung wurde wegen Erkrankung der Klägerin zu 1 auf den heutigen Termin verlegt. Eine weitere Terminverlegung wurde zwar von der Klägerbevollmächtigten heute fernmündlich angekündigt, aber nicht förmlich beantragt, so dass über sie mangels Nachweises der Verhandlungsunfähigkeit usw. nicht förmlich zu entscheiden war.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die von der Beklagten vorgelegte Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

15
Die zulässige Klage, über die trotz Ausbleibens Beteiligter verhandelt und entschieden werden konnte, da sie zuvor darauf hingewiesen worden waren (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet. Die Kläger haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 12. März 2024 ist daher rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 3 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
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1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf einen Schutz nach § 3 oder § 4 AsylG.
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a) Einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft steht die fehlende Vorverfolgung entgegen.
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Wie die Beklagte zutreffend in ihrem Bescheid ausgeführt hat, ist schon ausreisemotivierend nicht eine staatliche Verfolgung gewesen, wie die unbehelligte Ausreise auf dem Luftweg zeigt, sondern die Angst vor einem Ex-Partner der Klägerin zu 1 als Privatperson. Eine politische Verfolgung ist auch nicht wegen einer zunächst gegenüber der Polizei behaupteten, gegenüber der Beklagten dann aber verneinten Diskriminierung der Klägerin zu 1 als Kurdin gegeben (BAMF-Akte Bl. 160 ff., 240). Schon dieser Widerspruch im Vorbringen der Klägerin zu 1 lässt auf rein asyltaktisch motivierte Angaben schließen.
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Dessen ungeachtet steht den Klägern gegen einen Ex-Partner der Klägerin zu 1 staatlicher Schutz durch Polizei und Justiz zur Verfügung, den sie auch in Anspruch genommen haben, was zu dessen Inhaftierung wegen Verstoßes gegen ein Kontaktverbot geführt hat, erst recht steht ihnen Schutz zur Verfügung im von dessen Wohnort ... ferneren Istanbul. Dies stellt nach den überzeugenden Ausführungen der Beklagten auch eine tatsächlich erreichbare und wirtschaftlich zumutbare Zuflucht dar.
20
Die Versagung von internationalem Schutz steht mit der unionsrechtlichen Rechtslage in Einklang, die für eine Zuerkennung von Flüchtlingsschutz bei häuslicher Gewalt eine Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal fordert, das hier nicht vorliegt. Die Klägerin zu 1 ist nicht vor häuslicher Gewalt ihres Ehemanns, sondern vor Drohungen eines außerfamiliären privaten Dritten geflohen – schon eine eigene soziale Gruppe mit deutlich abgegrenzter Identität (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2024 – C-621/21 – Rn. 40) lässt sich für sie daraus nicht ableiten. Insbesondere fühlt sich die Klägerin zu 1 nicht wegen ihres weiblichen Geschlechts von ihrem außerehelichen Ex-Partner bedroht, sondern wegen dessen Eifersucht, was nicht in einer Weise verallgemeinerbar und äußerlich auch nicht abgrenzbar bzw. erkennbar ist und daher nicht für die Annahme einer geschlechtsspezifischen Verfolgung ausreicht (EuGH a.a.O. Rn. 48 f., 53 f.). Es fehlt also bereits am Verfolgungsmerkmal.
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Abgesehen davon ist der Ex-Partner als Einzelperson kein territorial relevanter Verfolger, so dass von ihm als Person schon keine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung ausgehen kann. Zudem ist der türkische Staat schutzfähig und schutzwillig; der Ex-Partner wurde wegen Verstoßes gegen ein Kontaktverbot inhaftiert. Ein an ein Verfolgungsmerkmal anknüpfendes spezifisch auf die Klägerin zu 1 gerichtetes Unterlassen des türkischen Staats (EuGH a.a.O. Rn. 64) und damit eine staatliche Verfolgungshandlung ist daher ebenso widerlegt.
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Daher geht weder vom Ex-Partner eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung aus, noch fehlt hinreichender Schutz des hier schutzfähigen und schutzwilligen türkischen Staats (als Maßstab bei EuGH a.a.O. Rn. 67, 70).
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b) Es bestehen aus diesen Gründen auch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, soweit die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG abgelehnt wurde. Insoweit wird auf obige Ausführungen verwiesen zur innerstaatlichen Fluchtalternative verwiesen.
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c) Es bestehen auch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids soweit das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG festgestellt wurde.
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Die vor ihrer Ausreise nach eigenen Angaben erwerbstätige und erwerbsfähige Klägerin zu 1 würde mit ihrer Teil-Familie der Kläger zu 2 und zu 3 bei einer Rückkehr in die Türkei keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre elementaren Bedürfnisse im Sinne eines Existenzminimums nicht gesichert wären. Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung auch einer etwaigen psychischen Erkrankung der Klägerin zu 1 sind nach Überzeugung des Gerichts in der Türkei jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert. Auf die ausführliche und aktuelle Darstellung im angefochtenen Bescheid wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Hiervon Abweichendes ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere praktizieren Psychiater und elf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.000 Plätzen (im Jahr 2017), weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen einiger Regionalkrankenhäuser. Auch sind therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige vorhanden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 28.7.2022, S. 22; zur Behandlung psychischer Erkrankungen auch SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 18.8.2016, Behandlung und Pflege einer schizophrenen Person im Südosten der Türkei, S. 2; BfA, Anfragebeantwortung v. 19.6.2023, Behandlung von paranoider Schizophrenie und Cannabismissbrauch). Die spezialisierte psychiatrische Fachklinik in Elazig deckt die Versorgung von Patienten in Südost- und Ostanatolien ab und verfügt über insgesamt 488 Betten, stationäre psychiatrische Versorgung ist auch in den Universitätskliniken in Gaziantep, Diyarbakir und Sanliurfa gewährleistet (SFH ebenda S. 3).
26
In der Türkei steht den Klägern auch noch eine Wohnung zur Verfügung, ungeachtet der Zerstörung ihres zwischenzeitlichen Verstecks in einem Dorf.
27
d) Ebenfalls keine Bedenken bestehen gegen den Erlass der Abschiebungsandrohung, dem keine unionsrechtlichen Bedenken nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG n.F. hinsichtlich Kindeswohl, familiärer Bindungen oder Gesundheitszustand (dazu sogleich) entgegenstehen, wie im angefochtenen Bescheid ausführlich geprüft und verneint ist. Die Kläger werden als Teil-Kern-Familie gemeinsam abgeschoben werden und können ihre familiäre Lebensgemeinschaft im Herkunftsstaat fortführen. Wie weit Bindungen an den ebenfalls nicht aufenthaltsberechtigten Vater im Bundesgebiet bestehen, mit dem die Klägerin zu 1 seit Ende 2021 oder Anfang 2022 gar keine Lebensgemeinschaft mehr geführt, sondern er durch seine Ausreise nach Deutschland deren Ende herbeigeführt und möglicherweise im Bundesgebiet zwischenzeitlich wiederaufgenommen hat (VG-Akte Bl. 83), kann daher dahinstehen.
28
Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Ein entsprechend qualifiziertes ärztliches Attest mit den Mindestanforderungen genügenden Angaben hat die Klägerin zu 1 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht vorgelegt.
29
e) Nachdem sich auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG mangels berücksichtigungsbedürftiger Belange für eine kürzere Befristung, insbesondere der bereits vor der Ausreise aus der Türkei durch Handeln der Eltern ausgelösten Auflösung der familiären Lebensgemeinschaft mit den Kindern und ihrer im Bundesgebiet bisher mangels Aufenthaltsrecht auch nicht legal wieder hergestellten familiären Lebensgemeinschaft als rechtmäßig erweist, war die Klage abzuweisen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83 b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.