Titel:
Keine Ausbildungsduldung für irakischen Kurden im vorläufigen Rechtsschutz
Normenketten:
AufenthG § 60a, § 60c, § 81 Abs. 1
VwGO § 123, § 166 Abs. 1
ZPO § 114 Abs. 1
Leitsätze:
1. Materiell-rechtlich besitzt ein Ausländer einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde ihm von Amts wegen eine Duldung nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG erteilt und ihm darüber eine deklaratorische Bescheinigung ausstellt. Die Pflicht, einen Antrag zu stellen, besteht nach § 81 Abs. 1 AufenthG nur für Aufenthaltstitel iSv § 4 Abs. 1 S. 2 AufenthG oder eine Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 3 S. 1 AufenthG. (Rn. 28) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Ein Antrag auf Erteilung einer Duldung ist jedenfalls dann zu verlangen, wenn ein Ausländer entgegen seiner gesetzlichen Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG nicht ausreisen will, mithin gegenüber der Ausländerbehörde Gründe für seine Duldung geltend macht. Diese hat er nach § 82 Abs. 1 AufenthG selbst geltend zu machen und nachzuweisen. Wenn gerichtlicher Rechtsschutz begehrt wird, ist die Antragstellung zwar nicht aus materiell-rechtlichen, jedoch aus verwaltungsprozessualen Gründen unerlässlich (VG Bayreuth BeckRS 2019, 43689). (Rn. 28) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen ist dann gegeben, wenn eine Abschiebung aufgrund objektiver Umstände, die in der Person des Ausländers oder in äußeren Gegebenheiten liegen, nicht bzw. nur mit unverhältnismäßigem Aufwand durchgesetzt werden kann (VGH München BeckRS 2023, 6072). (Rn. 31) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Einem Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung nach § 60c Abs. 8 iVm § 60a Abs. 2 AufenthG steht die durch § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1, 2, § 81 Abs. 3, Abs. 4 AufenthG vorgegebene Systematik des Aufenthaltsgesetzes entgegen, wonach für die Dauer eines Erteilungsverfahrens nur unter den in § 81 Abs. 3, Abs. 4 AufenthG geregelten Voraussetzungen ein vorläufiges Bleiberecht besteht, darüber hinaus für die Dauer eines Erteilungsverfahrens ein Duldungsanspruch regelmäßig nicht anerkannt wird (VGH München BeckRS 2022, 22251) (Rn. 34 – 35) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes kommt nach Art. 19 Abs. 4 GG die Erteilung einer Verfahrensduldung nur dann in Betracht, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich bereits gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem Begünstigten zugutekommen kann (VGH München BeckRS 2022, 22251) (Rn. 36) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Nach erfolglosem Asylverfahren ausreisepflichtiger irakischer Staatsangehöriger, Klage auf Erteilung einer Ausbildungsduldung, dreimonatige Vorduldungszeit, Ablauf der zuvor erteilten Duldung vor Antragstellung für eine Ausbildungsduldung, Antrag auf vorläufigen Abschiebungsschutz bis zur Bestandskraft der Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung, Prozesskostenhilfe, irakischer Staatsangehöriger, erfolgloses Asylverfahren, Duldung, Ausbildungsduldung, Verfahrensduldung, Antragserfordernis, vorläufiger Rechtsschutz
Fundstelle:
BeckRS 2024, 22482
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren und für das Klageverfahren wird abgelehnt.
Gründe
1
Der Antragsteller und Kläger (im Folgenden: Kläger) begehrt eine ihm vom Antragsgegner und Beklagten (im Folgenden: Beklagter) versagte Ausbildungsduldung (Au 6 K 24.1508) sowie im Antragsverfahren (Au 6 E 24.1509) eine vorläufige Duldung zum Abschiebungsschutz bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache sowie für beide Verfahren Prozesskostenhilfe.
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Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Asylverfahren (VG Augsburg, GB. v. 13.9.2021 – Au 5 K 21.30810 – Rn. 1 ff.) ist der Kläger irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens und reiste am 26. April 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 15. Juni 2021 einen Asylantrag. Zu seinen Ausreisegründen aus dem Irak erklärte der Kläger, dass ihm sein Vater während seines Aufenthaltes in Griechenland mitgeteilt habe, dass die familiären Probleme, weswegen er geflohen sei, gelöst seien. Trotzdem habe er ihn aufgefordert, aufgrund der schlechten Lebensumstände und wirtschaftlichen Lage nicht in den Irak zurückzukehren, sondern nach Deutschland zu reisen, um dort ein neues, sicheres und ruhiges Leben führen zu können. Deshalb habe er sich entschieden, nach Deutschland zu kommen und einen Asylantrag zu stellen.
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Das Bundesamt lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 2. August 2021 als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen und drohte dem Kläger die Abschiebung in den Irak an. Einen hiergegen gerichteten Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht ab (VG Augsburg, B.v. 26.8.2021 – Au 5 S 21.30811); der Kläger ist seither ausreisepflichtig, aber seiner Ausreisepflicht nicht nachgekommen. Seine Klage wurde als offensichtlich unbegründet abgewiesen (VG Augsburg, GB. v. 13.9.2021 – Au 5 K 21.30810) und das Urteil rechtskräftig.
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Die Abschiebung des Klägers konnte zunächst nicht durchgeführt werden, denn er war mit einem bereits am 18. Januar 2021 abgelaufenen irakischen Reisepass eingereist und verfügte zunächst über keinen gültigen Reisepass mehr (ein Strafverfahren wegen der unerlaubten und passlosen Einreise wurde eingestellt, Behördenakte Bl. 385). Ab dem 6. September 2021 erhielt der Kläger eine Grenzübertrittsbescheinigung.
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Am 8. November 2021 erhielt er nach Belehrung über seine Passbeschaffungspflicht erstmals eine Duldung befristet bis 8. Februar 2022 (Behördenakte Bl. 359), ab 9. Dezember 2021 mit der Erlaubnis zur Aufnahme einer unselbständigen Beschäftigung als Reinigungskraft (ebenda Bl. 383). Ab dem 16. Februar 2022 erhielt er mangels hinreichender Mitwirkung an der Passbeschaffung eine Duldung wegen ungeklärter Identität nach § 60b AufenthG befristet bis 10. Mai 2022. Am 14. Juli 2022 erhielt er wieder eine allgemeine Duldung nach § 60a AufenthG mit der Erlaubnis zur Aufnahme einer unselbständigen Beschäftigung als Produktionshelfer in einem Confiserie-Betrieb befristet bis 13. Oktober 2022 – die Beschäftigung war bis 8. August 2023 erlaubt (ebenda Bl. 495). Am 29. Dezember 2022 erhielt er eine gleichartige Duldung nach § 60a AufenthG mit der Erlaubnis zur Aufnahme einer unselbständigen Beschäftigung als Produktionshelfer im Confiserie-Betrieb befristet bis 28. Juni 2023 (ebenda Bl. 509). Nach Vorlage eines neuen Reisepasses erhielt er zuletzt am 19. Juli 2023 eine gleichartige Duldung nach § 60a AufenthG mit der Erlaubnis zur Aufnahme einer unselbständigen Beschäftigung als Produktionshelfer im Confiserie-Betrieb befristet bis 18. Januar 2024 (ebenda Bl. 561, 612). Diese unselbständige Beschäftigung wurde ihm erneut ab 24. August 2023 bis 24. August 2027 ausländerbehördlich erlaubt (ebenda Bl. 599), aber nach dem 18. Januar 2024 keine Duldung mehr erteilt.
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Erst am 31. Januar 2024 ging beim Beklagten ein Antrag des Klägers auf Erneuerung seiner Duldung ein mit dem Duldungsgrund „Angst vor Verfolgung“ (ebenda Bl. 621). Am 6. Februar 2024 reichte er eine Bestätigung seines Arbeitsgebers ein über ein Ausbildungsverhältnis ab dem 1. September 2024 für eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer Lebensmitteltechnik (ebenda Bl. 617). Mit Schreiben vom 26. Februar 2024, eingegangen laut Eingangsstempel beim Beklagten am 5. März 2024, beantragte er eine Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG, legte einen auf den 21. Februar 2024 datierten Berufsausbildungsvertrag bei (ebenda Bl. 625, 632) sowie eine Eintragungsbestätigung der Industrie- und Handelskammer vom 23. Februar 2024 (ebenda Bl. 755) und wurde vom Beklagten über die Übernahme der ausländerrechtlichen Zuständigkeit durch die Zentrale Ausländerbehörde informiert (ebenda Bl. 636). Diese stellte für den Kläger am 29. April 2024 einen Schubantrag und hörte ihn zur beabsichtigen Ablehnung seines Antrags an.
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Der Beklagte lehnte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 3. Juni 2024 den Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG mit der Begründung ab, er erfülle nicht alle Erteilungsvoraussetzungen, denn im Zeitpunkt der Antragstellung mit Eingang seines Antrags am 4. März 2024 sei er nicht mehr geduldet gewesen. Seine letzte Duldung sei bis 18. Januar 2024 befristet gewesen; einen neuen Antrag habe er erst am 31. Januar 2024 gestellt. Der Bescheid wurde am 13. Juni 2024 per Postzustellungsurkunde sowie seinem Bevollmächtigten zugestellt, der sich zwischenzeitlich bestellt hatte (ebenda Bl. 791 ff.).
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Eine für Anfang Juni 2024 vorbereitete Abschiebung des Klägers scheiterte mangels Aufgriffs (ebenda Bl. 749). Er wurde von Amts wegen in seiner Unterkunft abgemeldet und zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben.
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Am 24. Juni 2024 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben und neben Prozesskostenhilfe beantragen,
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Unter Aufhebung seiner Entscheidung vom 3. Juni 2024 wird der Beklagte verpflichtet, dem Kläger rückwirkend auf den 4. März 2024 eine Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG zu erteilen.
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Ebenfalls am 24. Juni 2024 ließ der Kläger einen Eilantrag stellen und neben Prozesskostenhilfe beantragen,
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Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragsteller bis zur Bestandskraft der Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nicht in den Irak abzuschieben beziehungsweise bereits eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen abzubrechen und dem Antragsteller eine Duldung nach § 60a AufenthG zu erteilen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung, denn er sei im Zeitpunkt seiner Antragstellung seit mehr als drei Monaten in Besitz einer Duldung gewesen. Dass der Beklagte den Duldungsantrag nicht verbeschieden habe, könne dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen. Seine Abschiebung sei zumindest aus tatsächlichen Gründen jedenfalls bis zur Übertragung der Zuständigkeit für das ausländerrechtliche Verfahren des Antragstellers auf die ZAB nicht möglich gewesen. Der Beklagte habe auch noch bis zum 25. April 2024 die Erteilung einer Ausbildungsduldung geprüft, so dass das nicht abgeschlossene Prüfungsverfahren der Abschiebung entgegengestanden hätte. Er habe daher auch einen Anspruch auf Unterlassen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen und den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung vertiefte er die Ausführungen des Bescheids und verwies darauf, es fehle bereits ein Anordnungsanspruch mangels erforderlicher Vorduldungszeit im Zeitpunkt der Antragstellung nach § 60c AufenthG. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf weitere Erlaubnis zur Beschäftigung im Ermessensweg, vielmehr sei die Durchsetzung der Ausreisepflicht vorrangig. Er sei zudem seit dem 18. Juni 2024 zur Fahndung ausgeschrieben und habe sich trotz Hinweisen der Ausländerbehörde in der zugewiesenen Unterkunft bisher nicht wieder angemeldet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten.
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Der zulässige Antrag nach § 123 VwGO ist unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf vorläufige Verfahrensduldung bis zur Entscheidung über seine Klage hat.
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1. Der Kläger hat im entscheidungserheblichen Zeitpunkt keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Weder ergibt sich ein Anspruch auf eine Duldung nach § 60c AufenthG, noch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 AufenthG, noch sind die Voraussetzungen einer nur ausnahmsweise in Betracht kommenden Verfahrensduldung gegeben.
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a) Maßgeblicher Zeitpunkt zur Entscheidung über die Sach- und Rechtslage ist derjenige der gerichtlichen Entscheidung.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Klägers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
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Eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in einem (etwaigen) Hauptsacheverfahren. Das Vorliegen eines derartigen Anordnungsgrunds und Anordnungsanspruchs ist vom Kläger glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO).
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b) Der Kläger ist vollziehbar ausreisepflichtig. Er ist aufgrund der am 13. September 2021 bestandskräftig gewordenen Ablehnung seines Asylantrags sowie nach Ablauf der ihm durch das Bundesamt gesetzten Ausreisefrist vollziehbar ausreisepflichtig nach § 50 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, weil er einen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Die ihm gesetzte Ausreisefrist ist ergebnislos verstrichen.
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c) Der Kläger hat nach summarischer Prüfung im entscheidungserheblichen Zeitpunkt keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, weil er im Zeitpunkt der prüffähigen Antragstellung beim Beklagten am 5. März 2024 – mit Schreiben vom 26. Februar 2024 unter Beifügung eines auf den 21. Februar 2024 datierten Berufsausbildungsvertrags und einer Eintragungsbestätigung der Industrie- und Handelskammer vom 23. Februar 2024 – bereits über vier Wochen nicht mehr geduldet war (zum Erfordernis einer Duldung bei Antragstellung Stahmann in Hofmann (Hrsg.), Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, § 60c Rn. 15; Samel in Dörig, Migrations- und Integrationsrecht, 3. Aufl. 2024, § 5 Rn. 221).
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aa) Der Kläger hatte zwischen dem 18. Januar 2024 und dem 31. Januar 2024 keine formelle Duldung inne.
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Seine zuvor erteilte Duldung war am 18. Januar 2024 abgelaufen, eine neue nicht erteilt und auch am 31. Januar 2024 erst nach Erlöschen der Duldung überhaupt beantragt worden.
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bb) Der Kläger hat auch erst am 31. Januar 2024 eine neue Duldung beantragt.
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Zwar hat ein Ausländer materiell-rechtlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde ihm von Amts wegen eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erteilt und ihm darüber eine deklaratorische Bescheinigung ausstellt (Gordzielik/Huber in Huber/Mantel, Aufenthaltsgesetz, 3. Aufl. 2021, § 60a Rn. 7; Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016 § 60a Rn. 44; Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 60a Rn. 22 ff.). Denn die Pflicht, einen Antrag zu stellen, gilt gemäß § 81 Abs. 1 AufenthG nur für Aufenthaltstitel i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG oder eine Ausbildungsduldung gemäß § 60c Abs. 3 Satz 1 AufenthG, aber nicht für eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Ein Antrag, wie er in der behördlichen Praxis geläufig ist, ist aber unschädlich und jedenfalls dann zu verlangen, wenn ein Ausländer entgegen seiner gesetzlichen Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG nicht ausreisen will, mithin Duldungsgründe geltend macht, weswegen ihn die Ausländerbehörde erst dulden soll. Die Gründe hierfür hat er – auch beim Begehren einer Duldung – nach § 82 Abs. 1 AufenthG selbst geltend zu machen und nachzuweisen. Die förmliche und formularmäßige Antragstellung dient der Duldung. Der Antrag ist, zwar nicht aus materiell-rechtlichen, aber aus verwaltungsprozessualen Gründen unerlässlich, wenn gerichtlicher Rechtsschutz begehrt wird (BVerwG, B. v. 6.5.1993 – 1 B 201/92 – juris Rn. 7; VG Bayreuth, B. v. 21.6.2019 – B 6 E 19.468 – Juris Rn. 29 f.).
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cc) Der Kläger hatte zwischen dem 18. Januar 2024 und dem 31. Januar 2024 auch keinen materiellen Duldungsanspruch, denn seiner Abschiebung standen keine tatsächlichen oder rechtlichen Hindernisse mehr entgegen.
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Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange seine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Ferner kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern (§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG).
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Eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen ist gegeben, wenn eine Abschiebung aufgrund objektiver Umstände, die in der Person des Ausländers oder in äußeren Gegebenheiten liegen, nicht bzw. nur mit unverhältnismäßigem Aufwand durchgesetzt werden kann. Eine Unmöglichkeit der Abschiebung ist nicht schon bei jeder geringen zeitlichen Verzögerung infolge der notwendigen verwaltungsmäßigen Vorbereitungen anzunehmen, sondern nur bei dem zeitweiligen Ausschluss der Abschiebung aufgrund rechtlicher Verbote oder Hindernisse oder aufgrund tatsächlicher Umstände außerhalb der administrativen Organisation der Abschiebung. Das Rechtsinstitut der Duldung soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die Ausreisepflicht eines Ausländers nicht in allen Fällen ohne Verzögerung durchgesetzt werden kann und ihre Durchsetzung auf nicht absehbare Zeit unmöglich ist. Eine Duldung ist grundsätzlich zu erteilen, wenn die Abschiebung zwar möglich ist, die Ausreisepflicht des Ausländers aber nicht ohne erhebliche Verzögerung durchgesetzt werden kann (BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 19 CE 23.183 – juris Rn. 14).
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Der Gesetzgeber geht von der zügigen Durchführung der Abschiebung aus. Ergeben sich Hindernisse, die eine erhebliche Verzögerung der Abschiebung nach sich ziehen, ist nach § 55 Abs. 2 AuslG (jetzt: § 60a Abs. 2 AufenthG) zu verfahren. Erscheint die Abschiebung nach den Gegebenheiten des Falles nicht aussichtslos, darf andererseits ein fehlgeschlagener Abschiebungsversuch vorausgesetzt werden, bevor tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung angenommen wird. Die Ausländerbehörde hat im Rahmen der Prüfung einer Aussetzung der Abschiebung nicht nur zu untersuchen, ob die Abschiebung des Ausländers überhaupt durchgeführt werden kann, sondern auch, innerhalb welchen Zeitraums eine solche möglich ist. Dies gilt nicht nur für die Fälle, in denen eine Abschiebung grundsätzlich möglich ist, sondern auch in den Fällen, in denen eine Abschiebung derzeit unmöglich ist. In den letztgenannten Fällen ist von der Ausländerbehörde zu prüfen, wann dieses Hindernis behoben sein wird. Kommt die Ausländerbehörde zu dem Ergebnis, dass die Abschiebung nicht ohne Verzögerung durchgeführt werden kann oder der Zeitpunkt der Abschiebung ungewiss ist, ist eine Duldung zu erteilen (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2023 – 19 CE 22.2222 – juris Rn. 16).
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Hier hat der Beklagte zwar erst nach Abschluss der Prüfung der Erteilungsvoraussetzungen des § 60c AufenthG am 29. April 2024 einen Schubantrag gestellt. Doch die Abschiebung des Klägers war bereits zwischen dem 18. Januar 2024 und dem 31. Januar 2024 möglich, wie auch der zeitnahe Abschiebungsversuch Anfang Juni 2024, also nur rund fünf Wochen nach Stellung des Schubantrags, zeigte.
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dd) Ferner kommt nach summarischer Prüfung auch kein Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung für den Zeitraum zwischen dem 18. Januar 2024 und dem 31. Januar 2024 nach § 60c Abs. 8 i.V.m. § 60a Abs. 2 AufenthG in Betracht.
35
Es widerspräche der durch § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1 und Abs. 2, § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG vorgegebenen Systematik und Konzeption des Aufenthaltsgesetzes, denen zufolge für die Dauer eines Erteilungsverfahrens nur unter den in § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG geregelten Voraussetzungen ein vorläufiges Bleiberecht besteht, darüber hinaus derartige „Vorwirkungen“ anzuerkennen und für die Dauer eines Erteilungsverfahrens regelmäßig eine Duldung vorzusehen (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2022 – 19 CE 22.12 – juris Rn. 9).
36
Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ist nach Art. 19 Abs. 4 GG eine Ausnahme nur dann zu machen und kommt eine Verfahrensduldung in Betracht, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich bereits gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem Begünstigten zugutekommen kann (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2022 – 19 CE 22.12 – juris Rn. 9).
37
Auch daran fehlt es, denn im Zeitraum zwischen dem 18. Januar 2024 und dem 31. Januar 2024 hatte der Kläger noch keinen vollständigen prüffähigen Antrag auf Ausbildungsduldung gestellt (vgl. oben), so dass – selbst wenn für die Dauer dieses Prüfungsverfahrens eine Verfahrensduldung überhaupt in Betracht käme, obwohl es nur auf Erteilung einer anderen Duldung und nicht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gerichtet ist – das Prüfungsverfahren noch gar nicht in Gang gesetzt worden war. Ohne (Prüfungs-)Verfahren kann es keine Verfahrensduldung geben.
38
Ungeachtet der behördlichen Bearbeitungsdauer der Anträge hatte der Kläger jedenfalls im Zeitpunkt der Antragstellung für eine Ausbildungsduldung am 5. März 2023 keine aktuelle Duldung inne, schon gar nicht seit drei Monaten, weil er nicht rechtzeitig eine neue Duldung beantragt hatte. Diese Lücke lässt sich weder durch einen materiellen Duldungsanspruch noch durch eine formelle Verfahrensduldung schließen und steht der Erteilung einer Ausbildungsduldung entgegen.
39
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Antragsverfahren folgt aus §§ 52 Abs. 2 und 53 Abs. 2 Nr. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das Verfahren ist nicht gerichtskostenfrei, da die Neufassung des § 80 AsylG das Verfahren auf Aussetzung einer im Asylverfahren nach § 34 AsylG angedrohten Abschiebung nicht zu einem asylrechtlichen Verfahren nach § 83b AsylG macht (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.1997 – 1 C 3.97 – NVwZ 1998, 297).
40
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Antrags- und für das Klageverfahren ist aus den o.g. Gründen nicht erfolgreich.
41
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
42
Der Antrag und die Klage haben im Zeitpunkt der Bewilligungsreife keine hinreichenden Erfolgsaussichten hat. Die Duldungslücke des Klägers im Zeitraum zwischen dem 18. Januar 2024 und dem 31. Januar 2024 lässt sich voraussichtlich auch im Klageverfahren nicht schließen und steht einer erforderlichen Vorduldungszeit von drei Monaten im Zeitpunkt der Antragstellung am 5. März 2024 entgegen.